Dezember 2013 - Demokratisches Forum der Deutschen
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„Ter Zuk iß in Sighet schtehn pliebn unt turt wårt meini Mama in Schpitål.<br />
Ter Tata is fun Zuk hinunter kschprungen unt håt ßich tummelt ßollt kehn<br />
piß pan Schpitå, ßollt er ti Mama mit nemen. Åber ti Doktorn hånt nit wolln<br />
ti Mama naus låssn, wall ßie wårt noch ßehr schwåch nåch tere Operation.<br />
Ti Doktorn hånt far mein Tata farschporchn, ßie wenent ihm tß Waib mit a<br />
Krånkntransport af Wien zun die Familie schickn, er ßollt ßich triber kaani<br />
ßorgn måchn“.<br />
Aber diese Entscheidung <strong>der</strong> Herren Doktoren sollte nur eine Perle in <strong>der</strong><br />
verhängnisvollen Kettenreihe sein, die dazu beitrug, dass Annas Familiensituation<br />
für die nächsten Monate dramatisch werden sollte; denn als <strong>der</strong><br />
Vater den Weg aus dem Sigheter Krankenhaus hinter sich gebracht hatte,<br />
um wie<strong>der</strong> am örtlichen Bahnhof den Zug in Richtung Wien zu besteigen,<br />
traute er seinen Augen und Ohren nicht: trotz an<strong>der</strong>s lauten<strong>der</strong> Ankündigung<br />
war <strong>der</strong> Zug samt seiner Kin<strong>der</strong> vorzeitig abgefahren und keiner konnte<br />
ihm über das Ziel eine verlässliche Auskunft geben. Mal stelle sich die<br />
Verzweiflung dieses Mannes vor: die Frau muss er zurücklassen, die Kin<strong>der</strong><br />
hat er aus den Augen verloren! Instinktiv besteigt er den nächsten (Militär-<br />
)Zug, <strong>der</strong> Richtung Westen fährt und erreicht Hildburghausen in Thüringen.<br />
Dass seine Kin<strong>der</strong>, gemeinsam mit vielen an<strong>der</strong>en Oberwischauer Familien<br />
<strong>der</strong>weil nicht in Wien, son<strong>der</strong>n in Katowitz (Oberschlesien) in eines <strong>der</strong> vielen<br />
Flüchtlingslager untergebracht wird, ahnt <strong>der</strong> Familienvater nicht. Auch<br />
wird ihn die Nachricht darüber, dass seine Frau, nicht wie von den Ärzten<br />
versprochen in die Hauptstadt Österreichs, son<strong>der</strong>n nach Nie<strong>der</strong>schlesien in<br />
Polen gebracht wurde, nicht erreichen.<br />
Und so kommt es, dass sich nicht nur die Eheleute Leopold und Theresia<br />
Schiesser an völlig falschen Aufenthaltsorten vermuten, son<strong>der</strong>n, ohne es zu<br />
wissen, auch ihre gemeinsamen sieben Kin<strong>der</strong> offensichtlich für immer verloren<br />
haben!<br />
Man könnte jetzt anfügen, dass dies während <strong>der</strong> Kriegsjahre kein<br />
Einzelschicksal gewesen ist und dass unzählige Familien einan<strong>der</strong> für immer<br />
aus den Augen verloren haben. Aber gerade weil dieser Lebensabschnitt <strong>der</strong><br />
jungen Anna uns durch sie persönlich so eindringlich erzählt wird und gerade<br />
weil wir sie persönlich kennen – gerade deswegen lässt uns dieser<br />
Lebensbericht nicht abwinkend auf die vielen an<strong>der</strong>en, schweren Kriegserlebnissen<br />
zeigen. Es sind ihre Worte, gestern und Emotionen, die uns die<br />
Sinnlosigkeit und das Grausame am Kriegsgeschehen vor Augen führt und<br />
das Einzelschicksal aus <strong>der</strong> Anonymität heraus holt, ihm Gestalt, Gesicht<br />
und Stimme verleiht.<br />
„Vun ßeptember 1944 bis Jäner 1945 wår mer unz ßiebn Kin<strong>der</strong> alanig in<br />
Låger: ohni tie Mutter unt ohni ten Våter. Ter klenßti, , wårt erscht a Jåhr,<br />
ter Jåni wår aßa Treijähriger, ter Schtefku håt khåpt finwe unt meini<br />
Schwester, ti Resku, zwelfe. Ter Joschku wårt schunt sechszehnjährig unt<br />
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