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Eva Pfisterer im Gespräch mit Rüdiger Safranski. eva pfisterer: Faust scheint bis heute sehr aktuell zu sein. Er erfüllt sich mit Hilfe des Teufels all seine Wünsche, verführt ohne moralische Bedenken das unschuldige Gretchen, tötet ihren Bruder, vergiftet ihre Mutter. Erfolg hat der, der nur an sich denkt. Ist das nicht genau die gegenwärtige Philosophie nach dem Motto: „Der Markt hat immer Recht, und ihm ist alles unterzuordnen?“ Die Verursacher der Finanzkrise werden ebenso wenig zur Kasse gebeten wie Faust, dessen Seele am Ende vor dem Teufel gerettet wird. Rüdiger safranski: Das ist wirklich das erstaunliche an Goethes Faust. In ihm kann jede Zeit ihre Probleme spiegeln und ihre Antriebskräfte erkennen: von der Sexbesessenheit bis zur naturausbeutung, zur erfindung des Papiergeldes und zum Wunsch nach bedingungsloser Kapitalvermehrung. Faust ist tatsächlich ein akteur des erotisch-wissenschaftlichtechnischen komplexes. natürlich ist er noch viel mehr. Er will wissen, was die Welt zuinnerst zusammenhält, und er will sich in einem großen kino amüsieren – das zeigt die Beschwörung der Helena im berühmten Helena-Akt, Goethes Experiment mit den lichtbildern. Bei alledem gelingt ihm auch noch die Himmelfahrt. Das Ganze geht gut aus. Goethe war eben ganz einfach realistisch genug, um nicht auf das Weltgericht zu hoffen. ep: Da ist Thomas Mann im Dr. Faustus konsequenter. Bei ihm holt der Teufel tatsächlich Fausts Seele ... RS: Ja, Thomas Mann ging bedeutend moralistischer an sein Thema heran. Sein wundervoller Roman ist eben doch eine zerknirschte selbstkasteiung der deutschen kultur. ästhetisch grandios, politisch töricht. ep: Wenn Sie das gegenwärtige „land grabbing“, also den großflächigen Landkauf in Asien und Afrika, ansehen, wo die Bauern oft mit Waffengewalt von ihrem eigenen Grund und Boden vertrieben werden, so kommt einem das vertraut vor: Faust zündet im 5. Akt die Hütte von Philemon und Baucis an, weil sie bei der Flurbereinigung im Wege steht. Dass sie dabei mitverbrannt werden, ist nur ein Kollateralschaden ... RS: Ja, Philemon und Baucis werden „plattgemacht“. Faust will Land aus dem Meer gewinnen. Goethe war damals fasziniert von den einschlägigen Projekten der Holländer in deren Land. Diejenigen Holländer, die jetzt auf festem Grund leben und arbeiten, werden vermutlich anders über die Kosten denken, Philemon und Baucis mit eingerechnet. wir alle sind Profiteure von Verbrechen, die einst begangen wurden. „Wir alle sind Profiteure von Verbrechen, die einst begangen wurden.“ ‘We all profit from past crimes.’ „Goethe war eben ganz einfach realistisch genug, um nicht auf das Weltgericht zu hoffen.“ ‘Goethe was just realistic enough not to hope for Judgment Day.’ ep: Der Teufel schließt mit Gott eine Wette ab, ob es ihm gelänge, Faust von seinem unaufhörlichen Streben abzubringen und ihn mit Trivialem zufriedenzustellen. Der Teufel versteht dieses Streben nicht, sieht nur das Triebhafte im Menschen. Hat der Teufel nicht auch ein wenig Recht, dem reinen geistigen Streben auch das Sinnliche beizumischen? In der Dialektik der Aufklärung warnen jedenfalls Horkheimer und Adorno vor der reinen Vernunft, der die durchrationalisierte Mordmaschinerie der Nazis gefolgt sei. rs: Mephisto versteht den Faust nur allzu gut. er merkt schon, dass bei aller himmelsstürmerischen Sehnsucht doch auch für ihn gilt: „Und immer lockt das weib ...“ Der trick von Mephisto: Man muss die vertikale in eine horizontale Dynamik umbiegen. Kürzer kann man den weltbemächtigenden Furor der Säkularisierung nicht beschreiben. ep: Faust, der ruhelose Held. Was treibt ihn an? rs: neugierde und aneignungslust. aber es kommt, aus Goethes Sicht, noch etwas Entscheidendes hinzu. Faust will ja dem Mephisto in der berühmten wette beweisen, dass sein Verlangen größer sei als all die Reichtümer und Genüsse, die Mephisto ihm bieten könne. Mephisto ist der realist, der allen Himmelsstürmern gegenüber erklärt: „Runter kommen sie immer!“ In der Schule des Mephisto wird auch Faust tatsächlich ein tüchtiger realist. Denn entspricht es nicht der Realität, aus nichts, dem Papiergeld also, alles, jedenfalls vieles zu machen? Mephisto bietet ja sogar an, aus Scheiße Gold zu machen! Aber trotz allem, Faust ist damit doch nicht zufrieden, er will irgendwie mehr, er behält seine metaphysische identität auch als realist. es muss Goethe ein diebisches vergnügen bereitet haben, den Faust am ende schließlich dem Mephisto entkommen zu lassen. in dem Augenblick als Mephisto glaubt, er könne sich Fausts Seele schnappen, entdeckt dieser jedoch die ansehnlichen, knackigen Hintern der engel; in die verguckt er sich, und so schnappen ihm die engel den Faust weg. Der realist Mephisto ist selbst Opfer seines schwulen Begehrens geworden! ist das nicht ein wunderbarer Schluss, der dabei noch so herrlich katholisch ist! ep: Sie, Herr Safranski, haben wunderbare, erfolgreiche Bücher geschrieben und könnten sich längst zur Ruhe setzen und das Leben genießen. Was treibt Sie an, weiter zu schreiben? rs: ruhe finde ich beim schreiben. ich meide die unruhe, die entstünde, wenn ich mich vom schreiben zur ruhe setzte ... 104 salon
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Seite 5 und 6: ep: Sie haben einmal diesen wunderb
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