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Archivnachrichten Nr. 47 , September 2013 (application/pdf 18.0 MB)

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1 | Muster mit Tuchproben in unterschiedlichen<br />

Farben aus einer Eingabe des Gerbermeisters Johann<br />

Schmidt aus Hohenentringen an die Zentralstelle<br />

des landwirtschaftlichen Vereins, 1835.<br />

Vorlage: Landesarchiv StAL E 170 Bü 1029<br />

2 | Tuchproben in unterschiedlichen Farben als<br />

Anlage zu einem Vertrag zwischen der Generaldirektion<br />

der Königlich Württembergischen Posten<br />

und „Herrn Kellers Söhnen“ in Stuttgart über die<br />

Lieferung von Postmonturen, 1848.<br />

Vorlage: Landesarchiv StAL E 170 Bü 1011<br />

2<br />

Alles nur Schönfärberei?<br />

Akten im Landesarchiv wissen mehr<br />

Als Schönfärber bezeichnet man heute<br />

gemeinhin jemanden, der etwas in einem<br />

günstigeren Licht darstellt oder einen<br />

Sachverhalt beschönigt und verharmlost.<br />

Weitgehend in Vergessenheit geraten ist,<br />

dass sich hinter dem Begriff ursprünglich<br />

eine Berufsbezeichnung verbarg, die<br />

eine bestimmte Gruppe unter den Färbern<br />

bezeichnet. Schönfärber, die auch<br />

als Kunstfärber bezeichnet wurden,<br />

waren – pauschal gesprochen – die, die<br />

wertvollere Textilien bunt färbten, im<br />

Gegensatz zu den sogenannten Schwarzfärbern,<br />

die einfachen Stoffen lediglich<br />

eine dunkle oder beige Farbe gaben. Es<br />

gibt regional aber durchaus unterschiedliche<br />

Abgrenzungen und auch noch<br />

weitere spezielle Bezeichnungen für die<br />

verschiedensten Sparten der Färber.<br />

Wer den echten Schönfärbern nachspüren<br />

will, wird auch im Landesarchiv<br />

Baden-Württemberg fündig. Aktenkundig<br />

wurden die unterschiedlichen<br />

Gruppen von Färbern nicht zuletzt,<br />

wenn es unter ihnen zu Konflikten kam,<br />

die ein behördliches Eingreifen nach<br />

sich zogen. Im Jahr 1819 musste sich<br />

beispielsweise die Kreisregierung Lud-<br />

wigsburg mit einem Streit zwischen den<br />

Schwarzfärbern in Backnang und dem<br />

zuzugswilligen Schönfärber Gfrörer aus<br />

Calw beschäftigen. Gfrörer hatte seine<br />

Aufnahme als Bürger in Backnang beantragt<br />

und die Absicht bekundet, dort<br />

eine Kunst- und Schönfärberei betreiben<br />

zu wollen. Die lokalen Schwarzfärbermeister<br />

hatten damals wegen des zunehmenden<br />

Imports ausländischer Produkte<br />

und dem allmählichen Aufkommen<br />

der maschinellen Textilproduktion<br />

existentielle Sorgen und protestierten<br />

vehement gegen die Aufnahme von<br />

Gfrörer als Bürger. Gfrörers Eingabe<br />

lässt erkennen, was ihn als Schönfärber<br />

von den Schwarzfärbern vor Ort unterschied.<br />

Die Kunst- und Schönfärber<br />

waren nicht zünftig organisiert, er konnte<br />

sein Gewerbe also ausüben, ohne in<br />

die Zunft der Schwarzfärber vor Ort<br />

aufgenommen zu werden. Als Schönfärber<br />

durfte Gfrörer allerdings keine<br />

Stoffe aus Leinen und Baumwolle färben<br />

– das machten wiederum die<br />

Schwarzfärber. Er verstand sich auf das<br />

Färben von feineren Textilien, insbesondere<br />

von Tuch aus Schafwolle – eine<br />

Technik, die die Schwarzfärber nicht beherrschten.<br />

Sie mussten das Einfärben<br />

derartiger Stoffe auswärts in Stuttgart,<br />

Winnenden oder Calw erledigen lassen.<br />

Deshalb waren die in Backnang ansässigen<br />

Tuchmacher von Gfrörers Plan,<br />

eine Kunst- und Schönfärberei im Ort<br />

zu errichten, außerordentlich angetan.<br />

Sie erhofften sich wirtschaftliche Impulse<br />

von einem solchen Gewerbe und<br />

intervenierten ihrerseits beim Oberamt<br />

zugunsten des Färbers.<br />

Am Ende wurde der Calwer als Bürger<br />

angenommen. Ob Gfrörers Ausführungen<br />

über seine Ambitionen in Backnang<br />

mehr als Schönfärberei gewesen sind,<br />

das lässt sich aus den Ludwigsburger<br />

Akten leider nicht mehr klären. Produktproben<br />

seiner Berufsgenossen haben<br />

als Muster in ganz anderen Zusammenhängen<br />

aber doch den Weg in das Archiv<br />

gefunden und belegen so bis heute,<br />

dass Schönfärben tatsächlich dereinst<br />

mehr sein konnte als Verharmlosen und<br />

Beschwichtigen.<br />

Peter Müller<br />

<strong>Archivnachrichten</strong> <strong>47</strong> / <strong>2013</strong> 13

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