Mietwahnsinn München wird unbezahlbar Architektur ... - Biss
Mietwahnsinn München wird unbezahlbar Architektur ... - Biss
Mietwahnsinn München wird unbezahlbar Architektur ... - Biss
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Wohnen<br />
Der<br />
Netzbewohner<br />
Richard Brox ist obdachlos<br />
und gibt auf eigenen Internet-<br />
Seiten kostenlos Tipps zum<br />
Überleben auf der Straße<br />
Sie haben ein Internet-Portal für Obdachlose<br />
gegründet. Warum?<br />
Dort erfahren Vagabunden, an wen sie<br />
sich wenden können, wenn sie niemanden<br />
kennen. Ich bin seit 1986 obdachlos und<br />
kenne inzwischen fast alle Anlaufstellen.<br />
Verdienen Sie etwas mit der Web-Seite?<br />
Nein, mir bringt sie fi nanziell gar nichts.<br />
Warum machen Sie es dann?<br />
Ich helfe Menschen. Man kann viel in Bewegung<br />
setzen, um Not zu lindern, wenn<br />
man an die Öffentlichkeit geht. Man bekommt<br />
im Leben irgendwann die Hilfe<br />
zurück, die man gegeben hat. Ich ja auch,<br />
wenn ich tapeziere, Wände streiche oder<br />
den Rasen mähe. Oder wenn ich Sitzung<br />
mache.<br />
Wenn Sie was machen?<br />
Na, wenn ich bettle. Ich bin selbst pausenlos<br />
auf die Hilfe anderer angewiesen.<br />
Das will ich zurückgeben. Das Leben auf<br />
der Straße ist hart. Ich habe Obdachlose<br />
gekannt, die sich vor Züge geschmissen<br />
haben. Ich habe einen Drogenabhängigen<br />
gesehen, der 15 Stunden lang in einer<br />
Notunterkunft im Bett lag. Erst als er<br />
nicht zum Frühstück und nicht zum Mittagessen<br />
kam, haben wir bemerkt, dass er<br />
tot war. Goldener Schuss. Ich selbst bin<br />
zweimal verprügelt worden. Mir ist in<br />
meinem Leben auf der Straße aber auch<br />
schon viel geholfen worden.<br />
Wie wurden Sie obdachlos?<br />
Ich kam mit fünf in ein Kinderheim und<br />
habe, bis ich 18 war, abwechselnd bei<br />
meinen leiblichen Eltern, Pfl egeeltern<br />
und in Kinderheimen gewohnt. Schulabschluss<br />
und Ausbildung hab ich nie gemacht.<br />
Später habe ich vom Sozialamt<br />
und von Gelegenheitsarbeiten gelebt, habe<br />
meinen Dispokredit überzogen und<br />
bei Versandhäusern Sachen gekauft, die<br />
ich nicht bezahlen konnte. Seitdem schie-<br />
be ich einen Schuldenberg von ungefähr<br />
10 000 Euro vor mir her. Um 1985 wurde<br />
ich kokainabhängig, erlebte zwei Wohnungsräumungen<br />
und tingele seitdem<br />
rum. Hab damals ein bis zwei Gramm<br />
Koks täglich gebraucht. 2001 kam ich<br />
für fünfeinhalb Monate in U-Haft wegen<br />
Schwarzfahrens. Ich hab denen im Gefängnis<br />
nicht gesagt, dass ich kokainabhängig<br />
war. Der erzwungene Entzug war<br />
das Beste, was mir passieren konnte.<br />
Sind Sie seitdem clean?<br />
Absolut.<br />
Wie oft gehen Sie online?<br />
Normalerweise jeden zweiten Tag eine<br />
Stunde. Wenn das Geld nicht reicht oder<br />
ich in einer abgelegenen Gegend unterwegs<br />
bin, seltener. Mittlerweile gibt es<br />
auch in Obdachloseneinrichtungen Computer,<br />
die am Internet hängen. Wenn<br />
nicht, frag ich auch mal einen Sozialarbeiter,<br />
ob ich bei ihm kurz reindarf.<br />
Wie informieren sich Obdachlose sonst?<br />
Es gilt die Regel: Weißt du etwas, was ich<br />
nicht weiß, dann weiß ich etwas, was du<br />
nicht weißt. Nicht jeder hilft jedem: Normalerweise<br />
gibt man Adressen unentgeltlich<br />
raus, aber nur an Leute, die man<br />
kennt. Von mir bekommt jeder mindestens<br />
eine Information kostenlos. Manchmal,<br />
wenn ich Hunger hab und Geld<br />
auftreiben muss, bitte ich für meine Information<br />
schon mal um einen Euro. Das<br />
reicht für etwas Brot, Wurst oder Streichkäse.<br />
Gerade wer neu auf der Straße ist,<br />
kommt sehr schwer an Informationen.<br />
Mit meiner Internet-Seite helfe ich, dieses<br />
Problem zu lösen.<br />
Interview: Andreas Unger<br />
Foto: Nadine Bracht<br />
www.ohnewohnung-wasnun.de<br />
www.kurpfaelzer-wandersmann.de<br />
21