08.06.2014 Aufrufe

Made in Venezuela - Assoziation A

Made in Venezuela - Assoziation A

Made in Venezuela - Assoziation A

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>in</strong> Anzügen und frischen Hemden, aber nicht besonders affektiert.<br />

William Fariñas, Chávez-Berater und Offizier – bärtig, dick, mit<br />

gemütlicher Ausstrahlung – sitzt auf e<strong>in</strong>em Ledersofa und sagt, dass<br />

die Revolution vor allem das Zwischenmenschliche betonen müsse,<br />

die Alltagsbeziehungen. Wenn das diese Regierung ist, denke ich,<br />

dann stimmt zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis der Opposition. Dass hier alles<br />

sehr improvisiert ist. Improvisiert und <strong>in</strong>formell. Wobei man das<br />

durchaus als Chance betrachten kann. Als Ausdruck von Aufbruch<br />

und Transformation.<br />

»Er<strong>in</strong>nert e<strong>in</strong> bisschen an das Nicaragua der 80er Jahre«, sage ich<br />

zu me<strong>in</strong>em Mitbewohner Greg.<br />

Er macht e<strong>in</strong> irritiertes Gesicht. Wie ich das me<strong>in</strong>te?<br />

Wie ich das me<strong>in</strong>e? Ich b<strong>in</strong> jetzt zwei Wochen hier. Auf dem Flug<br />

habe ich mir vorgenommen, das alles nicht so ernst zu nehmen. Ich<br />

habe die bolivarianische Revolution als e<strong>in</strong> pathetisch aufgeladenes<br />

republikanisches Projekt verbucht. Verspätetes nation build<strong>in</strong>g. Mit<br />

e<strong>in</strong>em Präsidenten, der viel und <strong>in</strong> bisweilen fragwürdigen Bildern<br />

spricht. Aber mit jedem Tag, den ich hier b<strong>in</strong>, verstärkt sich das<br />

Gefühl, dass hier etwas <strong>in</strong> Bewegung geraten ist. Etwas völlig Unerwartetes.<br />

Jenseits der gängigen Kategorien von politischer Reform oder<br />

Revolution.<br />

Strike on Iraq<br />

Der Krieg gegen den Irak hat begonnen: Auf der Straße lese ich e<strong>in</strong>en<br />

Wandspruch: »Wer wird der nächste se<strong>in</strong>? <strong>Venezuela</strong>?« Michael<br />

Klare, US-Professor für Friedensforschung, hat <strong>in</strong> der Le Monde<br />

Diplomatique über die Kontrolle strategischer Erdölressourcen und<br />

drei Hauptziele der US-Geopolitik geschrieben: Zentralasien, den Irak<br />

und <strong>Venezuela</strong> / Kolumbien. Im staatlichen Fernsehsender Canal 8<br />

versucht man mit ger<strong>in</strong>gen Mitteln e<strong>in</strong>e kritische Berichterstattung<br />

zu organisieren. Ke<strong>in</strong>e Bilder, aber dafür Nachrichten arabischer<br />

Agenturen. Zwei Abgeordnete der Regierungspartei Movimiento<br />

Qu<strong>in</strong>ta República (MVR) diskutieren mit der Moderator<strong>in</strong> Vanessa<br />

Davis über die Perspektive e<strong>in</strong>er weltweiten Anti-Kriegs-Bewegung.<br />

Auf den anderen venezolanischen Kanälen Serien, Zeichentrickfilme<br />

oder Übernahmen von CNN. Ich gehe direkt zu dem Sender aus<br />

Atlanta. Man sieht Bilder der Ruhe. Sie s<strong>in</strong>d aus Kuwait, wie man<br />

später erfährt. CNN hat angekündigt, sich diesmal nicht wie 1991 <strong>in</strong><br />

die Kriegsmasch<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gliedern zu lassen, doch so anders als damals<br />

wirkt die Berichterstattung nicht. Bei CNN auf Spanisch heißt der<br />

Titel: »Krise im Irak«, bei CNN auf Englisch: »strike aga<strong>in</strong>st Iraq.«<br />

E<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre war alles Krieg: War on Terrorism. Selbst Kontrollen<br />

am Flughafen waren War on Terrorism. Jetzt ist wirklich Krieg, und<br />

plötzlich spricht das US-Zentralorgan von ›Krise‹ und ›Schlägen‹.<br />

La Vega, Südwest-Caracas<br />

Wieder e<strong>in</strong> Ausflug, diesmal <strong>in</strong> den Süden. Je weiter man die Hänge<br />

h<strong>in</strong>aufsteigt, umso provisorischer wirkt die Stadt. Provisorischer oder<br />

ländlicher, je nach Straßenzug. La Vega, e<strong>in</strong>es der größten Barrios<br />

von Caracas, liegt e<strong>in</strong> ganzes Stück h<strong>in</strong>ter dem 23 de Enero auf e<strong>in</strong>em<br />

gegenüberliegenden Hang. Wie Dörfer sehen die Viertel aus, man hat<br />

den E<strong>in</strong>druck, weit außerhalb der Stadt zu se<strong>in</strong>. Andrés und Francisco,<br />

zwei Freunde von Carol, zeigen uns die Gegend. Wir laufen<br />

über e<strong>in</strong>en Gipfelkamm, an e<strong>in</strong>er Gaspipel<strong>in</strong>e entlang. Es ist staubig,<br />

sehr heiß. Auf der vom Stadtzentrum abgewandten Hangseite haben<br />

Besetzer, angeblich aus Ekuador, neue Kartonhütten errichtet. Ich<br />

blicke nach Nordosten. Chacao, jener Teil der Stadt, der sich selbst<br />

für funktional, organisiert und beispielgebend hält, vers<strong>in</strong>kt weit<br />

entfernt im Dunst. Davor, <strong>in</strong> den Falten der naheliegenden Hänge<br />

sieht man Bananenstauden, Palmen, e<strong>in</strong> paar Mangos. Was die Leute<br />

so anpflanzen, um es schöner zu haben.<br />

Am Vormittag haben wir mit Leuten aus dem Barrio über Stadtplanung<br />

diskutiert. Die meisten von uns Ausländern waren überrascht.<br />

Wir hatten erwartet, auf Leute zu treffen, die vom Schrecken der<br />

Armut und Migration berichten. Stattdessen haben sie uns vom dörflichen<br />

Charakter der Viertel erzählt, vom Ine<strong>in</strong>andergreifen privaten<br />

und öffentlichen Raums und, im Gegensatz dazu, den Kontrollfunktionen<br />

der Stadtplanung. Sie haben Paris erwähnt, wo Haussmann<br />

im 19. Jahrhundert Schneisen <strong>in</strong> die Wohnviertel schlagen ließ, um<br />

die Aufstandsbekämpfung zu erleichtern, den Charakter funktionaler<br />

Orte kritisiert und abfällig gelächelt, als jemand das Begriffspaar<br />

›formelle-<strong>in</strong>formelle Stadt‹ <strong>in</strong>s Gespräch gebracht hat – die ›regulierte‹<br />

und die ›unregulierte‹ Stadt. »Verschleierung«, haben sie gesagt,<br />

»Verschleierung von Herrschafts- und Ausschließungsverhältnissen.<br />

Denn was ist an e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>familienhaussiedlung ›formal‹, die von<br />

Spekulanten illegal gebaut wurde und allen Baubestimmungen<br />

widerspricht?«<br />

38 39

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!