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Made in Venezuela - Assoziation A

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deln kann. Früher haben Stadtplaner und Architekten Informalität<br />

vor allem als Abwesenheit staatlicher Kontrolle begriffen, als e<strong>in</strong>en zu<br />

beseitigenden Zustand, und so wurden Landbesetzungen planiert und<br />

›regulierte‹ Siedlungen errichtet. Im letzten Jahrzehnt jedoch hat sich<br />

mit dem Siegeszug neoliberaler Diskurse durchgesetzt, Informalität<br />

als e<strong>in</strong> positives Phänomen zu betrachten, als e<strong>in</strong>e nicht versiegende<br />

Quelle der Inspiration und unternehmerischen Initiative. Dabei geht<br />

es, wie wir gerade merken konnten, für die Bewohner um etwas ganz<br />

Anderes. Aus der Sicht von Barrio-Bewohnern repräsentiert jedes noch<br />

so harmlose Foto, jedes Abbild <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong> Machtverhältnis.<br />

Der Architekt mag sich für die kreativen Bauten im Barrio begeistern,<br />

der Berl<strong>in</strong>er Senator für Stadtentwicklung geme<strong>in</strong>sam mit dem peruanischen<br />

Wirtschafts professor das ökonomische Potenzial <strong>in</strong>formeller<br />

Kle<strong>in</strong>staktivitäten hervorheben. Für die Bewohner e<strong>in</strong>es Armenviertels<br />

h<strong>in</strong>gegen bedeutet ›Informalität‹ vor allem Angst. Ungewissheit. In<br />

der ›formellen‹ Stadt s<strong>in</strong>d die Machtmittel konzentriert, die e<strong>in</strong>en <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en Obdachlosen verwandeln können.<br />

Los Encantos, die Freuden. Der Name ist nicht unpassend – vom<br />

nach Kloake st<strong>in</strong>kenden Bachlauf e<strong>in</strong>mal abgesehen. Das Tal ist grün:<br />

Schilf, Obst- und Avocadobäume, Bananenstauden. Andrés und Francisco<br />

grüßen die Nachbarn mit Handschlag. An diesem Nachmittag<br />

hat sich <strong>in</strong> der Nachbarschaft e<strong>in</strong> Landkomitee gegründet. Seitdem die<br />

Regierung das »Dekret zur Regularisierung städtischen Landbesitzes«<br />

erlassen hat, erlebt Caracas e<strong>in</strong>e Welle der Selbst organisierung.<br />

Überall tun sich Anwohner zusammen, um Eigentumstitel zu<br />

beantragen und über Veränderungen ihrer Viertel zu diskutieren –<br />

Stadtplanung von unten. Wir kommen an, als das Treffen gerade<br />

vorüber ist. Der Wortführer der Gruppe ist schwul. Ich frage mich,<br />

ob er offen homosexuell lebt und wie weit der Respekt der Nachbarn<br />

ihm gegenüber wohl reicht. Die Barrio-Bewohner zeigen uns<br />

e<strong>in</strong>e Freifläche, wo sie e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Versammlungs raum und e<strong>in</strong>en<br />

Basketballplatz bauen wollen. Es wäre e<strong>in</strong>facher, e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzierung<br />

zu bekommen, wenn sie Baupläne vorlegen könnten, sagen sie. Liyat<br />

antwortet spontan, dass sie welche zeichnen könnte.<br />

Wir schlendern geme<strong>in</strong>sam weiter und kommen an e<strong>in</strong>er Stelle<br />

vorbei, an der e<strong>in</strong> Bauprojekt der Geme<strong>in</strong>de Caracas stillsteht. »Bürgermeister<br />

der Geme<strong>in</strong>de Libertador – Freddy Bernal«, ist zu lesen.<br />

Freddy Bernal ist e<strong>in</strong> Ex-Polizist, der für die von Chávez gegründete<br />

Bewegung Fünfte Republik zum Bürgermeister der Stadt Caracas (nicht<br />

zu verwechseln mit der Área Metropolitana, dem metropoli tanen<br />

Großraum) gewählt wurde. In der L<strong>in</strong>ken ist er nicht unumstritten<br />

und gehört doch zum bewegungsnäheren Teil der Regierungspartei.<br />

»Die Revolution schreitet voran«, steht auf dem Schild. Das Projekt<br />

allerd<strong>in</strong>gs schreitet überhaupt nicht voran. Der Lauf der Kloake sollte<br />

unterirdisch verlegt werden. »Sie haben Leute aus e<strong>in</strong>em anderen<br />

Stadtteil beauftragt«, sagt die Frau, die neben mir geht. »Das ist<br />

Uns<strong>in</strong>n. Man muss das die Bewohner des eigenen Viertels machen<br />

lassen. Die haben mehr Interesse, die Arbeit richtig zu machen, und<br />

es gibt soziale Kontrolle.«<br />

E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Stück weiter lädt man uns zum Essen e<strong>in</strong>. Fischsuppe.<br />

Die Familie, die uns here<strong>in</strong>bittet, kommt aus Sucre von der Ostküste.<br />

Die meisten aus dem Viertel kämen da her, erzählt der junge Mann<br />

im Wohnzimmer. Wir stellen uns ans Fenster. Das Haus liegt auf<br />

e<strong>in</strong>em Kamm, der <strong>in</strong> das Tal von La Vega h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>reicht. Wir blicken<br />

h<strong>in</strong>ab.<br />

Konferenz<br />

Palacio Miraflores, Präsidentenpalast. In dem gleichen Saal, <strong>in</strong> dem<br />

sich vor knapp e<strong>in</strong>em Jahr Unternehmerverbandschef Pedro Carmona<br />

zum Präsidenten vereidigt hat, f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong> Vorbereitungstreffen für<br />

das ›Weltsolidaritätsforum zur Unterstützung der Bolivarianischen<br />

Revolution‹ statt. Der Name ist schrecklich, das Plakat wird noch<br />

schlimmer ausfallen: Unabhängigkeitshelden vor e<strong>in</strong>er am Boden<br />

liegenden, um Hilfe flehenden Frau.<br />

Am E<strong>in</strong>gang des Palasts ist vom viel beschworenen Militarismus<br />

der Regierung Chávez nicht viel zu bemerken. Die wachhabenden<br />

Soldaten er<strong>in</strong>nern eher an e<strong>in</strong>en Freundeskreis, der sich zum Kartenspielen<br />

verabredet hat. E<strong>in</strong>er von den Rekruten, nicht im Dienst,<br />

macht sich über die Ehrengarde lustig: 19-Jährige <strong>in</strong> Uniformen aus<br />

dem 19. Jahrhundert wackeln mit unpraktischen Hüten, der Rekrut<br />

neben mir gr<strong>in</strong>st.<br />

Der Konferenzsaal liegt e<strong>in</strong> Stockwerk tiefer. Auch hier das gleiche<br />

Bild. 60 Vertreter aus Stadtteil organisationen und regierungsnahen<br />

Gruppen sowie e<strong>in</strong>ige Leute aus dem Staatsapparat. Fuerza Bolivariana<br />

de Trabajadores, Bolivarianischer Arbeiterverband, erst e<strong>in</strong><br />

paar Tage später wird der neue Gewerkschafts dachverband UNT<br />

gegründet, Coord<strong>in</strong>adora Popular de Caracas, Koord<strong>in</strong>ation der<br />

Stadtteil organisationen, Consejo Nacional Indio, Nationaler Indianerrat,<br />

Unión Cívico-Militar, Bürger-Militär-Bündnis. E<strong>in</strong> Treffen e<strong>in</strong>es<br />

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