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Predigt zum Volkstrauertag Pfarrer Ulrich Dahmer

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<strong>Predigt</strong> <strong>zum</strong> <strong>Volkstrauertag</strong><br />

Thema: Das Leiden dieser Zeit und Hoffnung für die Schöpfung<br />

am 18.11.2007 in Klein-Winternheim<br />

<strong>Pfarrer</strong> <strong>Ulrich</strong> <strong>Dahmer</strong><br />

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des<br />

Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen<br />

Liebe Gemeinde,<br />

als <strong>Volkstrauertag</strong> steht der heutige Tag<br />

in unseren Kalendern. Getrauert wird über<br />

die Opfer der Kriege, besonders jener<br />

beiden schrecklichen Weltkriege im<br />

letzten Jahrhundert. 62 Jahre nach Ende<br />

des 2. Weltkrieges leben noch etliche, die<br />

diese Zeit als junge Erwachsene oder als<br />

Kinder erlebt haben.<br />

Es leben noch die Kinder, auch<br />

Geschwister und Freunde derjenigen, die<br />

damals gestorben sind. Viele denken<br />

heute noch an diese Opfer, deren Namen<br />

und Gesichter sie nicht vergessen können<br />

und nicht vergessen wollen. Und viele<br />

tragen heute noch schwer an den inneren<br />

und äußeren Verletzungen, die sie damals<br />

selbst erlitten haben.<br />

Der <strong>Volkstrauertag</strong> will die Erinnerung<br />

daran wach halten und zugleich mahnen,<br />

dass die Gewalt, die durch Kriege<br />

entfesselt wird, nicht zu rechtfertigen ist<br />

und kein geeignetes Mittel zur Lösung von<br />

Konflikten darstellt.<br />

Der <strong>Volkstrauertag</strong> mahnt alle, sich<br />

diesem Wahnsinn entgegenzustellen.<br />

Auch unsere Agende kennt den <strong>Volkstrauertag</strong><br />

und hat deswegen auch den<br />

Leitgedanken: Trauer um die Toten. Aber<br />

der zweitletzte Sonntag im Kirchenjahr<br />

wird auch als christlicher Hoffnungstag<br />

gefeiert. Wir werden erinnert an den Tag<br />

Gottes, der kommen wird. Unser aller<br />

Leben und auch die gesamte Welt wird<br />

von Gott selbst verwandelt werden.<br />

Aber wie passt nun beides zusammen?<br />

Macht es Sinn, im heutigen Gottesdienst,<br />

indem an das Leid von Millionen von<br />

Menschen gedacht wird, gleichzeitig das<br />

Wort Hoffnung in den Mund zu nehmen?<br />

Wird da nicht Trost zur Vertröstung, führt<br />

da nicht eine billige Hoffnung zur<br />

Abspeisung der Opfer?<br />

Einer, der immer wieder diese Spannung<br />

thematisiert und aufgegriffen hat ist<br />

Paulus. Er hat immer wieder gerade den<br />

Zusammenhang von Leiden und Hoffen<br />

beschrieben, so wie in unserem heutigen<br />

<strong>Predigt</strong>text:<br />

Röm 8,18 - 25:<br />

18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit<br />

Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber<br />

der Herrlichkeit, die an uns offenbart<br />

werden soll.<br />

19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur<br />

wartet darauf, dass die Kinder Gottes<br />

offenbar werden.<br />

20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der<br />

Vergänglichkeit - ohne ihren Willen,<br />

sondern durch den, der sie unterworfen<br />

hat -, doch auf Hoffnung;<br />

21 denn auch die Schöpfung wird frei<br />

werden von der Knechtschaft der<br />

Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit<br />

der Kinder Gottes.<br />

22 Denn wir wissen, dass die ganze<br />

Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit<br />

uns seufzt und sich ängstigt.


23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir<br />

selbst, die wir den Geist der Erstlingsgabe<br />

haben, seufzen in uns selbst und sehnen<br />

uns nach der Kindschaft, der Erlösung<br />

unseres Leibes.<br />

24 Denn wir sind zwar gerettet, doch auf<br />

Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man<br />

sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann<br />

man auf das hoffen, was man sieht?<br />

25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir<br />

nicht sehen, so warten wir darauf in<br />

Geduld.<br />

Paulus spricht von „dieser Zeit Leiden“.<br />

Und er spricht diese Worte nicht in den<br />

luftleeren Raum, denn er richtet seine<br />

Worte in seinem Brief an die römischen<br />

Christen. Christ zu sein im damaligen<br />

Rom war nicht ungefährlich.<br />

Und Paulus spricht mit seinen Worten<br />

auch nicht im Sinne einer billigen<br />

Vertröstung, denn er selber wusste auch,<br />

was Leid bedeutet. Er wurde seit seinem<br />

Berufungserlebnis verhöhnt, verfolgt und<br />

gefangen genommen. Er wusste sehr gut,<br />

was Not, Leiden und Hoffnungslosigkeit<br />

ist.<br />

„Dieser Zeit Leiden“ - Diese Formulierung<br />

lädt geradezu ein, eine Brücke zur<br />

heutigen Zeit zu schlagen.<br />

Ich denke da besonders an eine Frau, die<br />

ich während meiner Zeit als Zivildienstleistender<br />

immer wieder besucht habe.<br />

Geheiratet hatte sie blutjung mit ca. 20<br />

Jahren. Es muss noch zu Beginn des<br />

Krieges gewesen sein, als sie ihrem<br />

Mann, wohl ähnlich jung, das Jawort<br />

gegeben hatte. Ich erinnere mich noch<br />

genau an das Hochzeitsfoto, das sie mir<br />

damals zeigte, auf dem sie ein schlichtes<br />

weißes Hochzeitskleid trug und ihr Mann<br />

eine Soldatenuniform. Beide schauten<br />

unendlich ernst auf diesem Foto. Und das<br />

hatte wegen des Krieges seinen Grund,<br />

obwohl die alte Frau mir erzählte, dass sie<br />

damals Hoffnung hatten, sie und ihr<br />

Mann. Hoffnung, sich wiederzusehen und<br />

ein gemeinsames Leben in Frieden zu<br />

führen.<br />

Doch soweit kam es nicht, denn für die<br />

gemeinsame Kontaktaufnahme blieben<br />

nur noch Briefe. Noch vor dem ersten<br />

Heimaturlaub wurde ihr Mann bereits als<br />

vermisst gemeldet.<br />

Sie selbst bekam einen Sohn, den die<br />

Frau alleine großziehen und versorgen<br />

musste.<br />

Jahre später bekam sie die Nachricht,<br />

dass ihr Mann in Kriegsgefangenschaft<br />

gestorben war.<br />

Die Lebensgeschichte der alten Frau ist<br />

mir über all die Jahre in Erinnerung<br />

geblieben, weil sie ihre Geschichte erzählte,<br />

als sei sie gestern gewesen. Ich<br />

bewunderte damals als junger Zivildienstleistender<br />

einerseits ihre Kraft, die sie<br />

ausstrahlte und mit der sie das alles<br />

meistern konnte. Andererseits bewegte es<br />

mich, dass sie mir sagte, dass sie nie<br />

wieder geheiratet hatte. Sie war also ihr<br />

ganzes Leben lang vom Krieg gezeichnet<br />

geblieben, von dem, was 1939 - 1945<br />

geschah. Sie war nicht nur Witwe,<br />

sondern auch Opfer des Krieges und ihre<br />

Wunden waren noch immer zu sehen, ein<br />

unbewältigtes Trauma, das eigentlich<br />

nicht alleine zu bewältigen ist.<br />

„Dieser Zeit Leiden“, da fällt mir auch ein<br />

ehemaliger Nachbar ein. Er ist Frührentner.<br />

Er hatte einen schweren Arbeitsunfall<br />

und ist seitdem berufsunfähig.<br />

Dieser Mann ist alleine, wirkt sehr<br />

depressiv und riecht häufig nach Alkohol.<br />

„Mich braucht niemand mehr“ sagte er mir<br />

einmal mit trauriger Stimme und doch<br />

konnte ich ihm meistens nur kurze Zeit<br />

Gesellschaft leisten.<br />

„Dieser Zeit Leiden“ - neben diesen<br />

persönlichen Beispielen sehe ich die<br />

dunklen Farben, in denen unsere Welt<br />

uns manchmal erscheint und von denen<br />

ich mich oft nur schwer frei machen kann.<br />

Ich denke an den Schüler der IGS in<br />

Mainz-Bretzenheim, der seinem Leben<br />

selbst ein Ende gesetzt hat. Ich denke an<br />

die Angst vor einem Amoklauf an<br />

derselben Schule. Ich denke an die Opfer<br />

des Widerstandes in Burma, die vielen<br />

Opfer des Krieges in Irak, Afghanistan,<br />

Israel und Palästina und anderswo auf der<br />

Welt.<br />

„Dieser Zeit Leiden“ - kann für jede und<br />

jeden einzelnen von Euch und von Ihnen<br />

auch ein ganz anderes konkretes Gesicht<br />

haben: Die eigene schwere Erkrankung,


die Angst um Angehörige. Viele Menschen<br />

beschäftigt die Frage: Wie soll es<br />

weitergehen?<br />

Doch bei alledem: Paulus bleibt dabei<br />

nicht stehen, wenn er von „Dieser Zeit<br />

Leiden“ spricht: Vielmehr legt er alle<br />

Leiden dieser Welt auf eine unsichtbare<br />

Waage und sagt: Eigentlich fällt das<br />

ganze Leid nicht ins Gewicht, angesichts<br />

dessen, was uns in Zukunft erwartet an<br />

Herrlichkeit bei Gott. Für Paulus ist die<br />

Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes<br />

eine ganz wichtige Antriebsfeder, um<br />

angesichts des Leidens dieser Welt nicht<br />

zu resignieren.<br />

Paulus verwendet für diese Hoffnung auf<br />

die Herrlichkeit bei Gott jedoch keine<br />

großspurigen Bilder, wie blühende Gärten<br />

oder Ähnliches.<br />

Paulus ist da ganz vorsichtig, denn er<br />

weiß, dass diese Bilder oft von<br />

menschlichen Ideologien und Ideen missbraucht<br />

werden. Er spricht vom Sieg<br />

Gottes über alle Gewalt, doch auch er<br />

weiß nicht, wie die neue Welt aussehen<br />

wird.<br />

Vielmehr verwendet Paulus Metaphern,<br />

die wirklich trösten sollen, uns Menschen<br />

Hoffnung geben sollen angesichts des<br />

vielen Leidens dieser Welt und der<br />

oftmals vergeblichen Versuche, dieses<br />

Leid aktiv einzudämmen und zu verhindern.<br />

Paulus beschreibt die Schmerzen unserer<br />

Zeit deswegen als eine Art Durchgangsstation<br />

zu einem neuen Leben.<br />

Mit dem Seufzen und dem Ängstigen, von<br />

dem in unserem <strong>Predigt</strong>text die Rede ist,<br />

meint Paulus im griechischen Urtext<br />

eigentlich die Schmerzen einer Frau, die<br />

in den Wehen liegt, aber durch diese<br />

Schmerzen hindurch neues Leben in die<br />

Welt bringt.<br />

Paulus versucht allen leidenden Kreaturen<br />

damit Trost und Hoffnung zu schenken,<br />

indem er sagt: Die Schmerzen und das<br />

Leiden sind nichts Endgültiges. Sie sind<br />

nur eine Durchgangsstation, wie bei einer<br />

Geburt. Es sind Schmerzen, die der Welt<br />

Gottes vorausgehen, auf die wir aber<br />

hoffen dürfen.<br />

Was gibt uns Anlass für diese Hoffnung?<br />

Paulus spricht in diesem Zusammenhang<br />

auf den ersten Blick etwas unverständlich<br />

von der „Erstlingsfrucht des Geistes<br />

Gottes“, von der wir schon kosten<br />

können.<br />

Er meint damit, dass wir durch die<br />

Verbindung mit dem Leben, Sterben und<br />

Auferstehen Jesu Christi so etwas wie<br />

einen Vorgeschmack dessen erfahren,<br />

was uns in der neuen Welt Gottes<br />

erwartet.<br />

Vielleicht kann man es so beschreiben -<br />

wie der Vorgeschmack auf das, was noch<br />

folgt - wenn man die erste Erdbeere des<br />

Sommers gepflückt hat.<br />

Es ist dies jener Vorgeschmack, den uns<br />

Gott durch seinen Geist schenkt. Er<br />

verbindet uns mit Jesus Christus und lässt<br />

uns auf das hoffen, was uns erwartet,<br />

wenn all das Leid überwunden ist.<br />

Dieser Vorgeschmack von der<br />

Erstlingsfrucht des Geistes Gottes<br />

kann dann die Kraft geben, um Leiden<br />

und Schmerzen zu widerstehen. Es ist<br />

das Mittel gegen Resignation vor dem,<br />

was uns in unserem Leben so zu schaffen<br />

macht.<br />

Schon einmal wurde Leiden, Sterben und<br />

Tod überwunden und wir haben schon<br />

jetzt teil an dieser Kraft.<br />

Das macht Hoffnung auf Gottes Handeln<br />

hin und kann uns stärken, dieser Zeit<br />

Leiden zu tragen und auf Hoffnung hin zu<br />

leben.<br />

Dies gilt auch heute, am <strong>Volkstrauertag</strong><br />

oder dem vorletzten Sonntag im Kirchenjahr.<br />

Die Erinnerung an die Leiden der Kriege,<br />

die bis heute nicht aufgehört haben,<br />

werden getragen von unserer Hoffnung,<br />

die vom Ende menschlicher Gewalt und<br />

vom Sieg über den Tod getragen ist.<br />

Amen.<br />

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in<br />

Christus Jesus. Amen

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