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P O R T R Ä T Im Gesprä<strong>ch</strong> mit der Gärtnerin Marlies Frints Roggli Ein nasskalter Februartag ist ni<strong>ch</strong>t der ideale Zeitpunkt, um si<strong>ch</strong> mit Gartenarbeit zu bes<strong>ch</strong>äftigen. Kaum <strong>im</strong> Gesprä<strong>ch</strong> mit der passionierten Gärtnerin Marlies Frints Roggli, ist der graue Regen vor der Türe jedo<strong>ch</strong> vergessen und der Gartenfrühling zum Greifen nah. QUAVIER hat Marlies in ihrer s<strong>ch</strong>önen Altbauwohnung an der Böcklinstrasse besu<strong>ch</strong>t. Der lange Tis<strong>ch</strong> <strong>im</strong> Wohnz<strong>im</strong>mer ist no<strong>ch</strong> gedeckt vom Frühstück mit ihren Gästen aus Belgien. Marlies serviert ostfriesis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>warztee aus einer Silberkanne mit wattierter Wärmehaube und beginnt glei<strong>ch</strong> von ihrem Garten zu erzählen: «Als wir vor 16 Jahren in dieses Haus zogen, war der Garten wie ein Friedhof, umrahmt von einer hohen Thujahecke. In ihrem S<strong>ch</strong>atten wu<strong>ch</strong>s kaum etwas. Wir haben die Hecke sofort entfernt.» Marlies will si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hinter einer Hecke verstecken und freut si<strong>ch</strong> über den Austaus<strong>ch</strong> mit den Na<strong>ch</strong>barn und Quartierbewohnern. Im Moment vermisst sie diesen. «In der kalten Jahreszeit sieht man weniger Leute. Die Hemms<strong>ch</strong>welle für Spontanbesu<strong>ch</strong>e ist viel höher, wenn man an der Haustüre klingeln muss.» Über die tiefe Bu<strong>ch</strong>enhecke, die den Thuja ersetzt hat, führt Marlies oft interessante Gesprä<strong>ch</strong>e mit Passanten. Pflanzen werden genauso getaus<strong>ch</strong>t wie Holunderbeeren, Aprikosen für die hausgema<strong>ch</strong>te Konfitüre und S<strong>ch</strong>on bald wird der Garten von Marlies wieder spriessen. Quitten für den Gelee der türkis<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>barn – au<strong>ch</strong> in der Stadt ist es mögli<strong>ch</strong>, Obst anzubauen. Niederstammbäume brau<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t viel Platz. Es brau<strong>ch</strong>t überhaupt ni<strong>ch</strong>t viel Platz für einen Garten. Das sieht man zum Beispiel in Amsterdam. Die Leute sind dort sehr innovativ. Ein Quadratmeter rei<strong>ch</strong>t, oder ein Blumentopf.» Obwohl der Garten Winters<strong>ch</strong>laf hält, kann i<strong>ch</strong> mir vorstellen, wie viel Arbeit und Liebe Marlies in ihren Garten steckt. Es blüht <strong>im</strong>mer etwas, zu jeder Jahreszeit. Im Moment sind es Hunderte von Stiefmütter<strong>ch</strong>en auf den Fensters<strong>im</strong>sen. «Der Verkäufer kennt mi<strong>ch</strong> mittlerweile und nennt mi<strong>ch</strong> Frau Stiefmütter<strong>ch</strong>en.» Ein weiterer Blickfang ist der alte Magnolienbaum direkt vor dem Wohnz<strong>im</strong>merfenster, der mit seiner s<strong>ch</strong>önen Kontur au<strong>ch</strong> <strong>im</strong> Winter hübs<strong>ch</strong> aussieht. An der Fassade klettern Rosenstauden ho<strong>ch</strong>. «Die meisten Hagebutten haben die Vögel bereits gepickt», erzählt Marlies. Die vers<strong>ch</strong>iedenen Pflanzen, Frü<strong>ch</strong>te und Beeren locken viele Tiere an: Vögel, S<strong>ch</strong>metter- Foto: Marlies Frints Roggli Grüner Tipp Für Fahrten bis zu 5 km ist man Innerorts mit dem Velo genauso s<strong>ch</strong>nell wie mit dem Auto. Kurzfahrten brau<strong>ch</strong>en relativ viel Treibstoff undman spart zusätzli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> die Kosten fürs Fitness- Studio. Danke fürs Helfen! (gn) linge, Igel. Sogar ein Reh hat mal an der Hecke geknabbert. Marlies benutzt bewusst weder Pflanzens<strong>ch</strong>utzmittel no<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>neckenkörner, setzt nur s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> dosierten Biodünger ein und a<strong>ch</strong>tet auf die Auswahl der Pflanzen. «Mit meinem Na<strong>ch</strong>barn, einem Biologen, diskutiere i<strong>ch</strong> oft darüber, wel<strong>ch</strong>e Pflanzen am ökologis<strong>ch</strong>sten sind. Er wählt ausnahmslos einhe<strong>im</strong>is<strong>ch</strong>e Pflanzen aus. I<strong>ch</strong> bin überzeugt, dass au<strong>ch</strong> ausländis<strong>ch</strong>e Blumen Nahrung für S<strong>ch</strong>metterlinge und Bienen sein können. Den S<strong>ch</strong>metterlingsflieder, den i<strong>ch</strong> auf der Grenze zu seinem Garten gepflanzt hatte, halte i<strong>ch</strong> aber auf seinen Rat hin kurz und klein und s<strong>ch</strong>neide die verwelkten Blüten ab, so dass er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verbreiten kann.» Neophyten wie den S<strong>ch</strong>metterlingsflieder oder die kanadis<strong>ch</strong>e Goldrute rät Marlies unbedingt zu vermeiden. Denn sie breiten si<strong>ch</strong> überall aus und verdrängen wertvolle einhe<strong>im</strong>is<strong>ch</strong>e Pflanzen. «S<strong>ch</strong>on bald wird der Garten wieder explodieren», freut si<strong>ch</strong> Marlies. «Er blüht jeden Frühling wieder, egal wie die Wirts<strong>ch</strong>aftslage gerade ist. I<strong>ch</strong> arbeite in der Palliativpflege. Der Garten ist <strong>im</strong>mer au<strong>ch</strong> ein Gesprä<strong>ch</strong>sthema mit den Patienten. Für sie ist es tröstli<strong>ch</strong>, dass au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> ihrem Tod Rosen blühen werden.» Die Gartenarbeit ist ihr ein wi<strong>ch</strong>tiger Ausglei<strong>ch</strong> zur Arbeit <strong>im</strong> Krankenhaus. «Wenn i<strong>ch</strong> draussen bin und in der Erde wühle, kann i<strong>ch</strong> besonders gut abs<strong>ch</strong>alten und mi<strong>ch</strong> erholen.» Auf das kommende Gartenjahr freut si<strong>ch</strong> Marlies besonders, denn sie will zusammen mit einer Freundin auf dem Tramdepotareal ein Gartenbeet mieten, wenn das Projekt «Temporäre Gärten» zustande kommt. «Das Tramdepot sowieso ist ein wunderbarer Raum, ein idealer Platz für die Quartierbewohner. I<strong>ch</strong> gehe au<strong>ch</strong> oft ins Bu<strong>ch</strong>owski. Eigentli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ade, dass dieser Ort in zwei bis drei Jahren überbaut wird.» Zurück dahe<strong>im</strong> und angetan von Marlies völkerverbindender Art, überlege i<strong>ch</strong> mir, ob i<strong>ch</strong> den Si<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utz in unserem Garten viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> ein biss<strong>ch</strong>en lockern und unsere Hecke tiefer s<strong>ch</strong>neiden soll. Auf jeden Fall freue au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> nun auf die neue Gartensaison, die wilden Tulpen <strong>im</strong> Frühling, die Anzu<strong>ch</strong>t der Topftomaten, die Ernte <strong>im</strong> Herbst und auf den regen Austaus<strong>ch</strong> mit anderen GärtnerInnen. (mr) QUAVIER 70/13 | 11