MITMENSCHEN Dezember 2013 - Diakonie de La Tour
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pünktlich um sechs am Abend sein Bier<br />
trinken möchte, wie er es immer getan<br />
hat, dann wird er es natürlich auch<br />
hier tun. Viele Frauen, die früher in <strong>de</strong>r<br />
Hauswirtschaft tätig waren und heute<br />
bei uns wohnen, entspannen sich beim<br />
Falten von Servietten. Eine Bewohnerin<br />
war Amme, heute lebt sie schon so weit<br />
in <strong>de</strong>r Vergangenheit, dass sie sich um<br />
eine Puppe wie um ein Kind kümmert.<br />
Eine Liste, die sich lange fortsetzen<br />
ließe“, erzählt die Pflegedienstleiterin.<br />
Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Biografiearbeit als<br />
zentrales Thema <strong>de</strong>s Hauses erschließt<br />
sich einem schon beim Betreten <strong>de</strong>s<br />
Gebäu<strong>de</strong>s: Antike Bauernschränke,<br />
Kommo<strong>de</strong>n, alte Tische, eine Puppe<br />
im Lehnstuhl, ein Leiterwagen mit<br />
Milchkanne – Gegenstän<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />
Besucher meist wenig Be<strong>de</strong>utung bei<br />
misst, <strong>de</strong>n hier wohnen<strong>de</strong>n Menschen<br />
wird damit jedoch ein Stück „ihrer<br />
Welt von damals“ zurückgegeben. Als<br />
Ankerpunkte und Leitsysteme geben sie<br />
Halt und Orientierung in einer Lebens<br />
phase, in welcher vieles unverständlich,<br />
fremd und oft beängstigend kompliziert<br />
erscheint.<br />
„Alltagsnormalität tut <strong>de</strong>n<br />
Bewohnern gut.“<br />
Sonja Wieser<br />
Lebensbil<strong>de</strong>r<br />
NIKOLAUS ONITSCH<br />
Unterschiedliche Biografien, unterschiedliche Bedürfnisse - Begegnungen auf Augenhöhe nehmen Angst und<br />
schaffen Vertrauen. In <strong>de</strong>n Wohn und Pflegeeinrichtungen für Menschen im Alter <strong>de</strong>r <strong>Diakonie</strong> <strong>de</strong> <strong>La</strong> <strong>Tour</strong> versucht<br />
man, Bewohnern, die immer mehr in <strong>de</strong>r Vergangenheit leben, eine Brücke in die Gegenwart zu bauen.<br />
„In <strong>de</strong>n Schuhen <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren<br />
gehen, ist das, was Validation am<br />
besten ver<strong>de</strong>utlicht.“<br />
Evelin Lubi<br />
Gewohnheiten, mit <strong>de</strong>nen sie sich<br />
wohlfühlen, die ihnen Sicherheit geben<br />
und so zu einem Teil ihrer Persönlich<br />
keit wer<strong>de</strong>n. „Wenn ein Bewohner<br />
Um <strong>de</strong>n speziellen Bedürfnissen <strong>de</strong>r<br />
Bewohner und nicht zuletzt auch <strong>de</strong>r<br />
sie betreuen<strong>de</strong>n Mitarbeiter gerecht zu<br />
wer<strong>de</strong>n, bedarf es einer sorgfältigen<br />
Gestaltung und Planung, womit <strong>de</strong>r<br />
Architektur eine wichtige Rolle im<br />
pflegerischen Gesamtkonzept zukommt:<br />
Architekt Dietger Wissounig, verant<br />
wortlich für die Konzeption <strong>de</strong>r neuen<br />
Sein Mienenspiel lässt Deutungen<br />
Raum. Geht es ihm gut? Ist er traurig?<br />
Der großgewachsene alte Mann sitzt<br />
einfach nur da, wirkt in Gedanken<br />
versunken. Er lebt in einer Welt, die<br />
niemand kennt und die sich auch für<br />
ihn ständig zu än<strong>de</strong>rn scheint. Hermann<br />
Gerhold war einmal in leiten<strong>de</strong>r Position<br />
für einen Konzern tätig, jemand, <strong>de</strong>r<br />
Karriere gemacht und im Leben etwas<br />
erreicht hat. Vielleicht gehen ihm ge<br />
ra<strong>de</strong> Sequenzen dieser Zeit durch <strong>de</strong>n<br />
Kopf, während sein Blick <strong>de</strong>n großen<br />
Holztisch vor ihm nicht loslässt. Dass<br />
er im Haus St. Peter - einer Wohn und<br />
Pflegeeinrichtung <strong>de</strong>r <strong>Diakonie</strong> <strong>de</strong> <strong>La</strong><br />
<strong>Tour</strong> - lebt, weiß er vielleicht gar nicht.<br />
Herr Gerhold ist <strong>de</strong>ment.<br />
Jemand hält ihm die Hand hin, er blickt<br />
auf, es vergehen lange Momente, bis er<br />
zögernd nach ihr greift und sie schließ<br />
lich festhält. Es ist die Hand von Evelin<br />
Lubi, einer Mitarbeiterin, die mit Hilfe<br />
<strong>de</strong>r Validationsmetho<strong>de</strong> Menschen mit<br />
Demenz, sofern diese dazu bereit sind,<br />
die Möglichkeit zur gemeinsamen Inter<br />
aktion gibt. „Bei <strong>de</strong>r Validation versucht<br />
man, <strong>de</strong>n betroffenen Bewohner auf <strong>de</strong>r<br />
Gefühlsebene zu erreichen, um ent<br />
we<strong>de</strong>r verbal o<strong>de</strong>r nonverbal in seine<br />
Welt einzutauchen“, erklärt Lubi. „Oft<br />
befin<strong>de</strong>n sich Demenzkranke in weit<br />
zurückliegen<strong>de</strong>n Lebensphasen, die<br />
mitunter belastend sind. Das Validieren<br />
hilft, diese abzuarbeiten“, so die Alten<br />
arbeitSozialbetreuerin. „Ganz oben<br />
stehen aber immer die Wünsche <strong>de</strong>r<br />
Betroffenen; sie sollen sich das, was<br />
sie gera<strong>de</strong> brauchen, nehmen dürfen.“<br />
Herr Gerhold streichelt erst zaghaft,<br />
dann immer intensiver über die Hand<br />
seines Gegenübers. Nach einer Zeit<br />
hört er plötzlich auf, für ihn ist es<br />
jetzt genug.<br />
Im Klagenfurter Haus St. Peter und in<br />
<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Wohn und Pflegeeinrich<br />
tungen <strong>de</strong>r <strong>Diakonie</strong> <strong>de</strong> <strong>La</strong> <strong>Tour</strong> leben<br />
viele Menschen mit unterschiedlichen<br />
Demenzerkrankungen. Um Fähigkeiten<br />
und Fertigkeiten zu erhalten o<strong>de</strong>r zu<br />
verbessern, wird gezieltes Kompetenz<br />
training angewandt.<br />
„Es ist das Gegenteil von Animation, bei<br />
<strong>de</strong>r eine Gruppe, egal ob die Menschen<br />
mit <strong>de</strong>m Programm etwas anfangen<br />
können, frontal unterhalten wird. Unsere<br />
Vorgehensweise ist gezielter, in<strong>de</strong>m wir<br />
versuchen, individuell auf die Bedürf<br />
nisse <strong>de</strong>s einzelnen einzugehen“,<br />
veranschaulicht Pflegedienstleiterin<br />
Sonja Wieser <strong>de</strong>n Zugang, nach <strong>de</strong>m<br />
gearbeitet wird. „Bewohnern Zeit geben,<br />
sie selbst entschei<strong>de</strong>n lassen, das<br />
Erfüllen von psychischen Bedürfnissen<br />
und Genuss sowie die Berück sichtigung<br />
<strong>de</strong>r Biografie ist das, was Pflege aus<br />
macht.“<br />
Menschen verinnerlichen oft über<br />
Jahrzehnte hinweg Rituale, entwickeln<br />
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