Mietwahnsinn München wird unbezahlbar Architektur ... - Biss

… von dem aus man auf das Haus blickt, in dem Lion Feuchtwanger lebte
von Scheinwerfern, Kranwagen, Absperrungen.
Viele Leute waren auf der Straße.
Es war aber kein Unglück passiert.
Trotzdem wollte man mir den Durchgang
verwehren. Das Zweite Deutsche
Fernsehen verfi lmte einen Kriminalroman
von Friedrich Ani, der selbst in Giesing
wohnt.
Ich kann auch das Maximilianeum sehen,
wenn ich mich ein bisschen aus dem
Fenster lehne. Eine Fahne weht darüber.
Die Debatten der Abgeordneten sind aber
nicht bis hierher zu hören.
Nachts läuft mir manchmal eine Maus
über den Weg, wenn ich durch den Hof
zum Aufzug gehe. Vielleicht ist es auch
eine kleine Ratte. Unser Keller ist feucht.
Der Putz fällt von der Decke.
Mein Sohn geht in das Sankt-Anna-
Gymnasium. Es ist hier in der Straße,
schräg gegenüber. Auch die Kinder Thomas
Manns gingen dort zur Schule, nur
war ihr Weg ein bisschen weiter, von der
Poschingerstraße ins Lehel. Ich stelle mir
vor, dass sie mit dem Rad an der Isar entlangfuhren.
Ich wohne hier, seit ich als Student
nach München gekommen bin, in wechselnden
Straßen, verschiedenen Häusern,
immer vierter oder fünfter Stock, mit unterschiedlichen
Frauen, mit Kindern und
ohne, in großen Wohnungen oder kleinen.
In diesen 30 Jahren habe ich die U-
Bahn gebaut, einige Wirtschaften eröffnet,
eine Bank ruiniert, den Platz gepfl
astert, Eis gegessen, Bürgermeister
ernannt, München bevölkert, die Isar renaturiert,
ein Reformhaus geschlossen,
eine Menge Fehler gemacht, auf die Straße
gekotzt, den Englischen Garten mit
Schnee bedeckt, die Sonne verdunkelt,
den Mond angeheult.
Es war schön.
Da, wo ich wohne, ist der Mittelpunkt
der Welt.
Foto: Volker Derlath
Armin Kratzert, geboren 1957 in Augsburg,
lebt als Schriftsteller, Journalist
und Kritiker in München. Er studierte
Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte
und Germanistik an der LMU. Zuletzt
veröffentlichte er den Roman „Magnolia“
(A1 Verlag) und einen Band mit Liebesgedichten,
„Propaganda“ (Steinmeier).
29