Sartre und die Sowjetunion
Sartre und die Sowjetunion
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Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt 1939, der den Zweiten Weltkrieg ermöglichte,<br />
leitete eine längere Periode reduzierten Interesses ein. Dies änderte sich schlagartig<br />
1946/47. In der <strong>Sowjetunion</strong> wurde 1946 eine Kampagne gegen <strong>die</strong> westliche Philosophie<br />
<strong>und</strong> insbesondere den Existentialismus eingeleitet, dem Pessimismus, Dekadenz <strong>und</strong> Individualismus<br />
vorgeworfen wurde. Im Januar 47 griff der Literaturkritiker Davíd Zaslávskij <strong>die</strong><br />
Existentialisten (<strong>und</strong> damit <strong>Sartre</strong>) direkt in einem Beitrag mit dem Titel Smertâškiny vo<br />
Fráncii in der Právda an. Er verglich sie mit Smertâškin, einer den Tod besingenden, dekadenten<br />
Figur aus Górkijs Po Rúsy (Russische Märchen). <strong>Sartre</strong> antwortete auf <strong>die</strong>sen Angriff<br />
mit dem Artikel Le Procès historique. Noch weiter ging <strong>Sartre</strong> in Qu’est-ce que la littérature?<br />
(Feb.-Jul. 47), wo er deutliche Kritik an der UdSSR äußerte <strong>und</strong> festhielt, dass sich Stalinismus<br />
nicht mit der Ehre eines Schriftstellers vertrage. 6 Im Juni darauf kritisierte ZK-Sekretär<br />
Ándrej Ždánov <strong>Sartre</strong> wegen dessen Lob auf den Verräter, Dieb <strong>und</strong> Homosexuellen Jean<br />
Genet. 7 Im April 48 ließ <strong>Sartre</strong> Les Mains sales uraufführen, das u.a. eine Anspielung auf<br />
Tróckijs Tod enthielt. Dies stellte, absichtlich oder nicht, einen gewaltigen Affront gegenüber<br />
den Stalinisten dar.<br />
Ihren Höhepunkt fand <strong>die</strong> Anti-<strong>Sartre</strong>-Kampagne Ende August 48 in der Tirade Aleksándr<br />
Fadéevs, des Generalsekretärs des sowjetischen Schriftstellerverbands <strong>und</strong> „tüchtigsten“<br />
Helfers Ždánovs, auf dem von den Kommunisten organisierten Friedenskongress in Breslau/Wrocław.<br />
Fadéev verspottete <strong>Sartre</strong> als Schreibmaschinenhyäne <strong>und</strong> Schakal mit Füllfeder.<br />
Im Juni 49 bezichtigte <strong>die</strong> Schriftstellerin Vánda Vasilévskaâ den „Pseudo-Schriftsteller“<br />
<strong>Sartre</strong> in der Literatúrnaâ gazéta des philosophischen Bankrotts <strong>und</strong> der moralischen Dekadenz.<br />
All <strong>die</strong>se sowjetische Kritik erfolgte orchestriert mit kommunistischen Kritiken in Frankreich.<br />
So warf Roger Garaudy, Mitglied des ZK des PCF <strong>und</strong> deren bedeutendster Intellektuelle,<br />
<strong>Sartre</strong> 1947 in Une littérature des fossoyeurs vor, ein Totengräber zu sein (worauf <strong>Sartre</strong><br />
meinte, er sei lieber ein Totengräber als ein Lakai). Selbst Èrenbúrg heulte mit den Wölfen:<br />
in Les Mains sales, habe <strong>Sartre</strong> seine Seele für ein Linsengericht verkauft.<br />
Schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs war klar, dass <strong>die</strong> westlichen Alliierten <strong>und</strong><br />
<strong>die</strong> <strong>Sowjetunion</strong> nur ihre jeweils eigenen Interessen im Visier hatten. 1945 begann <strong>die</strong> zweite<br />
Phase des Chinesischen Bürgerkriegs, 1946 der Bürgerkrieg in Griechenland <strong>und</strong> der Indochinakrieg.<br />
1947/48 wurde <strong>die</strong> Bi-Zone als erster Schritt zur Aufteilung Deutschlands gegründet.<br />
Im selben Jahr verkündete <strong>die</strong> USA <strong>die</strong> Truman-Doktrin verkündet <strong>und</strong> setzte sie<br />
den Marshall-Plan in Kraft: auch ehemalige Kriegsgegner wie Diktaturen wurden militärisch<br />
<strong>und</strong> wirtschaftlich unterstützt, um Bedrohungen durch <strong>die</strong> Kommunisten abzuwenden. Nachdem<br />
sich <strong>die</strong> kommunistischen Parteien an den Regierungen in Frankreich <strong>und</strong> Italien nicht<br />
mehr beteiligen durften, wurde der Kominform als internationale Organisation der kommunistischen<br />
Parteien <strong>und</strong> als Nachfolgeorganisation der Komintern geschaffen. In den osteuropäischen<br />
Staaten übernahmen <strong>die</strong> Kommunisten vollständig <strong>die</strong> Macht: 1947 in Rumänien,<br />
1948 in der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn <strong>und</strong> Bulgarien. Die Landwege nach Westberlin<br />
wurden durch <strong>die</strong> Sowjets 1948-49 für alliierte Transporte gesperrt. 1949 wurde zuerst <strong>die</strong><br />
NATO, dann <strong>die</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland <strong>und</strong> schließlich <strong>die</strong> DDR gegründet.<br />
Noch im März 48 gründete <strong>Sartre</strong> zusammen mit David Rousset, Georges Altman <strong>und</strong> Gérard<br />
Rosenthal den R.D.R. (Rassemblement Démocratique Révolutionnaire). Diese linkssozialistische<br />
Bewegung mit ihrem Programm für Freiheit, Menschenrechte, Sozialismus,<br />
Blockfreiheit <strong>und</strong> wider Kolonialismus richtete sich gleichermaßen gegen <strong>die</strong> USA wie <strong>die</strong><br />
<strong>Sowjetunion</strong>. <strong>Sartre</strong>s Traum einer dritten, von den USA wie der UdSSR unabhängigen linken<br />
Kraft platzte jedoch unter dem Druck des Kalten Kriegs schnell. Der R.D.R. wurde sowohl<br />
vom P.C.F. wie den Sozialisten bekämpft. Nachdem Rousset <strong>und</strong> Altman 1949 Geld von den<br />
amerikanischen Gewerkschaften entgegengenommen hatten, das letztlich vom CIA stammte,<br />
trat <strong>Sartre</strong> aus dem R.D.R. aus. Kurz darauf wurde <strong>die</strong>ser aufgelöst.<br />
6 Jean-Paul <strong>Sartre</strong>, Was ist Literatur?, Reinbek 1981, S. 196, 202 (Qu’est-ce que la littérature?, 1947)<br />
7 A. A. Zhdanov, On Literature, Music and Philosophy, London 1950, S. 109<br />
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