Thüringen - SFB 580 - Friedrich-Schiller-Universität Jena
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<strong>Friedrich</strong>- <strong>Schiller</strong>- <strong>Universität</strong><br />
Teilprojekt A3:<br />
Delegationseliten nach dem<br />
Systemumbruch<br />
<strong>Jena</strong><br />
<strong>SFB</strong> <strong>580</strong><br />
Gesellschaftliche<br />
Entwicklungen<br />
nach dem Systemumbruch<br />
Diskontinuität<br />
Tradition<br />
Strukturbildung<br />
Zwischenauswertung der<br />
Deutschen<br />
Abgeordnetenbefragung<br />
2003/04<br />
T h ü r i n g e n<br />
18<br />
www.sfb<strong>580</strong>.uni-jena.de/A3<br />
Sitzverteilung 3. Legislatur<br />
(1999 - 2004)<br />
21<br />
49<br />
CDU SPD PDS<br />
© <strong>SFB</strong> <strong>580</strong>/A3 <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />
Heinrich Best | Michael Edinger | Stefan Jahr | Karl Schmitt
<strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />
Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />
Teilprojekt A3:<br />
Delegationseliten nach dem Systemumbruch<br />
Das Projekt ist Teil des europäischen Forschungsnetzwerks<br />
„European Political Elites in<br />
Comparison: The Long Road to Convergence.“<br />
(EurElite)<br />
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat<br />
nach positiver Begutachtung durch externe Wissenschaftler<br />
und Experten im Frühjahr 2004<br />
entschieden, das Teilprojekt A3 des <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> in<br />
der 2. Antragsperiode für weitere vier Jahre zu<br />
fördern.<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Befragungsziele S. 3<br />
Forschungsdesign S. 4<br />
Ausschöpfungsquoten S. 5<br />
Zufriedenheit mit dem Mandat S. 7<br />
Probleme der Abgeordnetentätigkeit S. 8<br />
Parlamentsreform S. 9<br />
Koalitionspräferenzen S. 10<br />
Politische Grundeinstellungen S. 11<br />
Einstellungen zu politischen Streitfragen S. 13<br />
Bewertung politischer Verfahren S. 15<br />
Berufliche und politische Zukunft S. 17<br />
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Ein wissenschaftlich solides und wirklichkeitsnahes Bild der parlamentarischen Demokratie und ihrer<br />
Akteure wird nur zeichnen können, wer auch mit den Perspektiven von Parlamentariern, ihren<br />
Einschätzungen und ihren (Selbst-)Wahrnehmungen vertraut ist. Entsprechend stellen Erkenntnisse über<br />
Bewertungen und Erfahrungen der gewählten Repräsentanten in den Landtagen, im Deutschen<br />
Bundestag und im Europäischen Parlament (deutsche Mitglieder) das zentrale Anliegen der Deutschen<br />
Abgeordnetenbefragung 2003/04 dar.<br />
Unsere Befragung, die mittels computerunterstützter Telefoninterviews im Herbst und Winter 2003/04<br />
durchgeführt wurde, hatte drei Schwerpunkte:<br />
1. Politischer Werdegang und<br />
Weg ins Mandat<br />
- politische Erfahrungen und Parteifunktionen<br />
vor Mandat<br />
3. Politische Einstellungen und<br />
Bewertung politischer Institutionen<br />
- politische Grundeinstellungen<br />
Befragungsziele<br />
- Barrieren und Quellen<br />
der Unterstützung auf<br />
2. Rollenverständnis als<br />
dem Weg ins Mandat<br />
Abgeordnete(r) und<br />
- politische Zukunftspläne Ausübung des Mandats<br />
- Repräsentationsverständnis<br />
und -verhalten<br />
- Verhältnis zur eigenen und zu<br />
anderen Fraktionen<br />
- Bewertung der Institution Parlament und etwaiger<br />
Parlamentsreformen<br />
- Einstellungen zur Politikgestaltung und zum<br />
demokratischen Prozess<br />
- Positionen zu einzelnen politischen<br />
Themen/Streitfragen<br />
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Darüber hinaus wurden im Rahmen der Erhebung weitere Themenfelder angesprochen:<br />
- die generelle Mandatszufriedenheit<br />
- die soziale Herkunft (Bildung, Beruf und politische Präferenzen der Eltern)<br />
- die Bedeutung beruflicher Erfahrungen/Qualifikationen für den politischen Werdegang<br />
- Politik als Beruf<br />
Für die Zwecke dieser Zwischenauswertung ist der Schwerpunkt auf das<br />
Rollenverständnis der Abgeordneten und ihre politischen Orientierungen gelegt worden.<br />
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Die Abgeordnetenbefragung als Teil der Forschung zu<br />
parlamentarischen Führungsgruppen<br />
Das Kernanliegen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekts zu<br />
parlamentarischen Führungsgruppen ist die Analyse von Rekrutierungsmustern, Karrierepfaden und<br />
politischen Orientierungen der Abgeordneten in Ost- und Westdeutschland seit der Vereinigung. Mit<br />
seinen Ergebnissen möchte das Projekt zu einem besseren Verständnis von Entwicklungen der<br />
parlamentarischen Demokratie und ihrer Akteure beitragen.<br />
Die Abgeordnetenbefragung 2003/04 stellt dabei den zentralen von insgesamt drei Pfeilern des<br />
Untersuchungsdesigns bzw. der Datenstruktur dar (siehe Grafik). Sie bietet Informationen über<br />
Wahrnehmung, Einstellungen und Bewertungen sowie Verhaltensdispositionen, wie sie nur von den<br />
Parlamentariern selbst zu erfahren sind. Ergänzt wird diese Erhebung durch die ebenfalls 2003 erfolgte<br />
Befragung ehemaliger Abgeordneter. Karrierewege und -stationen bilden hingegen den Schwerpunkt der<br />
biografischen Datenbank. Anders als die Befragung ermöglicht sie eine Totalerfassung aller<br />
Parlamentarier. Als Quellen für die biografischen Angaben dienen die Parlamentshandbücher, die<br />
Homepages der Abgeordneten, einschlägige biografische Lexika sowie Angaben von<br />
Parlamenten, Parteien, Fraktionen und Wahlleitern.<br />
Forschungsdesign<br />
Während der innerdeutsche Ost-West-, der Ebenen- und der Fraktionen-Vergleich im<br />
Zentrum des Erkenntnisinteresses stehen, hat sich das Forschungsprojekt in den<br />
vergangenen Jahren mit Erfolg um wissenschaftliche Partner für Vergleiche über die<br />
deutschen Grenzen hinaus bemüht. Durch die internationale Erweiterung unserer<br />
Forschung wird es möglich, die Untersuchungsergebnisse für ost- und westdeutsche<br />
Mandatsträger in einen gesamteuropäischen Rahmen einzuordnen.<br />
Biografische Information Abgeordnetenbefragung Vergleichsdaten<br />
Variablen<br />
- sozialstrukturelle Faktoren<br />
- Berufsbiografie vor und während Mandat<br />
- kommunalpolitische Erfahrungen<br />
- politische Ämter in der DDR und zur<br />
"Wendezeit"<br />
- Parteifunktionen<br />
- Funktionen in Parlament und Exekutive<br />
Parlamente (jeweils 1946 – ca. 1961):<br />
Baden, Baden-Württemberg, Hessen,<br />
Saarland (ab 1957), Schleswig-Holstein,<br />
Württemberg-Hohenzollern<br />
Parlamente (jeweils seit 1990):<br />
• alle ostdeutschen Landesparlamente (1.023)<br />
• Berliner Abgeordnetenhaus (475)<br />
• westdeutsche Parlamente: Baden-<br />
Württemberg, Hessen, Saarland und<br />
Schleswig-Holstein (871)<br />
• Deutscher Bundestag (1.295)<br />
• deutsche Mitglieder des Europäischen<br />
Parlaments (179)<br />
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Variablen<br />
- Karriereambitionen vor erstem Mandat<br />
- Rollenverständnis/Mandatsausübung<br />
- Berufstätigkeit neben dem Mandat<br />
- parlamentarische/berufliche Zukunftspläne<br />
(derzeitige Abgeordnete)<br />
- postparlamentarische berufliche und<br />
politische Karriere (ehemalige<br />
Abgeordnete)<br />
- Verhältnis von Politik und Beruf<br />
- Politikverständnis und politische<br />
Einstellungen<br />
Grundgesamtheit<br />
• 1.001 Landtagsabgeordnete (MdL)<br />
• 603 Bundestagsabgeordnete (MdB)<br />
• 99 deutsche Mitglieder des EU-Parlaments<br />
(MdEP)<br />
• 1.368 ehemalige Landtagsabgeordnete<br />
• 692 ehemalige Bundestagsabgeordnete<br />
Ausschöpfungsquoten<br />
•Landesparlamente: 76,4 %<br />
• Bundestag: 25,9 %<br />
• Europäisches Parlament: 33,3 %<br />
• 396 Interviews mit früheren MdL<br />
• 163 Interviews mit früheren MdB<br />
Vergleichsszenarien<br />
synchron:<br />
- postkommunistische<br />
Transformationsstaaten<br />
Osteuropas<br />
- ausgewählte Staaten<br />
Westeuropas<br />
diachron:<br />
- postfaschistische Demokratien<br />
Westeuropas (Italien,<br />
Österreich, Spanien, Portugal)<br />
• Expertengespräche in<br />
Ungarn, Rumänien, Kroatien,<br />
Polen und Tschechien<br />
• Aufbau eines europäischen<br />
Netzwerkes<br />
• Internationale Konferrenzen<br />
in <strong>Jena</strong>, Bukarest, Siena,<br />
Granada, Leuven und Odense<br />
• Fortsetzung der Akquisition<br />
biografischer und Umfragedaten<br />
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Gründe, sich nicht an einer wissenschaftlichen Abgeordnetenbefragung zu beteiligen, gibt es wie<br />
Sand am Meer: Desinteresse und ein knappes Zeitbudget gehören ebenso dazu wie - unbegründete -<br />
datenschutzrechtliche Bedenken oder grundsätzliche Vorbehalte gegenüber sozialwissenschaftlichen<br />
Methoden. Ein beeindruckend hoher Prozentsatz gerade der Landtagsabgeordneten hat sich<br />
ungeachtet dessen zur Teilnahme an der Befragung entschieden. Mit einer durchschnittlichen<br />
Teilnahmequote von über 75% konnte eine hervorragende Ausschöpfung erreicht werden. Sie<br />
signalisiert eine wachsende Bereitschaft von Parlamentariern, Auskunft über ihre Tätigkeit zu geben,<br />
und zeugt zudem von einem erheblichen Interesse an der parlamentsbezogenen<br />
sozialwissenschaftlichen Forschung.<br />
Unter allen in die Untersuchung einbezogenen Parlamenten weist der Thüringer Landtag die mit<br />
deutlichem Abstand höchste Teilnahmequote bei der Abgeordnetenbefragung auf. Lediglich zehn der<br />
88 Parlamentarier lehnten eine Beteiligung ab. Mit 88,6% ist nach dem Kenntnisstand der Autoren im<br />
Freistaat die höchste Ausschöpfungsquote erreicht worden, die es jemals bei einer<br />
Abgeordnetenbefragung in Deutschland gegeben hat. Die bemerkenswerte<br />
Unterstützung, die das Forschungsprojekt aus dem Thüringer Landtag erfahren hat,<br />
bedeutet zugleich, dass die Aussagekraft der Antworten sehr hoch ist.<br />
T h ü r i n g e n<br />
Ausschöpfungsquoten I: Landesparlamente<br />
Zahl der<br />
Abgeordneten<br />
realisierte<br />
Interviews<br />
Ausschöpfungsquoten<br />
<strong>Thüringen</strong> 88 78 88,6<br />
Sachsen-Anhalt 115 95 82,6<br />
Berlin 141 116 82,3<br />
Brandenburg 88 71 80,7<br />
Saarland 51 41 80,4<br />
Schleswig-Holstein 89 71 79,8<br />
Sachsen 120 89 74,2<br />
Mecklenburg-Vorpommern 71 51 71,8<br />
Hessen 110 77 70,0<br />
Baden-Württemberg 128 76 59,4<br />
Befragungszeitraum: September 2003 bis Januar 2004<br />
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T h ü r i n g e n<br />
Die generell hohe Ausschöpfungsquote findet sich für alle drei im Landtag vertretenen<br />
Fraktionen bestätigt. Bei der thüringischen SPD-Fraktion konnte sogar eine Vollerhebung<br />
realisiert werden - dies ist unter den insgesamt 32 Landtagsfraktionen mit mehr als neun<br />
Mitgliedern lediglich noch bei zwei weiteren Fraktionen gelungen: bei der PDS im Landtag<br />
Sachsen-Anhalt und bei Bündnis 90/Die Grünen im Hessischen Landtag. Im<br />
länderübergreifenden Vergleich von Fraktionen gleicher politischer Couleur zeigt sich,<br />
dass in <strong>Thüringen</strong> sowohl bei der CDU als auch bei der SPD die höchste Teilnahmequote<br />
erreicht wurde. Obwohl die Thüringer PDS-Fraktion eine ebenso hohe Ausschöpfung<br />
aufweist wie die CDU, belegt sie im Vergleich der sechs PDS-Landtagsfraktionen nur den<br />
letzten Platz - ein Resultat der generell hohen Teilnahmebereitschaft von<br />
PDS-Abgeordneten.<br />
CDU<br />
SPD<br />
PDS<br />
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Das generelle Bild<br />
überwiegend<br />
zufriedener Abgeordneter findet sich auch für <strong>Thüringen</strong> bestätigt: Mehr als drei Viertel der Abgeordneten<br />
empfindet die parlamentarische Tätigkeit als weitgehend oder sogar sehr befriedigend. Damit liegt die<br />
Mandatszufriedenheit im Freistaat weit über dem ostdeutschen Durchschnitt, allerdings auch erkennbar<br />
unter den Werten in den westdeutschen Landtagen.<br />
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T h ü r i n g e n<br />
Fragetext: Einmal ganz allgemein betrachtet: Wie befriedigend ist für Sie persönlich Ihre Tätigkeit als<br />
Parlamentarier(-in): Ist sie sehr befriedigend, weitgehend befriedigend, einigermaßen befriedigend oder eher<br />
unbefriedigend?<br />
[Mittelwerte mit 1 = "eher unbefriedigend" und 4 = "sehr befriedigend"]<br />
Erwartungsgemäß weit auseinander liegen angesichts der ungleich verteilten<br />
Gestaltungs- und Erfolgschancen die Einschätzungen von Regierungs- und<br />
Oppositionspolitikern. So zeigt sich jeder dritte CDU-Abgeordnete sehr zufrieden, unter<br />
den Abgeordneten der beiden Oppositionsfraktionen hingegen kein einziger. 40% der MdL<br />
von PDS und SPD bezeichnen ihre Tätigkeit als lediglich einigermaßen befriedigend oder<br />
sogar unbefriedigend; unter den Abgeordneten der Union sind es zwei von 42 Befragten.<br />
Die Mandatszufriedenheit steht in <strong>Thüringen</strong> kaum mit den wahrgenommenen<br />
Gestaltungsmöglichkeiten in Verbindung. Sie ist auch unter den Parlamentariern relativ<br />
groß, die mehr Gestaltungsspielraum erwartet haben - und unter denjenigen, die in ihrer<br />
eigenen Fraktion über eher geringen Einfluss verfügen.<br />
Der Kandidaturabsicht tut eine geringe Zufriedenheit kaum Abbruch. Fast 60% der eher<br />
Unzufriedenen sind sich sicher, dass sie bei den kommenden Wahlen wieder antreten<br />
werden. Offenbar wird im Konfliktfall die persönliche Befriedigung den politischen Zielen<br />
und dem Streben nach ihrer Realisierung untergeordnet.<br />
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Auch wenn sich die Abgeordneten in ihrer überwiegenden Mehrheit mit der eigenen Tätigkeit zufrieden<br />
zeigen, sind mit der Mandatsausübung doch eine Reihe unabweisbarer Schwierigkeiten und Belastungen<br />
verbunden. Diese können sich aus zeitlichen Restriktionen oder der Komplexität der inhaltlichen Arbeit<br />
ergeben, aber auch in mangelnder Akzeptanz oder fraktionellen Zwängen gesehen werden.<br />
Problemwahrnehmungen mit Bezug auf das Mandat (in %)<br />
(Nennungen: „sehr großes Problem“ und „großes Problem“ zusammengefasst)<br />
<strong>Thüringen</strong> MdL Ost<br />
MdL West<br />
zu wenig Zeit für das Privatleben 68 63 67<br />
zu wenig Zeit, um über Probleme vertiefend<br />
nachzudenken<br />
Frustration, da Probleme nur unzureichend<br />
gelöst werden können<br />
53 62 61<br />
44 49 36<br />
unzureichende Akzeptanz in der Öffentlichkeit 36 49 42<br />
Kluft zwischen eigenen politischen<br />
Vorstellungen und dem, was man als<br />
Abgeordneter im polit. Alltag vertreten muss<br />
31 34 25<br />
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T h ü r i n g e n<br />
Wie die Tabelle illustriert, nennen die Thüringer Landtagsabgeordneten unter fünf<br />
vorgegebenen Problemen mit Abstand am häufigsten die negativen Auswirkungen auf das<br />
Privatleben. Die sich aus der Mandatsausübung ergebenden Belastungen treffen<br />
demnach vorwiegend den Privatmenschen Abgeordneter - dabei Frauen wie Männer<br />
gleichermaßen - und erst danach den Politiker. Als besonders gravierend gelten generell<br />
die geringen zeitlichen Ressourcen, während inhaltliche oder kommunikative<br />
Schwierigkeiten jeweils nur von einer (starken) Minderheit angeführt werden. Unmittelbar<br />
mandatsbezogene Probleme nehmen die Mitglieder des Thüringer Landtags im Vergleich<br />
zu ihren ostdeutschen Kollegen durchweg als weniger prekär wahr - was zugleich eine<br />
Teilerklärung für ihre überdurchschnittlich hohen Zufriedenheitswerte darstellt.<br />
Die Problemwahrnehmungen von Regierungs- und Oppositionspolitikern unterscheiden<br />
sich kaum. Eine Ausnahme besteht bei der Zeit für die Problemreflexion, die von nahezu<br />
doppelt so vielen Parlamentariern der Opposition als von CDU-Abgeordneten als<br />
unzureichend empfunden wird. Überraschenderweise sehen die Mitglieder der<br />
Regierungsfraktion ihre eigenen Vorstellungen auch nur selten im Widerspruch zu den<br />
Positionen, die sie öffentlich vertreten sollen. Eine solche Kluft nimmt hingegen jeder<br />
dritte PDS-Abgeordnete und jeder zweite Sozialdemokrat wahr. Die hohen Werte bei den<br />
SPD-Politikern dürften sich dadurch erklären, dass auch in den eigenen Reihen Agenda<br />
2010 umstrittenen ist.<br />
Zwischen “altgedienten” Parlamentariern und Novizen gibt es keine Unterschiede bei der<br />
Wahrnehmung von mit dem Mandat verbunden Problemen. So wird auch die fehlende<br />
Akzeptanz in der Öffentlichkeit wird von den Neulingen kaum als problematisch erachtet.<br />
Dafür beklagen die Newcomer im Thüringer Landtag überdurchschnittlich oft die geringe<br />
Zeit, die für das Privatleben verbleibt.<br />
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Die Reform der parlamentarischen Arbeit gehört zu den<br />
Dauerbrennern auf der politischen Agenda, wenngleich<br />
sie in der Öffentlichkeit nur auf begrenztes Interesse stößt und damit kaum Möglichkeiten der<br />
parteipolitischen Profilierung bietet. So verschieden die Positionen zu einer Parlamentsreform ausfallen,<br />
so unterschiedlich sind ihre Gegenstände: Reformen können sich auf die Binnenstruktur der<br />
parlamentarischen Arbeit, die Vermittlung nach außen oder - und dies dürfte seit der<br />
schleswig-holsteinischen Verfassungsreform 1990 den eigentlichen Konfliktstoff darstellen - das<br />
Verhältnis zwischen Parlament und Exekutive beziehen.<br />
Im politischen Betrieb sind nur jene Reformvorhaben aussichtsreich, die bei einer hinreichend Zahl von<br />
Akteuren für vordringlich befunden werden. Deshalb weist die Tabelle allein die entsprechenden Anteile<br />
aus. Demnach genießt eine Erweiterung der Informationsansprüche des Parlaments gegenüber der<br />
Regierung Priorität unter den aufgeführten Reformvorschlägen. Dass sich aber auch dafür keine absolute<br />
Mehrheit findet, kann kaum überraschen, positionieren sich die Thüringer Abgeordneten in dieser Frage<br />
doch ganz entlang der Konfliktlinie zwischen Regierung und Opposition. Während die Abgeordneten der<br />
Minderheitsfraktionen nahezu geschlossen für erweiterte Informationspflichten plädieren, hält kaum ein<br />
CDU-Parlamentarier dieses Anliegen für prioritär. Maßgeblich von dieser für parlamentarische Systeme<br />
charakteristischen Trennlinie wird auch die Haltung zu einer besseren<br />
Öffentlichkeitsarbeit des Parlaments bestimmt. Den Oppositionsfraktionen ist dies kein<br />
wichtiges Anliegen, während es immerhin bei 40% der christdemokratischen<br />
Abgeordneten als vordringlich gilt.<br />
T h ü r i n g e n<br />
Fragetexte:<br />
Wichtigkeit von Reformen der parlamentarischen Arbeit (in %)<br />
Zur Reform der parlamentarischen<br />
Arbeit gibt es ja eine breite<br />
Es gilt als “vordringlich”... <strong>Thüringen</strong> MdL Ost MdL West<br />
Debatte. Wie stehen Sie zu den<br />
...erweiterte Informationspflichten der Regierung<br />
gegenüber dem Parlament<br />
41 43 34<br />
folgenden Reformvorschlägen ...<br />
...verbesserte Selbstdarstellung des Parlaments<br />
30<br />
in der Öffentlichkeit<br />
29 35<br />
...besseren Personal- und Sachmittelausstattung<br />
(Mögliche Antworten: vordringlich;<br />
8<br />
des Parlaments<br />
15 38<br />
dringlich; weniger dringlich)<br />
...bessere Initiativmöglichkeiten und erweitertes<br />
6 9 7<br />
Rederecht für den einzelnen Abgeordneten<br />
[Hier: Werte für “vordringlich”]<br />
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In ihren Positionen zur Parlamentsreform unterscheiden sich die Thüringer kaum von<br />
anderen Landtagsabgeordneten. Die einzige Ausnahme stellt - vor allem im Vergleich zu<br />
westdeutschen Parlamentariern - die Ausstattung des Parlaments dar. Nur acht Prozent<br />
im Freistaat betrachten eine Verbesserung als vordringlich, während es in den alten<br />
Ländern fast 40% sind. Selbst unter den Abgeordneten, die über fehlende Zeit zum<br />
vertiefenden Nachdenken klagen, unterstützt kaum einer nachdrücklich eine<br />
Verbesserung der Personal- und Sachmittelausstattung. Offenbar sind die Befragten mit<br />
den Ressourcen, die ihnen als Landesparlamentarier zur Verfügung stehen, äußerst<br />
zufrieden. Möglicherweise gelten ihnen die zeitlichen Freiräume, die durch eine<br />
verbesserte parlamentarische Infrastruktur gewonnen werden können aber auch nicht<br />
nicht als bedeutsam.<br />
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Die Abgeordnetenbefragung 2003/04 fand wenige Monate vor der Wahl zum vierten Thüringer Landtag<br />
am 13. Juni 2004 statt. Im Vorfeld der Wahlen erfuhr die - durch das Wahlergebnis obsolet gewordene -<br />
Frage der Koalitionsoptionen starke politische und mediale Beachtung. Vor diesem Hintergrund<br />
erscheinen die Koalitionspräferenzen der Abgeordneten gegen Ende der Legislaturperiode von<br />
besonderem Interesse.<br />
Entsprechend den einschlägigen offiziellen Verlautbarungen der Parteien schließen CDU und PDS<br />
einander als Koalitionspartner aus. Im Kontrast dazu zeigen sich Union und SPD beinahe einstimmig zu<br />
einer gemeinsamen Koalition bereit. Allerdings handelt es sich aus der Sicht der Abgeordneten jeweils<br />
mitnichten um eine favorisierte Koalitionsvariante; eher drängt sich das vielfach bemühte Bild einer<br />
politischen Vernunftheirat auf. Nur fünf Sozialdemokraten gaben die CDU als präferierten<br />
Koalitionspartner an; umgekehrt nannte kein einziges Mitglied der Regierungsfraktion die SPD. Die<br />
Wunschpartner für Koalitionen befanden (und befinden) sich jeweils außerhalb des Parlaments: die FDP<br />
(für die Union) und Bündnis 90/Die Grünen (für die SPD).<br />
Koalitionspräferenzen nach Fraktion (gewünscht / akzeptabel [in %])<br />
T h ü r i n g e n<br />
Fragetext: Nehmen wir<br />
einmal an, nach den<br />
nächsten Landtagswahlen<br />
in <strong>Thüringen</strong> wären SPD,<br />
CDU, Bündnis 90/Die<br />
Grünen, FDP und PDS in<br />
Fraktionsstärke im Landtag<br />
vertreten. Mit welcher<br />
dieser Parteien würden<br />
Sie sich eine formelle<br />
Koalition sehr wünschen,<br />
mit welcher wäre eine<br />
Koalition akzeptabel und<br />
mit wem sollte Ihre<br />
Fraktion auf keinen Fall<br />
eine Koalition eingehen?<br />
Asymmetrisch gestaltet sich die Koalitionsbereitschaft zwischen SPD und PDS. Während<br />
die Abgeordneten der PDS die Sozialdemokraten wie selbstverständlich als<br />
Koalitionspartner akzeptieren, teils sogar wünschen, gehen die Parlamentarier der<br />
kleineren Oppositionsfraktion auf Distanz. Nicht einmal jeder dritte Sozialdemokrat ist zu<br />
einer Koalition mit der SED-Nachfolgepartei bereit. Die Koalitionsaussage des<br />
SPD-Spitzenkandidaten Matschie vor der Landtagswahl zugunsten der Union konnte sich<br />
demnach offenkundig auf einen starken Rückhalt in der Landtagsfraktion stützen.<br />
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Die Selbstpositionierung der Befragten auf Links-Rechts-Skalen findet in repräsentativen<br />
Bevölkerungsumfragen ebenso regelmäßig Verwendung wie in den eher seltenen Befragungen politischer<br />
Führungsgruppen. Bei aller Vagheit der Begriffe “Rechts” und “Links” versprechen diese Positionierungen<br />
bei einer Parlamentarierbefragung gleichwohl einen doppelten Erkenntnisgewinn: einerseits über die<br />
weltanschauliche Nähe zwischen den Mitgliedern der im Parlament vertretenen Parteien/Fraktionen,<br />
andererseits bezüglich der relativen Distanz, die die Abgeordneten zwischen ihrer eigenen politischen<br />
Grundhaltung und der ihrer Fraktion sehen.<br />
Erwartungsgemäß nimmt die SPD sowohl bei der Selbsteinschätzung als auch bei der Parteieinschätzung<br />
eine mittlere Position zwischen CDU und PDS ein. Sie befindet sich jeweils näher am Skalenmittelpunkt<br />
als die PDS, zugleich aber deutlich links davon; einzig die CDU-Parlamentarier ordnen sich und ihre<br />
Partei rechts des Mittelpunkts ein. Während die Oppositionsfraktionen bei der jeweiligen<br />
Selbsteinschätzung durch ihre Mitglieder nahe beieinander liegen, befindet sich die SPD bei der<br />
Parteieinschätzung in einer Äquidistanz zu den beiden anderen Fraktionen. Trotz eines dezidiert "linken"<br />
Selbstverständnisses ihrer Abgeordneten bleibt sie als Partei in beide Richtungen bindungsfähig - Vorteil<br />
und Last ihrer Mittelstellung im regionalen Parteiensystem.<br />
Selbsteinschätzung und Einschätzung der eigenen Partei<br />
auf dem Links-Rechts-Kontinuum (Durchschnittswerte)<br />
Selbsteinschätzung<br />
T h ü r i n g e n<br />
1<br />
3,1 3,8<br />
5,5<br />
6,3<br />
10<br />
ganz links<br />
Mittelwert<br />
ganz rechts<br />
1 2,8 4,5 5,5 6,3<br />
10<br />
Einschätzung der eigenen Partei<br />
Fragetexte:<br />
Viele Leute verwenden die Be- griffe "links" und "rechts", wenn es darum geht, unterschiedliche politische Einstellungen zu kennzeichnen.<br />
Wo würden Sie sich auf einer Links-Rechts-Skala von 1 bis 10 einordnen, wenn 1 für "(ganz) links" und 10 für "(ganz) rechts"<br />
steht?<br />
Und wo würden Sie Ihre Partei auf einer Links-Rechts-Skala von 1 bis 10 einordnen? Wiederum steht die 1 für "(ganz) links" und die 10 für<br />
"(ganz) rechts" ?<br />
Bei keiner anderen Fraktion weisen sowohl die Selbst- als auch die Parteieinschätzung<br />
eine so große Heterogenität auf wie bei den SPD-Abgeordneten. Die Spanne der<br />
Parteiverortung auf der Links-Rechts-Skala reicht hier von 1 bis 8, bei der PDS hingegen<br />
endet sie bei 5, im Fall der Union reicht sie von 4 bis 9.<br />
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Die Nähe und Distanz von Fraktionen auf den Links-Rechts-Skalen determiniert noch nicht ihre<br />
Politikziele oder ihre Haltung gegenüber (zumal tages-)politischen Streitfragen. Dies gilt auch dann, wenn<br />
es um die Festlegung politischer Prioritäten in Entscheidungskonflikten zwischen wichtigen politischen<br />
Zielen geht. Ein Beispiel dafür bietet das "Trilemma" zwischen Wirtschaftswachstum, der Sanierung der<br />
Staatsfinanzen und der Verringerung der sozialen Ungleichheit. Zwar stehen die drei Ziele in einem<br />
Zusammenhang, in der konkreten politischen Entscheidungssituation sind die parlamentarischen Akteure<br />
jedoch immer wieder genötigt, einem dieser Ziele (mindestens zeitweilig) Vorrang gegenüber den<br />
anderen einzuräumen.<br />
In markantem Kontrast zur Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Skala unterscheiden sich Christ- und<br />
Sozialdemokraten im Thüringer Landtag bei der den Prioritäten (wirtschafts-)politischer Kernanliegen<br />
kaum voneinander. Eine absolute Mehrheit spricht sich jeweils für das wirtschaftliche Wachstum als<br />
primäres Ziel aus. Erst bei der zweiten Präferenz treten deutliche Unterschiede zu Tage: Während bei<br />
den SPD-Abgeordneten die Realisierung sozialer Gleichheit knapp vor der Haushaltskonsolidierung<br />
rangiert, stellt sie für die meisten Unionspolitiker erst die dritte Wahl dar.<br />
T h ü r i n g e n<br />
Fragetext:<br />
Die Sanierung der Staatsfinanzen, das wirtschaftliche Wachstum und die Verringerung der sozialen Ungleichheit gelten<br />
allesamt als wichtige politische Ziele. Wenn Sie diese Ziele bewerten müssten, welches Ziel käme für Sie an erster Stelle:<br />
die Verringerung der sozialen Ungleichheit, das wirtschaftliche Wachstum oder die Sanierung der Staatsfinanzen?<br />
Eine Sonderstellung im Drei-Fraktionen-Parlament nimmt hier die PDS ein. Die Grafik<br />
macht anschaulich, dass nahezu alle ihrer Abgeordneten der Verringerung der sozialen<br />
Ungleichheit politische Priorität einräumen. Ihre Einigkeit in wirtschaftspolitischen<br />
Grundorientierungen hebt sich deutlich von den großen innerfraktionellen Dissens unter<br />
den Sozialdemokraten ab.<br />
12<br />
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Nicht nur bei politischen Grundsatzfragen, sondern auch bei bestimmten politischen Streitfragen sind<br />
markante Unterschiede zwischen den Fraktionen zu erwarten. Politische Profilierung und klare<br />
Abgrenzung von anderen Parteien entsprechen der Logik des Parteienwettbewerbs und werden zudem<br />
durch divergierende Grundpositionen nahe gelegt. Vor diesem Hintergrund ist von besonderem Interesse,<br />
ob sich interfraktionelle Differenzen auch in solchen Themenfeldern finden, die ihrer Struktur nach eher<br />
quer zu parteipolitischen Konfliktlinien liegen. Dies gilt im deutschen Bundesstaat vor allem für das<br />
Spannungsfeld zwischen starkem Föderalismus auf der einen und Unitarisierung sowie Europäisierung<br />
auf der anderen Seite. Wie sehr werden diesbezügliche Konflikte parteipolitisch überformt bzw.<br />
unterfüttert?<br />
Zunächst zeigt sich, dass das föderative System trotz aller Mängel und Kritik sowie unbeschadet der<br />
laufenden, im Rahmen der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung<br />
institutionalisierten Reformbestrebungen nicht grundsätzlich zur Disposition steht. Neun von zehn<br />
Thüringer Abgeordneten möchten die föderale Struktur in Deutschland erhalten, auch wenn sie politische<br />
Entscheidungen erschwert.<br />
Fragetexte:<br />
Als Parlamentarier muss man<br />
sich ja beständig eine Meinung<br />
T h ü r i n g e n<br />
zu Entscheidungen in einzelnen<br />
Politikfeldern bilden. Wie<br />
beurteilen Sie die folgende<br />
Aussage: In Deutschland sollte<br />
bundesweit das Zentralabitur<br />
eingeführt werden.<br />
(Mögliche Antworten: trifft voll<br />
und ganz zu; trifft eher zu; trifft<br />
eher nicht zu; trifft gar nicht zu)<br />
[Antworten “trifft voll und ganz<br />
zu” und “trifft eher zu”<br />
zusammengefasst]<br />
Freilich findet eine Stärkung des Föderalismus nicht in allen Politikfeldern Unterstützung.<br />
In Teilen der Bildungs- und Schulpolitik, wo den Ländern ein beträchtlicher<br />
Entscheidungsspielraum verblieben ist, setzen auch die Thüringer Parlamentarier eher<br />
auf Vereinheitlichung.<br />
Die Einführung eines bundesweiten Zentralabiturs wünschen in Zeiten von PISA und<br />
anderen internationalen Vergleichsstudien zu Lernerfolgen zwei Drittel der Thüringer<br />
Abgeordneten. Auch wenn sie damit noch deutlich unter dem Durchschnitt ihrer<br />
ostdeutschen Kollegen liegen, bestätigen sie die beträchtlichen Ost-West-Unterschiede.<br />
Während in den Reihen der Oppositionsfraktionen die Zustimmung überwältigend ausfällt,<br />
zeigt sich die Regierungsfraktion gespalten.<br />
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Erweist sich beim bundesweiten Zentralabitur die Konfliktlinie zwischen Regierung und Opposition als<br />
prägend, ergeben sich hinsichtlich der Europäisierung - bei geringer ausgeprägten<br />
Ost-West-Unterschieden - andere Konstellationen im Fraktionenvergleich. Die Abgabe von weiteren<br />
Entscheidungskompetenzen der Nationalstaaten an europäische Institutionen, wie sie sich etwa aus dem<br />
Verfassungsentwurf des Konvents in einigen Politikbereichen ergibt, stößt im Thüringer Landtag wie in<br />
den meisten ostdeutschen Landtagen auf deutliche Vorbehalte. Nur knapp 30 Prozent der befragten<br />
Parlamentarier unterstützen eine solche Verlagerung von Entscheidungskompetenzen, kaum einer tut<br />
dies ohne Vorbehalte.<br />
T h ü r i n g e n<br />
In Ablehnung vereint finden sich die Abgeordneten von Union und PDS. Dabei fällt die<br />
Ablehnung in den Reihen der Christdemokraten noch deutlicher aus als unter den<br />
PDS-Politikern. Einzig unter den Parlamentariern der SPD findet eine weitere Abgabe von<br />
nationalstaatlichen Kompetenzen an die Europäische Union mehrheitlich Zustimmung.<br />
Allerdings fällt diese Zustimmung eher verhalten aus.<br />
Die hier zu konstatierende Übereinstimmung von CDU- und PDS-Abgeordneten stellt im<br />
Bereich der politikfeldbezogenen Einstellungen eine Ausnahme dar. In aller Regel liegen<br />
beide Fraktionen in <strong>Thüringen</strong> weit auseinander, während die sozialdemokratischen<br />
Landesparlamentarier mal näher bei den Positionen der Union (so etwa bei der Skepsis<br />
gegenüber einer primären Verantwortlichkeit des Staates für die Schaffung und Erhaltung<br />
von Arbeitsplätzen), mal näher bei denen der PDS liegen (z.B. bei der überwiegenden<br />
Ablehnung von Grundrechtseinschränkungen zum Zweck der Terrorismusbekämpfung).<br />
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Mehr noch als die Haltungen der Thüringer Abgeordneten zu politischen Inhalten, die bisher dargestellt<br />
wurden, sind aus demokratie- und elitentheoretischer Perspektive ihre Einstellungen zu politischen<br />
Verfahren und demokratischen Entscheidungsprozessen relevant. Sie konturieren das<br />
Demokratieverständnis der politischen Führungskräfte im Parlament und geben Aufschluss darüber, ob<br />
ungeachtet des Meinungsstreits über einzelne politische Fragen eine über Parteigrenzen hinausgehende<br />
Übereinstimmung hinsichtlich der Demokratie als Verfahren besteht. Inwiefern erweisen sich die<br />
Parlamentarier also als Teil einer konsensuell geeinten Elite, deren Existenz für die alte Bundesrepublik<br />
prägend und stabilisierend gewesen ist?<br />
Aussagen zu politischen Verfahren und zum demokratischen Prozess<br />
(Zustimmung in %)<br />
Dimension 1: Entscheidungsverfahren<br />
+ + + – – –<br />
Auch wer in einer Auseinandersetzung Recht hat,<br />
sollte den Kompromiss suchen.<br />
34 44 16 6<br />
T h ü r i n g e n<br />
Demokratie ist auf Dauer nur möglich, wenn eine<br />
starke politische Führung die widerstreitenden<br />
Gruppeninteressen zurückdrängt.<br />
Dimension 2: Parteienstaatliche Demokratie<br />
Volksbegehren und Volksentscheide sind eine<br />
notwendige Ergänzung der repräsentativen<br />
Demokratie.<br />
Wenn Parteien in der Demokratie eine wichtige<br />
Rolle spielen, so werden durch sie doch politische<br />
Konflikte oft unnütz verschärft.<br />
Wie der Tabelle zu entnehmen ist, findet lediglich ein einziges der vier Statements die<br />
Zustimmung fast aller Parlamentarier. Die Einhelligkeit, mit der die Volksgesetzgebung<br />
zur notwendigen Ergänzung der repräsentativen Demokratie erklärt wird, überrascht<br />
insofern, als sich deutsche Eliten in der Vergangenheit eher positiv zu einer dezidiert<br />
repräsentativ verfassten Demokratie geäußert haben. Darüber hinaus liegt es in der<br />
Konsequenz der Zustimmung, eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes zu<br />
unterstützen - für die sich bislang jedoch keine Zweidrittelmehrheit gefunden hat. Zwar<br />
stellen die Befürworter dieser Meinung in allen Landesparlamenten eine deutliche<br />
Mehrheit, in keinem anderen Land aber fällt die Zustimmung so stark aus wie in<br />
<strong>Thüringen</strong>. Selbst unter den CDU-Landtagsabgeordneten lehnt nur jeder siebte Befragte<br />
die Aussage ab. Es liegt auf der Hand, in dieser Sonderstellung des Freistaats eine<br />
Spätwirkung des erfolgreichen Volksbegehrens für mehr (direkte) Demokratie im Jahr<br />
2000 auszumachen.<br />
Die Einstellung zur Volksgesetzgebung steht in einem starken Zusammenhang mit der<br />
Parteienkritik, wie sie in der letzten Aussage formuliert ist. Beide Aussagen lassen sich<br />
auf einen gemeinsamen Hintergrundfaktor zurückführen, die Skepsis gegenüber der<br />
parteienstaatlichen Demokratie.<br />
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15 30 42 13<br />
56 35 8 1<br />
20 35 32 13<br />
+ + trifft voll und ganz zu; + trifft eher zu; – trifft eher nicht zu; – – trifft gar nicht zu
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Die Unterstützung der Volksgesetzgebung und die Kritik an der unnötigen Konfliktverschärfung durch die<br />
Parteien sind demnach unterschiedliche Ausprägungen dieser Skepsis. Angesichts der Tatsache, dass es<br />
sich bei den Parlamentariern beinahe ausnahmslos um Parteipolitiker handelt, die ihr Mandat neben dem<br />
Wählervotum vor allem der eigenen Partei "verdanken", muss ihre Distanzierung von der<br />
parteienstaatlichen Demokratie verblüffen. Besonders kritisch äußern sich die Oppositionspolitiker,<br />
während lediglich ein gutes Drittel der CDU-Abgeordneten beipflichtet.<br />
Neben der parteienstaatlichen Demokratie gibt es einen zweiten Hintergrundfaktor, der als<br />
integrationsbedachte Führungsstärke umschrieben werden kann. Er umfasst die Aussagen zur<br />
Kompromissorientierung und zur Zurückdrängung der Gruppeninteressen. Letztere erfährt angesichts<br />
eines Wortlauts, der pluralismuskritische Politikvorstellungen anklingen lässt, beträchtliche<br />
Unterstützung. Nahezu jeder zweite Parlamentarier, in den Reihen der Mehrheitsfraktion mehr als die<br />
Hälfte der Abgeordneten, äußert sich zustimmend.<br />
Noch stärker als die Parteizugehörigkeit bestimmt die Selbsteinstufung auf dem Links-Rechts-Kontinuum<br />
das Demokratieverständnis. Je geringer die Unterstützung der Volksgesetzgebung und je schwächer die<br />
Parteienkritik, desto weiter rechts stufen sich die Abgeordneten ein.<br />
Fragetexte:<br />
T h ü r i n g e n<br />
siehe vorherige Seite<br />
[Mittelwerte von 1 = „trifft<br />
gar nicht zu“ bis 4 = „trifft<br />
voll und ganz zu“]<br />
Ein umgekehrter Zusammenhang ergibt sich für die Forderung nach einer starken<br />
politischen Führung: Je deutlicher die Ablehnung ausfällt, desto weiter links die<br />
Selbsteinstufung. Lediglich die Bereitschaft zum Kompromiss bleibt von der<br />
Links-Rechts-Verortung unbeeinflusst. In ihrer generell stark ausgeprägten Kompromissorientierung<br />
erweisen sich die Thüringer Landesparlamentarier tatsächlich als eine<br />
konsensuell geeinte Elite.<br />
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Die befragten<br />
T h ü r i n g e r<br />
Abgeordneten waren zum Zeitpunkt der Befragung durchschnittlich 50 Jahre alt und stehen somit noch<br />
mitten im Erwerbsleben. Vor dem Hintergrund, dass fast 80% der Befragten bei Antritt des Mandats aber<br />
nur von einer vorübergehenden Tätigkeit in der Politik ausgegangen waren, stellen sich die Fragen,<br />
welche Pläne die Thüringer Parlamentarier hinsichtlich ihrer weiteren Zukunft als Abgeordnete haben und<br />
wie sie sich die Zeit nach dem Mandat vorstellen.<br />
Zunächst hatten weit über 70% der Thüringer Abgeordneten vor, weiter als Landesparlamentarier in der<br />
Politik zu bleiben und auch bei den Landtagswahlen am 13. Juni 2004 zu kandidieren. Weitere fünf<br />
Abgeordnete waren sich zum Zeitpunkt der Befragung über eine erneute Kandidatur noch nicht im Klaren.<br />
Von den verbleibenden 17 Abgeordneten, die nicht wieder kandidieren wollen, steht keineswegs allen der<br />
Abschied aus der Politik vor Augen. Vielmehr strebt ein Drittel statt des Landtagsmandats andere<br />
politische Funktionen an, vor allem solche auf der kommunalen Ebene, aber auch ein Mandat im<br />
Europäischen Parlament.<br />
Für sechs befragte Thüringer Abgeordnete soll das Mandat nur Zwischenstation auf dem Weg in<br />
Exekutivfunktionen sein. Weitere 15 kalkulieren die Übernahme eines solchen Amtes ein, wenngleich es<br />
nicht forciert angestrebt wird.<br />
Fragetext:<br />
Haben Sie die Absicht, für<br />
T h ü r i n g e n<br />
weitere Legislaturperioden<br />
zu kandidieren?<br />
Mögliche Antworten:<br />
- Nein<br />
- Ja, vielleicht<br />
- Ja, sicher.<br />
Auch wenn sich nur ein Drittel der Parlamentarier mit fester Kandidaturabsicht sicher ist,<br />
als Kandidat wieder aufgestellt zu werden, was auf einen harten Nominierungskampf in<br />
den Parteikreisverbänden und auf den entsprechenden Parteitagen hindeutet, erscheinen<br />
die Wiederwahlchancen nicht so schlecht, wie von den Befragten selbst empfunden. Bis<br />
auf fünf haben es alle der 56 Parlamentarier mit fester Kandidaturabsicht geschaft, wieder<br />
nominiert zu werden; 46 von ihnen gelang auch der Wiedereinzug in den Thüringer<br />
Landtag.<br />
Doch trotzt der offenbar guten Wiederwahlchancen bleibt eine politische Karriere im<br />
Thüringer Landtag wie in allen Parlamenten mit Unsicherheit verbunden und entzieht sich<br />
in vielen Fällen der Planbarkeit. Diese Erfahrung haben über zwei Drittel der befragten<br />
ehemaligen Thüringer Abgeordenten gemacht und auch bei den befragten aktuellen<br />
Parlamentariern in <strong>Thüringen</strong> zeigt sich diese Unsicherheit, denn nur sehr wenige planen<br />
über die aktuelle Legislaturperiode hinaus und streben eine Kandidatur bei den Wahlen<br />
2009 an.<br />
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Das durchschnittliche Alter, mit dem Thüringer Abgeordnete ihr Mandat beenden, liegt bei knapp 52<br />
Jahren. Für die Zeit nach dem Mandat und anderen politischen Funktionen, also dem "Leben nach der<br />
Politik" streben die meisten befragten Thüringer Parlamentarier wieder eine berufliche Tätigkeit an. 39%<br />
von ihnen wollen eine neue berufliche Tätigkeit aufnehmen und 19% wollen wieder in ihrem Beruf vor<br />
Mandatsantritt arbeiten. Von den 15 Personen, die wieder in ihren alten Beruf zurück kehren möchten,<br />
waren insgesamt neun auch während des Mandates beruflich tätig, die meisten davon aber schon in<br />
einem anderen Beruf als vor dem Mandat. Nur drei der 15 Personen sehen es als schwierig an, in ihrem<br />
alten Beruf wieder Fuß zu fassen. Alle drei standen vor dem Mandat in einem Angestelltenverhältnis.<br />
Keiner der vier Freiberufler möchte nach Ablauf seines Mandats wieder seiner alten Tätigkeit nachgehen,<br />
sondern lieber eine neue berufliche Tätigkeit ausüben. Von den fünf Personen, die noch nicht wissen,<br />
was sie nach dem Mandat machen, sind alle fünf kurzfristig keineswegs perspektivlos. Vier streben noch<br />
ein weiteres Mandat an und die fünfte Person hat bereits das Rentenalter erreicht.<br />
Trotz dieser recht klaren Vorstellungen von der beruflichen Zukunft möchten immerhin 61% der befragten<br />
Thüringer Abgeordneten das Parlament bei der Gestaltung des Übergangs vom Mandat in einen neuen<br />
Beruf in die Pflicht nehmen. Fast ebenso viele halten es aber auch für eine Aufgabe ihrer Partei, sich um<br />
die berufliche Zukunft ehemaliger Mandatsträger zu kümmern.<br />
T h ü r i n g e n<br />
Erwartungen für die Zeit nach der politischen Tätigkeit (in %)<br />
neue berufliche Tätigkeit<br />
39<br />
Rente<br />
30<br />
Rückkehr in alten Beruf<br />
19<br />
sonstiges 6<br />
weiß nicht 6<br />
0 10 20 30 40 50<br />
Fragetext:<br />
Wenn Sie einmal an die Zeit denken, wenn Sie kein politisches Mandat oder politisches Amt mehr ausüben, was werden Sie dann<br />
voraussichtlich tun? Werden Sie wahrscheinlich in Ihren alten Beruf zurückgehen, eine neue berufliche Tätigkeit anstreben oder werden Sie<br />
dann nicht weiter berufstätig sein?<br />
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Projektteam<br />
Projektleitung<br />
Prof. Dr. Heinrich Best<br />
Institut für Soziologie<br />
Prof. Dr. Karl Schmitt<br />
Institut für Politikwissenschaft<br />
Mitarbeiter<br />
Dr. Michael Edinger<br />
Tel. +49 (0)3641-9 45055<br />
Fax +49 (0)3461-9 45052<br />
E-mail: s6edmi@nds.rz.uni-jena.de<br />
Dipl.-Soz. Stefan Jahr<br />
Tel. +49 (0)3641-9 45054<br />
Fax +49 (0)3461-9 45052<br />
E-mail: stefanjahr@gmx.de<br />
Adresse:<br />
I m p r e s s u m<br />
<strong>Friedrich</strong>-<strong>Schiller</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong><br />
Sonderforschungsbereich <strong>580</strong><br />
Teilprojekt A3:<br />
Delegationseliten nach dem Systemumbruch<br />
Carl-Zeiss-Straße 2<br />
D-07743 <strong>Jena</strong><br />
Das Projekt ist Teil des europäischen<br />
Forschungsnetzwerks "European Political<br />
Elites in Comparison: The Long Road to<br />
Convergence." (EurElite)<br />
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Die folgenden länderspezifischen<br />
Abgeordnetenstudien<br />
sind im <strong>SFB</strong> <strong>580</strong> unter<br />
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als PDF-Broschüre abrufbar.<br />
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Berlin<br />
Brandenburg<br />
Bundestag<br />
Hessen<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Rheinland-Pfalz*<br />
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