Polizei - Uni-marburg.de
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Philipps-<strong>Uni</strong>versität Marburg WS 2012/2013<br />
<strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrecht<br />
- 14 Doppelstun<strong>de</strong>n -<br />
Lehrbeauftragter RVGH i.R. Falko Jeuthe<br />
Dienstag, 29. Januar 2013<br />
(2 Doppelstun<strong>de</strong>n)<br />
E. Spezialbereiche behördlicher Gefahrenabwehr<br />
I. Vorbemerkungen<br />
Neben <strong>de</strong>m allgemeinen <strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrecht gibt es eine Vielzahl son<strong>de</strong>rgesetzlicher<br />
Gefahrenabwehrregelungen. Diese sind mit ihren unterschiedlichsten<br />
Verfahrensgestaltungen in weitem Umfang von erheblicher Klausurrelevanz. Zwar<br />
sind sie teilweise Gegenstand eigener Veranstaltungen; soweit sie erfahrungsgemäß<br />
häufig in Klausuren eine Rolle spielen, sollen sie hier aber je<strong>de</strong>nfalls in ihren Grundzügen<br />
und einzelnen Beson<strong>de</strong>rheiten kurz angesprochen wer<strong>de</strong>n.<br />
Im Sinne <strong>de</strong>r bereits im geschichtlichen Teil angesprochenen „Entpolizeilichung“<br />
sind diese ausgeglie<strong>de</strong>rten Son<strong>de</strong>rbereiche i.d.R. allgemeinen Ordnungs- o<strong>de</strong>r Verwaltungsbehör<strong>de</strong>n<br />
übertragen, weil die Gefahrenabwehr häufig vorsorgend „vom<br />
Schreibtisch aus“ und nicht „vor Ort“ erfolgt. Diese Gesetze enthalten häufig keine<br />
Aufgabenzuweisungsnormen zur Überwachung <strong>de</strong>r „gefahrenträchtigen“ Bereiche.<br />
In neueren Gesetzen - wie BImSchG, AtG, KrW-/AbfG o<strong>de</strong>r BBodSchG – fin<strong>de</strong>n sich<br />
dagegen sog. Zwecknormen, die sowohl <strong>de</strong>r Verwaltung wie auch <strong>de</strong>n beteiligten<br />
Privaten (Anlagenbetreiber, Entsorgungspflichtige etc.) die Verwirklichung <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />
Ziele auferlegen. Bei <strong>de</strong>n Befugnisnormen fin<strong>de</strong>t sich oft keine Durchstrukturierung<br />
wie im HSOG, son<strong>de</strong>rn – im Sinne <strong>de</strong>r preußischen Tradition – nur<br />
eine Generalklausel (vgl. etwa § 53 Abs. 2 HBO; § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG;<br />
§ 5 Abs. 1 BGastG, noch neun Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r).<br />
Eine wichtige Beson<strong>de</strong>rheit dieser ausgeglie<strong>de</strong>rten Spezialbereiche besteht darin,<br />
dass die Gefahrenabwehr weitgehend in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Gefahrenvorsorge und<br />
-vorbeugung vorverlagert ist, so dass – abgesehen von bloßen Anmel<strong>de</strong>pflichten –
2<br />
vornehmlich mit einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, auch Genehmigungs-<br />
o<strong>de</strong>r Zulassungsvorbehalt, gearbeitet wird. Dadurch sind hier neben <strong>de</strong>r<br />
zur Beseitigung einer konkreten Gefahr klassisch eingreifen<strong>de</strong>n Gefahrenabwehrverfügungen<br />
Fallgestaltungen typisch (und damit klausurrelevant), in <strong>de</strong>nen es um<br />
die Versagung o<strong>de</strong>r Einschränkung einer solchen Erlaubnis o<strong>de</strong>r um <strong>de</strong>ren Rücknahme<br />
bzw. Wi<strong>de</strong>rruf und/o<strong>de</strong>r um die Untersagung einer nicht (mehr) genehmigten<br />
bzw. nicht genehmigungsfähigen Tätigkeit geht o<strong>de</strong>r um <strong>de</strong>n Angriff eines Drittbetroffenen<br />
gegen eine <strong>de</strong>m Bauherrn, Anlagenbetreiber, Gastwirt etc. erteilte Erlaubnis<br />
bzw. um die Verpflichtung zum behördlichen Einschreiten.<br />
Das Verständnis <strong>de</strong>r Grundstrukturen solcher Fälle erleichtert die Bearbeitung auch<br />
in an<strong>de</strong>ren, hier nicht angesprochenen Rechtsbereichen.<br />
II. Versammlungsrecht<br />
1. Allgemeines<br />
Das Versammlungsrecht weist eine geringere „Entpolizeilichung“ auf als die an<strong>de</strong>ren<br />
hier behan<strong>de</strong>lten Son<strong>de</strong>rbereiche. Bei Versammlungen ist neben <strong>de</strong>r „Schreibtischtätigkeit“<br />
<strong>de</strong>r Versammlungsbehör<strong>de</strong> häufig zur Abwehr konkreter Gefahren ein unmittelbares<br />
Einschreiten „vor Ort“ erfor<strong>de</strong>rlich, das originäre versammlungsrechtliche<br />
Befugnisse <strong>de</strong>r Vollzugspolizei erfor<strong>de</strong>rt, die durch Standardbefugnisse <strong>de</strong>s allgemeinen<br />
<strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrechts und <strong>de</strong>ssen Vollstreckungsmöglichkeiten ergänzt<br />
wer<strong>de</strong>n, insbeson<strong>de</strong>re durch unmittelbaren Zwang. Wegen dieser Verknüpfungen<br />
mit <strong>de</strong>m allgemeinen <strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrecht soll das Versammlungsrecht<br />
eingehen<strong>de</strong>r behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n.<br />
a) Obwohl die Gesetzgebungskompetenz im Zuge <strong>de</strong>r Fö<strong>de</strong>ralismusreform im<br />
Jahre 2006 durch Streichung <strong>de</strong>s Versammlungsrechts in Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG auf<br />
die Län<strong>de</strong>r übergegangen ist, ist das bun<strong>de</strong>srechtliche Versammlungsgesetz<br />
(VersG) nach <strong>de</strong>r Übergangsregelung <strong>de</strong>s Art. 125 a Abs. 1 Satz 1 GG solange als<br />
Rechtsgrundlage heranzuziehen, bis es durch Lan<strong>de</strong>srecht ersetzt wird. Das ist in<br />
Hessen – an<strong>de</strong>rs als in einigen an<strong>de</strong>ren Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn – noch nicht erfolgt; inzwischen<br />
liegt <strong>de</strong>r Musterentwurf eines Arbeitskreises vor.<br />
Das Bayerische Versammlungsgesetz vom 22. Juli 2008 ist vom Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />
mit Beschluss vom 17. Februar 2009 in Teilen (Bußgeldvorschriften und<br />
Datenerhebung) vorläufig außer Kraft gesetzt bzw. modifiziert wor<strong>de</strong>n; eine Nach-
3<br />
besserung ist mit Wirkung zum 1. Juni 2010 erfolgt.<br />
Weitere Lan<strong>de</strong>s-Versammlungsgesetze sind in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nie<strong>de</strong>rsachsen<br />
ergangen; das Sächsische Gesetz vom 20. Januar 2010 ist vom Sächs-<br />
VerfGH am 19. April 2011 aus formellen Grün<strong>de</strong>n für nichtig erklärt wor<strong>de</strong>n.<br />
Das in Hessen noch fortgelten<strong>de</strong> bun<strong>de</strong>srechtliche Versammlungsgesetz konkretisiert<br />
<strong>de</strong>n Gesetzesvorbehalt in Art. 8 Abs. 2 GG. Nach Art. 8 Abs. 1 GG haben alle<br />
Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung o<strong>de</strong>r Erlaubnis friedlich und ohne Waffen<br />
zu versammeln; nach Absatz 2 kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem<br />
Himmel durch Gesetz o<strong>de</strong>r auf Grund eines Gesetzes beschränkt wer<strong>de</strong>n.<br />
b) Für seinen Anwendungsbereich stellt das Versammlungsgesetz für gezielte<br />
Eingriffe in das Versammlungsrecht zur Abwehr versammlungsspezifischer<br />
Gefahren eine abschließen<strong>de</strong>, spezielle Regelung dar, die einen Rückgriff auf Befugnisse<br />
<strong>de</strong>s allgemeinen <strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrechts, insbeson<strong>de</strong>re auf die Generalklausel<br />
ausschließt (sog. <strong>Polizei</strong>festigkeit <strong>de</strong>s Versammlungsrechts). Das Versammlungsgesetz<br />
dient nicht nur <strong>de</strong>m Schutz vor Gefahren, die von Versammlungen<br />
ausgehen, son<strong>de</strong>rn insbeson<strong>de</strong>re umgekehrt auch dazu, die ordnungsgemäße, d. h.<br />
in Ablauf und innerer Ordnung selbstbestimmte Durchführung <strong>de</strong>r Versammlung zu<br />
sichern.<br />
Die Versammlungsfreiheit <strong>de</strong>s § 1 Abs. 1 VersG steht „je<strong>de</strong>rmann“ zu, während<br />
Art. 8 Abs. 1 GG ein Deutschengrundrecht ist.<br />
Der Anwendungsbereich <strong>de</strong>s Versammlungsgesetzes beschränkt sich gemäß § 1<br />
Abs. 1 VersG auf beson<strong>de</strong>rs störungsanfällige und störungsträchtige „öffentliche“<br />
Versammlungen und privilegiert dabei – entsprechend <strong>de</strong>r Einschränkung <strong>de</strong>s Gesetzesvorbehalts<br />
in Art. 8 Abs. 2 GG – die weniger gefähr<strong>de</strong>ten bzw. gefährlichen<br />
Versammlungen in geschlossenen Räumen gegenüber <strong>de</strong>n Versammlungen unter<br />
freiem Himmel.<br />
Streitig ist, ob auf die durch Art. 8 GG ebenfalls geschützten „nichtöffentlichen“<br />
Versammlungen das Versammlungsgesetz entsprechend anzuwen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r ob auf<br />
die weiterreichen<strong>de</strong>n Eingriffsmöglichkeiten <strong>de</strong>s allgemeinen <strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrechts<br />
zurückzugreifen ist (so die überwiegen<strong>de</strong> Rechtsprechung). Dagegen wer<strong>de</strong>n<br />
in <strong>de</strong>r Literatur u. a. Be<strong>de</strong>nken aus <strong>de</strong>m Zitiergebot <strong>de</strong>s Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG<br />
hergeleitet, weil Art. 8 GG zwar in § 20 VersG, nicht aber in § 10 HSOG aufgeführt<br />
ist. Da - öffentliche und nichtöffentliche - Versammlungen in geschlossenen Räumen<br />
vom Vorbehalt <strong>de</strong>s Art. 8 Abs. 2 GG nicht erfasst sind, dürfen insoweit nur Maßnah-
4<br />
men zur Verwirklichung <strong>de</strong>r Grenzen „friedlich und ohne Waffen“ und in Vollziehung<br />
<strong>de</strong>r immanenten Grundrechtsschranken ergriffen wer<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Grundrechte<br />
Dritter o<strong>de</strong>r sonstiger Verfassungsgüter dienen.<br />
Weiterhin erfasst das Versammlungsgesetz – an<strong>de</strong>rs als Art. 8 Abs. 1 GG – nicht das<br />
Vorfeld einer Versammlung (Planung, Vorbereitung, Werbung, Einladung, Anreise)<br />
und en<strong>de</strong>t sein Anwendungsbereich mit <strong>de</strong>r Schließung durch <strong>de</strong>n Versammlungsleiter<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r rechtsgestalten<strong>de</strong>n behördlichen Auflösung, so dass es dann die<br />
Eingriffsbefugnisse <strong>de</strong>s allgemeinen <strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrechts nicht mehr sperrt.<br />
c) Der Versammlungsbegriff umfasst eine vorübergehen<strong>de</strong> Zusammenkunft min<strong>de</strong>stens<br />
zweier, dreier bzw. von sieben Menschen zur Verfolgung eines gemeinsamen<br />
Zwecks, <strong>de</strong>r nach teilweise Ansicht auf kollektive Meinungsbildung und -<br />
äußerung in beliebigen, nach an<strong>de</strong>rer Ansicht allein in öffentlichen Angelegenheiten<br />
gerichtet ist. Das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht versteht in neueren Entscheidungen<br />
die Versammlungsfreiheit wegen ihrer historischen und aktuellen Be<strong>de</strong>utung für die<br />
Demokratie als Freiheit <strong>de</strong>r Teilhabe an <strong>de</strong>r Bildung <strong>de</strong>r öffentlichen Meinung und hat<br />
<strong>de</strong>shalb Veranstaltungen, die – wie etwa die „Love-Para<strong>de</strong>“ – „<strong>de</strong>r bloßen Zurschaustellung<br />
eines Lebensgefühls“ dienten, nicht als Versammlungen gemäß Art. 8 Abs. 1<br />
GG angesehen; dies könnte auch auf <strong>de</strong>n „Christopher-Street-Day“ übertragbar sein.<br />
Teilweise wer<strong>de</strong>n traditionelle Veranstaltungen, wie etwa Prozessionen, Wallfahrten<br />
o<strong>de</strong>r Volksfeste, bei <strong>de</strong>nen Teilnehmer selbst als Akteure und nicht als bloße Konsumenten<br />
auftreten, <strong>de</strong>m Versammlungsbegriff zugeordnet und danach gemäß § 17<br />
VersG nur von bestimmten Anfor<strong>de</strong>rungen ausgenommen.<br />
(Beispiel: Fall „Die stummen Rechten“)<br />
d) Die Zuständigkeiten <strong>de</strong>s Versammlungsgesetzes sind auf zwei Aufgabenträger<br />
verteilt, ohne dass ein klares System erkennbar wäre. Die nach Lan<strong>de</strong>srecht zu bestimmen<strong>de</strong>n<br />
„zuständigen Behör<strong>de</strong>n“ (Versammlungsbehör<strong>de</strong>n) – in Hessen gemäß<br />
§ 1 Satz 1 Nr. 2 HSOG-DVO die allgemeinen Ordnungsbehör<strong>de</strong>n in Gemein<strong>de</strong>n<br />
mit min<strong>de</strong>stens 7.500 Einwohnern, an<strong>de</strong>rnfalls die Kreisordnungsbehör<strong>de</strong>n – sind<br />
etwa für Verbot und Auflösung von Versammlungen unter freiem Himmel gemäß § 15<br />
VersG zuständig, während für das Verbot von Versammlungen in geschlossenen<br />
Räumen gemäß § 5 VersG kein Befugnisträger benannt ist und zur Auflösung einer<br />
solchen Versammlung gemäß § 13 VersG nur die <strong>Polizei</strong> ermächtigt ist.<br />
Die Eilzuständigkeit nach § 2 Abs. 1 HSOG besteht für <strong>Polizei</strong>behör<strong>de</strong>n nur dann,<br />
wenn ein Eingreifen <strong>de</strong>r Ordnungsbehör<strong>de</strong> nicht möglich ist.
5<br />
2. Befugnisse vor <strong>de</strong>r Versammlung<br />
a) Angesichts <strong>de</strong>s hohen Ranges <strong>de</strong>r Versammlungsfreiheit für die freiheitliche Demokratie<br />
sind Versammlungen entsprechend Art. 8 Abs. 1 GG keinem präventiven<br />
Erlaubnisvorbehalt unterworfen; und zwar grundsätzlich auch nicht nach an<strong>de</strong>ren<br />
Vorschriften, wie etwa <strong>de</strong>m Straßenrecht. Allein für die öffentlichen Versammlungen<br />
unter freiem Himmel normiert § 14 VersG eine lediglich „Anmeldungspflicht“.<br />
Die Anmel<strong>de</strong>pflicht dient nicht nur <strong>de</strong>r behördlichen Gefahrenabwehr, son<strong>de</strong>rn insbeson<strong>de</strong>re<br />
auch <strong>de</strong>m eigenen Interesse von Veranstalter und Leiter <strong>de</strong>r geplanten Versammlung,<br />
weil nur so die Versammlungsbehör<strong>de</strong> ihrer Kooperationspflicht nachkommen<br />
kann.<br />
Das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht hat schon im Brokdorf-Beschluss vom 14. Mai 1985<br />
die Anmel<strong>de</strong>pflicht verfassungskonform dahin modifiziert, dass die Anmeldung bei<br />
Spontanversammlungen, wie insbeson<strong>de</strong>re auch Gegen<strong>de</strong>monstrationen, verzichtbar,<br />
die Anmel<strong>de</strong>frist bei Eilversammlungen verkürzbar und die Sanktion <strong>de</strong>r Auflösung<br />
wegen fehlen<strong>de</strong>r Anmeldung gemäß § 15 Abs. 3 VersG nicht anwendbar ist;<br />
danach führt nicht die bloß formelle, son<strong>de</strong>rn nur die materielle Rechtswidrigkeit zur<br />
Unterbindung <strong>de</strong>s Freiheitsgebrauchs. Die Anmel<strong>de</strong>pflicht wird <strong>de</strong>shalb teilweise<br />
auch als bloße Obliegenheit angesehen.<br />
b) Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die Versammlungsbehör<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Veranstalter einer<br />
öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel bestimmte Auflagen zur Abwendung<br />
einer unmittelbaren Gefährdung <strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit o<strong>de</strong>r Ordnung erteilen.<br />
Da für Versammlungen keine Erlaubnis erteilt wird, han<strong>de</strong>lt es sich nicht um Nebenbestimmungen<br />
gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 4 HVwVfG, son<strong>de</strong>rn um selbständige belasten<strong>de</strong><br />
Verwaltungsakte (auch sog. beschränken<strong>de</strong> Verfügungen).<br />
An<strong>de</strong>rs als die bereits im Gesetz selbst geregelten Beschränkungen, wie die Verbote<br />
<strong>de</strong>s Mitführens von Waffen und sog. Schutzwaffen, <strong>de</strong>s Tragens von <strong>Uni</strong>formen o<strong>de</strong>r<br />
von Vermummungen gemäß §§ 2 Abs. 3; 3 Abs. 1; 17 a Abs. 1 und 2 VersG, und<br />
an<strong>de</strong>rs als anlassunabhängige allgemeine Verhaltensanweisungen, die ebenfalls nur<br />
an abstrakte Gefahrentatbestän<strong>de</strong> wie Straßenverkehr, Straßenbahnoberleitungen<br />
etc. anknüpfen, setzen Auflagen gemäß § 15 Abs. 1 VersG in Bezug auf die fragliche<br />
Versammlung unmittelbar drohen<strong>de</strong> konkrete Gefahren voraus, die aufgrund einer<br />
durch Tatsachen gesicherten Prognose und nicht aufgrund von Vermutungen o<strong>de</strong>r<br />
allgemeinen Erfahrungssätzen zu erwarten sind; dabei kommt einer drohen<strong>de</strong>n Verletzung<br />
von Strafgesetzen beson<strong>de</strong>res Gewicht zu, wie etwa Volksverhetzung, Be-
6<br />
kenntnisbeschimpfung, Beleidigung o<strong>de</strong>r Verunglimpfung gemäß §§ 130; 166; 185<br />
ff.; 189 StGB o<strong>de</strong>r Nötigung gemäß § 240 StGB bei Blocka<strong>de</strong>aktionen. Mit <strong>de</strong>m sog.<br />
Wunsie<strong>de</strong>l-Beschluss vom 4. November 2009 hat das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht <strong>de</strong>n<br />
2005 eingeführten § 130 Abs. 4 StGB, <strong>de</strong>r die Billigung, Verherrlichung o<strong>de</strong>r Rechtfertigung<br />
<strong>de</strong>r nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe stellt,<br />
zwar als nichtallgemeines Gesetz, als beson<strong>de</strong>re Ausnahme vom Verbot <strong>de</strong>s Son<strong>de</strong>rrechts<br />
für meinungsbezogene Gesetze angesehen, ihn aber trotz<strong>de</strong>m als mit<br />
Art. 5 Abs. 1 und 2 GG vereinbar erklärt<br />
Nach <strong>de</strong>r Rechtsprechung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichts erlaubt das Schutzgut <strong>de</strong>r<br />
öffentlichen Ordnung gegenüber inhaltlich anstößigen, insbeson<strong>de</strong>re rechtsextremen<br />
Demonstrationen keine Beschränkung von Meinungsinhalten (Art. 5 Abs. 1<br />
GG), son<strong>de</strong>rn allenfalls Beschränkungen in Bezug auf die Art und Weise (Art. 8 Abs.<br />
1 GG) <strong>de</strong>r Meinungsäußerung, wenn etwa durch das Auftreten einzelner Teilnehmer<br />
o<strong>de</strong>r das Gesamtgepräge <strong>de</strong>r Versammlung ein Klima <strong>de</strong>r Gewalt erzeugt wird.<br />
c) Unter entsprechen<strong>de</strong>n Voraussetzungen kann eine Versammlung unter freiem<br />
Himmel nach <strong>de</strong>r abschließen<strong>de</strong>n Regelung <strong>de</strong>s § 15 Abs. 1 VersG als „ultima ratio“<br />
vor ihrem Beginn mit einem Verbot belegt wer<strong>de</strong>n, wenn Auflagen nicht ausreichen,<br />
während dies bei <strong>de</strong>r vorbehaltlos garantierten Versammlung in geschlossenen<br />
Räumen gemäß § 5 VersG nur bei einer Kollision mit an<strong>de</strong>ren verfassungsrechtlich<br />
geschützten Gütern möglich ist.<br />
Droht eine Gefährdung nicht von <strong>de</strong>n Veranstaltern <strong>de</strong>r Versammlung, son<strong>de</strong>rn von<br />
einzelnen Teilnehmern o<strong>de</strong>r von sog. Gegen<strong>de</strong>monstranten, ist die Versammlung<br />
durch die Behör<strong>de</strong> nach allgemeinem <strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrecht zu schützen und<br />
kann selbst allenfalls unter <strong>de</strong>n engen Voraussetzungen <strong>de</strong>s § 9 HSOG für die Inanspruchnahme<br />
nicht verantwortlicher Personen verboten wer<strong>de</strong>n.<br />
Fall: „Die blockierte NPD“.<br />
Ein weiteres Versammlungsverbot ergibt sich für befrie<strong>de</strong>te Bannkreise <strong>de</strong>r Gesetzgebungsorgane<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r entsprechend <strong>de</strong>n näheren Bestimmungen <strong>de</strong>s jeweiligen<br />
Bannmeilengesetzes unmittelbar aus § 16 VersG. Teilweise wird unter Hinweis<br />
auf <strong>de</strong>n hohen Rang <strong>de</strong>r Versammlungsfreiheit gefor<strong>de</strong>rt, dieses repressive Verbot<br />
mit Befreiungsvorbehalt in verfassungskonformer Auslegung auf ein präventives<br />
Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu reduzieren, wie dies seit 1999 für Bun<strong>de</strong>sorgane<br />
geregelt ist.
7<br />
d) Wenn in Bezug auf bestimmte Versammlungsteilnehmer Anhaltspunkte für eine<br />
von ihnen konkret ausgehen<strong>de</strong> Gefahr bestehen, können als Vorfeldmaßnahmen<br />
mangels einer abschließen<strong>de</strong>n Regelung in § 17a VersG nach <strong>de</strong>r polizeilichen Generalklausel<br />
Gefährdungsansprachen o<strong>de</strong>r Mel<strong>de</strong>auflagen ergehen, Kontrollen nach<br />
allgemeinem <strong>Polizei</strong>recht mit I<strong>de</strong>ntitätsfeststellung, Durchsuchung und Sicherstellung,<br />
etwa hinsichtlich <strong>de</strong>s nach <strong>de</strong>n §§ 2 Abs. 3; 17 a Abs. 1 und 2; 27 VersG verbotenen<br />
Mitführens von Waffen und sog. Schutzwaffen o<strong>de</strong>r Vermummungshilfen<br />
durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Unter <strong>de</strong>r engen Voraussetzung tatsächlicher Anhaltspunkte<br />
für eine erhebliche Gefahr kann die <strong>Polizei</strong> gemäß §§ 12 a; 19 a VersG Bild- und<br />
Tonaufnahmen fertigen. Bei einem allgemeinen Verdacht kann sie nach <strong>de</strong>r Standardbefugnis<br />
<strong>de</strong>s § 18 Abs. 2 Nr. 5 HSOG Kontrollstellen einrichten.<br />
3. Befugnisse während und nach <strong>de</strong>r Versammlung<br />
a) Bei einer konkreten Gefahr, also nicht routinemäßig, kann „vor Ort“ eine polizeiliche<br />
Überwachung durch die Entsendung von <strong>Polizei</strong>beamten in eine Versammlung<br />
in geschlossenen Räumen gemäß § 12 VersG und unter freiem Himmel gemäß § 18<br />
Abs. 1 VersG erfolgen und können unter <strong>de</strong>n Voraussetzungen <strong>de</strong>r §§ 12 a und 19 a<br />
VersG von <strong>de</strong>r <strong>Polizei</strong> Bild- und Tonaufnahmen gefertigt wer<strong>de</strong>n. Der Rechtmäßigkeit<br />
dieser Überwachungsmaßnahmen steht das unvermeidbare Betroffensein nicht stören<strong>de</strong>r<br />
Dritter nicht entgegen.<br />
b) Wenn ein Teilnehmer <strong>de</strong>n Ablauf einer Versammlung gröblich stört, d. h. nicht nur<br />
etwa Protest äußert, son<strong>de</strong>rn die Versammlung sprengt o<strong>de</strong>r ihren Zweck gefähr<strong>de</strong>t,<br />
kann er bei Versammlungen in geschlossenen Räumen vom Versammlungsleiter<br />
gemäß § 11 Abs. 1 VersG ausgeschlossen und kraft seines Hausrechts nach Absatz<br />
2 <strong>de</strong>r Vorschrift <strong>de</strong>r Räume verwiesen wer<strong>de</strong>n. Der Ausschluss eines einzelnen<br />
Teilnehmers ist bei Versammlungen unter freiem Himmel gemäß § 18 Abs. 3 VersG<br />
<strong>de</strong>r <strong>Polizei</strong> vorbehalten, die zur Durchsetzung <strong>de</strong>r Verlassenspflicht eine Platzverweisung<br />
gemäß § 31 HSOG aussprechen und vollziehen kann, weil die Ausschließung<br />
die Teilnahme an <strong>de</strong>r Versammlung rechtsgestaltend been<strong>de</strong>t.<br />
c) Eine Versammlung als solche „kann“ in geschlossenen Räumen von <strong>de</strong>r <strong>Polizei</strong><br />
unter <strong>de</strong>n engen Voraussetzungen <strong>de</strong>s § 13 Abs. 1 VersG aufgelöst wer<strong>de</strong>n und<br />
eine Versammlung unter freiem Himmel „ist“ von <strong>de</strong>r „zuständigen Behör<strong>de</strong>“ gemäß<br />
§ 15 Abs. 4 VersG aufzulösen, wenn sie verboten ist, und „kann“ nach Absatz 3 aufgelöst<br />
wer<strong>de</strong>n, wenn sie nicht angemel<strong>de</strong>t ist, von <strong>de</strong>r Angaben <strong>de</strong>r Anmeldung ab-
8<br />
gewichen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Auflagen zuwi<strong>de</strong>r gehan<strong>de</strong>lt wird o<strong>de</strong>r über die Verweisung auf<br />
Absatz 1 wenn eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit (o<strong>de</strong>r Ordnung)<br />
besteht. Nur die letztere Voraussetzung ist angesichts <strong>de</strong>s hohen Ranges <strong>de</strong>r Versammlungsfreiheit<br />
verfassungsrechtlich unbe<strong>de</strong>nklich, da die an<strong>de</strong>ren Auflösungsgrün<strong>de</strong><br />
an bloß formelle Mängel anknüpfen, es sei <strong>de</strong>nn dadurch wür<strong>de</strong>n unmittelbare<br />
Gefahren indiziert.<br />
Streitig ist, ob eine Befugnis für geringschwelligere Eingriffe, für sog. Minusmaßnahmen<br />
besteht und ob sie aus <strong>de</strong>m Versammlungsgesetz o<strong>de</strong>r – je<strong>de</strong>nfalls hinsichtlich<br />
<strong>de</strong>r Rechtsfolgen – aus <strong>de</strong>m allgemeinen Gefahrenabwehrrecht herzuleiten<br />
sind (so die Rechtsprechung im Anschluss an das Bun<strong>de</strong>sverwaltungsgericht).<br />
Die behördliche Auflösung been<strong>de</strong>t die Versammlung und verpflichtet die Teilnehmer<br />
gemäß § 13 Abs. 2 und § 18 Abs. 1 VersG, sich sofort zu entfernen.<br />
Die Auflösung macht aus <strong>de</strong>r Versammlung eine bloße Ansammlung, die nicht<br />
(mehr) unter <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Versammlungsfreiheit und <strong>de</strong>s Regelungsbereichs <strong>de</strong>s<br />
Versammlungsgesetzes steht, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m allgemeinen <strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrecht<br />
unterfällt, so dass eine vollstreckungsfähige Platzverweisung gemäß § 31 HSOG<br />
ergehen kann, die versammlungsrechtliche Auflösung ist als rechtsgestalten<strong>de</strong>r Verwaltungsakt<br />
selbst nicht vollstreckungsfähig. Die Platzverweisung kann durch Ingewahrsamsnahme<br />
gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 3 HSOG durchgesetzt wer<strong>de</strong>n, zu <strong>de</strong>r auch<br />
ein sog. <strong>Polizei</strong>kessel gehört.<br />
Die rechtsgestalten<strong>de</strong>n Verfügungen eines Versammlungsausschlusses o<strong>de</strong>r einer<br />
Versammlungsauflösung können nicht konklu<strong>de</strong>nt, son<strong>de</strong>rn müssen bestimmt und<br />
unmissverständlich ausgesprochen wer<strong>de</strong>n,<br />
Fall „Anscheinswaffen“.<br />
III. Straßenverkehrsrecht<br />
1. Allgemeines<br />
Auch das Straßenverkehrsrecht weist noch eine <strong>de</strong>utliche Nähe zum allgemeinen<br />
<strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrecht auf, <strong>de</strong>nn hier stehen <strong>de</strong>r <strong>Polizei</strong> für <strong>de</strong>n Einsatz „vor<br />
Ort“ ebenfalls originäre Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse zu.<br />
a) Als bun<strong>de</strong>srechtliche Rechtsgrundlagen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG) enthält zunächst<br />
das Straßenverkehrsgesetz (StVG) die Grundregeln u. a. über die Zulas-
9<br />
sung von Kraftfahrzeugen und Personen zum Straßenverkehr und in § 6 StVG Ermächtigungen<br />
zum Erlass von Ausführungsverordnungen sowie in weiteren Vorschriften<br />
Regelungen zur Haftpflicht (Gefährdungshaftung) und Straf- und Bußgeldtatbestän<strong>de</strong>.<br />
Die auf § 6 StVG beruhen<strong>de</strong> Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) stellt im I. Teil allgemeine<br />
Verkehrsregeln auf (z. B. Grundregeln zur Teilnahme am Straßenverkehr,<br />
Geschwindigkeit, Abstand, Überholen, Vorfahrt, Ein- und Anfahren, Halten und Parken,<br />
Sorgfaltspflichten beim Ein- und Aussteigen, übermäßige Straßenbenutzung,<br />
Unfall) und enthält im II. Teil Ermächtigungen an <strong>Polizei</strong>- und Straßenverkehrsbehör<strong>de</strong>n<br />
zu Verkehrsregelungen durch Zeichen und Weisungen, Verkehrszeichen und<br />
sonstigen Zeichen und Verkehrseinrichtungen (wie etwa Schranken, Parkuhren,<br />
Parkscheinautomaten, Blinklicht- und Lichtzeichenanlagen).<br />
Die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) betrifft nur noch die Zulassung<br />
von Kraftfahrzeugen, weil seit 1998 die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr<br />
in <strong>de</strong>r Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) geregelt ist.<br />
b) Beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung kommt <strong>de</strong>r Abgrenzung zum Straßenrecht zu, das im<br />
Bun<strong>de</strong>sfernstraßengesetz und in <strong>de</strong>n Straßengesetzen <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r als öffentliches<br />
Sachenrecht die Rechtsverhältnisse an öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen<br />
regelt. Dazu gehören Regelungen über Errichtung und Unterhaltung durch die jeweilige<br />
Gebietskörperschaft als Träger <strong>de</strong>r Straßenbaulast (in <strong>de</strong>r Regel – mit Ausnahme<br />
<strong>de</strong>r Ortsdurchfahrten – entsprechend <strong>de</strong>r jeweiligen Klassifizierung <strong>de</strong>r Straßen,<br />
nämlich Bun<strong>de</strong>sautobahnen und -fernstraßen, Lan<strong>de</strong>s-, Kreis- und Gemein<strong>de</strong>straßen),<br />
weiterhin die Widmung für <strong>de</strong>n öffentlichen Verkehr, die Umstufung o<strong>de</strong>r<br />
Einziehung und Regelungen über Son<strong>de</strong>rnutzungen, die über <strong>de</strong>n durch die Widmung<br />
und die verkehrsrechtlichen Vorschriften bestimmten Gemeingebrauch hinausgehen<br />
und erlaubnis- und gebührenpflichtig sind. Die Fragen <strong>de</strong>r Abgrenzung<br />
zwischen erlaubnispflichtiger Son<strong>de</strong>rnutzung einerseits und Gemeingebrauch an<strong>de</strong>rerseits<br />
und <strong>de</strong>r Untersagung wegen bloß formeller Illegalität einer nicht erlaubten<br />
Son<strong>de</strong>rnutzung stellen sich in vielen Fallgestaltungen (etwa Informationsstand einer<br />
politischen Partei in <strong>de</strong>r Fußgängerzone o<strong>de</strong>r Oldtimer-Straßenrennen).<br />
Demgegenüber trifft das Straßenverkehrsrecht als beson<strong>de</strong>res Gefahrenabwehrrecht<br />
Regelungen, die die Sicherheit und Leichtigkeit <strong>de</strong>s Verkehrs gewährleisten<br />
sollen. Es kann zu Überschneidungen dieser bei<strong>de</strong>n Regelungsbereiche kommen.<br />
So kann etwa das Dauerparken unzulässige straßenrechtliche Son<strong>de</strong>rnutzung o<strong>de</strong>r
10<br />
Teilnahme am ruhen<strong>de</strong>n Verkehr darstellen; zur Abgrenzung dürfte auf <strong>de</strong>n vorwiegend<br />
verfolgten (gewerblichen o<strong>de</strong>r verkehrlichen) Zweck <strong>de</strong>r Nutzung abzustellen<br />
sein (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 3 BFernStrG, Beispiele: Dauerhaft abgestellte Anhänger<br />
mit Werbungsträger, Wohnwagen zur Prostitutionsausübung o<strong>de</strong>r abgestellte Fahrzeuge<br />
eines Pkw-Verleihs mit Werbeaufdruck).<br />
Nach <strong>de</strong>m Grundsatz vom Vorrang <strong>de</strong>s Straßenverkehrsrechts hält sich eine verkehrsrechtlich<br />
erlaubte Nutzung immer im Gemeingebrauch und nach <strong>de</strong>m Vorbehalt<br />
<strong>de</strong>s Straßenrechts müssen situationsbedingte Verkehrsregelungen im Rahmen<br />
<strong>de</strong>r Widmung bleiben.<br />
Ergänzend zum Straßenverkehrsrecht kann das allgemeine <strong>Polizei</strong>- und Ordnungsrecht<br />
herangezogen wer<strong>de</strong>n, um Gefahren abzuwehren, die von außen auf<br />
<strong>de</strong>n Straßenverkehr einwirken (etwa verkehrsgefähr<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Werbung innerhalb einer<br />
Ortschaft, § 33 StVO nicht abschließend) o<strong>de</strong>r wenn dazu Maßnahmen erfor<strong>de</strong>rlich<br />
sind, die keine Regelung und Lenkung <strong>de</strong>s Straßenverkehrs darstellen, wie etwa die<br />
Sicherstellung von Fahrzeugen bzw. Fahrzeugpapieren, um die Fahrt einer fahruntüchtigen<br />
Person zu verhin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r um eine Verkehrsbehin<strong>de</strong>rung durch ein ordnungswidrig<br />
abgestelltes Fahrzeug zu beseitigen, o<strong>de</strong>r etwa die Entfernung einer<br />
Ölspur auf <strong>de</strong>r Fahrbahn.<br />
c) Zuständige untere Straßenverkehrsbehör<strong>de</strong>n gemäß § 44 Abs. 1 StVO, § 68<br />
Abs. 1 Satz 1 StVZO und § 73 Abs. 1 Satz 1 FeV sind in Hessen nach § 1 Abs. 1<br />
Satz 1 Nr. 4 und 5 HSOG-DVO und nach <strong>de</strong>r Verordnung zur Bestimmung verkehrsrechtlicher<br />
Zuständigkeiten in <strong>de</strong>r Regel die allgemeinen Ordnungsbehör<strong>de</strong>n auf<br />
<strong>de</strong>r Kreisebene (Landrat und Oberbürgermeister). Die <strong>Polizei</strong> ist nach § 44 Abs. 2<br />
StVO zuständig und befugt, <strong>de</strong>n Verkehr durch Zeichen und Weisungen und durch<br />
Bedienung von Lichtzeichenanlagen zu regeln und bei Gefahr im Verzug zur Aufrechterhaltung<br />
<strong>de</strong>r Sicherheit o<strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>s Straßenverkehrs anstelle <strong>de</strong>r an sich<br />
zuständigen Behör<strong>de</strong>n tätig zu wer<strong>de</strong>n und vorläufige Maßnahmen zu treffen. Nach<br />
§ 36 Abs. 5 StVO dürfen <strong>Polizei</strong>beamte Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle<br />
einschließlich <strong>de</strong>r Kontrolle <strong>de</strong>r Verkehrstüchtigkeit und zu Verkehrserhebungen anhalten.<br />
Die <strong>Polizei</strong> hat gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 OwiG Verkehrsordnungswidrigkeiten<br />
zu verfolgen und kann zu diesem Zweck gemäß § 35 StVG Halteranfragen durchführen.<br />
2. Verkehrsregelungen
11<br />
Neben <strong>de</strong>n allgemeinen Verkehrsregeln <strong>de</strong>r §§ 1 bis 35 StVO und <strong>de</strong>n gemäß § 80<br />
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO als unaufschiebbare Maßnahmen von <strong>Polizei</strong>beamten sofort<br />
vollziehbaren Zeichen und Weisungen gemäß § 36 Abs. 1 StVO können die<br />
Straßenverkehrsbehör<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>r „verkehrsrechtlichen Generalklausel“ <strong>de</strong>s § 45<br />
Abs. 1 Satz 1 StVO durch Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen die Benutzung<br />
bestimmter Straßen o<strong>de</strong>r Straßenstrecken aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sicherheit o<strong>de</strong>r<br />
Ordnung <strong>de</strong>s Verkehrs beschränken o<strong>de</strong>r verbieten und <strong>de</strong>n Verkehr umleiten; aufgrund<br />
<strong>de</strong>r weiteren Einzelbefugnisse können sie entsprechen<strong>de</strong> Regelungen treffen,<br />
etwa zur Durchführung von Arbeiten im Straßenraum, zur Verhütung außeror<strong>de</strong>ntlicher<br />
Schä<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Straße und auch zum Schutz <strong>de</strong>r Wohnbevölkerung vor Lärm<br />
und Abgasen und aus sonstigen beson<strong>de</strong>ren Umweltschutzgrün<strong>de</strong>n. Sie können Anordnungen<br />
im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Schaffung von Parkmöglichkeiten und <strong>de</strong>r Einrichtung<br />
von Fußgängerbereichen o<strong>de</strong>r Tempo 30-Zonen treffen. Derartige Verkehrszeichen<br />
sind nach h. M. Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen bzw.<br />
dingliche Verwaltungsakte, die gemäß § 45 Abs. 3 StVO dadurch bekannt gemacht<br />
wer<strong>de</strong>n, dass sie auf Anordnung <strong>de</strong>r Straßenverkehrsbehör<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Straßenbaubehör<strong>de</strong>n<br />
aufgestellt wer<strong>de</strong>n. Sie bestimmen <strong>de</strong>n straßenverkehrsrechtlichen Zustand<br />
eines bestimmten Straßenstücks und wer<strong>de</strong>n in Analogie zu § 80 Abs. 2 Satz 1<br />
Nr. 2 VwGO ebenfalls als sofort vollziehbar angesehen. Straßenanlieger o<strong>de</strong>r sonstige<br />
Betroffene können gegebenenfalls einen Anspruch auf Aufstellung von Verkehrszeichen<br />
o<strong>de</strong>r Verkehrseinrichtungen haben. Räumlich weitergehen<strong>de</strong> Anordnungen,<br />
wie etwa Fahrverbote wegen Eisregens, können gemäß § 45 Abs. 4 i.V.m.<br />
Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO auch durch Rundfunk, Fernsehen, Tageszeitungen o<strong>de</strong>r auf<br />
an<strong>de</strong>re Weise bekannt gegeben wer<strong>de</strong>n, sofern die Aufstellung von Verkehrszeichen<br />
und -einrichtungen nach <strong>de</strong>n gegebenen Umstän<strong>de</strong>n nicht möglich ist.<br />
3. Zulassung zum Verkehr<br />
Die grundsätzliche Zulassungspflicht für Kraftfahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit<br />
von mehr als 6 km/h gemäß § 1 StVG und § 18 StVZO und die Fahrerlaubnispflicht<br />
für das Führen eines Kraftfahrzeugs auf öffentlichen Straßen gemäß § 2<br />
StVG und § 4 Abs. 1 FeV stellen präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt dar,<br />
so dass beim Vorliegen <strong>de</strong>r Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung besteht.<br />
Fallen die Voraussetzungen nachträglich weg, kann die Zulassungsbehör<strong>de</strong> gemäß<br />
§ 17 StVZO die Behebung von Fahrzeugmängeln unter Fristsetzung for<strong>de</strong>rn und an<strong>de</strong>rnfalls<br />
<strong>de</strong>n Betrieb im öffentlichen Verkehr untersagen o<strong>de</strong>r beschränken. Die
12<br />
Fahrerlaubnisbehör<strong>de</strong> kann die Fahrerlaubnis wegen fehlen<strong>de</strong>r Eignung gemäß § 3<br />
StVG und §§ 46 f. FeV entziehen mit <strong>de</strong>r Folge, dass die Fahrerlaubnis erlischt und<br />
<strong>de</strong>r Führerschein abzuliefern ist. Der <strong>Polizei</strong> kann die Entscheidung übermittelt wer<strong>de</strong>n,<br />
soweit dies im Einzelfall für die polizeiliche Überwachung im Straßenverkehr<br />
erfor<strong>de</strong>rlich ist. Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach behördlicher o<strong>de</strong>r<br />
strafgerichtlicher Entziehung kann gemäß § 20 Abs. 2 FeV innerhalb von zwei Jahren<br />
auf eine erneute Fahrerlaubnisprüfung verzichtet und kann gemäß § 11 Abs. 3 Nr.<br />
5 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU) verlangt<br />
wer<strong>de</strong>n, wenn die Fahrerlaubnis wie<strong>de</strong>rholt o<strong>de</strong>r wegen einer bestimmten Straftat<br />
entzogen wor<strong>de</strong>n war; die Auffor<strong>de</strong>rung zur Beibringung eines solchen Gutachtens<br />
ist als bloße Vorbereitungshandlung kein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt.<br />
IV. Bauordnungsrecht<br />
1. Allgemeines<br />
Das früher als Baupolizeirecht bezeichnete Bauordnungsrecht <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r ist trotz<br />
erfor<strong>de</strong>rlicher Ortstermine eher „bürokratisch“ durchzuführen, in vollem Umfang „entpolizeilicht“<br />
und weist <strong>de</strong>shalb keine Aufgaben- o<strong>de</strong>r Befugnisnormen für die <strong>Polizei</strong><br />
und auch nicht für Ordnungsbehör<strong>de</strong>n auf.<br />
a) Es ist das Recht <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s Bauens und enthält<br />
Bestimmungen über <strong>de</strong>n konkreten Standort von Bauwerken auf <strong>de</strong>m Grundstück,<br />
ihre technische und gestalterische Ausführung, das Verfahren <strong>de</strong>r Genehmigung o-<br />
<strong>de</strong>r Anzeige und die Sanktionen gegen rechtswidriges Bauen o<strong>de</strong>r Nutzen.<br />
Das in <strong>de</strong>n Bauordnungen <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r geregelte und gegenüber <strong>de</strong>m allgemeinen<br />
Gefahrabwehrrecht als „lex specialis“ vorrangige Bauordnungsrecht ist vom Bauplanungsrecht<br />
abzugrenzen, das im Wesentlichen durch Bun<strong>de</strong>srecht in Form <strong>de</strong>s<br />
Baugesetzbuchs (BauGB), <strong>de</strong>r Baunutzungsverordnung (BauNVO) und auch <strong>de</strong>s<br />
Raumordnungsgesetzes geregelt ist und neben Vorschriften über die Nutzbarkeit<br />
und die rechtliche Qualität <strong>de</strong>s Bo<strong>de</strong>ns insbeson<strong>de</strong>re die Bauleitplanung durch Flächennutzungs-<br />
und Bebauungspläne betrifft.<br />
b) Für die Durchführung <strong>de</strong>r staatlichen Bauaufsicht, die als Pflichtaufgabe zur Erfüllung<br />
nach Weisung wahrzunehmen ist, vgl. § 53 Abs. 1 und 2 <strong>de</strong>r Hessischen Bauordnung<br />
(HBO), ist grundsätzlich die untere Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> sachlich zustän-
13<br />
dig. Dies sind in Hessen gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 HBO <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>vorstand<br />
(Magistrat) in <strong>de</strong>n kreisfreien und <strong>de</strong>n sog. privilegierten Städten und <strong>de</strong>n mit dieser<br />
Aufgabe versehenen Gemein<strong>de</strong>n sowie <strong>de</strong>r Kreisausschuss in <strong>de</strong>n Landkreisen;<br />
<strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>naufbau ist dreistufig.<br />
Die Aufgabe <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong>n umfasst im Wesentlichen die <strong>de</strong>r Gefahrenvorsorge<br />
dienen<strong>de</strong> Durchführung <strong>de</strong>s Baugenehmigungsverfahrens (präventives<br />
Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) einschließlich <strong>de</strong>r Erteilung von Befreiungen, Ausnahmen<br />
und Abweichungen sowie die eingreifen<strong>de</strong> Gefahrenabwehr zur Beseitigung<br />
baurechtswidriger Zustän<strong>de</strong> in Form von Nutzungsuntersagungen, Stilllegungsverfügungen<br />
und Beseitigungs- o<strong>de</strong>r Abbruchanordnungen.<br />
2. Regelungsgegenstän<strong>de</strong><br />
Das Bauordnungsrecht unterteilt sich in zwei große Regelungsbereiche.<br />
a) Der materiell-rechtliche Teil beginnt in § 2 HBO mit Begriffsbestimmungen etwa<br />
über bauliche Anlagen, Gebäu<strong>de</strong>, Wohngebäu<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r bauliche Anlagen und Räume<br />
beson<strong>de</strong>rer Art o<strong>de</strong>r Nutzung etc. und stellt in § 3 Abs. 1 HBO als „bauordnungsrechtliche<br />
Generalklausel“ allgemeine Anfor<strong>de</strong>rungen. Danach sind bauliche Anlagen<br />
sowie an<strong>de</strong>re Anlagen und Einrichtungen so anzuordnen, zu errichten, zu än<strong>de</strong>rn<br />
und in Stand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbeson<strong>de</strong>re<br />
Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefähr<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />
Dabei han<strong>de</strong>lt es sich nicht um eine Befugnis-, son<strong>de</strong>rn um eine Zwecknorm,<br />
die <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> und <strong>de</strong>n am Bau Beteiligten die Verfolgung <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />
Ziele auferlegt. Dem folgen Regelungen über die sicherheitsrechtlichen, sozialen<br />
und gestalterischen Anfor<strong>de</strong>rungen an bauliche Anlagen und das Baugrundstück,<br />
wie etwa eine ausreichen<strong>de</strong> Zugänglichkeit, Abstandsflächen, Standsicherheit,<br />
Brandschutz etc.<br />
b) Im formell-rechtlichen Teil wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n §§ 47 ff. HBO die am Bau Beteiligten<br />
aufgeführt, also Bauherrschaft, Entwurfsverfasser, Unternehmer und Bauleitung; damit<br />
ist die Frage <strong>de</strong>r bauordnungsrechtlich Verantwortlichen speziell geregelt.<br />
Danach wird das <strong>de</strong>r Gefahrenvorsorge dienen<strong>de</strong> Verwaltungsverfahren mit <strong>de</strong>m in<br />
§ 54 Abs. 1 HBO nie<strong>de</strong>rgelegten Grundsatz geregelt, dass die Errichtung, Aufstellung,<br />
Anbringung und Än<strong>de</strong>rung, die Nutzungsän<strong>de</strong>rung, <strong>de</strong>r Abbruch und die Beseitigung<br />
von baulichen Anlagen o<strong>de</strong>r von Teilen <strong>de</strong>r Baugenehmigung bedürfen. In
14<br />
<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Vorschriften sind bestimmte kleinere Vorhaben genehmigungsfrei<br />
gestellt, § 56 Abs. 3 HBO normiert aber eine Vorlagepflicht, die keine Prüfpflicht <strong>de</strong>r<br />
Gemein<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> nach sich zieht und einen Monat nach Eingang<br />
<strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rlichen Bauvorlagen <strong>de</strong>n Baubeginn zulässt; damit liegt die materielle<br />
Rechtmäßigkeit <strong>de</strong>r Bauausführung im Risikobereich <strong>de</strong>s Bauherrn. Für an<strong>de</strong>re<br />
Vorhaben ist in § 57 HBO ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren vorgesehen<br />
mit einer beschränkten behördlichen Prüfungspflicht und <strong>de</strong>r Fiktion einer<br />
Baugenehmigung nach Ablauf einer – um bis zu zwei Monate verlängerbaren –<br />
Frist von drei Monaten.<br />
Eine erfor<strong>de</strong>rliche Baugenehmigung ist gemäß § 64 Abs. 1 HBO zu erteilen, wenn<br />
<strong>de</strong>m Vorhaben keine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen<strong>de</strong> öffentlichrechtlichen<br />
Vorschriften entgegenstehen, so dass ihr in Hessen keine Konzentrationswirkung<br />
zukommt. An<strong>de</strong>re gegebenenfalls vorgeschriebene Prüfungsverfahren<br />
für das Vorhaben sind bei <strong>de</strong>n dafür jeweils zuständigen Behör<strong>de</strong>n durchzuführen.<br />
Da es sich nur um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt han<strong>de</strong>lt, besteht<br />
beim Vorliegen <strong>de</strong>r Voraussetzungen auch im Hinblick auf Art. 14 GG ein Anspruch<br />
auf Erteilung <strong>de</strong>r Baugenehmigung. In dieser ist zugleich – im Wege <strong>de</strong>r Ermessensausübung<br />
– über Befreiungen und Ausnahmen von planungsrechtlichen Vorschriften<br />
gemäß § 31 Abs. 1 und 2 BauGB o<strong>de</strong>r Abweichungen von bauordnungsrechtlichen<br />
Vorschriften gemäß § 63 Abs. 1 HBO zu entschei<strong>de</strong>n.<br />
Zum formell-rechtlichen Teil gehören weiter die Vorschriften über die Bauüberwachung<br />
gemäß § 73 HBO und die – im Ermessen stehen<strong>de</strong>n - Maßnahmen gegen<br />
illegale bauliche Anlagen in Form von Baueinstellung, Nutzungsverbot und Beseitigungsanordnung<br />
gemäß §§ 71 und 72 HBO.<br />
Bei einer genehmigten, aber materiell rechtswidrigen baulichen Anlage ist vor einer<br />
<strong>de</strong>rartigen Maßnahme die Baugenehmigung zurückzunehmen, und zwar gemäß § 48<br />
Abs. 4 HVwVfG innerhalb eines Jahres ab Kenntnis <strong>de</strong>r Rechtswidrigkeit. Bei genehmigungsfreien<br />
Vorhaben genügt die materielle Illegalität.<br />
Bei ausschließlich formeller Illegalität, aber Übereinstimmung <strong>de</strong>s „Schwarzbaus“<br />
mit materiellem Recht ist eine Beseitigungsanordnung im Hinblick auf <strong>de</strong>n Eigentumsschutz<br />
und die Genehmigungsfähigkeit <strong>de</strong>s Bauwerks unverhältnismäßig, was in<br />
§ 72 Abs. 1 Satz 1 HBO dadurch zum Ausdruck kommt, dass diese nur zulässig ist,<br />
„wenn nicht auf an<strong>de</strong>re Weise rechtmäßige Zustän<strong>de</strong> hergestellt wer<strong>de</strong>n können“.<br />
Danach ist für eine Beseitigungsanordnung sowohl die formelle wie auch die ma-
15<br />
terielle Illegalität Voraussetzung. An<strong>de</strong>rnfalls kommen allenfalls eine Baueinstellungsverfügung<br />
o<strong>de</strong>r ein vorläufiges Nutzungsverbot in Betracht, um das erfor<strong>de</strong>rliche<br />
Genehmigungsverfahren durchzuführen; diese Maßnahmen dienen damit <strong>de</strong>r<br />
Durchsetzung <strong>de</strong>s präventiven, gefahrvorsorgen<strong>de</strong>n Erlaubnisverfahrens. Streitig ist,<br />
ob bei bereits fertiggestellten Schwarzbauten die formelle Illegalität für (dauerhafte)<br />
Nutzungsverbote ausreicht.<br />
Solchen Maßnahmen kann schließlich noch <strong>de</strong>r baurechtliche Bestandsschutz entgegenstehen,<br />
wenn eine bauliche Anlage zwar ohne Genehmigung, aber zu einem<br />
früheren Zeitpunkt für nicht ganz unerhebliche Zeit materiell rechtmäßig errichtet<br />
wor<strong>de</strong>n ist.<br />
Bei <strong>de</strong>m Vorgehen gegen illegale Bauten darf die Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> auch gemäß<br />
Art. 3 Abs. 1 GG nicht willkürlich han<strong>de</strong>ln, son<strong>de</strong>rn muss ein sachlich gerechtfertigtes<br />
System verfolgen. Ihre Befugnis zum Einschreiten auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr<br />
kann grundsätzlich nicht verwirkt wer<strong>de</strong>n.<br />
Da die HBO keine speziellen vollstreckungsrechtlichen Vorschriften enthält, erfolgt<br />
die Verwaltungsvollstreckung nach <strong>de</strong>m (allgemeinen) Hessischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz.<br />
c) Von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung im bauordnungsrechtlichen Verfahren ist <strong>de</strong>r Nachbarschutz,<br />
<strong>de</strong>nn eine Baugenehmigung ist insoweit ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung.<br />
Der Nachbar kann dagegen mit Wi<strong>de</strong>rspruch und Anfechtungsklage<br />
gegenüber <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> vorgehen, wobei allerdings <strong>de</strong>n Rechtsbehelfen<br />
gemäß § 212 a BauGB keine aufschieben<strong>de</strong> Wirkung zukommt, so dass gegebenenfalls<br />
ein Eilantrag gemäß § 80 a VwGO erfor<strong>de</strong>rlich ist. Möglich ist auch die Fallgestaltung<br />
eines nachbarlichen Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen<br />
einen „Schwarzbau“ o<strong>de</strong>r ein erlaubnisfreies Vorhaben. Voraussetzung ist allerdings,<br />
dass sich <strong>de</strong>r Nachbar zu seinen Gunsten auf drittschützen<strong>de</strong> Vorschriften berufen<br />
kann. Nach <strong>de</strong>r sog. Schutznormtheorie setzt das voraus, dass eine möglicherweise<br />
verletzte Vorschrift auch seinem individuellen Schutz dienen soll. Dabei sind<br />
im beplanten Gebiet nach § 30 BauGB die Festsetzungen <strong>de</strong>r Gebietsart und das<br />
baurechtliche Rücksichtnahmegebot zu berücksichtigen, das in § 15 Abs. 1 BauNVO<br />
als „Gebietserhaltungsanspruch“ o<strong>de</strong>r „plangebietsübergreifen<strong>de</strong>r Abwehranspruch“<br />
enthalten ist. § 34 BauGB ist hinsichtlich <strong>de</strong>r in Abs. 2 geregelten Gebietsart generell<br />
und hinsichtlich <strong>de</strong>s Einfügens nach Abs. 1 partiell bei konkreter Unzumutbarkeit
16<br />
drittschützend. Nachbarschützend sind auch bauordnungsrechtliche Vorschriften<br />
über seitliche Grenzabstän<strong>de</strong>, Baulinien und Abstandsflächen. Nachbarschutz setzt<br />
weiter voraus, dass <strong>de</strong>r Nachbar in qualifizierter und individualisierter Weise betroffen<br />
ist.<br />
Der Bauherr ist in einem <strong>de</strong>rartigen Drittanfechtungsverfahren notwendig zu beteiligen.<br />
V. Gewerberecht<br />
1. Allgemeines<br />
Auch in diesem Rechtsbereich, <strong>de</strong>r auf die Abwehr spezifischer Gefahren für die Allgemeinheit<br />
und <strong>de</strong>n Einzelnen im Zusammenhang mit gewerblicher Betätigung gerichtet<br />
ist, ist eine völlige „Entpolizeilichung“ eingetreten, obwohl er früher als<br />
„Gewerbepolizei“ bezeichnet wur<strong>de</strong>.<br />
Zunehmend ist in diesem Bereich das vorrangige Europarecht zu beachten, etwa<br />
die Diskriminierungsverbote, die Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln.<br />
a) Spezielle und abschließen<strong>de</strong> Regelungen <strong>de</strong>s nationalen Gewerberechts gehen<br />
<strong>de</strong>m allgemeinen Gefahrabwehrrecht vor, das gleiche gilt für Son<strong>de</strong>rregelungen, wie<br />
etwa <strong>de</strong>s Gaststättenrechts im Verhältnis zur Gewerbeordnung; <strong>de</strong>r Rückgriff auf die<br />
Gewerbeordnung ist aber zulässig, soweit die speziellere Regelung keinen abschließen<strong>de</strong>n<br />
Charakter hat. In diesem Fall kann etwa auch das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht<br />
Anwendung fin<strong>de</strong>n. Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s allgemeinen <strong>Polizei</strong>- und<br />
Ordnungsrechts können zwar vorläufige Gefahrenabwehrmaßnahmen getroffen,<br />
nicht aber die Gewerbetätigkeit als solche dauerhaft untersagt wer<strong>de</strong>n. § 1 Abs. 1<br />
GewO lässt Einschränkungen <strong>de</strong>r Gewerbefreiheit nur „durch dieses Gesetz“ zu. Der<br />
auf <strong>de</strong>r konkurrieren<strong>de</strong>n Gesetzgebungskompetenz <strong>de</strong>s Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG<br />
beruhen<strong>de</strong>n bun<strong>de</strong>srechtlichen Regelung kommt insoweit gemäß Art. 72 Abs. 1 GG<br />
Sperrwirkung für eine lan<strong>de</strong>srechtliche Untersagung <strong>de</strong>r Gewerbeausübung zu.<br />
Da die gewerberechtlichen Vorschriften in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>s preußischen <strong>Polizei</strong>rechts<br />
keine eigenen Aufgabenzuweisungsnormen enthalten, ist von <strong>de</strong>n Befugnissen<br />
auf die Gefahrenabwehraufgabe zu schließen.<br />
b) Da die Ausführung von Bun<strong>de</strong>sgesetzen im Regelfall <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn als eigene Angelegenheit<br />
obliegt, weisen § 155 Abs. 2 <strong>de</strong>r Gewerbeordnung (GewO) und § 30 <strong>de</strong>s
17<br />
Gaststättengesetzes (GastG) diesen die Befugnis zur Regelung <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>nzuständigkeit<br />
zu. Davon hat das Land Hessen in <strong>de</strong>r Gewerbe- und Gaststättenrechts-<br />
Zuständigkeitsverordnung (GewZustVO) Gebrauch gemacht und die sachliche Zuständigkeit<br />
für die jeweils wahrzunehmen<strong>de</strong>n Aufgaben differenziert geregelt. So sind<br />
gemäß § 1 Abs. 3 GewZustVO <strong>de</strong>r Magistrat in kreisfreien Städten und im Übrigen<br />
<strong>de</strong>r Kreisausschuss für einzeln aufgeführte Erlaubnisse und u. a. für die Untersagung<br />
<strong>de</strong>r Benutzung einer gewerblichen Anlage gemäß § 51 GewO, das Regierungspräsidium<br />
nach Absatz 4 Nr. 2 für die Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO, <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>vorstand<br />
gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 GewZustVO für <strong>de</strong>n Vollzug <strong>de</strong>s Gaststättengesetzes<br />
zuständig und gemäß Abs. 9 <strong>de</strong>r Vorschrift die Erlaubnisbehör<strong>de</strong> für die<br />
Verhin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Fortsetzung eines nicht zugelassenen Gewerbebetriebes nach<br />
§ 15 Abs. 2 Satz 1 GewO. Daneben sind auch Selbstverwaltungsträger <strong>de</strong>r Wirtschaft,<br />
wie etwa die als Zwangskörperschaft ausgestalteten Industrie- und Han<strong>de</strong>lskammern,<br />
mit <strong>de</strong>r Wahrnehmung vielfältiger Aufgaben betraut.<br />
Danach sind we<strong>de</strong>r <strong>Polizei</strong>behör<strong>de</strong>n noch allgemeine Ordnungsbehör<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn<br />
allein allgemeine Verwaltungsbehör<strong>de</strong>n für die Durchführung <strong>de</strong>s Gewerberechts<br />
sachlich zuständig.<br />
2. Gewerbeordnung<br />
a) In <strong>de</strong>n allgemeinen Bestimmungen ist beson<strong>de</strong>rs die Gewerbefreiheit gemäß<br />
§ 1 Abs. 1 GewO von Be<strong>de</strong>utung, die danach „je<strong>de</strong>rmann“ zusteht, während die damit<br />
umgesetzte Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG nur „Deutschen“ gewährleistet<br />
ist.<br />
Unter <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Gewerbefreiheit fallen nur solchen Tätigkeiten, die <strong>de</strong>n - gesetzlich<br />
nicht <strong>de</strong>finierten – Gewerbebegriff erfüllen. Darunter fällt je<strong>de</strong> erlaubte, auf<br />
Gewinnerzielung gerichtete, nachhaltige, selbständige und nach außen gerichtete<br />
Tätigkeit mit Ausnahme <strong>de</strong>r sog. Urproduktion (Land- und Forstwirtschaft), <strong>de</strong>r freien<br />
Berufe (Rechtsanwälte, Steuerberater, Ärzte, Künstler etc.) und <strong>de</strong>r Verwaltung eigenen<br />
Vermögens sowie sonstiger persönlicher Dienstleistungen höherer Art. In § 6<br />
GewO sind Ausnahmen vom Anwendungsbereich <strong>de</strong>r Gewerbeordnung – nicht abschließend<br />
- aufgeführt.<br />
Da die Einschränkung <strong>de</strong>r Gewerbefreiheit im Licht <strong>de</strong>s Grundrechts gemäß Art. 12<br />
Abs. 1 GG zu sehen ist, ist die vom Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht entwickelte sog. Stufentheorie<br />
zu berücksichtigen, nach <strong>de</strong>r nicht nur eine Beschränkung <strong>de</strong>r Berufsausübung<br />
aus vernünftigen Erwägungen <strong>de</strong>s Gemeinwohls, son<strong>de</strong>rn auch eine Be-
18<br />
schränkung <strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>r Berufswahl zulässig ist, soweit <strong>de</strong>r Schutz beson<strong>de</strong>rs<br />
wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend erfor<strong>de</strong>rt.<br />
b) Das maßgeblich vom Grundsatz <strong>de</strong>r Gewerbefreiheit geprägte gewerberechtliche<br />
Instrumentarium unterwirft die jeweiligen Gewerbeausübungen je nach ihrer Gefährlichkeit<br />
abgestuften Beschränkungen. So setzt das Reisegewerbe grundsätzlich<br />
eine vorherige Erlaubnis (Reisegewerbekarte gemäß § 55 Abs. 2 GewO) voraus,<br />
während das stehen<strong>de</strong> Gewerbe gemäß § 14 GewO in <strong>de</strong>r Regel nur anzeigepflichtig<br />
ist und nur für bestimmte, konkret genannte Gewerbe (Privatkrankenanstalten,<br />
Schaustellungen von Personen, Aufstellung von Gewinnspielgeräten, Betrieb einer<br />
Spielhalle, Pfandleih -, Bewachungs-, Versteigerer-, Makler- und Bauträgergewerbe)<br />
eine Erlaubnispflicht besteht. Der Veranstalter von Messen, Ausstellungen und Märkten<br />
muss eine Festsetzung, also eine Erlaubnis beantragen, während eine Teilnahme<br />
daran weitgehend genehmigungs- und anzeigenfrei und gegenüber <strong>de</strong>m Veranstalter<br />
zu beantragen ist.<br />
c) Die Gewerbeüberwachung erfolgt – abgesehen von präventiven Erlaubnisverfahren<br />
– durch repressive Maßnahmen, und zwar neben Auskunfts- und Nachschaurechten<br />
gemäß § 29 GewO durch Untersagungsverfügungen, etwa wegen überwiegen<strong>de</strong>r<br />
Gemeinwohlgefahren gegen Entschädigung gemäß § 51 GewO und<br />
insbeson<strong>de</strong>re gemäß § 35 GewO bei erlaubnisfreien Gewerbetätigkeiten wegen<br />
Unzuverlässigkeit <strong>de</strong>s Gewerbetreiben<strong>de</strong>n. Daneben können - als Folgemaßnahme<br />
zu einer vorangegangenen Untersagungsverfügung nach § 35 GewO o<strong>de</strong>r nach<br />
Rücknahme o<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf einer erfor<strong>de</strong>rlichen Erlaubnis o<strong>de</strong>r bei von vornherein<br />
konzessionslosem Betrieb gemäß § 15 Abs. 2 GewO - Betriebsschließungen angeordnet<br />
wer<strong>de</strong>n; auch hier kann sich – wie schon im Bauordnungsrecht – die Frage<br />
stellen, ob die bloß formelle Illegalität angesichts <strong>de</strong>s grundrechtlichen Schutzes<br />
aus Art. 12 Abs. 1 GG und <strong>de</strong>s Übermaßverbotes für eine Betriebsschließung ausreicht.<br />
Bei gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit sind alle gewerberechtlichen Erlaubnisse<br />
zu versagen und muss ein erlaubnisfreies Gewerbe gemäß § 35 GewO<br />
untersagt wer<strong>de</strong>n. Die Feststellung <strong>de</strong>r Unzuverlässigkeit setzt eine auf konkreten<br />
Tatsachen beruhen<strong>de</strong> und auf die Zukunft gerichtete Prognose über die fehlen<strong>de</strong><br />
persönliche Eignung <strong>de</strong>s Gewerbetreiben<strong>de</strong>n voraus, was etwa anzunehmen ist bei<br />
gewerbebezogenen Straftaten o<strong>de</strong>r Ordnungswidrigkeiten, wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit<br />
und – <strong>de</strong>r häufigste Fall – steuerrechtlichen Verstößen, bei <strong>de</strong>nen<br />
es we<strong>de</strong>r auf die Rechtmäßigkeit <strong>de</strong>r Steuerfor<strong>de</strong>rung noch auf etwaiges Verschul-
19<br />
<strong>de</strong>n ankommt, da es sich um eine präventive Gefahrenabwehrmaßnahme han<strong>de</strong>lt.<br />
Für die Rechtmäßigkeit <strong>de</strong>r Untersagungsverfügung ist trotz ihres Charakters als<br />
Dauerverwaltungsakt auf <strong>de</strong>n Zeitpunkt <strong>de</strong>r letzten Behör<strong>de</strong>nentscheidung abzustellen,<br />
weil später eingetretene positive Än<strong>de</strong>rungen im Wie<strong>de</strong>rgestattungsverfahren<br />
gemäß § 35 Abs. 6 GewO zu berücksichtigen sind; in Hessen ist die letzte Behör<strong>de</strong>nentscheidung<br />
nicht mehr <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruchs-, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r ursprüngliche Gewerbeuntersagungsbescheid,<br />
nach<strong>de</strong>m § 16 a Abs. 2 HAGVwGO das Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahrens<br />
bei Gewerbeuntersagungen gemäß § 35 GewO ausgeschlossen hat.<br />
Das Anwendungsverbot <strong>de</strong>s § 12 GewO steht einer vor einem Insolvenzverfahren<br />
erfolgten Gewerbeuntersagung nicht entgegen; das Insolvenzverfahren führt auch<br />
nicht zu einer Verschiebung <strong>de</strong>s Beurteilungszeitpunkts o<strong>de</strong>r einer Verfahrensunterbrechung,<br />
son<strong>de</strong>rn allenfalls zu einer Vollzugshemmung.<br />
3. Gaststättengesetz<br />
a) Das 1930 aus <strong>de</strong>r Gewerbeordnung ausgeglie<strong>de</strong>rte bun<strong>de</strong>srechtliche Gaststättengesetz<br />
(BGastG) regelt spezielles Gewerberecht. Es hat neben <strong>de</strong>r Bekämpfung<br />
<strong>de</strong>s Alkoholmissbrauchs die Überwachung dieses beson<strong>de</strong>ren Gewerbezweigs zum<br />
Schutz <strong>de</strong>r Gäste, Beschäftigten und <strong>de</strong>r Nachbarn zum Ziel.<br />
Nach <strong>de</strong>r Fö<strong>de</strong>ralismusreform ist das Gaststättenrecht Län<strong>de</strong>rsache gewor<strong>de</strong>n, da<br />
es in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG nicht mehr aufgeführt ist. Das bun<strong>de</strong>srechtliche Gaststättengesetz<br />
gilt aufgrund <strong>de</strong>r Übergangsregelung in Art. 125 a Abs. 1 GG inzwischen<br />
nur noch in 9 <strong>de</strong>r 16 Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r, u.a. auch nicht mehr in Hessen.<br />
b) Zum Gaststättengewerbe zählen gemäß § 1 BGastG im stehen<strong>de</strong>n Gewerbe<br />
Schank- und Speisewirtschaften und die zeitlich begrenzte Verabreichung von Getränken<br />
o<strong>de</strong>r Speisen an einer „für die Dauer <strong>de</strong>r Veranstaltung ortsfesten Betriebsstätte“.<br />
Der Gaststättenbetrieb muss je<strong>de</strong>rmann o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st einem bestimmten<br />
Personenkreis zugänglich sein. Der Betrieb eines Gaststättengewerbes unterliegt<br />
noch in 10 Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn gemäß § 2 Abs. 1 BGastG bzw. nach <strong>de</strong>m BremGastG –<br />
mit Ausnahme <strong>de</strong>r in Absatz 2 aufgeführten Verabreichung alkoholfreier Getränke,<br />
unentgeltlicher Kostproben, zubereiteter Speisen o<strong>de</strong>r von Getränken und zubereiteten<br />
Speisen an Hausgäste in Verbindung mit einem Beherbergungsbetrieb – <strong>de</strong>r Erlaubnispflicht.<br />
Die Gaststättenerlaubnis bezieht sich – außer in Bremen - als gemischte<br />
Konzession auf eine bestimmte Person, konkrete Räume und eine bestimmte<br />
Betriebsart. Dementsprechend stellen die Versagungsgrün<strong>de</strong> in § 4 Abs. 1
20<br />
Nr. 1 bis 4 BGastG auf die persönliche Zuverlässigkeit <strong>de</strong>s Gastwirts mit negativen<br />
Regelbeispielen, auf die Eignung <strong>de</strong>r Betriebsräume, auf die Lage <strong>de</strong>s Betriebs und<br />
die Verwendung <strong>de</strong>r Räume sowie auf <strong>de</strong>n Nachweis <strong>de</strong>r notwendigen lebensmittelrechtlichen<br />
Kenntnisse ab. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Erlaubnis<br />
zwingend zu versagen; sind keine Versagungsgrün<strong>de</strong> gegeben, muss die Erlaubnis<br />
erteilt wer<strong>de</strong>n.<br />
Nachbarn können sich gegen die Erlaubniserteilung unter Berufung auf nachbarschützen<strong>de</strong><br />
Normen bei möglicher Verletzung <strong>de</strong>s § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BGastG<br />
wehren. Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf einer Gaststättenerlaubnis sind gemäß § 15<br />
Abs. 1 und 2 BGastG zwingend vorgeschrieben, wenn <strong>de</strong>r Versagungsgrund <strong>de</strong>r Unzuverlässigkeit<br />
gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 BGastG nachträglich bekannt wird o<strong>de</strong>r eintritt.<br />
Da an<strong>de</strong>re – Ermessen eröffnen<strong>de</strong> – Rücknahmegrün<strong>de</strong> im Gaststättengesetz<br />
nicht genannt sind, ist insoweit ein Rückgriff auf § 48 HVwVfG zulässig. Für <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf<br />
hingegen trifft das Gaststättengesetz mit <strong>de</strong>m zwingen<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf gemäß<br />
Abs. 2 und <strong>de</strong>m in das behördliche Ermessen gestellten Wi<strong>de</strong>rruf nach Absatz 3 <strong>de</strong>s<br />
§ 15 BGastG eine umfassen<strong>de</strong> abschließen<strong>de</strong> gaststättenrechtliche Son<strong>de</strong>rregelung,<br />
so dass <strong>de</strong>r Rückgriff auf § 49 HVwVfG versperrt ist.<br />
Auch von <strong>de</strong>r zwingend vorgeschriebenen Aufhebung <strong>de</strong>r Erlaubnis darf wegen <strong>de</strong>s<br />
Grundsatzes <strong>de</strong>s Übermaßverbotes nur Gebrauch gemacht wer<strong>de</strong>n, wenn kein an<strong>de</strong>res<br />
geeignetes, weniger einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Mittel zur Verfügung steht, wie etwa eine<br />
Auflage nach § 5 o<strong>de</strong>r § 21 Abs. 1 BGastG.<br />
Der Begriff <strong>de</strong>r Auflage ist untechnisch zu verstehen und schließt an<strong>de</strong>re Nebenbestimmungen<br />
nicht aus. Bei erlaubnisfreien Gaststättenbetrieben können Auflagen<br />
gemäß Absatz 2 <strong>de</strong>r Vorschrift als selbständige Verwaltungsakte – wie im Versammlungsgesetz<br />
– verfügt wer<strong>de</strong>n.<br />
Eine Betriebsuntersagung kann bei einem von vornherein ohne die erfor<strong>de</strong>rliche<br />
Konzession betriebenen o<strong>de</strong>r nach einer sofort vollziehbaren Aufhebung <strong>de</strong>r Gaststättenerlaubnis<br />
gemäß § 31 BGastG i.V.m. § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO erfolgen. Wird<br />
dagegen ein erlaubnisfreier Teil eines Gaststättenbetriebs gemäß § 31 BGastG<br />
i.V.m. § 35 GewO untersagt, soll dafür nach einem Urteil <strong>de</strong>s Hessischen Verwaltungsgerichtshofs<br />
vom 1. Juli 2010 nicht <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Vollzug <strong>de</strong>s Gaststättengesetzes<br />
zuständige Gemein<strong>de</strong>vorstand, son<strong>de</strong>rn das für Gewerbeuntersagungen gemäß<br />
§ 35 GewO zuständige Regierungspräsidium zuständig sein; wegen <strong>de</strong>r Doppelzuständigkeit<br />
sei ein koordiniertes Zusammenwirken bei<strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n erfor<strong>de</strong>rlich.
21<br />
c) Diese Entscheidung ist mit Inkrafttreten <strong>de</strong>s neuen Hessischen Gaststättengesetzes<br />
vom 28. März 2012 (HGastG) am 1. Mai 2012 überholt.<br />
Auch für <strong>de</strong>n Ausschank alkoholischer Getränke ist im Sinne <strong>de</strong>r Deregulierung<br />
und Anpassung an die EU-Dienstleistungsrichtlinie das präventive Erlaubnisverfahren<br />
in Hessen abgeschafft wor<strong>de</strong>n. An seine Stelle ist gemäß § 3 HGastG i.V.m. § 14<br />
Abs. 1 GewO eine vorweggenommene Anzeige (sechs Wochen vor Beginn <strong>de</strong>s<br />
Gaststättengewerbes) mit einer präventiven behördlichen Prüfung nur <strong>de</strong>r persönlichen<br />
Zuverlässigkeit getreten. Dafür müssen mit <strong>de</strong>r Anzeige bestimmte Unterlagen<br />
vorgelegt und kann bei entsprechen<strong>de</strong>m Ergebnis eine amtliche Bescheinigung<br />
<strong>de</strong>r Zuverlässigkeit verlangt wer<strong>de</strong>n. Da im Sinne <strong>de</strong>r Deregulierung gewerbe-, bauund<br />
immissionsrechtliche Fragen nicht mehr überprüft wer<strong>de</strong>n, ist die Gaststättenbehör<strong>de</strong><br />
zur Datenübermittlung an diese Fachbehör<strong>de</strong>n verpflichtet.<br />
Ergibt sich aus <strong>de</strong>n Unterlagen die Unzuverlässigkeit <strong>de</strong>s zukünftigen Gastgewerbetreiben<strong>de</strong>n,<br />
ist bereits <strong>de</strong>r Beginn <strong>de</strong>s Ausschanks alkoholischer Getränke gemaß<br />
§ 4 Abs. 1 Satz 2 HGastG zu untersagen. Im Übrigen besteht nach Satz 1 <strong>de</strong>r Vorschrift<br />
u.a. bei Unzuverlässigkeit eine (nachträgliche) Untersagungspflicht und nach<br />
Abs. 2 bei formell unzureichen<strong>de</strong>r Anzeige eine Untersagungsmöglichkeit nach Ermessen.<br />
Für <strong>de</strong>n Ausschank alkoholfreier Getränke bedarf es gemäß § 2 HGastG nur einer<br />
nachträglichen Gewerbeanzeige gemäß § 14 Abs. Satz 1 GewO.<br />
Aber auch in diesem Fall gilt die beson<strong>de</strong>re lan<strong>de</strong>srechtliche Untersagungsvorschrift<br />
<strong>de</strong>s § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 HGastG, die <strong>de</strong>shalb trotz § 2 HGastG die<br />
Anwendbarkeit <strong>de</strong>s § 35 GewO generell ausschließt.<br />
Für <strong>de</strong>n Vollzug ist gemäß § 16 HGastG nur eine Behör<strong>de</strong> zuständig, nämlich gemäß<br />
§ 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 GewZustVO <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>vorstand, so dass die Entscheidung<br />
<strong>de</strong>s Hess.VGH vom 1. Juli 2010 überholt ist (vgl. Hess.VGH, Beschluss<br />
vom 4. Sept. 2012, LKRZ 2012 S. 508 = GewArch 2013 S. 39).<br />
Die repressiven Eingriffsbefugnisse in § 10 HGastG beziehen sich in Abs. 2 neben<br />
<strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Gäste auch auf <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Nachbarschaft, so dass es durch<br />
diese Modifikation <strong>de</strong>s Trennungsgrundsatzes bei einer Drittschutzmöglichkeit verbleibt.