Sartre und die Sowjetunion
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zeipräfekt Baylot jeden Kommunisten zu einem russischen Soldaten erklärt. In Reaktion auf<br />
<strong>die</strong> Ereignisse um Duclos veröffentlichte <strong>Sartre</strong> im Juli 52 in den T.M. den ersten Teil von<br />
Les Communistes et la paix.<br />
Dieser Artikel <strong>und</strong> <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit dem P.C.F. in der Henri-Martin-Affäre 18 bereiteten<br />
<strong>die</strong> Aufnahme der Kontakte mit der <strong>Sowjetunion</strong> vor. Im Dezember 52 hielt <strong>Sartre</strong> in Wien<br />
eine Rede am Weltfriedenskongress. Zu den Teilnehmern des Kongresses gehörten auch<br />
viele nicht-kommunistische Friedensbewegte, Intellektuelle, Künstler, selbst Geistliche (wie<br />
Hewlett Johnson, der Dekan von Canterbury) <strong>und</strong> Mitte-Links-Politiker (wie der ehemalige<br />
Reichskanzler <strong>und</strong> Zentrumspolitiker Joseph Wirth). <strong>Sartre</strong>s Entscheid zur Teilnahme wurde<br />
dadurch erleichtert, dass es auf der internationalen Bühne seitens der UdSSR deutliche Entspannungszeichen<br />
gab. Seit Mitte 1951 fanden auf Initiative der UdSSR Gespräche über<br />
einen Waffenstillstand in Korea statt. Im März 52 bot Stálin den Westmächten Verhandlungen<br />
über <strong>die</strong> Wiedervereinigung Deutschlands bei gleichzeitiger Neutralisierung an. 19 Im selben<br />
Jahr wurde durch Stálin erstmals der Begriff der friedlichen Koexistenz benutzt, der auf<br />
dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 zur offiziellen Generallinie <strong>und</strong> ab den 1960er Jahren<br />
zum Inbegriff der defensiven Außenpolitik der <strong>Sowjetunion</strong> im Verhältnis zu den USA <strong>und</strong><br />
Westeuropa wurde. Auf dem Weltfriedenskongress traf <strong>Sartre</strong> Ilâ Èrenbúrg wieder, der als<br />
Vizepräsident des Weltfriedensrates (1950-67) in Wien eine wichtige Rolle spielte. 20 <strong>Sartre</strong><br />
hatte ihn erstmals kurz 1939 getroffen. Èrenbúrg, ein Schriftsteller <strong>und</strong> Journalist, der (auch<br />
als Jude) politisch immer um sein Überleben lavieren musste, wurde zu <strong>Sartre</strong>s wichtigster<br />
<strong>und</strong> einflussreichster Ansprechperson in der <strong>Sowjetunion</strong>. Mit seinem Roman Óttepel’ (d.h.<br />
Tauwetter; 1954) hatte Èrenbúrg der ganzen Periode nach Stálins Tod ihren Namen gegeben.<br />
Bis es zu einer engeren Beziehung <strong>Sartre</strong>s zur <strong>Sowjetunion</strong> kam es, vergingen jedoch noch<br />
zwei Jahre. Nach Stálins Tod im März 53 lag <strong>die</strong> neue Führung beim Triumvirat aus Ministerpräsident<br />
Malenkóv, Bériâ, dem Herrscher über Polizei <strong>und</strong> Geheim<strong>die</strong>nst, <strong>und</strong> dem<br />
<strong>die</strong>nstältesten ZK-Sekretär Nikíta Hruŝëv. Die Opfer der Kampagne gegen <strong>die</strong> „Ärzteverschwörung“<br />
wurden unter Federführung Bériâs, der selbst schwere Mitschuld an der Repression<br />
unter Stálin trug, unverzüglich rehabilitiert. Binnen weniger Wochen wurde auch <strong>die</strong><br />
Hälfte der fast 2.5 Millionen Gefangenen im Gulag entlassen. Die Planwirtschaft sollte zugunsten<br />
der Landwirtschaft <strong>und</strong> der Leichtindustrie <strong>und</strong> damit des Konsums umgebaut werden.<br />
Das Triumvirat hielt allerdings nicht lange. Schon im Sommer ließen Malenkóv <strong>und</strong> Hruŝëv<br />
Bériâ durch <strong>die</strong> Armee unter Leitung Geórgij Žúkovs verhaften <strong>und</strong> erschießen. Zu groß war<br />
ihre Angst vor der Macht von Polizei <strong>und</strong> Geheim<strong>die</strong>nst. Hruŝëv, der im September 53 Erster<br />
Sekretär der KPdSU wurde, stieß hernach Malenkóv auf <strong>die</strong> Seite <strong>und</strong> verdrängte ihn (u.a.<br />
mit Hilfe Žúkovs) gänzlich aus der Führung: 1955 verlor Malenkóv sein Amt als Ministerpräsident<br />
an Nikoláj Bulgánin, 1957 auch seine Zugehörigkeit zum Präsidium (=Politbüro) des<br />
ZK. Auch auf der internationalen Bühne wurden Fortschritte erzielt. Schon im Juni 53 kam es<br />
zu einem Waffenstillstand in Korea. Im Januar/Februar 54 trafen sich <strong>die</strong> Außenminister der<br />
Vier Siegermächte in Berlin erstmals seit fünf Jahren wieder zu einer Konferenz über<br />
18 Der kommunistische Matrose Henri Martin wurde wegen Verteilens von Flugblättern gegen den<br />
Indochinakrieg zu fünf Jahren Haft verurteilt (Henri-Martin-Affäre Ende 51).<br />
19 Ob <strong>die</strong> vier Stálin-Noten aus dem Jahr 1952 ehrlich gemeint waren, ist umstritten. <strong>Sartre</strong> vertraute<br />
der sowjetischen Propaganda nicht blind. In Les Communistes et la paix schrieb er, dass <strong>die</strong> Russen<br />
eine misstrauische, gehetzte Nation seien, bei der er keinen Aggressionswillen, nur Angst vor der<br />
Umzingelung <strong>und</strong> dem Krieg feststellen könne. Gleichzeitig bezeichnete er <strong>die</strong> sowjetische Diplomatie<br />
jedoch als brutal <strong>und</strong> skrupellos <strong>und</strong> erwähnte er <strong>die</strong> Möglichkeit, dass <strong>die</strong> UdSSR den Krieg beginnen<br />
könnte, wenn sie ihn für unvermeidlich hielte (Jean-Paul <strong>Sartre</strong>, „Die Kommunisten <strong>und</strong> der Frieden“<br />
[„Les Communistes et la paix“, Juli 52], in: Krieg im Frieden 1, Reinbek 1982, S. 90-96).<br />
20 Gemäß Desanti war auch Aleksándr Kornejčúk eine wichtige Ansprechperson <strong>Sartre</strong>s in Wien<br />
(Dominique Desanti, Les Staliniens, Paris 1975, S. 251f.; zu ihm siehe Fussnote 48)<br />
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