Till Eulenspiegel - eine kulturgeschichtliche Betrachtung
Till Eulenspiegel - eine kulturgeschichtliche Betrachtung
Till Eulenspiegel - eine kulturgeschichtliche Betrachtung
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diesen Menschen von ihrer Geburtskonstellation her nicht zugedacht<br />
war. Wer ihm begegnet, der empfängt <strong>eine</strong>n Eindruck, der<br />
außerhalb s<strong>eine</strong>r charakterlichen Veranlagung wirkt. Wenn man<br />
darauf eingehen könnte, würde sich sogar das Leben ändern. Aber<br />
dazu bedarf es wohl weiterer Voraussetzungen als es diejenigen<br />
sind, die in unserem Charakter zunächst eben doch nur gegeben<br />
sind.<br />
<strong>Till</strong>, der Reiter, ähnelt hier dem Gralssucher Parzival, der sich von<br />
s<strong>eine</strong>m Unbewußten führen läßt. So kann er durch höhere Mächte,<br />
als es die s<strong>eine</strong>s Verstandes oder s<strong>eine</strong>r Vorlieben sind, durchs<br />
Leben geführt werden. Er vertraut sich dem Höheren in ihm an, das<br />
auf dem Bild durch das Pferd dargestellt ist.<br />
Die Eule<br />
Wir haben in der Eule und in dem Spiegel <strong>eine</strong>n weiteren Hinweis<br />
darauf zu sehen, welche Kräfte in <strong>Till</strong> wirken, indem er im Leben der<br />
Menschen auftritt. Natürlich trug er weder den Spiegel noch die Eule<br />
einfach als Dinge mit sich herum. Aber er wurde von s<strong>eine</strong>n<br />
Zeitgenossen so gesehen, daß durch ihn die Eulenkraft und die<br />
Macht des Spiegels wirkte.<br />
In der Eule haben wir ein in der Antike und im Mittelalter oft<br />
verwendetes mythologisches Tier zu sehen. Die Eule, ein Raubvogel,<br />
beginnt erst in der einbrechenden Dämmerung ihren lautlosen Flug.<br />
Die großen Augen erspähen auch in der Dunkelheit mit absoluter<br />
Sicherheit die Beute. Der Ruf der Eule ist dumpf, wie aus <strong>eine</strong>r<br />
Hülle, aus der ‹Gruft› kommend. Die Menschen erleben den<br />
Eulenruf als <strong>eine</strong>n Vorboten des Todes. Die Eule jagt im Walde oder<br />
in der Nähe des Waldes. Auch eng stehende Bäume sind für die Eule<br />
kein Hindernis. Sie ‹weiß den Weg› auch und gerade im Finstern.<br />
Die Eule ist das ‹Wappentier› Athens gewesen. Pallas Athene, die<br />
Schutzgöttin der Stadt Athen im Altertum, wurde als der dem<br />
Haupte des Zeus entsprungene, lebendige Gedanke des Gottes<br />
empfunden. Athene ist deshalb die Schutzgöttin der Wissenschaft,<br />
die sich auf den Gedanken gründet, also auf das Erleben des<br />
Zusammenhangs der Dinge. Die Eule ist das mythologische Tier der<br />
Athene. Das kann einleuchten, wenn man die Eigenschaften der<br />
Eulenvögel einmal für sich betrachtet: Einen Gedanken kann man<br />
erst bilden, wenn man die Ganzheit der Erscheinungen der Natur<br />
oder des Geistes überschaut. Vom Ende der Erfahrung her wird der<br />
Gedanke gebildet. Der Philosoph Hegel sagte über die Wissenschaft:<br />
‹Die Eule der Minerva (das ist die römische Athene) beginnt erst in<br />
der Dämmerung ihren Flug.› Erst wenn die Tatsachen vorliegen, die<br />
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