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Sartre und die Sowjetunion

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selbst Attacken gegen zwei Schriftstellerinen. Im selben Jahr veröffentlichte Kornejčúk mit<br />

Počemú ulybális’ zvësdy ein Werk, das sich gegen <strong>die</strong> Jugend richtete, <strong>die</strong> von Paris, Jazz<br />

<strong>und</strong> Mode träumte Eines der wenigen positiven Ereignisse war <strong>die</strong> Rehabilitation der Tschetschenen<br />

<strong>und</strong> anderer deportierter Völker 1957 35 .<br />

Erst ab 1958/60 waren bei der Entstalinisierung wieder größere Fortschritte zu verzeichnen.<br />

Es begann <strong>die</strong> – nach den 1920er Jahren – zweite goldene Zeit der sowjetischen Kultur. Fast<br />

alles, was Rang <strong>und</strong> Namen in der modernen sowjetischen Kunst <strong>und</strong> Literatur hat, ist eine<br />

Frucht <strong>die</strong>ser Periode. Der Dichter Evgénij Evtušénko wurde zum Vorbild einer neuen, modernen<br />

<strong>Sowjetunion</strong>. Politisch nahm er sowohl <strong>die</strong> Stalinisten (in Naslédniki Stálina, 1962)<br />

wie <strong>die</strong> Antisemiten (in Bábij Âr, 1961) aufs Korn. Aleksándr Tvardóvskij erreichte von<br />

Hrušëv persönlich <strong>die</strong> Erlaubnis, Aleksándr Solženícyns Erzählung Odín den’ Ivána Denísoviča<br />

(Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch, 1962) über den Gulag zu veröffentlichen.<br />

Weitere Glanzlichter der Sowjetliteratur wurden durch Veröffentlichungen von Konstantín<br />

Símonov, Efím Dóroš, Nekrásov, Vasílij Aksënov <strong>und</strong> Èrenbúrg gesetzt. 36 Im dramatischen<br />

Schaffen begann mit Ûrij Lûbímov <strong>und</strong> seinem Theater an der Tagánka 1964 eine Periode,<br />

<strong>die</strong> noch weit in <strong>die</strong> Bréžnev-Zeit strahlte. Vladímir Vysóckij <strong>und</strong> Bulát Okudžáva bildeten <strong>die</strong><br />

Leuchten der neuen Dichter-Sänger-Generation. In der Bildhauerei stand Èrnst Neizvéstnyj<br />

für <strong>die</strong> neue Kunst, im Film Andréj Tarkóvskij. 37<br />

Auch in der Wirtschaft wurden Reformen eingeführt, <strong>die</strong> Wirtschaftsbürokratie abgebaut <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Lebensmittelversorgung drastisch verbessert. Im ganzen Land wurden zwecks Linderung<br />

der Wohnungsnot Plattenbauten (sog. Hruŝëvki) errichtet. 1962 schlug Evséj Libermán Wirtschaftsreformen<br />

vor, <strong>die</strong> 1965-71 z.T. verwirklicht wurden <strong>und</strong> vor allem den Anstoß für <strong>die</strong><br />

Reformen des Prager Frühlings unter Ota Šik bildeten. Der erste Satellit im Weltraum 1957<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> erste Erdumkreisung durch Ûrij Gagárin vier Jahre später lösten im Westen den<br />

Sputnik-Schock aus. Es wurde nicht mehr ausgeschlossen, dass <strong>die</strong> UdSSR ökonomisch<br />

<strong>und</strong> technisch den Westen einholen könnte. Mit der Entfernung von Stálins Leiche aus dem<br />

Mausoleum <strong>und</strong> der Umbenennung von nach Stálin benannten Städten, u.a. Stálingrad,<br />

wurde 1961 der ostentative Bruch mit dem Stalinismus vollzogen. Ob soviel Veränderung<br />

erstaunt es nicht, dass <strong>die</strong> Konvergenztheorie, wonach sich <strong>die</strong> westlichen <strong>und</strong> <strong>die</strong> kommunistischen<br />

Systeme einander annäherten (Walt Rostow 1960, Daniel Bell 1960, Maurice Duverger<br />

1964, auch John Kenneth Galbraith, Jan Tinbergen), im Westen breite Akzeptanz<br />

gewann. Selbst Raymond Aron zählte zu ihren Anhängern.<br />

Diese Reformen vollzogen sich allerdings nicht geradlinig. Immer wieder kam es zu Rückschlägen.<br />

Der Zusammenstoß zwischen Hruŝëv <strong>und</strong> Neizvéstnyj über abstrakte Kunst anlässlich<br />

der Kunstausstellung in der Moskauer Manéž im Dezember 62 löste eine ganze<br />

Kampagne gegen Modernismus aus, <strong>die</strong> auch antisemitische Untertöne aufwies <strong>und</strong> in der<br />

Èrenbúrg eines der Hauptziele der Kritik war. Rückschläge gab es auch in der Außenpolitik,<br />

wie in der Berlin-Politik zwischen 1958 <strong>und</strong> 1961, <strong>die</strong> im Mauerbau 1961 gipfelte. Unberührt<br />

davon blieb jedoch <strong>die</strong> längerfristige Ausrichtung auf einen Abbau der Gefahr eines Atomkriegs.<br />

1963 unterzeichneten <strong>die</strong> <strong>Sowjetunion</strong>, <strong>die</strong> USA <strong>und</strong> Großbritannien das Atom-<br />

35 Die beiden Georgier Stálin <strong>und</strong> Bériâ hatten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs <strong>die</strong> islamischen<br />

Nordkaukasier in <strong>die</strong> Verbannung geschickt. Nichts blühte <strong>und</strong> blüht immer noch so sehr im<br />

Kaukasus wie der Hass der Völker aufeinander, das Gegenstück zur ebenso traditionellen Gastfre<strong>und</strong>schaft.<br />

36 Símonov mit Živýe i mërtvye (1959) , Efím Dóroš mit Derevénskij dnévnik (1958), Nekrásov mit Kíra<br />

Geórgievna (1961) , Vasílij Aksënov mit Zvëzdnyj bilét (1961) <strong>und</strong> Èrenbúrg mit den Memoiren Lûdi,<br />

gody, žisn’ (1961-65), <strong>die</strong> grosser politischer Kritik ausgesetzt waren.<br />

37 Der Film war eine der tragenden Säulen des progressiven Kulturlebens unter Hruŝëv. Grigórij<br />

Čuhráj brillierte mit dem Antikriegsfilm Balláda o soldáte (1959), Mihaíl Romm mit dem<br />

atomenergiekritischen Film Dévât’ dnej ódnogo góda (1962) <strong>und</strong> mit Obyknovénnyj fašízm (1965), der<br />

sich gegen Totalitarismus jeglicher Art richtete.<br />

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