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Zur Systemtheorie Niklas Luhmanns - Uboeschenstein.ch

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Die Funktionssysteme der Gesells<strong>ch</strong>aft können si<strong>ch</strong> we<strong>ch</strong>selseitig Umwelt sein. Aber was ist<br />

die Umwelt der Gesells<strong>ch</strong>aft? Dieser Blick auf die Gesells<strong>ch</strong>aft eröffnet zunä<strong>ch</strong>st den Blick<br />

auf jene Paradoxien, die damit verbunden sind, wenn aus der Gesells<strong>ch</strong>aft heraus<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft selbst beoba<strong>ch</strong>tet wird.<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft ist das umfassendste Kommunikationssystem selbst; das bedeutet,<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft hat keine kommunikative oder soziale Umwelt mehr; Gesells<strong>ch</strong>aft selbst ist in<br />

der Weise ein sozialer sowie kommunikativer Letzthorizont, wie Welt ein Letzthorizont<br />

allen Sinnes ist (Soziale Systeme, S.105). Die Gesells<strong>ch</strong>aft ist damit für gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e,<br />

also kommunikative Operationen unerrei<strong>ch</strong>bar geworden (Peter Fu<strong>ch</strong>s: Die Errei<strong>ch</strong>barkeit<br />

der Gesells<strong>ch</strong>aft), weil keine Operation den ar<strong>ch</strong>imedis<strong>ch</strong>en Punkt. außerhalb der<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft einnehmen kann. Jeder Versu<strong>ch</strong>, Gesells<strong>ch</strong>aft zu errei<strong>ch</strong>en, sei es zum Beispiel<br />

wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> oder soziologis<strong>ch</strong>, vollzieht Gesells<strong>ch</strong>aft zwangsweise mit und führt so zu<br />

Paradoxien der Beoba<strong>ch</strong>tung.<br />

Die <strong>Systemtheorie</strong> zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> gerade dur<strong>ch</strong> das explizite Bewusstsein dieser Tatsa<strong>ch</strong>e<br />

aus. Überblickt man ihre Entwicklung, so kann man erkennen, dass in der Entfaltung von<br />

Paradoxie von Anfang an ein Potenzial der Theorieentfaltung lag, das si<strong>ch</strong> in den späteren<br />

Arbeiten immer deutli<strong>ch</strong>er aktualisiert hat. Zum einen geraten damit die späte immer klarer in<br />

den Vordergrund tretenden konstruktivistis<strong>ch</strong>en Übernahmen in die <strong>Systemtheorie</strong> und zum<br />

anderen die verstärkte Autoreflexierung der Theorie in den Blickpunkt. Beide Sphären<br />

hängen insofern zusammen, als die konstruktivistis<strong>ch</strong>en Übernahmen zu Theorieelementen<br />

zusammengefasst werden, mit deren Hilfe es mögli<strong>ch</strong> ist, die Paradoxien, wie sie mit der<br />

Autoreflexierung immer deutli<strong>ch</strong>er zu Tage treten, selbst no<strong>ch</strong> theoretis<strong>ch</strong> handhaben zu<br />

können.<br />

Die Übernahmen betreffen (1) das Konzept der Autopoiesis und (2) das Konzept des<br />

Beoba<strong>ch</strong>ters aus der konstruktivistis<strong>ch</strong>e orientierten Biologie (Matura, Varela), ebenso wie<br />

(3) die Übernahme der Medium/Ding-Differenz als Medium/Form-Differenz, von Fritz Heider<br />

und (4) die Übernahme des Differenzkalküls von George Spencer Brown.<br />

Bereits im Konzept der Autopoiesis ist diese paradoxale Selbstreferenz angelegt.<br />

„Autopoiesis“ bezei<strong>ch</strong>net zunä<strong>ch</strong>st Selbstreproduktionsme<strong>ch</strong>anismen von Lebewesen, der<br />

Begriff wird aber von Luhmann modifiziert und als konstitutives Kennzei<strong>ch</strong>en sozialer<br />

Systeme verstanden. Soziale Systeme sind autopoietis<strong>ch</strong>e Systeme, und ein<br />

autopoietis<strong>ch</strong>es System - so eine griffige Definition - ist ein „System das si<strong>ch</strong> mittels der<br />

Reproduktion seine Elemente, aus denen es besteht, dur<strong>ch</strong> die Elemente, aus denen es<br />

besteht, reproduziert“ (Dirk Baecker). Gesells<strong>ch</strong>aft als das umfassendste Sinn- und<br />

Kommunikationssystem ist daher au<strong>ch</strong> „das autopoietis<strong>ch</strong>e System par excellance (Soziale<br />

Systeme, S.555). Mit dem Autopoiesis-Konzept wird no<strong>ch</strong> einmal der enge Zusammenhang<br />

zwis<strong>ch</strong>en Kommunikation und Sinn unterstri<strong>ch</strong>en. Autopoiesis kann si<strong>ch</strong> nur vollziehen,<br />

wenn zuglei<strong>ch</strong> Sinn vorliegt. Und insofern kann man systemtheoretis<strong>ch</strong> sagen, dass Sinn<br />

das Medium der Autopoiesis ist. Autopoiesis ist somit die Form, in der Sinnsysteme<br />

prozessieren. Dasselbe gilt umgekehrt: Sinnsysteme prozessieren autopoietis<strong>ch</strong>!<br />

Jede Kommunikation ist Vollzug von Autopoiesis und mithin Vollzug von Gesells<strong>ch</strong>aft. An der<br />

Autopoiesis wird die Autoreflexivität der Gesells<strong>ch</strong>aft in ihren Operationen offenbar. Das<br />

daraus entspringende epistemologis<strong>ch</strong>e Problem, wie denn überhaupt Autopoiesis erkannt<br />

werden kann, wenn das Erkennen der Autopoiesis selbst s<strong>ch</strong>on autopoietis<strong>ch</strong>e ist, wird<br />

mittels des Beoba<strong>ch</strong>tertheorems abgearbeitet. Zuglei<strong>ch</strong> führt die Idee der Autopoiesis ni<strong>ch</strong>t<br />

nur der Gesells<strong>ch</strong>aft und der Sinnsysteme, sondern au<strong>ch</strong> die Spezifikationen ihres Vollzugs,<br />

die man funktional als Wissens<strong>ch</strong>aft, philosophis<strong>ch</strong> als Erkennen oder s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>tweg als<br />

Theorie bezei<strong>ch</strong>nen kann, in das Zentrum konstruktivistis<strong>ch</strong>en Denkens: Erkenntnis, die<br />

si<strong>ch</strong> selbst aus si<strong>ch</strong> selbst heraus hervorbringt.<br />

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