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Predigt zum Volkstrauertag Pfarrer Ulrich Dahmer

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23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir<br />

selbst, die wir den Geist der Erstlingsgabe<br />

haben, seufzen in uns selbst und sehnen<br />

uns nach der Kindschaft, der Erlösung<br />

unseres Leibes.<br />

24 Denn wir sind zwar gerettet, doch auf<br />

Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man<br />

sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann<br />

man auf das hoffen, was man sieht?<br />

25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir<br />

nicht sehen, so warten wir darauf in<br />

Geduld.<br />

Paulus spricht von „dieser Zeit Leiden“.<br />

Und er spricht diese Worte nicht in den<br />

luftleeren Raum, denn er richtet seine<br />

Worte in seinem Brief an die römischen<br />

Christen. Christ zu sein im damaligen<br />

Rom war nicht ungefährlich.<br />

Und Paulus spricht mit seinen Worten<br />

auch nicht im Sinne einer billigen<br />

Vertröstung, denn er selber wusste auch,<br />

was Leid bedeutet. Er wurde seit seinem<br />

Berufungserlebnis verhöhnt, verfolgt und<br />

gefangen genommen. Er wusste sehr gut,<br />

was Not, Leiden und Hoffnungslosigkeit<br />

ist.<br />

„Dieser Zeit Leiden“ - Diese Formulierung<br />

lädt geradezu ein, eine Brücke zur<br />

heutigen Zeit zu schlagen.<br />

Ich denke da besonders an eine Frau, die<br />

ich während meiner Zeit als Zivildienstleistender<br />

immer wieder besucht habe.<br />

Geheiratet hatte sie blutjung mit ca. 20<br />

Jahren. Es muss noch zu Beginn des<br />

Krieges gewesen sein, als sie ihrem<br />

Mann, wohl ähnlich jung, das Jawort<br />

gegeben hatte. Ich erinnere mich noch<br />

genau an das Hochzeitsfoto, das sie mir<br />

damals zeigte, auf dem sie ein schlichtes<br />

weißes Hochzeitskleid trug und ihr Mann<br />

eine Soldatenuniform. Beide schauten<br />

unendlich ernst auf diesem Foto. Und das<br />

hatte wegen des Krieges seinen Grund,<br />

obwohl die alte Frau mir erzählte, dass sie<br />

damals Hoffnung hatten, sie und ihr<br />

Mann. Hoffnung, sich wiederzusehen und<br />

ein gemeinsames Leben in Frieden zu<br />

führen.<br />

Doch soweit kam es nicht, denn für die<br />

gemeinsame Kontaktaufnahme blieben<br />

nur noch Briefe. Noch vor dem ersten<br />

Heimaturlaub wurde ihr Mann bereits als<br />

vermisst gemeldet.<br />

Sie selbst bekam einen Sohn, den die<br />

Frau alleine großziehen und versorgen<br />

musste.<br />

Jahre später bekam sie die Nachricht,<br />

dass ihr Mann in Kriegsgefangenschaft<br />

gestorben war.<br />

Die Lebensgeschichte der alten Frau ist<br />

mir über all die Jahre in Erinnerung<br />

geblieben, weil sie ihre Geschichte erzählte,<br />

als sei sie gestern gewesen. Ich<br />

bewunderte damals als junger Zivildienstleistender<br />

einerseits ihre Kraft, die sie<br />

ausstrahlte und mit der sie das alles<br />

meistern konnte. Andererseits bewegte es<br />

mich, dass sie mir sagte, dass sie nie<br />

wieder geheiratet hatte. Sie war also ihr<br />

ganzes Leben lang vom Krieg gezeichnet<br />

geblieben, von dem, was 1939 - 1945<br />

geschah. Sie war nicht nur Witwe,<br />

sondern auch Opfer des Krieges und ihre<br />

Wunden waren noch immer zu sehen, ein<br />

unbewältigtes Trauma, das eigentlich<br />

nicht alleine zu bewältigen ist.<br />

„Dieser Zeit Leiden“, da fällt mir auch ein<br />

ehemaliger Nachbar ein. Er ist Frührentner.<br />

Er hatte einen schweren Arbeitsunfall<br />

und ist seitdem berufsunfähig.<br />

Dieser Mann ist alleine, wirkt sehr<br />

depressiv und riecht häufig nach Alkohol.<br />

„Mich braucht niemand mehr“ sagte er mir<br />

einmal mit trauriger Stimme und doch<br />

konnte ich ihm meistens nur kurze Zeit<br />

Gesellschaft leisten.<br />

„Dieser Zeit Leiden“ - neben diesen<br />

persönlichen Beispielen sehe ich die<br />

dunklen Farben, in denen unsere Welt<br />

uns manchmal erscheint und von denen<br />

ich mich oft nur schwer frei machen kann.<br />

Ich denke an den Schüler der IGS in<br />

Mainz-Bretzenheim, der seinem Leben<br />

selbst ein Ende gesetzt hat. Ich denke an<br />

die Angst vor einem Amoklauf an<br />

derselben Schule. Ich denke an die Opfer<br />

des Widerstandes in Burma, die vielen<br />

Opfer des Krieges in Irak, Afghanistan,<br />

Israel und Palästina und anderswo auf der<br />

Welt.<br />

„Dieser Zeit Leiden“ - kann für jede und<br />

jeden einzelnen von Euch und von Ihnen<br />

auch ein ganz anderes konkretes Gesicht<br />

haben: Die eigene schwere Erkrankung,

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