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Made in Venezuela - Assoziation A

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Haus entfernt: e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e, erst vor kurzem neu hergerichtete Parkanlage,<br />

die nach Norden h<strong>in</strong> aufsteigt. Am oberen Ende e<strong>in</strong> vielleicht 15<br />

Meter hoher Obelisk, an dem lange Stoffbanderolen <strong>in</strong> Nationalfarben<br />

angebracht s<strong>in</strong>d, darunter, direkt vor dem Fluchtpunkt des Platzes,<br />

e<strong>in</strong>e Bühne, <strong>in</strong> deren Zentrum wiederum e<strong>in</strong>e Statue der Jungfrau<br />

Maria aufgestellt ist. Rechts davon e<strong>in</strong>e Digitalanzeige: 3.055 Stunden,<br />

45 M<strong>in</strong>uten, 18 Sekunden Widerstand. An den Außenseiten des<br />

Platzes kle<strong>in</strong>e Zelte und Tische. Die selbsternannte Zivilgesellschaft<br />

zeigt Präsenz: abtrünnige Militärs, Frauengruppen, Lehrerverbände,<br />

die über Jahrzehnte das politische Geschick <strong>Venezuela</strong>s bestimmende<br />

Acción Democrática (AD) samt ihres Gewerkschaftsverbandes<br />

CTV. Carlos Ortega, Chef der CTV, hat sich an diesem Tag <strong>in</strong> die<br />

Botschaft Costa Ricas geflüchtet. Er wird wenig später Asyl erhalten<br />

und ausgeflogen werden.<br />

Ich bleibe stehen, um mir e<strong>in</strong>e Rede anzuhören. E<strong>in</strong> lauer Abend.<br />

Neben der Jungfrau Maria zitiert e<strong>in</strong> abtrünniger Luftwaffengeneral<br />

<strong>in</strong> Uniform aus verme<strong>in</strong>tlichen Regierungsdokumenten. Mich blendet<br />

das Sche<strong>in</strong>werferlicht auf der Bühne. »Wir müssen auf die Lehrer<br />

e<strong>in</strong>wirken, denn die Indoktr<strong>in</strong>ation während der K<strong>in</strong>dheitsjahre<br />

ist am wirkungsvollsten« und: »Schwieriger ist die Angelegenheit<br />

an den Universitäten, weil Studenten zu selbstständig denken«. Die<br />

Fälschung ist plump, be<strong>in</strong>ahe lächerlich. Doch die auf dem Platz<br />

versammelten Personen – Hausfrauen, Erdöltechniker, leitende Angestellte,<br />

Militärs – lachen nicht. Sie s<strong>in</strong>d fest davon überzeugt, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er »castro-kommunistischen Diktatur« zu leben oder zum<strong>in</strong>dest<br />

auf dem besten Weg dah<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>.<br />

An e<strong>in</strong>em Zelt lerne ich e<strong>in</strong>en Ingenieur kennen. Ich frage, was<br />

die Leute auf dem Platz wollten, ich käme aus dem Ausland und<br />

verstünde das nicht. Der Mann blickt mich misstrauisch an, erzählt<br />

dann aber doch: Dass das politische System Anfang der 1990er Jahre<br />

am Ende gewesen sei, niemand mehr Vertrauen <strong>in</strong> die traditionellen<br />

Parteien gehabt habe, und dann e<strong>in</strong> Offizier, e<strong>in</strong> Putschist namens<br />

Hugo Rafael Chávez Frías, aufgetaucht sei, der die Unzufriedenheit<br />

für sich zu kanalisieren gewusst habe. Dass dieser Mann, man habe<br />

erst später erfahren, dass er von dem Kubaner Fidel Castro Ruiz unterstützt<br />

werde, der Ingenieur spricht erneut den kompletten Namen<br />

aus, 1998 von der großen Mehrheit der Bevölkerung gewählt worden<br />

sei, obwohl er, der Ingenieur, nicht für ihn gestimmt habe, weil e<strong>in</strong><br />

Putschist nicht Präsident werden sollte. Es ist eigenartig: Wenn man<br />

mit Anhängern der Opposition redet, erkennen sie zwar an, dass e<strong>in</strong>e<br />

überwältigende Mehrheit für Chávez gestimmt habe, sie selbst ihn<br />

jedoch nicht gewählt hätten. Dass dieser Hugo Rafael Chávez Frías,<br />

der Ingenieur nennt zum dritten Mal e<strong>in</strong>en kompletten Namen, und<br />

ich überlege, ob das nun Ausdruck von Verachtung oder Genauigkeit<br />

ist, die Kontrolle über sämtliche Institutionen erlangt habe: über den<br />

Obersten Gerichtshof, die Nationalversammlung und die Staatsanwaltschaft.<br />

Doch dass man erst rebelliert habe, nachdem der Präsident<br />

das Erziehungswesen anzutasten begonnen habe.<br />

Ich spüre den Drang zu widersprechen. Die Richter am Obersten<br />

Gerichtshof mussten geme<strong>in</strong>sam mit den traditionellen Parteien<br />

AD und COPEI berufen werden, weil die Chávez unterstützende<br />

Koalition nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament<br />

besaß. Das ist auch der Grund, warum viele Stadtteil organisationen<br />

behaupten, die Justiz sei <strong>in</strong> den Händen der alten Eliten.<br />

Aber ich widerspreche nicht. Ich b<strong>in</strong> hier, um zuzuhören. Der<br />

Ingenieur sagt, sie hätten damals, drei Jahre sei das wohl her, mit<br />

ihrer Kampagne begonnen: »Hände weg von me<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern«,<br />

denn die Regierung habe geplant, Che-Fotos <strong>in</strong> den Klassenzimmern<br />

aufzuhängen.<br />

»Stell dir vor, Che-Fotos!« Schon wieder dieser prüfende, misstrauische<br />

Blick. »Ich me<strong>in</strong>e, <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Jugend war ich auch für Castro. An<br />

der Uni! Aber das ist da«, der Ingenieur zeigt Richtung Universität,<br />

»und nicht hier.«<br />

Ich frage mich, woher der Ingenieur die Geschichte mit den Che-<br />

Fotos hat und warum e<strong>in</strong> so großer Teil der Debatten hier um Bilder,<br />

Symbole und Codes geführt wird: Castro, Cuba, Fotos, Militärs <strong>in</strong><br />

Regierungsfunktionen.<br />

Vorsichtig erkundige ich mich, ob es nicht auch um Erdöl gegangen<br />

sei. Im Ausland habe man viel von der Öl<strong>in</strong>dustrie gehört. Der<br />

Ingenieur verzieht ablehnend das Gesicht. »Ne<strong>in</strong>, um Erziehung.«<br />

»Und was war das bei PDVSA?«<br />

Das sei erst später dazu gekommen. Der Ingenieur blickt auf die<br />

Uhr. Er ist es offensichtlich überdrüssig, me<strong>in</strong>e Fragen zu beantworten.<br />

Ich nicke höflich, um ihn zum Weitermachen zu ermuntern. Er<br />

fügt noch e<strong>in</strong> paar Sätze h<strong>in</strong>zu. Chávez habe lauter Militärs e<strong>in</strong>gesetzt,<br />

Typen, die nichts vom Geschäft verstünden. Wo gebe es so was? Dass<br />

sich Guaicaipuro Lameda, e<strong>in</strong>er von Chávez zum PDVSA-Manager<br />

ernannter Militär, nach se<strong>in</strong>er Absetzung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Führer der Oppositionsbewegung<br />

verwandelte, erfahre ich erst später. Der Ingenieur<br />

sagt, dass das alles auf e<strong>in</strong>en autoritären Staat h<strong>in</strong>auslaufe.<br />

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