Schriftenreihe Praxiswissen - h.e.p. verlag ag, Bern
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Empowerment in der<br />
Pflegepraxis<br />
Claudia Kubli<br />
Sandra Sermier<br />
<strong>Schriftenreihe</strong> <strong>Praxiswissen</strong>
Inhalt<br />
Vorwort ............................................................. 6<br />
Einleitung und Ausgangsl<strong>ag</strong>e .......................................... 7<br />
Übersicht und Aufbau der Publikation................................... 8<br />
Methodisches Vorgehen ............................................... 9<br />
Theoretische Verortung des Empowerment-Konzepts . ................... 10<br />
Grundl<strong>ag</strong>en zu Empowerment ......................................... 12<br />
Entwicklung und geschichtlicher Hintergrund von Empowerment . ........ 12<br />
Definitionen von Empowerment ....................................... 13<br />
Empowerment-Prozesse auf verschiedenen Ebenen . .................... 14<br />
Merkmale und Bedingungen von Empowerment-Prozessen . ............. 15<br />
Folgerungen für das professionelle Handeln ............................ 16<br />
Verwandte Konzepte von Empowerment ................................ 17<br />
Empowerment in der Pflegepraxis ..................................... 20<br />
Handlungsansätze in der Gestaltung von Empowerment-Prozessen ....... 21<br />
Empowerment in der Beratung, Schulung und Anleitung ................. 24<br />
Empowerment im Kontext der steigenden Lebenserwartung . ............ 26<br />
Empowerment von Organisationen und Mitarbeitenden<br />
im Gesundheitswesen ................................................ 29<br />
Empowerment und Führung ........................................... 29<br />
Empowerment von Mitarbeitenden durch die Förderung<br />
von Kompetenzen .................................................... 31<br />
Fazit und Ausblick .................................................... 32<br />
Literatur . ............................................................ 34<br />
5
Vorwort<br />
Die vorliegende Publikation ist die dritte Ausgabe der Reihe «<strong>Praxiswissen</strong>»,<br />
welche vom <strong>Bern</strong>er Bildungszentrum Pflege herausgegeben wird. Als grösste<br />
Ausbildungsstätte für Pflege auf der Tertiärstufe in der Schweiz und Anbieter<br />
von Nachdiplomstudiengängen und Nachdiplomkursen nehmen wir für uns in<br />
Anspruch, in dieser Publikationsreihe sowohl in Bezug auf die Lehre als auch in<br />
Bezug auf vermittelte Inhalte praxisrelevantes Wissen zum Thema vermitteln zu<br />
können. Praxisrelevanz heisst in diesem Zusammenhang, dass sich publizierte<br />
Themen am aktuellen Stand des Wissens, d. h. an (berufs-)päd<strong>ag</strong>ogischen,<br />
pflegewissenschaftlichen oder gesundheitspolitischen Erkenntnissen und<br />
Entwicklungen, orientieren. Dieses Wissen ist erforderlich, um gegenwärtige<br />
und zukünftige Herausforderungen in der Berufsbildung und im Gesundheitswesen<br />
zu bewältigen. Wir möchten einen Beitr<strong>ag</strong> zur Weiterentwicklung einer<br />
quali tativ hochstehenden und zukunftsorientierten Aus- und Weiterbildung im<br />
Pflegebereich leisten, Fr<strong>ag</strong>estellungen von Lehr- und Fachpersonen der Stufe<br />
Höhere Fachschule und Weiterbildungen thematisieren und praxisbezogene<br />
Hilfestellung anbieten.<br />
In der vorliegenden Publikation gehen die Autorinnen der Fr<strong>ag</strong>e nach, wie<br />
Empowerment für die Pflegepraxis und von Organisationen, in welchen Pflegende<br />
tätig sind, genutzt werden kann. Einleitend dazu und zum Verständnis<br />
von Empowerment werden die Grundl<strong>ag</strong>en des Konzepts vorgestellt. Anschliessend<br />
wird beschrieben, wie in den pflegerischen Handlungsfeldern das Empowerment-Konzept<br />
für das Setzen und Verfolgen von eigenen Gesundheitszielen,<br />
für das Selbstman<strong>ag</strong>ement bei Menschen mit chronischen Krankheiten,<br />
bei der Förderung selbstbestimmten Lebens in der älteren Bevölkerung und in<br />
der Gestaltung von Empowerment fördernder Arbeitsbedingungen zum Tr<strong>ag</strong>en<br />
kommt. Damit wird aufgezeigt, wie die Pflege durch dieses Konzept die Chance<br />
bekommt, ihre Zielgruppen und sich selbst zu stärken, neue Handlungsspielräume<br />
zu erschliessen und die Gesundheitspolitik aktiv mitzugestalten.<br />
Peter Marbet<br />
Direktor <strong>Bern</strong>er Bildungszentrum Pflege<br />
6
Einleitung und Ausgangsl<strong>ag</strong>e<br />
In der Pflegepraxis gewinnen präventive und gesundheitsfördernde Aufgaben,<br />
wie die Vermittlung gesundheitsspezifischen Wissens und edukative 1 Methoden,<br />
an Bedeutung. Dies hat mit drei viel besprochenen Trends und ihrem Einfluss<br />
auf die Gesundheit der Bevölkerung zu tun. Dazu gehören die steigende<br />
Lebenserwartung, die Dominanz chronischer Krankheiten sowie die ungleiche<br />
Verteilung von Gesundheitschancen, also die Tatsache, dass nicht alle Menschen<br />
gleiche Aussichten auf ein langes Leben bei bestmöglicher Gesundheit<br />
haben. Angesichts dieser Veränderungen und der damit verbundenen Auswirkungen<br />
auf die Lebensqualität der Betroffenen sowie die ökonomischen Konsequenzen<br />
in der Gesundheitsversorgung erweisen sich die Gesundheitsförderung<br />
und die Prävention als mögliche Lösung für Teile der genannten Probleme.<br />
Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung von Inhalten und Merkmalen<br />
professioneller Pflegepraxis lässt sich ebenfalls ein vermehrter Wandel hin zu<br />
mehr gesundheitsförderlichen Konzepten feststellen. Verschiedene Konzepte,<br />
wie bspw. Salutogenese, Resilienz, Recovery und auch Empowerment, beeinflussen<br />
zunehmend die Handlungspraxis sowie das Rollenverständnis der<br />
Pflege. Es scheint jedoch, dass das in diesem Zusammenhang vorhandene<br />
Potenzial und somit die pflegerischen Beiträge zur Gesundheitsförderung und<br />
zur gesamten Gesundheitsversorgung noch nicht ausgeschöpft sind. Zahlreiche<br />
Publikationen bspw. im Zusammenhang mit Empowerment in der Pflegepraxis<br />
geben darüber Auskunft. Dabei gehören das Fördern und Stärken von<br />
Fähigkeiten und Ressourcen, die aktive Gestaltung einer gesundheitsförderlichen<br />
Umgebung, die Förderung von Wohlbefinden und Lebensqualität sowie<br />
die Unterstützung von Selbstbestimmung auch in Krankheitsprozessen zu den<br />
traditionellen Anliegen der Pflege.<br />
1 Unter Patientenedukation versteht man die Beratung, Schulung und Anleitung von Patientinnen<br />
und Patienten und ihren Angehörigen und Familien sowie allen an Gesundheitsfr<strong>ag</strong>en<br />
interessierten Menschen. In diesem Sinne bezeichnet Edukation ein weit zu fassendes<br />
Spektrum von Bildung und darf nicht mit dem engen deutschen Begriff der «Erziehung»<br />
gleichgesetzt werden (Klug Redman, 2009).<br />
7
Übersicht und Aufbau der Publikation<br />
In dieser Publikation wird die Möglichkeit dargestellt, das Empowerment-Konzept<br />
in der Pflegepraxis erfolgreich zu nutzen. Empowerment ist ein viel beachtetes<br />
Konzept in diversen Bereichen der Gesellschaft und in unterschiedlichen<br />
Kontexten: in der Politik, in der Organisationsentwicklung, im Man<strong>ag</strong>ement, in<br />
den Gesundheitswissenschaften, in der Selbsthilfe, in der sozialen Arbeit sowie<br />
auch in der Pflege. Das Empowerment-Konzept hat verschiedene geschichtliche<br />
Wurzeln und wurde geprägt durch unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen.<br />
Es erlangte besonders im Zusammenhang mit benachteiligten, begleiteten<br />
oder betreuten sowie bevormundeten oder diskriminierten Menschen an Bedeutung.<br />
Empowerment kann als eine spezifische Form sozialer Unterstützung<br />
wie auch als ein professionelles Konzept zur Unterstützung von selbstbestimmtem<br />
Handeln verstanden werden. Klientinnen 2 und Klienten dazu ermutigen und<br />
befähigen, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen, gewinnt für die Pflege<br />
im Rahmen des Vermittelns gesundheitsspezifischen Wissens oder im Zusammenhang<br />
mit edukativen Methoden an Bedeutung. Um Empowerment im Praxisfeld<br />
der Pflege fördern zu können, brauchen Pflegende konzeptuelles Wissen<br />
zu Empowerment sowie Situationen, in denen für sie selbst Empowerment-<br />
Prozesse erfahrbar werden. Erst wenn Pflegende auf Menschen und Organisationen<br />
treffen, die Empowerment zulassen, wird es möglich, die Unterstützung<br />
von Selbstbestimmung bei Klientinnen und Klienten anzustossen.<br />
Diese Publikation beginnt mit den Grundl<strong>ag</strong>en des Empowerment-Konzepts<br />
mit dem Ziel, zu einem aus den Gedanken verschiedener Autorinnen und Autoren<br />
gewonnen Verständnis von Empowerment zu gelangen. Aufbauend auf<br />
dieser Auseinandersetzung wird dargestellt, wie Empowerment für die Pflegepraxis<br />
und für Organisationen, in welchen Pflegende tätig sind, genutzt werden<br />
kann. Abschliessend werden im Fazit Schlussfolgerungen aufgezeigt, die<br />
für die zukünftige Nutzung des Empowerment-Konzepts in der Pflegepraxis<br />
relevant sind.<br />
2 Der Begriff Klientin/Klient wird deshalb verwendet, weil nebst den Patientinnen und Patienten<br />
auch ihre Angehörigen und Familien angesprochen sind, wie auch weitere Nutzerinnen<br />
und Nutzer von Gesundheitsleistungen. Der Begriff Patientin/Patient wird dort verwendet, wo<br />
er auch in der entsprechenden Literatur explizit verwendet wurde.<br />
8
Methodisches Vorgehen<br />
Das methodische Vorgehen ist bestimmt durch die Tatsache, dass das Empowerment-Konzept<br />
sowohl im gesellschaftlichen wie auch im gesundheitsbezogenen<br />
Kontext und von diversen Disziplinen verwendet wird (Rodwell, 1996). Somit<br />
ist die Literatur zu Empowerment durch unterschiedliche Perspektiven geprägt<br />
und in verschiedensten Veröffentlichungen zusammenzusuchen. Für die einführende<br />
Darstellung des Empowerment-Konzepts wurde in dieser Publikation<br />
vorwiegend auf Grundl<strong>ag</strong>enliteratur der Sozial- und Gesundheitswissenschaften<br />
zurückgegriffen, da diese massgeblich an der theoretischen Fundierung des<br />
Empowerment-Konzepts beteiligt waren. In den letzten Jahren ist der Begriff<br />
Empowerment zunehmend auch in der Pflegefachliteratur anzutreffen. Für die<br />
entsprechende Literatursuche wurden im November 2011 und April 2012 die<br />
Datenbanken MedLine und CINAHL durchsucht.<br />
Dazu wurden folgende Suchbegriffe in unterschiedlichen Kombinationen<br />
mit dem Begriff «empowerment» verwendet: «concept», «nursing», «patient»,<br />
«health promotion», «education», «man<strong>ag</strong>ement», «structural» und «psychological».<br />
Es wurden Texte in deutscher und englischer Sprache berücksichtigt.<br />
Der Suchzeitraum umfasste die Jahre 1985 bis 2012.<br />
Die vorliegende Publikation hat keinen Anspruch auf eine vollständige Darstellung<br />
der aktuellen Literatur zum Thema Empowerment. Im Zentrum dieser<br />
Arbeit steht das Empowerment-Konzept im Kontext der Pflege. Es werden<br />
Handlungsansätze aufgezeigt, aber kein idealtypischer Ablauf eines Empowerment-Prozesses<br />
vorgestellt. Ebenfalls nicht behandelt werden Messmethoden<br />
und -instrumente von Empowerment-Prozessen. Auch aktuelle interdisziplinäre<br />
Programme und Gesundheitsförderungsprojekte werden nicht dargestellt.<br />
Verwandte Konzepte des Empowerments, wie bspw. die Salutogenese oder<br />
die Partizipation, werden erwähnt, jedoch nicht vertieft bearbeitet. Auf Gesundheitsförderung<br />
und Prävention wird nur insoweit eingegangen, wie es für die<br />
theoretische Verortung des Empowerment-Konzepts im Zusammenhang mit<br />
Gesundheit notwendig ist.<br />
9
Theoretische Verortung des Empowerment-Konzepts<br />
Da innerhalb dieser Publikation das Empowerment-Konzept im Wissen um dessen<br />
Wirkung auf die Gesundheit bzw. seine gesundheitsförderlichen Aspekte<br />
betrachtet wird, folgt an dieser Stelle eine kurze Darstellung der Absicht von<br />
Prävention und Gesundheitsförderung sowie des Stellenwerts von Empowerment<br />
in der Gesundheitsförderung.<br />
Gesundheit durch Prävention und Gesundheitsförderung<br />
Grundsätzlich beabsichtigen die Prävention wie auch die Gesundheitsförderung<br />
gemäss Hurrelmann und Laaser (2006) als gemeinsames Ziel sowohl<br />
einen individuellen wie auch einen kollektiven Gesundheitsgewinn zu erwirken.<br />
Ein tendenzieller Unterschied besteht jedoch beim Ausgangspunkt einer Intervention.<br />
Bei der Prävention steht zu Beginn einer Intervention eine spezifische<br />
Krankheit oder ein Unfallrisiko, welche durch das Beeinflussen von Risiken<br />
verhindert oder abgeschwächt werden soll. Entgegen solchen Bemühungen<br />
verfolgt die Gesundheitsförderung stärker das Ziel, die allgemeinen Lebensbedingungen<br />
und -kompetenzen zu stärken. Zudem stellt die Gesundheitsförderung<br />
weniger die Fr<strong>ag</strong>e danach, was Menschen krank macht, sondern vielmehr<br />
wie Gesundheit entsteht und was Menschen gesund macht. Das zugrunde liegende<br />
Konzept dazu ist das Salutogenese-Konzept (Antonovsky, 1997). Trotz<br />
dieser inhaltlichen Pointierung sollen sich Prävention und Gesundheitsförderung<br />
nicht konkurrenzieren, sondern sinnvoll ergänzen. Auch sind beiden Interventionsformen<br />
gewisse Grenzen gesetzt. So können sowohl die Prävention<br />
wie auch die Gesundheitsförderung nie direkt Gesundheit entstehen lassen.<br />
Beide Formen der Intervention können aber entweder durch den Ansatz der<br />
Risikovermeidung oder der Ressourcenstärkung Menschen oder Bedingungen<br />
mitbeeinflussen, sodass sich Gesundheit entfalten kann.<br />
Gesundheitsförderung und Empowerment<br />
«Gesundheitsförderung ist eine Idee, die vor allem von den im Gesundheitsund<br />
Sozialbereich tätigen Personen aufgegriffen wird» (Laverack, 2010). Diese<br />
Menschen setzen sich für Aktivitäten oder Programme zur Verbesserung oder<br />
Aufrechterhaltung der Gesundheit von Individuen und Gruppen ein (Laverack,<br />
2010). Für die gesundheitspolitische Anerkennung solcher Aktivitäten zur<br />
Gesundheitsförderung war insbesondere die erste internationale Konferenz<br />
zur Gesundheitsförderung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im kanadischen<br />
Ottawa im Jahr 1986 von zentraler Bedeutung. In der an dieser Konferenz<br />
verfassten Ottawa-Charta wurde erstmals eine gemeinsame Definition von<br />
Gesundheitsförderung formuliert. Diese Definition lässt sich als ein grosses<br />
Eng<strong>ag</strong>ement für Empowerment sowie gesundheitliche Chancengleichheit ver-<br />
10
stehen. «Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein<br />
höheres Mass an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen<br />
und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen» (WHO, 1986). Gesundheit<br />
wird in dieser Definition als Prozess verstanden, in dem es darum<br />
geht, immer wieder die beeinflussbare Balance zwischen Ressourcen und Belastungen<br />
durch aktives Mitgestalten herzustellen und somit das Entfalten von<br />
Gesundheit zu begünstigen. Der Definition zugrunde liegt ein Gesundheitsverständnis,<br />
das gemäss Antonovsky (Antonovsky, 1997) Gesundheit und Krankheit<br />
als Kontinuum betrachtet. Entsprechend sollte nicht nur das Verhindern<br />
von Krankheiten angestrebt werden, sondern insbesondere die Förderung der<br />
Gesundheit (salutogenetischer Ansatz). Empowerment als professionelles Konzept<br />
verfolgt den Ansatz von Ermutigen und Befähigen zu Prozessen der Selbstbestimmung<br />
über die eigene Gesundheit sowie der Ressourcenorientierung im<br />
Sinne der Gesundheitsförderung weiter. Menschen sollen aus der Perspektive<br />
von Empowerment besonders auch in schwierigen Situationen oder in Situationen<br />
des Mangels darin unterstützt werden, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen<br />
zu entwickeln und so ihr eigenes Leben oder ihre Lebensbedingungen so<br />
weit wie möglich selbst zu bestimmen und zu gestalten.<br />
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