Made in Venezuela - Assoziation A
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werde ich vor allem Österreichisch gelernt haben.<br />
Die ökonomische Krise könnte kaum offensichtlicher se<strong>in</strong>. Die<br />
Verkaufsbuden der Straßenhändler stehen <strong>in</strong> dichten Reihen nebene<strong>in</strong>ander.<br />
Die meisten verkaufen Kleider, CDs und Räucherstäbchen. Ich<br />
frage mich, wer so viele Kleider, CDs und Räucherstäbchen eigentlich<br />
kauft. 60-70 Prozent der Venezolaner, heißt es, leben mittlerweile<br />
von der <strong>in</strong>formellen Ökonomie. Bis auf den Erdölsektor und die<br />
Alum<strong>in</strong>ium<strong>in</strong>dustrie verfügt das Land kaum noch über e<strong>in</strong>e eigene<br />
Produktion. Durch die Umsturzversuche 2002 hat sich die Situation<br />
zudem noch weiter verschärft. Die Leute schlagen sich als Kle<strong>in</strong>händler<br />
durch, wobei der <strong>in</strong>formelle Sektor nicht anders strukturiert ist als<br />
andere Bereiche. Die Stände gehören Geschäftsleuten, die Verkäufer<br />
s<strong>in</strong>d meist nur Angestellte und verdienen mit 150 Euro nicht viel<br />
mehr als e<strong>in</strong>en M<strong>in</strong>destlohn.<br />
Wir drängeln uns durch die Menge, es ist eng. Sound-Clash. Die<br />
CD-Händler spielen HipHop, Salsa, schmalzigen Lat<strong>in</strong>o-Pop und<br />
natürlich Shakira. Unsägliche Shakira.<br />
Wir kommen an der U-Bahn-Station Sabana Grande vorbei. Ich<br />
schaue mich um. Die Stelle habe ich als große, breite Fußgängerzone<br />
<strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung. Jetzt s<strong>in</strong>d nur noch Metallbuden und Waren zu sehen.<br />
Weil ich mir nicht sicher b<strong>in</strong>, ob ich den Ort verwechsle, gehe ich auf<br />
e<strong>in</strong>en Stand zu und spreche die Leute an, die dort auf Camp<strong>in</strong>gstühlen<br />
sitzen: e<strong>in</strong>e Schwarze, e<strong>in</strong> älterer Mann, der Verkäufer selbst. Sie<br />
verstehen me<strong>in</strong>e Frage nicht gleich. Ob das hier immer schon so war.<br />
Immer schon mit Marktständen.<br />
»Klar, hier waren immer Marktstände«, me<strong>in</strong>t der Ältere.<br />
»Immer?«<br />
»Es gibt überall <strong>in</strong> Late<strong>in</strong>amerika Straßenverkäufer.«<br />
»In Panama und Kolumbien auch«, fügt der Verkäufer h<strong>in</strong>zu.<br />
Man merkt: Sie fühlen sich angegriffen. Immerh<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d sie Straßenhändler.<br />
Im besten Fall geduldet. Ich sage, dass ich das <strong>in</strong> Ordnung<br />
fände, Straßenhandel. Dass ich nur die Gegend anders <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung<br />
hätte. »Weniger belebt«, sage ich.<br />
Der Verkäufer stellt fest, dass er seit 98 oder 99 <strong>in</strong> der Fußgängerzone<br />
se<strong>in</strong>en Stand habe.<br />
»Also doch nicht immer«, sage ich.<br />
»Schon«, erwidert der Ältere, »aber nicht hier.«<br />
Die Schwarze wirft e<strong>in</strong>, dass die Geme<strong>in</strong>deverwaltung im kolumbianischen<br />
Cali überall städtische Markthallen errichtet habe.<br />
Die Straßen wären dadurch nicht mehr so überfüllt. Cali, denke<br />
ich, die Frau ist e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wanderer<strong>in</strong>. Jeder Zehnte der 25 Millionen<br />
Bewohner <strong>Venezuela</strong>s stammt mittlerweile aus Kolumbien. »Das war<br />
vorher so wie hier. So eng, dass man nicht durchgekommen ist.« Ich<br />
wundere mich, dass ausgerechnet e<strong>in</strong>e Händler<strong>in</strong> sich kritisch über<br />
den Straßenhandel äußert.<br />
Die Frage nach dem S<strong>in</strong>n städtischer Markthallen ist nicht so leicht<br />
zu beantworten. Die kollabierte Innenstadt von Caracas würde für<br />
Fußgänger wieder zugänglicher, wenn es e<strong>in</strong>e städtische Organisation<br />
des Kle<strong>in</strong>handels gäbe. Andererseits werden die Straßenverkäufer<br />
durch solche Maßnahmen aus den besten Gegenden vertrieben und<br />
müssen dafür auch noch Abgaben zahlen. In El Salvador wurde vor<br />
e<strong>in</strong>igen Jahren die gleiche Diskussion geführt. E<strong>in</strong>er der ersten Kämpfe,<br />
die die frisch legalisierte FMLN-Guerilla als Stadtregierung von<br />
San Salvador ausfocht, war ausgerechnet der gegen die ambulanten<br />
Verkäufer. Nachdem e<strong>in</strong> Teil der Straßenhändler nicht bereit war,<br />
<strong>in</strong> die städtische Markthalle umzuziehen, hat man sie gewaltsam<br />
vertrieben.<br />
»Und warum seit ‘99?« frage ich.<br />
»Weil den Bürgermeistern der IV. Republik die Fußgängerzone<br />
Sabana Grande heilig gewesen ist«, antwortet der Verkäufer.<br />
Als ›IV. Republik‹ bezeichnet die venezolanische Öffentlichkeit<br />
die Zeit vor der Verfassungsreform 1999.<br />
»Heilig?«, fragt Helmut.<br />
»Die wollten ke<strong>in</strong>e Straßenhändler hier haben«, sagt der Verkäufer,<br />
»weil hier alles voll mit Franchise-Shops ist. Große Unternehmen,<br />
die Abgaben zahlen. Die Straßenhändler s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>fach nur da und<br />
schnappen den Unternehmen Kunden weg.«<br />
Ich frage, ob wir hier <strong>in</strong> Chacao s<strong>in</strong>d.<br />
»Ne<strong>in</strong>, Libertador«, antwortet die Frau.<br />
Die Verwaltungsstruktur von Caracas ist nicht ganz leicht zu verstehen.<br />
Der Großraum der Área Metropolitana ist <strong>in</strong> fünf Geme<strong>in</strong>den<br />
aufgeteilt. Die bevölkerungsarmen, aber wohlhabenden Munizipien<br />
Chacao, El Hatillo und Baruta werden ebenso wie der Großraum als<br />
Ganzer von der Opposition regiert. In den bevölkerungsreicheren<br />
Geme<strong>in</strong>den Sucre und Libertador (Caracas-Stadt) stellt h<strong>in</strong>gegen die<br />
Regierungspartei MVR die Bürgermeister. Letztlich ermöglicht diese<br />
Struktur die auch adm<strong>in</strong>istrative Segregation der Stadt. Die Besserverdienenden<br />
laufen nicht Gefahr, bei Wahlen niedergestimmt zu werden<br />
und die Kontrolle über die Geme<strong>in</strong>de haushalte zu verlieren.<br />
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