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Kausale und funktionale Erklärungen in der Sozialforschung - Ruhr ...

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92 6 TÄTIGKEITEN UND PROZESSE<br />

6.2 PROZESSE UND BEZUGSPROBLEME 93<br />

kann, <strong>und</strong> daß er sich dabei an e<strong>in</strong>em Schema <strong>der</strong> Form (6.2.1) orientiert:<br />

E<strong>in</strong>e Tätigkeit kann ”<br />

kausal erklärt“ werden, wenn man e<strong>in</strong>e probabilistische<br />

Regel kennt, die es erlaubt, wenn bestimmte Umstände vorliegen, das<br />

Auftreten <strong>der</strong> Tätigkeit mit e<strong>in</strong>er gewissen Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit vorauszusagen.<br />

6. Webers Vorschlag besteht also dar<strong>in</strong>: sich zunächst an statistisch konzipierten<br />

<strong>Kausale</strong>rklärungen zu orientieren <strong>und</strong> diese dann durch e<strong>in</strong> ”<br />

erklärendes<br />

Verstehen“ – also durch e<strong>in</strong>e spekulative Deutung von Motiven,<br />

Handlungsgründen <strong>und</strong> Gemütsverfassungen von Akteuren – zu <strong>in</strong>terpretieren.<br />

11 Dagegen verfolgen wir e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Gedankengang:<br />

a) Zunächstorientierenwirunsan<strong>der</strong>Idee,daßdie<strong>Kausale</strong>rklärunge<strong>in</strong>es<br />

Sachverhalts zeigen soll (wenn <strong>und</strong> <strong>in</strong>soweit das möglich ist), wie <strong>der</strong><br />

Sachverhalt durch Tätigkeiten von Akteuren entstanden ist.<br />

b) Da sich die Frage, warum Akteure bestimmte Tätigkeiten vollziehen,<br />

e<strong>in</strong>er<strong>Kausale</strong>rklärungentzieht–alsobestenfalls,wieWebervorschlägt,<br />

durchDeutungen beantwortetwerdenkönnte–,schlagenwirvor,stattdessen<br />

e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Frage zu stellen: <strong>in</strong> welcher Weise Handlungsmöglichkeiten<br />

von Akteuren von Bed<strong>in</strong>gungen abhängig s<strong>in</strong>d.<br />

Wie bereits <strong>in</strong> Abschnitt 2.2 besprochen wurde, ist die unter (b) angegebene<br />

Fragestellung unmittelbar relevant für <strong>Kausale</strong>rklärungen. Denn wenn<br />

mandasZustandekommene<strong>in</strong>es SachverhaltsalsWirkung vonTätigkeiten<br />

von Akteuren erklären möchte, muß man auch zeigen, wie die Akteure ihn<br />

durch ihre Tätigkeiten bewirken konnten. Und wenn man nicht annehmen<br />

kann, daß die erfor<strong>der</strong>lichen operativen Bed<strong>in</strong>gungen ”<br />

immer schon“ vorhandens<strong>in</strong>d,mußman<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>ezeigen,wiesie–auchdurchvorgängige<br />

Tätigkeiten <strong>der</strong> Akteure selbst – zustandegekommen s<strong>in</strong>d.<br />

7. Diese Überlegungen verweist noch e<strong>in</strong>mal auf e<strong>in</strong>en wichtigen Unterschied<br />

zwischen e<strong>in</strong>fachen <strong>und</strong> genetischen <strong>Kausale</strong>rklärungen. Bei e<strong>in</strong>fachen<br />

<strong>Kausale</strong>rklärungen bezieht man sich auf die Wirkungen e<strong>in</strong>es kausalen<br />

Sachverhalts, dessen Realisierung (<strong>und</strong> <strong>in</strong>folgedessen Realisierbarkeit)<br />

11 Daß es sich bestenfalls um e<strong>in</strong>e Deutung handeln kann, hat auch Weber selbst immer<br />

wie<strong>der</strong> betont. ”<br />

E<strong>in</strong> durch Deutung gewonnenes ‘Verständnis’ menschlichen Verhaltens<br />

enthält zunächst e<strong>in</strong>e spezifische, sehr verschieden große, qualitative ‘Evidenz’. Daß e<strong>in</strong>e<br />

Deutung diese Evidenz <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s hohem Maße besitzt, beweist an sich noch nichts<br />

für ihre empirische Gültigkeit. Denn e<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em äußeren Ablauf <strong>und</strong> Resultat gleiches<br />

Sichverhalten kann auf unter sich höchst verschiedenartigen Konstellationen von<br />

Motiven beruhen, <strong>der</strong>en verständlich-evidenteste nicht immerauch die wirklich im Spiel<br />

gewesene ist.“ (Weber 1922/1985, S.428) Infolgedessen wird aber bereits fragwürdig,<br />

<strong>in</strong> welcher Weise überhaupt von e<strong>in</strong>er ”<br />

empirischen Gültigkeit“ solcher Deutungen gesprochen<br />

werden könnte; denn wie Weber selbst bemerkt: ”<br />

Das reale Handeln verläuft<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> großen Masse se<strong>in</strong>er Fälle <strong>in</strong> dumpfer Halbbewußtheit o<strong>der</strong> Unbewußtheit se<strong>in</strong>es<br />

‘geme<strong>in</strong>ten S<strong>in</strong>ns’.“ (ebda., S.561f) Wir werden uns <strong>in</strong> Abschnitt 6.4 noch e<strong>in</strong>mal<br />

mit dieser Frage beschäftigen <strong>und</strong> vorschlagen, Diskurse über Handlungsgründe von<br />

kausalen Fragestellungen zu unterscheiden.<br />

für die <strong>Kausale</strong>rklärung vorausgesetzt wird. Genetische <strong>Kausale</strong>rklärungen<br />

beruhen dagegen auf <strong>der</strong> Idee, daß sich die Erklärung gedanklich auf<br />

e<strong>in</strong>e zeitliche Abfolge mehrerer kausaler Sachverhalte beziehen muß; <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>folgedessen besteht e<strong>in</strong>e wichtige Teilfrage auch dar<strong>in</strong>, wie die kausalen<br />

Sachverhalte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten zeitlichen Abfolge realisiert werden<br />

konnten. Denken wir noch e<strong>in</strong>mal an unser Beispiel, <strong>in</strong> dem durch e<strong>in</strong>e<br />

Darstellung <strong>der</strong> Abfolge <strong>der</strong> kausalen Sachverhalte κ 1 ,...,κ 8 e<strong>in</strong>e genetische<br />

<strong>Kausale</strong>rklärung gegeben werden kann, die zeigt, wie es A gelungen<br />

ist, die Glühbirne auszuwechseln. Man könnte auch versuchen, e<strong>in</strong>e gewissermaßen<br />

”<br />

verkürzte“ <strong>Kausale</strong>rklärung auszuprobieren, bei <strong>der</strong> man sich<br />

nur auf den kausalen Sachverhalt<br />

κ 6 = κ(σ 6 [A] : A[a 6 ,s 6 ])<br />

bezieht, also auf die Tätigkeit a 6 , die dar<strong>in</strong> besteht, daß A die neue Glühbirne<br />

e<strong>in</strong>schraubt. Als Wirkung entsteht <strong>der</strong> Sachverhalt s 6 , den man als<br />

Lösung des vorausgesetzten Bezugsproblems betrachten kann. Fragt man<br />

also, wie es zu dem Sachverhalt s 6 gekommen ist, sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf<br />

den kausalen Sachverhalt κ 6 zu genügen. E<strong>in</strong> solcher H<strong>in</strong>weis erklärt jedoch<br />

nicht, wie es A gel<strong>in</strong>gen konnte, diesen kausalen Sachverhalt zu realisieren;<br />

denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lampenfassung war ja zunächt die defekte Birne,<br />

<strong>und</strong> wo kommt plötzlich die neue Glühbirne her, <strong>und</strong> wie ist es A gelungen,<br />

<strong>in</strong> die Nähe <strong>der</strong> Lampenfassung zu gelangen, so daß er – nach<br />

<strong>der</strong> Entfernung <strong>der</strong> alten Glühbirne – die neue e<strong>in</strong>schrauben konnte? Die<br />

Idee e<strong>in</strong>er genetischen <strong>Kausale</strong>rklärung verdankt sich Fragestellungen dieser<br />

Art: <strong>in</strong>dem sie zeigt, wie e<strong>in</strong> Bezugsproblem gelöst worden ist, soll sie<br />

erklären, wie es tatsächlich gelöst werden konnte. — Insofern gibt es e<strong>in</strong>en<br />

bemerkenswerten semantischen Unterschied zur Formulierung: wie es zu<br />

e<strong>in</strong>em Sachverhalt gekommen ist. Der semantische Unterschied verweist<br />

auf das Erkenntnis<strong>in</strong>teresse, dem sich das Bemühen um e<strong>in</strong>e <strong>Kausale</strong>rklärung<br />

verdankt. Im Unterschied zu an<strong>der</strong>en Arten <strong>der</strong> Erklärung soll<br />

e<strong>in</strong>e <strong>Kausale</strong>rklärung zeigen (soweit das möglich ist), wie e<strong>in</strong> Sachverhalt<br />

durch Tätigkeiten von Akteuren bewirkt worden ist. Die dafür vorausgesetzte<br />

Unterstellung, daß <strong>der</strong> Sachverhalt tatsächlich bewirkt worden ist,<br />

ist offenbar wesentlich spezifischer als die Vorstellung, daß <strong>der</strong> Sachverhalt<br />

irgendwie zustandegekommen ist.<br />

8. Diese Überlegung macht auch deutlich, daß sich die Formulierung e<strong>in</strong>es<br />

Bezugsproblems nicht auf die Frage reduzieren läßt, wie <strong>der</strong> zu erklärende<br />

Sachverhalt zustande gekommen ist. Wie ist A zu se<strong>in</strong>em neuen Job gekommen?<br />

Ganz e<strong>in</strong>fach, er hat e<strong>in</strong>en Arbeitsvertrag unterschrieben. Aber<br />

das erklärt nur, warum <strong>der</strong> Arbeitsvertrag h<strong>in</strong>terher die Unterschrift von<br />

A enthält. Wenn man sich dafür <strong>in</strong>teressiert, wie A zu se<strong>in</strong>em neuen Job<br />

gekommen ist, möchte man natürlich etwas an<strong>der</strong>es wissen: wie e<strong>in</strong> Prozeß<br />

abgelaufen ist, an dessen Ende A den Arbeitsvertrag unterschreiben<br />

konnte. Das Bezugsproblem gew<strong>in</strong>nt <strong>in</strong>sofern se<strong>in</strong>e Bedeutung aus e<strong>in</strong>er

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