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editorial<br />
...oder kucke dek umme!<br />
Nun folgt eine typografische Reise in die Vergangenheit<br />
aus der Motivation heraus, bekannte Gebrauchsgegenstände<br />
und ein Handwerk an sich zu hinterfragen. Selbst<br />
das simple Briefeschreiben gilt heute als oldschool. Die<br />
neue Version davon heißt Email oder SMS.<br />
Empfangen-Gelesen-Gelöscht.<br />
Was hat welchen Wert? HERZBLUT.<br />
Ich komme von Einem zum Anderen. Finde Menschen,<br />
die sich Gedanken machen. Was wäre die Welt ohne<br />
Individualisten?<br />
Viel Vergnügen und Sonnenschein wünscht<br />
Stefanie Bosse<br />
Nun Nun<br />
Nun<br />
folgt folgt<br />
folgt<br />
eine eine<br />
eine typografische<br />
typografische<br />
Reise Reise<br />
Reise<br />
in in<br />
in<br />
die die<br />
die<br />
Vergange<br />
Vergang<br />
aus aus<br />
aus<br />
der der<br />
der Motivation<br />
Motivation<br />
heraus, heraus,<br />
heraus,<br />
bekannte bekannte<br />
bekannte<br />
Gebrauchsge<br />
Gebrauchsg<br />
stände stände<br />
stände<br />
und und<br />
und<br />
ein ein<br />
ein<br />
Handwerk Handwerk<br />
Handwerk<br />
an an<br />
an<br />
sich sich<br />
sich<br />
zu zu<br />
zu<br />
hinterfragen.<br />
hinterfragen<br />
das das<br />
das<br />
simple simple<br />
simple Briefeschreiben<br />
Briefeschreiben<br />
gilt gilt<br />
gilt<br />
heute heute<br />
heute<br />
als als<br />
als<br />
oldschool<br />
oldschoo<br />
neue neue<br />
neue<br />
Version Version<br />
Version<br />
davon davon<br />
davon<br />
heißt heißt<br />
heißt<br />
Email Email<br />
Email<br />
oder oder<br />
oder<br />
SMS. SMS.<br />
SMS.<br />
Empfa<br />
Empf<br />
gen-Gelesen-Gelöscht.<br />
gen-Gelesen-Gelöscht. HERZBLUT<br />
Was Was<br />
Was<br />
hat hat<br />
hat<br />
welchen welchen<br />
welchen<br />
Wert? Wert?<br />
Wert?<br />
HERZBLUT.<br />
HERZBLUT.<br />
Ich Ich komme komme von von Einem Einem zum zum Anderen. Anderen. Finde Finde Mens
INHALT:<br />
6<br />
Grenzerfahrungen<br />
10<br />
Typografie in der DDR<br />
20<br />
Sorgfältig setzen<br />
4<br />
24<br />
Der Büchermacher
30<br />
Die Formfrage in der Diplomarbeit<br />
Neo Rauchs<br />
36Faszination 40<br />
Schrecken<br />
Exzessives Fliegen<br />
5
Dies war ein unveränderbarer Fakt.<br />
Vor vielen Jahren als die Grenze zwischen Ost- und<br />
war ein LUFTBALLON der Beginn einer langen Brieffreundschaft<br />
Westdeutschland noch Bestand hatte,<br />
Beide wussten, dass sie nie zusammen spielen werden,<br />
zwischen zwei Mädchen.<br />
sich nie eine helfende Hand reichen können.<br />
Also machten sie das Beste draus.<br />
Briefe können Grenzen überwinden,<br />
und das taten sie.<br />
6
Grenzerfahrungen:<br />
7
Brieffreundschaft<br />
vs.<br />
Rassismus<br />
...oder was heutzutage passieren kann, wenn man seine Grenzerfahrungen<br />
mit einem vermeintlichen Freund teilt.<br />
Die Briefe pendelten zwischen<br />
Ganderkesee in der Nähe von<br />
Delmenhorst und Schwanebeck<br />
bei Halberstadt.<br />
BRD<br />
8
Streitgespräch:<br />
Stefanie undStefan berichten<br />
Hi Stefan, ich schwelge gerade in Erinnerungen<br />
an vergangene Zeiten. Ich habe früher<br />
ganz viele Briefe und Postkarten geschrieben.<br />
Schau mal! Das sind beispielsweise alte Briefe<br />
von meiner Brieffreundin aus dem damaligen<br />
Westen. Ist schon lustig zu sehen, was man einst<br />
geschrieben hat.<br />
Ja, warum nicht?<br />
Wie jetzt, du hattest Kontakt mit Wessis?<br />
Brieffreundschaft. Das ich nicht lache. Du warst<br />
doch nur scharf auf die Westpakete.<br />
So war das garnicht. Meine Oma hatte damals einen<br />
kaputten Luftballon mit `nem Zettel dran gefunden<br />
und mich gefragt, ob ich der Absenderin nicht schreiben<br />
möchte. Es hat sich herausgestellt, dass sie den selben Vornamen<br />
hat wie ich und nur ein Jahr jünger als ich war. Ein<br />
Paket hat sie mir tatsächlich mal geschickt, aber nur weil sie<br />
zuvor eins von mir gekriegt hat.<br />
Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst.<br />
Was soll man von einer Freundschaft wollen?<br />
Wir waren Kinder und hatten uns geschrieben,<br />
was wir so tagtäglich erlebten. Wir<br />
hatten mehr gemeinsam, als du es für möglich<br />
Und was hattest du dann davon?<br />
Naja, das ist eh Kinderkram. Ich habe die Wessis richtig<br />
kennenlernen dürfen.<br />
Also hattest du Freunde oder<br />
Verwandte im Westen?<br />
Nein. Ich will mit den Wessis nichts zu tun haben.<br />
Und warum? Du hättest mal erleben müssen, was für Pappnasen<br />
nach der Wende zu uns kamen. Ich war damals - zur<br />
Wendezeit - in der Bundeswehr.<br />
Die haben einfach die 4. und 5. Garnitur zu uns in den<br />
Osten geschickt und wir konnten uns mit den Plinsen rumärgern.<br />
Die wären im Westen nie an die Macht gekommen und<br />
bei uns haben die sogar noch `ne Buschzulage<br />
bekommen.<br />
Sind das nicht Einzelfälle?<br />
Ach, Einzelfälle. Wie viele Ostbetriebe wurden<br />
durch die Westkonkurrenz aufgekauft und dann<br />
geschlossen?<br />
Tja, so hat eben jeder von uns seine<br />
eigenen Erfahrungen gemacht.<br />
9
Typografie in der DDR<br />
Ein hoher Wiedererkennungswert und Super-Grotesk<br />
Arno Drescher entwarf für die Schriftgießerei<br />
VEB Typoart Dresden die<br />
Schriftart Super-Grotesk mager. Sie ist<br />
serifenlos und gehört zu den am meisten<br />
gedruckten Schriften in der DDR.<br />
Nach dem Krieg griff man auf die alten<br />
Schriftbestände zurück. Diese wurden<br />
bis zum Ende der Ära DDR verwendet.<br />
Somit erklärt sich der alte Charme und<br />
Wiedererkennungswert. Im Laufe der<br />
Jahre bearbeitete Karl-Heinz Lange die<br />
Super-Grotesk für den Fotosatz 1 und<br />
weitere Garnituren entstanden.<br />
1 Quelle: http://www.typografie.info/3/page/Schriften/fonts.html/_/super-grotesk-typoart-r85<br />
10<br />
Super-Grotesk mager<br />
VEB TYPOART-DRESDEN, 806 Dresden, Großenhainer Straße 9<br />
Arno Drescher<br />
Geschnitten in 6 8 9 10 12 14 16 20 24 28 36 und 48p<br />
WEITERE GARNITUREN<br />
halbfett<br />
dreiviertelfett<br />
fett<br />
schmalmager<br />
schmalhalbfett<br />
schmalfett<br />
kursiv mager<br />
halbfett<br />
fett<br />
KLASSIFIKATION<br />
serifenlose<br />
Linear-Antiqua / Sans Serif<br />
Drucktypenverzeichnis<br />
abcdefghijklmnopqrstuvwxyz fiflß<br />
ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ<br />
1234567890 & .,:;´-‘)]!?#*~§$%/=+“„ äöü
Etikett einer Arbeitshose<br />
EVP = Einzelhandelsverkaufspreis (Schriftart: Super-Grotesk)<br />
VEB = Volkseigener Betrieb (Schriftart: Super-Grotesk)<br />
11
12<br />
Auch in der Interhotel-Kette der DDR verwendete man<br />
für den Druck der Speisekarten die Super-Grotesk. Die<br />
Standardkarte wurde zwei bis dreimal im Jahr gewechselt.<br />
Damals verarbeitete man saisonale Lebensmittel.<br />
Es gab kaum Tiefkühlkost. Beispielsweise erhielt das Hotel<br />
International Magdeburg einmal im Jahr eine Lieferung<br />
Heilbutt. Dieser wurde filetiert und eingefroren. Im<br />
Herbst bzw. zur Jagdsaison lieferten die Jäger Fasane,<br />
Rebhühner, Wildschweine und Rotwild. Gänse erhielt<br />
man im Ganzen mit Federn und Innereien. Die Lehrlinge<br />
„durften“ rupfen und ausnehmen.
In der Nachtbar wurden gewisse „DAMEN“ geduldet.<br />
Bezahlten Gäste mit WESTGELD, musste dieses abgegeben werden und anschließend offiziell an alle Mitarbeiter verteilt werden.<br />
KÜMMELSPALTMASCHINE<br />
Wenn Honecker abstieg, wurde das komplette Hotel geschlossen. Zigaretten füllte man in Gläser mit<br />
Goldrand, welche das Küchenpersonal nach den Veranstaltungen von den Tischen klaubte. Dann<br />
hieß es: Schürzen hoch, Zigaretten rein! Anschließend wurde die Beute in der Küche verteilt.<br />
Ging Erich Honecker am Personal vorbei, mussten alle Spalier stehen und klatschen. Er brachte<br />
seine eigenen Konditoren aus dem Palast der Republik mit. Die berliner Küchencrew reiste eigens aus<br />
den Interhotels „METROPOL“ und „PALASTHOTEL“ an. Dennoch war es mit dem Vertrauen nicht weit<br />
her. Honeckers Bodygard fungierte gleichzeitig auch als sein Vorkoster. Man verglich ihn mit Dolph<br />
Lundgren.<br />
KARPFENBLAUSPRITZPISTOLE<br />
Nach Sylvester schloss man das Hotel für eine halbe Woche. Die Kammerjäger kamen und<br />
rückten den Kakerlaken auf den Leib.<br />
13
Speisekarte aus dem<br />
HOTEL INTERNATIONAL<br />
MAGDEBURG<br />
gehört zur Kette INTERHOTEL DDR<br />
14<br />
Schriftart: BLEISATZ Prägefest<br />
Entwurf: Eduard Lautenbach<br />
Schriftgießerei: Ludwig & Mayer<br />
Erstguß: 1926<br />
Ort: Frankfurt am Main
„Wat denn, wat denn,<br />
saure Jurke is och Kompott“<br />
Ausspruch eines Berliner Wirts<br />
Schriftart: Super-Grotesk<br />
15
Als Fauxpas galt es zu DDR-Zeiten,<br />
Apfelsinen für die Saftherstellung<br />
auszupressen. Für die Teilnehmer<br />
der Friedensfahrt wurde gepresst,<br />
was die Kuba-Orangen hergaben.<br />
Aufgrund eines Handelsabkommens zwischen Kuba<br />
und der DDR bestand die Aufgabe Kubas darin,<br />
Orangen anzubauen.<br />
Ein gravierendes Problem: das kubanische Klima war<br />
und ist nicht für den Orangenanbau geeignet.<br />
DAS RESULTAT: strohige, dünnhäutige und<br />
grün-gelbliche Apfelsinen<br />
Die vielen enthaltenen Kerne nutze man zur Anzucht von Orangenbäumen,<br />
um sich etwas Karibik in die Stube zu holen.<br />
Mimosa erinnert an die heute eher<br />
bekannte Schriftart Copperplate Gothic.<br />
Trotz des Namenszusatzes Gothic ist<br />
es keine Grotesk-Schrift. Kleine Serifen<br />
zieren die Enden.<br />
MAJUSKELSCHRIFT<br />
16
Schriftart: Mimosa<br />
17
Für Ausländische Gäste<br />
übersetzte man die Menüs<br />
wie hier zum Beispiel ins<br />
Englische.<br />
18<br />
TAGESMENÜS und häufig<br />
wechselnde Speisefolgen wurden<br />
separat mit der Schreibmaschine<br />
verfasst. Der Druck war dafür zu<br />
aufwendig und kostspielig.
Der Schreibmaschinen-Typ ERIKA<br />
war in der DDR weit verbreitet.<br />
Vor allem in kleineren Restaurants<br />
nutzte man Schreibmaschinen und<br />
Durchschreibpapier, d.h. Blaupausen,<br />
für die Herstellung von Speisekarten.<br />
19
Sorgfältig setzen<br />
Hans-Joachim Schauß blickt<br />
auf 45 Jahre Gebrauchsgrafik<br />
von Martin Z. Schröder<br />
Aus der Bibliothek der Internet-Seite www.druckerey.de<br />
20<br />
Auf den ersten Blick wirken Bücher aus der DDR<br />
bloß flau und vergilbt. Billige Farben, holzhaltiges<br />
Papier. Eine Sehhilfe, die den zweiten Blick<br />
schärft, liefert Hans-Joachim Schauß mit einem<br />
Rückblick aufs eigene Werk: auf fünfundvierzig<br />
Jahre Gebrauchsgrafik.<br />
Von Nischen in der DDR wird gesprochen,<br />
wenn man Bereiche meint, die zu bevormunden<br />
den Staat kaum kümmerte. Weil dieser Staat einer<br />
der Arbeiter- und Bauernherrschaft war, reichte<br />
sein Interesse nicht in intellektuelle Verzweigungen.<br />
Die Gebrauchsgrafiker wurden nur im<br />
Entwerfen von Propaganda und Reklame reglementiert.<br />
Vom Büchermachen wandten die Ideologen<br />
sich ab. Gut so, denn reformerischer Eifer<br />
hätte alles verderben können: Beispielsweise galt<br />
serifenlose Schrift in den zwanziger Jahren als<br />
fortschrittlich. Sie ist aber schwerer lesbar, und<br />
wenige Jahre später waren die Bücher wieder aus<br />
gut lesbaren Renaissance-Typen gesetzt. Auch die<br />
Gestalt des Buches hätten die Fortschrittsgläubigen<br />
umstürzen wollen können, ist sie doch seit<br />
1550 unverändert: ein Rechteck, hochkant, kaum<br />
größer als eine Hand, mit überstehenden Deckeln<br />
zum Schutz der Seiten.
„<br />
„Zweitausend Jahre<br />
Schriftgeschichte<br />
hat ein guter<br />
„<br />
Buchentwerfer im Kopf “<br />
Ahle: Bei der Korrektur pickt man<br />
mit der Ahle Bleibuchstaben an,<br />
d.h. in den Kegel der Letter,<br />
und zieht sie aus dem Satz hoch.<br />
Über die Nischenfreiheit seiner Berufspraxis<br />
hat Hans-Joachim Schauß nun geschrieben. Von<br />
1955 bis 2000 arbeitete er für mehr als fünfundzwanzig<br />
Verlage freiberuflich, 1962 wurde er<br />
Künstlerischer Leiter des Verlages der Nation<br />
in Berlin. Ungefähr achthundert Büchern hat er<br />
Schrift und Layout gegeben und sie mit Schutzumschlägen<br />
angekleidet. Dazu Kataloge, Schallplattenhüllen,<br />
Plakate.<br />
In seinem mit 365 Abbildungen versehenen<br />
Rückblick erschließt sich nicht nur die Arbeit des<br />
einzelnen Entwerfers, sondern die Verlagskultur<br />
der DDR. Niemand machte den Buchkünstlern<br />
inhaltliche Vorgaben, Bücher verkauften sich<br />
fast wie von selbst. Die Grafiker hatten nichts<br />
zu fürchten als den Vergleich mit den Werken<br />
der Vorgänger – mit diesem Anspruch waren sie<br />
ausgebildet worden von Werner Klemke, Albert<br />
Kapr und anderen und unter dem Eindruck der<br />
traditionsgebundenen Arbeit von Jan Tschichold.<br />
Solcher Ehrgeiz fordert kalligraphische Meisterschaft<br />
und historisches Bewußtsein. Zweitausend<br />
Jahre Schriftgeschichte hat ein guter Buchentwerfer<br />
im Kopf, muß aber ebenso in der Kunstgeschichte<br />
zu Hause sein, um Bücher entsprechend<br />
betiteln und illustrieren zu können.<br />
21
Der Winkelhaken wird auch<br />
Löffel oder Kelle genannt.<br />
Winkelhaken: Handsetzgerät mit verschiebbarem Winkelstuck, in dem<br />
die Bleilettern aus dem Setzkasten zu Zeilen gesetzt<br />
und dann ausgeschlossen wurden.<br />
:<br />
22<br />
Typometer = typografischer Maßstab<br />
Damit wird die Versalhöhe gemessen.<br />
Wodurch unterscheidet sich die Masse der gelungenen<br />
DDR-Bücher von heutigen? In erster<br />
Linie durch Anmut, die zur Zeit fast völlig fehlt,<br />
eine gewissermaßen traumwandlerische Natürlichkeit.<br />
Der Tradition verpflichtete Typographie<br />
ist nicht verspielt, aber mitunter spielerisch. Nicht<br />
rauschend, aber elegant. Unauffällig und dem Leser<br />
verpflichtet.<br />
Sodann fällt der große Anteil an Handarbeit<br />
auf. Hatte der Schriftsetzer eine Zeile aus Versalien<br />
zu setzen, glich er die ungleichmäßigen Zwischenräume<br />
aus und sperrte sie nach den Angaben<br />
des Grafikers. So haben es vor 2000 Jahren<br />
die Römer vorgemacht. Ein deutschsprachiges<br />
Beispiel: Der Raum im O in dem Wort NONNE<br />
darf kein Loch in der Zeile bilden, also müssen<br />
die anderen Buchstaben etwas mehr Platz erhalten.<br />
Wer sich heute „Designer“ nennt, schert sich<br />
meist nicht drum. Wenn eine DDR-Druckerei die<br />
gewünschten Typen für das Titelblatt nicht hatte,<br />
schrieb Schauß eine Schrift mit der Feder so exakt,<br />
daß sie aussah wie von der Letter gedruckt.<br />
Auch Ornamente wurden gezeichnet. Wer kann<br />
das heute?<br />
Drittens lasen die Entwerfer die Manuskripte.<br />
Büchern sieht man oft an, ob der Grafiker nur<br />
den Klappentext kennt oder sich mit dem Thema<br />
beschäftigt hat.<br />
Um einen letzten Unterschied zu nennen: In<br />
keinem anderem Land wurden so viele belletristische<br />
Bücher illustriert wie in der DDR, die<br />
Namensliste der von Schauß als Künstlerischem<br />
Leiter beauftragten Künstler ist länger als diese<br />
Auswahl: Hans Baltzer, Albrecht von Bodecker,<br />
Manfred Butzmann, Karl-Heinz Drescher, Klaus<br />
Ensikat, Gerhard Goßmann, John Heartfield,<br />
Heidrun Hegewald, Horst Hussel, Werner Klemke,<br />
Ruth Knorr, Frans Masereel, Roger Melis,<br />
Arno Mohr, Volker Pfüller, Lothar Reher, Herbert<br />
Sandberg, Max Schwimmer, Hans Ticha,<br />
Wolfgang Würfel.
Didot-Typomaß [dd]<br />
DTP-Typomaß [pt]<br />
Pica-Point-Typomaß [pc]<br />
-> in der Bleisatzzeit aus Metall<br />
-> ist in Pica-Point eingeteilt<br />
-> aus durchsichtigem Kunststoff<br />
Schauß zeigt nicht nur das eigene Werk, er berichtet<br />
über die Arbeitswelt der Verlage: Welche<br />
Auflagen verkauft wurden. Wie Jahrespläne entstanden<br />
und vergingen. Wie Schauß Künstlerischer<br />
Leiter wurde ohne Parteizugehörigkeit. Wie<br />
manchmal der primitive Staat doch eingriff, etwa<br />
zum 500. Geburtstag Albrecht Dürers im Jahr<br />
1971: Schauß hatte den Plakatwettbewerb gewonnen<br />
mit einem Selbstporträt Dürers als Motiv.<br />
Kulturminister Klaus Gysi wollte aber arbeitende<br />
Bevölkerung haben, „Die drei Bauern“ von 1496<br />
mussten es sein. Oder wie die FDJ den Verkauf<br />
von Gedichten junger Lyriker trotz Druckgenehmigung<br />
des Kulturministeriums behinderte.<br />
Schauß erzählt, wie man Materialmangel ausglich:<br />
Im Jahr 1963 hatte er ein Volksbuch von 1509<br />
mit Reprints der Originalholzschnitte auszustatten.<br />
Holzfreies Papier stand nicht zur Verfügung.<br />
Schauß nahm ein geripptes Vorsatzpapier für den<br />
Inhalt und steckte den Leinenband in einen farbigen<br />
Schuber – die Buchhändler fanden den Ladenpreis<br />
gering für eine so bibliophile Ausgabe.<br />
Privat und Beruf waren bei Schauß nicht getrennt,<br />
die reife Liebe zum Beruf sieht man seinen<br />
Werken an. Wehmut packt einen, daß es nicht<br />
mehr viele Grafiker dieses Schlages gibt – Meister<br />
der Schwarzen Kunst.<br />
Hans-Joachim Schauß: Rückblick auf rund 45 Jahre Gebrauchsgrafik in 365 Abbildungen,<br />
begleitenden Erinnerungen sowie zwei Texten von Axel Bertram und Gerhard Oschatz.<br />
Naunhof-Press, Leipzig, 2001. 320 Seiten, 25 Euro. Selbstverlag, zu beziehen von Schauß,<br />
Markgrafenstraße 41, 10117 Berlin.<br />
23
Der<br />
Büchermacher:<br />
Hans-Joachim<br />
SCHAUß<br />
Hans-Joachim Schauß<br />
Zum 40jährigen Verlagsjubiläum des<br />
Verlags der Nation Berlin sammelte<br />
Hans-Joachim Schauß Stimmen von<br />
namhaften Autoren, Illustratoren und<br />
Büchermachern. Ein Potpourri fürs Bücherregal<br />
- „BUCHENSWERT Notizen<br />
über das Büchermachen“ war geboren.<br />
Aus den Notizen spricht mal eine<br />
allumfassende Leidenschaft und mal<br />
eine nach Angst riechende Verzweiflung<br />
vor dem weißen Blatt. Andere sind<br />
lehrreich, wiederum andere tadelnd.<br />
Doch eine Notiz lässt bis heute einen<br />
zarten Schleier der Demut aus seinem<br />
Projekt entweichen.<br />
Roswitha Grüttner sandte<br />
nachfolgenden Brief an<br />
Herrn Schauß:<br />
24
QUELLE: http://roswitha-gruettner.de
1987 Verlag der Nation Berlin<br />
QUELLE: http://roswitha-gruettner.de<br />
Roswitha Grüttner<br />
Brief an Herrn S.<br />
Lieber Herr S.,<br />
ich bin sehr im Verzug mit der Antwort auf Ihren Brief. Zugegeben, ich<br />
finde es überaus freundlich, dass Sie mich an Ihrem Projekt beteiligen wollen –<br />
aber sollte man erstens nicht die Finger von dem lassen, was man nicht kann,<br />
und zweitens: sind Sie sicher, dass jemand meine Gedanken überhaupt lesen will?<br />
Ist es nicht eine ganz eigene und damit für jemanden, der sich nicht mit solcher<br />
Arbeit befasst, völlig uninteressante Sache, über Ängste, Nöte und auch Freude<br />
und Genugtuung zu sinnieren? Die Angst vor dem leeren Stück Papier, die Angst,<br />
einem Text nicht nahezukommen, sich einfach in der Vorfreude auf Kommendes<br />
verausgabt zu haben und dann unfähig zu sein, diese Lust sicht- und spürbar<br />
zu machen. Wer will das schon wissen? Nur das Resultat zählt. Und das Resultat<br />
meiner Arbeit ist die Illustration. Diese wiederum sollte entstehen, nicht gemacht<br />
werden – was also sollte ich da schreiben?<br />
Ist es nicht schon Anmaßung, einem anderen, der natürlich seine Bilder hat,<br />
die eigenen massiv dagegenzusetzen? Möglich, dass sich der eine oder andere angeregt<br />
fühlt und zu neuen bildlichen Vorstellungen gelangt - dies wäre ein ungeheurer<br />
Glücksfall! Aber ebenso gut könnte es sein, dass ich mit meinen Bildern den<br />
Leser gar nicht erreiche, ihn verärgere! Das ist das Risiko bei der Sache, denn die<br />
Illustration ist meine Äußerung zur Literatur, und diese ganz persönliche Meinung<br />
kommt ganz öffentlich – und jetzt auch noch in Worten? Nein, das lassen wir<br />
doch lieber.<br />
Bitte entschuldigen Sie mich.<br />
Herzlichst R.G.
Der Büchermacher: Hans-Joachim SCHAUß<br />
Ich habe die Schriftproben durchgesehen und finde einige<br />
darunter, die mir überaus wohlgefallen. Auch habe ich solche<br />
schon für mich notiert. Es liegt aber übrigens nicht allein<br />
an Papier und Schrift, daß eine Druckschrift gut ins Auge fällt.<br />
Beides kann gut gewählt seyn, und wenn es an einer guten<br />
geschmackvollen Anordnung fehlt, so ist alles vergebens.<br />
Friedrich Schiller an Cotta<br />
28
Jürgen Rennert an Schauß:<br />
Drucksen und Drucken genügt nicht,<br />
denn Alles bleibt sprachlos,<br />
wenn keiner kommt,<br />
der‘s gestaltend erlöst.<br />
Raum ist ein Auftrag in Weiß,<br />
und die schwarzen Linien sind ein Versuch,<br />
jenes Weiß erst zu erhellen.<br />
(Wie selten gelingt‘s<br />
Dichtern und Schreibern!)<br />
Die feinnervigen Magier wie SCHAUß stehn<br />
im Dunkel stets überschlagnen Impressums,<br />
und hüten,<br />
behutsam Schatten verteilend,<br />
das Licht.<br />
QUELLE: „BUCHENSWERT Notizen über das Büchermachen“, Seite 264<br />
29
Die Formfrage in der Diplomarbeit Neo Rauchs<br />
von Annemarie Riemer<br />
iner der erfolgreichsten, der<br />
DDR entstammenden, Künstler<br />
unserer Zeit ist der Leipziger<br />
Maler Neo Rauch. Sein Oeuvre<br />
wird häufig als kryptisch bewertet,<br />
zuweilen wird sogar kritisiert,<br />
dass seine Bilder unverständlich<br />
seien. Dabei übersehen die Kritiker<br />
jedoch häufig einen wichtigen<br />
Zugangsschlüssel: seine theoretische<br />
Diplomarbeit, die er 1985 in der<br />
Leipziger Hochschule für Grafik<br />
und Buchkunst, an der er ausgebildet<br />
wurde, einreichte. Sie trägt<br />
den Titel „Die informelle Malerei<br />
in der BRD“, und bildet letztlich<br />
eine Analyse der formalen und<br />
inhaltlichen Darstellungsmöglichkeiten<br />
abstrakter Malerei, und ist<br />
somit in die so genannte Formalismusdebatte<br />
einzuordnen, in der<br />
sich, vor allem in den Nachkriegsjahren,<br />
die unterschiedlichen<br />
Auffassungen bezüglich der zu<br />
bevorzugenden Formsprache der<br />
Malerei entluden. Während man<br />
in Westdeutschland die abstrakte,<br />
beziehungsweise informelle, also<br />
ungegenständliche Malerei als<br />
Ausdruck künstlerischer Freiheit<br />
bevorzugte, galt in Ostdeutschland<br />
die figurative Formsprache<br />
als überlegen, da sich durch sie<br />
gesellschaftliche und politische<br />
Standpunkte ausdrücken ließen.<br />
30
Zur Zur Zeit Zeit der Entstehung der Entstehung der Diplomarbeit hatten die Künstler der Leipziger<br />
HGB der sich, Diplomarbeit den Auffassungen hatten der die DDR entsprechend, der gegenständlichen<br />
Darstellungsweise Künstler der Leipziger verschrieben. HGB Die dort ansässigen Vertreter der so genannten<br />
Leipziger Schule, darunter auch Rauchs Lehrer Bernhard Heisig und Arno<br />
sich, den Auffassungen der<br />
Rink, verwendeten zwar expressive Elemente, die eine rein mimetische Abbildungsweise<br />
überschritten, erreichten aber dennoch nie den Zustand vollstän-<br />
DDR entsprechend, der gegenständlichediger<br />
Abstraktion.<br />
Darstellungsweise<br />
verschrieben. Die dort<br />
ansässigen Vertreter der so<br />
genannten Leipziger Schule,<br />
darunter auch Rauchs Lehrer<br />
Bernhard Heisig und Arno Dennoch kommt Neo Rauch in<br />
Rink, verwendeten zwar expressive<br />
Elemente, die eine der DDR-Regierung propagierten<br />
seiner Arbeit, entgegen der von<br />
rein mimetische Abbildungsweise<br />
überschritten, erreichten die informelle Kunst sei aufgrund<br />
Ansichten, nicht zu dem Schluss,<br />
aber dennoch nie den Zustand der ihr zugeschriebenen „Subjektivität,<br />
Launigkeit, fehlenden<br />
vollständiger Abstraktion.<br />
Verbindlichkeit und ihren Chaotischen<br />
Eigenheiten“ als irrelevant<br />
zu betrachten, sondern betrachtet<br />
sie eher als Durchgangsstadium,<br />
das zur letztlich figurativen Darstellungsweise<br />
zurückführe. Er<br />
erkennt in ihr vor allem dekorative<br />
Funktionen, und sieht sie<br />
als Möglichkeit, „das Form- und<br />
Farbbewusstsein der realistischen<br />
Malerei zu stärken“. Die zum Teil<br />
spirituellen und mystischen Bedeutungen,<br />
die abstrakten Werken<br />
zugeschrieben werden, kritisiert<br />
er hingegen als Bedeutungsüberhöhungen,<br />
und betont, dass die<br />
den Bildern innewohnenden Bedeutungen<br />
als subjektiv auf den<br />
ausführenden Künstler zu beziehend<br />
zu betrachten seien.<br />
Dieses Hintergrundwissen ermöglicht<br />
einen ganz anderen<br />
Blick auf das Oeuvre Rauchs,<br />
in dem sich ab 1993 die Figuren<br />
langsam aus den abstrakten Bildgründen<br />
herauszubilden scheinen,<br />
und liefert eine Erklärung<br />
für die immer wieder auftauchenden,<br />
ungegenständlichen Elemente<br />
in den realistisch dargestellten<br />
Sujets. Zudem lassen sich mit<br />
der Formalismusdebatte im Hinterkopf<br />
einige Bildelemente, wie<br />
häufig dargestellte Leinwände mit<br />
abstrakt wirkenden Darstellungen,<br />
im Bezug auf die bis heute<br />
anhaltende Diskussion um den<br />
Wert figurativer Malerei in der<br />
zeitgenössischen Kunst deuten.<br />
31
Neo Rauch; Neue Rollen; Bilder 1993-2006; Dumont 2006 S.83<br />
Das Neo Haus Rauch; (1996. Neue Öl Rollen; auf Bilder Leinwand): 1993-2006; Dumont 2006 S.83<br />
Neo Rauch; Neue Rollen; Bilder 1993-2006; Dumont 2006 S.83<br />
Leinwand):<br />
auf Öl (1996. Haus Das<br />
Haus Öl Leinwand):<br />
Neo Rauch; Neue Das Rollen; (1996. Bilder auf 1993-2006; Dumont 2006 S.83<br />
Das Neo Haus Rauch; (1996. Neue Öl Rollen; auf Bilder Leinwand): 1993-2006; Dumont 2006 S.83<br />
Neo Rauch; Neue Rollen; Bilder 1993-2006; Dumont 2006 S.83<br />
Leinwand):<br />
auf Öl (1996. Haus Das<br />
Haus Öl Leinwand):<br />
Neo Rauch; Neue Das Rollen; (1996. Bilder auf 1993-2006; Dumont 2006 S.83<br />
Das Neo Haus Rauch; (1996. Neue Öl Rollen; auf Bilder Leinwand): 1993-2006; Dumont 2006 S.83<br />
Neo Rauch; Neue Rollen; Bilder 1993-2006; Dumont 2006 S.83<br />
Leinwand):<br />
auf Öl (1996. Haus Das<br />
Haus Öl Leinwand):<br />
Neo Rauch; Neue Das Rollen; (1996. Bilder auf 1993-2006; Dumont 2006 S.83<br />
Leinwand):<br />
auf Öl (1996. Haus Das<br />
Ein wirklich schönes Beispiel für Rauchs (Rück-)übergang vom Abstrakten ins<br />
Figürliche ist meiner Meinung nach „Haus“.<br />
32<br />
Das Haus (1996. Öl auf Leinwand):<br />
Neo Rauch; Neue Rollen; Bilder 1993-2006; Dumont 2006 S.83
„Abstraktion“ habe ich als Beispiel dafür genommen, wie er sich in seinem jetzt ihm eigenen<br />
Stil mit dem Thema der Formalismusfrage auseinandersetzt.<br />
Abstraktion (2005. Keine Technik angegeben (wahrscheinlich Öl auf Leinwand). Standort: Leeds, Abstract Select Ltd.): Neo Rauch - Neue Rollen. Bilder<br />
1993 - 2006, Kunstmuseum Wolfsburg, 11. November 2006 bis 11. März 2007, S. 165.<br />
33
Die drei folgenden Bilder stammen aus der Phase, in der seine Figuren sich langsam wieder aus dem<br />
abstrakten Hintergrund herausschälen<br />
DROMOS<br />
Dromos (1993. Öl auf Leinwand. Berlin, Privatsammlung):<br />
Neo Rauch-Neue Rollen, Bilder 1993-2006, mit Beiträgen von Gottfried Boehm u.a., [Katalog der Ausstellung: Wolfsburg, Kunstmuseum,<br />
11.11.2006-11.03.2007], Köln : DuMont, 2006, S.69.<br />
SAUM<br />
Saum (1993. Öl auf Papier. Berlin, Courtesy Galerie EIGEN + ART.):<br />
Neo Rauch. Randgebiet, Ausst.-Kat. Leipzig 2000, S.42.<br />
TORF<br />
Torf (1993. Öl auf Papier / Leinwand. Berlin, Sammlung Freyer):<br />
Neo Rauch. Randgebiet, Ausst.-Kat. Leipzig 2000, S. 41.<br />
34
S<br />
SCHRECKEN
Schafft „Dark Tourism“ Mitleid oder Mitgefühl?<br />
von Vanessa Flicker<br />
„Dark Tourism“ oder auch<br />
„Grief Tourism“ genannt,<br />
sind keine unbekannten<br />
Begriffe in Fachkreisen, bereits 1996 wurden<br />
diese Wörter von Professor John Lennon<br />
im schottischen Glasgow geprägt.<br />
Ganze Universitätsabteilungen befassen<br />
sich mit der Thematik und wollen herausfinden,<br />
warum Menschen bereit sind historische<br />
Orte des Grauens zu besuchen. Alle<br />
diese Plätze erzählen Geschichten vom Tod<br />
anderer Menschen und den Abgründen<br />
unserer Zivilisation. Welche sozialen oder<br />
auch moralischen Beweggründe lassen sich<br />
bei den Besuchern erkennen? Seit 2012 gibt<br />
es an der University of Central Lancashire<br />
ein Forschungszentrum, das sich gerade<br />
mit diesen Fragen beschäftigt.<br />
Nach 9/11 haben Tausende von Menschen<br />
New York City besucht und begleitete Touren<br />
rund um „Ground Zero“ mitgemacht.<br />
Beim Verlassen der U-Bahn fällt der erste<br />
Blick sofort darauf.<br />
Als die Trümmer der gefallenen Türme<br />
beseitigt waren, klafften nur noch zwei<br />
riesige Löcher aus dem Boden, die daran<br />
erinnerten, dass dort einst die zwei größten<br />
Gebäude in New York standen. Bis vor<br />
kurzem war die Baustelle noch mit Zäunen<br />
umgeben und die Bauarbeiter waren bemüht,<br />
so schnell wie möglich die Zeichen<br />
eines Terroranschlags zu beseitigen. Auch<br />
umliegende Gebäude wurden von fallenden<br />
Trümmern beschädigt. Das einzige<br />
Gebäude, was nicht zerstört wurde, ist die<br />
St. Paul’s Chapel, in der die Verletzten und<br />
erschöpften Helfer verpflegt wurden. Heute<br />
soll ist die Kapelle als ein Symbol der<br />
amerikanischen Stärke gelten– so deuten es<br />
zumindest einige New Yorker und Hinweise<br />
in der Kapelle<br />
Aber schon Tage nach dem Geschehen<br />
wurden T-Shirts und andere Souvenirs am<br />
Unglücksort verkauft, erzählt Patricia Newkirk.<br />
Seit 30 Jahren lebt die Rentnerin<br />
in der Metropole am Hudson River. Sie<br />
empfand es als tiefe Beleidigung, dass kurze<br />
Zeit später Profit aus dem Leid anderer<br />
gemacht wurde. Selbst heute noch vermeidet<br />
Sie es nach Down Town Manhattan zu<br />
gehen und das Denkmal zu besuchen. Für<br />
Sie ist es kein Ort, um zu Trauern und Halt<br />
zu finden, da das, was dort gebaut wird zu<br />
groß ist, um zu begreifen, was hier einst geschah.<br />
An jenen Tag jedoch kann sich Patricia<br />
Newkirk noch genau erinnern. Der Wind<br />
drehte und der beißende Geruch brennender<br />
Büroräume, Gebäude und Mitmenschen<br />
wehte durch die Straßen ihrer<br />
Heimatstadt. Zwölf Jahre später ist so gut<br />
wie nichts mehr von dem Unglück zu sehen.<br />
Es wurden Grünanlagen angelegt und<br />
das Fundament der zerstörten Türme ist<br />
zu den größten künstlichen Wasserfällen<br />
der USA umfunktioniert. Außerdem sind<br />
Tafeln um die Schächte herum errichtet,<br />
auf denen die Namen der Opfer stehen.<br />
Der neu erbaute Freedom Tower und das<br />
Denkmal sollen an jene erinnern, die an<br />
diesem Tag ihr Leben gaben. Jeder verarbeitet<br />
dieses Geschehen auf eine andere<br />
Weise und die Menschen kommen aus vielerlei<br />
Gründen zum Ground Zero. Patricia<br />
Newkirk glaubt: auf der einen Seite ist es<br />
Respekt, aber auf der anderen Seite treibt<br />
sie auch die Neugier dorthin.<br />
Auch Schauplätze des zweiten Weltkriegs<br />
ziehen seit vielen Jahren Besucher an. Fast<br />
jedes Kind besucht mindestens einmal in<br />
seiner Schulzeit ein Konzentrationslager.<br />
Obwohl es Dutzende von Museen gibt,<br />
die ebenfalls über die Geschichte aufklären<br />
könnten.<br />
37
Es ist der 26. April 1986,<br />
ein ganz normaler Samstag<br />
im Norden der Ukraine, als<br />
etwas außer Kontrolle gerät, was<br />
von Natur aus schon schwer zu<br />
kontrollieren ist. Bei einem Routinetest<br />
werden massive Fehler gemacht, die<br />
dazu führen, dass zwei umliegende Orte<br />
evakuiert werden müssen. Eine radioaktive<br />
Wolke breitet sich über Europa aus und die<br />
Orte Prypjat mit circa 50.000 Bewohnern<br />
und Tschernobyl mit rund 100.000 Bewohnern<br />
werden für kommende Generationen<br />
unbewohnbar.<br />
28 Jahre später sind Tschernobyl und das<br />
Atomkraftwerk Ziel neugieriger Touristen.<br />
Schon 2002, 16 Jahre nach dem Super Gau,<br />
wurden die Schranken geöffnet und Touristen<br />
können seither legal in die Sperrzone<br />
einreisen. Verschiedene Reiseveranstalter<br />
bieten geführte Eintagestouren für Gruppen<br />
an und organisieren den kompletten<br />
Aufenthalt. Um in die Sperrzone zu gelangen,<br />
die 30 Kilometer um den Reaktor<br />
liegt, ist eine Zugangsberechtigung nötig.<br />
Die Besucher reisen meist von Kiew mit<br />
dem Bus an, können den Reaktor 4 sowie<br />
Prypjat und umliegende Dörfer besuchen.<br />
Der Sarkophag, der den Reaktor umhüllt,<br />
ist nicht direkt zu erreichen. Er wird täglich<br />
repariert – wegen der hohen Strahlung.<br />
Besucher müssen 500 Meter Sicherheitsabstand<br />
wahren. Er soll angeblich verhindern,<br />
dass Besucher die kritische Menge<br />
an Strahlung erhalten. Das Bundesamt für<br />
Strahlenschutz weist auf seiner Seite darauf<br />
hin, dass Plätze mit hoher Strahlenbelastung<br />
abgesperrt sind. Trotzdem ist es<br />
den Touristen möglich in diese Sperrzone<br />
einzureisen.<br />
Jeder Reiseveranstalter, wie zum Beispiel<br />
auch tour2chernobyl.com weist deshalb darauf<br />
hin, dass keine Haftung im Falle einer<br />
Verstrahlung übernommen wird.<br />
Auch Prypjat befindet sich auf der Tagesordnung.<br />
Eine Stadt, die erkennbar in<br />
großer Eile verlassen wurde, damals vor<br />
80 Jahren. Spielzeug und andere materielle<br />
Wertsachen jener Zeit, die noch nicht geplündert<br />
wurden, zeigen, dass diese Stadt<br />
früher einmal sehr ansehnlich und wohlhabend<br />
war. Besucher werden heute an verlassenen<br />
Gebäuden, Schulen und am Kulturpalast<br />
vorbeigeführt, welcher als Highlight<br />
auf der Tour gilt. Farbe blättert von den<br />
Wänden und fast alle Gebäude sind einsturzgefährdet.<br />
Die Propagandasprüche<br />
der UdSSR sind noch zu erkennen. Zeugen<br />
des alten Regimes. Betonierte Wege sollten<br />
die Besucher allerdings nicht verlassen, da<br />
Pflanzen und Bäume die Radioaktivität viel<br />
länger speichern.<br />
Eine unsichtbare Gefahr umhüllt<br />
diesen Ort.<br />
Beim Verlassen der Stadt<br />
ist dies den Touristen<br />
auch anzumerken.<br />
Tschernobyl
Die Kosten für die Reise liegen bei etwa 170 Dollar, außerdem befinden sich auf dem Weg<br />
weitere Souvenirläden zu denen die Touristenroute führt. Für die dort Lebenden eine<br />
Einnahmequelle und mittlerweile Alltag.<br />
Dark Tourism macht seinem Namen alle Ehre und jeder, der den Nervenkitzel<br />
liebt, kommt auf seine Kosten, aber man wird auch nachdenklich<br />
gestimmt und versucht sich vor Augen zuführen, dass so etwas jedem<br />
von uns wiederfahren könnte. Diese Erkenntnis machte auch eine<br />
Reporterin der Zeitung Die Welt. Bedrückende Stille erlebt sie<br />
bei der Rückreise von der Tagestour aus Tschernobyl im<br />
Touristenbus. Die letzte Information am Ende dieses<br />
Tages lautet: zu Hause sollten alle Schuhe und Kleidung<br />
ausziehen und entsorgen, um auf Nummer<br />
sicher zu gehen.<br />
Diese Medaille erhielten die Liquidatoren für<br />
geleistete Aufräumarbeiten in Tschernobyl.<br />
DANKE!<br />
39
Zu DDR-Zeiten gab es keine<br />
Reisefreiheit. Das war ein<br />
Extrem. Und heutzutage wird<br />
zu viel gereist.<br />
exzessives fliegen<br />
Reisen gefährdet die Umwelt<br />
AUTOR: Simonjannis<br />
Klimagipfel gescheitert<br />
Der jüngste Klimagipfel, der im letzten<br />
Jahr in Warschau vom 11.11.2013<br />
bis 22.11.2013 tagte, hat keine zählbaren<br />
Ergebnisse hervorgebracht.<br />
Im Gegenteil, es scheint immer unwahrscheinlicher,<br />
dass bald ein internationaler<br />
Klimavertrag unterzeichnet<br />
wird, der Streit geht wie immer<br />
um das liebe Geld.<br />
Im Gegensatz zum Rauchen wird auf Kerosin keine Steuer veranschlagt<br />
40
Fernreisen boomen und kein Ende in Sicht<br />
Früher verbrachte der<br />
Deutsche seine Urlaube oftmals<br />
in seinem Heimatland, fuhr<br />
höchstens mal mit dem Auto in die<br />
Nachbarländer oder nach Spanien.<br />
Innerhalb kürzester Zeit hat sich dieser<br />
Trend komplett gedreht. Schuld<br />
daran sind die rapide gesunkenen<br />
Flugpreise, sowie die Ausweitung des<br />
Flugangebots. Während die Welt immer<br />
globaler wird, was positive Entwicklungen<br />
mit sich bringt, bleibt die<br />
Umwelt im wahrsten Sinne auf der<br />
Strecke.<br />
„Die Deutschen<br />
geben sogar<br />
mehr aus<br />
als zuvor.“<br />
Ein Beispiel<br />
In fünf Stunden kommt man von<br />
Bonn mit dem Auto nach Berlin – oder<br />
mit dem Flugzeug nach Dubai. Der Unterschied:<br />
Es wird das Fünfzigfache des<br />
Treibhausgases CO 2 freigesetzt. Bei diesen<br />
Zahlen ist zu sehen, dass es keinerlei<br />
Steuern auf Kerosin, das Flugbenzin,<br />
gibt. Die Steuerfreiheit für Kerosin geht<br />
zurück auf das Chicagoer Abkommen,<br />
das die Luftfahrt fördern sollte. Diese<br />
völkerverständigende Maßnahme<br />
stammt von 1944 und sollte zudem nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg die zivile Wirtschaft<br />
ankurbeln. Laut dem Subventionsbericht<br />
der Bundesregierung sei sie<br />
jedoch „wegen des erreichten Entwicklungsstandes<br />
nicht mehr gerechtfertigt.“<br />
Trotzdem schenkt selbst die Medienlandschaft<br />
diesem Thema aktuell kaum Gehör<br />
und es finden wenige Berichterstattungen<br />
in diese Richtung statt.<br />
Wie das Handelsblatt aus Flugverbandskreisen<br />
erfuhr, ist selbst die Luftfahrtbranche<br />
in Deutschland nicht abgeneigt eine<br />
Kerosinsteuer einzuführen, um dadurch<br />
eine wettbewerbsverzerrende pauschale Ticketabgabe<br />
zu verhindern.<br />
Was muss also passieren, dass ein globales<br />
Umdenken stattfindet? Wird der Mensch<br />
vielleicht mit der Zeit selbst der vielen Reisen<br />
müde?<br />
Die aktuellen Zahlen belegen das Gegenteil.<br />
Laut einem Bericht der HAZ steht ein<br />
weiteres Rekordjahr bei den Fernreisen bevor.<br />
„Die Deutschen geben sogar mehr aus<br />
als zuvor,“ belegt Jürgen Büchy, Präsident<br />
des Deutschen Reiseverbandes (DRV) diese<br />
These.<br />
Demnach bleibt, wenn die Umwelt nicht<br />
weiter geschädigt werden soll, wohl nur<br />
die Erhöhung der Flugpreise, um somit<br />
Reisen mit dem Auto und der Bahn wieder<br />
attraktiver zu gestalten.<br />
41
TYPOGRAFIE II<br />
Projektarbeit: Magazin<br />
von Stefanie Bosse<br />
Matrikel-Nr.: 700188<br />
Dozent: Andreas Ken Lanig<br />
DIPLOMA Fachhochschule<br />
Studiengang: Grafik-Design<br />
3. Semester<br />
Eidesstattliche Erklärung<br />
Zur Person:<br />
Stefanie Bosse<br />
Wilhelm-Kobelt-Str. 15<br />
39108 Magdeburg<br />
geb. am 16. Februar 1976<br />
stefanie.bosse@gmx.net<br />
Ich, Stefanie Bosse, versichere an Eides statt durch meine eigene<br />
Unterschrift, dass ich die vorstehende Arbeit selbständig und<br />
ohne fremde Hilfe angefertigt und alle Stellen, die wörtlich oder<br />
annähernd wörtlich aus Veröffentlichungen genommen sind, als<br />
solche kenntlich gemacht habe. Die Versicherung bezieht sich<br />
auch auf in der Arbeit gelieferte Zeichnungen, Skizzen, bildliche<br />
Darstellungen und dergleichen.<br />
Magdeburg, den 16. Mai 2014<br />
Unterschrift:<br />
42