Die Entstehung der Neandertaler

Weitere Magazine

Empfehlungen

Info

46 Kolumnentitel 47 Das Aussehen der Neandertaler Neandertaler versus moderner Mensch: Anatomie im Überblick Im Gegensatz zu vielen anderen Vorfahren des heutigen Menschen, deren Skelettbau (Morpho logie) nur sehr bruchstückhaft oder mit mehr oder weniger großen Lücken bekannt ist, liegen von Neandertalern nicht nur eine Vielzahl von Einzelknochen, sondern auch einige vollständige Skelette vor. Seit vor 150 Jahren der erste Neandertaler identifi ziert wurde, befassen sich Paläoanthropologen mit ihrer speziellen Morphologie. So haben zahllose Publikationen ausschließlich die Skelett reste der Neandertaler zum Thema. Neandertaler können daher als die am besten erforschte Menschenform nach dem heutigen Menschen be zeichnet werden. Die Beschäftigung mit ihrem Aus sehen und die sich daraus ergebenden Un - ter schiede zum modernen, heutigen Menschen sind von Anfang an ein zentrales Problem der Forschung gewesen. Auf ersten Forschungsergeb nissen basierende Rekonstruktionsversuche prägten das Bild der Neandertaler und trugen zu ihrem bis heute existierenden negativen Image bei (siehe „Das Image-Problem des Wilden Mannes“). Die zahlreichen Funde von Skelettresten der Neandertaler haben in der Zwischen - zeit wenige Fragen zu ihrem Körperbau offen gelas - sen und somit viele der alten Missverständnisse und Fehlinterpretationen korrigieren können. Tabellarisch sind hier die Skelettmerkmale von Neandertalern im Vergleich zum anatomisch modernen Menschen aufgelistet: 7 Die kräftigen Überaugenwülste gehören zu den eindeutigen Bestimmungsmerkmalen, wodurch sich die Neandertaler vom anatomisch modernen Menschen abgrenzen lassen. 3 Ein Vergleich der Schädelmerkmale des Neandertalers und des anatomisch modernen Menschen. Abflachung oberhalb des Hinterkopfs deutlich abgesetztes Hinterhaupt Hinterhauptwulst kleiner Warzenfortsatz Hirnschädel flach und langgestreckt retromolare Lücke Hirnschädel hoch aufgewölbt und kurz Neandertaler_Umbruch2.indd 46-47 22.02.2006 11:45:13 Uhr kein Hinterhauptwulst großer Warzenfortsatz flache Stirn steile Sirn Überaugenwulst fehlende Wangengrube negatives Kinn kein Überaugenwulst Wangengrube vorhanden positives Kinn
68 Kolumnentitel 69 Wie lebten die Neandertaler? Lebensraum Die Neandertaler werden häufi g als erste Europäer bezeichnet. Damit wird auf die Tatsache hingewie - sen, dass es sich bei den Neandertalern um die einzi - ge Menschenform handelt, die sich unabhängig in Europa entwickelt hat. Die Neandertaler verbreiteten sich jedoch nicht nur in Europa, sondern drangen bis in den Nahen Osten, in den Nordirak und nach Westasien bis ins heutige Usbekistan vor. Den östlichsten Fundpunkt stellt das Grab von Teshik-Tash dar. Die stammesgeschichtliche Entwicklung zum Neandertaler nahm ihren Anfang in Europa während der vorletzten Eiszeit, vor etwa 250 000 bis 200 000 Jahren. Ihre letzten Vertreter sind vor etwa 30 000 Jahren nachgewiesen. Während dieser langen Zeit mussten sie sich immer wieder auf wechselnde Klimabedingungen einstellen. Eis zeiten sind keine Perioden konstant kalten Klimas, sondern gekenn zeichnet durch einen Wechsel von Warm- und Kaltzeiten. Wir wissen heute anhand der Daten, die aus dem tiefgekühlten Klima-Archiv der grönländischen Eiskerne gewonnen werden, dass sich das Klima mitunter sehr schnell änderte: Die Jahresdurchschnittstemperatur schwank te dann inner halb von 20 Jahren oder auch nur innerhalb eines Jahrzehnts um 10 °C. Die prähistorischen Menschen mussten folglich fl exibel auf Umweltveränderungen reagieren. Vor 150 000 Jahren, zur Zeit der frühen Neandertaler, war der gesamte nordeuropäische Bereich vereist. Mitteleuropa war von einer eiszeitlichen Tundra bedeckt. Im Bereich der Alpen und Pyrenäen erstreckten sich ausgedehnte Gletscher. Lediglich in der Mittelmeerregion erlaubt das günstigere Klima das Wachstum von Laub- und Nadel wäldern. Die ersten klassischen Neandertaler treten in der letzten Zwischeneiszeit (Eem) vor etwa 130 000 Jahren auf. Während dieser etwa 10 000 Jahre andauernden Warmzeit war das Klima in Deutschland wärmer und feuchter als heute. Gro ße Laubwälder breiteten sich aus. Wärmeliebende Pfl anzen wie der Buchsbaum waren bis Norddeutschland verbreitet. In den Flussniederungen mit ihren weidengesäumten Alt- und Totarmen gab es viele Biber; Flusspferde hatten ihren Le bensraum bis in un sere Breiten ausgedehnt. Haselnuss, Holunder und Schlehengebüsche säumten lichte Wälder, in denen Eiben neben Buchen, Linden und Eichen wuchsen. Die Wälder waren der Lebensraum für Waldelefanten, Damhirsche, Auer ochsen und Wildschweine. In den Grasfl uren weideten Pferde, Wisente und Nashörner. Unter solchen Umweltbedingungen kam der Jagd sicher nur eine eingeschränkte Bedeutung zu. Die Fülle an verfügbaren Sammelpfl anzen erhöhte den Anteil an pfl anzlicher Nahrung. Wildobst, Beeren, Nüsse, Bucheckern, Eicheln, Pilze, Knollen und Grünpfl anzen waren eine siche re Lebensgrund lage. Im Jahre vor heute 0 10 000 20 000 30 000 40 000 50 000 60 000 70 000 80 000 90 000 100 000 110 000 120 000 130 000 Nacheiszeit Würm-Eiszeit Letzte Warmzeit Spätglazial Oberes Pleniglazial Interpleniglazial Unteres Pleniglazial Frühglazial Gliederung des Eiszeitalters 2. Kältemaximum 1. Kältemaximum Jetztmensch (Homo sapiens sapiens) Neandertaler (Homo sapiens neandertalensis) 7 Blick auf eine herbstliche Tundra – ein Lebensraum der Neandertaler 7 Eiszeiten haben kein konstant kaltes Klima, sondern sind geprägt durch den Wechsel von Warm- und Kaltzeiten. Neandertaler_Umbruch2.indd 68-69 22.02.2006 11:45:31 Uhr
Seite 1: 32 Ein kurzer Abriss der Menschheit

Die Entstehung der Neandertaler

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Template löschen?

Als Template speichern?