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Kausale und funktionale Erklärungen in der Sozialforschung - Ruhr ...

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112 7 AKTEURE IM SOZIALEN KONTEXT<br />

7.1 KOORDINATION UND KOOPERATION 113<br />

Wohnung bef<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e Waschmasch<strong>in</strong>e, die zur Reparatur gebracht<br />

werden muß. Aber sie ist so schwer, daß A alle<strong>in</strong> sie nicht transportieren<br />

kann. Also bittet er B, ihm zu helfen. B willigt e<strong>in</strong>, <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>sam gel<strong>in</strong>gt<br />

es ihnen, die Waschmasch<strong>in</strong>e aus <strong>der</strong> Wohnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> bereitstehendes<br />

Auto zu tragen. Dies ist e<strong>in</strong> Beispiel für e<strong>in</strong>e Kooperation. Der wichtige<br />

Punkt ist, daßsich <strong>in</strong> diesem Fall A <strong>und</strong> B an e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Tätigkeit<br />

beteiligen. Um den Vorgang zu beschreiben, genügt es nicht, sich jeweils<br />

separatauf e<strong>in</strong>e Tätigkeit von A <strong>und</strong> auf e<strong>in</strong>e Tätigkeit von B zu beziehen.<br />

Man kann auch nicht sagen, daß A e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Waschmasch<strong>in</strong>e <strong>und</strong> B<br />

e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Teil <strong>der</strong> Waschmasch<strong>in</strong>e trägt. Tatsächlich kann man gar<br />

nicht beschreiben, was A tut, ohne sich auf e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Tätigkeit zu<br />

beziehen, an <strong>der</strong> sowohl A als auch B beteiligt s<strong>in</strong>d. Infolgedessen kann<br />

<strong>der</strong> Vorgang auch nicht im spieltheoretischen Begriffsrahmen dargestellt<br />

werden.<br />

6. Es ersche<strong>in</strong>t uns s<strong>in</strong>nvoll, Koord<strong>in</strong>ations-<strong>und</strong> Kooperationsproblemezu<br />

unterscheiden.Beie<strong>in</strong>em Koord<strong>in</strong>ationsproblemgehtes darum,<strong>in</strong> e<strong>in</strong>erSituation,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> zwei o<strong>der</strong> mehr Akteure <strong>in</strong> ihren Handlungsmöglichkeiten<br />

vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abhängig s<strong>in</strong>d, bestimmte Tätigkeiten, die jeweils <strong>in</strong>dividuell<br />

vollzogen werden können, zu ermöglichen. Dagegen geht es bei e<strong>in</strong>em<br />

Kooperationsproblemdarum, wie sich zwei o<strong>der</strong> mehr Akteure an e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />

Tätigkeit beteiligen können. E<strong>in</strong> Koord<strong>in</strong>ationsproblem stellt<br />

sich z.B. dann, wenn A <strong>in</strong> Ruhe e<strong>in</strong> Buch lesen <strong>und</strong> B laute Musik hören<br />

möchte. Dagegen stellt sich e<strong>in</strong> Kooperationsproblem, wenn A <strong>und</strong> B geme<strong>in</strong>sam<br />

die Waschmasch<strong>in</strong>e transportieren möchten. Zur Verdeutlichung<br />

<strong>der</strong> Unterscheidung kann man sich auch folgendes Beispiel überlegen, das<br />

von D. Lewis (1969/1975, S.5f) angeführt worden ist:<br />

Angenommen, du <strong>und</strong> ich, wir ru<strong>der</strong>n geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> Boot. Wenn wir im gleichen<br />

Rhythmus ru<strong>der</strong>n, bewegt sich das Boot glatt <strong>und</strong> gradl<strong>in</strong>ig; an<strong>der</strong>nfalls<br />

”<br />

bewegt sich das Boot langsam <strong>und</strong> ziellos, wir verschwenden Kraft <strong>und</strong> laufen<br />

Gefahr, irgendwo anzustoßen. Wir haben immerzu wählen, ob wir schneller o<strong>der</strong><br />

langsamer ru<strong>der</strong>n wollen; für uns beide ist es unwichtig, <strong>in</strong> welchem Takt wir ru<strong>der</strong>n,<br />

sofern es nur für beide <strong>der</strong> gleiche ist. So ist je<strong>der</strong> ständig gemüht, se<strong>in</strong>en<br />

Rhythmus dem anzugleichen, den er vom an<strong>der</strong>n erwartet.“<br />

FürLewisistdiese<strong>in</strong>Beispielfüre<strong>in</strong>Koord<strong>in</strong>ationsproblem;<strong>und</strong>erglaubt,<br />

daß es im spieltheoretischen Rahmen analysiert werden kann. Es ersche<strong>in</strong>t<br />

jedoch angemessener, die Situation als e<strong>in</strong> Kooperationsproblem zu betrachten.<br />

Denn <strong>in</strong> dem Beispiel geht es nicht darum, wie je<strong>der</strong> <strong>der</strong> beiden<br />

Akteure so ru<strong>der</strong>n kann, daß er durch den an<strong>der</strong>en möglichst wenig beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t<br />

wird; son<strong>der</strong>n wie beide auf e<strong>in</strong>e möglichst effiziente Weise zu e<strong>in</strong>em<br />

geme<strong>in</strong>samen Ziel beitragen können. 1 Das Problem, daß die beiden Akteu-<br />

re lösen müssen, besteht dar<strong>in</strong>, etwas geme<strong>in</strong>sam zu tun. Natürlich besteht<br />

e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Lösung dar<strong>in</strong>, daß sie sich <strong>in</strong> ihren <strong>in</strong>dividuellen Tätigkeiten<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> anpassen. Aber bereits dieser Vorgang entzieht sich <strong>der</strong> Vorstellung,<br />

daß beide Akteure ihre Tätigkeiten aus jeweils <strong>in</strong>dividuell zurechenbaren<br />

Handlungsalternativen auswählen.<br />

7. Somit stellt sich die Frage, wie man zu e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen symbolischen<br />

Repräsentation für Kooperationen gelangen kann. Der spieltheoretische<br />

Ansatz orientiert sich an e<strong>in</strong>em Bild <strong>der</strong> folgenden Art:<br />

κ(σ[A,B] : A[a,e])<br />

κ(σ[A,B] : B[b,s])<br />

}<br />

−→ π(σ ′ : e,s)<br />

Aber dieses Bild eignet sich nicht, um von Kooperation zu sprechen, denn<br />

es setzt voraus, daß A <strong>und</strong> B im Pr<strong>in</strong>zip unabhängig vone<strong>in</strong><strong>der</strong> die Tätigkeitenabzw.bausführenkönnen.Kooperationbestehtjedochdar<strong>in</strong>,daßes<br />

e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Tätigkeit gibt, an <strong>der</strong> A <strong>und</strong> B teilnehmen. Es ersche<strong>in</strong>t<br />

deshalb s<strong>in</strong>nvoller, e<strong>in</strong>e Schreibweise <strong>der</strong> Form<br />

κ(σ[A,B] : {A,B}[a,s]) (7.1.1)<br />

zuverwenden,womitgeme<strong>in</strong>tist:A<strong>und</strong>B vollziehengeme<strong>in</strong>samdieTätigkeit<br />

a <strong>und</strong> bewirken dadurch den Sachverhalt s. Zum Beispiel: A <strong>und</strong> B<br />

tragen geme<strong>in</strong>sam die Waschmasch<strong>in</strong>e aus <strong>der</strong> Wohnung <strong>in</strong>s Auto.<br />

8. Die Schreibweise (7.1.1) soll auch daran er<strong>in</strong>nern, daß es sich um e<strong>in</strong>en<br />

kausalen Sachverhalt handelt: A <strong>und</strong> B bewirken durch e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

Tätigkeit den Sachverhalt s. Natürlich kann es sich auch um mehr als zwei<br />

Akteure handeln, die geme<strong>in</strong>sam etwas bewirken. Um uns allgeme<strong>in</strong> auf<br />

beliebig viele Akteure beziehen zu können, verwenden wir die Schreibweise<br />

κ(σ[A] : A[a,s]) (7.1.2)<br />

wobei A e<strong>in</strong>e beliebige Menge von Akteuren ist, von denen man sagen<br />

kann, daß sie an e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Tätigkeit a teilnehmen <strong>und</strong> dadurch<br />

e<strong>in</strong>en Sachverhalt s bewirken. Wenn A nur aus e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Akteur<br />

besteht, sprechen wir von e<strong>in</strong>em atomaren, an<strong>der</strong>nfalls von e<strong>in</strong>em kooperativen<br />

kausalen Sachverhalt. In beiden Fällen verdankt sich das Reden von<br />

kausalen Sachverhalten <strong>der</strong> Absicht, Tätigkeiten unter dem Gesichtspunkt<br />

zu beschreiben, daß durch sie e<strong>in</strong> nicht-kausaler Sachverhalt bewirkt wird.<br />

1 Diese Interpretation wird durch die von Lewis verwendete Formulierung se<strong>in</strong>es Beispiels<br />

nahegelegt. Wie bei <strong>in</strong>dividuellen Tätigkeiten kann es natürlich auch bei kooperativen<br />

Tätigkeiten fragwürdig se<strong>in</strong>, ob sie überhaupt <strong>der</strong> Erreichung e<strong>in</strong>es bestimmten<br />

Zwecks dienen sollen.

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