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Erika Saucke Fernsehredakteurin a.D. im Gespräch mit Dr. Ernst ...

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Sendung vom 25.06.2002<br />

<strong>Erika</strong> <strong>Saucke</strong><br />

<strong>Fernsehredakteurin</strong> a.D.<br />

<strong>im</strong> <strong>Gespräch</strong> <strong>mit</strong> <strong>Dr</strong>. <strong>Ernst</strong> Emrich<br />

Emrich: Grüß Gott, verehrte Zuschauer, herzlich willkommen be<strong>im</strong> Alpha-Forum.<br />

Unser Gast ist heute <strong>Erika</strong> <strong>Saucke</strong>, <strong>Fernsehredakteurin</strong> <strong>im</strong> Ruhestand, und<br />

zwar schon seit einiger Zeit. Frau <strong>Saucke</strong>, ich habe eine ganz<br />

entscheidende Frage bereits jetzt am Anfang: Es hat einmal ein Kollege von<br />

Ihnen gesagt, Sie seien in Ihrer aktiven Zeit zumindest in Bayern, aber auch<br />

darüber hinaus, so bekannt gewesen wie Max Schmeling, Kardinal<br />

Faulhaber und das "Betthupferl" <strong>im</strong> Radio. Haben Sie dafür eine Erklärung?<br />

<strong>Saucke</strong>: Das ist ja eine köstliche Zusammenstellung, aber <strong>im</strong> Hinblick auf das<br />

"Betthupferl" muss ich die Sache gleich mal relativieren, weil ich da einen<br />

Ruhm eingehe<strong>im</strong>st habe, der mich nicht zustand. Denn es gab damals eine<br />

Adele Hoffmann, die das "Betthupferl" gesprochen hat und eine ähnliche<br />

St<strong>im</strong>me wie ich hatte. Daher hat es letztlich <strong>im</strong>mer geheißen, ich wäre auch<br />

das "Betthupferl".<br />

Emrich: Dass Sie aber <strong>mit</strong> ihr überhaupt verwechselt werden konnten, hing da<strong>mit</strong><br />

zusammen, dass Sie eben auch <strong>im</strong> Kinderfunk <strong>im</strong> Radio gearbeitet haben.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, das war die Zeit be<strong>im</strong> Radio. Ansonsten verdanke ich diese Bekanntheit<br />

– zunächst einmal <strong>im</strong> Kinderfunk – den kleinen Kindern selbst, <strong>mit</strong> denen<br />

ich Sendungen gemacht habe. Das waren <strong>im</strong>provisierte Sendungen ohne<br />

Vorausbesprechungen usw. Die Kinder zwischen drei und sechs Jahren<br />

sind wirklich solche Originale und Individualisten. Zunächst einmal wurde<br />

diese Sendung ja nur in Bayern ausgestrahlt: Da haben auch Erwachsene<br />

und nicht nur Großmütter und Großväter zugehört. Diese Erwachsenen<br />

haben <strong>im</strong>mer nur auf diese Kinder gewartet. Dadurch bin dann eben auch<br />

ich bekannt geworden.<br />

Emrich: Über die Kinder als Zielgruppe hinaus haben also auch noch viele andere<br />

Menschen <strong>mit</strong>gehört bei diesen Sendungen: Dem Schulfunk und anderen<br />

ähnlichen Sendungen geht es ja heute z. T. noch so. Wie kommt man denn<br />

in eine solche Berufslaufbahn hinein? Sie waren be<strong>im</strong> Kinderfunk<br />

Redakteurin, also jemand, die <strong>mit</strong> Kindern arbeitete. Damals war das ja<br />

noch nicht so gang und gäbe. Wie kommt man dazu?<br />

<strong>Saucke</strong>: Es war so, dass die Leiterin des Kinderfunks, die den Auftrag erhalten hatte,<br />

den Kinderfunk nach dem Krieg wieder aufzubauen, unter ihren Leuten<br />

auch eine Fachkraft haben wollte. Ich habe damals gerade in einem<br />

Seminar einen Aufbaukurs zur Jugendleiterin gemacht. Und genau dort hat<br />

sie, <strong>mit</strong> einigem Vorbehalt freilich, angerufen und nach jemandem gefragt,<br />

der dafür geeignet wäre und der sich dafür interessieren würde. Meine<br />

damalige sehr geschätzte Direktorin hat daraufhin gesagt: "Ja, in dieser<br />

Klasse gibt es nur eine, die in Frage kommt, denn die passt eigentlich gar<br />

nicht so gut zu uns." Das war genau die Verstärkung, die die Leiterin des<br />

Kinderfunks, Frau Frank, gebraucht hat, denn sie hatte buchstäblich Angst,<br />

bei dieser Suche nur so eine "Tante" zu bekommen: Genau das wollte sie<br />

aber nicht. Als ich damals nach dem Seminar, das ich gemacht hatte, als


Kindergärtnerin angefangen habe, war es so, dass ich dort sofort gelernt<br />

habe, dass man sich <strong>mit</strong> Namen ansprechen lässt, dass man sich <strong>mit</strong> dem<br />

Vornamen, in meinem Fall also <strong>mit</strong> "<strong>Erika</strong>" ansprechen lässt. Das<br />

Interessante dabei ist, dass sich die Erwachsenen bis heute <strong>im</strong>mer noch<br />

nicht vorstellen können, dass eine Erzieherin nur <strong>mit</strong> dem Vornamen<br />

angesprochen wird: Sie muss <strong>im</strong>mer noch unbedingt eine "Tante" sein. Das<br />

geht sogar so weit, dass mich Günter Jauch vor einigen Monaten in seiner<br />

Sendung erwähnt hat und dabei erzählte, dass er in seiner Kindheit <strong>im</strong>mer<br />

nur meine Sendung ansehen durfte, die Sendung <strong>mit</strong> "Tante <strong>Erika</strong>". Aber<br />

ich schwöre, dass mich meine Kinder nie Tante genannt haben: Nur die<br />

Erwachsenen können sich davon nicht lösen.<br />

Emrich: Ich glaube, es gibt eine Erklärung dafür: Kinder sagen "<strong>Erika</strong>", aber<br />

Erwachsene haben da eine Hemmung, denn wenn man nicht per du ist,<br />

dann sagt man eben nicht einfach nur "<strong>Erika</strong>" zu jemandem. Stattdessen ist<br />

das dann halt die "Tante <strong>Erika</strong>", weil man bei so jemandem eben <strong>im</strong>mer<br />

mehr oder weniger nach einer Berufsbezeichnung greift, nach einer<br />

Berufsbezeichnung, die früher gang und gäbe war. Ich z. B. bin noch bei<br />

einer "Tante Lotte" in den Kindergarten gegangen. Das war eine Dame, die<br />

sich wirklich "Tante Lotte" nennen ließ. Aber es verbirgt sich bei Ihnen ja<br />

schon fast ein Programm dahinter, dass Sie die Kinder ganz eisern dieses<br />

Tantenhafte eben nicht fühlen lassen wollten.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, natürlich. Ich hatte aufgrund der Kindergärten, in denen ich vorher <strong>im</strong><br />

Praktikum gewesen war, <strong>im</strong>mer noch <strong>im</strong> Ohr, dass da eine ganze Gruppe<br />

von Kindern ewig "Tante, Tante" und nichts anderes schreit. Ich habe daher<br />

meinen Kindern <strong>im</strong>mer gesagt, dass ich keine Tante sei: "Du hast doch<br />

wahrscheinlich zu Hause eine richtige Tante, die dich besucht und dir<br />

vielleicht auch mal etwas schenkt. Ich aber heiße einfach nur <strong>Erika</strong>." Ich<br />

mache das heute noch so: Wenn ich einem kleinen Kind begegne, dann<br />

sage ich nicht, "Wie heißt du?", sondern ich sage <strong>im</strong>mer, "Ich heiße <strong>Erika</strong><br />

und wie heißt du?". Denn das habe ich eben <strong>im</strong> Beruf - eigentlich mehr da<br />

als vorher <strong>im</strong> Seminar - so gelernt: dass man Kinder ernst nehmen muss.<br />

Das ist dann ja auch honoriert worden.<br />

Emrich: Das ist ein wichtiges Stichwort, auf das wir später sicherlich noch einmal<br />

zurückkommen. Ich möchte jetzt jedoch zuerst einmal ein kleines Buch<br />

zeigen, das damals über Sie und Ihre Arbeit <strong>im</strong> Otto Maier Verlag<br />

erschienen ist. Hier erkennt Sie nun vielleicht der eine oder andere, der bis<br />

jetzt noch gezweifelt hat, wer Sie denn eigentlich sind und woher er sie<br />

kennt: Jetzt, <strong>mit</strong> diesem Bild, <strong>mit</strong> diesem Buch, kann er sich vielleicht einen<br />

Re<strong>im</strong> darauf machen, denn Sie sind nicht be<strong>im</strong> Radio geblieben, sondern<br />

1960 zum Fernsehen gegangen. Aus dieser Zeit stammen diese<br />

Aufnahmen.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, kurz bevor ich zum Fernsehen ging, war ein best<strong>im</strong>mtes L<strong>im</strong>it<br />

aufgehoben worden. Denn es hatte ja zunächst einmal geheißen, dass das<br />

Fernsehprogramm nicht für Kinder unter zehn Jahren gemacht werden<br />

sollte.<br />

Emrich: Das muss man sich noch mal auf der Zunge zergehen lassen: Man wollte<br />

Fernsehen nicht für Kinder unter zehn Jahren machen. Diese Kinder sollten<br />

besser etwas anderes, etwas Gescheiteres machen als nur fern zu sehen.<br />

So meinte man das noch gegen Ende der fünfziger Jahre.<br />

<strong>Saucke</strong>: Dieser Beschluss wurde dann eben aufgehoben. Sie wissen sicherlich<br />

besser als ich, dass es da <strong>im</strong>merzu große Besprechungen gegeben hat<br />

darüber, wie ein Kinderprogramm <strong>im</strong> Fernsehen überhaupt aussehen sollte.<br />

Be<strong>im</strong> Hörfunk dagegen war das ja keine so große Frage gewesen. Dort hat<br />

man ganz einfach nur best<strong>im</strong>mte Sendungen initiiert. Als ich damals be<strong>im</strong><br />

Hörfunk anfing, hat es eine Sendung <strong>mit</strong> dem Titel "Trudl und Schorschi"<br />

gegeben: Das waren zwei Kinder, die aus einer Märchentruhe Bücher


herausgeholt haben. Für diese zwei Kinder musste man also so kleine<br />

Dialoge schreiben: Das war eine meiner ersten Arbeiten, die ich <strong>im</strong> Radio<br />

gelernt habe. Wie aber ein Fernsehprogramm für Kinder aussehen sollte,<br />

wusste man nicht: Das hat viel mehr Probleme gemacht.<br />

Emrich: Man hatte dabei vor allem eine spezielle Angst: Kinder, die Radio hören,<br />

machen sich dabei ja ihre Bilder selbst, wie man sagt. Demgegenüber<br />

bekämen sie be<strong>im</strong> Fernsehen alles perfekt angeboten und würden nun wie<br />

gebannt ohne eigene Phantasie vor diesem Apparat sitzen. Das<br />

Hauptproblem war aber in Wirklichkeit, das Richtige für Kinder anzubieten:<br />

Das war das Problem! Es wäre also falsch gewesen, Kindern <strong>im</strong> Fernsehen<br />

gar nichts anzubieten. Es ging eben darum herauszufinden, was für sie<br />

richtig ist. Das war natürlich der “Kairos”, wie der alte Grieche sagt, wo man<br />

Sie dringend gebraucht hat.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, den man am Schopf packt und festhält. Es war zunächst einmal so,<br />

dass ich auch be<strong>im</strong> Fernsehen nur redaktionelle Arbeit gemacht habe: Ich<br />

musste mich da ja erst einmal eingewöhnen und das ganze Umfeld kennen<br />

lernen. Man hat dann aber doch sehr bald diese Sendung aus dem Radio<br />

<strong>mit</strong> den kleinen Kindern übernommen. Ich habe da natürlich auch noch<br />

alles Mögliche andere gemacht, aber darauf kommen wir sicher noch zu<br />

sprechen.<br />

Emrich: Ich darf mal kurz etwas zitieren. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern<br />

können. Oliver Hassenkamp war Schriftsteller, Kabarettist und Journalist. Er<br />

hat einmal – und ich habe hier das Faks<strong>im</strong>ile dieses Artikels in der<br />

"Abendzeitung" aus dem Jahr 1963 in der Hand – etwas über das<br />

Nach<strong>mit</strong>tagsprogramm <strong>im</strong> Fernsehen geschrieben und darüber, was Sie<br />

darin machen. "Die Kleinsten, die noch <strong>im</strong> Kindergartenalter sind, derer<br />

n<strong>im</strong>mt sich <strong>Erika</strong> an. Sie singt, spielt, bastelt <strong>mit</strong> ihnen. Das klingt<br />

kinderleicht. Was es aber heißt, Kinder vor der Kamera <strong>im</strong> Zaum zu halten,<br />

ständig Zufällen, Ablenkungen ausgesetzt, das muss man gesehen haben."<br />

Er hat Ihre Arbeit dann <strong>mit</strong> der Arbeit von Peter Frankenfeld verglichen, der<br />

damals als einziger Quizmaster bzw. Entertainer <strong>mit</strong> unvorbereiteten<br />

Menschen aus dem Publikum gearbeitet hat. So relativ unvorbereitet waren<br />

Sie ja auch in Ihren Sendungen, in Sendungen, die alle live gesendet<br />

worden sind, denn Aufzeichnungen hat es damals zunächst einmal<br />

überhaupt nicht gegeben: Man konnte nur das machen, was man<br />

un<strong>mit</strong>telbar senden konnte.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, ja, und das hatte ich davor auch schon <strong>im</strong> Funk <strong>mit</strong> den Kindern so<br />

praktiziert: Sie wussten vorher nicht, was wir machen werden. Meine<br />

Aufgabe bestand also darin, dass ich die Einführung so machen musste,<br />

dass ich sie genau dafür interessieren konnte. Hier darf ich vielleicht auch<br />

mal ein Lob zitieren, das mir meine Toningenieure <strong>im</strong>mer verliehen haben.<br />

Sie haben nämlich gesagt: "Wie machen Sie denn das? Einmal reden Sie<br />

über Mond und Sterne und ein anderes Mal darüber, ob man als Kind<br />

alleine einkaufen gehen darf und es funktioniert <strong>im</strong>mer sofort <strong>mit</strong> diesen<br />

Kindern." Ich sagte, dass das eben daran liegt, dass ich sie ansprechen<br />

kann. Denn sonst hätte ich das natürlich überhaupt nicht machen können:<br />

Ich habe sie halt dafür interessieren müssen.<br />

Emrich: Man sollte natürlich fairerweise hinzufügen, dass Sie die Kinder<br />

selbstverständlich überfordert hätten, wenn diese Kinder vor einer völlig<br />

fremden Person <strong>im</strong> Studio völlig normal hätten agieren müssen. Das heißt,<br />

Sie hatten auch vorher schon <strong>im</strong>mer Kontakt <strong>mit</strong> den Kindern.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, das war eben ein glücklicher Umstand, der sich bis in die Fernsehzeit<br />

dann fortgesetzt hat. Mir wurde gleich nach dem Krieg ein privater<br />

Kindergarten empfohlen: Dort konnte wir <strong>im</strong> Wohnz<strong>im</strong>mer dieses privaten<br />

Kindergartens die Aufnahmen machen. Denn Hörfunk war nicht live in dem<br />

Fall. Es war <strong>im</strong> Hörfunk zwar schon auch manches live, diese Sendung <strong>mit</strong>


den kleinen Kindern jedoch nicht. Die Kindergärtnerin hat dann jeweils oben<br />

<strong>im</strong> ersten Stock die Gruppe <strong>mit</strong> den anderen Kindern <strong>mit</strong> Geschichten und<br />

Bilderbüchern ruhig gehalten. Während dessen konnte ich unten <strong>mit</strong> den<br />

Kindern die Aufnahmen machen. Das Ganze war allerdings am Anfang<br />

recht schwierig, denn ich hatte von meiner Abteilungsleiterin den Auftrag<br />

erhalten, eine solche Sendung <strong>mit</strong> Kindern in diesem Alter zu entwickeln.<br />

Weil ich diese Kinder <strong>im</strong> Kindergarten kannte, habe ich eben <strong>mit</strong> ihnen<br />

angefangen. Da<strong>mit</strong> komme ich wieder zurück auf das, was Sie soeben<br />

angesprochen haben. Ich hatte für diese Sendung eine ganz best<strong>im</strong>mte<br />

Bedingung gestellt, denn ich hatte gesagt, dass ich das nur mache, wenn<br />

ich <strong>im</strong>provisieren darf. Denn <strong>im</strong> Kindergarten selbst kann man ja auch nicht<br />

<strong>mit</strong> einem Manuskript ankommen und den Kindern genau sagen, was sie<br />

zu sagen hätten. Die Toningenieure haben das am Anfang jedenfalls nur<br />

sehr ungern <strong>mit</strong> mir versucht. Es wurde am Anfang auch tatsächlich nichts.<br />

Zunächst einmal hatten wir es wohl so ein Vierteljahr lang probiert, aber in<br />

technischer Hinsicht sind diese Sendung alle nichts geworden. Es<br />

funktionierte nicht. Daraufhin habe ich diese Idee dann wieder aufgegeben.<br />

Jetzt, an dieser Stelle, muss ich aber doch den Namen eines ganz<br />

best<strong>im</strong>mten Toningenieurs nennen, nämlich den Namen von Herrn Stier.<br />

Dass ich das mache, hat nämlich einen ganz best<strong>im</strong>mten Grund. Ich<br />

begegnete nach einiger Zeit diesem Mann und er fragte mich, was denn<br />

nun aus meiner Sendung geworden sei. Ich sagte zu ihm: "Die wird nichts,<br />

das geht technisch nicht!" Er meinte daraufhin: "Hören Sie, ich habe neue<br />

Maschinen, neue Tonbänder bekommen, lassen Sie es uns noch einmal<br />

versuchen!" Wir machten es noch einmal - und dann ging es. Bei der<br />

allerersten Sendung, die dann letztlich über den Äther ging, ist allerdings<br />

etwas sehr Tragisches passiert und das ist auch der Grund dafür, warum<br />

ich Herrn Stier hier unbedingt erwähnen wollte. Ich verdanke ihm diese<br />

ganze Sendereihe, aber er starb leider an einem ganz furchtbaren Unfall<br />

genau an dem Tag, an dem diese erste Sendung ausgestrahlt wurde. Das<br />

war wirklich ganz tragisch. Von da an hat das Ganze jedenfalls funktioniert.<br />

Meine zweite Bedingung für diese Sendung war, dass ich zwe<strong>im</strong>al in der<br />

Woche ganz normal in diesen Kindergarten gehen konnte. Aus dem Grund<br />

kannten mich die Kinder und kannte ich die Kinder. Ich musste ja auch<br />

leider <strong>im</strong>mer Kinder auswählen: Ich brauchte nämlich Kinder, die sich<br />

äußern können, denn es gibt ja auch recht stumme Kinder, die für so etwas<br />

natürlich weniger geeignet sind. Nach einer Weile habe ich<br />

herausgefunden, dass ich für jede Sendung sieben Kinder brauche. Diese<br />

Zahl hatte ich dann auch <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Fernsehen. Denn auf fünf Kinder konnte<br />

man sich <strong>im</strong>mer verlassen, wenn mal an einem Tag zwei der Kinder nicht<br />

so gut "funktioniert" haben.<br />

Emrich: Alles, was über fünf Kinder hinausging, was also so etwas wie eine<br />

Sicherheitsreserve. Frau <strong>Saucke</strong>, Sie sind damals ja in einer Zeit zum<br />

Bayerischen Rundfunk gekommen, als es den Bayerischen Rundfunk<br />

eigentlich noch gar nicht gegeben hat. Denn er hieß damals noch "Radio<br />

München" und stand unter amerikanischer Leitung.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, ich kam auch letztlich durch einen Amerikaner zum Radio. Ich bin ihm<br />

vorgestellt worden und er sagte zu mir, dass es eine dre<strong>im</strong>onatige<br />

gegenseitige Probezeit geben würde. Ich hatte ja auch gar keine Ahnung,<br />

ob ich letztlich können würde, was man da von mir wünschte. Es hat dann<br />

aber davor noch eine weitere kleine Barriere gegeben, denn es hat damals<br />

noch einen so genannten Kulturausschuss gegeben: Dieser Ausschuss<br />

prüfte, ob man unbelastet ist <strong>im</strong> Hinblick auf die vorherige Nazizeit. Da hatte<br />

man zunächst einmal einen gewissen Vorbehalt gegen mich, der freilich<br />

merkwürdigerweise gar nicht da<strong>mit</strong> zusammenhing, dass ich während des<br />

<strong>Dr</strong>itten Reichs in Kindergärten und Kinderhe<strong>im</strong>en gearbeitet hatte. Nein, das<br />

hatte da<strong>mit</strong> zu tun, dass ich <strong>mit</strong> einem Offizier verheiratet gewesen war. Es<br />

gab dann aber doch jemanden, der gesagt hat: "Na, also bitte, die <strong>Erika</strong>


<strong>Saucke</strong> kann man unbesehen aufnehmen, denn sie hat wirklich keine<br />

schlechte Vergangenheit in der Hinsicht."<br />

Emrich: Damals wollte man sich eben nicht nur gegen Nazismus, sondern auch<br />

gegen Militarismus verwahren. Sie haben soeben gesagt, es hätte jemand<br />

gesagt, die <strong>Erika</strong> <strong>Saucke</strong> könne man ohne weiteres nehmen. So hat das<br />

aber best<strong>im</strong>mt niemand gesagt, denn damals hieß die <strong>Erika</strong> <strong>Saucke</strong> noch<br />

anders, nämlich so wie ihr verstorbener, ihr gefallener erster Mann. Dies<br />

bringt mich nun noch einmal zurück auf das Phänomen, dass zwar viele<br />

Leute Sie kennen, die meisten Menschen aber nur Ihren Vornamen wissen.<br />

Wenn jemand “Frau <strong>Saucke</strong>” hört, dann denkt er vielleicht gar nicht daran,<br />

dass das diese "<strong>Erika</strong>" gewesen ist, die <strong>mit</strong> Kindern <strong>im</strong> Fernsehen und ihm<br />

Hörfunk gearbeitet hat.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, denn <strong>im</strong> Programm ist mein Nachname in der Tat nie aufgetaucht. Das<br />

war mir auch ganz recht so. Im Funk und später <strong>im</strong> Fernsehen war ich nicht<br />

<strong>mit</strong> so arg vielen Kollegen bekannt, aber auch diejenigen, die mich kannten,<br />

haben mich nie <strong>mit</strong> dem Nachnamen angesprochen. Ich war <strong>im</strong>mer nur "die<br />

<strong>Erika</strong>" und fand das eigentlich auch ganz schön.<br />

Emrich: Unter Kollegen war das auf alle Fälle so. Die fremden Menschen draußen<br />

an den Rundfunkgeräten hatten halt das Problem, dass man eine<br />

erwachsene Frau eigentlich nicht <strong>mit</strong> "<strong>Erika</strong>" quasi anfallen kann. Es rufen<br />

vielleicht auch eine ganze Reihe von Titeln Erinnerungen wach: Diese<br />

Sendung <strong>im</strong> Fernsehen, von der Sie soeben gesprochen haben, <strong>mit</strong> den<br />

sieben Kindern rund um einen Tisch war die Sendung "Erzählen, spielen,<br />

basteln".<br />

<strong>Saucke</strong>: Ich bin zu der Zeit ja vom Funk gekommen <strong>mit</strong> meiner Sendung "Eine<br />

Viertelstunde <strong>mit</strong> <strong>Erika</strong>". Nachdem die Sendung <strong>im</strong> Fernsehen aber ein<br />

wenig länger war, passte dieser Titel dann nicht mehr. Ich glaube, <strong>im</strong><br />

Untertitel stand dann noch irgendetwas <strong>mit</strong> "<strong>Erika</strong>", das war freilich nicht so<br />

wichtig. Im Fernsehen war das jedenfalls das Erste, das ich gemacht habe.<br />

Emrich: War denn die Umstellung schwierig für Sie? Sie kamen ja als Radiofrau<br />

1960 zum Fernsehen. Wie viele Jahre hatten Sie davor schon <strong>im</strong> Radio<br />

gearbeitet?<br />

<strong>Saucke</strong>: Ich habe 1947 be<strong>im</strong> Radio angefangen und 1949 habe ich dann meine<br />

erste Sendung gemacht, denn vorher hatte ich, wie gesagt, nur in der<br />

Redaktion gearbeitet. Ich kann mich an diesen Übergang zum Fernsehen<br />

eigentlich nicht mehr so gut erinnern, denn man hatte mich ja schon mal <strong>im</strong><br />

Jahr davor gefragt, ob ich neben dem Hörfunk nicht einmal alle sechs<br />

Wochen so eine Sendung <strong>im</strong> Fernsehen machen könnte. Aus dem Grund<br />

haben wir auch mal eine ganz große Probesendung gemacht. Für diese<br />

Sendung habe ich vorgeschlagen, <strong>mit</strong> den Kindern diese berühmten<br />

Fingerspiele zu machen, weil das für die Kamera usw. natürlich auch am<br />

leichtesten einzufangen war. Ich kann mich daran erinnern, dass die<br />

Kollegen überhaupt nicht mehr aufhörten, das ewig zu probieren und<br />

aufzunehmen: weil sie es so lustig fanden, wenn die Kinder da <strong>mit</strong> ihren<br />

Fingern herumspielten!<br />

Emrich: Was haben Sie denn da <strong>mit</strong> den Kindern gemacht?<br />

<strong>Saucke</strong>: Das sind eben diese Fingerspiele, die meistens <strong>mit</strong> kleinen Re<strong>im</strong>en<br />

verbunden sind. Das sind Dinge, die man damals ganz normal <strong>im</strong><br />

Repertoire der Kindergärten hatte.<br />

Emrich: Das waren also so Sachen wie: "Das ist der Daumen, der sammelt die<br />

Pflaumen usw."<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, genau.<br />

Emrich: Und Sie meinen, dass da die Kameraleute völlig hingerissen waren von den<br />

Kindern.


<strong>Saucke</strong>: Ja, die Kameraleute waren von diesen Kinderhändchen so begeistert, dass<br />

sie gar nicht mehr aufhören konnten da<strong>mit</strong>. Ich habe also schon gewusst,<br />

wie das be<strong>im</strong> Fernsehen laufen wird. Ich habe dann <strong>im</strong> Laufe der Zeit noch<br />

etwas herausgefunden, das für mich und die Kinder ganz wichtig war.<br />

Zunächst einmal habe ich dafür allerdings ganz hart kämpfen müssen:<br />

Niemand sollte diese süßen Kinder vorher irgendwie groß begrüßen. Die<br />

Kameraleute oder der Regisseur sollten sich da völlig zurückhalten, denn<br />

sie hätten da<strong>mit</strong> die Kinder nur völlig von ihrer Konzentration auf mich<br />

weggebracht, von einer Konzentration, die freilich unbedingt notwendig war.<br />

Emrich: Die Kameraleute sollten also nicht auf die Kinder zugehen vor der Sendung<br />

und meinetwegen sagen, "Was bis du für ein süßes Kind!" usw.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, genau. Der andere Punkt war, dass keine Regie gemacht werden<br />

konnte. Denn ich konnte ja auch nichts wiederholen. Wenn mal eine<br />

Sendung schief gegangen wäre, dann hatte ich für alle Fälle eine zweite<br />

Gruppe, die meistens von einer Fachkraft betreut worden sind. Manchmal<br />

war das aber auch Frau Hassenkamp selbst. Diese zweite Gruppe <strong>mit</strong><br />

Kinder musste also <strong>im</strong>mer auf Abruf bereitstehen. Gerechtigkeitshalber<br />

habe ich es aber <strong>im</strong>mer so gemacht, dass diejenigen, die bei der einen<br />

Sendung nicht dran waren, dann be<strong>im</strong> nächsten Mal <strong>mit</strong>machen durften.<br />

Emrich: Gewisse Sicherheiten brauchte man also ganz einfach, wenn am Schluss<br />

etwas da sein soll.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, es hätte ja auch mal etwas schief gehen können.<br />

Emrich: Wenn ich noch einmal auf Ihre Radioanfänge und da<strong>mit</strong> auf eine Zeit<br />

zurückkommen darf, in der alles noch sehr einfach und bescheiden<br />

gewesen ist. Wer waren denn da so die Ersten, die <strong>mit</strong> Ihnen zusammen<br />

das Funkhaus bevölkert haben? Gibt es da Namen, die die Zuschauer<br />

heute noch kennen könnten?<br />

<strong>Saucke</strong>: Ich weiß zwar das genaue Jahr nicht mehr, aber ich kann mich noch daran<br />

erinnern, dass eines Tages Putzi Aretin auftauchte: Putzi Aretin, die dann<br />

später Annett genannt wurde. Robert Lembke war damals ebenfalls schon<br />

<strong>mit</strong> dabei: Er war damals bereits Chefredakteur. Ich durfte ihn in den großen<br />

Sitzungen <strong>im</strong>mer erleben, weil meine Chefin nicht so arg gerne selbst in die<br />

großen Meetings gehen wollte. Aus dem Grund bin eben <strong>im</strong>mer ich dahin<br />

delegiert worden, sodass ich dabei Robert Lembke gut <strong>mit</strong>erleben konnte.<br />

Ich hatte damals <strong>im</strong> Funk auch noch eine etwas größere Kindergruppe <strong>mit</strong><br />

schon etwas älteren Kindern: Das waren also Zehn- bis Vierzehnjährige.<br />

Emrich: Denn das, worüber wir bis jetzt gesprochen haben, bezog sich <strong>im</strong><br />

Wesentlichen auf Kinder <strong>im</strong> Alter von drei bis sechs Jahren. Das war, wenn<br />

man es genau n<strong>im</strong>mt, das erste Vorschulprogramm. Denn später wurde so<br />

etwas ja in der Tat Vorschulprogramm genannt. Das heißt, Ihre Partner<br />

waren Kinder <strong>im</strong> Vorschulalter. Und daneben gab es dann noch<br />

Sendungen für ältere Kinder. Wie alt waren dabei die älteren Kinder?<br />

<strong>Saucke</strong>: Nun, das war auch verschieden. Ich möchte aber noch hinzufügen, dass es<br />

damals zu meinen Hörfunkzeiten eine Dame gegeben hat, deren Name mir<br />

jetzt leider nicht mehr einfällt: Sie hatte ein Kindertheatergruppe aufgebaut.<br />

Sie hatte <strong>mit</strong> dem Hörfunk eigentlich gar nichts zu tun. Es war jedenfalls so,<br />

dass das <strong>mit</strong> dieser Gruppe nicht geklappt hat – ich weiß allerdings nicht<br />

mehr warum – und dass ich Kinder von dieser Theatertruppe übernommen<br />

habe. Da war z. B. der Maxl Graf <strong>mit</strong> dabei: Er hat netterweise <strong>im</strong>mer<br />

wieder erwähnt, dass seine Anfänge <strong>im</strong> Funk aus dieser Zeit herrührten. Es<br />

war auch einer der Wepper-Brüder <strong>mit</strong> dabei: Ich weiß heute aber nicht<br />

mehr, welcher von den beiden das war. Und es war z. B. der Michael Ande<br />

<strong>mit</strong> dabei. Der war aber in einer Märchenstunde dabei, die extra<br />

ausgestrahlt wurde. Als es mal um "Der Fischer und seine Frau" ging, hat er<br />

etwas sehr Lustiges gesagt. Ich habe ja bei diesen Märchen die Kinder <strong>mit</strong>


erzählen lassen, ich habe nicht nur selbst erzählt, während sie lediglich<br />

zuhörten. Ich fragte z. B., was denn nun passiert in diesen Märchen. Bei<br />

diesem Märchen war es so, dass da diese Frau zunächst einmal in einer<br />

<strong>im</strong>mer größeren Hütte saß, dann wurde sie König und sogar Papst. Am<br />

Schluss wollte sie dann gar Gott werden. Ich fragte die Kinder: "Ja, was ist<br />

denn jetzt passiert? Wie sitzt sie denn jetzt da?" Der Michael Ande sagte<br />

daraufhin: "Als lieber Gott!" Das war für die Zuhörer natürlich ungeheuer<br />

lustig. Man hat das dann natürlich schon ein bisschen relativiert, dass das<br />

ganz so halt auch nicht gewesen ist.<br />

Emrich: War denn der J<strong>im</strong>my Jungermann damals auch schon be<strong>im</strong> Radio? Heute<br />

würde man sagen, er war ein Diskjockey: Der muss damals ja noch<br />

tatsächlich ein junger Mann gewesen sein.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, der war damals auch schon <strong>mit</strong> dabei. Genauso wie der Fritz Benscher<br />

<strong>mit</strong> seinen Kabarettsendungen.<br />

Emrich: Ich glaube, da<strong>mit</strong> müssen wir das auch schon wieder bleiben lassen. Ich<br />

wollte mir nur noch mal etwas genauer vorstellen, wer damals alles Ihre<br />

Kollegen waren <strong>im</strong> Funkhaus, <strong>mit</strong> wem Sie damals sozusagen in der<br />

Kantine zu Mittag gegessen haben.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, das war damals alles noch recht bescheiden. Das Funkhaus selbst war<br />

z. T. auch noch ziemlich kaputt: Man schwankte z. B. am Eingang noch<br />

über Bretter hinein! Inzwischen ist das alles freilich ganz großartig<br />

geworden.<br />

Emrich: Wir haben nun freilich eine Sendereihe vergessen und ich wäre Ihnen ganz<br />

dankbar, wenn Sie dazu auch noch etwas erzählen könnten. Das war<br />

ebenfalls eine Sendung <strong>mit</strong> schon älteren Kindern. Sie haben nämlich auch<br />

mal die Sendung gemacht "Wir warten aufs Christkind": Das war eine<br />

Sendung, die zunächst <strong>im</strong> Hörfunk lief und die dann später auch ins<br />

Fernsehen übernommen wurde. Sie wurde ausgestrahlt in dieser Zeit am<br />

Nach<strong>mit</strong>tag des Heiligen Abends, wenn die Eltern zu Hause alle noch etwas<br />

vorbereiten müssen und sich fragten, was sie denn <strong>mit</strong> diesen unruhigen,<br />

nervösen und erwartungsvollen Kindern anstellen sollen.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ich glaube, das war eine Sendung, die wir damals auch <strong>im</strong> Hörfunk live<br />

gemacht haben. Dazu muss ich jetzt unbedingt eine köstliche Begebenheit<br />

erzählen. Bei der ersten Sendung sind wir gebeten worden, dazu Kinder<br />

aus verschiedenen Ländern zusammenzuholen. Es waren also z. T. auch<br />

Flüchtlingskinder <strong>mit</strong> dabei, die dann erzählen sollten, wie man bei ihnen zu<br />

Hause früher Weihnachten gefeiert hat. Da war damals eben auch dieser<br />

kleine Ferko <strong>mit</strong> dabei: ein Junge, an den sich sogar heute noch viele Leute<br />

erinnern. Er war der Sohn eines ungarischen Anwalts, wenn ich mich nicht<br />

täusche, der damals <strong>mit</strong> seinen Eltern aus Budapest geflohen war. Als ich<br />

ihn dann fragte, "Na, Ferko, wie habt ihr denn in Ungarn Weihnachten<br />

gefeiert, denn du bist ja früher in Ungarn zu Hause gewesen?", hat er in<br />

seiner typischen und wunderbar ungarisch angehauchten Aussprache<br />

gesagt: "Ja, ich bin dort geboren worden und auch auf die Welt<br />

gekommen!" Im ersten Moment bin ich darüber ein bisschen erschrocken<br />

und schaute schnell zu meinen Kollegen hinter der Glaswand <strong>im</strong> Studio.<br />

Was aber war los? Keiner von ihnen war zu sehen, weil sie alle schon fast<br />

am Boden lagen vor lauter Lachen. Er sagte dann weiter: "Dann zünden wir<br />

das Radio an!" Dies hat mich wiederum nicht so erstaunt, weil meine<br />

Mutter, die aus dem Süden Alt-Österreichs gekommen war, ebenfalls<br />

<strong>im</strong>mer gesagt hatte: "Zünde das Radio an, lösche es aus..." Es kam dann<br />

aber dieser berühmte Satz von ihm, den viele Leute ebenso wie auch ich<br />

heute noch verwenden: "Und wenn die Glocke läutet, sause ich wie ein<br />

narrischer Ochs und suche meine Sachen!" Da war es dann endgültig um<br />

meine Kollegen in der Regie geschehen. Das war aber auch eine Zeit, die<br />

nicht <strong>im</strong>mer so lustig war. Denn da war z. B. auch der Sohn von der


Kindergärtnerin <strong>mit</strong> dabei war: Sein Vater war <strong>im</strong>mer noch in<br />

Kriegsgefangenschaft auf dem Balkan. Das waren schon noch schwierige<br />

Zeiten, die die Kinder z. T. eben auch <strong>mit</strong>erlebt haben. Wir hatten z. B. auch<br />

<strong>im</strong>mer einige Waisenkinder <strong>mit</strong> dabei.<br />

Emrich: Das war die Sendung "Wir warten aufs Christkind". Ich habe noch <strong>im</strong> letzten<br />

Jahr diese Sendung <strong>im</strong> Programm entdeckt: Das war ebenfalls ein<br />

Programmangebot für Kinder während zweier Stunden am Nach<strong>mit</strong>tag des<br />

Heiligen Abends, da<strong>mit</strong> die Eltern die Bescherung schön vorbereiten<br />

können. Aber dann gab es auch eine Sendung für bereits größere Kinder<br />

<strong>im</strong> Fernsehen, die den Titel trug "Schau zu, mach <strong>mit</strong>". Was war das? Ich<br />

glaube, da ging es um die acht-, neunjährigen Kinder.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, das st<strong>im</strong>mt. Ich saß gestern bei mir zu Hause und habe mir überlegt,<br />

was ich denn in all dieser Zeit alles gemacht habe. Ich wollte vor dieser<br />

Sendung jetzt noch jemanden fragen, was ich in dieser Sendung eigentlich<br />

gemacht habe <strong>mit</strong> den Kindern: Mir fällt nämlich partout nicht mehr ein, was<br />

wir da gemacht haben.<br />

Emrich: Das waren, so weit ich jetzt nachgeschaut habe, <strong>Gespräch</strong>e, das waren<br />

Anregungen zu Themen, die die Kinder beschäftigt haben.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ich muss passen, ich weiß es nicht mehr. Die Sendung, die dann in den<br />

letzten fünf Jahren <strong>im</strong> Fernsehen lief, hieß "Was sagst du dazu?". Das war<br />

eine Sendung <strong>mit</strong> neun- bis zwölfjährigen Kindern.<br />

Emrich: Ja, genau, lassen Sie uns auf diese Sendung doch noch ein wenig<br />

ausführlicher zu sprechen kommen. Sie hieß "Was sagst du dazu?". Das<br />

heißt, dort wurden die Kinder direkt danach gefragt, was sie zu best<strong>im</strong>mten<br />

Dingen sagten. Worum ging es dabei?<br />

<strong>Saucke</strong>: Ich hatte ja verschiedene Mitarbeiter, die durchaus <strong>im</strong> Stande waren, auch<br />

kleine Filmbeiträge zu machen. Da haben entweder die Mitarbeiter Ideen<br />

angebracht oder mir fiel eben selbst etwas ein. Wir haben also <strong>im</strong>mer ein<br />

Thema genommen, das Kinder in diesem Alter interessiert. Da ging es z. B.<br />

um die Frage, ob und wie viel Taschengeld sie bekommen. Ich hatte auch<br />

mal einen Buben getroffen, der mir am Bahnhof mein Gepäck getragen hat.<br />

Ich habe ihn dann eingeladen in die Sendung und ein Mitarbeiter hat dazu<br />

einen Filmbeitrag gemacht, wie es am Bahnhof so zugeht. Es kam dann<br />

nämlich auch <strong>im</strong>mer die Polizei, weil man als Kind ja noch nicht arbeiten<br />

darf usw. Das waren also alles Themen, die die Kinder in dem Alter wirklich<br />

interessierten. Es wurde also jedes Mal ein Film von zehn Minuten Länge<br />

gemacht und wir haben ihn dann <strong>mit</strong> der Gruppe der Kinder gemeinsam<br />

zum ersten Mal angesehen.<br />

Emrich: In der Sendung?<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, in der Sendung selbst. Wir haben dann dieses Thema andiskutiert.<br />

Danach hatte ich dann einen Live-Teil: Dabei habe ich einen Rückblick<br />

darauf gegeben, was die Kinder am Telefon oder in Ihren Briefen geäußert<br />

hatten. Es war nämlich so, dass ich live <strong>im</strong>mer nur zehn Minuten hatte:<br />

Danach aber konnte man mich jeweils noch <strong>im</strong> Studio anrufen. Wir hatten<br />

aber nur neun Telefone und neun Mitarbeiter: Sie saßen teilweise bis<br />

nachts um elf Uhr am Telefon und haben <strong>mit</strong> den Kindern telefoniert. Sie<br />

haben dann aufgeschrieben, was da an bemerkenswerten Gedanken<br />

gekommen ist von den Kindern. Die Kinder waren wir verrückt darauf, sich<br />

zu äußern. Es gab auch <strong>im</strong>mer wieder den Kommentar von ihnen, dass sie<br />

gesagt haben: "Endlich dürfen wir auch mal selbst etwas sagen!" Einmal hat<br />

sogar ein Bub <strong>mit</strong> Namen "von Bismarck" angerufen und zu uns gesagt:<br />

"Warum sagen Sie das nicht den Eltern, was Sie uns da jetzt vorgeführt<br />

haben?" Ich antwortete ihm: "Ich hoffe halt, die Eltern schauen auch zu!"<br />

Das Thema "Taschengeld" erwähne ich deshalb, weil mich einmal sogar<br />

noch zu Hause spät am Abend ein Kind angerufen und zu mir gesagt hat:


"Ich bekomme kein Taschengeld. Könnten Sie nicht meinen Papa bitten,<br />

dass er mir Taschengeld gibt?" - "Das könnte ich schon und das würde ich<br />

auch machen, aber ich fände es halt besser, wenn du selbst <strong>mit</strong> deinem<br />

Vater sprichst." Eine halbe Stunde später rief es an und sagte: "Ich habe<br />

jetzt <strong>mit</strong> meinem Papa gesprochen. Ich bekomme jetzt auch Taschengeld!"<br />

Es hat sich also Gott sei Dank manches auch fortgesetzt von den Dingen,<br />

die man da in den Sendungen anzustoßen versucht hat.<br />

Emrich: Diese Sendung war sozusagen der Versuch, den Einbahnverkehr des<br />

Fernsehens zum Gegenverkehr zu machen: Die Kinder sollten nicht nur<br />

etwas vorgesetzt bekommen, sollten nicht nur etwas zum Anschauen<br />

haben, sondern sollten selbst auch die Chance haben zu antworten. Das<br />

ging natürlich nicht alles <strong>im</strong> Fernsehen, das ist klar, außer <strong>mit</strong> den Kindern,<br />

die so ein Thema stellvertretend für all die anderen Kinder <strong>mit</strong> Ihnen<br />

andiskutiert haben. Ich habe in diesem Zusammenhang die Notiz gefunden,<br />

dass bei der ersten Sendung, bei der scheinbar noch nicht genügend<br />

Telefone <strong>im</strong> Studio verfügbar waren, bei der Bundeswehrzentrale in<br />

Wiesbaden die Telefonzentrale zusammengebrochen ist. Der Wehrbereich<br />

Wiesbaden hatte nämlich die gleiche Vorwahl- bzw. Sammelnummer wie<br />

sie der Bayerische Rundfunk <strong>mit</strong> dem Fernsehstudio Fre<strong>im</strong>ann hatte. Als<br />

Sie diese Sendung angefangen hatten, dachte jeder Beteiligte, dass man<br />

nach der Sendung vielleicht noch so an die 20 Minuten Telefondienst zu<br />

machen hätte: Die "Enttäuschung" bestand darin, dass diese 20 Minuten in<br />

Wirklichkeit eben nie ausgereicht haben. Diese Sendung hat den Kindern<br />

darüber hinaus auch Mut gemacht, sich Gedanken zu machen über das,<br />

was sie sehen. Das war für meine Begriffe fundamentale<br />

Fernseherziehung: Sie sollten die Sendungen nicht nur schlucken, sondern<br />

selbst darüber nachdenken.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, ja, ich kann dem nichts Besseres hinzufügen: So war es gedacht. Ich<br />

habe mich wirklich sehr für diese Sendung engagiert. Es kamen bei jeder<br />

Sendung zusätzlich zu den Telefonanrufen noch ungefähr 500 Briefe bei<br />

uns an. Heute mag das bei den Millionen, um die es da andauernd geht, als<br />

gar nicht so viel erscheinen. Aber ich muss mich da ja nur mal an meine<br />

eigene Kindheit erinnern: Ich hätte nie an irgendjemand einen Brief<br />

geschrieben. Ich habe noch nicht einmal meinem Vater gerne einen Brief<br />

geschrieben, wenn ich mich bei ihm bedanken sollte. Zum Schrecken<br />

meiner Mutter habe ich da manchmal sogar gesagt: "Es wäre mir lieber, er<br />

würde mir nichts schenken, denn dann bräuchte ich mich auch nicht<br />

schriftlich bedanken." Sich verbal zu bedanken war ja kein Problem.<br />

Emrich: War es bei Ihnen zu Hause üblich, dass man sich schriftlich bedankte?<br />

Musste das so sein?<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, aber das hatte natürlich <strong>im</strong>mer einen besonderen Grund. Wenn er z. B.<br />

<strong>im</strong> Urlaub war und mir etwas geschickt hat, dann sollte ich ihm natürlich<br />

schreiben. Ansonsten bin ich aber doch recht locker erzogen worden.<br />

Emrich: Das, was ich jetzt in der Hand habe, soll keine Werbung darstellen: Das ist<br />

nur das Buch, das damals aus dieser Sendereihe "Was sagst du dazu?"<br />

entstanden ist: Kinder schauen fern, äußern sich dazu und sagen ihre<br />

Meinung. Gut, dann müssten wir in der Thematik jetzt mal umsteigen und<br />

bekennen, dass Frau <strong>Saucke</strong> durch diese Sendungen für die Kinder als<br />

Redakteurin nicht ganz ausgelastet war: Das war zwar das Schwergewicht<br />

Ihrer Arbeit und entsprach auch Ihrem besonderen Talent, aber Sie waren<br />

dann auch verantwortlich für die Frauensendungen, die der Bayerische<br />

Rundfunk zum ARD-Programm beigesteuert hat. Wir sollten außerdem<br />

noch hinzufügen, dass das zu einer Zeit war, als es außer dem ARD-<br />

Programm keine weiteren Fernsehsender gab: Es gab noch kein ZDF, es<br />

gab noch kein Farbfernsehen und all das, was heute sonst noch geboten<br />

wird. Deswegen war auch die Wahrscheinlichkeit, dass man in der<br />

Öffentlichkeit bekannt wurde, größer: Es gab halt nur ein


Fernsehprogramm. Wir sind nun also be<strong>im</strong> Thema "Frauenprogramme"<br />

angelangt. Sie waren dafür zuständig und da<strong>mit</strong> für eine best<strong>im</strong>mte Anzahl<br />

von Beiträgen pro Jahr verantwortlich. Das war also nicht jede Woche eine<br />

Sendung, sondern entsprach eben dem Anteil, den der BR innerhalb der<br />

ARD beizusteuern hatte.<br />

<strong>Saucke</strong>: Das war ein Magazin, das aus lauter Minutenbeiträgen bestand. Es war<br />

<strong>im</strong>mer schwierig, das zu begrenzen, weil es ja doch <strong>im</strong>mer sehr viele<br />

passende Themen gegeben hat. Das Themenspektrum reichte von Dingen,<br />

die <strong>mit</strong> dem Haushalt zusammenhingen, bis hin zu Fragen sozialer Art oder<br />

zur Gesundheit usw. Ich wollte in dem Zusammenhang eigentlich gerade<br />

auf den Professor Frankel zu sprechen kommen: Er war derjenige, der<br />

dann in dieser "Alten-Sendung", also in dieser Sendung für Senioren, die wir<br />

ebenfalls neu angefangen haben, auch über Tod und Leben usw. Beiträge<br />

gemacht hat.<br />

Emrich: Darf ich Ihnen ein bisschen helfen, was diese Frauensendungen betrifft?<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, ich bitte darum, das wäre mir recht, weil ich ja sehe, dass mir diese<br />

Dinge alle nicht mehr so völlig präsent sind.<br />

Emrich: Sie müssen nach so vielen Jahren ja auch nicht mehr alles parat haben.<br />

Ihnen gebührt <strong>im</strong> Hinblick auf diese Frauensendungen jedenfalls das<br />

Kompl<strong>im</strong>ent, dass das keine Frauensendungen waren, in denen es nur um<br />

Marmeladenrezepte oder um Strickmuster gegangen wäre. Stattdessen<br />

ging da auch um solche Themen wie Verbraucherberatung, um moderne<br />

Ernährung. Ökotrophologie hieß dieses damals neue Stichwort. Es ging um<br />

Frauen in der Öffentlichkeit, um die Alten und die Jungen, und es ging in<br />

einigen Sendungen um solche Fragen wie Stil, Geschmack und Kitsch.<br />

Was mir bei der Aufstellung dieser Themen, die ich gelesen habe,<br />

besonders aufgefallen ist: dass es schon damals in Ihren Sendungen um<br />

das Thema Behinderte ging, um behinderte Kinder und wie man <strong>mit</strong> ihnen<br />

umgeht, welche Möglichkeiten für eine Frühtherapie es gibt usw. Das war<br />

doch eine Zeit in den sechziger Jahren, in der diese Aufmerksamkeit für<br />

Behinderte erst am Entstehen war.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, da gab es dann z. B. auch dieses Zentrum für mehrfach behinderte<br />

Kinder, in dem wir ebenfalls Reportagen gemacht haben: Diese Reportagen<br />

sind dann später in einer anderen Abteilungen noch fortgesetzt worden. Ich<br />

kann mich auch daran erinnern, dass wir einmal <strong>mit</strong> dem Spastikerzentrum<br />

zusammengearbeitet haben. Es kam da Filmmaterial an über die Operation<br />

eines Spastikers, dessen Hände so sehr verkrampft waren: Durch diese<br />

Operation wurden dann die Hände dieses Menschen ein wenig geöffnet. Es<br />

gehörte eben auch zu meinen Aufgaben, solches Filmmaterial, das recht<br />

ungeordnet zu uns gekommen ist, zu schneiden. Bei den<br />

Frauenmagazinen habe ich jetzt einen Moment lang passen müssen, weil<br />

mir die einzelnen Themen wirklich nicht mehr eingefallen sind. Ich hätte<br />

dafür vorher doch noch in meinen Unterlagen nachsehen müssen. Aber es<br />

hat in dem Zusammenhang schon auch gewisse Kämpfe gegeben. Hier<br />

würde ich auch ganz gerne einmal Sie selbst lobend erwähnen: Denn Sie<br />

haben einmal freundlicherweise eine Dame in eine andere Sendung<br />

übernommen, die lediglich gestrickt und gehäkelt hat. Sie hatte zwar einen<br />

Doktortitel und war wohl Lehrerin gewesen, aber mir war es doch<br />

manchmal ein wenig zu arg altmodisch, wenn ich das so sagen darf, was<br />

sie so an Vorschlägen angebracht hat. Herr <strong>Dr</strong>. Emrich hat das dann wieder<br />

relativiert: Das muss man hier schon auch mal sagen dürfen.<br />

Emrich: Um diesen Herrn geht es aber jetzt entschieden weniger als um Sie. Dies<br />

hatte jedenfalls <strong>mit</strong> Ihrem allgemeinen Kampf gegen das Altmodische zu<br />

tun: Sie kämpften nicht nur in der Kindererziehung, sondern auch be<strong>im</strong><br />

Frauenbild gegen diese alten Zöpfe, gegen ein Frauenbild, das nach dem<br />

Krieg schon noch gang und gäbe war bei uns. Das betraf z. B. auch die


Selbstverständlichkeit und Ansprüche, die Männer gegenüber Frauen<br />

hatten, und welche eigenen Freiräume sich Frauen endlich mal schaffen<br />

sollten. Dafür haben Sie einiges getan und das sollten wir hier schon auch<br />

erwähnen.<br />

<strong>Saucke</strong>: Es gibt da ein Video, das man mir zu meinem Geburtstag vom BR aus zur<br />

Verfügung gestellt hat: Das ist ein Video aus dieser Kindersendereihe "Was<br />

sagst du dazu?". In dieser Sendung ging es um Mädchenrollen: Sie<br />

handelte von vier Mädchen, die sich zusammengerottet hatten und von zu<br />

Hause ausgerissen waren. Sie hatten allerdings doch eine der<br />

“moderneren” Mütter von ihnen informiert, wohin sie hingehen würden. Sie<br />

wollten sich ganz einfach diese Behandlung in der Familie nicht mehr<br />

gefallen lassen. Da ging es z. B. <strong>im</strong>mer um solche Vorwürfe wie: "Warum<br />

hast du nicht aufgeräumt?" - "Warum <strong>im</strong>mer nur ich alleine? Warum hilft da<br />

der Bruder nicht auch mal <strong>mit</strong>?" - "Ein Bub braucht bei so etwas nicht zu<br />

helfen!" Dieses Video ist ein unglaublich gutes Zeitdokument: ein Dokument<br />

dafür, wie noch in der Zeit die Mädchen erzogen worden sind. Ich habe<br />

diese Sendereihe erst 1970 angefangen: Das ist noch nicht einmal so arg<br />

lange her. Aber damals hieß es eben <strong>im</strong>mer noch: Die Buben brauchen z.<br />

B. nicht aufräumen und <strong>im</strong> Haushalt helfen, das müssen nur die Mädchen<br />

machen. Die Kinder in dieser Sendung haben also darüber diskutiert, dass<br />

sie sich das nicht mehr länger bieten lassen. Als ich <strong>mit</strong> ihnen darüber<br />

gesprochen habe, habe ich fast nicht geglaubt, dass diese Rollen <strong>im</strong>mer<br />

noch so verfestigt sind. Ich hoffe aber, dass das nun doch ein wenig besser<br />

geworden ist.<br />

Emrich: Das ist <strong>im</strong>merhin zu hoffen. Frau <strong>Saucke</strong>, Sie haben ja Wellen von<br />

Pädagogik erlebt: Ihre eigene Ausbildung <strong>im</strong> Kindergarten war, wie Sie<br />

angedeutet haben, bereits recht positiv und fortschrittlich. Da wurden die<br />

Kinder ernst genommen und die Kindergärten wurden nicht mehr nur als<br />

Kinderbewahranstalten aufgefasst.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, auf jeden Fall. Aber es war trotzdem so, dass das Fröbel- und<br />

Pestalozzi-Seminar in München in best<strong>im</strong>mter Hinsicht noch recht<br />

altmodisch war, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Dort hat man eben<br />

noch "Tante" gesagt. Man hat auch <strong>im</strong>mer sehr darauf geachtet, dass die<br />

Kinder brav sind. Als ich dann selbst in den Beruf gegangen bin, habe ich<br />

erst gelernt, dass ich selbst auch einen Namen habe und nicht <strong>im</strong>mer nur<br />

<strong>mit</strong> "Tante" angesprochen werden möchte. Ich lernte aber auch, dass es<br />

besser ist, die Kinder ein wenig freier sein zu lassen. Ich kann mich noch gut<br />

daran erinnern, wie das war, als ich <strong>im</strong> Beruf anfing. Wir, die Kindergärtnerin<br />

und die Kinder, setzten uns eben auch mal in einem Kreis auf dem Boden<br />

zusammen: Denn die Kinder können ja nicht <strong>im</strong>mer nur herumrasen und -<br />

toben. Kaum saßen wir aber, haben die Kinder be<strong>im</strong> Sitzen die Hände vor<br />

der Brust verschränkt. Ich erinnerte mich da sofort an meine eigene<br />

Schulzeit: Da mussten wir ebenfalls <strong>im</strong>mer so dasitzen oder gleich gar noch<br />

alle die Hände sauber auf die Tischkante legen. Ich habe wirklich ganz<br />

lange gebraucht, den Kindern abzugewöhnen, die Hände vor der Brust zu<br />

verschränken, wenn sie sich hinsetzten. Ich habe <strong>im</strong>mer zu ihnen gesagt:<br />

"Man kann auch anders auf seine Hände aufpassen!" Denn diese Art des<br />

Sitzens war eine derartige Festlegung und verströmte einen derartigen<br />

Muff, dass ich es kaum aushielt. Meine eigentlichen sechs Berufsjahre als<br />

Kindergärtnerin waren dann schon moderner als die Ausbildung selbst bzw.<br />

als das, was so außen herum los war. Ich habe dann auch<br />

Leitungsfunktionen übernommen und zum Schluss war ich gar Referentin.<br />

Die konkrete Erziehung war damals wirklich bereits moderner als noch<br />

zuvor <strong>im</strong> Seminar. Sie haben vorhin von den Wellen in der Pädagogik<br />

gesprochen. Genau das gleiche Bild ist mir auch eingefallen. Es geht da<br />

wirklich <strong>im</strong>mer auf und ab. Da werden z. B. auch wieder Dinge vergessen,<br />

die mal wichtig und modern waren. Eine Kindergartenleiterin, die ich vor<br />

einiger Zeit kennen lernte, sagte zu mir: "Was? Sie haben sich damals


schon nicht mehr 'Tante' nennen lassen?" Ich will nicht zu sehr darauf<br />

herumreiten, aber das zeigt doch, dass manche Dinge, die bereits<br />

durchgesetzt schienen, auch wieder vergessen werden. Wenn einer z. B.<br />

zum ersten Mal etwas gemacht hat – und das geht ja querbeet durch unser<br />

Gesellschaftsleben –, dann wird das auch oft wieder vergessen. Fröbel war<br />

z. B. der Erste, der sich um die Kleinkindererziehung bemüht hat. Wenn<br />

man diesen Namen dann aber in den siebziger Jahren nannte, als diese<br />

Kinderläden usw. entstanden, fielen die jungen Leute regelrecht vom Stuhl<br />

und riefen: "Fröbel, um Gottes willen, das ist doch das Altmodischste<br />

überhaupt!"<br />

Emrich: In diesen siebziger Jahren hat es dann ja auch diese Welle der<br />

antiautoritären Erziehung gegeben: Da wurde manches gut gemeint, aber<br />

auch vieles völlig missverstanden. Denn <strong>im</strong> Grunde genommen war das<br />

nämlich häufig nur noch eine autoritätslose Erziehung. So konnte es aber<br />

eben auch nicht gehen. Haben Sie denn einen Tipp für Eltern <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf die Kindererziehung - nicht für Ihre Nachfolgerinnen als Erzieherinnen,<br />

sondern konkret für Eltern, die <strong>mit</strong> Kindern leben? Denn manche Eltern<br />

stöhnen heute ja darüber, dass die Kinder oft zu frei sind. Die Großeltern<br />

sagen dann <strong>im</strong>mer: "Um Gottes Willen, zu unserer Zeit hätten wir das alles<br />

aber nicht machen dürfen!" Wie findet man in der Erziehung diese Balance<br />

zwischen Freiheit und Ordnung, in die sich Kinder eben auch einfügen<br />

müssen?<br />

<strong>Saucke</strong>: Ich finde das ganz schwierig zu sagen, weil das ja <strong>im</strong>mer auf die einzelnen<br />

Kinder selbst ankommt. Ich konnte <strong>im</strong>mer dann am besten Ratschläge<br />

geben, wenn ich <strong>mit</strong> konkreten Situationen konfrontiert war. Mir fiel vor der<br />

Sendung dazu noch ein Beispiel ein, das in einem Buch eines Professors<br />

Soundso vorkommt. Dieses Buch hieß damals "Kinder fordern uns heraus".<br />

Das Beispiel geht so: Ein Kind zappelt permanent und wirft dabei eines<br />

Tages eine Blumenvase um. Die Tischdecke ist nass geworden, die<br />

Blumen liegen auf dem Boden usw. Die Mutter gibt in der Situation dem<br />

Kind ganz spontan eine Ohrfeige. Das Wesentliche dabei ist, dass die<br />

Mutter will, dass nun aufgeräumt und sauber gemacht wird. Das Kind ist in<br />

einem solchen Moment jedoch völlig blockiert. Wenn die Mutter jedoch die<br />

Geduld hätte zu sagen, "Um Gottes willen, be<strong>im</strong> nächsten Mal passt du<br />

aber besser auf!", dann wäre das natürlich viel besser. Sie könnte dann zu<br />

dem Kind sagen: "Komm, jetzt lass uns den Schaden begrenzen. Du holst<br />

schnell einen Lappen, während ich die Tischdecke wegnehme!" Mit dieser<br />

Methode wäre das Kind nämlich nicht blockiert, sondern könnte den<br />

Anweisungen der Mutter durchaus folgen. Ich fand jedenfalls <strong>im</strong>mer, dass<br />

kleine Kinder die Sicherheit haben müssen, geschützt zu sein, und dass sie<br />

gehört werden müssen. Denn selbst so ein kleiner Winzling hat, kaum dass<br />

er sprechen gelernt hat, uns bereits etwas zu sagen. Wenn man aber dem<br />

Kind <strong>im</strong>mer nur sagt, es solle den Mund halten, dann wird man in der<br />

Erziehung nicht weit kommen. Eine Mutter, die selbst auch einmal<br />

Erzieherin war, sagte mir aber vor kurzem mal: "Die Kinder sind heutzutage<br />

doch sehr viel schwieriger zu erziehen, weil so wahnsinnig viel auf sie<br />

einstürmt." Da gibt es ja nicht nur das Fernsehen. Als wir damals anfingen<br />

bzw. als ich damals zu Ihnen ins Familienprogramm kam, hat man genau<br />

aus dem Grund eben noch empfohlen – genau so, wie das der Günter<br />

Jauch erzählt hat –, dass die Kinder nur das Kinderfernsehen ansehen<br />

sollen. Bei den anderen Sendungen sollte man die Kinder dann eben vom<br />

Fernseher wegholen. Ich kann mich <strong>im</strong> Hinblick auf diese damalige Zeit<br />

noch an eine junge Mutter <strong>mit</strong> vier sehr kräftigen Buben erinnern. Sie sagte<br />

mir damals: "Das hilft mir alles gar nicht. Ich setze sie halt doch auch sonst<br />

vor den Fernseher!" Der Fernseher war eben in der Situation so etwas wie<br />

ein Babysitter. Ich fürchte, dass das heute noch <strong>im</strong>mer sehr häufig der Fall<br />

ist: Man lässt die Kinder <strong>im</strong>mer noch aus diesem Grund viel zu viel<br />

Fernsehen ansehen. Man müsste das also begrenzen. Man sollte dabei


aber mehr aus dem Instinkt heraus vorgehen: Man sollte es erfühlen, wie<br />

man es anstellen kann, ein Kind einzugrenzen. Dass man die Kinder jedoch<br />

so frei lässt, dass sie letztlich sogar auf dem Klavier herumtrampeln, wie<br />

damals in einem Film über antiautoritäre Erziehung zu sehen war, ist eben<br />

auch falsch. Das hatte ja auch ein ganz furchtbares Ergebnis, wie man<br />

erkennen musste: Diese Kinder wurden alle gestört – obwohl es natürlich<br />

auch damals recht kräftige Kinder gegeben hat, die einiges aushalten<br />

konnten. Insofern ist es jedenfalls schwierig, so sehr allgemeine Ratschläge<br />

zu geben. Es ist jedenfalls so, dass man Vertrauen in die Kinder haben<br />

muss. Und sie müssen auch Vertrauen zu uns haben.<br />

Emrich: Und man muss sich Zeit für die Kinder nehmen.<br />

<strong>Saucke</strong>: Ja, natürlich, man muss auch Zeit für die Kinder haben und auf sie und ihre<br />

Bedürfnisse eingehen. Ich hoffe, dass das <strong>mit</strong> der Zeit doch alles besser<br />

geworden ist.<br />

Emrich: Frau <strong>Saucke</strong>, die Zeit läuft uns davon. Ich hätte gerne noch ein bisschen in<br />

der Richtung gefragt, wie Sie es angestellt haben, an Literatur und Musik so<br />

interessiert zu sein, an dem nämlich, was früher und heute Ihre Freizeit<br />

ausfüllte bzw. ausfüllt. Auf das alles können wir aber leider nicht mehr<br />

eingehen. Würden Sie heute <strong>im</strong> Rückblick auf Ihre damalige Berufswahl<br />

etwas anders machen?<br />

<strong>Saucke</strong>: Ich möchte nur noch ganz schnell sagen, dass ich eigentlich einen<br />

künstlerischen Beruf ergreifen wollte. Ich hatte in Regensburg <strong>im</strong> Lyzeum<br />

auch eine ganz tolle Mallehrerin: Sie meinte, ich sollte zunächst einmal<br />

akademisches Zeichnen lernen. Daraus ist aber nichts geworden. Meine<br />

Mutter hatte jedoch beobachtet, dass Kinder mir sehr anhängen. Ich habe<br />

dann erfahren, dass man innerhalb dieser Ausbildung zur Kindergärtnerin<br />

bzw. Erzieherin auch viel <strong>mit</strong> den Händen machen kann: basteln, werken,<br />

malen usw. Aus dem Grund war ich dann auch einverstanden, diesen<br />

Berufsweg einzuschlagen und diese Ausbildung zu machen. Ich habe mir<br />

daher auch gar keine Gedanken darüber gemacht, ob ich je etwas anderes<br />

hätte werden wollen – außer vielleicht doch etwas Künstlerisches wie z. B.<br />

malen.<br />

Emrich: Dann wäre aber der Weg zum Fernsehen vielleicht nicht so leicht möglich<br />

gewesen. Ich bedanke mich ganz herzlich. Das war das Alpha-Forum für<br />

heute. Unser Gast war <strong>Erika</strong> <strong>Saucke</strong>, <strong>Fernsehredakteurin</strong> <strong>im</strong> Ruhestand.<br />

© Bayerischer Rundfunk

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