Made in Venezuela - Assoziation A
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ildung. Aber zwischen den Blocks hat man manchmal das Gefühl,<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Slum zu leben, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er herunter gekommenen Sozialbausiedlung.<br />
Die Straßenfeger kommen mit der Arbeit nicht nach.<br />
»Die Straßenfeger! Wir sollten ihnen e<strong>in</strong> Denkmal setzen.« Der<br />
Franziskanerpater Coro: die nächste Überraschung. Der Mann lächelt.<br />
Ich betrachte se<strong>in</strong>e Augen: hellgrün, sehr auffällig. »Wenn es<br />
hier im Viertel e<strong>in</strong>en runden Tisch mit den Stadtwerken gibt, stellen<br />
wir immer Forderungen wegen des Wassers und des Stroms. Was den<br />
Müll angeht, ist es andersrum. Da stellen sie Forderungen. Wir haben<br />
wirklich ke<strong>in</strong>e Kultur <strong>in</strong> der H<strong>in</strong>sicht. Es gibt zwei ältere Männer <strong>in</strong><br />
dem Block hier unten, die hier jeden Tag frühmorgens sauber machen,<br />
und trotzdem liegt immer Müll herum.«<br />
Die Rohre, die als Müllrutschen der Wohnblocks dienen, münden<br />
ebenerdig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en offenen kle<strong>in</strong>en Raum. Unterhalb des Raums<br />
schließt e<strong>in</strong>e Rampe an, über die der Müll <strong>in</strong> Conta<strong>in</strong>er geschoben<br />
werden kann. E<strong>in</strong> eigenartiges System.<br />
»Könnte auch am System liegen«, sage ich. »Rohre, Rampe, Conta<strong>in</strong>er<br />
– ist doch komisch.«<br />
»Ne<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>«, Coro schüttelt den Kopf. »Das ist unsere Schuld.<br />
Die Schuld der Nachbarschaft.« Coro wendet sich an den neben ihm<br />
sitzenden Juan. Die beiden kennen sich seit langem. Juan ist auf e<strong>in</strong>e<br />
Kirchenschule gegangen.<br />
Das franziskanische Konzept. Teil der Geme<strong>in</strong>schaft se<strong>in</strong>, Solidarität<br />
stärken, Arbeit am Kollektiv leisten. Das Missionarische<br />
drückt sich <strong>in</strong> Handlungen und nicht <strong>in</strong> dem Versuch aus, andere<br />
zu bekehren. Der Vatikan hat die befreiungstheologische Strömung<br />
<strong>in</strong> den letzten 20 Jahren weitgehend aus der katholische Kirche Late<strong>in</strong>amerikas<br />
verdrängt. Unter den verbliebenen progressiven Leuten<br />
s<strong>in</strong>d überdurchschnittlich viele Franziskaner. Hier im 23 de Enero<br />
kooperieren sie eng mit den Community-Organisationen, sie haben<br />
ke<strong>in</strong>e Angst vor politischer Praxis. Oder anders gesagt: Die franziskanische<br />
Geme<strong>in</strong>de ist selbst Teil der Organisierung.<br />
»Was macht ihr hier?«, frage ich.<br />
Pibe hat währenddessen Alicia getroffen und steht mit ihr e<strong>in</strong> paar<br />
Meter entfernt im Schatten e<strong>in</strong>es Mangos. Ich blicke h<strong>in</strong>über. Alicia<br />
kommt aus e<strong>in</strong>er Studentenorganisation. Ihren Freund haben sie vor<br />
e<strong>in</strong>em Jahr von der Uni geworfen. Sie hatten das Rektorat besetzt, um<br />
e<strong>in</strong>e Öffnung der Hochschule für die Unterschichten zu erzw<strong>in</strong>gen.<br />
80 Prozent der Studenten kommen von Privatschulen, das heißt,<br />
die Gesellschaft f<strong>in</strong>anziert den Besserverdienenden den kostenlosen<br />
Universitätsbesuch, denn nur die können sich Privatschulen und<br />
Vorbereitungskurse für die Aufnahmeprüfung leisten.<br />
»Die normalen Kirchenaktivitäten«, antwortet Coro. »Ansonsten<br />
alle Art von Projekten, die die Nachbarn zusammenbr<strong>in</strong>gen: Feste,<br />
Tombolas, Jugendarbeit. Viel gegen Drogen.« Drogen, immer wieder<br />
Drogen als Synonym des sozialen Zerfalls. »Wir haben e<strong>in</strong> kulturelles<br />
Problem. Ich me<strong>in</strong>e, natürlich s<strong>in</strong>d D<strong>in</strong>ge, die von außen kommen,<br />
nicht unbed<strong>in</strong>gt schlecht. Aber was wir hier beobachten, ist, dass die<br />
Jugendlichen das Eigene ablehnen und statt dessen e<strong>in</strong> importiertes<br />
Modell zu kopieren versuchen.« Ich denke, wie anders wir als L<strong>in</strong>ke<br />
<strong>in</strong> Deutschland argumentieren würden. Im Grunde genommen genau<br />
entgegengesetzt. »Das ist wie Selbsthass«, Coro me<strong>in</strong>t die Gangkultur,<br />
»der <strong>in</strong> Aggressivität umschlägt. Wir versuchen, den Jugendlichen zu<br />
vermitteln, dass das Eigene e<strong>in</strong>en Wert besitzt.« ›Das Eigene‹: Auch<br />
über diesen Begriff würde ich <strong>in</strong> Europa den Kopf schütteln. Aber hier<br />
treten e<strong>in</strong>em Community-Strukturen auf der e<strong>in</strong>en Seite und Gangkultur<br />
und Konsumismus auf der anderen wirklich häufig als ›das Eigene,<br />
Widerständige‹ und ›das Aufgezwungene, Konforme‹ gegenüber.<br />
»Und die Kirchenarbeit? Wie sieht die aus?« Ich frage, weil ich<br />
diesen Pfarrer gerne reden höre. Er hat e<strong>in</strong>e angenehme, sonore<br />
Stimme.<br />
»Es gibt so etwas wie e<strong>in</strong> Solidaritätszentrum, wo man Kleider und<br />
Essen abgibt und sich Andere, Bedürftige, die Sachen abholen können.<br />
Außerdem organisieren wir Diskussionsrunden, Bibeldiskussionen.<br />
In den Häusern von den Nachbarn, abwechselnd.«<br />
Ich frage, ob ich e<strong>in</strong>mal mitkommen kann.<br />
»Klar. Wir haben ke<strong>in</strong>e Berührungsängste. Nicht mal gegenüber<br />
der Stadtguerilla.« Der Franziskaner-Pater gr<strong>in</strong>st Juan ironisch an.<br />
Juan gr<strong>in</strong>st zurück.<br />
Als wir die Treppe vor der Kirche h<strong>in</strong>untersteigen, hören wir<br />
es krachen. Wie zur Bekräftigung von Juans Bemerkung über den<br />
kämpferischen Charakter des Liceo Manuel Palacio Fajardo liefern<br />
sich e<strong>in</strong> paar Schüler der Oberschule e<strong>in</strong>e Straßenschlacht mit der<br />
Policía Metropolitana. Aber weder Juan noch Pibe oder Alicia wissen,<br />
wo rum es geht.<br />
Mittelklasse, positiv<br />
Me<strong>in</strong>e Wohnungsgefährten Greg und Carol nehmen mich auf e<strong>in</strong>en<br />
Ausflug mit. Die regierungsnahe Initiative ›Mittelklasse positiv‹<br />
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