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Klassenspezifischer Habitus und/oder exklusive ... - Studium generale

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schen 1960 <strong>und</strong> 1990 von 48% auf nur noch 38,6% zurückgegangen (eigene Berechnungen nach<br />

Roullin-Lefebvre / Esquieu 1992: 5).<br />

Die Grandes Écoles, vor allem die berühmten unter ihnen, haben dagegen ihren elitären Charakter,<br />

der sie schon früher von den Universitäten abhob, bis heute bewahren können, so daß sich der<br />

Nachwuchs der „Classe dominante“ durch ihren Besuch in puncto Bildungstitel auch weiterhin<br />

deutlich vom Nachwuchs der anderen Bevölkerungsschichten abheben kann. Der Trend hin zu<br />

immer <strong>exklusive</strong>ren Bildungsabschlüssen hat auch dafür gesorgt, daß die juristischen Fakultäten,<br />

die früher noch eine Sonderstellung unter den Universitätsfakultäten besaßen <strong>und</strong> deren Examen<br />

dementsprechend höher bewertet wurden, ihre Position entgegen der Vermutung von Bourdieu,<br />

Boltanski <strong>und</strong> de Saint Martin, die sie zusammen mit IEP <strong>und</strong> HEC als die Bildungseinrichtungen<br />

für den neuen, den Anforderungen multinationaler Unternehmen entsprechenden Typus von Spitzenmanager<br />

ansahen (Bourdieu / Boltanski / de Saint Martin 1981: 32, 40f.) nicht nur nicht haben<br />

ausbauen, sondern mit einer Reduktion um über 50% nicht einmal annähernd haben halten können.<br />

Sie haben sich dem allgemeinen Ansehensverlust der Universitäten nicht entziehen können.<br />

Gleichzeitig ist der von Bourdieu, Boltanski <strong>und</strong> de Saint Martin aufgr<strong>und</strong> der Veränderung des<br />

Managertyps prognostizierte Bedeutungsverlust der ingenieurwissenschaftlich ausgerichteten<br />

Grandes Écoles auf die weniger angesehenen unter ihnen beschränkt geblieben. Die École Polytechnique<br />

war von diesem Prozeß nicht betroffen, hat ihr Gewicht im Gegenteil sogar noch erhöht,<br />

weil sie die Exklusivität ihrer Abschlüsse hat bewahren können.<br />

Eine soziale Vorauslese der Studierenden erfolgt dabei schon in den Schulen. So schaffen die Kinder<br />

von Arbeitern das Baccalaureat, also den Abschluß des Lycées, nur zu ca. 20% <strong>und</strong> die von<br />

normalen Angestellten, Beamten <strong>und</strong> Kleinunternehmern auch nur auf zu ca. 38%, während die<br />

Kinder von akademischen Freiberuflern, leitenden Angestellten <strong>und</strong> Lehrkräften mit fast 80% wesentlich<br />

erfolgreicher sind (Kerviel 1991: 44). Die zweite entscheidende Hürde stellt die Wahl<br />

eines bestimmten Typs des Baccalaureats dar. Wer sich berechtigte Chancen ausrechnen will, die<br />

Aufnahmeprüfung für eine der Classes préparatoires als unabdingbare Voraussetzung für den Besuch<br />

einer Grande École zu bestehen, versucht in der Regel das Baccalaureat C (Bac-C) 31 mit seinem<br />

mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkt zu machen, das von weniger als 16%<br />

aller Bac-Absolventen bestanden wird (Roulin-Lefebvre / Esquieu 1992: 6). Denn von den Inhabern<br />

eines Bac-C schaffen ungefähr fünfmal mehr den Sprung in eine der Classes préparatoires als<br />

der Durchschnitt aller Bac-Absolventen (HCEE 1990: 42ff., 76) <strong>und</strong> sie stellen insgesamt 57%<br />

aller Schüler in den Classes préparatoires (Croissandeau 1989: 24). Das Bac-C wird dementsprechend<br />

in weit überdurchschnittlichem Maße vom Nachwuchs des gehobenen Bürgertums gewählt<br />

<strong>und</strong> bestanden. Während der Anteil der Kinder von „Cadres et professions liberales“ bei den Absolventen<br />

der wenig angesehenen Bacs der Typen F <strong>und</strong> G nur bei jeweils 14% liegt, beträgt er<br />

beim Bac-C 48%, verglichen mit ca. 40% (Bac-F, Bac-G) bzw. 19% (Bac-C) für die Kinder von<br />

normalen Angestellten <strong>und</strong> Arbeitern (Kerviel 1991: 40f.; Roulin-Lefebvre / Esquieu 1992: 6).<br />

Obwohl an den meisten renommierten Grandes Écoles keine Studiengebühren verlangt werden<br />

<strong>und</strong> das Zulassungsverfahren in Form standardisierter Prüfungen allen die gleichen Chancen zu<br />

eröffnen scheint, sorgt das französische Bildungssystem dennoch für eine äußerst effektive soziale<br />

Auslese zugunsten des Nachwuchses der „Classe dominante“. Diese „Effizienz“ hat eine wesentliche<br />

Ursache. Die Familien aus der „Classe dominante“ verfügen über die für ein erfolgreiches<br />

Bestehen der zahlreichen Prüfungen notwendigen kulturellen <strong>und</strong> auch ökonomischen Voraussetzungen<br />

in weitaus größerem Maße als die Familien aus den anderen Klassen <strong>und</strong> Schichten. Sie<br />

31 Seit 1995 sind die ehemaligen Bac-C, -D, -D’ <strong>und</strong> -E im neuen Bac-S (Bac-Scientifique) zusammengefaßt. Da das<br />

Bac-S aber Schwerpunktsetzungen für bestimmte Gebiete wie z.B. Mathematik ermöglicht, dürfte sich an der sozialen<br />

Auslesefunktion nichts Gravierendes ändern.

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