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Kausale und funktionale Erklärungen in der Sozialforschung - Ruhr ...

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14 2 KAUSALITÄT ALS BEWIRKEN<br />

2.1 ELEMENTARE KAUSALAUSSAGEN 15<br />

2. Beispieledieser<strong>und</strong> ähnlicherArtlegenesnahe,dieIdeee<strong>in</strong>er<strong>Kausale</strong>rklärung<br />

mit <strong>der</strong> Idee e<strong>in</strong>es Bewirkens zu verknüpfen. In unserem Beispiel<br />

wird auf e<strong>in</strong>e Person Bezug genommen <strong>und</strong> dann gesagt, daß diese Person<br />

das Fenster geöffnet hat, also den geöffneten Zustand des Fensters bewirkt<br />

hat. Man kann kaum bestreiten, daß jedenfalls <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alltagssprache mit<br />

<strong>Kausale</strong>rklärungen fast immer mehr o<strong>der</strong> weniger explizite Vorstellungen<br />

über Akteure verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d, die etwas bewirken können. 3 Das kommt<br />

auch bereits im Reden von Ursachen“ <strong>und</strong> Wirkungen“ zum Ausdruck;<br />

” ”<br />

wenn z.B. von e<strong>in</strong>er Ursache gesagt wird, daß sie e<strong>in</strong>e bestimmte Wirkung<br />

erzeugt“, hervorruft“, bewirkt“. Dementsprechend heißt es <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

” ” ”<br />

Logik“ von C. Sigwart (1911, S.137):<br />

”<br />

Die Analyse <strong>der</strong> Causalitätsvorstellung muss, die Frage nach e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>en<br />

”<br />

Causalpr<strong>in</strong>cip zunächst beiseite lassend, von <strong>der</strong> Vorstellung des Wirkens e<strong>in</strong>es<br />

D<strong>in</strong>gs auf e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es ausgehen, welche <strong>in</strong> <strong>der</strong> gewöhnlichen Sprache, vor allem<br />

<strong>in</strong> den transitiven Verben, überall vorausgesetzt <strong>und</strong> <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Fällen als<br />

unzweifelhaft gegeben betrachtet wird.“<br />

3. Infolgedessen entsteht die Frage, von welchen Objekten <strong>in</strong> unserer Erfahrungswelt<br />

man s<strong>in</strong>nvoll annehmen kann, daß sie etwa bewirken können,<br />

<strong>und</strong> die <strong>in</strong>folgedessen als Akteure bezeichnet werden können. Diese Frage<br />

ist schwierig, <strong>und</strong> wir werden nicht versuchen, e<strong>in</strong>e Antwort zu f<strong>in</strong>den.<br />

Da es uns schließlich nur darauf ankommt, e<strong>in</strong> Verständnis von <strong>Kausale</strong>rklärungen<br />

zu gew<strong>in</strong>nen, an dem man sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sozialforschung</strong> orientieren<br />

kann, ist e<strong>in</strong>e Klärung <strong>der</strong> Frage auch nicht unbed<strong>in</strong>gt erfor<strong>der</strong>lich;<br />

denn <strong>in</strong> diesem Kontext gibt es natürlich für je<strong>der</strong>mann sichtbar Akteure,<br />

nämlich Menschen. Bezieht man sich auf menschliche Akteure, macht auch<br />

sicherlich die Vorstellung e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, daß sie durch ihre Tätigkeiten etwas<br />

bewirken können. <strong>Kausale</strong>rklärungen, die sich an e<strong>in</strong>er Idee des Bewirkens<br />

orientieren, können daran anschließen. Das zu Beg<strong>in</strong>n dieses Abschnitts<br />

angeführte Beispiel illustriert diesen Typ e<strong>in</strong>er <strong>Kausale</strong>rklärung. Daß das<br />

Fenster jetzt offensteht, wird dadurch erklärt,daß e<strong>in</strong> Mensch zum Fenster<br />

gegangen ist <strong>und</strong> es geöffnet hat. Der betreffende Mensch ist <strong>der</strong> Akteur,<br />

durch dessen Tätigwerden <strong>der</strong> zu erklärende Sachverhalt zustandegekommen<br />

ist.<br />

4. Mithilfe <strong>der</strong> <strong>in</strong> Abschnitt 1.2 erläuterten Schreibweisen kann man e<strong>in</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>es Schema für elementare Kausalaussagen e<strong>in</strong>führen. Zunächst<br />

kann man sich an e<strong>in</strong>em Bild <strong>der</strong> folgenden Art orientieren:<br />

π(σ[A] : A[a]) −→ π(σ ′ : s) (2.1.1)<br />

Geme<strong>in</strong>t ist, daß <strong>der</strong> Akteur A <strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation σ e<strong>in</strong>e Tätigkeit a vollzieht<br />

<strong>und</strong> daß im Anschluß (als e<strong>in</strong>e zeitliche Folge) e<strong>in</strong>e neue Situation σ ′ entsteht,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Sachverhalt s realisiert ist. In unserem Beispiel besteht a<br />

3 Man vgl. z.B. Lakoff <strong>und</strong> Johnson 1980, S.69ff; Hart <strong>und</strong> Honoré 1959, S.24ff.<br />

dar<strong>in</strong>, daß A zum Fenster geht <strong>und</strong> es öffnet, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sachverhalt s besteht<br />

dar<strong>in</strong>, daß das Fenster h<strong>in</strong>terher geöffnet ist. Zu überlegen ist, mit<br />

welcher Berechtigung davon gesprochen werden kann, daß s e<strong>in</strong>e Wirkung<br />

<strong>der</strong> Tätigkeit von A ist. In unserem Beispiel kann die Frage jedoch leicht<br />

beantwortet werden, denn wir haben gesehen, daß A das Fenster geöffnet<br />

hat. O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s formuliert: Unsere Beschreibung des Vorgangs impliziert,<br />

daß <strong>der</strong> Sachverhalt s durch A’s Tätigkeit zustandegekommen ist.<br />

5. Um was für e<strong>in</strong>e Art von Implikation handelt es sich? Man kann von<br />

e<strong>in</strong>er semantischen Implikation sprechen. Zu sagen, daß A das Fenster<br />

geöffnet hat, impliziert durch den Sprachgebrauch,daß das Fenster h<strong>in</strong>terher<br />

offen steht; denn wäre das nicht <strong>der</strong> Fall, wäre die Behauptung, daß A<br />

das Fenster geöffnet hat, falsch. Es gibt noch an<strong>der</strong>e Arten semantischer<br />

Implikationen; z.B.: die Aussage, daß A geschieden ist, impliziert, daß A<br />

zuvor verheiratet gewesen ist. Uns <strong>in</strong>teressieren hier semantische Implikationen,<br />

durch die das Reden von ”<br />

bewirken“ se<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n gew<strong>in</strong>nt. Wir<br />

nennen sie semantische Kausalitätsregeln <strong>und</strong> verwenden die Schreibweise<br />

π(σ[A] : A[a]) =⇒ π(σ ′ : s) (2.1.2)<br />

zu lesen als: Der Sachverhalt s ist e<strong>in</strong>e semantische Implikation des Vollzugs<br />

<strong>der</strong> Tätigkeit a (durch den Akteur A <strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation σ). 4 So läßt<br />

sich die oben gestellte Frage jetzt so beantworten: E<strong>in</strong> Sachverhalt s wird<br />

durch die Tätigkeit a e<strong>in</strong>es Akteurs A bewirkt, wenn zur Begründung e<strong>in</strong>e<br />

semantische Kausalitätsregel <strong>der</strong> Form (2.1.2) verwendet werden kann.<br />

6. Natürlich wird nicht nur <strong>in</strong> diesem sehr elementaren S<strong>in</strong>n von ”<br />

bewirken“<br />

gesprochen, so daß überlegt werden muß, wie <strong>der</strong> Bedeutungsgehalt<br />

des Wortes s<strong>in</strong>nvoll erweitert werden kann. Zunächst beschränken wir uns<br />

jedoch auf die elementare Bedeutung, die durch semantische Kausalitätsregeln<br />

vermittelt wird. Korrespondierend kann man nämlich von kausalen<br />

Sachverhalten sprechen. Wir verwenden die Schreibweise<br />

κ(σ[A] : A[a,s]) (2.1.3)<br />

zu lesen als: Indem <strong>der</strong> Akteur A <strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation σ die Tätigkeit a vollzieht,<br />

bewirkt er den Sachverhalt s. Anstelle von ‘bewirkt’ können auch<br />

zahlreiche an<strong>der</strong>e Verben verwendet werden, u.a. ‘hervorbr<strong>in</strong>gen’ <strong>und</strong> ‘verursachen’.<br />

E<strong>in</strong>e bestimmte Bedeutung erhalten diese unspezifischen Ausdrücke<br />

dadurch, daß man sich auf e<strong>in</strong>en jeweils bestimmten Sachverhalt<br />

bezieht <strong>und</strong> darstellt, wie er durch das Tätigwerdene<strong>in</strong>es Akteurs entstanden<br />

ist. Dies gilt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für das Wort ‘verursachen’, das <strong>in</strong> vielen<br />

4 Hier sollte darauf geachtet werden, daß bei <strong>der</strong> Formulierung von Regeln stets Aussageformen<br />

verwendet werden. Dementsprechend handelt es sich bei den Symbolen σ[A],<br />

σ ′ , s, a <strong>und</strong> A <strong>in</strong> (2.1.2) um logische Variablen, nicht um Namen. Dieser H<strong>in</strong>weis gilt<br />

s<strong>in</strong>ngemäß für alle Regeln, die im weiteren angegeben werden.

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