Made in Venezuela - Assoziation A
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Bis Ende der 80er Jahre AD und COPEI schließlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Krise<br />
geraten. Schrumpfende Öle<strong>in</strong>nahmen, neoliberale Sparmaßnahmen<br />
und die Niederschlagung des caracazo, der spontanen Massenrevolte<br />
im Februar 1989, machen die Legitimationskrise manifest.<br />
In Caracas und unter den Metallarbeitern von Ciudad Guayana<br />
gew<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e neue Bewegung an Bedeutung: Causa R, Radikale<br />
Sache. Sie stellt schon bald den Bürgermeister von Caracas und<br />
den Gouverneur des südvenezolanischen Bundesstaats Bolívar. Als<br />
Chávez 1992 e<strong>in</strong>en Aufstand gegen die Regierung Carlos Andrés Pérez<br />
plant, bemüht er sich um e<strong>in</strong> Abkommen mit der Causa R. Doch<br />
die politische L<strong>in</strong>ke will mit den aufständischen Militärs nichts zu<br />
tun haben. Die Offiziere bleiben weitgehend unter sich, der geplante<br />
Volksaufstand wird zum Putschversuch, Chávez geht <strong>in</strong>s Gefängnis.<br />
In Causa R, Gewerkschaftspartei und Hoffnung e<strong>in</strong>er anderen Art<br />
von Politik, verschärfen sich die Widersprüche, die Partei spaltet sich.<br />
Die L<strong>in</strong>ken gründen die PPT. Als der aus der Haft entlassene Chávez<br />
1995 e<strong>in</strong>e Sammlungsbewegung gründet, die schließlich MVR getauft<br />
wird, und an e<strong>in</strong>em Oppositionsbündnis zu arbeiten beg<strong>in</strong>nt,<br />
bleibt PPT-Parteichef Pablo Med<strong>in</strong>a auf Distanz. Die von Chávez<br />
geführte Allianz gew<strong>in</strong>nt drei Jahre später trotzdem die Wahlen. E<strong>in</strong>e<br />
Koalitionsregierung wird gebildet, diesmal unter E<strong>in</strong>schluss der PPT.<br />
Bis 2001 ist das Bündnis e<strong>in</strong>igermaßen stabil. Dann will Parteichef<br />
Pablo Med<strong>in</strong>a bei den Wahlen für den Gewerkschaftsdachverband<br />
CTV als Kandidat der L<strong>in</strong>ken antreten. Die Regierungsparteien stellen<br />
stattdessen Aristóbulo Istúriz auf, den ehemaligen Bürgermeister<br />
von Caracas und heutigen Erziehungsm<strong>in</strong>ister, ebenfalls von der PPT.<br />
Med<strong>in</strong>a erträgt die Zurückweisung nicht, tritt aus der PPT aus und<br />
f<strong>in</strong>det sich schon bald <strong>in</strong> der Opposition wieder. In e<strong>in</strong>er Opposition,<br />
die im April 2002 e<strong>in</strong>en rechten Putsch durchführt.<br />
Teatro Municipal<br />
Ich überquere die Plaza Caracas, e<strong>in</strong>en der vielen vom Modernismus<br />
geprägten Plätze der Stadt: <strong>in</strong> den 60er Jahren errichtete Verwaltungsgebäude<br />
und e<strong>in</strong> weitläufiger Platz, auf dem mittlerweile Verkaufsbuden<br />
eng an eng stehen.<br />
Der late<strong>in</strong>amerikanische Architektur-Modernismus 1940-75 wird<br />
<strong>in</strong> der Regel als Ausdruck der Fortschrittshoffnungen und damit als<br />
politisch-kulturelles Konzept <strong>in</strong>terpretiert, aber wahrsche<strong>in</strong>lich ist die<br />
ökonomische Erklärung viel e<strong>in</strong>leuchtender: Die Umstruktu rie rung<br />
der Städte ermöglichte die persönliche Bereicherung. Mit Hilfe der<br />
öffentlichen Bauvorhaben wurden Staatse<strong>in</strong>nahmen <strong>in</strong> Privatkassen<br />
umgelenkt. Alle<strong>in</strong> der Sozialdemokrat Carlos Andrés Pérez, 1974-<br />
79 und 1988-93 Präsident <strong>Venezuela</strong>s, soll auf diese Weise mehrere<br />
Milliarden US-Dollar <strong>in</strong> die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Das<br />
Gedränge, das heute auf der Plaza Caracas herrscht, ist nur die logische<br />
Konsequenz dieser Variante von Modernisierung. Überall buhoneros,<br />
Straßenhändler. Die Innenstadt ist zu e<strong>in</strong>em Ort geworden, an dem<br />
sich das Überleben organisiert, zu e<strong>in</strong>er Arena des peripherkapitalistischen<br />
Existenzkampfs.<br />
E<strong>in</strong> Block unterhalb der Plaza liegt das Stadttheater, e<strong>in</strong> Bau aus<br />
dem 19. Jahrhundert, e<strong>in</strong>gezwängt zwischen maroden Bürohäusern,<br />
Verkaufsbuden und verstopften Straßen. Das Theater wirkt wie e<strong>in</strong>e<br />
Enklave: dunkler Holzboden, stoffbezogene Sitze, e<strong>in</strong>e etwas abgegriffene,<br />
aber immer noch Feierlichkeit ausstrahlende E<strong>in</strong>richtung.<br />
An diesem Abend zeigt Cipriano, Projekt-Fellow und Fotograf aus<br />
Brasilien, se<strong>in</strong>e Arbeiten: Bilder aus den Favelas. Kunstvolle, d.h.<br />
ästhetisierende Aufnahmen, die bei mir Widerwillen hervorrufen.<br />
Die Perspektive vom Hang: Häusermeer, endlos. Der menschelnde<br />
Blick: Gesichter, K<strong>in</strong>der, Feste. Cipriano kommentiert, Freud und<br />
Leid seien wegen der Armut besonders extrem. Das erotische Auge:<br />
Frauen halbnackt h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er Mauer, geheimnisvoll lächelnd, von<br />
h<strong>in</strong>ten fotografiert. Und schließlich: Dorfleben im Slum. Verw<strong>in</strong>kelte<br />
Gassen und Straßen.<br />
Das Licht geht wieder an. Schaler Nachgeschmack. Cipriano fügt<br />
h<strong>in</strong>zu, dass er mit se<strong>in</strong>en Arbeiten ke<strong>in</strong>e Kritik leisten wolle. Ke<strong>in</strong>e<br />
Abstraktion oder Reflexion. E<strong>in</strong>fach nur Bilder schießen, schöne<br />
Bilder. Etwas ehrlicher könnte er sagen: abbilden, Stereotypen reproduzieren,<br />
Projektionsflächen schaffen. Mir fällt e<strong>in</strong>e Bemerkung<br />
Sab<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>: Dass man nicht fotografieren kann, ohne Kontexte zu<br />
bestimmen und sichtbar zu machen.<br />
In Bowl<strong>in</strong>g for Columb<strong>in</strong>e flaniert Michael Moore durch South<br />
Central, Los Angeles. Dick und lächelnd steht er neben e<strong>in</strong>er Ampel<br />
an der angeblich gefährlichsten Kreuzung der USA – nichts passiert,<br />
nur Autos fahren vorbei – und wird von se<strong>in</strong>em Begleiter, e<strong>in</strong>em<br />
anderen Mittelschichts weißen, auf e<strong>in</strong>e Gefahr h<strong>in</strong>gewiesen, die<br />
angeblich viel realer ist als jene Gewalt des Ghettos, die man mit<br />
dem Stichwort South Central normalerweise assoziiert: Man sieht die<br />
Buchstaben »Hollywood« nicht, obwohl der Hang nicht besonders<br />
weit entfernt ist. Der Smog sei zu dicht, bemerkt Moores Begleiter.<br />
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