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"Haftungsrecht im Umgang mit FEM und Kurzvorstellung des ...

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Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

<strong>Haftungsrecht</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Umgang</strong> <strong>mit</strong><br />

<strong>FEM</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Kurzvorstellung</strong> <strong>des</strong><br />

Werdenfelser Weges<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

1<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Fall 1: Scheiße gelaufen<br />

Bei einer 72-jährigen Bewohnerin einer Einrichtung <strong>mit</strong> Diabetes wurde die Amputation<br />

der großen Zehe erforderlich. Die Bewohnerin war zuvor mobil <strong>und</strong> hatte keine<br />

sonstigen körperlichen Behinderungen. Für ihre finanziellen Angelegenheiten war<br />

aufgr<strong>und</strong> leichter Demenz der Sohn als Betreuer eingesetzt.<br />

Nach der Operation <strong>und</strong> Rückkehr in die Einrichtung hat die Patientin akut Durchfall<br />

bekommen. Zudem hatte sie Schmerzen <strong>und</strong> Schwierigkeiten be<strong>im</strong> Gehen. Ein Bettgitter<br />

kam in einem Beratungsgespräch zur Sprache, auf ihren Wunsch aber nicht zum<br />

Einsatz. Sie wollte sich über die Klingel melden, wenn sie Hilfe braucht.<br />

Zwei Tage später stürzte die Bewohnerin nachts <strong>im</strong> Z<strong>im</strong>mer, als es plötzlich pressierte<br />

<strong>und</strong> sie die Z<strong>im</strong>mertoilette aufsuchen wollte. Nach dem Verlassen <strong>des</strong> Bettes <strong>und</strong> noch<br />

vor Eintreffen von Hilfe trat vor Erreichen der Toilette durchfälliger Stuhlgang ein. Die<br />

Patientin ist auf eigenem Stuhlgang ausgerutscht <strong>und</strong> hingefallen <strong>und</strong> zog sie sich eine<br />

Oberschenkelfraktur zu.<br />

Muss die Einrichtung haften, weil keine Vorsorge durch ein Bettgitter getroffen war ?<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

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von Fixierungen<br />

Fachtag Hengersberg 1


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Fall 2: Gehst du <strong>mit</strong> aufs Klo ?<br />

Sturz eines 80-jährigen Pflegehe<strong>im</strong>bewohners, der sich auf Gr<strong>und</strong> einer<br />

Demenz, einer Bandscheiben- <strong>und</strong> Prostataoperation sowie Atemnot in<br />

körperlich <strong>und</strong> geistig schlechtem Ges<strong>und</strong>heitszustand befand.<br />

Be<strong>im</strong> Aufstehen <strong>und</strong> Gehen benötigte er Beaufsichtigung <strong>und</strong> Anleitung.<br />

Bei einem von einer ungelernten Hilfskraft begleiteten Toilettengang kam es<br />

zum Sturz. Folge waren eine Wirbelsäulen- <strong>und</strong> Beckenprellung sowie eine<br />

Fraktur <strong>des</strong> Schambeins <strong>und</strong> eine dreiwöchige stationäre<br />

Krankenhausbehandlung.<br />

Haftung ?<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

3<br />

von Fixierungen<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Mittlerweile kann man sich auf eine klare Rechtsprechung<br />

berufen, da der BGH sich auf erstaunlich klare Gr<strong>und</strong>sätze für<br />

Alten- <strong>und</strong> Pflegehe<strong>im</strong>e bei der Entscheidung zur Nichtfixierung<br />

festgelegt hat.<br />

In zwei Entscheidungen vom 28.04.2005 <strong>und</strong> vom 14.07.2005, hat<br />

sich der BGH <strong>mit</strong> der Inanspruchnahme von He<strong>im</strong>trägern durch<br />

Krankenkassen für die durch Stürze verursachten Kosten der<br />

Krankenbehandlung befasst.<br />

Seitdem herrscht Rechtssicherheit für das „Alltagsleben“ in<br />

Einrichtungen <strong>und</strong> die Fixierungsfrage.<br />

Diese Rechtsprechung betrifft nicht sonstige Fälle konkreter<br />

Pflegemaßnahmen wie z.B. wie viele Pfleger müssen be<strong>im</strong><br />

begleiteten Toilettengang dabei sein ?<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

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Fachtag Hengersberg 2


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

BGH-Entscheidung vom 28.04.2005<br />

Klägerin war die Krankenversicherung der 89 jährigen, unter<br />

Betreuung stehenden Frau W, die seit 4 Jahren in einem von der<br />

Beklagten betriebenen Pflegewohnhe<strong>im</strong> lebte. Sie war hochgradig<br />

sehbehindert, zeitweise <strong>des</strong>orientiert <strong>und</strong> verwirrt; ihr Gang war sehr<br />

unsicher. Sie war der Pflegestufe III zugeordnet.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Bereits 3 Jahre vor dem Einzug hatte sie bei einem Sturz eine<br />

Oberschenkelfraktur links erlitten, aufgr<strong>und</strong> deren ihr das Gehen fortan nur noch<br />

<strong>mit</strong> Gehstütze möglich war;<br />

kurz vor ihrer Aufnahme in das He<strong>im</strong> hatte sie sich bei einem weiteren Sturz ein<br />

Schädel-Hirn- Trauma <strong>und</strong> <strong>im</strong> Jahr nach dem Einzug bei einem dritten Sturz ein<br />

weiteres Schädel-Hirn- Trauma zugezogen.<br />

Vor 7 Jahren:<br />

Sturz Nr.1 zu<br />

Hause<br />

Vor 3 Jahren:<br />

Sturz Nr.2 zu<br />

Hause<br />

Danach:<br />

Aufnahme <strong>im</strong><br />

He<strong>im</strong><br />

Vor 2 Jahren:<br />

Sturz Nr. 3 <strong>im</strong><br />

He<strong>im</strong><br />

Aktuelle<br />

Sturzsituation<br />

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von Fixierungen<br />

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Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Neben ihrem Bett befand sich eine Klingel; außerdem konnte sie sich<br />

durch Rufe bemerkbar machen.<br />

Am 27.06.2001 fand gegen 13:00 Uhr die letzte Kontrolle statt. Die<br />

Bewohnerin lag zu dieser Zeit zur Mittagsruhe in ihrem Bett.<br />

Gegen 14:00 Uhr wurde die Bewohnerin in ihrem Z<strong>im</strong>mer vor dem Bett<br />

liegend aufgef<strong>und</strong>en. Sie hatte sich eine Oberschenkelhalsfraktur<br />

zugezogen.<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Die klagende Krankenkasse war der Auffassung, dass der Unfall auf<br />

eine Verletzung von Pflichten aus dem He<strong>im</strong>vertrag durch die Beklagte<br />

zurückzuführen sei.<br />

Sie lastete der Beklagten insbesondere an, sie habe es versäumt, die<br />

Bewohnerin <strong>im</strong> Bett zu fixieren, min<strong>des</strong>tens aber ein Bettgitter<br />

hochzufahren.<br />

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Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Der BGH verneint einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte.<br />

Allein aus dem Umstand, dass die He<strong>im</strong>bewohnerin <strong>im</strong> Bereich <strong>des</strong><br />

Pflegehe<strong>im</strong>s der Beklagten gestürzt sei <strong>und</strong> sich dabei verletzt habe, könne<br />

nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung <strong>des</strong> Pflegepersonals der<br />

Beklagten geschlossen werden.<br />

Das Pflegepersonal durfte auf eine Fixierung verzichten.<br />

Die von der Klägerin geforderten Sicherungsmaßnahmen (Hochziehen <strong>des</strong><br />

Bettgitters, Fixierung <strong>im</strong> Bett) wären betreuungsgerichtlich<br />

genehmigungsbedürftig. Die He<strong>im</strong>trägerin hatte nach Ansicht <strong>des</strong> BGH in<br />

diesem Fall keinen hinreichenden Anlass, von sich aus auf eine derartige<br />

Entscheidung <strong>des</strong> Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichts hinzuwirken.<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Im konkreten Fall war ausreichend, dass es in Reichweite der Bewohnerin<br />

eine Klingel bereitgestellt war, <strong>mit</strong> der diese <strong>im</strong> Bedarfsfall Hilfe hätte<br />

herbeirufen können.<br />

Die Forderung, der Bewohnerin hätte je<strong>des</strong> Mal be<strong>im</strong> Aufstehen<br />

unaufgefordert Hilfe geleistet werden müssen, würde auf eine lückenlose<br />

Überwachung durch die Mitarbeiter <strong>des</strong> Pflegehe<strong>im</strong>s hinauslaufen <strong>und</strong> über<br />

das dem Pflegehe<strong>im</strong> wirtschaftlich Zumutbare hinausgehen.<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

BGH-Entscheidung vom 14.07.2005<br />

Vom Nachtdienst <strong>des</strong> Pflegehe<strong>im</strong>s wurden innerhalb eines Monats drei<br />

Stürze der Geschädigten jeweils nachts, jeweils vermutlich auf dem Weg zur<br />

Toilette, dokumentiert, die ohne schwerwiegende Folgen blieben. Das<br />

Pflegehe<strong>im</strong> wies die Bewohnerin auf die in ihrem Z<strong>im</strong>mer befindliche Klingel,<br />

wenn sie Hilfe benötigte. Das mehrfach geäußerte Angebot, zu ihrer<br />

Sicherheit in der Nacht das Bettgitter hochzuziehen, lehnte die Bewohnerin<br />

ab. Bei einem anschließenden Sturz erlitt sie schwere Verletzungen.<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Der BGH betont die aus dem He<strong>im</strong>vertrag erwachsenden Obhutspflichten zum<br />

Schutz der körperlichen Unversehrtheit der He<strong>im</strong>bewohner.<br />

Die Leistungserbringung <strong>des</strong> Einrichtungsträgers müsse sich gemäß He<strong>im</strong>gesetz<br />

/SGB XI nach allgemein anerkanntem Stand medizinisch-pflegerischer<br />

Erkenntnisse richten.<br />

Aus den vorhergegangenen Stürzen ergebe sich ein besonderes Sturzrisiko,<br />

dem die Einrichtung in einer der Situation angepassten Weise nach allgemein<br />

anerkanntem Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse Rechnung zu tragen<br />

gehabt habe.<br />

Allein der Umstand, dass die Bewohnerin <strong>im</strong> Bereich <strong>des</strong> Pflegehe<strong>im</strong>es gestürzt<br />

ist <strong>und</strong> sich dabei verletzt hat, erlaube nicht den Schluss auf eine schuldhafte<br />

Pflichtverletzung <strong>des</strong> Pflegepersonals.<br />

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Garmisch-Partenkirchen<br />

Der BGH verwies die Entscheidung zur weiteren Sachverhaltsaufklärung<br />

zurück.<br />

In dieem zweiten Urteil betonte der BGH das Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht <strong>des</strong><br />

Pflegebedürftigen.<br />

Allerdings ist auch das He<strong>im</strong> verpflichtet, alles ihm Mögliche zu<br />

unternehmen, um einen Sturz zu vermeiden – in dieser Hinsicht ist die<br />

Ausschöpfung von alternativen Maßnahmen zur Fixierung von besonderer<br />

Bedeutung.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

1. Spezielle Obhutspflichten aufgr<strong>und</strong> besonderer<br />

Gefahrenlage<br />

Eine zivilrechtliche Haftung kann sich ergeben<br />

-aus dem He<strong>im</strong>vertrag oder<br />

- als gesetzliche („deliktische“ )Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der He<strong>im</strong>verträge übernehmen die Träger spezielle<br />

Obhutspflichten..<br />

.<br />

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Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Der Versorgungsauftrag einer Einrichtung, die für die Pflege eines ihm<br />

anvertrauten Bewohners verantwortlich ist, umfasst die Verpflichtung, ihn vor<br />

Ges<strong>und</strong>heitsschädigungen, also auch vor allem vor Stürzen, zu bewahren.<br />

Dies ergibt sich aus dem Vertrag, den der Bewohner <strong>mit</strong> der Einrichtung<br />

schließt.<br />

Hilflosigkeit, Gebrechlichkeit, Verkehrsunsicherheit <strong>und</strong> Verwirrtheit <strong>des</strong><br />

Bewohners schaffen eine besondere Gefahrenlage <strong>und</strong> müssen als<br />

Gefahrenquelle berücksichtigt werden.<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

2. Ausgestaltung der Pflichten nach dem anerkannten Stand fachlicher<br />

Kenntnisse<br />

Es besteht die Verpflichtung die Leistungen nach dem jeweils anerkannten Stand<br />

fachlicher Kenntnisse zu erbringen.<br />

Maßgeblich ist beispielsweise der „Expertenstandard Sturzprophylaxe", der den<br />

Stand pflegefachlicher Erkenntnisse darstellt.<br />

Merken Sie was ?<br />

<strong>Haftungsrecht</strong> bei Fixierungsverzicht ist ein He<strong>im</strong>spiel für Sie !!!!<br />

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[1]<br />

Die Maßstäbe sind sogar gesetzlich für die he<strong>im</strong>vertraglichen Pflichten der<br />

Pflegehe<strong>im</strong>e niedergelegt <strong>und</strong> zwar in § 3 Abs. 2 Nr. 4 Gesetz zur Regelung der<br />

Pflege-, Betreuungs- <strong>und</strong> Wohnqualität <strong>im</strong> Alter <strong>und</strong> bei Behinderung (Pflege<strong>und</strong><br />

Wohnqualitätsgesetz –PfleWoqG), § 3 Abs. 1 He<strong>im</strong>G, sowie § 11 Abs. 1<br />

Satz 1, 28 Abs. 3 SGB XI <strong>mit</strong> der Forderung die Pflegebedürftigen, die ihre<br />

Leistungen in Anspruch nehmen, entsprechend dem allgemein anerkannten<br />

Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse zu pflegen, versorgen <strong>und</strong><br />

zu betreuen..<br />

Inhalt <strong>und</strong> Organisation der Leistungen haben eine humane <strong>und</strong><br />

aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde zu<br />

gewährleisten.<br />

Alle sinnvollen, möglichen.<strong>und</strong> zumutbaren Alternativen müssen in<br />

die Überlegungen einbezogen werden.<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Ein Fall, der sich gewaschen hat:<br />

75-jährige demente Bewohnerin (Pflegestufe III) hatte nach Oberschenkelfraktur eine<br />

neue Hüftkopfprothese. Im Pflegebericht wurde nach Krankenhausrückkehr<br />

vermerkt, dass sie nur "<strong>mit</strong> Hilfe <strong>des</strong> Pflegepersonals kurze Zeit (<strong>mit</strong> Festhalten<br />

am Waschbecken) stehen" könne.<br />

Da die Pflegerin nach dem Aben<strong>des</strong>sen die inkontinente Dame vor dem zu Bett gehen<br />

noch einmal auf einen bereitstehenden Toilettenstuhl setzen wollte, forderte sie sie auf,<br />

am Waschbecken stehen zu bleiben <strong>und</strong> sich an Haltegriffen neben dem<br />

Waschbecken festzuhalten. Anschließend wandte sich die Pflegerin um, um den<br />

Toilettenstuhl zu herbei zu holen. In diesem Moment stürzte die Bewohnerin auf den<br />

Boden <strong>und</strong> verletzte sich. Die Pflegerin hat später angegeben, dass sie sie auch aufs<br />

Bett hätte setzen oder legen, sie dort entkleiden <strong>und</strong> dann zum Toilettenstuhl führen<br />

können; ebenso wäre in Betracht gekommen, sie sofort zu dem Toilettenstuhl zu<br />

führen, darauf zu setzen <strong>und</strong> <strong>mit</strong> dem Stuhl zum Waschbecken zu fahren, da<strong>mit</strong> sie<br />

sich, wenn die Pflegerin sie <strong>im</strong> Stehen entkleiden wollte, dort an den Haltegriffen hätte<br />

festhalten können.<br />

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Garmisch-Partenkirchen<br />

Entscheidend ist, ob die Pflegerin bei Beachtung der <strong>im</strong> Verkehr erforderlichen<br />

Sorgfalt (§ 276 Abs. 3 BGB) in der Lage gewesen wäre, sich <strong>im</strong> Rahmen <strong>des</strong> ihr<br />

Zumutbaren so zu verhalten, dass ein Sturz der Bewohnerin ausgeschlossen war.<br />

Nach den Angaben der Pflegerin war davon auszugehen, dass ihr hierzu mehrere<br />

ohne weiteres zumutbare Möglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten.<br />

Die Pflegerin durfte nicht darauf vertrauen, dass die Bewohnerin auch nur kurzfristig<br />

ohne Hilfe stehen bleiben würde, sondern musste <strong>mit</strong> Stürzen rechnen (vgl. BGH<br />

NJW-RR 2000, 761). Die Bewohnerin wies aufgr<strong>und</strong> ihrer verschiedenen<br />

Erkrankungen (Alter, Muskelschwäche, schlechte Balance, Gangstörungen,<br />

Demenz, Mult<strong>im</strong>edikation <strong>und</strong> vorangegangener Sturz) ein "fast max<strong>im</strong>ales<br />

Sturzrisiko" auf. Ihre schlechte ges<strong>und</strong>heitliche Situation war der Pflegerin bekannt.<br />

OLG Zweibrücken, Urteil vom 01.06.2006, 4 U 68/05 (OLGR Zweibrücken<br />

2006, 677-679)<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

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Garmisch-Partenkirchen<br />

3. Grenzen der Pflichten<br />

Geschuldet sind nur Maßnahmen, die in Pflegehe<strong>im</strong>en üblich, <strong>mit</strong> vernünftigem<br />

finanziellen <strong>und</strong> personellen Aufwand realisierbar <strong>und</strong> schließlich für<br />

He<strong>im</strong>bewohner <strong>und</strong> Pflegepersonal zumutbar sind.<br />

Ein Streben nach absoluter Sicherheit lässt sich aber daraus nicht ableiten.<br />

Es geht vielmehr um eine Abwägung zwischen Sicherheit, sprich körperliche<br />

Unversehrtheit auf der einen <strong>und</strong> Menschenwürde, freie Entfaltung der<br />

Persönlichkeit, Fortbewegungsfreiheit auf der anderen Seite.<br />

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<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Das fordert eine gewissenhafte Güterabwägung zwischen Menschenwürde<br />

<strong>und</strong> Freiheitsrecht einerseits <strong>und</strong> Fürsorgepflicht andererseits.<br />

Die Rechtsprechung akzeptiert also, dass die Abwägung zwischen der<br />

Menschenwürde <strong>und</strong> dem Freiheitsrecht <strong>des</strong> alten <strong>und</strong> hilflosen Menschen <strong>und</strong><br />

der Pflicht, sein Leben <strong>und</strong> seine Ges<strong>und</strong>heit zu schützen, sehr sorgfältiger<br />

Überlegung bedarf, wobei keine generelle Aussage getroffen werden kann,<br />

sondern <strong>im</strong>mer die Umstände <strong>des</strong> Einzelfalles entscheidend sind.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

4. Schuldhaftigkeit einer festgestellten Pflichtverletzung<br />

Wenn eine Pflichtverletzung nach allen diesen Kriterien festgestellt wird, dann<br />

hängt die Haftung auch noch zusätzlich davon ab, ob die Pflichtverletzung<br />

"schuldhaft“ erscheint oder nicht.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

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Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Dabei gibt die Rechtsprechung den Einrichtungen vier<br />

Trümpfe an die Hand:<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg 23<br />

Trumpf 1:<br />

Beweislast<br />

Günstig für die He<strong>im</strong>betreiber ist, dass die Beweislast für eine objektive<br />

Pflichtverletzung gr<strong>und</strong>sätzlich bei der Krankenkasse verbleibt, also<br />

demjenigen, der Ansprüche geltend macht.<br />

Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich der Sturz <strong>im</strong> Alltagsleben einer Einrichtung<br />

normalen, alltäglichen Gefahrenbereich ereignet hat, wie z.B. nachts be<strong>im</strong><br />

unbeaufsichtigten Gang zur Toilette <strong>und</strong> nicht in Sondersituationen (Transport ins<br />

Krankenhaus).<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

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Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Wer muss was beweisen?<br />

Im Haftungsprozess muss der Kläger, also Bewohner oder seine Krankenkasse,<br />

der/die Schadensersatz verlangt, gr<strong>und</strong>sätzlich Folgen<strong>des</strong> darlegen <strong>und</strong><br />

beweisen:<br />

1. Pflichtverletzung (also einen Pflegefehler)<br />

2. Verschulden: Vorsatz oder Fahrlässigkeit der Pflichtverletzung<br />

3. Schaden<br />

4. Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung <strong>und</strong> Schaden<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

25<br />

Warum gibt es sowenig Verurteilungen?<br />

1. Der Bewohner kann sich an den Hergang <strong>des</strong> Sturzes nicht erinnern.<br />

2. Der Bewohner ist dement <strong>und</strong> kann sich nicht beweissicher äußern.<br />

3. Oft fehlen Zeugen über den Unfallhergang <strong>und</strong> Angaben zum Unfallhergang.<br />

4. Manchmal hat die Einrichtung gar nichts dokumentiert.<br />

Also: Nur Klappe halten, nix aufschreiben<br />

<strong>und</strong> schauen, dass nix rauskommt ?<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

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Fachtag Hengersberg 13


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Es gibt ein paar Beweiserleichterungen, bei denen man sich tatsächlich<br />

„rechtfertigen“ muss<br />

zB. Erfolgte der Sturz<br />

unter Bedingungen, in denen das Risiko eines Sturzereignisses voll<br />

beherrschbar gewesen wäre, <strong>im</strong> eigentlichen Aufgabenbereich <strong>des</strong><br />

Pflegepersonals, namentlich bei Bewegungs- <strong>und</strong> Transportmaßnahmen<br />

zum Beispiel bei Gehübungen unter Aufsicht, Umlagerungen,<br />

Patiententransport<br />

oder<br />

außerhalb solcher Situationen ?<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

27<br />

von Fixierungen<br />

Es geht um die Beweislast:<br />

Ein Fehler wird vermutet, wenn ...<br />

wenn es um Risiken insbesondere aus dem Einrichtungsbetrieb<br />

geht, die von dem Träger <strong>und</strong> dem dort tätigen Personal voll<br />

beherrscht werden können.<br />

Dann muss der Träger das Gegenteil nachweisen, dass der Sturz nicht<br />

auf einem Fehlverhalten <strong>des</strong> Personals beruht.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

28<br />

von Fixierungen<br />

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Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Fall 3: Das geht ja gut los !!<br />

Eine sehr unruhige Patientin soll in eine Klinik verlegt werden <strong>und</strong> wartet auf<br />

den Transport. Sie wird morgens in einem faltbaren Leichtgewichtsrollstuhl vor<br />

dem Stationsz<strong>im</strong>mer abgestellt; <strong>mit</strong> einem Bauchtuch ist sie an den Rollstuhl<br />

geb<strong>und</strong>en. Ausweislich der Bedienungsanleitung ist bei diesem Rollstuhl ein<br />

starkes Beugen nach vorn oder zur Seite wegen einer Kippgefahr zu<br />

vermeiden.<br />

Etwa eine halbe St<strong>und</strong>e später kommt die Bewohnerin bei dem Versuch, sich<br />

zu erheben, zu Fall.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

29<br />

von Fixierungen<br />

Fall 3: Das geht ja gut los !!<br />

Der Sturz war hier ein voll beherrschbares Risiko.<br />

Für den Transport der Patientin hätte ein technisch hinreichend geeigneter<br />

Rollstuhl verwendet werden müssen;<br />

alternativ hätte eine Sitzwache für eine Sicherung der Patientin Sorge tragen<br />

müssen.<br />

Insoweit handelt es sich um die sogenannte "Beweiserleichterung <strong>des</strong> voll<br />

beherrschbaren Risikos".<br />

(KG Berlin, Az.: 20 U 401/01).<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

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von Fixierungen<br />

Fachtag Hengersberg 15


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Von was träumen die denn?<br />

voll beherrschbare Risiken?<br />

Voll beherrschbar sind Risiken dann, wenn sie nicht vorrangig aus den Eigenheiten<br />

<strong>des</strong> menschlichen Organismus erwachsen, sondern aus einem Bereich stammen,<br />

<strong>des</strong>sen Gefahren von der Seite <strong>des</strong> Trägers voll beherrscht <strong>und</strong> ausgeschlossen<br />

werden können <strong>und</strong> müssen.<br />

Hieraus folgt, dass der Patient/Bewohner in diesen Fällen gerade nicht die<br />

Möglichkeit hat, auf die Verwirklichung <strong>des</strong> Risikos Einfluss zu nehmen. Voll<br />

beherrschbare Risiken werden vielmehr durch den Einrichtungsbetrieb gesetzt <strong>und</strong><br />

sind auch nur durch Träger <strong>und</strong> sein Personal beeinflussbar.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

31<br />

2. Wie lässt sich der Bereich voll beherrschbarer Risiken abgrenzen?<br />

Der Beherrschung der Risiken ist nur dann möglich, wenn der Träger/die<br />

Pflegenden tatsächlich auch Einfluss auf eine eventuelle Risikoverwirklichung<br />

hat/haben. Sobald der Patient selbst oder Dritte (zusätzlich) die Möglichkeit der<br />

Einwirkung haben, stammt das Risiko nicht mehr nur aus dem<br />

Verantwortungsbereich der Pflege , kann also von ihm nicht mehr voll beherrscht<br />

<strong>und</strong> ausgeschlossen werden, da er auf das Verhalten <strong>des</strong> Bewohners oder Dritter<br />

keinen direkten Einfluss hat.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

32<br />

Fachtag Hengersberg 16


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Fallgruppen<br />

- Mangelnde technische Beherrschung eingesetzter Geräte<br />

- Mangelnde Eignung eingesetzter Hilfs<strong>mit</strong>tel (falscher Rollstuhl, defektes<br />

Gerät)<br />

- Stürze während pflegerischen Maßnahmen<br />

- Anfänger werden eingesetzt, wo Fachleute Hand anlegen müssten<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

33<br />

Und trotzdem so wenig Verurteilungen ?<br />

Voll beherrschbares Risiko ist die absolute Ausnahme, insbesondere<br />

bei einem Sturz bei freier Bewegung ohne Aufsicht<br />

Allgemeines Lebensrisiko ist die Regel !!!!!1<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

34<br />

von Fixierungen<br />

Fachtag Hengersberg 17


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Landgericht Coburg, 16.03.2010 - AZ: 1 I O 660/09<br />

Auch in der Obhut eines Pflegehe<strong>im</strong>s verbleibt dem He<strong>im</strong>bewohner <strong>im</strong> Rahmen<br />

seiner Eigenverantwortlichkeit ein allgemeines Lebensrisiko.<br />

Die Pflicht <strong>des</strong> Pflegehe<strong>im</strong>s zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihm<br />

anvertrauten Bewohnern ist auf die üblichen Maßnahmen begrenzt. Die Würde, die<br />

Interessen <strong>und</strong> die Bedürfnisse der Bewohner seien dabei zu berücksichtigen. Im<br />

vorliegenden Einzelfall stellt das Gericht fest, dass ein Bewohner zum<br />

Unfallzeitpunkt be<strong>im</strong> Gehen oder Stehen - trotz bestehender Unsicherheiten - nicht<br />

habe gestützt werden müssen.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

35<br />

Landgericht Essen, 21.08.1998, - AZ: 3 O 266/98<br />

Die Bewohnerin stürzte nachts auf dem Weg zur Toilette <strong>und</strong> zog sich eine<br />

Oberschenkelhalsfraktur zu. Die Krankenkasse forderte die Behandlungskosten<br />

vom Pflegehe<strong>im</strong> zurück. Sie ist der Überzeugung, das He<strong>im</strong> hätte Bettgitter<br />

anbringen müssen, um die Bewohnerin am Verlassen <strong>des</strong> Bettes zu hindern.<br />

Dem widersprach das Gericht. Das Pflegepersonal hatte vier nächtliche<br />

Kontrollgänge unternommen. Das müsse reichen.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

36<br />

Fachtag Hengersberg 18


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Landgericht Bonn, 15.04.1999 - AZ: 13 O 521/98<br />

Der Bewohner stürzte aus einem Sessel, der in einem Flur aufgestellt gewesen<br />

war.<br />

Die Krankenversicherung sah eine Verletzung der Aufsichtspflicht <strong>und</strong> fordert die<br />

Behandlungskosten vom He<strong>im</strong> zurück.<br />

Das Landgericht Bonn hat die Klage abgewiesen. Wenn keine besonderen<br />

Umstände vorliegen, ist der He<strong>im</strong>träger nicht verpflichtet, einen He<strong>im</strong>bewohner<br />

ständig zu betreuen. Der Unfall resultiere aus dem bei einem älteren Menschen<br />

erhöhten Lebensrisiko.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

37<br />

OLG Frankfurt am Main, 19.01.2006 - AZ: 1 U 102/04<br />

Auch der körperlich <strong>und</strong> geistig weitgehend verfallene alter Mensch hat in<br />

gewissen Grenzen das Recht, sich unvernünftig selbst zu gefährden <strong>und</strong> einen<br />

Rest an Eigenständigkeit <strong>und</strong> Freiheit zu erleben.<br />

Das zwangsläufig verbleibende Restrisiko wäre nur durch eine weitgehende<br />

Fixierung älterer Menschen in ihren letzten Lebensjahren auszuschließen, eine<br />

Maßnahme, die nur in ernsthaften Ausnahmefällen ernsthaft in Betracht zu ziehen<br />

ist.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

38<br />

Fachtag Hengersberg 19


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Fall 4: Sturz am Gang – Variante 1<br />

Ein 85-jähriger dementer Mann geht unsicher.<br />

Die Risiken, die sich aus einem Sturz ergeben wurden gemeinsam <strong>mit</strong> dem<br />

Betreuer abgewogen, man kam gemeinsam <strong>mit</strong> dem Betreuer zum Ergebnis:<br />

Betreuer <strong>und</strong> He<strong>im</strong> sprechen sich gegen Fixierungen aus, weil sie die Nachteile<br />

größer als die Vorteile ansehen. Er soll sich weiterhin alleine <strong>und</strong> selbstständig<br />

bewegen können. Dies soll durch regelmäßige Gymnastik gefördert werden.<br />

Wenn er alleine unterwegs ist, sollte darauf geachtet werden, dass keine<br />

Hindernisse <strong>im</strong> Weg stehen <strong>und</strong> der Handlauf als Hilfs<strong>mit</strong>tel möglichst gut<br />

zugänglich ist. Allen Beteiligten ist klar, dass ein Risiko bleibt.<br />

Diese Empfehlungen werden vom Betreuer <strong>mit</strong>getragen.<br />

Es kommt zum Sturz. Haftung ?<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

39<br />

von Fixierungen<br />

Das selbständige Gehen <strong>im</strong> Haus gehört zum Alltagsleben.<br />

Man hat sich verantwortungsvoll <strong>mit</strong> der Frage auseinandergesetzt <strong>und</strong> die<br />

Risiken abgewogen. Die Krankenkasse müsste beweisen, dass ein Fehler in<br />

der konkreten Unfallsituation begangen wurde, der der Einrichtung zugerechnet<br />

werden muss.<br />

Diesen Beweis wird die Krankenkasse so gut wie nie antreten können.<br />

Zumal wenn die genauen Gründe, warum ein Mensch genau an diesem Tag<br />

zum Sturz gekommen ist meistens nicht vollständig klar sind, beispielsweise<br />

könnte er an diesem Tag einen zusätzlichen unvorhergesehenen Schwindel, ein<br />

Kreislaufproblem gehabt haben.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

40<br />

von Fixierungen<br />

Fachtag Hengersberg 20


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Fall 4: Sturz am Gang - Variante zwei<br />

Ein 85-jähriger dementer Mann geht unsicher.<br />

Die Risiken, die sich aus einem Sturz ergeben wurden gemeinsam <strong>mit</strong> dem<br />

Betreuer abgewogen, man kam gemeinsam <strong>mit</strong> dem Betreuer zum Ergebnis:<br />

Betreuer <strong>und</strong> He<strong>im</strong> sprechen sich gegen Fixierungen aus, Man möchte den<br />

alten Herrn so gut wie möglich weiterhin mobilisieren. Gleichzeitig wird für<br />

notwendig erachtet, dass er bei seinen wegen durch die Einrichtung <strong>im</strong>mer von<br />

einer Pflegekraft begleitet wird. Ein selbstständiges Gehen ohne Begleitung ist<br />

nach den gemeinsamen Festlegungen <strong>mit</strong> dem Betreuer unbedingt zu<br />

vermeiden.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

41<br />

von Fixierungen<br />

Dementsprechend begleitet eines Nach<strong>mit</strong>tags ein Pflegehelfer den Betroffenen<br />

auf dem Weg vom Z<strong>im</strong>mer zum Speisesaal. Unterwegs fällt dem Helfer ein, dass<br />

er die Stationz<strong>im</strong>mertür offen stehen hat lassen.<br />

Er bittet den alten Herrn, doch so lange zu warten, bis er zurückgekommen ist.<br />

Er geht zurück, schließt die Tür, <strong>und</strong> beobachtet aus der Ferne, dass der alte<br />

Herr bereits 5 m weitergegangen ist, ruft ihm zu, er soll doch stehen bleiben. Der<br />

alte Herr hört etwas, dreht sich um <strong>und</strong> stürzt in der Drehbewegung.<br />

Haftung ?<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

42<br />

von Fixierungen<br />

Fachtag Hengersberg 21


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Trumpf 2:<br />

Weiter Beurteilungsspielraum<br />

Der BGH ist schlau, <strong>und</strong> weiß, dass die jeweilig notwendige<br />

Prognoseentscheidung außerordentlich schwierig ist:<br />

Deswegen wird ein weiter Beurteilungsspielraum zugebilligt <strong>und</strong> zugleich die<br />

Möglichkeit - haftungsfrei - ein gewisses Risiko einzugehen.<br />

Solange die Entscheidung abwägend getroffen wurde, <strong>und</strong> sie sich <strong>im</strong> Rahmen<br />

<strong>des</strong> Vertretbaren hält zum Zeitpunkt der Entscheidung, wird sie nicht<br />

nachträglich, wegen eines von niemandem gewollten Unfalls, "<strong>mit</strong> dem Stempel<br />

der Pflichtwidrigkeit versehen werden" .<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

43<br />

Trumpf 3. Dokumentation ist die halbe Miete<br />

In einer Entscheidung vom 18.3.1996 hat der BGH die Pflicht zur Dokumentation<br />

allgemein auf pflegerische Tätigkeiten festgehalten verb<strong>und</strong>en <strong>mit</strong> dem Hinweis,<br />

dass fehlende Dokumentation ein Indiz für mangelhafte Pflege darstelle. Fehlen in<br />

den Aufzeichnungen insbesondere Feststellungen über erhebliche konkrete Gefahren<br />

(z.B. Dekubitus), so gilt das als Indiz dafür, dass die ernste Gefahr einer Entstehung<br />

nicht erkannt <strong>und</strong> auf Durchführung vorbeugender Maßnahmen nicht in<br />

ausreichendem Maße geachtet worden ist .<br />

Um es anders herum zu sagen: Gewissenhafte Dokumentation eines<br />

Entscheidungsprozesses über bewusste Nichtfixierung ist ein Indiz für<br />

gewissenhafte Pflege. Enthalten die Aufzeichnungen insbesondere Feststellungen<br />

über erhebliche konkrete Gefahren <strong>und</strong> wie <strong>und</strong> aus welchen Gründen man da<strong>mit</strong><br />

umgeht, so ist das ein Indiz dafür, dass die Gefahr erkannt <strong>und</strong> auf Prüfung von<br />

Maßnahmen nicht ausreichend geachtet worden ist .<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

44<br />

Fachtag Hengersberg 22


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Trumpf 4: Selbstbest<strong>im</strong>mung<br />

Die Rechtsprechung misst der Selbstbest<strong>im</strong>mung einen überragenden<br />

Wert zu,<br />

d.h. halten Sie schriftlich fest,<br />

wenn der Bewohner deutlich macht, dass er die Fixierung ablehnt oder gar<br />

Anzeichen zeigt, darunter zu leiden.<br />

Und fragen Sie <strong>im</strong>mer wieder nach bei ihm.<br />

Vor allem, solange er noch einwilligungsfähig ist.<br />

Aber insbesondere auch dann, wenn er nicht mehr einwilligungsfähig ist.<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

45<br />

j<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Um die Situation zu verbessern, müssen<br />

wir nicht die Bewohner so sicher wie<br />

möglich verwahren,<br />

sondern den Einrichtungen in der<br />

pflegerischen Entscheidungssituation<br />

so viel Sicherheit wie möglich geben.<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

46<br />

Fachtag Hengersberg 23


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

j<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Gerichte, Betreuungsbehörden <strong>und</strong><br />

He<strong>im</strong>aufsicht<br />

müssen in der Konsequenz den Gedanken<br />

eines Kl<strong>im</strong>awandels<br />

vor Ort aktiv anschieben,<br />

wenn es um verantwortungsvolle<br />

Reduzierung von Fixierungen geht.<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

47<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

hört an <strong>und</strong> genehmigt<br />

(in über 90 % der Fälle)<br />

Angehörige<br />

Oft zugleich Betreuer<br />

äußert sich für den<br />

Betroffenen<br />

Richter<br />

informiert<br />

Betreuungsbehörde<br />

Pflegefachkraft<br />

empfiehlt<br />

Betreuer<br />

Arzt<br />

stellt Attest aus<br />

Rechtsanwalt als<br />

Verfahrenspfleger<br />

gibt Stellungnahme ab<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

48<br />

Fachtag Hengersberg 24


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Wer davon<br />

hat eigene<br />

Informationen<br />

?<br />

Angehörige<br />

kommt?<br />

Richter<br />

Betreuungsbehörde<br />

<strong>mit</strong><br />

Und wer fühlte sich<br />

mutterseelenallein<br />

der<br />

Gesamtverantwortung ?<br />

Pflegefachkraft<br />

Und wer<br />

davon hat<br />

fachlich<br />

eine<br />

Ahnung ?<br />

Betreuer<br />

Verfahrenspfleger<br />

Von wem<br />

hängt ab, ob<br />

das<br />

Verfahren<br />

Arzt<br />

überhaupt<br />

in Gang<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

49<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Und was passiert in einem System, in dem<br />

den es allein<br />

lässt <strong>mit</strong> der<br />

Verantwortung<br />

Arzt<br />

Richter<br />

Betreuungsbehörde<br />

Pflegefachkraft<br />

angstgesteuert ist ?<br />

dem es den<br />

faktischen<br />

Entscheidungsdruck<br />

aufbürdet<br />

der einzige,<br />

Angehörige<br />

der fachlich<br />

<strong>und</strong><br />

Verfahrenspfleger<br />

sachlich<br />

eine<br />

Ahnung hat,<br />

Betreuer<br />

auf den<br />

das ganze<br />

System<br />

sich<br />

verlässt,<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

50<br />

Fachtag Hengersberg 25


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

„Ist denn <strong>des</strong> so schl<strong>im</strong>m ?<br />

Des is ja nur zum Schutz ?“<br />

28.04.2013 Haftungsfragen bei der Vermeidung<br />

von Fixierungen<br />

51<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Einzelfallarbeit<br />

(Verfahrenspfleger)<br />

Regionale<br />

Kl<strong>im</strong>averänderung<br />

B<strong>und</strong>esweite<br />

Vernetzung<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

60<br />

Fachtag Hengersberg 26


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

§ 317 FamFG Verfahrenspfleger in Unterbringungssachen<br />

(1) 1 Das Gericht hat dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen,<br />

wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen <strong>des</strong> Betroffenen erforderlich<br />

ist. 2 Die Bestellung ist insbesondere erforderlich, wenn von einer<br />

Anhörung <strong>des</strong> Betroffenen abgesehen werden soll.<br />

(2) ....<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

61<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Allgemeine Idee einesVerfahrenspflegers:<br />

Die Verfahrenspflegschaft soll in erster Linie der<br />

verfassungsrechtlich gebotenen Sicherung <strong>des</strong><br />

rechtlichen Gehörs <strong>des</strong> Betroffenen dienen. Er hat<br />

diesem also Gehör zu verschaffen, für ihn zu sprechen,<br />

Interessenkonflikte darzulegen,<br />

Sachverständigengutachten <strong>und</strong> gerichtliche<br />

Entscheidungen nachzuvollziehen <strong>und</strong> ggf.<br />

Rechts<strong>mit</strong>tel einzulegen.<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

62<br />

Fachtag Hengersberg 27


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

j<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

63<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

64<br />

Fachtag Hengersberg 28


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

j<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Angehörige<br />

Oft zugleich Betreuer<br />

als Fürsprecher <strong>des</strong> Betroffenen<br />

- tritt an die Stelle <strong>des</strong> Betroffenen<br />

-bringt von zweiter Seite Fachwissen ein<br />

-soll die schwierige Abwägung<br />

Arzt<br />

unterstützen<br />

- angstfreie gemeinsame<br />

Entscheidung fördern<br />

- setzt sich ein<br />

Richter<br />

Betreuungsbehörde<br />

Pflegefachkraft<br />

Pflegespezialist als neutraler<br />

Verfahrenspfleger<br />

Betreuer<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

65<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Be<strong>im</strong> Neueingang eines Fixierungsantrags :<br />

1. Es wird einer dieser Verfahrenspfleger vom Gericht <strong>mit</strong> dem<br />

konkreten Einzelfall beauftragt, um sich in einer Funktion als<br />

gerichtlicher Verfahrenspfleger <strong>im</strong> Auftrag <strong>des</strong> Gerichts<br />

kritisch <strong>mit</strong> dem Einzelantrag auseinandersetzen.<br />

2. je nach Gericht /Richterkollege:<br />

z.B. wird durch schnelle einstweilige Anordnung einer<br />

Fixierung nach Kurzinformation zum Einzelfall das<br />

gesetzliche Zeitfenster von zunächst bis zu 6 Wochen (§ 333<br />

Satz 1 FamFG) eröffnet, um einen Zeitrahmen für die Tätigkeit<br />

der Verfahrenspfleger zu ermöglichen.<br />

Oder es wird bewusst zugewartet bis zu den ersten<br />

Erkenntnissen <strong>des</strong> Verfahrenspflegers<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

66<br />

Fachtag Hengersberg 29


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Die Verfahrenspfleger gehen baldmöglichst in die Einrichtung<br />

<strong>mit</strong> den rechtlichen Kriterien einerseits, fachlichem Wissen<br />

über Vermeidungsstrategien andererseits <strong>und</strong> diskutieren vor<br />

Ort jeden Einzelfall individuell auf Augenhöhe <strong>mit</strong> den<br />

Pflegeverantwortlichen diskutieren.<br />

Der Verfahrenspfleger geht in dieser Zeit<br />

Alternativüberlegungen gemeinsam <strong>mit</strong> dem He<strong>im</strong> <strong>und</strong> den<br />

Angehörigen durch.<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

67<br />

Und viel wichtiger noch:<br />

Bewegen, statt fixieren,<br />

Muskelaufbau statt<br />

Muskelabbau<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

68<br />

Fachtag Hengersberg 30


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

<strong>im</strong> Einzelfall regt er unter Einbeziehung <strong>und</strong> in Absprache <strong>mit</strong><br />

dem Betreuer auch Erprobungen an <strong>und</strong><br />

kann später berichten, <strong>mit</strong> welchem Ergebnis diese<br />

stattgef<strong>und</strong>en haben.<br />

Er strebt eine einvernehmliche Einschätzung an <strong>und</strong> erzielt<br />

sie auch nahezu <strong>im</strong>mer.<br />

Er gibt zum Abschluss eine schriftliche Abschätzung ab,<br />

wie er <strong>im</strong> konkreten Fall das Verletzungsrisiko einerseits,<br />

die da<strong>mit</strong> verb<strong>und</strong>ene Verschlechterung <strong>des</strong> Gesamtbil<strong>des</strong><br />

<strong>und</strong> den Verlust an Lebensqualität andererseits einschätzt<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

70<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Wir bieten<br />

den Einrichtungen<br />

den Schutz eines<br />

gerichtlichen Verfahrens.<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg 71<br />

Fachtag Hengersberg 31


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Bisher:<br />

Zeitpunkt zu dem pflegefachlich eine<br />

Entscheidung über Fixierung oder<br />

Nichtfixierung fallen muss<br />

Befürchtetes<br />

Sturzereignis<br />

Zeitpunkt, zu dem eine<br />

juristische Aufarbeitung<br />

<strong>und</strong> Befassung <strong>mit</strong> der<br />

Nichtfixierung stattfindet<br />

<strong>im</strong> Rahmen einer<br />

Haftungsklage<br />

d.h.die Angst war <strong>im</strong>mer in den Hinterköpfen, dass Monate später eine<br />

Nichtfixierungsentscheidung von Richtern anders beurteilt wird, als zu<br />

dem Zeitpunkt zu dem sie pflegeverantwortlich getroffen werden muss<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

72<br />

s<br />

Nach dem Werdenfelser Weg<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Beurteilung <strong>im</strong> Rahmen<br />

einer Haftungsklage<br />

Zeitpunkt zu dem pflegefachlich eine<br />

Entscheidung über Fixierung oder<br />

Nichtfixierung fallen muss<br />

Befürchtetes<br />

Sturzereignis<br />

Zeitpunkt der gerichtlichen Befassung <strong>im</strong><br />

Rahmen <strong>des</strong> Betreuungsverfahrens <strong>mit</strong> der<br />

Verantwortlichkeit einer Nichtfixierung <strong>und</strong><br />

gemeinsame Entscheidung<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

73<br />

Fachtag Hengersberg 32


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

j<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Der Erfolg war erstaunlicherweise sofort<br />

spürbar..<br />

Schlagartig hat allein eine Ankündigung<br />

schon zu einem veränderten Verhalten in<br />

den Einrichtungen geführt.<br />

Es gibt keine valide Erklärung dafür, nur<br />

Vermutungen, aber das Phänomen<br />

wiederholte sich an vielen Orten, die nach<br />

uns denselben Weg eingeschlagen haben.<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

75<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Der Werdenfelser Weg birgt einen<br />

eigenen Widerspruch in sich:<br />

Wir bieten ein System <strong>des</strong><br />

Haftungsschutzes bei<br />

Fixierungsvermeidung.<br />

Man sollte meinen, es werden<br />

eher mehr, als weniger<br />

Verfahren, oder ?<br />

In vielen Regionen haben<br />

wir einen rasanten<br />

Rückgang der<br />

Antragszahlen.<br />

Warum ?<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

77<br />

Fachtag Hengersberg 33


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

Regionen, die nach dem<br />

Werdenfelser Weg arbeiten:<br />

Nordfriesland<br />

Wismar<br />

Pasewalk<br />

Cuxhaven<br />

Langen Stade Gifhorn<br />

Leer Oldenburg<br />

Salzgitter<br />

Osnabrück<br />

Nienburg<br />

Cloppenburg<br />

Braunschweig<br />

Goslar<br />

Stolzenau<br />

Helmstedt<br />

Vechta Holzminden<br />

Einbeck<br />

Wolfsburg<br />

Seesen<br />

Recklinghausen Hamm<br />

Salzwedel<br />

Bernau<br />

Gummersbach Essen Witten <strong>und</strong> Ennepe-<br />

Görlitz<br />

Mönchengladbach Bochum Ruhr-Kreis<br />

Leipzig<br />

Märkische Kreis<br />

Nordhausen<br />

Geilenkirchen Köln<br />

Kerpen<br />

Bergisch Gladbach<br />

Gera<br />

Bonn<br />

Marburg<br />

Haßberge<br />

Wetzlar<br />

Aschaffenburg<br />

Hof<br />

Bayreuth<br />

Fulda<br />

Würzburg Erlangen<br />

Bamberg<br />

Cham<br />

Kusel Donnersbergkreis<br />

Nürnberg<br />

Neumarkt Opf<br />

Straubing Regen<br />

Saarbrücken Kaiserslautern<br />

Bad<br />

Regensburg<br />

Ingolstadt<br />

Kreuznach<br />

Deggendorf<br />

Neuburg-Schrobenhausen<br />

Pforzhe<strong>im</strong><br />

Pfaffenhofen<br />

Dachau<br />

Dillingen<br />

Karlsruhe<br />

Freising<br />

Esslingen<br />

Donau-Ries (Nördlingen)<br />

Aichach-Friedberg<br />

Fürstenfeldbruck<br />

Bühl<br />

Günzburg Augsburg<br />

Landsberg<br />

Weilhe<strong>im</strong><br />

München<br />

Unterallgäu <strong>und</strong><br />

Starnberg<br />

Garmisch-<br />

Rosenhe<strong>im</strong><br />

Waldshut<br />

Ostallgäu <strong>und</strong><br />

Tölz-<br />

Memmingen<br />

Partenkirchen<br />

Berchtesgadener Land<br />

Wolfratshausen<br />

28.04.2013 Oberallgäu <strong>und</strong> Kaufbeuren<br />

Werdenfelser Weg 79<br />

Kempten<br />

Kiel<br />

Berlin-Wedding<br />

Brandenburg/Havel<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg 80<br />

Fachtag Hengersberg 34


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

j<br />

Regionen, aus denen Interesse<br />

an dem Projekt bek<strong>und</strong>et wurde<br />

Flensburg<br />

Kreis Schleswig Flensburg<br />

Lübeck Rostock<br />

Verden<br />

Segeberg<br />

Springe<br />

Hamburg<br />

Lehrte Hannover<br />

Bremen<br />

Ludwigslust Berlin<br />

Hil<strong>des</strong>he<strong>im</strong><br />

Schöneberg<br />

Schaumburg<br />

Neustrelitz<br />

Steinfurt<br />

Herne<br />

Münster<br />

Cottbus<br />

Dinslaken<br />

Ennepe-Ruhr-Kreis<br />

Burg<br />

Aachen Düsseldorf<br />

Rheinbach Euskirchen<br />

Chemnitz. Meißen<br />

Trier Waldbröl Solingen<br />

Dresden<br />

Siegen<br />

Bautzen<br />

Bad Schwalbach Kassel<br />

L<strong>im</strong>burg<br />

Wiesbaden Vogelsbergkreis<br />

Wunsiedel<br />

Giessen<br />

Kulmbach<br />

Worms<br />

Main-Kinzig Kreis<br />

Schweinfurt<br />

Mainz Gelnhausen<br />

Fürth Amberg<br />

Mannhe<strong>im</strong><br />

Nürnberger Land Schwandorf<br />

Rastatt LeonbergLudwigsburg<br />

Stuttgart<br />

Landshut<br />

Freudenstadt<br />

Ebersberg<br />

Miesbach<br />

Ortenaukreis<br />

Göppingen<br />

Baden-Baden<br />

Traunstein<br />

Reutlingen Nürtingen<br />

Freiburg Waldshut<br />

28.04.2013 Bodenseekreis Werdenfelser Weg 81 81<br />

Ravensburg<br />

j<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

2011 wurden b<strong>und</strong>esweit<br />

2011 sind<br />

9045<br />

Genehmigungen von feM<br />

Fixierungsgenehmigungen<br />

in Bayern gegenüber dem<br />

weniger erteilt als 2010,<br />

Vorjahr um 3.396<br />

396 <strong>und</strong><br />

also ein Rückgang um fast<br />

so<strong>mit</strong> um knapp 14%<br />

10 % innerhalb eines Jahres<br />

gesunken<br />

2012 wurden nur noch<br />

7% der He<strong>im</strong>bewohner<br />

in<br />

München<br />

fixiert<br />

(B<strong>und</strong>esdurchschnitt ca.<br />

20-25<br />

25 %)<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

82<br />

Fachtag Hengersberg 35


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

j<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

21./22.06.2013<br />

27.09./28.09.2013<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg 83<br />

s<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Eigene Schulungen <strong>im</strong> Allgäu in<br />

Kooperation <strong>mit</strong> dem<br />

12.09./13.9./14.9.2013<br />

Bildungswerk der Bayerischen<br />

Wirtschaft (bbw) gGmbH<br />

bbw Memmingen<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

84<br />

Fachtag Hengersberg 36


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

j<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

15.11./16.11.2013<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg 85<br />

j<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

5.7.2013<br />

Tagung Werdenfelser Weg - ein Weg in die Zukunft<br />

9.00 – 9.15 Begrüßung Josef Wassermann, Dr. Sebastian Kirsch oder jemand Wichtiges<br />

9.15 – 10.15 Ges<strong>und</strong>heitl Risiken bei Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen Prof. Dr. Andrea Berzlanovich, Wien<br />

10.15 – 11.15 Bewegung ohne Einschränkung<br />

–Vermeidung von freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Altenpflege<br />

Susanne Preisenhammer, Moosburg<br />

11.45 – 12.45 Werdenfelser Weg in der Arbeit <strong>mit</strong> Menschen <strong>mit</strong> Behinderung Martina Seuser, Bad Honnef<br />

14.00 – 15.30<br />

Forum 1: Zusammenarbeit <strong>mit</strong> dem Gericht:<br />

Stellungnahme <strong>des</strong> Verfahrenspflegers als Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage <strong>des</strong> Richters<br />

Forum 2: Professionelles Deeskalationstraining<br />

Sylvia Silberzweig, München<br />

Martina Seuser, Bad Honnef<br />

15.30 – 16.00 Plenum, Schlusswort, Verabschiedung<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg 86<br />

Fachtag Hengersberg 37


Dr. Sebastian Kirsch, Richter am Amtsgericht Garmisch-<br />

Partenkirchen<br />

7.5.2013<br />

030<br />

j<br />

Eine Gemeinschaftsinitiative<br />

<strong>im</strong> Landkreis<br />

Garmisch-Partenkirchen<br />

Ärzte Zeitung, 13.09.2012<br />

Wegweisende Ideen <strong>im</strong> Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

Zum neunten Mal ist der Janssen-Zukunftspreis 2012 verliehen worden. Die drei preisgekrönten Projekte zeigen, dass<br />

jeder Einzelne <strong>im</strong> Ges<strong>und</strong>heitswesen etwas bewegen kann.<br />

Preisträger <strong>des</strong> Janssen-Zukunftspreises: (u.a.) Josef Wassermann, Dr. Sebastian Kirsch,<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

87<br />

j<br />

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit<br />

Und auch be<strong>im</strong> ZDF für die<br />

Verwendung <strong>des</strong><br />

Bildmaterials:<br />

28.04.2013 Werdenfelser Weg<br />

RiinAG Breitkopf, Regensburg<br />

91<br />

Fachtag Hengersberg 38

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