MITMENSCHEN Dezember 2013 - Diakonie de La Tour
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Ein menschenwürdiges<br />
Leben bis zuletzt<br />
CORINA UNTERKOFLER<br />
Je<strong>de</strong>s Leben ist wertvoll. Mit Respekt, Achtung und Ehrlichkeit begegnen die Hospizmitarbeiterinnen<br />
und mitarbeiter <strong>de</strong>n kranken, sterben<strong>de</strong>n Menschen, die sie auf ihrem letzten Weg begleiten. Rikki ist<br />
eine dieser ehrenamtlichen Hospizmitarbeiterinnen. Aber ihre Geschichte beginnt ganz an<strong>de</strong>rs.<br />
„Mein Mann Ron war ein Gentleman<br />
bis zur letzten Sekun<strong>de</strong>“, erzählt Rikki<br />
Kennedy. „Kennengelernt haben wir<br />
uns 1991 im Krankenhaus Villach<br />
Warmbad, wo ich als Diplomkranken<br />
schwester gearbeitet habe. Eine Freundin<br />
hat ihr erstes Kind entbun<strong>de</strong>n und ich<br />
bin – nach einer Operation, bei <strong>de</strong>r<br />
ich assistiert habe, noch im OPKittel<br />
und mit zerzausten Haaren von <strong>de</strong>r<br />
Haube – zu ihr ins Zimmer geeilt. Dort<br />
traf ich Ron, <strong>de</strong>r auch ein Freund von<br />
ihr war und sie besucht hatte.“<br />
So begann die Liebesgeschichte <strong>de</strong>r<br />
Diplomkrankenschwester Rikki aus<br />
Bleiburg und <strong>de</strong>m kanadischen Eis<br />
hockeyStartrainer Ron Kennedy, <strong>de</strong>r<br />
mit <strong>de</strong>m VSV drei Meistertitel holte<br />
und sechs Jahre Teamchef <strong>de</strong>r National<br />
mannschaft war. Kennedys Trainer<br />
karriere führte ihn und Rikki auch in<br />
die USA, die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, nach Italien<br />
und nach Deutschland.<br />
„Geheiratet haben wir 1999“, erinnert<br />
sich Rikki, „und wir waren füreinan<strong>de</strong>r<br />
die Liebe unseres Lebens.“ Nach vielen<br />
glücklichen Jahren wur<strong>de</strong> bei Ron im<br />
<strong>Dezember</strong> 2006 ein Hirntumor diagnos<br />
tiziert. „Als Diplomkrankenschwester<br />
wusste ich, was diese Diagnose be<br />
<strong>de</strong>utet, als Ehefrau wollte ich es nicht<br />
wahrhaben und hoffte auf ein Wun<strong>de</strong>r“,<br />
so Rikki. Nach <strong>de</strong>r ersten Operation ging<br />
es ihm wie<strong>de</strong>r so gut, dass er arbeiten<br />
konnte, knapp ein Jahr später kehrte<br />
<strong>de</strong>r Krebs zurück. „Nach <strong>de</strong>r zweiten<br />
Operation war klar, dass er gegen <strong>de</strong>n<br />
Krebs nicht gewinnen kann.“<br />
Anfang 2009 zieht Rikki mit Ron von<br />
Innsbruck zurück nach Klagenfurt, weil<br />
sie die Unterstützung ihrer Familie<br />
braucht. Ihr Bru<strong>de</strong>r hat ihr damals ge<br />
raten, sich an die Hospizbegleitung zu<br />
wen<strong>de</strong>n. „Ich habe zuerst dort angerufen,<br />
weil ich ein Krankenbett für zuhause<br />
gebraucht habe und mir wur<strong>de</strong> sofort<br />
geholfen. Und unsere Hospizbegleiterin<br />
Josi war sowohl für Ron als auch für<br />
mich ein absoluter Glücksgriff“, erzählt<br />
Rikki. „Ron hat Josi akzeptiert und sie<br />
hat sich um ihn gekümmert, ihm das<br />
gegeben, was er gebraucht hat. Oft hat<br />
sie ihm einfach nur die Hand gehalten<br />
und geschwiegen.“<br />
„Es geht nicht darum, <strong>de</strong>m Leben<br />
mehr Tage zu geben, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n<br />
Tagen mehr Leben.“<br />
Dr. Cicely Saun<strong>de</strong>rs<br />
(Begrün<strong>de</strong>rin Hospizbewegung)<br />
Auch für Rikki war Josi eine große<br />
Unterstützung: „Sie war immer für mich<br />
da, mit ihr konnte ich über alles re<strong>de</strong>n<br />
und sie hat stets einen klaren Kopf<br />
bewahrt. Ich konnte Ron nicht gehen<br />
lassen und sie hat zu mir gesagt: ‚Er<br />
wird sterben. Mach es ihm nicht schwer,<br />
<strong>de</strong>nn er bleibt nur, weil du ihn nicht<br />
loslässt.‘”<br />
Ron Kennedy starb mit nur 56 Jahren<br />
am 9. Juli 2009, kurz vor seinem<br />
zehnten Hochzeitstag. „Ich habe mich<br />
gefühlt, als hätte man mir alles ge<br />
nommen“, sagt Rikki, „dann hat mir<br />
jemand gesagt: ‚Du hast nur einen<br />
Menschen verloren, Ron hat alle<br />
Menschen verloren.‘”<br />
Doch Rikki war wie gelähmt vor<br />
Schmerz und Trauer: „Ich wusste nicht,<br />
was ich tun sollte. Josi hat mir mit<br />
allem geholfen. Und ich war so dankbar,<br />
dass mir Ron noch gesagt hatte, dass<br />
er verbrannt wer<strong>de</strong>n möchte und dass<br />
ich seine Urne ins Familiengrab nach<br />
Kanada überstellen soll.“<br />
2010 entschließt sich Rikki Kennedy,<br />
ehrenamtliche Hospizbegleiterin zu<br />
wer<strong>de</strong>n: „Die Arbeit von Josi war für<br />
mich <strong>de</strong>r Auslöser. Ihr Wissen und ihre<br />
Ruhe haben mir imponiert.“ „Nach <strong>de</strong>r<br />
Grundausbildung und <strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rlichen<br />
Praxis hat Rikki bei uns im Team Klagen<br />
furt begonnen“, erinnert sich Doris<br />
Scheiring, die pädagogische Leitung<br />
<strong>de</strong>r Hospizbewegung. „Sie hat selbst<br />
die Erfahrung gemacht, wie schwer es<br />
ist, einen seiner Liebsten sterben zu<br />
sehen, aber dass es noch schwerer ist,<br />
damit alleine gelassen zu wer<strong>de</strong>n. Und<br />
sie hat gesehen, dass die Herausfor<strong>de</strong>r<br />
ung für die Hospizmitarbeiterinnen<br />
und mitarbeiter darin besteht, dass<br />
man nichts kontrollieren kann. Man<br />
muss alles annehmen, was kommt,<br />
wie es kommt und wann es kommt.<br />
Und man muss wissen, dass es in<br />
Ordnung ist, wie es gera<strong>de</strong> ist und<br />
man darf nichts bestimmen o<strong>de</strong>r<br />
verzögern wollen.“ Dem stimmt Rikki<br />
Kennedy zu: „Ich habe gelernt, dass es<br />
als Hospizbegleiterin enorm wichtig ist,<br />
alles auszuhalten.”<br />
Hospiz ist eine ethische Einstellung, wie<br />
man respektvoll miteinan<strong>de</strong>r umgeht<br />
bis zum Tod. Die Begleitung, Betreuung,<br />
menschliche Zuwendung und Schmerz<br />
lin<strong>de</strong>rung für sterben<strong>de</strong>, schwerstkranke<br />
und trauern<strong>de</strong> Menschen sind die Grund<br />
prinzipien. „Wir sind das Sprachrohr<br />
<strong>de</strong>s Sterben<strong>de</strong>n und stehen seinen<br />
Angehörigen in dieser schweren Zeit<br />
zur Seite“, erklärt Scheiring, „wir be<br />
gleiten Sterben<strong>de</strong> aller Altersgruppen,<br />
Nationen und Konfessionen – zu Hause,<br />
im Pflegeheim o<strong>de</strong>r im Krankenhaus.“<br />
„Es geht darum, <strong>de</strong>m Sterben<strong>de</strong>n seine<br />
Zeit zu geben, hinzuhören, was er ge<br />
ra<strong>de</strong> braucht und einfach da zu sein, um<br />
mit ihm eine ehrliche Kommunikation zu<br />
führen – sensibel, aber ohne zu be<br />
schönigen und ohne zu werten“, ergänzt<br />
die ökonomische Leitung <strong>de</strong>r Hospiz<br />
bewegung, Mag. Petra Richter.<br />
„Über 160 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter in<br />
15 Teams in ganz Kärnten haben<br />
im vergangenen Jahr rund 600<br />
Schwerstkranke und Sterben<strong>de</strong><br />
begleitet und über 16.000 Stun<strong>de</strong>n<br />
geleistet. Somit sind wir die<br />
größte Hospizorganisation in<br />
Kärnten.“<br />
Mag. Petra Richter<br />
Die Hospizbegleiterinnen und begleiter<br />
berichten von unterschiedlichen Reak<br />
tionen auf das bevorstehen<strong>de</strong> Sterben.<br />
Manche Menschen reflektieren ihr Leben<br />
und stellen sich Fragen wie: „Was ist<br />
mein Leben wert?“, „Habe ich mein<br />
Leben so gelebt, wie ich es wollte?“,<br />
„Was habe ich erreicht?“ o<strong>de</strong>r „Bin ich<br />
ein guter Mensch gewesen?“ An<strong>de</strong>re<br />
versuchen – mit oft überraschen<strong>de</strong>r<br />
Klarheit – alles noch zu „regeln“: „Ich<br />
muss noch mein Testament machen und<br />
mit meiner Familie meine Wünsche für<br />
mein Begräbnis besprechen.“<br />
„Rons Tod und die Arbeit als Hospiz<br />
begleiterin haben mich verän<strong>de</strong>rt“,<br />
sagt Rikki Kennedy. „Anfangs war es<br />
so, dass Ron mich getröstet hat. Und<br />
jetzt mache ich auch oft die Erfahrung,<br />
dass die Sterben<strong>de</strong>n mir Mut geben.<br />
Ich bin viel ruhiger und ausgeglichener<br />
gewor<strong>de</strong>n. Viele Dinge, die mich vorher<br />
gestört haben, nehme ich nun gelassen<br />
hin.“<br />
„Unsere Hospizbegleiterinnen<br />
und -begleiter verfügen über eine<br />
qualifizierte Ausbildung und arbeiten<br />
nach <strong>de</strong>n Grundprinzipien <strong>de</strong>r<br />
Hospizbewegung – überparteilich<br />
und überkonfessionell.“<br />
Doris Scheiring<br />
Die Hospizbegleiterinnen und begleiter<br />
arbeiten ehrenamtlich und verfügen<br />
über eine qualifizierte, zertifizierte<br />
Ausbildung. Sie sind kärntenweit in<br />
regionalen Teams organisiert und un<br />
terliegen <strong>de</strong>r Schweigepflicht.<br />
Weiters arbeiten sie mit Fachkräften<br />
aus <strong>de</strong>m medizinischen, sozialen<br />
und psychologischen Bereich zusam<br />
men, <strong>de</strong>nn die Hospizbegleiterinnen<br />
und begleiter sind kein Ersatz für<br />
Alten o<strong>de</strong>r Hauskrankenpflege, psycholo<br />
gische o<strong>de</strong>r medizinische Betreuung. „In<br />
<strong>de</strong>r sogenannten ‚Palliative Care‘ geht<br />
es um ganzheitliche Begleitung, Pflege<br />
und Schmerzbehandlung. Die Lin<strong>de</strong>rung<br />
von seelischen, sozialen und spirituellen<br />
Problemen steht im Fokus“, erklärt<br />
Petra Richter.<br />
Über alle<strong>de</strong>m steht die Autonomie <strong>de</strong>s<br />
Sterben<strong>de</strong>n. Es geht darum, ihm Zeit<br />
zu geben, hinzuhören und da zu sein.<br />
„Man muss sich selbst zurücknehmen“,<br />
sagt Rikki Kennedy. „Die Bedürfnisse<br />
und Wünsche <strong>de</strong>s Sterben<strong>de</strong>n stehen an<br />
vor<strong>de</strong>rster Stelle.“<br />
Monatliche Treffen ermöglichen es <strong>de</strong>n<br />
Hospizmitarbeiterinnen und mitarbeitern,<br />
sich auszutauschen und über ihre<br />
Erfahrungen zu sprechen. Die Hospiz<br />
bewegung bietet laufend Fortbildungen<br />
an, auch für Betroffene und Interes<br />
sierte. Rikki Kennedy hat auch bereits<br />
eine Zusatzausbildung abgeschlossen,<br />
nämlich für Sterbebegleitung von<br />
Demenzkranken.<br />
Ob Rikki Kennedy jetzt glücklich ist und<br />
was sie sich für die Zukunft wünscht?<br />
Sie lächelt und antwortet: „Ich wünsche<br />
mir Gesundheit für meine Familie, meine<br />
Freun<strong>de</strong> und für mich. Ich habe mein<br />
Leben nach Rons Tod geordnet, bin<br />
angekommen und erfreue mich an<br />
<strong>de</strong>n einfachen Dingen <strong>de</strong>s Lebens. Im<br />
Sport und auf Reisen fin<strong>de</strong> ich meinen<br />
Ausgleich.“ Heilt die Zeit wirklich alle<br />
Wun<strong>de</strong>n? „Nicht wirklich“, sagt sie,<br />
„mein körperlicher Schmerz ist über die<br />
Jahre besser gewor<strong>de</strong>n, alles an<strong>de</strong>re ist<br />
geblieben. Ich <strong>de</strong>nke je<strong>de</strong>n Tag an Ron<br />
und vermisse ihn.“<br />
Hospizbewegung<br />
T 0463 32303208<br />
www.hospizbewegungdiakonie.at<br />
Doris Scheiring, pädagogische Leitung<br />
M 0664 4082794<br />
doris.scheiring@hospizbewegungdiakonie.at<br />
Mag. Petra Richter, ökonomische Leitung<br />
M 0664 8504099<br />
petra.richter@hospizbewegungdiakonie.at<br />
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