Till Eulenspiegel - eine kulturgeschichtliche Betrachtung
Till Eulenspiegel - eine kulturgeschichtliche Betrachtung
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wieder sich an dich erinnern. Denn wir leben in <strong>eine</strong>r Welt, die wie<br />
ein Pulverfaß ist. Das Pulverfaß der falschen Wörter und Sätze. Und<br />
wer in diesem Jahrhundert lebt, und noch nicht an den Wörtern und<br />
Sätzen zugrundegegangen ist, die dieses Jahrhundert ausmachen,<br />
der wird eben mit dem Jahrhundert zugrunde gehen. Und er wird<br />
dann, im Untergang, dich erkennen - dich neben d<strong>eine</strong>m Meister,<br />
dem du mit dem Einsatz d<strong>eine</strong>s Lebens dienst. Für die aber, die dich<br />
bereits jetzt ein wenig kennen, sei das Folgende versuchsweise<br />
aufgeschrieben. Es wird denen nichts helfen, die dich nicht kennen.<br />
Aber den andern wird es vielleicht <strong>eine</strong> Hilfe sein können, dich in<br />
d<strong>eine</strong>r Gegenwärtigkeit zu erblicken. Und wer weiß, was daraus<br />
folgen mag?<br />
<strong>Till</strong> <strong>Eulenspiegel</strong> - heute<br />
<strong>Till</strong> <strong>Eulenspiegel</strong> ist zweifellos historische Figur. Aber eigentlich ist<br />
dieser <strong>Till</strong> <strong>Eulenspiegel</strong> <strong>eine</strong> Geist-Gestalt. Da wir den Geist nicht<br />
kennen, erscheint er uns als ein Agent <strong>eine</strong>r anderen Welt. <strong>Till</strong> ist<br />
anders als wir, er ist sogar anders geboren als wir. Wir m<strong>eine</strong>n, aus<br />
der Materie geboren zu sein. Er ist aus der Kraft des Wortes<br />
geboren. Aber er ist nicht allein. Jeder kann ein <strong>Eulenspiegel</strong><br />
werden. Wenn er es will, und wenn er die rechten Wege dazu sucht.<br />
In der Geschichte der Neuzeit sind mehrere Menschen aufgetreten,<br />
haben sich als Personen - wenn man bei den ‹<strong>Till</strong>en› in dem uns<br />
geläufigen Sinne überhaupt von ‹Person› reden kann - der Aufgabe,<br />
ein <strong>Eulenspiegel</strong> zu sein, unterzogen, haben sich als <strong>Eulenspiegel</strong><br />
‹verkörpert›. Heute ‹lebt› diese Geist-Gestalt in den Büchern weiter,<br />
in den immer neuen Ausgaben des ersten <strong>Till</strong>-<strong>Eulenspiegel</strong>-Buches,<br />
das längst in viele Sprachen der Erde übersetzt worden sind. Und er<br />
darf hier und dort auch in der Schule leben, vor allem aber in der<br />
Freien Waldorfschule. Dort begegnen die Kinder im 2. Schuljahr ihm<br />
wieder, wenn der Lehrer sich den Sinn dafür erschlossen hat, und so<br />
diese wunderbare Gestalt für die Kinder zum Leben erwecken will<br />
und kann.<br />
Wer sich als Erwachsener mit <strong>Till</strong> <strong>Eulenspiegel</strong> befaßt hat, den läßt<br />
er oft nicht mehr los. Man kann durch ihn immer wieder die Welt<br />
und den Menschen neu sehen lernen. Die Wesen der Natur sind uns<br />
durch die Sinne gegeben. Die ‹Welt des Menschen› ist uns zunächst<br />
gegeben durch alles, was die Sprache und das Denken für uns<br />
leisten. Die Welt des Menschen ist die Welt der Zeichen und<br />
Symbole, der Grammatik und der Semantik, der Bedeutungen,<br />
Meinungen und Ansichten, des Ausdrucks und des Eindrucks, den<br />
die Vorgänge und Gegenstände der Natur, vor allem aber die Rede<br />
und die Handlungen der anderen Menschen - die insoweit ja auch<br />
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