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Kausale und funktionale Erklärungen in der Sozialforschung - Ruhr ...

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94 6 TÄTIGKEITEN UND PROZESSE<br />

6.3 KONTINGENTE PROZESSABLÄUFE 95<br />

Vielzahl von oft gar nicht explizit gemachten Unterstellungen. Z.B. wird<br />

unterstellt, daß das Zustandekommen e<strong>in</strong>er Situation, <strong>in</strong> <strong>der</strong> man e<strong>in</strong>en<br />

Arbeitsvertrag unterschreiben kann, selbst e<strong>in</strong>er Erklärung bedarf. Infolgedessen<br />

gibt es für die Idee e<strong>in</strong>er genetischen <strong>Kausale</strong>rklärung auch ke<strong>in</strong>e<br />

scharfenKriterien;vielmehrhängtesvomVerständnisdesBezugsproblems<br />

– also auch von se<strong>in</strong>er ggf. erfor<strong>der</strong>lichen Explikation – ab, wie e<strong>in</strong>e befriedigende<br />

genetische <strong>Kausale</strong>rklärung beschaffen se<strong>in</strong> sollte.<br />

6.3 Kont<strong>in</strong>gente Prozeßabläufe<br />

1. E<strong>in</strong>e noch ziemlich unklare Frage besteht dar<strong>in</strong>, wodurch e<strong>in</strong>e zeitliche<br />

Abfolge von Tätigkeiten zu e<strong>in</strong>em Prozeß wird. Warum vermittelt <strong>in</strong> unserem<br />

Beispiel e<strong>in</strong>e Darstellung <strong>der</strong> zeitlichen Abfolge <strong>der</strong> kausalen Sachverhalte<br />

κ 1 ,...,κ 8 e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle genetische <strong>Kausale</strong>rklärung? E<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis<br />

liefert die Überlegung, daß e<strong>in</strong>e genetische <strong>Kausale</strong>rklärung zeigen muß,<br />

wie durch den Vollzug von Tätigkeiten jeweils neue Situationen entstehen,<br />

die e<strong>in</strong>en Vollzug sich anschließen<strong>der</strong> Tätigkeiten möglich machen. D.h.<br />

e<strong>in</strong>e genetische <strong>Kausale</strong>rklärung muß beachten, daß sich kausale Sachverhalte<br />

bed<strong>in</strong>gen können. So ist <strong>in</strong> unserem Beispiel etwa κ 5 e<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung<br />

für κ 6 , denn A kann die neue Glühbirne nur e<strong>in</strong>schrauben, wenn er zuvor<br />

die alte Glühbirne entfernt hat. Ganz entsprechend kann man <strong>in</strong> diesem<br />

Beispiel noch zahlreiche weitere Bed<strong>in</strong>gungsrelationen zwischen kausalen<br />

Sachverhalten angeben. Es ist zwar evident, daß diese Bed<strong>in</strong>gungsrelationen<br />

ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>deutig bestimmten Prozeßablauf implizieren; z.B. könnte<br />

A zunächst e<strong>in</strong>e Leiter holen <strong>und</strong> dann e<strong>in</strong>e neue Glühbirne. Aber an<strong>der</strong>erseits<br />

ist auch klar, daß e<strong>in</strong>e plausible genetische <strong>Kausale</strong>rklärung die<br />

jeweils vorhandenen Bed<strong>in</strong>gungsrelationen zwischen kausalen Sachverhalten<br />

beachten muß. Dies folgt unmittelbar aus ihrer Aufgabe: daß sie auch<br />

zeigen soll, wie durch e<strong>in</strong>e Abfolge von Tätigkeiten <strong>der</strong> zu erklärende Sachverhalt<br />

hervorgebracht werden konnte. 12<br />

2. Wir werden erst später versuchen, e<strong>in</strong>e formale Notation für Bed<strong>in</strong>gungsrelationenzwischenkausalenSachverhaltene<strong>in</strong>zuführen,dennestritt<br />

dabei e<strong>in</strong> bemerkenswertes Problem auf: Die hier geme<strong>in</strong>te Bed<strong>in</strong>gungsrelation<br />

bezieht sich auf operative Bed<strong>in</strong>gungen, die erfüllt se<strong>in</strong> müssen,<br />

damit e<strong>in</strong> nachfolgen<strong>der</strong> kausaler Sachverhalt realisiert werden kann. Infogedessen<br />

setzt aber das Reden von Bed<strong>in</strong>gungen bereits e<strong>in</strong>en gedanklichen<br />

Bezug auf e<strong>in</strong>en nachfolgenden kausalen Sachverhalt voraus. Daß A<br />

12 Hier gibt es zugleich e<strong>in</strong>e Schnittstelle zwischen <strong>Kausale</strong>rklärungen <strong>und</strong> Kausalwissen.<br />

E<strong>in</strong> Teil des für genetische <strong>Kausale</strong>rklärungen erfor<strong>der</strong>lichen Kausalwissens besteht<br />

dar<strong>in</strong>, daß man die jeweils relevanten Bed<strong>in</strong>gungsrelationen zwischen kausalen Sachverhalten<br />

kennt. An<strong>der</strong>erseits gew<strong>in</strong>nt man dieses Wissen u.a. auch dadurch, daß man für<br />

bereits realisierte Prozesse nach <strong>Kausale</strong>rklärungen sucht. Das schließlich gew<strong>in</strong>nbare<br />

Kausalwissen bezieht sich <strong>in</strong>dessen nicht alle<strong>in</strong> auf <strong>der</strong>artige Bed<strong>in</strong>gungsrelationen,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>in</strong>dem man untersucht, wie Akteure Bezugsprobleme lösen, lernt man, wie sie<br />

gelöst werden können.<br />

zunächst die alte Glühbirne herausschraubt, ist e<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung dafür, daß<br />

er die neue Glühbirne here<strong>in</strong>schrauben kann. — Aber auch ohne an dieser<br />

Stelle genauer zu überlegen, ob Bed<strong>in</strong>gungsrelationen zwischen kausalen<br />

Sachverhalten durch Bed<strong>in</strong>gungsregeln fixiert werden können, kann bereits<br />

festgestellt werden, daß es sich dabei nicht um Kausalregelnhandeln kann.<br />

<strong>Kausale</strong> Regeln beziehen sich auf Wirkungen e<strong>in</strong>er Realisierung kausaler<br />

Sachverhalte. Bed<strong>in</strong>gungsregeln beziehen sich dagegen auf Voraussetzungendafür,<br />

daße<strong>in</strong> kausalerSachverhaltrealisiertwerdenkönnte. Aber daraus,<br />

daß e<strong>in</strong> kausaler Sachverhalt realisiert werden könnte, folgt natürlich<br />

nicht – <strong>und</strong> zwar we<strong>der</strong> unbed<strong>in</strong>gt noch durch e<strong>in</strong>e Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsregel<br />

–, daß er realisiert wird. Wenn A die Leiter geholt hat, folgt daraus<br />

nicht, daß er sie besteigen wird; <strong>und</strong> wenn A die alte Glühbirne herausgeschraubt<br />

hat, folgt daraus nicht, daß er die neue Glühbirne e<strong>in</strong>schrauben<br />

wird. Der Ablauf <strong>der</strong> kausalen Sachverhalte κ 1 ,...,κ 8 , auf die wir uns <strong>in</strong><br />

unserem Beispiel bezogen haben, ist tatsächlich kont<strong>in</strong>gent, d.h. es gibt<br />

we<strong>der</strong> logische noch kausale Regeln, durch die das Zustandekommen <strong>der</strong><br />

kausalen Sachverhalte erklärt werden könnte. 13<br />

3. Um die Überlegung zu verdeutlichen, besprechen wir kurz e<strong>in</strong>en Vorschlag<br />

von D.R. Heise (1989), <strong>der</strong> dem Zweck dienen soll, zu Modellen für<br />

zeitliche Abfolgen von Ereignissen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Tätigkeiten von Akteuren,<br />

zu gelangen:<br />

The specific aim is to develop a methodology for qualitative model<strong>in</strong>g of logical<br />

”<br />

structures that guide human action <strong>in</strong> concrete situations. [...] An <strong>in</strong>tegrat<strong>in</strong>g<br />

framework is provided by a theory of rational action be<strong>in</strong>g developed <strong>in</strong> cognitive<br />

science – the theory of production systems, <strong>in</strong>troduced by Newell and Simon<br />

(1972) and elaborated and applied by psychologists [...], sociologists [...], and<br />

computer scientists [...]. The bare essentials of this theory are as follows:<br />

Action is governed byif-then rules: if a certa<strong>in</strong> configuration of conditions arises,<br />

then a certa<strong>in</strong> production occurs. A configuration of conditions is recognized<br />

through application of declarative knowledge, which is learned rapidly – e.g.,<br />

<strong>in</strong> a s<strong>in</strong>gle trial. Productions are carried out through application of procedural<br />

knowledge, which is atta<strong>in</strong>ed slowly through practice and the development of<br />

habits.<br />

Productions have natural consequences – they cause changes <strong>in</strong> conditions, and<br />

these results also can be phrased as if-then rules: if a given production occurs,<br />

then condition A changes from state x to state y. S<strong>in</strong>ce the completion of a<br />

productioncausesanewconfigurationofconditionstoarise, itislikelytoactivate<br />

a new production, and productions lead one to another <strong>in</strong> an or<strong>der</strong>ly fashion.“<br />

(Heise 1989, S.140f)<br />

13 Natürlich kann e<strong>in</strong> Beobachter versuchen, das Verhalten von A vorauszusagen. Hat<br />

man beobachtet, daß A e<strong>in</strong>e Glühbirne <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Leiter geholt <strong>und</strong> die Leiter unter <strong>der</strong><br />

Deckenbeleuchtung aufgestellt hat, kann man sicherlich recht gut voraussagen, was A<br />

daraufh<strong>in</strong> weiter tun wird; ebenso, wenn A zunächst sagt: Ich werde jetzt die Glühbirne<br />

auswechseln.

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