Seite 19/20 Ausstellungsansicht Arcs 1977-1979 ARCO Center for Visual Arts, Los Angeles, California Position de deux arcs 35,5° et 123,5° 1976 Acryl auf Leinwand 240 x 480 cm 24
Venet arbeitet hier bewusst mit dem Überraschungseffekt: Durch das unvermutete Auftauchen seiner mathematischen Formeln, seiner spätestens ab 2000 großformatig werdenden monochrom hinterlegten Zeichenformeln an den Wänden sowie schließlich seiner Arc- Skulpturen, denen ihrerseits mathematische Berechnungen zugrundeliegen, was durch Gradzahlen auch äußerlich markiert ist. All diese Werke spielen auch mit der Irritation. Nur durch sie gerät der Blick des Betrachters ins <strong>St</strong>ocken, zögert, schaut erneut hin und vertieft sich in die Arbeit. Irritation entsteht nach Venet deshalb, weil etwas <strong>St</strong>örendes in die Kunst integriert wird: „There is only one way to make art advance: to put existing art into the wrong.“ 3 Wenn man dies als Grundzug von Venets Arbeit versteht, eröffnen die Werke zugleich auch einen neuen Zugang, der aber dennoch nie ohne die klassischen ästhetischen Maßstäbe denkbar ist. Schlüssig mag dies für einen Mathematiker gerade deshalb sein, weil, wie Hofmann darlegt, Venet vornehmlich kommutative Diagramme einsetzt, die ihrerseits eine oder mehrere Gleichungen repräsentieren. Homologische Algebra sowie einige theoretische Kategorien innerhalb der Mathematik brachten gerade im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts anschauliche Modelle hervor. Sie basieren letztlich auf keiner anderen Funktion als dies durch die Schrift ihrerseits erreicht wird. Wenn man in diesem Zusammenhang Venets Ausspruch ernst nimmt, dass er keine Mathematik als Kunst deklariert, sondern, das was er ausdrückt auch darstellt, bleibt dennoch zu fragen, wohin seine mathematischen Formeln und Gleichungen (aus der Sicht des Künstlers) tendieren. Interessanterweise manifestiert sich dies für den Mathematiker Hofmann sowohl in der Authentizität als auch in dem nahezu pathetisch klingenden Begriff der Wahrheit 4 , die ihrerseits bereits in der mathematischen Gleichung begründet liegt. Diese bezieht er explizit auf Venets Adaption von Diagrammen – ungeachtet ihrer Größe oder farbigen Hinterlegung der Wandfläche. Folgerichtig schließt er analog zu Venets eigener Auffassung damit, dass die von Venet gezeigten mathematischen Formeln nicht nur in sich logisch und damit auch wahr sind, sondern, dass sie auch dann wahr sind und bleiben, wenn sie in einem anderen Kontext (und vor einem anderen Hintergrund) präsentiert werden. Sie bleiben – ungeachtet ob sie Mathematik oder Kunst sind – wahr. Authentizität und Wahrheit sind zwei Begriffe, die in der Kunst jenseits aller modischen <strong>St</strong>römungen ungebrochene Bedeutung behalten. Radikale Positionen wie sie das Werk von Bernar Venet verkörpern, haben maßgeblich dazu beigetragen, diese Unbedingtheit und den Glauben an das Absolute in den Mittelpunkt zu stellen. Jenseits der schon in der Antike durch Aristoteles begründeten Tradition der Metaphysik und der im Mittelalter durch Thomas von Aquin formulierten onthologischen Korrespondenztheorie der Wahrheit („adaequatio rei et intellectus Übereinstimmung der Sache mit dem Verstand“) ist wohl insbesondere Ludwig Wittgensteins logischer Empirismus für die Nachvollziehbarkeit der dargestellten Objekte und mathematischen Formeln Venets und ihrem Anspruch auf Logik und Wahhaftigkeit hilfreich. „Im Tractatus Logico-Philosophicus“ geht Wittgenstein zunächst davon aus, dass wir uns Bilder von der Wirklichkeit machen. Sie sind ein „Modell der Wirklichkeit“ (2.12). Bilder drücken sich in Gedanken aus, deren Gestalt „der sinnvolle Satz“ darstellt (4). Wittgenstein definiert die Wirklichkeit als „die Gesamtheit der Tatsachen“ (1.1). Tatsachen sind bestehende Sachverhalte, die von bloßen, 25