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Religiöse Kunst in Gandhara

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Im <strong>Gandhara</strong>-Stil<br />

ausgeführte<br />

buddhistische Statue<br />

aus dem Peschawar-Tal;<br />

11. oder 12. Jh. n. Chr.<br />

Stark beschädigte,<br />

lebensgroße Statue von<br />

Kanishka, die während<br />

des Talibanregimes<br />

bei e<strong>in</strong>em Überfall<br />

auf das Kabuler Museum<br />

völlig zerstört wurde;<br />

128 n. Chr.<br />

enthalt <strong>in</strong> Ägypten. Dorth<strong>in</strong> war sie wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

von den ersten Achämeniden-Herrschern e<strong>in</strong>geführt<br />

worden, sodass man sie <strong>in</strong> der griechischen<br />

Welt seit Herodot unter dem Namen Ȁgyptische<br />

Bohne« kannte. Infolge dieses Namens und angesichts<br />

der Tatsache, dass er Krokodile gesehen hatte,<br />

als er zu e<strong>in</strong>em früheren Zeitpunkt den Indus überquert<br />

hatte, glaubte Alexander am Chenab offenbar<br />

für e<strong>in</strong>en kurzen Moment, er habe den Oberlauf des<br />

Nils entdeckt.<br />

Alexanders wagemutige Eroberungszüge führten<br />

unter anderem auch dazu, dass sich e<strong>in</strong> verwirrendes<br />

Durche<strong>in</strong>ander an Informationen anhäufte.<br />

So berichtete se<strong>in</strong> Jugendfreund Nearchos, der e<strong>in</strong>e<br />

Abhandlung über Alexanders Feldzüge schrieb,<br />

nicht nur über e<strong>in</strong> Tigerfell, das er im Pandschab<br />

gesehen habe, sondern auch über e<strong>in</strong>ige sagenumwobene<br />

»Häute«, die von »Goldgräberameisen«<br />

stammen sollten, die »etwas größer als Füchse seien<br />

und über e<strong>in</strong>e erstaunliche Leistungsfähigkeit verfügten«.<br />

Die Mazedonier erfuhren durch Herodot<br />

von diesen nützlichen Tieren und waren begierig,<br />

mehr über sie zu erfahren. Im Pandschab warteten<br />

e<strong>in</strong>heimische Händler daher bereitwillig auf mit<br />

e<strong>in</strong>er ganzen Auswahl derartiger »Häute«, die von<br />

den übergroßen Ameisen stammten sollten und wie<br />

Leopardenfelle gefleckt waren. Die Mazedonier<br />

sahen <strong>in</strong> ihnen den materiellen Beweis dafür, dass<br />

28 Die Seidenstraße <strong>in</strong> der Antike<br />

auch deren bergbauliche Tätigkeit der Wahrheit<br />

entsprach. So wurden diese ungewöhnlichen Ameisen<br />

als Realität akzeptiert und als nicht exotischer<br />

oder unwirklicher empfunden als der <strong>in</strong>dische<br />

Tiger.<br />

Das Reich Alexanders des Großen überlebte se<strong>in</strong>en<br />

Gründer nicht – es darf auch bezweifelt werden,<br />

dass e<strong>in</strong> anderer e<strong>in</strong> so riesiges Herrschaftsgebiet<br />

hätte zusammenhalten können. Alexander hat dennoch<br />

Spuren h<strong>in</strong>terlassen, die bis zum heutigen Tag<br />

erkennbar s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> Beispiel s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zigartigen<br />

Skulpturen von <strong>Gandhara</strong> im Peschawar-Tal, die<br />

ganz e<strong>in</strong>deutig hellenistische Züge aufweisen. Seit<br />

dem späten 19. Jh. versuchen Gelehrte sie aufgrund<br />

weiterer Stilelemente mit Begriffen wie »römischbuddhistisch«<br />

(bezugnehmend auf die Bedeutung<br />

des Seehandels zwischen Alexandria, Palmyra und<br />

Indien während des Römischen Reichs), »griechisch-persisch«<br />

(e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf den Beitrag parthischer<br />

Bildhauerkunst) oder »griechisch-baktrisch«<br />

zu charakterisieren. Der letzte Begriff sollte<br />

zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen, dass sich <strong>in</strong> und um das<br />

antike Baktrien modifizierte hellenistische oder<br />

griechisch-persische <strong>Kunst</strong>traditionen bildeten, die<br />

nicht nur das Ende der griechischen Herrschaft<br />

überlebten, sondern unter den Kushanas noch weiterentwickelt<br />

wurden. Die Kushanas übernahmen<br />

sogar das griechische Alphabet, um es dann ihrer<br />

eigenen Sprache anzupassen.<br />

<strong>Religiöse</strong> <strong>Kunst</strong> <strong>in</strong> <strong>Gandhara</strong><br />

Der Buddhismus erreichte <strong>Gandhara</strong> knapp e<strong>in</strong><br />

Jahrhundert nach Alexanders Eroberungsfeldzügen<br />

dank e<strong>in</strong>er von dem gläubigen <strong>in</strong>dischen Herrscher<br />

Ashoka (ca. 272–232 v. Chr.) unterstützten missionarischen<br />

Großoffensive. Die Blütezeit der <strong>Gandhara</strong>-<br />

<strong>Kunst</strong> begann allerd<strong>in</strong>gs erst mit der Herrschaft der<br />

Kushanas (1. bis 3. Jh. n. Chr.). Diese könnten Yuezhi<br />

gewesen se<strong>in</strong>, die von den Xiongnu aus Gansu<br />

(»e<strong>in</strong>er unheimlichen Gegend <strong>in</strong> Zentralasien«, wie<br />

e<strong>in</strong> Schriftsteller es ausdrückte) vertrieben wurden.<br />

Das Kaiserreich Kushana umfasste Samarkand,<br />

Buchara und Ferghana und grenzte an die Städte<br />

Kaschgar, Yarkand und Khotan, durch die die Seidenstraße<br />

führte. Zudem verlief die Hauptverb<strong>in</strong>dungsstraße<br />

zwischen Zentralasien und Indien, die<br />

den Subkont<strong>in</strong>ent mit der Seidenstraße und dem<br />

Mittelmeerraum verband, durch <strong>Gandhara</strong>. Sie wurde<br />

von den Kushanas vermutlich unter Kujula Kadphises<br />

e<strong>in</strong>genommen – e<strong>in</strong>em Kaiser, der auch<br />

Münzen mit dem Konterfei des römischen Kaisers<br />

Augustus (27 v. Chr. bis 14 n. Chr.) prägen ließ. Der<br />

Im Gegensatz zu der<br />

oben abgebildeten Figur<br />

im römisch-hellenistischen<br />

<strong>Gandhara</strong>-Stil<br />

hat dieser aus der<br />

Tang-Zeit stammende<br />

Bodhisattva-Kopf<br />

aus M<strong>in</strong>goi e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutig<br />

orientalisches Aussehen.


Wüstenlandschaft<br />

bei Bezeklik.<br />

Die Ausbreitung von Handel<br />

und Religionen<br />

Während der Jahrtausende, <strong>in</strong> denen die Routen<br />

der Seidenstraße zu den Haupthandelswegen<br />

gehörten, wurde der Warenaustausch von unterschiedlichen<br />

Völkern dom<strong>in</strong>iert. Die Händler, die<br />

mit ihren Kamelkarawanen Luxus- und Gebrauchsgüter<br />

zwischen den Oasen transportierten, waren<br />

ganz verschiedener ethnischer Herkunft, d. h. sie<br />

unterschieden sich <strong>in</strong> ihrem Aussehen, ihrer Sprache,<br />

ihrer Kleidung und ihrer Kultur.<br />

Es waren die vermutlich ersten Anwohner der<br />

Seidenstraße, die man zuletzt entdeckte. Vor nahezu<br />

e<strong>in</strong>em Jahrhundert fand Sir Aurel Ste<strong>in</strong> <strong>in</strong> Loulan <strong>in</strong><br />

der Wüste am Rand des schimmernden Salzsees Lop<br />

Nor e<strong>in</strong>ige gut erhaltene Mumien. Mehrere Körper<br />

Tocharer und Sogdier<br />

und ihre Grabbeigaben waren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ausgezeichneten<br />

Zustand. Die spitz zulaufenden, mit großen<br />

Federn und anderen Jagdtrophäen geschmückten<br />

Filzkappen, die Pfeilköcher an ihrer Seite, die raue,<br />

aber feste Wollbekleidung, die säuberlich geflochtenen<br />

kle<strong>in</strong>en Körbe, <strong>in</strong> denen man den Toten Nahrung<br />

mitgegeben hatte, . . . alles deutete auf e<strong>in</strong>e<br />

Rasse von halb-nomadisch lebenden Hirten und<br />

Jägern h<strong>in</strong>. Die Menschen entsprachen genau dem<br />

Bild, das die Chroniken der Han von Loulans<br />

Bewohnern gezeichnet hatten. Die Ch<strong>in</strong>esen waren<br />

auf sie gestoßen, als sie erstmals versucht hatten, die<br />

Wüste zu durchqueren.<br />

»Es war e<strong>in</strong> eigenartiges Gefühl, auf Gestalten<br />

h<strong>in</strong>abzublicken, die – sah man von ihrer pergamentartigen<br />

Haut ab – wirkten, als würden sie nur schlafen<br />

. . . Ihre Gesichtszüge wiesen e<strong>in</strong>e starke Ähnlichkeit<br />

mit denen des Homo alp<strong>in</strong>us auf, der – wie sich<br />

anhand des von mir selbst zusammengetragenen<br />

anthropometrischen Materiels beweisen lässt – noch<br />

immer e<strong>in</strong>e beherrschende Rolle im Rassenspektrum<br />

der heutigen Bevölkerung des Tarimbeckens<br />

spielt.«<br />

Die Mumien von Loulan und Cherchen<br />

Aufgrund von Vergleichen mit anderen Funden aus<br />

der Region schätzte Ste<strong>in</strong>, dass die Mumien etwa<br />

2000 Jahre alt se<strong>in</strong> mussten. Sie hätten – daher die<br />

Erwähnung der Han-Chronik – somit zu e<strong>in</strong>er Zeit<br />

gelebt, als die Ch<strong>in</strong>esen mit der Erforschung Zentralasiens<br />

begannen. Ähnliche mumifizierte Körper<br />

wurden später <strong>in</strong> Cherchen (Qiemo), also ebenfalls<br />

am Rand des Tarimbeckens (allerd<strong>in</strong>gs südlich von<br />

Loulan) gefunden. Expeditionen, die gegen Ende<br />

der 1920er Jahre unter der Leitung von Sven Hed<strong>in</strong><br />

durchgeführt wurden, orientierten sich an Ste<strong>in</strong>s<br />

Beschreibung des Gräberfelds von Loulan. E<strong>in</strong>e stratigraphische<br />

Analyse der Fundstelle erwies sich<br />

wegen des Flugsandes aber als unmöglich. Auch gab<br />

es zu Beg<strong>in</strong>n des 20. Jhs. noch ke<strong>in</strong>e anderen wissenschaftlichen<br />

Datierungsmethoden neben der vergleichenden<br />

Zuordnung zu anderen Funden. Doch<br />

was hätten andere Fundstücke wie Münzen und<br />

Schriftdokumente genützt, wenn sie dem gleichen<br />

W<strong>in</strong>d und Sand ausgesetzt gewesen wären?<br />

Neuere Untersuchungen legen nahe, dass die<br />

Bestattungen <strong>in</strong> Cherchen um 1000 v. Chr. erfolgten.<br />

Die Körper aus dem Gräberfeld <strong>in</strong> Loulan sche<strong>in</strong>en<br />

dagegen bereits um 2000 v. Chr. begraben worden zu<br />

se<strong>in</strong>. Heute ist die Fundstätte von sandigem, w<strong>in</strong>dgepeitschtem<br />

Ödland mit salzverkrustetem Boden<br />

umgeben. Ausgetrocknete Baumstämme, die die<br />

Grabstätten säumten, sowie gebündelte Meerträubel-<br />

(Ephedra) Zweige, Pfeile und Körbe, die man<br />

den Toten mitgegeben hatte, lassen aber darauf<br />

schließen, dass die Gegend vor e<strong>in</strong>igen tausend Jahren<br />

ganz anders ausgesehen haben muss und somit<br />

e<strong>in</strong> halb-sesshaftes Leben durchaus ermöglicht<br />

haben könnte. Als sich die Ch<strong>in</strong>esen während der<br />

Zeit der Han-Dynastie erstmals <strong>in</strong> das Innere Zentralasiens<br />

vorwagten, war Loulan noch e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Karawanenstation, wo es reichlich Wasser und<br />

Lebensmittel gab. Um 330 n. Chr. zerstörte allerd<strong>in</strong>gs<br />

e<strong>in</strong>e verheerende Flut die Stadt. Später trocknete der<br />

See Lop Nor allmählich aus und verwandelte sich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en Salzsumpf. In der Folgezeit zogen noch immer<br />

viele Reisende aus alter Gewohnheit über die mittlere<br />

Route der Seidenstraße, obwohl es <strong>in</strong> den Überresten<br />

von Loulan nun ke<strong>in</strong>en Schutz und ke<strong>in</strong>e<br />

Verpflegung mehr gab. Seit dieser Zeit bot die längere<br />

Südroute der Seidenstraße mehr Sicherheit.<br />

Europäische E<strong>in</strong>wanderer <strong>in</strong> Loulan<br />

Die <strong>in</strong> Loulan und Cherchen entdeckten Mumien<br />

hatten e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> europäisches Aussehen mit ausgeprägten<br />

Nasenrücken, vollen Bärten, tiefen, runden<br />

Augenhöhlen und häufig blondem oder rötlichem<br />

Haar. Erwachsene waren hoch gewachsen und trugen<br />

Kleidung aus Fellen, Wollstoff, Leder und Filz.<br />

Die Farben ihrer Textilien waren erstaunlich frisch<br />

erhalten: Das Tuch, <strong>in</strong> das e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>gewickelt<br />

ist, wird von e<strong>in</strong>em Strang aus leuchtend roter und<br />

blauer Wolle zusammengehalten. Der »Cherchen-<br />

Mann«, e<strong>in</strong> 55-Jähriger, der um 1000 v. Chr. begraben<br />

wurde, trug e<strong>in</strong> Hemd aus dunkelrotem Stoff und<br />

weiße Hirschlederstiefel, unter denen blau, rot und<br />

gelb ger<strong>in</strong>gelte Filzsocken zum Vorsche<strong>in</strong> kamen.<br />

E<strong>in</strong>ige Kleidungsstücke der Mumien waren schlicht,<br />

andere hatte man aus schmalen, dicht geflochtenen,<br />

44 Tocharer und Sogdier Europäische E<strong>in</strong>wanderer <strong>in</strong> Loulan<br />

45<br />

Fragment e<strong>in</strong>er manichäischen<br />

Handschrift mit<br />

e<strong>in</strong>er Darstellung des<br />

Bemafestes, das jährlich<br />

zum Gedenken an den<br />

Märtyrertod von Mani<br />

(im März 276 n. Chr.)<br />

gefeiert wurde und auch<br />

<strong>in</strong> den Schriften des e<strong>in</strong>st<br />

zu den Manichäern<br />

gehörenden heiligen<br />

August<strong>in</strong>us erwähnt ist.


Episoden aus dem Leben Buddhas sowie Jatakas<br />

(Moralgeschichten aus den früheren Existenzen des<br />

Buddha). Jede freie Fläche ist bedeckt mit unzähligen<br />

Reihen w<strong>in</strong>ziger Buddha-Bildnisse. Den Mittelpunkt<br />

e<strong>in</strong>er solchen Höhle bildet meist e<strong>in</strong>e Säule,<br />

um die stehende oder auf Lotosthronen ruhende,<br />

mit Flammenkränzen geschmückte Stuckfiguren<br />

und deren Begleiter gruppiert s<strong>in</strong>d.<br />

In den kle<strong>in</strong>eren Höhlen auf der rechten Seite<br />

der langen Klippe lebte e<strong>in</strong>st e<strong>in</strong>e große Mönchsgeme<strong>in</strong>schaft.<br />

Ihre Mitglieder schufen die Grotten,<br />

malten sie aus und modellierten Skulpturen auf hölzernen<br />

Gerüsten. Sie bemalten auch Banner aus<br />

Hanf, Papier und Seide, die bei Prozessionen mitgeführt<br />

wurden oder bestimmte Höhlen an Festtagen<br />

schmückten und häufig die Konterfeis der edlen<br />

Spender zeigten. Für Gläubige und die zahlreichen<br />

Tempel der Region kopierten die Mönche die Sutren<br />

auf langen gelben Papierrollen.<br />

Höhle 16 – das älteste Archiv der Welt<br />

In Höhle 16 fand man e<strong>in</strong> ste<strong>in</strong>ernes Abbild von<br />

Hong Bian, e<strong>in</strong>em bekannten Mönch des 9. Jhs., der<br />

aus der Prov<strong>in</strong>z Gansu westlich des Gelben Flusses<br />

stammte. Erst im Jahr 1900 entdeckte e<strong>in</strong> taoistischer<br />

Mönch, der <strong>in</strong> den versandeten, seit etwa e<strong>in</strong>em<br />

Jahrtausend verlassenen Höhlen herumstöberte,<br />

dass sich h<strong>in</strong>ter der Statue des <strong>in</strong> Meditation versunkenen<br />

Mönchs e<strong>in</strong>e Tür verbarg. H<strong>in</strong>ter dieser Tür<br />

fand man e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e ganz und gar ausgemalte und<br />

nahezu bis zur Decke mit Schriftrollen angefüllte<br />

Höhle.<br />

Der von Abt Wang freigelegte Berg an schriftlichen<br />

Dokumenten aus der Zeit zwischen 400 und<br />

1000 n. Chr. entpuppte sich als das älteste Papier-<br />

Archiv der Welt. Die meisten Texte und Malereien<br />

behandelten buddhistische Themen. Doch es gab<br />

auch manichäische, nestorianische, jüdische, taoistische<br />

und konfuzianische Schriften sowie e<strong>in</strong>e beträchtliche<br />

Zahl von Dokumenten, die sich mit der<br />

Wirtschaft, Geschichte und Gesellschaft der Region<br />

befassten. Obwohl die meisten Texte <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>esisch<br />

abgefasst waren, kamen auch Abhandlungen <strong>in</strong><br />

Sanskrit, Uighur, Tibetisch, Khotansakisch, Kuschanisch,<br />

Sogdisch und Hebräisch zum Vorsche<strong>in</strong>.<br />

Dieser fasz<strong>in</strong>ierende Zufallsfund wirft e<strong>in</strong> Schlaglicht<br />

auf die gesamte Vergangenheit der Seidenstraße,<br />

doch ist bis heute ungeklärt, weshalb e<strong>in</strong>e so<br />

umfangreiche Dokumentensammlung <strong>in</strong> der w<strong>in</strong>zigen<br />

Höhle untergebracht war. Es wird vermutet, dass<br />

man die Schriften verbarg, als die Region von den<br />

Tanguten e<strong>in</strong>genommen wurde, die dort 1038 n. Chr.<br />

das Königreich Xixia (Xi Xia) gründeten. Neuere<br />

Forschungsergebnisse deuten aber darauf h<strong>in</strong>, dass<br />

die Höhle wahrsche<strong>in</strong>lich etwas eher, bereits im ersten<br />

Jahrzehnt des ersten Jahrtausends, verschlossen<br />

wurde. Die Sorgfalt mit der man den Zugang verbarg,<br />

spricht auch dafür, dass es sich dabei um akribische<br />

Planung, also nicht um e<strong>in</strong>e hastige Notaktion<br />

handelte. Die Statue Hong Bians war ursprünglich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er höher gelegenen Höhle untergebracht, die man<br />

kurz nach se<strong>in</strong>em Tod im 9. Jh. geweiht hatte – bald<br />

nachdem Dunhuang nach e<strong>in</strong>er Periode tibetischer<br />

Besatzung wieder von den Ch<strong>in</strong>esen übernommen<br />

worden war. Die neue Bleibe der Skulptur <strong>in</strong> Höhle<br />

16 dekorierte man mit e<strong>in</strong>em Wandgemälde, das<br />

mehrere Personen unter e<strong>in</strong>em Baum zeigt, an dessen<br />

Zweigen e<strong>in</strong>e Wasserflasche und e<strong>in</strong>e lederne<br />

Pilgertasche hängen. Die kle<strong>in</strong>e Tür zur Nebenhöhle<br />

sche<strong>in</strong>t zur besseren Tarnung übermalt worden zu<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Vermutlich gab es verschiedene Gründe, e<strong>in</strong> solches<br />

Archiv anzulegen. Die Furcht vor e<strong>in</strong>er kriegerischen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mag e<strong>in</strong>er davon gewesen<br />

se<strong>in</strong>. Viele der buddhistischen Schriftrollen<br />

könnten aber auch zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> den Höhlen e<strong>in</strong>gerichteten<br />

Tempelbibliothek gehört haben, denn die kanonischen<br />

Werke besaßen oft Beschriftungen, die<br />

sie als Eigentum anderer Tempel der Umgebung<br />

auswiesen. Vielleicht wurden sie wegen deutlicher<br />

Gebrauchsspuren <strong>in</strong> den Höhlen e<strong>in</strong>gelagert oder<br />

von den Mönchen restauriert, da e<strong>in</strong>ige der stark<br />

abgenutzten Sutrarollen offenbar ausgebessert wurden.<br />

Es gab <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a auch e<strong>in</strong>e lange Tradition der<br />

64 Höhle 16 – das älteste Archiv der Welt<br />

65<br />

Höhle 16 mit der Statue<br />

von Hong Bian und<br />

zahlreichen ch<strong>in</strong>esischen<br />

Schriftrollen; Fotografie<br />

von A. Ste<strong>in</strong>.<br />

Höhlentempel bei<br />

Dunhuang; Fotografie<br />

von A. Ste<strong>in</strong>.

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