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Zur Systemtheorie Niklas Luhmanns - Uboeschenstein.ch

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Die Leitidee des Beoba<strong>ch</strong>tertheorems besagt, dass alles, was gesagt wird, von einem<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter gesagt wird. Wenn das, was gesagt wird, als kommunikative Bes<strong>ch</strong>reibung der<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft bzw. als sinnhafte Bes<strong>ch</strong>reibung der Welt identifiziert wird, so kann man diese<br />

Leitidee zu einem puren Konstruktivismus verkürzen: Alles, was ist, ist nur, weil es<br />

beoba<strong>ch</strong>tet wird.<br />

Damit vers<strong>ch</strong>winden ontologis<strong>ch</strong>e Prämissen von der Vorrangigkeit des Beoba<strong>ch</strong>teten<br />

vor der Beoba<strong>ch</strong>tung; und glei<strong>ch</strong>zeitig leitet Luhmann daraus einen methodologis<strong>ch</strong>en<br />

Grundsatz der <strong>Systemtheorie</strong> ab: sie we<strong>ch</strong>selt von der Beoba<strong>ch</strong>tung des Was zur<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung des Wie (vgl. z.B. „Die Wissens<strong>ch</strong>aft der Gesells<strong>ch</strong>aft“, S.95).<br />

Mit dem Beoba<strong>ch</strong>ter wird es mögli<strong>ch</strong>, ein Paradox, wie es si<strong>ch</strong> im Spannungsverhältnis von<br />

Gegenstand und Theorie ausdrückt, ni<strong>ch</strong>t nur zu bes<strong>ch</strong>reiben, sondern zuglei<strong>ch</strong> produktiv für<br />

eben die Beoba<strong>ch</strong>tung fru<strong>ch</strong>tbar zu ma<strong>ch</strong>en. Ein Beoba<strong>ch</strong>ter kann alles sehen (sowie eine<br />

Theorie jeden mögli<strong>ch</strong>en oder sogar alle mögli<strong>ch</strong>en Gegenständefokussierung kann), er<br />

kann nur si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t sehen.<br />

Der Beoba<strong>ch</strong>ter bzw. die Operation des Beoba<strong>ch</strong>tens ist für si<strong>ch</strong> selbst blind. Diese<br />

Unbeoba<strong>ch</strong>tbarkeit nennt man den "blinden Fleck“, gegen jede Beoba<strong>ch</strong>tung auszei<strong>ch</strong>net.<br />

Der blinde Fleck ist gerade die konstitutive Voraussetzung, die conditio sine qua non der<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung. Darin liegt die Paradoxie des Beoba<strong>ch</strong>tens begründet, die, wenn man sie<br />

positiv wendet, zu einer Tautologie gerinnt: der Beoba<strong>ch</strong>ter sieht nur, was er sieht, und sieht<br />

ni<strong>ch</strong>t, was er ni<strong>ch</strong>t sieht. Beoba<strong>ch</strong>ten ist eine Operation, die eine Unters<strong>ch</strong>eidung trifft und<br />

nur die eine, ni<strong>ch</strong>t die andere Seite der Unters<strong>ch</strong>eidung bezei<strong>ch</strong>net. Damit befindet si<strong>ch</strong> der<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter selbst auf der bezei<strong>ch</strong>neten Seite; er kann ni<strong>ch</strong>t mehr die Einheit der Differenz<br />

sehen, die ein höhererstufiger Beoba<strong>ch</strong>ter sehen könnte; ein sol<strong>ch</strong>er, sieht, was ein<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter sieht, und zuglei<strong>ch</strong>, was dieser ni<strong>ch</strong>t sieht. Wenn man bedenkt, dass die Einheit<br />

der Differenz zuglei<strong>ch</strong> die Sinnformel darstellt, so ist die Beoba<strong>ch</strong>tung an dem<br />

Übergangsmoment situiert, an dem Sinn autopoietis<strong>ch</strong> entsteht.<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung ist selbst ein paradoxaler Prozess. Beoba<strong>ch</strong>tung ist immer die Einheit der<br />

Differenz und die Differenz zuglei<strong>ch</strong>; Beoba<strong>ch</strong>tung ist unters<strong>ch</strong>eiden und bezei<strong>ch</strong>nen bzw.<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung und Operation. Genau dieser letzte Differenz ist aber in der Lage, die<br />

Paradoxie aufzulösen, so dass Beoba<strong>ch</strong>tung trotz des paradoxalen Charakters produktiv<br />

werden kann. Man kann Beoba<strong>ch</strong>tung nämli<strong>ch</strong> selbst beoba<strong>ch</strong>ten und erzeugt damit<br />

zunä<strong>ch</strong>st das Paradox der Identität von Identität und Differenz. Die Aporie wird aber<br />

produktiv umgangen, weil diese Beoba<strong>ch</strong>tung ihrerseits einen Unters<strong>ch</strong>ied ma<strong>ch</strong>t, nämli<strong>ch</strong><br />

denen zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>tung und Operation. Die Beoba<strong>ch</strong>tung ist eine Operation, die als<br />

Operation für si<strong>ch</strong> selbst unbeoba<strong>ch</strong>tbar bleibt. Aber ein anderer Beoba<strong>ch</strong>ter kann diese<br />

Operation beoba<strong>ch</strong>ten. Entweder s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> an die Beoba<strong>ch</strong>tung eine weitere<br />

Beoba<strong>ch</strong>tungen an, oder aber ein anderer Beoba<strong>ch</strong>ter beoba<strong>ch</strong>tet den Beoba<strong>ch</strong>ter beim<br />

Beoba<strong>ch</strong>ten. Aber au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>tungen unterstehen derselben Paradoxie, die nur<br />

dur<strong>ch</strong> weitere Beoba<strong>ch</strong>tungen umgangen werden kann und so ad infinitum. Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

dürfen dabei ni<strong>ch</strong>t personal interpretiert werden. Beoba<strong>ch</strong>ter ist jede Instanz, die zu<br />

unters<strong>ch</strong>eiden und zu bezei<strong>ch</strong>nen in der Lage ist.<br />

Jedes soziale System kann Beoba<strong>ch</strong>ter sein, aber au<strong>ch</strong> jede Theorie ist zwangsweise<br />

ein Beoba<strong>ch</strong>ter. Und die <strong>Systemtheorie</strong> ist eine Theorie, die ni<strong>ch</strong>t etwas beoba<strong>ch</strong>tet,<br />

sondern beoba<strong>ch</strong>tet, wie beoba<strong>ch</strong>tet wird und insbesondere au<strong>ch</strong>, wie sie selbst<br />

beoba<strong>ch</strong>tet. Die Autoreflexierung der <strong>Systemtheorie</strong> wird dur<strong>ch</strong> die Ausarbeitung des<br />

Beoba<strong>ch</strong>tertheorems ni<strong>ch</strong>t nur begleitet, sondern vorangetrieben.<br />

Die beiden anderen Übernahmen von Theorieelementen aus dem Konstruktivismus hängen<br />

unmittelbar damit zusammen und verdi<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> im Begriff der Form. Von Spencer Brown<br />

übernimmt Luhmann die Idee, dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung ni<strong>ch</strong>t nur eine Differenz erzeugt,<br />

sondern dass diese Differenz immer au<strong>ch</strong> als Form interpretiert werden kann. Form ist<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. Sie wiederholt damit die Paradoxie, die s<strong>ch</strong>on in der Beoba<strong>ch</strong>tung mit der<br />

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