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Perspektiven der<br />

Systemtransformation<br />

in Korea<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Gesellschaftliche<br />

Diskontinuität<br />

Entwicklungen<br />

Tradition<br />

nach dem Systemumbruch<br />

Strukturbildung<br />

Eun-Jeung Lee<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mi t t e i l u n g e n 2007<br />

21


21 <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> Mi t t e i l u n g<br />

Heft 21, Juli 2007<br />

Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />

„Perspektiven der Systemtransformation in Korea“<br />

Sprecher:<br />

Prof. Dr. Heinrich Best<br />

<strong>SFB</strong> <strong>580</strong>, Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 Jena<br />

Telefon: +49 (0) 3641 94 55 40<br />

Fax: +49 (0) 3641 94 55 42<br />

E-Mail: best@soziologie.uni-jena.de<br />

Internet: www.sfb<strong>580</strong>.uni-halle.de<br />

www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de<br />

Verantwortlich für dieses Heft:<br />

PD Dr. Eun-Jeung Lee<br />

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />

Institut für Politikwissenschaft und Japanologie<br />

06099 Halle (Saale)<br />

Tel.: +49 (0) 0345 - 5 52 4211<br />

Fax: +49 (0) 0345 - 5 52 7145<br />

E-Mail: Eun-Jeung.Lee@gmx.net<br />

Logo:<br />

Elisabeth Blum; Peter Neitzke (Zürich)<br />

Cover & Satz: Tina Lämmerhirt, Andreas Cavazzini, Jarno Müller<br />

Druck:<br />

universität Jena<br />

ISSN: 1619-6171<br />

Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich <strong>580</strong> „Gesellschaftliche<br />

Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“<br />

entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung<br />

der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten<br />

Mittel gedruckt.<br />

Alle Rechte vorbehalten.


<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

Gesellschaftliche<br />

Diskontinuität<br />

Entwicklungen<br />

Tradition<br />

nach dem Systemumbruch<br />

Strukturbildung<br />

Per s p e k t i v e n de r<br />

Sys t e m t r a n s f o r m at i o n<br />

in Ko r e a


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort<br />

Kapitel<br />

Vorwort -Deutschland und Korea:<br />

Vergleichbare Wege von der Teilung zur Einheit ?<br />

Prof. Dr. Everhard Holtmann ............6<br />

1<br />

Deutschland und Korea - Ein besonderes Verhältnis<br />

Dr. Eun-Jeung Lee: Perspektiven der<br />

Systemtransformation in Korea ...........9<br />

2<br />

Die Wiedervereinigungsdebatte in Südkorea ..........13<br />

3<br />

Einige Probleme der Wiedervereinigungsdebatte ..........35<br />

Seite 4<br />

4<br />

Bedarf an einem Wissenstransfer aus der deutschen<br />

Transformationsforschung ..........48


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort<br />

Kapitel<br />

Literaturverzeichnis ..........52<br />

Autor<br />

Angaben zur Autorin ..........51<br />

Seite 5


Vorwort<br />

Vorwort<br />

De u t s c h l a n d u n d Ko r e a:<br />

Ve r g l e i c h b a r e We g e v o n d e r<br />

Te i l u n g z u r Ei n h e i t ?<br />

Pe r s p e k t i v e n i n t e r k u lt u r e l l e n<br />

Wissenstransfers d e s <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

von Prof. Dr. Everhard Holtmann<br />

Im Prozess der deutschen Einheit<br />

fielen der territoriale Zusammenschluss<br />

zweier getrennter<br />

Staaten und der Transfer demokra-<br />

Seite 6 tischer Institutionen und Normen<br />

in das ostdeutsche Beitrittsgebiet<br />

zeitlich zusammen. Anders in Korea:<br />

Während der nördliche Teilstaat die Strukturen<br />

einer spätstalinistischen Diktatur bis<br />

heute konserviert, formte sich im Süden das<br />

vormals autoritärstaatliche Regime ausgangs<br />

der 1980er Jahre um in ein präsidentielles<br />

System demokratischen Zuschnitts. Trotz<br />

fortwährender Teilung ist die Einigung Koreas<br />

als eine gedachte Option auf eine gemeinsame<br />

nationalstaatliche Zukunft weiterhin in beiden<br />

Landesteilen präsent. Seit längerem werden, wie<br />

die koreanische Politikwissenschaftlerin Eun-<br />

Jeung Lee in ihrem nachstehend abgedruckten<br />

Beitrag dokumentiert, in südkoreanischen<br />

Regierungskreisen Szenarien entworfen, in<br />

welchen – nicht ohne vorauseilende Skepsis<br />

– erwartbare und unwägbare wirtschaftliche,<br />

soziale und kulturelle Nebenfolgen einer künftigen<br />

Fusion beider Teilstaaten thematisiert<br />

werden.<br />

Die Ähnlichkeit der transformatorischen<br />

Ausgangslagen – die koreanische gedacht, die<br />

deutsche realisiert – macht verstehbar, weshalb<br />

die komplexen Vorgänge der deutschen Einigung<br />

und ihrer Folgen in Südkorea besonders<br />

aufmerksam verfolgt werden. Von daher<br />

überrascht nicht, dass „Südkorea mittlerweile<br />

nach Deutschland über die umfangreichsten<br />

Materialsammlungen und Studien über die<br />

deutsche Wiedervereinigung verfügt“ (Lee).<br />

Es liegt nahe, das im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> inzwischen<br />

gesammelte Struktur- und Prozesswissen über<br />

einzelne Entwicklungspfade der Transformation<br />

in Deutschland der koreanischen Seite als<br />

Lern- und Anschauungsmaterial anzubieten.<br />

Dies könnte auch dazu beitragen, die offenbar<br />

unvollständige Perzeption des jüngeren<br />

gesamtdeutschen Weges, die, so Lee, „immer<br />

noch belastet ist durch die frühere Fixierung<br />

auf die negativen Seiten des Einigungsprozesses<br />

in Deutschland“, zu korrigieren.


Vorwort<br />

Lees Einschätzung zufolge, wird das im<br />

<strong>SFB</strong> vorhandene Wissen der Transformationsforschung<br />

in Südkorea auch deshalb besondere<br />

Beachtung finden, weil Fragen etwa zum Elitenwandel,<br />

zu Prozessen disruptiven sozialen<br />

Wandels oder auch zur Verschmelzung unterschiedlicher<br />

Wertvorstellungen dort intensiv<br />

diskutiert werden. Wir wollen dieses Fenster<br />

des interkulturellen Wissenstransfers, das sich<br />

hier öffnet, von Jena und Halle aus weiter<br />

aufstoßen: Für Herbst 2008 ist in Seoul ein<br />

Workshop über „Langzeitwirkungen des Systemumbruchs“<br />

geplant. Neben Wissenschaftlern<br />

des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> sollen daran südkoreanische Experten<br />

des Wiedervereinigungsministeriums,<br />

der Koreanischen Forschungsgemeinschaft,<br />

der privaten Universität Seoul sowie des Korea<br />

Institute for National Unification (KINU)<br />

teilnehmen.<br />

An g a b e n z u r Au t o r i n<br />

PD Dr. Eun-Jeung Lee, geb. 1963 in Daejon<br />

(Republik Korea), Promotion (Göttingen) und<br />

Habilitation (Halle/Saale) in Politikwissenschaft,<br />

Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung,<br />

der Alexander-von-Humboldt-Stiftung<br />

und des Landes Sachsen-Anhalt, Fellowship<br />

Japan Foundation, Lehraufträge und Gastprofessuren<br />

an Universitäten in Deutschland, Korea<br />

und Japan, Dolmetscherin für koreanische<br />

Regierungsdelegationen zu Fragen der deutschen<br />

Einheit; zahlreiche wissenschaftliche<br />

Veröffentlichungen in deutscher, englischer,<br />

koreanischer und japanischer Sprache.<br />

Auch hier gilt: Wissenstransfer ist keine<br />

Einbahnstraße. Daher ist daran gedacht, im<br />

Zuge der Kooperation auch einen bilateralen<br />

Austausch von (Nachwuchs)Wissenschaftlern<br />

zwischen den Universitäten Jena/Halle und Seoul<br />

anzubahnen.<br />

Den Auftakt zu diesem Transferprojekt<br />

bildeten zwei Gastvorträge zu „Perspektiven<br />

der Systemtransformation in Korea“, die PD<br />

Dr. Eun-Jeung Lee im April 2007 im Rahmen<br />

eines <strong>SFB</strong>-Gastforscher-Aufenthaltes in Jena<br />

und Halle gehalten hat. Nachstehend ist die<br />

schriftliche Fassung des Vortrags abgedruckt.<br />

Everhard Holtmann<br />

Seite 7


Seite 8


Per s p e k t i v e n d e r<br />

Sys t e m t r a n s f o r -<br />

m at i o n in Ko r e a<br />

Seite 9


1. Deutschland Vorwortund Korea<br />

Kapitel 1<br />

Pe r s p e k t i v e n d e r Sy s t e m t r a n s-<br />

f o r m at i o n in Ko r e a<br />

I. De u t s c h l a n d u n d Ko r e a – e i n<br />

b e s o n d e r e s Ve r h ä lt n i s<br />

von Eun-Jeung Lee<br />

IFür Korea ist Deutschland ist ein Land<br />

von ganz besonderer Bedeutung, auch<br />

wenn man das in Deutschland im allgemeinen<br />

gar nicht wahrnimmt. Das deutsche<br />

Wirtschaftswunder inspirierte das<br />

„Wunder am Han-Fluß“. Tausende<br />

Seite 10 Bergleute und Krankenschwestern<br />

wurden nach Deutschland geschickt,<br />

um die Devisen zu verdienen, die man<br />

für den Aufbau der Wirtschaft des Landes<br />

brauchte. Dann kam die Wiedervereinigung,<br />

die das Land elektrisierte und von der eigenen<br />

Wiedervereinigung träumen ließ. Dann beobachtete<br />

mit Sorge die mit der Wiedervereinigung<br />

verbundenen wirtschaftlichen Probleme,<br />

und dass die innere Einheit des Landes gar<br />

nicht so einfach herzustellen war. So kühlte die<br />

Wiedervereinigungseuphorie merklich ab, aber<br />

man verfolgte die Entwicklungen in Deutschland<br />

weiterhin sehr genau. Die 1998 begonnene<br />

„Sonnenscheinpolitik“ von Präsident Kim Dae<br />

Jung orientierte sich explizit an Willi Brandts<br />

Entspannungspolitik und ist im Kern bis heute<br />

Politik der koreanischen Regierung.<br />

Politische und wirtschaftliche Ereignisse<br />

und Entwicklungen in Deutschland werden in<br />

Korea unmittelbar auf die eigene Situation bezogen.<br />

So konzentrierte sich das Interesse der<br />

koreanischen Öffentlichkeit bei der Bundestagswahl<br />

2005 auf die Person Angela Merkel.<br />

Die Tatsache, dass 15 Jahre nach der Einheit<br />

eine „Ostdeutsche“ Spitzenkandidatin sein<br />

konnte, rief in Korea großes Erstaunen hervor.<br />

Was man sich in der Logik der jahrzehntelangen<br />

Konfrontation überhaupt nicht vorstellen<br />

konnte, stand plötzlich als Möglichkeit im<br />

Raum.<br />

Es ist insofern verständlich, dass in Korea<br />

jeder Aspekt der deutschen Wiedervereinigung<br />

sorgfältig studiert wird. An Universitäten,<br />

Forschungsinstituten und Ministerien wurden<br />

seit 1990 umfangreiche Untersuchungen<br />

durchgeführt. Es ist sicher nicht übertrieben<br />

zu sagen, dass Südkorea mittlerweile nach<br />

Deutschland über die umfangreichsten Materialsammlungen<br />

und Studien über die deutsche<br />

Wiedervereinigung verfügt.<br />

Die wirtschaftlichen Indikatoren von<br />

Deutschland vor der Einigung und vom ge-


1. Deutschland Vorwortund Korea<br />

Deutschland 1989 Nord- und Südkorea 2004<br />

BRD (A) DDR (B) A/B SK (A) NK (B) A/B<br />

Territorium<br />

(1000km²) 249 108 2,3 99,9 122,1 0,45<br />

Bevölkerung<br />

(Mill.) 61,8 16,4 3,8 48,1 22,7 2,1<br />

BIP<br />

(Mrd. US $) 1317 135,5 9,7 681 20,8 32,8<br />

Pro Kopf<br />

BIP (US$) 21300 8200 2,6 14200 900 13,5<br />

Export<br />

(Mrd. US $) 382,3 28,4 13,5 253,8 2,9 248,9<br />

Import<br />

(Mrd. US $) 302,6 28,9 10,5 224,5 1,8 122<br />

Tabelle 1: Vergleich von DDR/BRD und Nord-/Südkorea<br />

Quelle: Bank of Korea<br />

genwärtigen Korea unterscheiden sich deutlich<br />

(siehe Tabelle 1). Dennoch ist die deutsche<br />

Erfahrung in Korea ein wichtiger Referenzpunkt<br />

für die Entwicklung von Strategien für<br />

eine mögliche Wiedervereinigung. Es gibt nur<br />

wenige vergleichbare Erfahrungen, etwa Yemen,<br />

Vietnam oder auch Hongkong. In Südkorea<br />

wurden auch diese Wiedervereinigungen<br />

geteilter Länder sorgfältig untersucht. Doch<br />

dem deutschen Fall wird in wirtschaftlicher<br />

und politischer Hinsicht die größte Relevanz<br />

zugesprochen.<br />

Seit der deutschen Wiedervereinigung sind<br />

nunmehr 16 Jahre vergangen. Die Erfahrung<br />

der Wiedervereinigung scheint in Deutschland<br />

längst Geschichte geworden zu sein. Brandenburg,<br />

Mecklenburg-Vorpommern, Sachen,<br />

Sachsen-Anhalt und Thüringen sind normale<br />

Bundesländer geworden. Experten und die Regierung<br />

sind sich daher einig, dass Korea nicht<br />

allein aus der Vorgeschichte bis zum Mauerfall,<br />

sondern vor allem auch aus dem folgenden<br />

Transformationsprozess der ostdeutschen Gesellschaft,<br />

Wirt-schaft und Politik nützliche<br />

Lehren ziehen kann.<br />

In diesem Beitrag geht es um die Frage,<br />

inwiefern Korea im Hinblick auf die zu erwartenden<br />

Systemtransformationen in Nord- und<br />

in Südkorea von der deutschen Erfahrung lernen<br />

kann. Um dieser Frage nachzugehen, wird<br />

zunächst die bisherige Wiedervereini-gungspolitik<br />

Südkoreas untersucht. Dabei werden<br />

diverse, von Experten entwickelte Szenarien<br />

und das dreistufige Vereinigungsmodell der<br />

südkoreanischen Regierung dar-gestellt.<br />

Anschließend werden mögliche<br />

Probleme dieser Szenarien und Stra-<br />

Seite 11<br />

tegien dis-kutiert. Davon ausgehend<br />

soll schließlich überlegt werden, an welchen<br />

Punkten Korea von der deutschen Erfahrung<br />

etwas lernen könnte, insbesondere auch, wo<br />

Bedarfe für einen Transfer des in <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>


1. Deutschland Vorwortund Korea<br />

inzwischen angesammelten Wissens über<br />

Transformati-onsprozesse liegen könnten.<br />

Fu s s n o t e n<br />

1 Im renommierten Institute for Far Eastern Studies der Kyungnam<br />

Univesität wird gegenwärtig ein um-fassend angelegtes<br />

Forschungsprojekt über Transformationsprozesse in Osteuropa<br />

durchgeführt. Es wird von der Korea Research Foundation, einer<br />

DFG-ähnlichen Institution, finanziert.<br />

Seite 12


Die Wi e d e rv e r e i-<br />

n i g u n g s d e b at t e<br />

in Sü d k o r e a<br />

Seite 13


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

Seite 14<br />

Kapitel 2<br />

II. Die Wi e d e rv e r e i n i g u n g s d e b att<br />

e in Sü d k o r e a<br />

1. Die Wi e d e rv e r e i n i g u n g s p o l i t i k Sü d-<br />

k o r e a s im Rü c k b l i c k<br />

Ist von der Wiedervereinigungspolitik<br />

in Korea die Rede, kommt man immer<br />

wieder auf den Korea-Krieg zu sprechen.<br />

Denn dieser Bürgerkrieg, der von 1950 bis<br />

1953 dauerte, war der erste Versuch, das geteilte<br />

Land, wenn auch durch militärische<br />

Gewalt, wieder zu vereinigen. Zudem<br />

hat dieser extrem grausame Krieg bis<br />

heute wirkende, tiefe Spu-ren in beiden<br />

Gesellschaften hinterlassen.<br />

Mittlerweile ist nicht mehr umstritten,<br />

dass Nordkorea unter der Führung von Kim<br />

Il Sung den ersten Schritt zum Krieg getan hat<br />

und dass Moskau und Peking von Anfang an<br />

in diese Entscheidung verstrickt waren (vgl.<br />

Kläy 2000: 4). 1 Allerdings unterschied sich<br />

der damalige südkoreanische Präsident Rhee<br />

Syng Man in seiner Bereitschaft, militärische<br />

Gewalt anzuwenden, kaum von Kim Il Sung.<br />

Rhee, der ebenso wie Kim beanspruchte, der<br />

einzige legitime Vertreter des gesamten Volkes<br />

zu sein, vertrat eine „Wiedervereinigung durch<br />

den Marsch nach Norden“ (Pukchin t’ongil)<br />

und erklärte diese sogar zum Staatsziel (Lee,<br />

Won-Myung 1989: 82). Letztlich wollte jede<br />

Seite durch Ausdehnung der eigenen Herrschaft<br />

eine Wiedervereinigung des Landes<br />

erreichen, selbst um den Preis, den jeweiligen<br />

Gegner total zu vernichten.<br />

Der Korea-Krieg, der erste „heiße“ Konflikt<br />

im Kalten Krieg, war für beide Seiten<br />

verheerend: Es wurden sämtliche Strategien<br />

der Kriegsführung – einschließlich der bakteriologischen<br />

– angewandt und Arsenale<br />

modernster Waffen eingesetzt. Die Zerstörung<br />

ging soweit, dass sie US-Luftwaffengeneräle<br />

zu der Feststellung veranlasste, in Korea gebe<br />

es partout keine Angriffsziele mehr. Aus diesen<br />

Kriegsjahren stammt, so Carter J. Eckert<br />

vom Harvard Center for Korean Studies, auch<br />

die „permanente Belagerungsmentalität“ der<br />

Nordkoreaner: Während des Krieges lebte und<br />

arbeitete „praktisch die gesamte Bevölkerung<br />

... in künstlich angelegten unterirdischen<br />

Bunkern, um den ständigen Angriffen der US-<br />

Bomber zu entgehen, von denen jeder – aus der<br />

Sicht der Nordkoreaner – eine Atombombe<br />

tragen konnte“ (zit.n. Werning 2001: 29). 2<br />

Die tragische Erfahrung des dreijährigen<br />

Koreakrieges hat bitteren gegenseitigen Hass


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

und eine ideologisch überhöhte „Animosität“<br />

der Systeme hinterlassen. Es war insofern nicht<br />

überraschend, dass die beiden koreanischen<br />

Regierungen während der Genfer Konferenz<br />

von 1954, auf der nach dem Abschluss des<br />

Waffenstillstandsabkommens eine friedliche<br />

Lösung der Koreafrage gefunden werden<br />

sollte, nur an einer Lösung interessiert waren,<br />

die die Einverleibung des jeweils anderen<br />

Landesteils beinhaltete. Es gab keinerlei Basis<br />

für eine Verständigung. Seitdem beschuldigen<br />

sich die Regierungen von Nord- und Südkorea<br />

gegenseitig, für die Teilung verantwortlich<br />

gewesen zu sein, und betrachten sich gegenseitig<br />

als politisch-militärische Todfeinde und<br />

als ständige Bedrohung ihrer jeweiligen politischen<br />

Systeme (Suh 1997: 3). Infolge dessen<br />

ist die Teilung Koreas bis heute von einer, aus<br />

deutscher Sicht, unglaublichen Radikalität und<br />

Totalität gekennzeichnet.<br />

In den 35 Jahren seit dem Ende des Koreakrieges<br />

bis zur Demokratisierung 1987/88<br />

spielte die Frage der Wiedervereinigung in der<br />

südkoreanischen Politik im Grunde nur eine<br />

Nebenrolle. Sicher hatte jede Regierung Pläne<br />

bzw. Vorschläge zur Wiedervereinigung entwickelt<br />

– es kam 1972 sogar ein gemeinsames<br />

Kommuniqué zwischen den beiden Staaten<br />

zustande – aber die diversen Vorschläge sollten<br />

hauptsächlich zur Legitimierung der eigenen<br />

Herrschaft dienen. Nicht zuletzt deshalb ist bei<br />

der Analyse dieser Wiedervereinigungspolitiken<br />

große Vorsicht geboten. Man muss zuerst<br />

fragen, zu welchem Zeitpunkt und in welchem<br />

politischen Kontext die jeweiligen Machthaber<br />

Vorschläge zur Wiedervereinigung machten.<br />

Dies gilt sowohl für den Süden, wie auch für<br />

den Norden.<br />

Zunächst fällt auf, dass solche Vorschläge<br />

unmittelbar die jeweiligen, relativen Kräfteverhältnisse<br />

zwischen Nord- und Südkorea<br />

widerspiegeln. So war es Nordkorea, das in<br />

den fünfziger und sechziger Jahren aktiv<br />

wurde, um den politischen, kulturellen und<br />

wirtschaftlichen Austausch zwischen beiden<br />

Ländern sowie den Abbau der militärischen<br />

Konfrontation vorzuschlagen. 1956 brachte<br />

Kim Il Sung auf dem 3. Parteitag der Partei<br />

der Arbeit Koreas (Chosun Rodongdang)<br />

seine Bereitschaft zum Ausdruck, eine ständige<br />

Kommission zu bilden, an der Vertreter<br />

der beiden Regierungen, Parlamente, Parteien<br />

und anderer gesellschaftlicher Organisationen<br />

gleichberechtigt teilnehmen sollten. Der Bericht<br />

zeigt deutlich, wie überlegen sich Kim<br />

Il Sung dem Süden gegenüber fühlte. 3 Sein<br />

Selbstbewusstsein beruhte darauf, dass sich<br />

die nordkoreanische Wirtschaft schneller als<br />

die des Südens von den Kriegsfolgen erholte<br />

und dass sich das Regime von Kim Il Sung<br />

politisch stabilisiert hatte. 4<br />

Allerdings konnte Kim Il Sung von vornherein<br />

davon ausgehen, dass sein Vorschlag bei<br />

den Regierenden im Süden keine Resonanz<br />

finden würde, nicht zuletzt deshalb, weil der<br />

senil gewordene Diktatur Rhee Syng Man an<br />

seiner Idee vom „Marsch nach Norden“ und<br />

an seinem Alleinvertretungsanspruch festhielt.<br />

Überhaupt lehnte Südkorea bis zu Beginn der<br />

siebziger Jahre alle Vorschläge aus<br />

dem Norden kategorisch ab. Dahinter<br />

dürfte die Sorge gestanden haben,<br />

Seite 15<br />

dass der Süden, politisch instabil und<br />

wirtschaftlich schwach, bei Verhandlungen<br />

mit dem Norden überrollt werden könnte<br />

(Hart-Landsberg 1998: 15). Dies erklärt u.a.<br />

warum auch nach dem Sturz von Rhee Syng


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

Seite 16<br />

Man 1960 sowohl der demokratisch gewählte<br />

Ministerpräsident Chang Myun als auch der<br />

durch den Militärputsch 1961 an die Macht<br />

gelangte General Park Chung Hee die Parole<br />

ausgaben „Erst Aufbau, dann Wiedervereinigung“.<br />

Indes verkündete Kim Il Sung im August<br />

1960 seinen Vorschlag der Bildung einer<br />

Konföderation zwischen Nord- und Südkorea.<br />

Sie war gedacht als „Übergangsmaßnahme zur<br />

Lösung der dringlichen Frage, vor die sich die<br />

Nation gestellt“ sah (Lee, Won-Myung 1989:<br />

185). Damit reagierte Kim auf Entwicklungen<br />

unmittelbar nach den Studentenprotesten am<br />

19. April 1960 im Süden. Dort waren nämlich<br />

eine Reihe von Vorschlägen zur Wiedervereinigung<br />

entstanden, die bis dahin wegen des<br />

Verbots der freien Diskussion dieses Thema<br />

nicht hatten artikuliert werden können. Dabei<br />

fühlten sich Studenten wie auch progressive<br />

Oppositionsgruppen durch US-Senator Mike<br />

Mansfield ermutigt, der im Sommer gesagt<br />

hatte: „The United States should consider most<br />

carefully the possibilities of Korea unification<br />

in terms of neutralization on the Austrian pattern.“<br />

(zit.n. Lee, Won-Myung 1989: 162).<br />

Kim Il Sung wollte die Gunst der Stunde<br />

nutzen. 5 Da aber weder die Regierung Chang<br />

Myun noch die Militärregierung von Park<br />

Chung Hee bereit waren, irgendwelche Zugeständnisse<br />

gegenüber den Studenten<br />

zu machen, gab es keine Gelegenheit,<br />

die Ernsthaf-tigkeit der Vorschläge<br />

Kims zu erproben. 6<br />

Park Chung Hee erließ unmittelbar nach<br />

der Machtergreifung sogar ein Antikommunismusgesetz<br />

und verkündete die Verhaftung von<br />

mehr als 2000 kommunistischen Verdächtigen.<br />

Gleichzeitig verbot er die politische Tätigkeit<br />

aller progressiven Sozialisten und Sozialdemokraten<br />

– selbst dann, wenn sie einen antikommunistischen<br />

Standpunkt vertraten. Damit<br />

wurde jedwede Diskussion über die Neutralität<br />

Koreas per Gesetz unterbunden. Park sagte in<br />

aller Klarheit, wie er zur Wiedervereinigungsfrage<br />

stand: Der Antikommunismus sollte<br />

das Hauptanliegen seiner Politik sein, und die<br />

antikommunistische Orientierung der Nation,<br />

die seiner Ansicht nach bisher nur eine Äußerlichkeit<br />

und ein reines Schlagwort gewesen sei,<br />

sollte erneuert und verstärkt werden. Um den<br />

nationalen Wunsch nach Wiedervereinigung<br />

des Landes zu verwirklichen, sollten sich energisch<br />

alle Anstrengungen auf das Ziel richten,<br />

die Nation in die Lage zu versetzen, sich mit<br />

dem Kommunismus im Norden zu messen<br />

(Lee, Won-Myung 1989: 167). Die Nation<br />

sollte also zuerst in die Lage versetzt werden,<br />

den Kommunismus im Norden besiegen zu<br />

können. Park erklärte den wirtschaftlichen<br />

Aufbau und die innenpolitische Stabilität zum<br />

Hauptziel, die Wiedervereinigung zum Nebenziel<br />

(vgl. Yang, Ying-Feng 1997: 82).<br />

Zu Beginn der siebziger Jahre schien die<br />

Korea-Frage eine Wende zu erleben. Am 15.<br />

August 1970 rief Park in einer feierlichen Rede<br />

anlässlich des Jahrestags der Befreiung von der<br />

japanischen Herrschaft die nordkoreanische<br />

Führung auf, ihre antagonistische Konfrontationspolitik<br />

einzustellen, eine Konkurrenz des<br />

guten Willens zuzulassen und zu beweisen,<br />

welches der beiden Systeme besser imstande<br />

sei, zur Wohlfahrt des ganzen Volkes beizutragen.


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

Ein Jahr später, am 6. August 1971, kündigte<br />

Kim Il Sung seinerseits seine Bereitschaft<br />

an, Kontakte mit allen politischen Parteien,<br />

einschließlich der Regierungspartei im Süden,<br />

aufzunehmen. Es gab auch die ersten Kontakte<br />

auf Regierungsebene. Am 4.7.1972 wurde das<br />

sog. Süd-Nord-Kommuniqué veröffentlicht,<br />

in dem vereinbart wurde, sich um eine friedliche<br />

und selbständige Wiedervereinigung zu<br />

bemühen. Zu diesem Zweck sollten zuerst die<br />

Beziehungen normalisiert und der Austausch<br />

zwischen beiden Ländern gefördert werden. Im<br />

August 1972 kam es zu einem ersten innerkoreanischen<br />

Gespräch zwischen den jeweiligen<br />

Rotes-Kreuz-Gesellschaften. Dabei wurden<br />

vor allem die Probleme getrennter Familien<br />

erörtert. Knapp zwei Jahre später, am 23. Juni<br />

1973, schlug Park in einer außenpolitischen<br />

Sondererklärung den gleichzeitigen Beitritt der<br />

beiden koreanischen Staaten zur UNO vor.<br />

Aus diesen hoffnungsvollen Ansätzen<br />

wurde dann aber doch nichts. Ein Jahr lang<br />

trat das „Nord-Süd Koordinierungskomitee“<br />

1972/73 mehrfach zusammen. Man redete aneinander<br />

vorbei und kam zu keinen konkreten<br />

Ergebnissen. Nordkorea nahm die Entführung<br />

Kim Dae Jungs durch den südkoreanischen<br />

Geheimdienst in Tokio 1973 zum Anlass, an<br />

den Gesprächen nicht mehr teilzunehmen. So<br />

blieb im Ergebnis nur die bittere Enttäuschung<br />

der auseinander gerissenen Familien.<br />

Möglicherweise hatte Park den Nord-Süd<br />

Dialog initiiert, weil die sich abzeichnenden<br />

wirtschaftlichen Erfolge sein Selbstbewusstsein<br />

gestärkt hatten (Hart-Landsberg 1998:<br />

15). Allerdings hatte die Wirtschaft des Südens<br />

zu diesem Zeitpunkt das Niveau des Nordens<br />

noch nicht ganz erreicht (Lee, Won-Myung<br />

1989: 136-137). Mark Suh argumentiert<br />

sogar, dass sich Südkorea 1973 wirtschaftlich<br />

und politisch nicht stark genug fühlte, um<br />

mit Nordkorea weiter zu verhandeln und sich<br />

zu öffnen (Suh 1997: 4). Andere Autoren<br />

vergleichen die Initiative Parks gar mit der<br />

„Ostpolitik“ von Willy Brandt (Lee, Won-<br />

Myung 1989: 172; Yang, Ying-Feng 1997:<br />

87-88; Shin 1999: 13).<br />

Eine solche Interpretation scheint nun<br />

doch sehr übertrieben zu sein. Denn die Frage<br />

der Wiedervereinigung und der Versöhnung<br />

mit dem Norden war für Park letztlich nur ein<br />

Mittel der Herrschaftssicherung. Gerade in<br />

dieser Zeit, als die Bevölkerung mit inbrünstiger<br />

Hoffnung auf den beginnenden Nord-<br />

Süd Dialog schaute, hatte Park nämlich eine<br />

Verfassungsänderung durchgesetzt, die ihm<br />

die lebenslange Präsidialmacht sichern sollte<br />

(vgl. Lee, Eun-Jeung 1997: 82-87).<br />

Chun Doo Hwan, der 1980 kurz nach<br />

der Ermordung Parks durch einen Putsch die<br />

Macht ergriffen hatte, hat noch eindeutiger<br />

versucht, die Wiedervereinigungspolitik für<br />

seine Zwecke zu instrumentalisieren. Man<br />

bezeichnet seine Regierungszeit deshalb<br />

(1980-1987) als die „Phase der anti-einheitlichen<br />

Manipulationen“ (Yang, Sŏng-ch’ŏl<br />

1994a: 404). Er war stets bemüht, mittels der<br />

Wiedervereinigungspolitik die fehlende Legitimität<br />

seiner Herrschaft zu kompensieren,<br />

bzw. die Bevölkerung von den<br />

innenpolitischen Problemen abzulen-<br />

Seite 17<br />

ken. Deshalb suchte er auf sehr aktive<br />

Weise das Gespräch mit dem Norden. 1981<br />

schlug er sogar ein Gipfeltreffen vor. 7


1. Deutschland Vorwortund Korea<br />

Dass weder Park noch Chun eine friedliche<br />

Wiedervereinigung bzw. Versöhnung<br />

mit Norden im Sinn hatten, wird nicht zuletzt<br />

durch die strenge Anwendung des „Antikommunismusgesetzes“<br />

und des „Staatssicherheitsgesetzes“<br />

belegt. Jedes noch so kleine Lob für<br />

Nordkorea wurde strikt verfolgt. Auch die Berichterstattung<br />

der Massenmedien, die von der<br />

Regierung streng zensiert wurde, war darauf<br />

ausgerichtet, der Bevölkerung einen militanten<br />

Antikommunismus einzuschärfen. Die gleiche<br />

Marschrichtung fand sich in den durch die<br />

Regierung vorgeschriebenen Lehrplänen für<br />

die Schulen. Schließlich war es die wichtigste<br />

Aufgabe des schulischen Wiedervereinigungsunterrichts<br />

– sowohl unter Park als auch unter<br />

Chun – das antikommunistische Bewusstsein<br />

zu stärken (KEDI 1999: 207). Nordkorea<br />

wurde zumindest als Gegner – wenn nicht als<br />

Erzfeind – dargestellt, der unbedingt besiegt<br />

werden musste. Es ist bekannt, dass Nordkoreaner<br />

im südkoreanischen Schulunterricht<br />

buchstäblich als „rote Teufel“ dargestellt<br />

wurden. Oft genug ist es dann passiert, dass<br />

Südkoreaner, wenn sie zum ersten Mal einen<br />

Nordkoreaner sahen, erstaunt feststellten: „Er<br />

hat ja gar keine Hörner!!??“.<br />

Eigenartigerweise ist die Problematik<br />

solcher Bildungskonzepte von den beiden<br />

Regierungen nach der Wiederherstellung der<br />

Demokratie 1988 nicht thematisiert worden.<br />

Das liegt wohl daran, dass der Gedanke<br />

von der Konkurrenz mit dem<br />

Seite 18 Norden für die Regierungen sowohl<br />

von Roh Tae Woo (1988-1992) als<br />

auch von Kim Young Sam (1993-<br />

1997) immer noch prägend war.<br />

Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass es<br />

1988 zu einer Wende in der Wiedervereinigungspolitik<br />

Südkoreas gekommen ist, und<br />

zwar in dem Sinne, dass diese seitdem von<br />

Regierungen nicht mehr innenpolitisch missbraucht<br />

worden ist (vgl. Suh 1997: 8). Roh Tae<br />

Woo verkündete am 7.7.1988 sogar, Südkorea<br />

wolle Nordkorea nicht mehr als Staatsfeind,<br />

sondern als Mitglied der gleichen ethnischen<br />

Gemeinschaft betrachten und Nordkorea aus<br />

der Isolation helfen, damit es ein aktives Mitglied<br />

der Völkergemeinschaft werden könne.<br />

Trotzdem machte die Art und Weise, in der<br />

diese beiden Regierungen mit den Norden<br />

umgingen, deutlich, dass dieser für sie nicht<br />

mehr als ein besiegter Feind war.<br />

Aus diesem Bewusstsein heraus erklärte<br />

Roh Tae Woo im Frühjahr 1990, beide Koreas<br />

sollten gleichzeitig mit zwei Sitzen in den Vereinten<br />

Nationen vertreten sein. Falls Nordkorea<br />

dies nicht akzeptiere, werde der Süden allein<br />

versuchen, der UN beizutreten. Kim Il Sung,<br />

der immer darauf bestanden hatte, dass Korea<br />

nur als einheitlicher Staat und als Konföderative<br />

Republik „Koryo“ UN-Mitglied werden<br />

könne, sah sich gezwungen nachzugeben: Nach<br />

dem noch im gleichen Jahr erfolgten Beitrittsgesuch<br />

Südkoreas 1990 stellte Nordkorea nach<br />

wenigen Wochen seinerseits einen Aufnahmeantrag<br />

(Shin 1999: 159). 8<br />

In Anbetracht des Zerfalls der DDR und<br />

der deutschen Wiedervereinigung ging die<br />

südkoreanische Wiedervereinigungspolitik<br />

nun davon aus, dass Nordkorea auch bald und<br />

ebenso plötzlich wie die DDR zusammenbrechen<br />

würde. Solche Erwartungen machten es<br />

dann auch überflüssig, über die Unterschiede<br />

zwischen der DDR und Nordkorea sowie zwi-


1. Deutschland Vorwortund Korea<br />

schen der BRD und Südkorea nachzudenken<br />

und sich um den Dialog mit dem Norden zu<br />

bemühen. 9<br />

Wenn es 1991 dann doch zum Abschluss<br />

des „Grundsatzabkommens über Aussöhnung,<br />

Nicht-Angriff, Zusammenarbeit und Austausch<br />

zwischen dem Norden und dem Süden“<br />

kam, war dies in erster Linie darauf zurückzuführen,<br />

dass sich die nordkoreanische Führung<br />

angesichts der großen Veränderungen auf der<br />

internationalen politischen Bühne gezwungen<br />

sah, aktiv zu werden, um einen möglichen wirtschaftlichen<br />

Kollaps und eine weitere internationale<br />

Isolierung zu verhindern (vgl. Hwang/<br />

Kim u.a. 2000: 179).<br />

Dieses Abkommen wird häufig mit dem<br />

Grundlagenvertrag zwischen der DDR und<br />

der BRD vom 21.12.1972 verglichen (Shin<br />

1999: 161; Yang, Ying-Feng 1997: 228). Wie<br />

schon beim Vergleich von Park Chung Hees<br />

Initiative Anfang der siebziger Jahre mit der<br />

Ostpolitik Willy Brandts, gilt auch hier, größte<br />

Vorsicht walten zu lassen, denn die Beziehungen<br />

zwischen Nord- und Südkorea hatten<br />

weder vor noch nach Unterzeichnung dieses<br />

Grundsatzabkommens jemals die Qualität und<br />

den Umfang der innerdeutschen Beziehungen<br />

erreicht. Dies lässt sich u.a. an den widersprüchlichen<br />

Einstellungen im Süden gegenüber dem<br />

Dialog mit dem Norden ablesen.<br />

Einerseits erfüllte die neue Entwicklung<br />

die Bürger mit großer Hoffnung, so dass nach<br />

Meinungsumfragen, die vom Korean Institute<br />

for National Unification 1992 und 1993<br />

durchgeführt wurden, über 45% der Befragten<br />

erwarteten, die Wiedervereinigung werde innerhalb<br />

der nächsten 10 Jahren erfolgen (Lee,<br />

Kyo-Dŏk 2000: 30). Auch von Regierungsseite<br />

hatte man Anfang September 1992 das<br />

Verbot von Geschäftsreisen nach Nordkorea<br />

gelockert und mehrere Genehmigungen für<br />

derartige Reisen erteilt.<br />

Andererseits war die Regierung, da sie im<br />

Norden immer noch eine große Bedrohung<br />

sah, nicht bereit, das Staatssicherheitsgesetz<br />

abzuschaffen, das Nordkorea (bis heute) als<br />

„staatsfeindliche Organisation“ definiert und<br />

jeden „ungenehmigten“ Kontakt zum Norden<br />

als Geheimnisverrat hart ahndet. Dabei konnte<br />

sie in der Bevölkerung durchaus auf Verständnis<br />

rechnen: Bei der gleichen Umfrage<br />

1992 meinten 36,4%, dass Norden militärisch<br />

angreifen könnte. 1993 waren 47,7% und 1995<br />

54,8% (Lee, Kyo-Dŏk 2000: 41).<br />

Der Tod Kim Il Sungs und die Hungersnot<br />

in Nordkorea verstärkten diese ambivalenten<br />

Einstellungen in Süden. Daneben waren die<br />

immensen Kosten des deutschen Einigungsprozesses<br />

ein Schock für die südkoreanische<br />

Wiedervereinigungsdebatte. Bis zur deutschen<br />

Einigung war man in Seoul davon ausgegangen,<br />

die wirtschaftliche Überlegenheit gegenüber<br />

dem Norden eines Tages politisch in<br />

die Waagschale werfen und sich den Norden<br />

einverleiben zu können. Nun aber schreckte<br />

man vor den mit der Einigung verbundenen<br />

Belastungen zurück. 10 Es wurden sogar<br />

Stimmen laut, die die Notwendigkeit<br />

der Vereinigung der beiden Staaten<br />

infrage stellten.<br />

So war Mitte der neunziger Jahre eine<br />

sonderbare Situation entstanden: Die USA,<br />

Japan, China und Europa gingen unter Zuhilfenahme<br />

staatlicher und privater Hilfsorgani-<br />

Seite 19


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

sationen und in Anbetracht der katastrophalen<br />

Lage der nordkoreanischen Wirtschaft dazu<br />

über, Pyongyang politisch, diplomatisch und<br />

wirtschaftlich zu stützen, da sie sich vor den<br />

unvorhersehbaren und möglicherweise nicht<br />

kontrollierbaren Folgen eines Zusammenbruchs<br />

Nordkoreas fürchteten (Harrison<br />

1997). Doch die südkoreanische Regierung<br />

konnte sich nicht dazu entschließen, die<br />

„soft landing“ Politik der Regierung Clinton<br />

zu unterstützen; vielmehr betrachtete sie die<br />

amerikanische Politik mit Skepsis. Man gewann<br />

den Eindruck, dass sie weiterhin auf das<br />

baldige Ende des Regimes im Norden wartete.<br />

Nordkorea schloss seinerseits die Hilfe Südkoreas<br />

ausdrücklich aus, obwohl es jedwede<br />

auswärtige Hilfe gerne in Anspruch nahm, um<br />

aus seinen wirtschaftlichen Nöten herauszukommen<br />

(Yang, Ying-Feng 1997, 229). 11<br />

Erst der Amtsantritt von Kim Dae Jung<br />

im Frühjahr 1998 brachte Bewegung in diese<br />

verfahrene Situation, indem Kim mit seiner<br />

Sonnenschein-Politik eine grundsätzliche<br />

Wende in der südkoreanischen Wiedervereinigungspolitik<br />

einleitete. Kim verwendete<br />

den Begriff „Wiedervereinigungspolitik“<br />

nicht mehr. Statt dessen sprach er von „Versöhnungs-<br />

und Integrationspolitik“ mit dem<br />

Norden. Er war überzeugt, dass eine Normalisierung<br />

der Verhältnisse auf der koreanischen<br />

Halbinsel, das hieß für ihn zu aller erst die<br />

Beseitigung der Strukturen des Kalten<br />

Krieges, viel drängender sei als<br />

Seite 20 die Wiedervereinigung. Wenn diese<br />

Normalisierung weit genug gereift<br />

sei und die Bürger beider Länder frei<br />

miteinander verkehren und sich gegenseitig<br />

helfen können, so erklärte Lim Dong Won,<br />

der ehemalige Wiedervereinigungsminister, sei<br />

die Wiedervereinigung faktisch erreicht – auch<br />

wenn es dann noch zwei Präsidenten und zwei<br />

unterschiedliche Systeme gebe. Als Vorbild für<br />

dieses Konzept Kim Dae Jungs hatte, wie deutsche<br />

Leser schon vermuten werden, tatsächlich<br />

die „Neue Ostpolitik“ Willy Brandts gedient<br />

(Hwang/ Kim 2000: 193).<br />

Das Gipfeltreffen in Juni 2000 war der Höhepunkt<br />

der Versöhnungspolitik von Kim Dae<br />

Jung und löste weltweit geradezu euphorische<br />

Erwartungen hinsichtlich einer Einbindbarkeit<br />

Nordkoreas in die internationale Welt aus. Als<br />

ein „Zeugnis der Weisheit“ begrüßte US-Präsident<br />

Bill Clinton den Korea-Gipfel. Tokio<br />

versicherte die „volle Unterstützung“, Chinas<br />

Staats- und Parteichef Jiang Zemin wünschte<br />

„rasche Fortschritte“. Kim erhielt u.a. für diese<br />

besondere Leistung den Friedensnobelpreis.<br />

Doch bereits Ende 2000, gerade in der Zeit,<br />

als Kim Dae Jung in Stockholm den Nobelpreis<br />

entgegennahm, geriet seine Versöhnungspolitik<br />

zunehmend unter Druck, und zwar nicht<br />

allein, weil die neue Bush-Administration ihre<br />

Skepsis gegenüber Kims Politik offenbart hatte,<br />

sondern vor allem weil in Südkorea selbst Kritik<br />

und Ablehnung seiner Politik immer lauter<br />

wurden. Kim Dae Jung beteuerte auf einer<br />

Pressekonferenz zum Neujahr 2001, „... ohne<br />

die Zustimmung des Volkes werde ich dem<br />

Norden niemals Hilfe zur Verfügung stellen“,<br />

aber gerade diese Zustimmung nahm rapide<br />

ab. Im Mai 2001 sackte sie sogar auf 27% ab<br />

(Pfennig 2001: 5). Kim Dae Jung schien nunmehr<br />

nur noch bei den Mitgliedstaaten der<br />

Europäischen Union Gehör zu finden. 12<br />

Dass zwischen den beiden koreanischen<br />

Staaten seit 1998 eine deutliche Annährung


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

stattgefunden hat, wurde auch von der Bevölkerung<br />

im Süden anerkannt. 13 Aber man<br />

machte sich Sorgen, wie Befragungen zeigen,<br />

dass Kim Dae Jung Nordkorea zu viele Konzessionen<br />

gemacht habe – ohne dafür konkrete<br />

Gegenleistungen erhalten zu haben. 14 Solche<br />

Auffassungen werden auf aggressive Weise von<br />

der Oppositionspartei und den wichtigsten<br />

Tageszeitungen vertreten. Die Einsicht, dass<br />

die Normalisierung feindlicher Beziehungen,<br />

wie man an der deutschen Erfahrung hatte<br />

sehen können (Pfennig 2001: 5; Grabowski<br />

1987: 23), nur mit einseitigen Vorleistungen<br />

beginnen kann, hat sich in Südkorea bis heute<br />

nicht durchgesetzt, insbesondere nicht bei der<br />

Oppositionspartei Hanaradang (Grand National<br />

Party, GNP).<br />

Darunter leidet die Nordkoreapolitik der<br />

Regierung Roh Moo Hyun, der im Dezember<br />

2002 überraschend die Präsidentschaftswahl<br />

gewann. Präsident Roh Moo Hyun führt<br />

die Politik Kim Dae Jungs fort und setzt auf<br />

Versöhnung und Frieden auf der koreanischen<br />

Halbinsel. Darin sieht er die Grundlage für die<br />

weitere wirtschaftliche Entwicklung Koreas<br />

(Roh Moo Hyun, 25. Februar 2003, Rede zum<br />

Amtsantritt). Das Besondere dieser Politik ist,<br />

dass sie Frieden und wirtschaftliche Prosperität<br />

auf der koreanischen Halbinsel einerseits<br />

und die Koreafrage andererseits mit der Bildung<br />

eines Friedensregimes in Nordostasien<br />

verbindet. Aus der Sicht der Regierung Roh<br />

Moo Hyun gibt es keinen Zweifel, dass die<br />

Koreafrage, wie man am der Kernwaffenfrage<br />

sehen könne, im Kontext einer regionalen<br />

Friedenssicherung betrachtet werden müsse<br />

(Cho Min: 35). Somit wurde im Hinblick auf<br />

die Koreafrage der Blickwinkel wesentlich<br />

erweitert.<br />

Diese Politik war und ist aber innen- wie<br />

außenpolitisch mit vielen Hindernissen konfrontiert.<br />

Außenpolitisch musste sie sich vor<br />

allem mit dem Kernwaffenprogramm Nordkoreas,<br />

das seit Oktober 2002 im Mittelpunkt<br />

der Sicherheitspolitik in Nordostasien steht,<br />

wobei seitens der USA sogar der Einsatz von<br />

Mini-Atombomben als mögliche Alternative<br />

nicht ausgeschlossen wurde. 15<br />

Innenpolitisch hat es die Regierung Roh<br />

Moo Hyun von Beginn an mit einer starken<br />

Oppositionspartei (GNP) zu tun, die nicht<br />

davor zurückscheut, auch gegen die warnenden<br />

Ermahnungen durch Kim Dae Jung (Hankyoreh<br />

Zeitung, 19.7.2001), die Koreafrage für<br />

parteipolitische Zwecke zu instrumentalisieren.<br />

Die GNP hatte im Präsidentschaftswahlkampf<br />

2002 nicht nur die Sonnenscheinpolitik<br />

zum Wahlkampfthema gemacht, sondern auch<br />

versucht, mit dem Vorwurf, dass der Schwiegervater<br />

von Roh Moo Hyun ein Kommunist<br />

gewesen sie, erneut die sog. „Farben-Debatte“<br />

– eine koreanische Version der „Rote-Socken-<br />

Kampagne“ – zu entfachen. 16<br />

Zu Beginn des Jahres 2007 begann sich<br />

die internationale politische Lage deutlich<br />

zu entspannen, da die Regierung Bush nach<br />

dem Sieg der Demokraten bei den mid-term<br />

elections von ihrem Konfrontationskurs<br />

abließ und Verhandlungen suchte. Die im<br />

Dezember 2006 einsetzenden bilateralen<br />

Gespräche zwischen den USA<br />

und Nordkorea, die 6 Parteienge-<br />

Seite 21<br />

spräche und das Abkommen vom<br />

13. Februar 2007 geben Anlass zu gewissen<br />

Hoffnungen, dass mehr als 50 Jahre härtester<br />

Konfrontation und Unsicherheit in einigen<br />

Jahren überwunden sein werden. 10 Jahre


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

Jahr<br />

Handelsvolumen<br />

(Mill. Dollar)<br />

Zahl der beteiligten Firmen<br />

Zahl der südkoreanischen<br />

Besucher in Nordkorea<br />

1991 111 56 -<br />

1992 173 77 257<br />

1993 187 121 18<br />

1994 195 136 12<br />

1995 287 236 536<br />

1996 252 319 146<br />

1997 308 356 1015<br />

1998 222 419 3317<br />

1999 333 516 5599<br />

2000 425 536 7280<br />

2001 403 506 8551<br />

2002 642 432 12825<br />

2003 724 481 15280<br />

2004 697 462 26213<br />

2005 1055 523 87028<br />

2006 1349 477 100838<br />

Tabelle 2: Entwicklung des Handels und der Kontakte zwischen beiden koreanischen Staaten<br />

Quelle: Korea Wiedervereinigungsministerium<br />

Entspannungs- und Versöhnungspolitik, also<br />

die „Sonnenscheinpolitik“ (1998-2002) und<br />

die „Engagementpolitik“ (2002-2007), würden<br />

dann die erhofften Früchte tragen können.<br />

Im Zuge dieser Entspannungspolitik<br />

haben der Handel und die Kon-<br />

Seite 22 takte zwischen beiden koreanischen<br />

Staaten seit 1998 rapide zugenommen<br />

(Tabelle 2). In das Industriegebiet<br />

Kaesong oder zum Diamanten-Gebirge<br />

(Kŭmgangsan) in Nordkorea zu reisen, ist kein<br />

besonderes Ereignis mehr. Daran sind große<br />

Fortschritte in den innerkoreanischen Beziehung<br />

zu erkennen, auch wenn sie im Vergleich<br />

zum Austausch zwischen beiden deutschen<br />

Staaten noch sehr rudimentär sind.<br />

2. Sz e n a r i e n d e r Wi e d e rv e r e i n i g u n g<br />

Die Nordkoreapolitik Südkoreas hat in<br />

den letzten zehn Jahren wesentliche Veränderungen<br />

erlebt. Interessanterweise wurden in<br />

dieser Zeit Szenarien der Wiedervereinigung


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

kaum thematisiert. Das hängt damit zusammen,<br />

dass die Regierungen von Kim Dae Jung<br />

und Roh Moo Hyun politische Diskussionen<br />

über solche Szenarien vermieden, denn der<br />

Schwerpunkt ihrer Nordkoreapolitik sollte ja<br />

allein auf Versöhnung und Kooperation liegen.<br />

Allerdings bestand unmittelbar nach der deutschen<br />

Einigung in Südkorea großes Interesse<br />

an möglichen Szenarien einer Wiedervereinigung<br />

Koreas. Der Zerfall des Ostblocks und<br />

der Tod von Kim Il Sung, dem Gründungsvater<br />

Nordkoreas, 1994 gab Einigungshoffnungen<br />

Nahrung. In der Folge entstanden besonders<br />

viele Studien und Szenarien. 17<br />

In diesem Abschnitt sollen nun die bisher<br />

bekannt gewordenen Szenarien für eine Wiedervereinigung<br />

Koreas vorgestellt werden. Ein<br />

großes Problem solcher Szenarien liegt darin,<br />

dass eine wissenschaftlich systematische Analyse<br />

kaum möglich ist, weil es zu viele Variablen<br />

und Unsicherheiten und nur wenig solide<br />

Informationen über Nordkorea gibt. Dennoch<br />

haben viele Forscher auf der Grundlage der<br />

Vereinigungserfahrungen anderer zuvor geteilter<br />

Staaten und unter Berücksichtigung<br />

der Besonderheiten Koreas versucht, für Korea<br />

möglichst plausible Modelle und Szenarien zu<br />

entwerfen.<br />

In der neuesten Geschichte gab es drei<br />

Vereinigungen ehemals geteilter Staaten, die<br />

in Korea untersucht wurden. Vietnam erlebte<br />

eine kriegerische Vereinigung, die mit der Eroberung<br />

von Saigon, der Hauptstadt des Südens,<br />

durch die Vietkong 1975 begann. Im Falle Yemens<br />

war sie etwas komplizierter. Nordyemen<br />

und Südyemen vereinbarten in Verhandlungen,<br />

die am 22. Mai 1990 ihren Abschluss fanden,<br />

ihre Vereinigung. Das verhinderte nicht, dass<br />

sehr bald Machtkämpfe aufflammten, die im<br />

Mai 1994 zu einem militärischen Konflikt<br />

eskalierten. Schließlich eroberte der Norden<br />

im Juli 2004 Aden, die Hauptstadt des Südens,<br />

und stellte die Einheit endgültig her.<br />

So wurde eine ungenügend vorbereitete und<br />

abgesicherte Vereinigung kriegerisch vollendet.<br />

In Deutschland trat Ostdeutschland nach<br />

Artikel 23, Grundgesetz, der Bundesrepublik<br />

bei. Dieser Fall wird in Korea als Modell für<br />

die Absorption eines Landesteils durch den<br />

anderen betrachtet. So werden in Südkorea<br />

drei Basismodelle von Wiedervereinigungen<br />

unterschieden, nämlich durch Krieg, Vereinbarung<br />

und Absorption. 18<br />

Einen anderen Ansatz wählt das Samseong<br />

Economy Research Institute in einer<br />

1996 veröffentlichten Studie, die besonders<br />

häufig zitiert wird. Man geht von zwei<br />

grundlegenden Variablen aus, die den Prozess<br />

und die Form der Vereinigung entscheidend<br />

prägen sollen. Diese beiden Variablen sind der<br />

Charakter der nordkoreanischen Führung und<br />

die Nordkoreapolitik der USA und Südkoreas.<br />

Durch Kombination dieser Variablen lassen<br />

sich vier Szenarien bilden: 1. Vereinigung<br />

durch Vereinbarung, 2. durch Anreize, 3. durch<br />

Zusammenbruch und 4. durch militärische<br />

Konfrontation (Schaubild 1).<br />

Seite 23


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

Schaubild 1: Vereinigungsszenarien<br />

1. Vereinigung durch Vereinbarung bedeutet,<br />

dass sich „die Führungen von Nord- und<br />

Südkorea dem Willen des Volkes folgend<br />

den Zusammenschluss der beiden Staaten als<br />

gleichwerte Partner vereinbaren“ (Ku u.a. 1996:<br />

24). Dies wäre unter der Bedingung möglich,<br />

dass die nordkoreanische Führung stark genug<br />

ist, ihre Parteiendiktatur aufrecht zu erhalten.<br />

Zugleich müssten Südkorea und die USA<br />

Nordkorea wirtschaftlich unterstützen, um<br />

den Lebensstandard in Nordkorea zu<br />

verbessern.<br />

Seite 24<br />

Offensichtlich hat man hier das<br />

chinesische Modell vor Augen, zumal<br />

in dieser Studie ausdrücklich erwähnt wird, dass<br />

das nordkoreanische Regime in der Lage sein<br />

müsse, einen Volksaufstand wie den auf dem<br />

Platz des Himmlischen Friedens 1989 unter<br />

Kontrolle zu bringen. Denn es wäre durchaus<br />

vorstellbar, dass sich mit der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung der Informationstand und das<br />

politische Bewusstsein der Bevölkerung soweit<br />

entwickelte, dass sie die Parteiendiktatur<br />

nicht mehr ertragen wollten (Ku u.a. 1996:<br />

27). In dieser Studie wird angenommen, dass<br />

die politische Führung Nordkoreas nach der<br />

Unterdrückung eines Volksaufstandes noch<br />

stärker werden würde und sich schließlich,<br />

wie in China, in eine Entwicklungsdiktatur<br />

verwandeln könnte. In diesem Fall würden<br />

sich die Diskrepanzen zwischen Nord- und<br />

Südkorea verringern, ebenso wie die gegenseitige<br />

Entfremdung und Feindschaft. Je<br />

länger die friedliche Koexistenz zwischen<br />

beiden Regimes andauere, desto gemäßigter<br />

werde die nordkoreanische Führung, während<br />

sich im Süden eine von Mittelschichten und<br />

Intellektuellen getragene Einigungsbewegung<br />

so stark entwickeln würde, dass sie durch die<br />

Regierung nicht mehr kontrollierbar wäre. Erst


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

dann würden die Führung beider Länder aus<br />

ihrer Schwäche als gleichwertige Partner eine<br />

friedliche Vereinigung vereinbaren können.<br />

2. „Vereinigung durch Anreize“ soll bedeuten,<br />

dass „die USA und Südkorea ihre Hilfe für<br />

Nordkorea dazu nutzen, Nordkorea nach dem<br />

südkoreanischen Modell zu transformieren,<br />

um schließlich die Vereinigung unter südkoreanischer<br />

Führung zu verwirklichen“ (Ku u.a.<br />

1996: 28). Dieser Fall setzt eine gemäßigte<br />

Führung in Nordkorea voraus. Diese würde,<br />

falls die USA und Südkorea Nordkorea wirtschaftlich<br />

unterstützen, eine Öffnungs- und<br />

Reformpolitik verfolgen, jedoch nicht in der<br />

Lage sein, stärker werdende gesellschaftliche<br />

Forderungen nach Veränderung zu unterdrücken.<br />

Deshalb würde das Regime allmählich<br />

politisch instabil werden. Soweit gemäßigte<br />

Kräfte an der Macht blieben, sei die Wahrscheinlichkeit<br />

hoch, dass die politische Führung<br />

zunehmend pro-südkoreanisch würde. Dann<br />

könnten Südkorea und die USA in Absprache<br />

mit den Nachbarländern Nordkorea Südkorea<br />

beitreten lassen.<br />

3. Vereinigung durch Zusammenbruch<br />

bedeutet eine Art der Vereinigung, bei „der<br />

Nordkorea wegen der inneren Widersprüche<br />

und Konflikte zusammenbricht und Südkorea<br />

Nordkorea absorbiert“ (Ku u.a. 1996: 31). Diese<br />

Form der Vereinigung wäre vorstellbar, wenn<br />

einerseits nordkoreanische Führung schwach<br />

und ineffizient ist und ihre Politik im Inneren<br />

wiederholt Rückschläge erlebt, und andererseits<br />

die USA und Südkorea einen konfrontativen<br />

Kurs einschlagen und durch ihre Blockadepolitik<br />

gegenüber Nordkorea eine möglichst<br />

frühzeitige Vereinigung herbeiführen wollten.<br />

Durch die Blockadepolitik könnte sich die<br />

wirtschaftliche Lage und insbesondere das<br />

Energieproblem so sehr verschlechtern, dass<br />

ein Putsch nicht mehr auszuschließen wäre.<br />

Soweit nach dem Putsch eine gemäßigte<br />

Gruppe die Macht ergriffe, wäre eine Vereinigung<br />

durch Anreize möglich, falls aber Hardliner<br />

in Pyongyang an die Macht kämen, wäre<br />

auch eine militärische Konfrontation nicht<br />

auszuschließen. Sollten sich weder gemäßigte<br />

Kräfte noch Hardliner durchsetzen können<br />

und politische Unruhen fortdauern, wäre<br />

eine Vereinigung durch Zusammenbruch des<br />

nordkoreanischen Regimes möglich.<br />

4. Vereinigung durch militärische Konfrontation<br />

ist schließlich eine Form der Vereinigung,<br />

die durch eine Niederlage Nordkoreas<br />

im Kriegsfall möglich würde. So könnte<br />

Nordkorea einen Krieg bzw. Präventivschlag<br />

der USA provozieren, etwa aus Verzweiflung<br />

in einer nicht mehr auflösbaren Krise (Ku<br />

u.a. 1996: 35). Diese Form der Vereinigung<br />

wäre allerdings nur dann möglich, wenn<br />

China entschiede nicht zu intervenieren. Das<br />

wäre dann möglich, wenn China aus eigenen<br />

realpolitischen Interessen und weil der<br />

Zusammenbruch Nordkoreas ohnehin nicht<br />

zu vermeiden wäre, Hilferufe der nordkoreanischen<br />

Führung ignorierte. Außerdem wird<br />

in der Studie die Möglichkeit eines Präventivschlages<br />

der USA (wie auch immer begründet)<br />

nicht ausgeschlossen.<br />

Seite 25


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

Seite 26<br />

Schaubild 2: Szenarien der Vereinigung


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

Die Autoren der Samseong Studie meinen,<br />

dass von den vier Szenarien das zweite, d.h. die<br />

Vereinigung durch Anreize das wahrscheinlichste<br />

ist. Ihm folgt das Zusammenbruchsszenario,<br />

dann das Vereinbarungsszenario und<br />

schließlich das der Vereinigung durch einen<br />

militärisch ausgetragenen Konflikt. Sie halten<br />

die letzten beiden Szenarien für wenig wahrscheinlich.<br />

Freilich müssten auch die Vorstellungen der<br />

politischen Akteure beachtet werden. Wenn<br />

sie Befürworter einer möglichst schnellen<br />

Vereinigung sind, werden sie eine Vereinigung<br />

durch militärische Konfrontation und durch<br />

Zusammenbruch vorziehen. Hingegen werden<br />

die Befürworter einer friedlichen Vereinigung<br />

die Varianten einer Vereinigung durch Vereinbarung<br />

bzw. durch Anreize vorziehen.<br />

Einschränkend wird am Schluss der Studie<br />

zu bedenken gegeben, dass es auch noch andere<br />

Szenarien geben könne, die durch diese<br />

vier Grundtypen nicht erfasst werden, daneben<br />

auch Mischformen.<br />

Diese Studie von Samseong nimmt einen<br />

zentralen Platz in der südkoreanischen Vereinigungsdiskussion<br />

ein. Doch sind in den letzten<br />

Jahren noch einige andere Arbeiten dazugekommen.<br />

In einem von CSIS (Center for Strategic<br />

and International Studies, Washington)<br />

2002 veröffentlichten Bericht, „A Blueprint for<br />

U.S. Policy toward a Unified Korea“ werden<br />

drei Formen der Vereinigung vorgestellt: Vereinigung<br />

durch friedliche Integration, durch<br />

Zusammenbruch und durch Krieg (CSIS 2002:<br />

3-9). In diesem Bericht wird die friedliche<br />

Integration als „soft landing“ und Vereinigung<br />

durch Krieg als „hard landing“ bezeichnet.<br />

Das Korea Institute for National Unification<br />

(KINU) veröffentlichte 2002 eine Studie über<br />

die Formen der Vereinigung. Die Experten in<br />

Südkorea seien sich einig, dass die Formen der<br />

Vereinigung unter dem Dach von drei Vereinigungstypen<br />

gefasst werden können, nämlich<br />

der Vereinigung durch Vereinbarung, durch<br />

Absorption und durch Krieg. Die Vereinigung<br />

durch Anreize und durch Zusammenbruch<br />

der Samseong Studie werden in die Kategorie<br />

der Absorption eingeordnet (Pak Yŏng-ho u.a.<br />

2002: 12).<br />

Die KINU-Studie beschreibt die Vereinigung<br />

durch Vereinbarung als eine Form, in der<br />

Nord- und Südkorea durch lange friedliche<br />

Koexistenz und lebhafte Kooperation mehr<br />

und mehr zu einer faktischen Gemeinschaft<br />

werden und schließlich beschließen, sich zu<br />

vereinen. Diese Form gilt als ideale Methode,<br />

um die Kosten der Vereinigung und die negativen<br />

Folgen und das Chaos im Vereinigungsprozess<br />

gering zu halten. Dies setze jedoch<br />

eine Transformation des nordkoreanischen<br />

Regimes durch eine erfolgreiche Reform- und<br />

Öffnungspolitik voraus.<br />

Bei der Vereinigung durch Absorption<br />

stand Deutschland Pate. Auch dieses Szenario<br />

setzt eine gewisse Transformation des nordkoreanischen<br />

Regimes voraus.<br />

Seite 27


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

Schließlich wird die Vereinigung durch<br />

Krieg zwar als eine theoretisch mögliche Form<br />

der Vereinigung betrachtet, doch sind sich die<br />

Experten einig, dass diese Form der Vereinigung<br />

unbedingt vermieden werden muss (Pak<br />

Yŏng-ho 2002: 12-13).<br />

Auch Cho Min hält diese drei Formen<br />

der Vereinigung für denkbar (Cho Min 2006:<br />

85). Auch für ihn ist die Vereinigung durch<br />

Vereinbarung die beste Form. Sie sei eine<br />

1:1 Vereinigung, setze aber voraus, dass das<br />

nordkoreanische Regime die gegenwärtigen<br />

Schwierigkeiten relativ gut überwinde, die<br />

friedliche Koexistenz der beiden Staaten für<br />

lange Zeit andauere und sie durch wirtschaftliche<br />

Kooperation praktisch eine Gemeinschaft<br />

bildeten. Dann wäre eine politische<br />

Entscheidung zum Zusammenschluss der beiden<br />

Länder vorstellbar (Cho Min 2006: 85).<br />

Auffallend ist, dass die neueren Studien<br />

die Vereinigung durch Vereinbarung übereinstimmend<br />

als ideale Form betrachten. Hingegen<br />

gründete sich die Diskussion vor der<br />

Asienkrise auf die Annahme eines schnellen<br />

Zusammenbruchs des Nordens. In einer 1994<br />

von Ch’oe Pyŏng-gil durchgeführten Expertenbefragung<br />

waren die meisten überzeugt,<br />

dass das Regime im Norden zwischen 1998<br />

und 2000 zusammenbrechen und im Süden<br />

durch den Abzug der US-Truppen und entsprechende<br />

Verfassungsänderungen<br />

bessere Voraussetzungen für eine Ver-<br />

Seite 28 einigung geschaffen werden würden.<br />

Aufgrund dieser Befragung war sich<br />

Ch’oe sicher, dass „im Jahr 2000 eine<br />

Vereinigung Koreas in Form der Absorption<br />

von Nordkorea durch Südkorea stattfinden<br />

wird“ (Ch’oe Pyŏng-gil 1994: 886-887).<br />

Eine im Zusammenhang mit der Studie<br />

von Samseong durchgeführte Befragung<br />

ergab 1996, dass die Hälfte der befragten 20<br />

Experten eine Vereinigung durch Anreize und<br />

45% eine Vereinigung durch Zusammenbruch,<br />

d.h. insgesamt 95% eine Vereinigung durch<br />

Absorption, für am wahrscheinlichsten hielten.<br />

Die Zeitspannen bis zur Vereinigung wurden<br />

unterschiedlich eingeschätzt: Im Falle einer<br />

Vereinigung durch Vereinbarung rechnete man<br />

mit mehr als 20 Jahren, bei einer Vereinigung<br />

durch Anreize mit 5-15 Jahren, bei einer<br />

Vereinigung durch Zusammenbruch mit 3-10<br />

Jahren und schließlich im Falle einer Vereinigung<br />

durch militärische Konfrontation mit<br />

3-5 Jahren (Ku u.a. 1996: 45). Dass die meisten<br />

Experten in den 1990er Jahren einen schnellen<br />

Zusammenbruch und die anschließende<br />

Absorption Nordkoreas durch Südkorea für<br />

am wahrscheinlichsten hielten, lag wohl daran,<br />

dass man die Überlebensfähigkeit des nordkoreanischen<br />

Regimes für gering hielt.<br />

Das KINU veröffentlichte 1996 die Studie<br />

„Analyse über das Niveau der Krise des sozialistischen<br />

Systems in Nordkorea und seine<br />

Überlebenskapazität“, die damals große Aufmerksamkeit<br />

auf sich zog. In ihr werden Veränderungen<br />

von 5 Krisenindikatoren (Ideologie,<br />

Elite, Wirtschaft, Kontrolle, internationale Beziehung)<br />

zwischen 1986 und 1995 untersucht.<br />

Die Krisenindikatoren nehmen zu Beginn<br />

1990er Jahre deutlich zu und sollen bereits<br />

1992 den kritischen Punkt der Systemkrise erreicht<br />

haben. Auch wenn das nicht gleich eine<br />

revolutionäre Veränderung des Systems bedeuten<br />

müsse, wurde das nordkoreanische System<br />

als instabil bewertet. Eine große Schwäche des<br />

nordkoreanischen Regimes sei darüber hinaus,<br />

dass seine „Moralität“ international nicht aner-


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

kannt werde, die internationale wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit unterentwickelt sei und das<br />

Land über sicherheitspolitisch wichtige Ressourcen<br />

wie Nahrungsmittel und Energie nicht<br />

in ausreichendem Maße verfüge. Als Stärken<br />

wurde gesehen, dass die staatlichen Apparate<br />

gut funktionierten und die Solidarität innerhalb<br />

der Elite stark ausgeprägt sei. Man kam<br />

zu dem Schluss, dass die Krisenindikatoren<br />

zwischen 2001 und 2008 den kritischen Punkt<br />

einer revolutionären Veränderung des Regimes<br />

erreichen und überschreiben würden, falls des<br />

diesem nicht gelingen sollte, die Krisenentwicklung<br />

aufzuhalten. Man erwartete also<br />

drastische Veränderungen zwischen 2001 und<br />

2008.<br />

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ein<br />

CIA „Intelligence Report“ vom 21. Januar<br />

1998, der den Zusammenbruch des nordkoreanischen<br />

Regimes innerhalb von fünf Jahren<br />

prognostiziert (CIA 1998: 4). Es ist bekannt,<br />

dass die Clinton Regierung aus dieser Erwartung<br />

heraus bei den Verhandlungen 1993/94 in<br />

Genf die Zusage machte, als Gegenleistung für<br />

den Verzicht auf das Atomprogramm Nordkoreas<br />

bis 2003 einen Leichtwasser Reaktor in<br />

Nordkorea zu bauen. Damals hatte niemand in<br />

der US-Regierung geglaubt, dass Kim Jong Il<br />

dann noch an der Macht sein würde (New York<br />

Times, 27.10.2006).<br />

Seit Anfang 2007 führen die USA wieder<br />

mit Nordkorea Gespräche. Das zeigt, wie<br />

schwer Vorhersagen für eine verschlossene<br />

Gesellschaft wie Nordkorea zu machen sind.<br />

Trotzdem sind sich koreanische Experten<br />

heutzutage weitgehend einig, dass eine Vereinigung<br />

durch Absorption, der ein Zusammenbruch<br />

des nordkoreanischen Regimes<br />

vorausgeht, immer noch sehr wahrscheinlich<br />

sei (Pak Yŏng-ho 2002: 15). Allerdings hält<br />

man sich bei der Nennung des Zeitpunkts des<br />

Zusammenbruchs bedeckt.<br />

In der neueren Analyse, die sich u.a. auf<br />

Interviews mit nordkoreanischen Flüchtlingen<br />

stützt, kommen die KINU-Forscher zu<br />

folgendem Ergebnis: „Es sieht, solange das soziale<br />

Kontrollsystem und der Zusammenhalt<br />

der Elite fortbestehen, auch wenn die Ideologie<br />

wackelt und immer mehr Information<br />

über das Ausland bekannt werden, nicht nach<br />

einem baldigen Zusammenbruch des Regimes<br />

von Kim Jong Il aus.“ Einen wichtigen Grund<br />

dafür sehen sie in der Abwesenheit alternativer<br />

Kräfte, die größere Veränderungen<br />

in Nordkorea herbeiführen könnten (Chŏn<br />

Hyŏn-jun u.a. 2006: 206). Deshalb könne<br />

sich das nordkoreanische Regime trotz UN-<br />

Sanktionen und der gespannten Beziehungen<br />

China, die dem Atomtest von Oktober 2006<br />

folgten, durch Staatssicherheit, Partei und<br />

Militär weiterhin an der Macht halten. Deshalb<br />

warnen die KINU-Forscher vor einer<br />

allzu strengen Blockadepolitik gegenüber<br />

Nordkorea. Sie könnte neuerlich zum Krieg<br />

auf der koreanischen Halbinsel führen und<br />

man könnte auch dann nicht damit rechnen,<br />

dass das Regime in wenigen Jahren zusammenbricht.<br />

(Chŏn Hyŏn-jun u.a. 2006: 213).<br />

In beiden Fällen würde die zivile Bevölkerung<br />

die Hauptleidtragende sein. Hinzu<br />

kommt, dass die Bürger in Nordkorea<br />

die Verantwortung in erster Linie bei<br />

Seite 29<br />

den USA, nicht aber bei Kim Jong Il<br />

sehen. So kommen sie zu dem Schluss: „Auch<br />

wenn es bis zur Lösung der Nordkoreafrage<br />

noch eine Weile dauern wird, gibt es im Moment<br />

keine Alternative dazu, das Bewusstsein


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

der Bürger in Nordkorea durch wirtschaftliche<br />

Unterstützung zu verändern ... und dadurch<br />

einen Nährboden für die Demokratisierung<br />

zu schaffen.“ (Chŏn Hyŏn-jun u.a. 2006: 216).<br />

Das steht im Einklang mit der Nordkoreapolitik<br />

von Kim Dae Jung und Roh Moo Hyun.<br />

3. Die Wi e d e rv e r e i n i g u n g s s t r at e g i e d e r<br />

s ü d k o r e a n i s c h e n Re g i e r u n g<br />

Das Parlament hat die Regierung 2006<br />

aufgefordert, ihre Strategie für die Wiedervereinigung<br />

Koreas vorzulegen. Darauf hin<br />

erklärte die Regierung, es gebe keinen anderen<br />

Plan außer dem der „Strategie für Vereinigung<br />

als nationale Gemeinschaft“, die den<br />

Geist der „Strategie für die Vereinigung der<br />

Han-Volksgemeinschaft“ von 1989 fortführe.<br />

Diese Strategie sei im Zuge einer breiten<br />

öffentlichen Diskussion und unter Einbeziehung<br />

der Bürger konzipiert worden. Dieser<br />

Strategie zufolge würde die Vereinigung in<br />

drei Stufen, nämlich Versöhnung und Kooperation,<br />

Verbund und schließlich Vereinigung,<br />

vollzogen werden. Gegenwärtig befänden<br />

sich beide Staaten in der ersten Phase der<br />

Versöhnung und Kooperation. Deshalb seien<br />

die militärische Entspannung, die wirtschaftliche<br />

Kooperation und die Friedenssicherung<br />

vorrangige Aufgaben. Die stünden deshalb<br />

auch im Mittelpunkt der Politik der<br />

Regierung.<br />

Seite 30<br />

Die erwähnte „Strategie für die<br />

Vereinigung der Han-Volksgemeinschaft“<br />

wurde 1989 von Präsident Roh Tae<br />

Woo (1988-1992) zum ersten Mal vorgestellt.<br />

Darin wird betont, dass die Volksgemeinschaft<br />

durch Kooperation der beiden Länder wiederherzustellen<br />

und zu entwickeln sei. Die Grundidee<br />

war, zunächst durch ein Gipfeltreffen<br />

zu einem Verbund zu gelangen und auf dieser<br />

Grundlage einen vereinigten koreanischen<br />

Staat zu gründen. Die Regierung von Kim<br />

Young Sam (1993-1997) hat darauf aufbauend<br />

einen dreistufigen Plan von Versöhnung-Verbund-Vereinigung<br />

unter dem Titel „Strategie<br />

für die Vereinigung als Volksgemeinschaft“<br />

vorgestellt (Schaubild 3). Dieser Plan bleibt bis<br />

heute Grundlage der Regierungspolitik.<br />

Berücksichtigt man, dass alle Strategien der<br />

südkoreanischen Regierung bis 1989 auf dem<br />

Antikommunismus beruhte, bedeutete der<br />

Vorschlag von Roh Tae Woo eine dramatische<br />

qualitative Wende in der südkoreanischen<br />

Wiedervereinigungspolitik. Allerdings blieb es<br />

sowohl bei der Regierung von Roh Tae Woo<br />

als auch der von Kim Young Sam lediglich bei<br />

Absichtserklärungen. Man kann nicht sagen,<br />

dass sie sich um Versöhnung und Kooperation<br />

bemüht hätten. Die Regierung Kim Young Sam<br />

ging vielmehr von einem baldigen Zusammenbruch<br />

Nordkoreas aus und konzipierte ihre tatsächliche<br />

Strategie entsprechend. Es hieß, „die<br />

Vereinigung auf der koreanischen Halbinsel ist<br />

kein Problem einer fernen Zukunft, sondern<br />

eine aktuelle Aufgabe, mit der wir, ob wir es<br />

wollen oder nicht, jederzeit konfrontiert werden<br />

können. Die Vereinigung ist eine Aufgabe,<br />

die nicht verschoben oder auf die verzichtet<br />

werden kann. Die Vorbereitungen auf die<br />

Vereinigung müssen deshalb in allen Bereichen<br />

von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur<br />

getroffen werden. Die Bevölkerung muss<br />

bereit sein, alle notwendigen Entbehrungen<br />

und Opfer wegen der Vereinigung zu ertragen.<br />

Vereingung bedeutet ein Teritorrium (territo-


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

Schaubild 3: Strategie für die Vereinigung der Han-Volksgemeinschaft<br />

riale Vereinigung), eine Institution (politische<br />

Vereinigung), eine Nation (nationale Einheit),<br />

ein Leben (wirtschaftliche, gesellschaftliche<br />

und kulturelle Vereinigung) zu schaffen.“<br />

(Hwang/ Kim 2000: 191)<br />

Die Regierung Kim Dae Jung distanzierte<br />

sich 1998 von der Annahme eines baldigen<br />

Zusammenbruchs und einer Absorption Nordkoreas<br />

durch Südkorea. Stattdessen erklärte sie,<br />

die Grundidee der „Strategie für Vereinigung<br />

der Volksgemeinschaft“ umsetzen zu wollen.<br />

Die Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea<br />

seien noch nicht einmal in die erste Phase<br />

eingetreten. Deshalb sei die Verwirklichung der<br />

Versöhnung die erste Aufgabe der Regierung.<br />

Die Position der Kim Dae Jung Regierung<br />

lässt sich wie folgt zusammenfassen: Nordkorea<br />

ist zwar ein gescheitertes Regime und wird deshalb<br />

u.U. nicht mehr lange überleben können,<br />

aber ein baldiger Zusammenbruch des Regimes<br />

sei unwahrscheinlich und für Südkorea<br />

nicht wünschenswert. Denn dadurch könnten<br />

chaotische Zustände einkehren und enorme<br />

Kosten entstehen, die für Südkorea nicht leicht<br />

zu tragen wären. Deshalb müsse sich Südkorea<br />

gegenwärtig nicht um eine schnelle Vereinigung,<br />

sondern um die Sicherung des Friedens<br />

und der friedlichen Koexistenz bemühen. Dafür<br />

müssten alle Hindernisse beseitigt werden.<br />

Dies bedeute etwa auch die Auflösung der<br />

Strukturen des Kalten Krieges auf<br />

der koreanischen Halbinsel. Nur auf<br />

diesem Weg sei auf längere Sicht eine<br />

Seite 31<br />

„de-facto-Vereinigung“ Koreas zu<br />

verwirklichen. De-facto-Vereinigung bedeute,<br />

dass Nordkorea und Südkorea ihre jeweiligen<br />

politischen Systeme aufrechterhalten, gleichzeitig<br />

aber ihren Bürgern ermöglichen, sich


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

gegenseitig und ohne große administrative<br />

Hürden besuchen und helfen zu können.<br />

Diese Situation entspreche der einer Vereinigung,<br />

aber eben einer, in der es zwei Staaten,<br />

einen im Norden und einen im Süden, gebe.<br />

(Im Tong-wŏn 1999; Ministry of Unification<br />

1999). Die Vereinigungsstrategie der Kim Dae<br />

Jung Regierung unterscheidet sich allerdings<br />

insofern von der Kim Young Sams, dass sie<br />

den Verbund als erste Phase definiert, in der<br />

zweiten Phase die Bildung einer Konföderation<br />

und in der dritten Phase die vollständige<br />

Vereinigung anstrebt (s. Schaubild 4).<br />

ein solcher Verbund tatsächlich entstehen,<br />

wäre die Vereinigung de facto erreicht, die<br />

Gefahr einer militärischen Konfrontation beseitigt<br />

und der Weg für eine weitere friedliche<br />

Annäherung geebnet (Cho Min 2006: 102)<br />

Man kann kaum bestreiten, dass die Roh<br />

Moo Hyun Regierung die Strategie von Kim<br />

Dae Jungs Regierung erfolgreich fortführt und<br />

sich intensiv um die Lösung Nuklearproblems<br />

und die Friedenssicherung bemüht (Cho Min<br />

2005: 34). Das 2005 verabschiedete Gesetz für<br />

die Entwicklung der Beziehungen zwischen<br />

Verbund von<br />

Nord- und Südkorea<br />

Konföderation<br />

Vereinigung<br />

Schaubild 4: Dreistufenmodell zur Vereinigung - Kim Dae Jung Regierung<br />

Anlässlich des Gipfeltreffens 2000 haben<br />

Kim Dae Jung und Kim Jong Il in der sog. „15.<br />

Juni Deklaration“ erklärt, dass es zwischen dem<br />

südkoreanischen dreistufigen Plan und der<br />

nordkoreanischen Strategie durchaus Gemeinsamkeiten<br />

gibt. So steht in dieser Deklaration,<br />

die Schaffung eines Nord-Süd-Verbundes als<br />

Vorstufe der Vereinigung zu betrachten. Der<br />

Nord-Süd-Verbund wird zwar, etwa<br />

im Vergleich zur Europäischen Uni-<br />

Seite 32 on, eine wesentlich unverbindlichere<br />

Form annehmen, doch waren sich die<br />

beiden Staatschefs einig, dass dieser<br />

Verbund zumindest dafür sorgen werde, dass<br />

„der Vereinigungsprozess der beiden geteilten<br />

Staaten nicht außer Kontrolle gerät“. Würde<br />

Nord- und Südkorea belegt diese Entschlossenheit<br />

der Regierung. Die letzten Runden<br />

der Sechs-Parteien-Gespräche, die bilateralen<br />

Gespräche zwischen den USA und Nordkorea<br />

und die am 13.Februar 2007 in Peking unterzeichnete<br />

Vereinbarung zeigen, dass friedliche<br />

Annäherungs- und Entspannungspolitik Südkoreas<br />

keine hoffnungslose Träumerei ist und<br />

möglicherweise schon bald einige der erhofften<br />

Früchte tragen wird (Ch’oe Yong-hwan 2007:<br />

47).


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

Fu s s n o t e n<br />

1 Die Entscheidung Kim Il Sungs 1950, Südkorea anzugreifen,<br />

wurde u.a. durch die amerikanische Entscheidung Anfang 1950<br />

bestärkt, Südkorea keine militärische Hilfe mehr zu gewähren<br />

und das Land aus der US-Verteidigungslinie im Pazifik („Acheson<br />

line“) herauszunehmen. Zudem wollte er die innenpolitische<br />

Schwäche der Regierung Rhee Syng Man nutzen. Er ging<br />

davon aus, dass er im Süden als Befreier, der die beiden Koreas<br />

wiedervereinigt und die unbeliebte Regierung des alten Rhee<br />

stürzt, begrüßt werden würde. Er verkalkulierte sich, weil er die<br />

neue Strategie der USA, die nach dem Sieg der Kommunisten in<br />

China keine weitere Expansion des Kommunismus in Ostasien<br />

hinnehmen wollten, nicht vorhergesehen hatte (Suh 1997: 2).<br />

Er fühlte sich aber nicht nur militärisch, sondern auch politisch<br />

überlegen, da sich die Regierung Südkoreas großenteils auf Kollaborateure<br />

aus der japanischen Kolonialzeit stützte, während<br />

die nordkoreanische Führung aus ehemaligen Unabhängigkeitskämpfern<br />

bestand. Kim betrachtete diesen Krieg auch als<br />

Fortsetzung des Befreiungskrieges, weil sich unter den Anführern<br />

der südkoreanischen Truppen viele befanden, die während der<br />

Kolonialzeit als Mitglieder der „Kando Cooperation Society“<br />

(Kando T’ŭksŏldae) die Unabhängigkeitskämpfer verfolgt hatten<br />

(vgl. Han, Hong-Koo 2001). Zum historischen Hintergrund<br />

der politischen Legitimität der nordkoreanischen Führung unter<br />

Kim Il Sung, siehe Han, Hongkoo 1999.<br />

2 In der Tat hatte General Douglas MacArthur, in Personalunion<br />

Chef der US-Streitkräfte und Oberkommandierender der UN-<br />

Verbände, vorgeschlagen, das Kriegsgeschehen durch den Einsatz<br />

von mehreren Dutzend Atombomben abzukürzen.<br />

3 Diese Rede ist in Kim, Il-Sung 1978: 51-61, abgedruckt.<br />

5 Es ist auffallend, dass Nordkorea auf Demokratisierungsversuche<br />

im Süden stets mit vermehrter Kooperationsbereitschaft,<br />

auf eine Rückkehr zu staatlicher Repression mit einer kooperativ<br />

ummantelten „Abgrenzungspolitik“ und auf eine darüber<br />

hinausgehende Kriegsatmosphäre mit einer unverhüllten<br />

Revolutionsstrategie für Südkorea reagierte. Vgl. Grabowski<br />

1987: 19-21.<br />

6 Die Wortwahl in den Erklärungen Kims lässt deutlich<br />

erkennen, dass er die politische Führung des Südens kaum als<br />

Gesprächspartner, sondern vielmehr als zu vernichtende Feinde<br />

betrachtete. Worte wie „Marionette“ (Koeroe), „Verräter-Bande“<br />

(Tobae) oder „Fascho“ sind die Bezeichnungen, die er für die<br />

Führung Südkoreas immer wieder verwendete, selbst in seinen<br />

Vorschlägen zur Verwirklichung der Wiedervereinigung.<br />

7 Die Führung Nordkoreas lehnte zunächst jeglichen Kontakt<br />

mit der Regierung Chun ab (vgl. Yang, Sŏng-Ch’ŏl 1994a:<br />

406). Während seiner Amtszeit fand dennoch eine Reihe von<br />

Gesprächen statt, z.B. zwischen Sportsfunktionären (1985-<br />

1987), den Rotes-Kreuz-Gesellschaften (1985), die Gespräche<br />

über wirtschaftliche Zusammenarbeit (1984-85) und zur<br />

Vorbereitung der Treffen von Parlamentariern beider Länder<br />

(1985).<br />

8 Bis Mitte der 70er Jahre hatten Süd- und Nordkorea bereits<br />

mehrere Aufnahmegesuche eingereicht (14 bzw. 5 mal), doch<br />

scheiterten alle Versuche an den unterschiedlichen Positionen von<br />

Seoul und Pyongyang.<br />

9 In diesem Sinne meint ein südkoreanischer Forscher, die Regierung<br />

von Kim Young Sam sei von der „Ideologie des Kalten<br />

Krieges“ gefangen gewesen und habe deshalb die für Korea<br />

gerade günstig gewordene internationale Lage nicht zur Verbesserung<br />

der Nord-Süd-Beziehung nutzen können bzw. wollen.<br />

Kim, Yun-Su 2000: 1-2.<br />

4 In den Jahren 1954-56 zeichnete sich die nordkoreanische<br />

Industrie durch sehr schnelles Wachstum aus, so dass die Industrieproduktion<br />

das Niveau der Vorkriegszeit 1956 schon wieder<br />

erreicht hatte (Ch’oe 1993: 182). In den folgenden 3 Jahren wuchs<br />

die Industrieproduktion jährlich 45%, bzw. nach Berechnungen<br />

eines amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers 36%. Nach<br />

dessen Angaben lag das durchschnittliche Wachstum 1950-64<br />

bei 15.6% (Lee, Bong-Sok 1993: 196-203). Hingegen befand<br />

sich Südkorea unter Rhee Syng Man sowohl wirtschaftlich als<br />

auch politisch in einer schwierigen Lage. 1960 hatte der Norden<br />

mit einem Prokopfeinkommen von 137 Dollar den Süden (79<br />

Dollar) weit überholt. Bis zu Beginn der siebziger Jahre blieb<br />

der Norden dem Süden wirtschaftlich eindeutig überlegen. Siehe<br />

dazu Lee, Won-Myung 1989: 136.<br />

10 1992 veröffentlichte das Korea Development Institute<br />

(KDI) in Seoul eine Studie über die Kosten der koreanischen<br />

Wiedervereinigung. Danach müsse Südkorea nach einem<br />

Zusammenbruch des Nordens bzw. im Zuge einer<br />

schnellen Wiedervereinigung 10-12% seines Bruttosozialprodukts<br />

für den Norden aufwenden (Shin<br />

1999: 238). Seitdem wurden in Südkorea und im<br />

Ausland viele Studien über die Kosten der Einigung<br />

veröffentlicht (Sin 1998: 14). Im Juni 1997<br />

stellte das KDI eine revidierte Studie vor, in der die Kosten der<br />

Wiedervereinigung als durchaus tragbar für die südkoreanische<br />

Wirtschaft dargestellt werden (Yi/ Chŏn 1997: 559).<br />

Seite 33


11. Wiedervereinigungsdebatte<br />

Vorwort<br />

11 Als Japan im Mai 1995 die von Nordkorea erbetenen Reislieferungen<br />

davon abhängig machte, dass auch Hilfe aus Seoul<br />

angenommen würde, lehnte Pyongyang die japanische Hilfe ab;<br />

es herrsche kein Mangel.<br />

12 Zwischen Dezember 2000 und März 2001 nahmen in kurzer<br />

Folge Großbritannien, Spanien, die Niederlande, Belgien,<br />

Deutschland und Luxemburg diplomatische Beziehungen zu<br />

Nordkorea auf. Über den Sinn der neuen Nordkoreapolitik<br />

der EU schieden sich die Geister: Kay Möller warnte vor einer<br />

möglichen Spaltung der westlichen Allianz wegen Nordkorea<br />

(Möller 2001). Hingegen verlangte Ronald Meinardus, die EU<br />

solle eine noch aktivere vermittelnde Rolle spielen (Meinardus<br />

2001).<br />

13 Bei einer Umfrage Ende Dezember 2000 meinten über 70%<br />

der Befragten, dass sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern<br />

verbessert hätten. Jungaang Ilbo, 3.1.2001: 10.<br />

14 Bei der gleichen Meinungsumfrage (letzte Fn.) waren 57,3%<br />

dafür, die Hilfe für den Norden zu reduzieren bzw. zu verbieten;<br />

72,8% der Befragten verlangten, dass die Regierung unbedingt<br />

die Zustimmung der Bevölkerung einholen müsse, bevor sie dem<br />

Norden Hilfe gewähre. Joongang Ilbo, 3.1.2001: 10.<br />

15 Oktober 2002 soll Nordkorea beim Besuch von Christopher<br />

Hill in Pyongyang die Existenz von Plänen für die Entwicklung<br />

von Atombomben bestätigt haben. Dies war der Beginn<br />

einer erneuten „Atomkrise“ wegen Nordkorea. Wurde die erste<br />

Atomkrise von 1993/1994 durch Genfer-Abkommen gelöst,<br />

wird angesichts der 2. Atomkrise im Rahmen der 6 Parteiengespräch<br />

den Ausweg gesucht.<br />

getragen wurde, war auch der unmittelbare Anlass für die<br />

Gründung von Internetzeitungen, die seit 2000 in der südkoreanischen<br />

Politik eine ganz wichtige Rolle spielen. S. dazu Lee<br />

Eun-Jeung 2005: 113-135.<br />

17 Wichtige Arbeiten aus dieser Zeit sind: Nicolas Eberstadt,<br />

Can Two Koreas Be One?, in: Foreign Affairs, Winter 1992/93:<br />

; Ch’oe P’yŏng-gil, Miri ponŭn Korea [Korea Vorschau], Seoul:<br />

Changwŏn 1993; Ku Chong-sŏ u.a., Nambukhan t’ongil sinario<br />

[Szenarien für Vereinigung von Nord- und Südkorea], Seoul<br />

1996; Scott Snyder, North Korea’s Decline and China’s Strategic<br />

Dilemma, United States Institute of Peace, Special Report<br />

No. 27, October 1997; Pak Yŏng-ho u.a., T’ongil sinario-wa<br />

t’ongil kwajŏngsang-ŭi chŏngch’aek ch’ujin pangan [Szenarien<br />

für die Vereinigung und Strategien für die Umsetzung der<br />

Vereinigungspolitik], KINU-Report (Korea Institute National<br />

Unification), Seoul 2002;Center for International Strategic<br />

Studies, A Blueprint for U.S. Policy toward a Unified Korea,<br />

CSIS Working Group Report, August 2002; Charles Wolf, Jr./<br />

Kamil Akramov, North Korean Paradox: Circumstances, Costs<br />

and Consequences of Korean Reunification, Report, Rand National<br />

Defense Research Institute, 2005.<br />

18 Experten in Südkorea betonen angesichts der Erfahrungen<br />

im Yemen, dass man bei einer Vereinigung durch Vereinbarung<br />

besonders auf die Bedingungen achten müsse. (Pak Yŏng-ho<br />

2002: 9)<br />

Seite 34<br />

16 Die „Farben-Debatte“ hat in Südkorea eine lange Tradition.<br />

Der Vorwurf, „rot“ angefärbt zu sein, ließ sich immer gut gegen<br />

die Kritiker autoritärer Herrscher einsetzen. Auch gegen Kim<br />

Dae Jung wurde in seiner Zeit als Oppositionsführer häufig<br />

dieser Vorwurf erhoben. Als Präsident wird ihm dann vorgeworfen,<br />

dass er das Land den Kommunisten übergeben wolle.<br />

In der vordersten Reihe der Kritiker Kim Dae Jungs stehen die<br />

Tageszeitung Choson Ilbo und die Monatszeitschrift<br />

Wolgan Chosun. Ihre Chefredakteure sehen sich in<br />

einem heiligen Kampf gegen alles was ihrer Meinung<br />

nach kommunistisch ist. Bei Cho Kab-jae, dem<br />

Chefredakteur von Wolgan Chosun, immerhin eines<br />

der auflagestärksten Monatsmagazine, fühlt man<br />

sich an die Zeiten von McCarthy in den USA erinnert. Siehe<br />

dazu z.B. seinen Artikel im Oktoberheft 2001: http://www.<br />

monthly.chosun.com/html/200109/200109020018_1.html.<br />

Die „Farbendebatte“, die von den drei konservativen Zeitungen


Ein i g e Pr o b l e m e<br />

d e r Wi e d e rv e r-<br />

e i n i g u n g s d e b at t e<br />

Seite 35


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

Kapitel 3<br />

III. Ei n i g e Pr o b l e m e d e r Wi e d e r-<br />

v e r e i n i g u n g s d e b at t e<br />

der 1990er Jahre in erster Linie auf die<br />

wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die<br />

sozialen Probleme fokussiert waren. Seitdem<br />

ist die koreanische Debatte sachlicher und<br />

objektiver geworden, doch ist sie immer noch<br />

belastet durch die frühere Fixierung auf die<br />

negativen Seiten des Einigungsprozesses in<br />

Deutschland. In diesem Abschnitt sollen<br />

nun die potentiellen Vereinigungsprobleme,<br />

auf die sich die Debatte in Korea nach der<br />

Vereinigung konzentriert, dargestellt und<br />

analysiert werden. Die wichtigsten Themen<br />

dieser Debatte sind der wirtschaftliche Aufbau<br />

Nordkoreas, die Kosten der Vereinigung,<br />

Migrationsprobleme und Fragen der Zusammenführung<br />

unterschiedlicher Wertvorstellungen,<br />

um gesellschaftliche Konflikte und<br />

Konfliktpotentiale zu überbrücken.<br />

1. Au f b a u d e r Wi rt s c h a f t u n d Ko s t e n<br />

d e r Ve r e i n i g u n g<br />

Seite 36<br />

In der Debatte über die Vereinigung Koreas<br />

hat die deutsche Erfahrung stets eine besondere<br />

Rolle gespielt. Sowohl in Zeit der<br />

Regierung Kim Young Sam, als die Annahme<br />

vom schnellen Zusammenbruch und der Absorption<br />

Nordkoreas durch den Süden die Diskussion<br />

prägte, als auch in der der Regierung<br />

Kim Dae Jung, die sich die Ostpolitik Willy<br />

Brandts zum Vorbild genommen hatte,<br />

und schließlich in der der Regierung<br />

Roh Moo Hyun, die diese Linie beibehielt,<br />

war stets eine Orientierung an<br />

der deutschen Erfahrung gegeben.<br />

Bemerkenswert ist dabei, dass die südkoreanischen<br />

Diskussionen seit dem Ende<br />

Auch ein kursorischer Blick auf die südkoreanische<br />

Vereinigungsdebatte zeigt, dass<br />

sich das Interesse von Forschern und Politikern<br />

stark auf wirtschaftliche Integrations- und<br />

Transformationsfragen konzentriert. Experten<br />

in Südkorea erklären das damit, dass man die<br />

Bedeutung der Wirtschaft im Vereinigungsprozess<br />

nicht stark genug hervorheben könne.<br />

Interessanter ist jedoch, dass sich die<br />

Debatten vor und nach der IWF-<br />

Krise (1997-8) deutlich voneinander<br />

unterscheiden.<br />

In den früheren Debatten wurde die<br />

wirtschaftliche Kooperation als Teil politischer<br />

Integrationsprozess betrachtet (Yang Mun


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

Su u.a. 2004: 15). Sie gingen erstens von der<br />

Erwartung aus, dass man stufenweise von der<br />

wirtschaftlichen Kooperation zur Integration<br />

gelangen könnte, und zweitens, dass die dafür<br />

erforderlichen Maßnahmen in beiden Staaten<br />

ohne größere Hindernisse durchgesetzt werden<br />

könnten (Kim Young-yun 1995: 74-75).<br />

In dieser Debatte der 90er Jahre wurden<br />

durchgängig Berechnungen der Vereinigungskosten<br />

angestellt (Tabelle 3). 1 Die mit der<br />

Asienkrise aufkommende Skepsis, ob Südkorea<br />

die enormen Einigungskosten überhaupt<br />

schultern könnte, gab es noch nicht. Dabei<br />

waren fast alle Experten einig, dass Südkorea<br />

eine viel größere Last als Westdeutschland zu<br />

tragen haben würde, da sich die wirtschaftliche<br />

Kapazität Südkoreas bei weitem nicht<br />

mit der westdeutschen messen konnte und<br />

die wirtschaftliche Lage Nordkoreas nicht<br />

mit der der DDR zu vergleichen war. Auch<br />

die Tatsache, dass im vereinten Deutschland<br />

Westdeutschland jährlich 4-5 Prozent seines<br />

BIP nach Ostdeutschland transferierte, konnte<br />

damals kaum jemand beeindrucken; da hätte<br />

man mit dem Wunder am Han-Fluss schon<br />

Probleme noch größerer Dimension überwunden.<br />

Die Annahme blieb die eines schnellen<br />

Zusammenbruchs und der Absorption Nordkoreas<br />

durch den Süden.<br />

Das sollte sich in Studien, die nach der<br />

Krise 1997/98 durchgeführt wurden, gründlich<br />

ändern. Es war auch die Zeit, in der mit dem<br />

Amtseintritt von Kim Dae Jung eine neue<br />

Nordkoreapolitik mit dem Schwerpunkt<br />

Versöhnung und Kooperation vorgestellt<br />

wurde, während zugleich das vormals starke<br />

Selbstvertrauen Südkoreas in die eigenen<br />

Kräfte schwer in Mitleidenschaft gezogen<br />

wurde. Da wurden schnell die ersten Stimmen<br />

laut, ob die beiden Staaten Koreas sich wirklich<br />

vereinigen müssten. 2 Als wichtiges Argument<br />

wurde die deutsche Erfahrung ins Feld geführt:<br />

Wenn selbst Deutschland wegen der Vereinigungskosten<br />

wirtschaftlich in Schwierigkeit<br />

geraten ist, wie sollte Südkorea das jemals<br />

schaffen können? Das Augenmerk der Debatte<br />

verlagerte sich. Man müsse zunächst eine<br />

Öffnung und Strukturreform der nordkoreanischen<br />

Wirtschaft herbeiführen, um dadurch<br />

die später anfallenden Vereinigungskosten zu<br />

verringern.<br />

So versuchen die meisten Studien, die seit<br />

der Asienkrise entstanden sind, in sehr detaillierter<br />

und möglichst empirisch fundierter<br />

Weise alle vorstellbaren und möglicherweise<br />

auftretenden, wirtschaftlichen Probleme der<br />

Kooperation und Integration aufzuzeigen<br />

(Yang Mun-su 2004: 106). Die deutschen<br />

„Fehler“, die man nicht wiederholen sollte,<br />

sind die Schablone, vor der diese Diskussion<br />

stattfindet. Unter dieser neuen Perspektive soll<br />

aus der deutschen Erfahrungen gelernt werden,<br />

politische Maßnahmen und Strategie zu entwickeln,<br />

um eigene Fehler und Schwierigkeiten<br />

möglichst gering zu halten. Insofern kann man<br />

sagen, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten<br />

der deutschen Einigung dazu geführt<br />

haben, dass die südkoreanische Wiedervereinigungsdebatte<br />

hauptsächlich auf wirtschaftliche<br />

Probleme eingeengt wurde.<br />

Seite 37


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

Institutionen/<br />

Personen<br />

Zeitraum Kosten Prämissen<br />

Park, Hŭng-gi (1991) 1991-2001 90-350 Mrd. (ohne Angaben)<br />

Ahn, Doo-sun (1991) 1990-2000 338 Mrd.<br />

Kim, Ki-t’aek (1992) 1992-2005 400 Mrd.<br />

Sin, Ch’ang-min (1992) 2000-2012 1860 Mrd.<br />

Erhöhung der BIP von NK<br />

auf 50% des von SK<br />

Aufhebung der Einkommensunterschiede<br />

zwischen Nord- und Südkorea<br />

Aufhebung der Einkommensunterschiede<br />

zwischen Nord- und Südkorea<br />

Pae, Chin-yŏng (1992)<br />

2000-2010<br />

2010-2020<br />

448 Mrd.<br />

762 Mrd.<br />

Aufhebung der Einkommensunterschiede<br />

zwischen Nord- und Südkorea<br />

Yi, Yŏng-sŏn (1993 1990-2041 388-842 Mrd.<br />

Angleichung des Einkommensniveaus<br />

(bei schrittweiser Vereinigung)<br />

Pae, Tŭk-chung (1993)<br />

12,5-17,5 Mrd.<br />

jährlich<br />

Opferbereitschaft der Bevölkerung im Süden<br />

(nach der Umfrage, September 1991)<br />

Kwak, Yun-t’ae (1993) 10 Jahre 523-1227 Mrd.<br />

Erhöhung des BIP pro Kopf von<br />

100 Dollar auf 7000 US Dollar<br />

Korea Development<br />

Institute (KDI;1993)<br />

2000-2010<br />

372 Mrd.<br />

(Einheitsregierung)<br />

286 Mrd.<br />

(Belastung SK)<br />

Vereinigung durch Absorption<br />

nach deutschem Modell<br />

Korea Industry Bank<br />

(1994)<br />

1994-2004<br />

1546 Mrd. (100%)<br />

805 Mrd. (60%)<br />

Ausgleich der Einkommensunterschiede<br />

zwischen Nord- und Südkorea<br />

Korea Institute of National<br />

Unification (KINU; 1996)<br />

2000-2010 360 Mrd.<br />

Ausgleich der Einkommensunterschiede<br />

zwischen Nord- und Südkorea<br />

Hwan, Ŭ-gak (1996) 2000-2005 1204 Mrd. Angleichung des Lebensstandards<br />

Pak, T’ae-gyu (1997) 1995-2005<br />

Ko, Il-dong (1997) 2001-2010<br />

Erste 5 Jahre<br />

8,7-11,3% BIP SK<br />

Zweite 5 Jahre<br />

7,5% BIP SK<br />

460 Mrd.<br />

(nur für SK)<br />

5% Wirtschaftswachstum in SK; Angleichung<br />

des NK Lohnniveaus auf 50% des SK<br />

(ohne Angaben)<br />

Seite 38<br />

Tabelle 3: Auswahl südkoreanischer Schätzungen<br />

der Kosten der Vereinigung (US-Dollar)<br />

Quelle: Yi Yŏng-hun, Studie über Vereinigungskosten,<br />

Seoul Wiedervereinigungsministerium<br />

2002; Hyundai Research Institute 2005.


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

Eine 2005 erschienene Analyse des Hyundai<br />

Research Institutes zeigt diesen Focus in charakteristischer<br />

Deutlichkeit: „Wie die Erfahrung<br />

in Deutschland nach der Vereini-gung gezeigt<br />

hat, führte populistische Wirtschaftspolitik,<br />

die von dem politischen Ziel, sich bei der Bevölkerung<br />

in Ostdeutschland einzuschmeicheln,<br />

geprägt war, letztendlich zur Explosion der<br />

Vereinigungskosten. Zum Beispiel wurden umfangreiche<br />

Staatsanlei-he aufgenommen (um<br />

Vereinigung zu finanzieren), statt die Steuern<br />

zu erhöhen. Da-durch hat sich die Struktur der<br />

staatlichen Finanzen drastisch verschlechtert.<br />

Durch die 1:1 Umstellung der Währung und<br />

die Lohnpolitik wurde die Konkurrenzfähigkeit<br />

der ostdeutschen Produkte untergraben<br />

und damit der ostdeutschen Produktion der<br />

Boden entzogen und schließlich Massenarbeitslosigkeit<br />

herbeigeführt. Zu den größten<br />

Kosten der Vereinigung gehört die Zerstörung<br />

des Humankapitals. Die Arbeitslosigkeit in<br />

Ost-deutschland ist seit der Vereinigung immer<br />

weiter gestiegen, gegenwärtig liegt sie über<br />

20 Prozent, während sie in Westdeutschland<br />

unter 10 Prozent blieb. Die Belastung für Arbeitsmarktpolitik<br />

wird deshalb nicht geringer.<br />

Wir müssen uns auf solche Schwierig-keiten<br />

gut vorbereiten. Dafür müssen wir zuerst die<br />

unnützliche Debatte über Kosten der Wiedervereinigung<br />

beenden und stattdessen durch<br />

kontinuierliche Unterstützung das Vertrauen in<br />

unseren Beziehungen mit Nordkorea wiederherstellen,<br />

durch Entfal-tung der wirtschaftlichen<br />

Kooperation Berührungspunkte erweitern,<br />

um so die Kosten, die bei der Vereinigung<br />

anfallen werden, schon jetzt zu verringen.<br />

Diese Friedenskosten (d.h. das was Südkorea<br />

schon vor der Vereinigung für Nordkorea ausgibt<br />

- EJL) werden schließlich ein soft landing<br />

auf der koreanischen Halbinsel herbeiführen;<br />

sie werden, wenn die Vereinigung endlich erreicht<br />

sein wird, ihre Früchte tragen. Für die<br />

mögliche Wiedervereinigung müssen wir uns<br />

die Erfahrungen des vereinten Deutschland als<br />

Bei-spiel nehmen, und uns auf der Basis des<br />

Konsenses der Bürger um einen policy mix<br />

für die wirtschaftliche Integration bemühen.“<br />

(Hyundai Research Institute, Tongil Kyongje<br />

2005: summary).<br />

Die Empfehlungen unzähliger und sich<br />

fast täglich vermehrender Studien über die<br />

wirt-schaftliche Kooperation zwischen beiden<br />

koreanischen Staaten Koreas, folgen, auch<br />

wenn ihre konkreten Untersuchungsgegenstände<br />

unterschiedlicher Natur sind, in ihrer<br />

Programmatik ganz überwiegend dieser soeben<br />

zitierten Analyse. Bei den Experten und<br />

Beamten ist die Ansicht fest verankert, dass<br />

man ohne die Frage der Wirtschaft über die<br />

Vereinigung überhaupt nicht diskutieren kann.<br />

Das geht soweit, dass die meisten Exper-ten<br />

und Beamten in Gesprächen mit der Verfasserin<br />

ganz überrascht auf die Frage rea-gierten,<br />

ob die Debatte über die Vereinigung nicht allzu<br />

sehr auf die wirtschaftlichen Aspekte der<br />

Vereinigung fixiert sei.<br />

Seite 39


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

Institutionen/<br />

Personen<br />

Kosten der Wiedervereinigung<br />

Prämissen<br />

Japan Long Term<br />

Credit Bank (1990)<br />

180-200 Mrd.<br />

Wirtschaft NK ¼ der DDR-Wirtschaft<br />

Zeithorizont 10 Jahre<br />

New York Times (1992) 300 Mrd. nach dem deutschen Modell<br />

Far Eastern Economic<br />

Review (1992)<br />

Marcus Noland (1997)<br />

300 Mrd.<br />

415 Mrd. (Beginn 1990)<br />

983 Mrd. (Beginn 1995)<br />

2242 Mrd. (Beginn 2000)<br />

10 Jahre Investitionen in Höhe<br />

von 3-4% BIP von SK<br />

Prokopfeinkommen NK 60 % Niveau<br />

SK Zeithorizont 25 Jahre<br />

Goldman-Sachs (2000)<br />

Barclays Bank (2000)<br />

Moody’s Investors<br />

Ser-vice (2003)<br />

WV 2002: 770 Mrd. -1,2 Bill.<br />

WV 2010: 3,4-3,6 Bill.<br />

420 Mrd.<br />

bis 100 Mrd.<br />

Zeithorizont 10 Jahre<br />

Prokopfeinkommen NK 50 % Niveau<br />

SK Zeithorizont 20 J.<br />

Zeithorizont 5 Jahre<br />

Fitch Ratings (2003) jährl.15 bis 20 Mrd. Zeithorizont 10-15 Jahre<br />

Hong Kong HSBC (2003) 4,4 % BIP SK (ca. 23,6 Mrd.) während der ersten Jahre nach der WV<br />

D. Frecaut, Barclays<br />

Capital (2003)<br />

Rand Corporation, USA<br />

(2005)<br />

jährlich 0,25-5% des GDP SK<br />

erste humanitäre Hilfe<br />

Reduzierung Einkommensdifferenzen<br />

2,7% BIP SK Einkommensziel 20%<br />

9,5% BIP SK Einkommensziel 75%<br />

50 Mrd. -6,7 Bill. Verdopplung BIP NK in 4 Jahren<br />

17 Mrd. -2,23 Bill.<br />

Kosten für SK 0,1-1,5% GDP<br />

ausländische Direktinvestitionen<br />

Seite 40<br />

Tabelle 4: Auswahl ausländischer Schätzungen<br />

der Kosten der Vereinigung (US-Dollar)<br />

Quelle: Yi Yŏng-hun, Studie über Vereinigungskosten,<br />

Seoul Wiedervereinigungsministerium<br />

2002; Hyundai Research Institute 2005.


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

2. Mi g r at i o n s p r o b l e m e u n d Bi l d u n g e i n e r<br />

„So n d e r z o n e“ in No r d k o r e a<br />

Im Zusammenhang mit der Vereinigung<br />

wird die Migration ebenfalls als wichtiges<br />

Problem betrachtet, auch wenn die Studien<br />

darüber zahlenmäßig viel geringer ausfallen<br />

als zu Wirtschaftsfragen. Auch diese Arbeiten<br />

gehen der deutschen Erfahrung aus, und zwar,<br />

dass es ähnlich wie nach dem Fall der Mauer<br />

zu einer großen Wanderungswelle kommen<br />

wird. So gehört eine 1997 von Ku Sŏng-ryŏl<br />

formulierte These zum Standardrepertoire<br />

der Experten aus Politik und Wissenschaft in<br />

Korea. Sie besagt, „Im Falle der Vereinigung<br />

werden 24mal Menschen in den Süden abwandern<br />

... als der südkoreanische Arbeitsmarkt<br />

absorbieren kann“ (KDI 1997).<br />

Als Gegenmaßnahme wird in Politik<br />

und Wissenschaft über die Errichtung einer<br />

„Sonderzone Nordkorea“ diskutiert, mit der<br />

für eine bestimmte Zeit insbesondere die Abwanderung<br />

in den Süden kontrolliert werden<br />

soll. Experten am KINU erklären in einer<br />

Studie aus dem Jahr 2004 die Gründe dafür:<br />

„Auf jeden Fall gilt es zu verhindern, dass<br />

gleich nach der Vereinigung eine große Wanderungswelle<br />

ausgelöst wird. Denn je mehr<br />

nordkoreanische Arbeiter, ohne die tatsächlichen<br />

Arbeitsmöglichkeiten und Kosten ihrer<br />

Übersiedlung zu kennen, in den Süden abwandern,<br />

umso komplizierter wird die Lage im<br />

Süden. ... Um die Abwanderung zu verringern,<br />

bedarf es Maßnahmen wie Lohnsubventionen,<br />

die die Produktivität fördern und Lohndifferenzen<br />

vermindern, sowie finanzpolitische<br />

Anreize. Große öffentliche Investitionen<br />

werden ebenfalls notwendig sein. Doch sol-<br />

ange Lohndifferenzen bestehen, wird sich die<br />

Abwanderung fortsetzen. Deshalb kann die<br />

Wirkung solcher Maßnahmen nur begrenzt<br />

sein und es kann notwendig werden, einen<br />

Umzug nordkoreanischer Bürger in den Süden<br />

nur mit staatlicher Genehmigung zu erlauben.“<br />

(Pak Chong-ch’eol 2004: 319-320). Denn “es<br />

ist zu erwarten, dass maximal neun Millionen<br />

Nordkoreaner in den Süden abwandern“ und<br />

dies werde zum Chaos und zu vielen sozialen<br />

Problemen im Süden führen.<br />

Die Autoren dieser Studie schlagen deshalb<br />

vor, eine Sonderbehörde für Migration<br />

einzurichten. Diese Behörde soll sich um die<br />

Auswahl der Migranten, deren Zahl und den<br />

Zeitpunkt ihrer Ausreise kümmern und auch<br />

Maßnahmen für die Zeit nach ihrer Übersiedlung<br />

entwickeln. Die Autoren, aber auch<br />

die Beamten in den Ministerien, glauben, dass<br />

durch diese Regulierung zeitlich beschränkter<br />

Aufenthalte von kurzer und langer Dauer und<br />

der dauerhaften Umsiedlung, die soziale Mobilität<br />

der nordkoreanischen Bevölkerung bis<br />

zur Stabilisierung der Wirtschaft im Norden<br />

kontrolliert werden könne.<br />

Die Notwendigkeit solcher Maßnahmen<br />

wird auch mit den Schwierigkeiten, die nordkoreanische<br />

Flüchtlinge in Südkorea haben,<br />

u.a. finden nur wenige Arbeit, begründet.<br />

Deshalb solle diese Sonderbehörde auch die<br />

Anpassung der Zugewanderten an<br />

ihre neue Lebenswelt unterstützen.<br />

Nordkoreanische Arbeiter seien<br />

Seite 41<br />

technisch nicht gut ausgebildet. Da<br />

es in Südkorea in der Industrie und<br />

in Dienstleistungsbereichen großen Bedarf an<br />

ungelernten Arbeitskräften gebe, würden nordkoreanische<br />

Arbeiter dort am ehesten Arbeit


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

finden können. Es bestehe die Gefahr, dass das<br />

ohnehin niedrige Lohnniveau dadurch noch<br />

weiter gedrückt wird. Außerdem würden sich<br />

die Nordkoreaner wegen der Einkommensunterschiede<br />

diskriminiert fühlen. Dauern<br />

solche Zustände länger an, könnten allerlei<br />

unvorhersehbare Probleme auftauen. Insofern<br />

sei es sinnvoll, dass eine Sonderbehörde geschaffen<br />

wird, die die Anpassungsfähigkeit der<br />

Bürger aus dem Norden an das kapitalistische<br />

System fördert und bei der Integration in das<br />

neue System unterstützt (Pak Chong-ch’eol<br />

2004: 320-321).<br />

nach der Vereinigung zunächst weiter bestehen<br />

bleiben müsse, um die Abwanderung in den<br />

Süden zu verhindern. Es wird sogar diskutiert,<br />

in der Verfassung niedergelegte Grundrechte<br />

für eine bestimmte Zeit zu beschränken.<br />

Die Anpassungsfähigkeit der nordkoreanischen<br />

Bürger an das neue System ist in der<br />

Tat sehr wichtig und schon jetzt ein großes<br />

Problem. In den letzten fünf Jahren hat sich die<br />

Zahl de Flüchtlinge von 1000 auf 10000 erhöht<br />

(Tabelle 5). Die meisten von ihnen haben<br />

bis heute in der südkoreanischen Gesellschaft<br />

Jahr<br />

nordkoreanische<br />

Flüchtlinge<br />

Jahr<br />

nordkoreanische<br />

Flüchtlinge<br />

1991 9 1999 148<br />

1992 8 2000 312<br />

1993 8 2001 583<br />

1994 52 2002 1139<br />

1995 41 2003 1281<br />

1996 56 2004 1894<br />

1997 86 2005 1383<br />

1998 71 2006 2019<br />

Ein solcher Vorschlag klingt vernünftig, ist<br />

aber problematisch. Als erstes stellt sich<br />

die Frage, ob und inwieweit es in einem<br />

Seite 42 demokratischen System überhaupt vorstellbar<br />

und zulässig ist, für einen Teil<br />

der Bürger eine Grundrecht wie die<br />

Freizügigkeit außer Kraft zu setzen. Dennoch<br />

sind Beamte und Experten in Südkorea mehrheitlich<br />

der Meinung, dass die Grenze auch<br />

Tabelle 5: Zahl der nordkoreanischen<br />

Flüchtlinge in Südkorea<br />

Quelle: Wiedervereinigungsministerium


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

nicht Fuß fassen können. Viele Kinder dieser<br />

Flüchtlinge sollen nicht zur Schule gehen, weil<br />

sie von den anderen Kindern gemobbt werden.<br />

Die südkoreanische Gesellschaft und auch die<br />

staatlichen Instanzen haben sich noch nicht auf<br />

ihre Brüder und Schwestern aus dem Norden<br />

eingestellt.<br />

Nach Angaben des Wiedervereinigungsministeriums<br />

leben 63% der 10 000<br />

Flüchtlinge in Seoul. Von diesen haben 46%<br />

keine Arbeit; 4,6% sind selbständig. Eigentlich<br />

gehen lediglich 7,2 % einer regulären Arbeit<br />

nach; die anderen sind „irregulär“ beschäftigt.<br />

58% der Flüchtlingshaushalte in Seoul haben<br />

ein Monatseinkommen von unter 1 Million<br />

Won (ca. 800 Euro). Das bedeutet, dass die<br />

Mehrheit der Flüchtlinge sehr ärmlich lebt;<br />

das durchschnittliche Haushaltseinkommen<br />

in Südkorea lag 2006 bei 3 Millionen Won<br />

(ca. 2400 Euro). Als Existenzminimum für<br />

einen vierköpfigen Haushalt gelten 1,2 Millionen<br />

Won. Die Zahl der Flüchtlinge, die in<br />

kriminelle Milieus geraten, nimmt zu. Insofern<br />

ist es sicherlich richtig und sogar dringend<br />

notwendig, eine Institution, die sich in umfassender<br />

Form um die Flüchtlinge kümmert,<br />

einzurichten.<br />

Die Schaffung einer solchen Institution<br />

könnte schon bald noch dringlicher werden.<br />

Denn es ist nicht auszuschließen, dass demnächst<br />

gar nicht so wenige der etwa 100000<br />

nordkoreanischen Flüchtlinge in China versuchen<br />

werden, nach Südkorea zu gelangen.<br />

Nach den Taifunen, die 1995 und 1997 umfangreiche<br />

Schäden in den Reisanbaugebieten<br />

Nordkoreas anrichteten, trieb der Hunger viele<br />

Nordkoreaner nach China. Ihr Ziel war China,<br />

aber nicht Südkorea. Die Flüchtlinge verfügten<br />

über keinerlei Informationen über das<br />

wirtschaftlich viel weiter entwickelte Südkorea<br />

und mussten damals von südkoreanischen<br />

Beamten überredet werden, nach Südkorea zu<br />

kommen (Interview mit dem für Flüchtlingsfragen<br />

zuständigen Beamten im damaligen<br />

Innenministerium). Nach 10 Jahren wissen die<br />

Nordkoreaner und die große koreanische Minderheit<br />

in Nordchina viel mehr über Südkorea.<br />

Dadurch sind die Gründe für die Flucht aus<br />

Nordkorea vielfältiger geworden. Die Zahl derjenigen,<br />

die fliehen, um ein materiell besseres<br />

Leben zu finden, hat drastisch zugenommen<br />

(U Sŭng-ji, 2005: 1). Heutzutage zeigen Interviews,<br />

dass die meisten von ihnen Südkorea für<br />

ein sehr reiches, wenn nicht das reichste Land<br />

überhaupt, halten. Ihr letztliches Fluchtziel ist<br />

deshalb nicht mehr China, sondern Südkorea.<br />

Gegenüber der Situation vor zehn Jahren ist<br />

das eine gravierende Veränderung.<br />

Sie zeigt, dass mehr und bessere Informationen<br />

über Südkorea die Bereitschaft zur<br />

Flucht nach Südkorea erhöhen. Man muss<br />

deshalb annehmen, dass es im Wiedervereinigungsfall<br />

tatsächlich zu einer großen Abwanderungsbewegung<br />

kommen kann. Selbst wenn<br />

man es schaffen sollte, die Grenze zum Norden<br />

und die Küste effektiv zu kontrollieren, wird<br />

schwierig sein, die Flucht über Drittländer<br />

einzudämmen. So sind schon 2006 die ersten<br />

nordkoreanischen Flüchtlinge, die<br />

nach Südkorea wollen, u.a. in Laos,<br />

Vietnam und Thailand aufgetaucht.<br />

Seite 43<br />

Die südkoreanische Regierung kann<br />

auch aus Verfassungsgründen gar nicht<br />

anderes, als diese Flüchtlinge aufzunehmen.<br />

Was würde sie nach der Wiedervereinigung<br />

tun? Kann ein demokratisches Regime aus


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

grundsätzlichen und praktischen Gründen die<br />

Abwanderung aus dem Norden verhindern?<br />

“Politische Demokratisierung”<br />

Jahr besser keine Veränderung schlechter<br />

2005 37,6 24,9 37,5<br />

2003 40,7 26,5 32,7<br />

1992 64,3 16,8 18,9<br />

Wirtschaftliche Entwicklung<br />

Jahr besser keine Veränderung schlechter<br />

2005 47,4 9,8 42,8<br />

2003 48,2 10,9 40,9<br />

1992 66,4 11,5 22,1<br />

Differenz zwischen Armen und Reichen<br />

Jahr nimmt ab keine Veränderung nimmt zu<br />

2005 13,7 14,1 72,2<br />

2003 13 15,5 71,5<br />

1992 27,4 31,7 40,8<br />

Lebensmittelpreise<br />

Jahr nehmen ab keine Veränderung nehmen zu<br />

2005 47,4 9,8 42,8<br />

2003 48,2 10,9 40,9<br />

1992 66,4 11,5 22,1<br />

Seite 44<br />

Arbeitslosigkeit<br />

Jahr nimmt ab keine Veränderung nimmt zu<br />

2005 37,3 11,8 50,9<br />

2003 32 11,6 56,4<br />

1992 40,4 17,6 41,9


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

Unterschiede zwischen den Regionen<br />

Jahr besser keine Veränderung schlechter<br />

2005 18,8 13,9 67,3<br />

2003 18,5 18,8 62,8<br />

1992 31,2 27,3 41,5<br />

Wohnungsproblem<br />

Jahr besser keine Veränderung schlechter<br />

2005 34,9 21,6 43,5<br />

2003 36 21 42,9<br />

1992 43,2 29,3 27,5<br />

Kriminalität und Rechtsstaatlichkeit<br />

Jahr besser keine Veränderung schlechter<br />

2005 19,9 18,7 61,4<br />

2003 20,3 21,6 58,1<br />

1992 18 27,2 54,9<br />

Konfusion der Wertvorstellungen<br />

Jahr nimmt ab keine Veränderung nimmt zu<br />

2005 12,8 11,3 75,9<br />

2003 10 14,3 75,7<br />

1992 19,3 19,6 61<br />

Tabellenübersicht: Erwartete Veränderungen nach der<br />

Wiedervereinigung Meinungsumfragen 1992, 2003<br />

und 2005 in Prozent<br />

Quelle: Meinungsumfragen 1992, 2003, 2005 (KINU<br />

2005, 179-195)<br />

Seite 45


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

3. In t e g r at i o n d e r We rt e – Fr a g e d e r pol<br />

i t i s c h e n Bi l d u n g?<br />

Neben den dargestellten Problemen von<br />

wirtschaftlicher Integration und Migration<br />

gibt es in Südkorea einen dritten Bereich, dem<br />

viel Beachtung geschenkt wird, nämlich dem<br />

der Wertvorstellungen in beiden Landesteilen.<br />

Meinungsumfragen zeigen, dass man bei der<br />

Integration politischer Wertvorstellungen die<br />

größten Schwierigkeiten erwartet.<br />

Vergleicht man die vom KINU seit 1991<br />

jährlich durchgeführten Meinungsumfragen,<br />

stellt man fest, dass sich die Bewertung der zu<br />

erwartenden Veränderungen nach der Wiedervereinigung<br />

durchgängig verschlechtert hat.<br />

Deutlich negativer als 1992 werden 2005 die<br />

Perspektiven der Entwicklung der Demokratie,<br />

des wirtschaftlichen Wachstums und der<br />

Aufspaltung der Gesellschaft in Arme und<br />

Reiche eingeschätzt. Auch im Hinblick auf<br />

die Veränderungen von Lebensmittelpreisen,<br />

Arbeitslosigkeit, regionalen Unterschieden,<br />

Wohnungsproblemen und der Konfusion von<br />

Wertvorstellung haben sich die Erwartungen<br />

deutlich verschlechtert.<br />

Die KINU-Experten machen auch einen<br />

Vorschlag, um der Wertekonfusion nach der<br />

Einigung entgegenzuwirken. Sie gehen davon<br />

aus, dass die nordkoreanischen Bürger<br />

unter großen Anpassungsschwierig-<br />

Seite 46 keiten an die Marktwirtschaft, den<br />

Individualismus und die offene Gesellschaft<br />

leiden werden. „Die Bewohner<br />

im Norden haben sich lange Zeit an Etatismus<br />

und kollektive Denkweise gewöhnt und werden<br />

deshalb mit dem Konkurrenzprinzip der kalten<br />

Marktwirtschaft nicht zu recht kommen“. Es<br />

sei deshalb gar nicht zu vermeiden, dass bei ihnen<br />

Gefühle von Entfremdung und Niedergeschlagenheit<br />

entstehen werden, wenn sie ihre<br />

bis dahin geltenden Wertevorstellungen und<br />

Verhaltensweisen plötzlich aufgeben müssen.<br />

Vor allem die älteren Generationen würden<br />

sehr große Anpassungsschwierigkeiten haben;<br />

entsprechend groß würde ihre Unzufriedenheit<br />

sein. Die jüngeren Generationen könnten<br />

sich zwar schneller und besser anpassen, aber<br />

man könne auch bei ihnen Anpassungsprobleme<br />

nicht auszuschließen; zudem könnten sie<br />

kriminelle Milieus abdriften (Pak, Chong-ch’ŏl<br />

u.a. 2005: 193)<br />

Nicht nur die KINU-Experten sehen in<br />

„Programmen für politische Bildung, die das<br />

Gemeinschaftsbewusstsein fördern“ ein Mittel,<br />

um diesen Gefahren entgegenzuwirken.<br />

Man denkt sogar an die Einrichtung einer<br />

Bundes- bzw. von Landeszentralen für politische<br />

Bildung, wie es sie in Deutschland gibt<br />

(Pak Chong-ch’eol 2005: 170). Man solle schon<br />

jetzt damit beginnen, Trainer im Hinblick auf<br />

die besonderen Eigenschaften und Bedürfnisse<br />

der nordkoreanischen Bürger verschiedener<br />

Schichten auszubilden (Yang Mun-su 2004:<br />

89). Mit Hilfe dieser Trainer müssten die<br />

Bürger im Norden „resozialisiert“ werden (Pak<br />

Chong-ch’eoil 2005: 172). Resozialisierung<br />

bedeute, dass Bürger in Nordkorea „alte Werte<br />

und Normen aufgeben und neue Werte und<br />

Normen verinnerlichen, um sich an das neue<br />

System anzupassen“. „Ebenso wie die sozialistischen<br />

Länder ihre Bürger mit sozialistischer<br />

Ideologie indoktrinierten und resozialisierten,<br />

um sie für die Revolution und den Aufbau (des<br />

Sozialismus –EJL) zu mobilisieren“, sei eine<br />

„Resozialisierungspolitik“ im Transformation-


111. Probleme Vorwort der Debatte<br />

sprozess Nordkoreas erforderlich (Pak Chongch’eol<br />

2005: 173).<br />

Auch diese Vorschläge klingen rational und<br />

plausibel und können dennoch keine befriedigende<br />

Antwort auf die Frage geben, in welchem<br />

Verhältnis diese einseitig vom Süden konzipiertem<br />

Programme der politischen Bildung zur<br />

demokratischen Verfasstheit stehen und ob mit<br />

derartigen Programmen eine Integration der<br />

Bürger und die Förderung des Gemeinschaftsgefühls<br />

überhaupt gelingen können. Außerdem<br />

können sich durch solche Programme soziale<br />

Konflikte und die Konfusion von Wertevorstellungen<br />

sogar verschlimmern, wenn die Bürger<br />

im Norden sie als einseitige Indoktrinierung<br />

empfinden und sich selbst als ‚kolonialisierte<br />

Menschen’ wahrnehmen.<br />

Fu s s n o t e n<br />

1 Einer Untersuchung von Yi Yŏng-hun zufolge wurden die<br />

meisten Berechnungen der Kosten einer Vereinigung vor 1997<br />

erstellt (Yang Mun-su 2004:284-285). Die bisher bekannt<br />

gewordenen Kostenrechnungen variieren allerdings entsprechend<br />

der gesetzten Prämissen und Berechnungsmethoden. Die Spanne<br />

ist sehr weit. Wie realistisch sie sind, ist eine andere Frage. Insbesondere<br />

wird die Kapazität der Wirtschaft Nordkoreas, all diese<br />

Transfers und Investition zu absorbieren, kaum berücksichtigt.<br />

Schätzungen des BIP Nordkoreas im Jahre 2004 bewegen sich<br />

um 22 Milliarden US Dollar. Das heißt, im Falle einer sofortigen<br />

Wiedervereinigung müssten, wenn es nach diesen Berechnungen<br />

ginge, jährlich das 5- bis 150fache des nordkoreanischen BIPs<br />

absorbiert werden. Selbst in Osteuropa bleiben Transfers und Investitionen<br />

vom Ausland meist unter 10 Prozent des BSP dieser<br />

Länder. Vom ostdeutschen Nettovolkseinkommen sind „nur“ etwa<br />

40 Prozent Transfereinkommen aus dem Westen – wobei, wenn<br />

man an die Wirkungen des von Keynes nach dem 1. Weltkrieg<br />

im Zusammenhang mit den Kriegsentschädigungen beschriebenen<br />

sog. Transferproblems denkt, das Scheitern des Aufbaus<br />

der ostdeutschen Wirtschaft zu einem erheblichen Teil auf diese<br />

Transfers aus dem Westen zurückzuführen ist.<br />

2 Wie in nächsten Abschnitt zu zeigen sein wird, sind auch die<br />

Bürger in Meinungsumfragen im Hinblick auf die Folgen der<br />

Wiedervereinigung sehr viel vorsichtiger geworden.<br />

Seite 47


Wis s e n s t r a n s f e r<br />

a u s d e r<br />

d e u t s c h e n Tr a n s-<br />

f o r m at i o n s f o r s c -<br />

h u n g<br />

Seite 48


1v. Wissenstransfer<br />

Vorwort<br />

Gründe, warum man über die Wahl Angela<br />

Merkels zur Kanzlerin so überrascht war.<br />

Kapitel 4<br />

IV. Be d a r f a n e i n e m Wi s s e n s t r a n s-<br />

f e r a u s d e r d e u t s c h e n Tr a n s f o r-<br />

m at i o n s f o r s c h u n g<br />

Es ist deutlich geworden, welche besondere<br />

Bedeutung der deutschen Erfahrung<br />

in den südkoreanischen Debatten<br />

über die Wiedervereinigung des Landes und<br />

in der Entwicklung der Nordkoreapolitik zukommt.<br />

Abgesehen von der Entspannungspolitik<br />

hat man sich in Südkorea hauptsächlich,<br />

wenn nicht sogar einseitig, auf strategische<br />

Überlegungen, die im wirtschaftlichen Integrationsprozess<br />

entstehen können, konzentriert.<br />

Die deutsche Erfahrung, insbesondere die<br />

Schwierigkeiten und die Kosten der Einigung,<br />

haben dazu maßgeblich beigetragen. Dadurch<br />

wurde den positiven Seiten der deutschen<br />

Vereinigung kaum Aufmerksamkeit geschenkt.<br />

Diese einseitige Fokussierung ist einer der<br />

Das wäre sicherlich nicht der Fall gewesen,<br />

wenn man auch anderen Bereichen des<br />

deutschen Transformationsprozesses mehr<br />

Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Dann<br />

hätte man wahrgenommen, dass in der<br />

bundesdeutschen Politik auch noch andere<br />

prominente Politiker mit ostdeutschem Hintergrund,<br />

wie z.B. Matthias Platzek, Wolfgang<br />

Thierse und Wolfgang Tiefensee zu finden<br />

sind, und dass es auch auf der Landesebene<br />

und in den Kommunen zahlreiche solche Politiker<br />

gibt. Man hätte auch erfahren können,<br />

dass es keine großen Unterschiede mehr gibt<br />

in der Entwicklung der Infrastruktur und der<br />

städtischen Räume, und dass sich der Lebensstandard<br />

trotz der besonderen wirtschaftlichen<br />

Probleme im Osten mittlerweile weitgehend<br />

angeglichen hat. Es würde dann auch mehr<br />

wahrgenommen werden, dass sich staatliche<br />

Institutionen und das öffentliche Leben nicht<br />

mehr unterscheiden als zwischen Regionen<br />

innerhalb Westdeutschlands. Dass nach nicht<br />

einmal 2 Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer<br />

kaum noch Spuren der Teilung zu finden<br />

sind, ist in Südkorea weitgehend unbekannt<br />

geblieben.<br />

Insofern muss man wohl sagen, allein um ein<br />

ausgewogeneres Bild der deutschen Transformationserfahrung<br />

zu vermitteln, aber<br />

auch um den südkoreanischen analytischen<br />

Horizont zu erweitern, dass es<br />

Seite 49<br />

trotz der jahrelangen Beschäftigung<br />

mit Deutschland in Korea noch Defizite im<br />

Wissenstransfer gibt. Es ist durchaus denkbar,<br />

dass die südkoreanische Wiedervereinigungsdebatte<br />

durch die umfassendere Vermittlung


1v. Wissenstransfer<br />

Vorwort<br />

der deutschen Transformationserfahrung eine<br />

qualitative Wende nimmt. Eine solche Wende<br />

hatte zuletzt Ende der 1990er Jahre gegeben,<br />

als man wegen der Asienkrise, die das Land in<br />

so sehr in Mitleidenschaft gezogen hatte, an<br />

dem eigenen Vermögen, den Norden absorbieren<br />

zu können, zu zweifeln begann und fast<br />

alle Aufmerksamkeit auf die wirtschaftlichen<br />

Probleme der deutschen Einigungserfahrung<br />

richtete.<br />

Aus dieser Sicht gewinnt das kumulierte<br />

Wissen der Transformationsforschung in Jena<br />

und Halle eine besondere Bedeutung für Südkorea.<br />

Insbesondere die Forschungsergebnisse<br />

zum Wandel der Eliten und zum sozialen<br />

Wandel überhaupt könnten die südkoreanische<br />

Debatte befruchten und die strategischen<br />

Überlegungen in den Ministerien erweitern.<br />

Auch wenn man nur wenig weiß über die<br />

Verhältnisse im Norden, würden die Forschungsansätze<br />

und –ergebnisse des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

jedenfalls den Blick für ähnliche Problemlagen<br />

in Nordkorea schärfen und viele Hinweise auf<br />

später sicherlich auftretende Probleme geben.<br />

In jedem Fall würde die Vermittlung dieses<br />

Wissens zeigen, dass die Regimetransformation<br />

viel mehr ist als eine wirtschaftliche Frage<br />

und die gesellschaftlichen Veränderungen und<br />

sozialen Konflikte ebenfalls große Beachtung<br />

verdienen.<br />

diese stattfinden, kann sozusagen ein Augenöffner<br />

für Forscher, Beamte und politische<br />

Entscheidungsträger sein.<br />

Die südkoreanischen Beamten und Experten,<br />

mit denen ich in Vorbereitung dieses<br />

Berichtes Arbeit sprechen konnte, waren sich<br />

einig, dass es sehr wünschenswert wäre, Ansätze<br />

und Ergebnisse des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> in Südkorea<br />

bekannt zu machen. Das gilt für die Beamten<br />

im Wiedervereinigungsministerium, für die<br />

Forscher u.a. am Institute for Far East Asian<br />

Studies, an dem gegenwärtig ein von der Korea<br />

Research Foundation unterstütztes Forschungsprojekt<br />

über die Transformationsprozesse<br />

in Osteuropa durchführt wird, die Experten<br />

am Korea Institute for National Unification<br />

(KINU), einem Think Tank der Regierung.<br />

Alles in allem würde ich es für sehr empfehlenswert<br />

halten, Ansätze, Kenntnisse und<br />

Ergebnisse der bisherigen Arbeit des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />

nach Südkorea zu vermitteln.<br />

Damit ist natürlich nicht gemeint,<br />

dass nur positive Aspekte der<br />

Seite 50 deutschen Transformationserfahrung<br />

vermittelt werden sollten. Gerade aus<br />

den Schwierigkeiten und Fehlern kann<br />

man viel lernen. Gerade die Vielschichtigkeit<br />

der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse und<br />

die unterschiedlichen Dimensionen, in denen


Vorwort autor<br />

An g a b e n z u r Au t o r i n<br />

PD Dr. Eun-Jeung Lee, geb. 1963 in Daejon<br />

(Republik Korea), Promotion (Göttingen) und<br />

Habilitation (Halle/Saale) in Politikwissenschaft,<br />

Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung,<br />

der Alexander-von-Humboldt-Stiftung<br />

und des Landes Sachsen-Anhalt, Fellowship<br />

Japan Foundation, Lehraufträge und Gastprofessuren<br />

an Universitäten in Deutschland, Korea<br />

und Japan, Dolmetscherin für koreanische<br />

Regierungsdelegationen zu Fragen der deutschen<br />

Einheit; zahlreiche wissenschaftliche<br />

Veröffentlichungen in deutscher, englischer,<br />

koreanischer und japanischer Sprache.<br />

Seite 51


L i t e r at u r -<br />

v e r z e i c h n i s<br />

Seite 52


literaturverzeichnis<br />

Vorwort<br />

Li t e r at u rv e r z e i c h n i s<br />

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National Defense Research Institute.

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