Stadt und Land - Betreuungsvereine
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Fachtagung Fachtagung<br />
Altenheime haben sich Bewohnern anzupassen<br />
Fachtagung „Gerontopsychiatrie“ im Lotte-Lemke-Haus in Bad Kreuznach<br />
BAD KREUZNACH. Die Altenheime<br />
haben sich den Bewohnern anzupassen,<br />
nicht die Bewohner den<br />
Altenheimen. Diese an sich selbstverständliche<br />
Forderung stößt im<br />
Pflegealltag von stationären Einrichtungen<br />
bislang an Grenzen.<br />
Lassen sich diese Grenzen verändern?<br />
Muss es überhaupt Grenzen<br />
geben, also Altenheime im klassischen<br />
Sinn? Durch solche <strong>und</strong><br />
manch andere Fragen sahen sich<br />
die 100 Teilnehmer der 2-tägigen<br />
Fachtagung Gerontopsychiatrie<br />
„Demenz – Wege aus dem Labyrinth“<br />
herausgefordert, übliche<br />
Denk- <strong>und</strong> Verhaltensmuster in<br />
der Pflege auf ihre Sinnhaftigkeit<br />
zu prüfen.<br />
Schon beim ersten Referenten,<br />
Professor Erwin Böhm aus Österreich,<br />
klang nicht nur wienerischer<br />
Charme herüber, sondern es ging<br />
hart <strong>und</strong> klar, in einer so ganz<br />
anderen Sprache um die Sache.<br />
Was heißt eigentlich Demenz?<br />
Heißt das, wir behandeln die Menschen<br />
so als hätten sie eine<br />
Demenz, sie werden also immer<br />
blöder? Der Klient könnte sich mit<br />
Blick auf die Pflegekräfte fragen:<br />
‚Ich zahle dafür, dass sie mich zu<br />
Tode pflegen mit ihren Neurosen?’<br />
„Demenz<br />
gibt es nicht, ...<br />
Fachtagung in Bad Kreuznach mit<br />
Schirrmherrin, Referenten <strong>und</strong><br />
Gastgebern (von links): Christian<br />
Friedrich, Winfried Bauer, Doris<br />
Sattler, Marianne Kochanski, Sylvia<br />
Willerer-Pohrisch, Bürgermeisterin<br />
Marina Hassel <strong>und</strong> Professor<br />
Erwin Böhm. Foto: Axel Holz<br />
Mit anderen Worten, die Altenheime<br />
bieten das, was diese Menschen<br />
gar nicht brauchen. Er will<br />
wegkommen von Wörtern wie<br />
Alzheimer <strong>und</strong> Demenz. Er sagt:<br />
„Demenz gibt es nicht, sondern<br />
Verhaltensauffälligkeiten, die wir<br />
uns selbst machen.“<br />
Böhm erläuterte sein „psychobiografisches<br />
Pflegemodell“. Es<br />
nimmt die Seele des Menschen in<br />
den Blick, fragt nach dessen Prägung<br />
<strong>und</strong> Biografie. Dieses, von<br />
Professor Böhm in Österreich jahrzehntelang<br />
erprobte <strong>und</strong> anerkannte<br />
Modell, lässt sich bestens<br />
auf deutsche Verhältnisse übertragen.<br />
Eindrucksvoll berichtete<br />
Marianne Kochanski, wie sie<br />
selbst in einer Bochumer Einrichtung<br />
das Böhm’sche Modell einführte<br />
<strong>und</strong> mit Erfolg umsetzte.<br />
Die neue Pflegegruppe besteht aus<br />
16 Klienten, davon 13 mit der<br />
Pflegestufe III.<br />
Höchst einprägsam war eine<br />
Übung, bei der Kochanski die Teilnehmer<br />
ihres Workshops dazu anhielt,<br />
Probleme der Bewohner in<br />
Bezug auf das Waschen, die Kleidung<br />
<strong>und</strong> das Sich-Beschäftigen<br />
zu benennen. Benannt wurden<br />
fast ausschließlich Probleme, die<br />
die Mitarbeiter haben, wenn sie<br />
sich mit ihrer Klientel befassen.<br />
Mit dieser Übung war eindeutig<br />
klar gemacht: Auf die Sichtweise<br />
der Pflegenden kommt es an.<br />
Klienten sind dann nicht mehr das<br />
Problem.<br />
Jutta Becker, Ärztin aus Frankfurt/Main<br />
<strong>und</strong> schon zum vierten<br />
Mal Referentin der Tagung,<br />
berichtete in ihrem Workshop, wie<br />
das Ausmaß einer Demenzerkrankung<br />
erkannt <strong>und</strong> dokumentiert<br />
werden kann. Sie geht davon aus,<br />
dass bestimmte Fähigkeiten aufgr<strong>und</strong><br />
dieser Erkrankung nicht<br />
mehr vorhanden sind <strong>und</strong> dass<br />
sich Pflegende <strong>und</strong> Angehörige<br />
darauf einzustellen haben.<br />
„Nur gemeinsam<br />
können wir<br />
es schaffen, ...<br />
Mit Bürgermeisterin Marina Hassel<br />
hatte die Fachtagung zum<br />
ersten Mal eine Schirmherrin. Sie<br />
warb für ein lokales Netzwerk<br />
„Demenz“ <strong>und</strong> neue Wohnformen<br />
für alte, pflegebedürftige<br />
Menschen sowie um<br />
Unterstützung für Angehörige:<br />
„Nur gemeinsam können<br />
wir es schaffen, die Probleme<br />
zu lösen.“ Das hieße, die<br />
beteiligten Kräfte zu bündeln,<br />
sie aufeinander abzustimmen,<br />
statt sie gegeneinander konkurrieren<br />
zu lassen. Der AWO Bezirksverband<br />
Rheinland/Hessen-Nassau<br />
blieb als Träger von 13 Altenpflegeheimen<br />
zwischen den einzelnen<br />
Fachtagen nicht untätig.<br />
Mit seinem vom <strong>Land</strong> geförderten<br />
Modellprojekt bildete er Ratgeber<br />
aus, die in der Lage sind, die<br />
Lebenssituation von demenzkranken<br />
Menschen zu erkennen <strong>und</strong><br />
entscheidend zu verbessern. Darauf<br />
verwies Bezirksgeschäftsführer<br />
Winfried Bauer während seiner<br />
Begrüßungsansprache. Das neu<br />
erbaute Lotte-Lemke-Haus zeige<br />
beispielhaft, wie gebaut werden<br />
könne, um den Bedürfnissen alter<br />
Menschen <strong>und</strong> deren Eigenarten<br />
gerecht zu werden. Bauer dankte<br />
ausdrücklich den Organisatoren<br />
der Fachtagung, Doris Sattler <strong>und</strong><br />
Christian Friedrich. (ah)<br />
<strong>Stadt</strong> <strong>und</strong> <strong>Land</strong> 4/2003 15