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Sartre und die Sowjetunion

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2. <strong>Sartre</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Sowjetunion</strong> 1948 bis 1956<br />

<strong>Sartre</strong>s erste Zeit der Weggenossenschaft mit dem Sowjetkommunismus begann 1954 <strong>und</strong><br />

dauerte zwei Jahre. In den Jahren unmittelbar davor drohte der kalte Krieg zu einem heißen<br />

zu werden. Beide Seiten, <strong>die</strong> kommunistische wie <strong>die</strong> antikommunistische, begannen zu „hyperventilieren“.<br />

Nach außen wurden <strong>die</strong> Propagandamaschinen, nach innen <strong>die</strong> Repressionsapparate<br />

in Bewegung gesetzt. Was dem kommunistischen Lager der Breslauer Kongress<br />

von 1948 <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gründung des Weltfriedensrates 1950, das war dem westlichen Lager<br />

der Kongress für <strong>die</strong> Freiheit der Kultur 1950 in Berlin. Der Beleidigungsprozess, den<br />

Víktor Krávčenko gegen Les Lettres Françaises 1949 in Paris führte, verwandelte sich mit<br />

Unterstützung des amerikanischen Staatsdepartements <strong>und</strong> der CIA in einen Prozess gegen<br />

das stalinistische System.<br />

Die unter Ždánov in der <strong>Sowjetunion</strong> schon ab 1946 einsetzende repressive Kulturpolitik, der<br />

prominente Kulturschaffende wie Ahmátova, Prokóf’ev, Šostakóvič oder Èjsenštéjn zum Opfer<br />

fielen, wurde unter dem Zeichen des Kampfes gegen den „Kosmopolitismus“ 11 intensiviert.<br />

Die Kampagne gegen <strong>die</strong> „Ärzteverschwörung“ 12 1948-52 wies ausgesprochen antisemitische<br />

Züge auf. Selbst führende Vertreter der Sowjetmacht konnten sich ihres Lebens<br />

nicht mehr sicher sein, wie <strong>die</strong> Leningrader Affäre 1949 (Geórgij Malenkóv <strong>und</strong> Lavréntij<br />

Bériâ gegen angebliche Anhänger Ždánovs) <strong>und</strong> <strong>die</strong> Mingrelische Affäre 1951/52 (indirekt<br />

gegen Bériâ) zeigten. Im Ausland fielen den Verfolgungen nationalkommunistische Führer<br />

zum Opfer, so László Rajk in Ungarn <strong>und</strong> Rudolf Slánský in der Tschechoslowakei. Titos<br />

Jugoslawien entging nur durch den Bruch mit Moskau der Säuberung.<br />

Auf der andern Seite des Ozeans nahm ab 1947 das House Committee on Un-American<br />

Activities (des Repräsentantenhauses), das zwei Jahre zuvor in ein permanentes Komitee<br />

umgebildet worden war, seine Untersuchungen gegen kommunistische Einflüsse in Kultur<br />

<strong>und</strong> Politik auf. Unterstützt wurde es von einem 1952 gegründeten Subkomitee des Senats<br />

unter Vorsitz von Joseph McCarthy. Zu den Verdächtigen zählten auch Charlie Chaplin, Albert<br />

Einstein, Thomas Mann, ja sogar <strong>die</strong> Außenminister Dean Acheson <strong>und</strong> George C.<br />

Marshall. Dem McCarthyismus fielen aus <strong>Sartre</strong>s unmittelbarer Nähe sein Fre<strong>und</strong> Fernando<br />

Gerassi <strong>und</strong> Beauvoirs damaliger Geliebter Nelson Algren zum Opfer. Als Beauvoir 1951<br />

Algren besuchte, war ihr Visum ernsthaft in Gefahr. Während der Westen einerseits wirkliche<br />

<strong>und</strong> angebliche Kommunisten verfolgte, kannte er andererseits keine Hemmung, mit Diktatoren<br />

unterschiedlichster, z.T. halbfaschistischer Prägung Allianzen zu schließen, mit Franco<br />

<strong>und</strong> Salazar in Spanien <strong>und</strong> Portugal über den Schah im Iran bis zu Chiang Kai-shek, dem<br />

Führer der Nationalchinesen. Frankreich erließ nach 1947 drei Generalamnestien für Kollaborateure<br />

mit dem Hitler-Regime, während gleichzeitig linke Résistancekämpfer wegen ihrer<br />

Taten während der Besetzung vor Gericht gestellt wurden. In <strong>die</strong>sem aufgeputschten Klima<br />

nahm <strong>die</strong> Gefahr eines Dritten Weltkriegs drastisch zu. Seit 1949 verfügte auch <strong>die</strong> <strong>Sowjetunion</strong><br />

über <strong>die</strong> Atombombe. Beide politischen Lager investierten Unsummen in <strong>die</strong> Weiterentwicklung<br />

<strong>die</strong>ser Waffen. 1952 zündeten <strong>die</strong> USA <strong>die</strong> erste Wasserstoffbombe mit einer<br />

Sprengkraft 800 Mal größer als jener von Hiroshima. Keine zwölf Monate später hatte <strong>die</strong><br />

<strong>Sowjetunion</strong> ihren militärtechnologischen Rückstand aufgeholt.<br />

11 Die Stalinisten führten 1948-53 einen Kampf gegen „Kosmopolitismus“, d.h. gegen jene, <strong>die</strong> im Gegensatz<br />

zu den kommunistischen „Internationalisten“ pro-westliche oder nationalistische Ansichten<br />

vertraten. Der dazugehörende sowjetische Witz: Einer der drei Sprachen spricht, ist ein Jude (<strong>die</strong>ser<br />

spricht neben Russisch auch eine westliche Sprache sowie Jiddisch). Einer der zwei Sprachen<br />

spricht, ist ein Nationalist (<strong>die</strong>ser spricht neben Russisch auch eine nationale Sprache wie Ukrainisch<br />

etc.). Der richtige „Internationalist“ spricht jedoch nur eine Sprache (Russisch). Entsprechend war<br />

neben Nationalisten v.a. Juden das Ziel im Kampf gegen den „Kosmopolitismus“.<br />

12 Jüdischen Ärzten wurde vorgeworfen, <strong>die</strong> sowjetische Führung um Stalin ausschalten zu wollen.<br />

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