Und unsere Kinder werden weiter vergiftet - Zfd-online.net
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satirisch<br />
justizhörig<br />
experimentell<br />
wahrheitenliebend<br />
frei-volksherrschaftlich<br />
Freitag, 19.6.1992<br />
25. Kalenderwoche, 3. Jahrgang<br />
Nummer 31<br />
offen<br />
bissig<br />
kritisch<br />
unabhängig<br />
überparteilich<br />
Einzelpreis 2,20 DM<br />
Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt, Telefon 0 6151/71 98 96<br />
<strong>Und</strong> <strong>unsere</strong> <strong>Kinder</strong><br />
<strong>werden</strong> <strong>weiter</strong> <strong>vergiftet</strong><br />
PCB in Schulen: Sanierung erst in den kommenden Jahren?<br />
Sie lesen<br />
3 PCB: Die Krankheiten<br />
4 Brauchen wir Kultur?<br />
5 Urbanität ein Fremdwort<br />
6 Brutale Polizeieinsätze<br />
9 Vack antwortet RAF-Boock<br />
8 Kohls Rede in Rio<br />
14 Nase eher rümpfen als putzen<br />
16&17 Al. Büchnerpreis -<br />
der Stifter ärgert sich<br />
18&19 Paradebeispiel f. Klassenjustiz<br />
Nächste Ausgabe:<br />
Freitag, 28.8.92<br />
„Dies ist eine Arbeitssitzung, da ist die<br />
Öffentlichkeit nicht zugelassen“, begründet<br />
Umweltdezernent Heino Swyter<br />
(FDP), weshalb er Zensur ausübt und die<br />
Presse ausschließt, denn nicht nur der ZD<br />
auch dem „Darmstädter Echo“ wurde die<br />
Teilnahme verweigert, ein klarer Verstoß<br />
gegen das Pressegesetz. Der Experte für<br />
PCB Sanierung, Professor Dr. Georg-Michael<br />
Därr, war auf Einladung des Magistrats<br />
in der Lichtenbergschule erschienen.<br />
Die Arbeitsbesprechung, an der unter anderen<br />
Bürgermeister Peter Benz, Baudezernent<br />
Dr. Wolfgang Rösch, Oberstudiendirektor<br />
Wilfried Schupp, Eltern- und<br />
Schülervertreter teilnahmen, sollte Klärung<br />
bringen, wie die <strong>vergiftet</strong>en Schulräume,<br />
in denen immer noch Unterricht<br />
stattfindet, saniert <strong>werden</strong> können.<br />
Gründe für seine Pressezensur vermochte<br />
Swyter nicht zu nennen, doch erschien sie<br />
den Verantwortlichen wohl aus mehreren<br />
Gründen erforderlich. Eine Pressekonferenz,<br />
die anschließend stattfinden sollte,<br />
wurde ebenfalls abgesagt – da hätten unangenehme<br />
Fragen gestellt <strong>werden</strong> können –<br />
stattdessen wurde Pressesprecher Volker<br />
Rinnert beauftragt, eine offizielle Erklärung<br />
zu schreiben (siehe Seite 12).<br />
Er meinte auf Befragen: „Da sichere ich<br />
mich ab, von allen drei Dezernenten ist die<br />
Meldung abgeseg<strong>net</strong> und zum Teil ergänzt<br />
worden. Was das „Echo“ aus der Meldung<br />
gemacht hat (DE, 5.6. „Vielleicht muß abgerissen<br />
<strong>werden</strong>“), daß die Lampen ausgetauscht<br />
<strong>werden</strong>, ist falsch.<br />
Dr. Rösch hat nur erklärt, er prüft, ob die<br />
Lampen ausgewechselt <strong>werden</strong>“. So steht<br />
☛ Fortsetzung Seite 3<br />
Deutsche Denk-Kommode<br />
a treten doch immer wieder Leute<br />
Dauf, die ungestraft ihre selbst<br />
geglaubten Lügen als Wahrheit verkaufen.<br />
Ihre Standard-Schubladen<br />
eines biedermeierlich-bürgerlich sauber<br />
intarsierten Kommodentums von<br />
deutscher Ordentlichkeit. Kurz, was<br />
nicht faßbar, nicht klassifizierbar ist,<br />
gibt es nicht, also muß es in die unterste<br />
Schublade, die für den ordentlichen<br />
Deutschen Sammelplatz für<br />
alles Unordentliche ist.<br />
Daß die Umwelt, sprich saubere Luft,<br />
Trinkwasser, gesunder Wald oder<br />
auch nur einzelne Bäume in der Stadt<br />
eigentlich Sache von jederfrau/mann<br />
sein könnten, ist für das kommode,<br />
faschismusverdräuende Hirn heutzutage<br />
noch ein ganzes Stück zu fortgeschritten.<br />
Saubere deutsche Kommoden-Ordnung<br />
lautet:<br />
Fach links: (RAF, Alt DDR, Russen,<br />
Spontis, Grüne Fundalos, Jusos,<br />
SPD)<br />
Fach rechts: Hitler, lange nichts, Gauweiler,<br />
CSU, CDU, dazwischen Juristen<br />
(NPD und Splittergruppen,<br />
zählen auch für Staatsanwälte nicht),<br />
Skins sind unpolitische Hakenkreuzträger<br />
mithin für den Verfassungsschutz<br />
ohne Bedeutung.<br />
„Mercks Medikamente haben tödliche Nebenwirkungen“<br />
Die Geschäfte des Pharmakonzerns mit der Gesundheit in den Ländern der Dritten Welt<br />
Arzneimittel sollen helfen. Wer sich vertrauensvoll an den Arzt wendet, hofft, daß dieser seine Besch<strong>werden</strong> lindern<br />
und die Gesundheit wiederherstellen kann. Was würden Sie sagen, wenn Sie feststellen müßten, daß Ihnen mit dem<br />
Medikament nicht geholfen wird, sondern Sie darüber hinaus auch noch neue Krankheiten bekommen oder gar in Todesgefahr<br />
geraten? Wer in Südamerika, in Indien oder in irgendeinem anderen Land der sogenannten Dritten Welt<br />
lebt, ist unseriöser Geschäftemacherei ausgeliefert. Gerade auch deutsche Pharmazieunternehmen – unter ihnen die<br />
Darmstädter Firma Merck – kennen keine Grenzen. In diese Länder <strong>werden</strong> Medikamente verkauft, die in der Bundesrepublik<br />
nicht mehr zugelassen sind und von denen bekannt ist, daß ihre Nebenwirkungen bis zum Tod führen<br />
können. Der Arzt, Dr. Hermann Schulte-Sasse, berichtete über seine Recherchen und den bislang ergebnislosen<br />
Kampf gegen die unseriösen Geschäfte mit der Gesundheit. Er tritt für die Patienten in der Dritten Welt seit Jahren ein<br />
und versuchte erfolglos, die Pharma-Konzerne von ihren gemeinen Geschäften abzubringen. Deshalb wendet er sich<br />
an die Öffentlichkeit, um so mehr zu erreichen.<br />
Mit schweren Vorwürfen gegen Merck<br />
tritt Schulte-Sasse in Darmstadt an.<br />
„Merck vertreibt Medikamente mit tödliche<br />
Nebenwirkungen. Über Jahre hinweg<br />
hat sich daran nichts geändert, nur durch<br />
scharfe Stellungnahmen kann öffentliche<br />
Empörung entstehen, um Druck auf das<br />
Unternehmen auszuüben. Bereits seit Jahren<br />
ist von Ärzten immer wieder darauf<br />
hingewiesen worden, und wir haben einen<br />
intensiven Briefwechsel mit Merck gehabt,<br />
dennoch hat sich nichts geändert“.<br />
Schulte-Sasse ist heute als ärztlicher Berater<br />
der AOK Bremen tätig. Der 1975 zum<br />
Arzt approbierte Internist arbeitete zwei<br />
Jahre als medizinischer Entwicklungshelfer<br />
in Ecquador. „Diese Zeit als ärztlicher<br />
Entwicklungshelfer hat mich gelehrt, daß<br />
die Krankheiten der Länder in der Dritten<br />
Welt erstens Krankheiten der Armut sind,<br />
und zweitens, daß die Unterentwicklung<br />
bei den staatlichen Arzneimittelbehörden<br />
eine wirksame Kontrolle bis hin zur Verteilung<br />
an Kliniken und Ärzte verhindert.<br />
Dies ist die Grundlage für meine Forderung<br />
an die Pharmazieindustrie“, so Schulte-Sasse,<br />
„dies nicht für ihre Geschäfte zu<br />
nutzen und ein besonderes Maß an Verantwortlichkeit<br />
zu zeigen“.<br />
Der Arzt schilderte am 25. Mai vor etwa<br />
achtzig BesucherInnen in der TH Darmstadt<br />
seine Erfahrungen mit dem Unternehmen.<br />
Unterstützt von „medico international“<br />
in Frankfurt und der Pharma-Kampagne<br />
des Bundeskongresses entwicklungspolitischer<br />
Aktionsgruppen (BUKO)<br />
recherchierte er, welche Medikamente von<br />
den Pharmaunternehmen der Bundesrepublik<br />
in die Entwicklungsländer exportiert<br />
<strong>werden</strong>. Dabei stießen die Ärzte auf eine<br />
Reihe von Medikamenten, die in den Industrienationen<br />
zum Teil bereits verboten<br />
oder nur als rezeptpflichtig zugelassen<br />
sind.<br />
Erstmals im Jahr 1975 erstellte die Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) eine „Li-<br />
ste unentbehrlicher Arzneimittel“. Darin<br />
faßte die Organisation die Arzneimittel zusammen,<br />
die rund 95 Prozent aller Krankheiten<br />
ausreichend bekämpfen können.<br />
1988 wurde diese Liste erneut überarbeitet<br />
und auf 266 wirksame und preiswerte Medikamente<br />
festgesetzt. Vergleicht man das<br />
Angebot der Firma Merck mit dieser Liste,<br />
dann ergibt sich ein erschreckendes Bild:<br />
Nach Mexiko liefert Merck 35 Arzneimittel,<br />
von denen laut BUKO nur 8,6 Prozent<br />
unentbehrlich sind; in Zentralamerika mit<br />
57 Medikamenten und in Brasilien mit 34<br />
Medikamenten fällt kein Arzneimittel unter<br />
diese Kriterien; in Kolumbien, wohin<br />
Merck 42 Präparate liefert, sind es gerade<br />
11,9 Prozent. Diese Liste der unentbehrlichen<br />
Arzneimittel wird in Fachkreisen er<strong>weiter</strong>t<br />
um sogenannte „rationale Pharmakotherapeutika“.<br />
Diese Arzneimittel, „deren Wirksamkeit<br />
gesichert erscheint und deren Nebenwirkungen<br />
dem jeweiligen Stand des Wissens<br />
entsprechend erprobt sind“ gelten ebenfalls<br />
als seriös.<br />
☛ Fortsetzung Seite 2<br />
Fach mitte: FDP, Kirchen, Sekten<br />
überhaupt Religionen.<br />
Fach unten: Grüne (Rest) und alles,<br />
was dem o.a. Ordnungsdenken unordentlich<br />
ist.<br />
Skepsis: ist ein Fremdwort (dem<br />
Griechischen entlehnt) und als<br />
Fremdwort wie alles Nichtheimatliche<br />
barbarisch, laut Duden gibt es das<br />
Wort angeblich im Deutschen:<br />
„Gelehrte Entlehnung aus gr. sképsis‚<br />
Betrachtung; Untersuchung; Prüfung;<br />
Bedenken“ – Be-Denken also ist ein<br />
Fremdwort, paßt mithin nicht in die<br />
Ordnung.<br />
Kritik: Ist auch ein barbarisches Wort<br />
und trotz seiner Entdeckung heute<br />
untergegangen in den Putzeimern der<br />
Sauberkeitsmänner und -frauen, der<br />
Reinigungsarbeit staatstreuer Ideologen<br />
und parteipolitischer Pfründejäger.<br />
Denken, selbständiges: Haben wir<br />
denen überlassen, die <strong>unsere</strong> Stimmen<br />
haben (siehe auch Urne, Wahl,<br />
etc), solches für uns zu tun, besser zu<br />
lassen. Ordnung muß sein! (Welche?)<br />
Wer sagt da etwas vom Analcharakter<br />
des Ordnungswesens? „Chaoten,<br />
Anarchisten, Verräter, Staatsfeinde....“,<br />
oder was guten Deutschen<br />
dazu noch einfällt.<br />
Unverständlich? Der gute Deutsche<br />
gehe nach Hause, öffne seinen<br />
Schrank und kontrolliere peinlichst<br />
genau, ob die Hemden in der Reihe<br />
hängen, das Besteck in den Haltern<br />
liegt, die Bücher nach Autoren (oder<br />
Titeln) geord<strong>net</strong> stehen, die Frau<br />
Staub gewischt hat, und die <strong>Kinder</strong><br />
das Automobil polieren. Übrigens die<br />
o.a. Kommode nicht vergessen.<br />
Preisfrage: In welche Kommode paßt<br />
die ZD? Antwort bitte an Postfach 104<br />
323, 6100 Darmstadt. „Die ZD, ach<br />
Sie meinen das grüne Blatt?!“
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 2<br />
☛ Fortsetzung von Seite 1<br />
„Mercks Medikamente haben… “<br />
Auch nach dieser Klassifikation schneidet<br />
das Sortiment der Arzneimittel Mercks außerordentlich<br />
schlecht ab. Danach sind in<br />
Mexiko von 35 nur 9 Medikamente „rational“,<br />
in Zentralamerika (57) nur 11, in Kolumbien<br />
(42) nur 15 und in Brasilien (34)<br />
nur 6. Schulte-Sasse führt dies darauf zurück,<br />
daß die Firma Merck insbesondere<br />
mit Vitaminen handelt, die traditionell eine<br />
große Rolle im Sortiment spielen.<br />
Durch Werbeversprechungen verlockt, die<br />
von Ärzten als irreführend bezeich<strong>net</strong> <strong>werden</strong>,<br />
müssen die Menschen oft soviel Geld<br />
hinlegen, daß das Beispiel des Preises für<br />
„den Vitamincocktail Salubion“ von<br />
Merck für „den Einkauf von Lebensmitteln<br />
für eine mehrköpfige Familie ausreichend<br />
sind“ – eine vage Information, die<br />
nichts besagt, da kein Zeitraum angegeben<br />
und keine Preise benannt sind.<br />
Armut erzeugt Krankheit<br />
Die Folgen beschreiben medico und BU-<br />
KO als katastrophal: Da Armut und<br />
Krankheit direkt zusammengehören, das<br />
heißt, schlechte Lebensbedingungen, unzureichende<br />
Ernährung, wenig oder verseuchtes<br />
Wasser und mangelhafte hygienische<br />
Verhältnisse die Ausbreitung von<br />
Krankheiten fördern, „gilt es vor allem die<br />
knappen Gelder dieser Länder für sinnvolle<br />
und notwenige Medikamente einzusetzen“.<br />
Nach Angaben von UNICEF wird<br />
der Tod von jährlich 4 Millionen <strong>Kinder</strong>n<br />
alleine durch eine so banale Krankheit wie<br />
Durchfall verursacht, an Masern sterben<br />
<strong>weiter</strong>e 1,5 Millionen und an Malaria<br />
nochmals eine Million.<br />
Ohne die hemmungslose und auf Profit<br />
ausgerichtete Medikamenten-Politik<br />
könnten die Gelder der Pharmazieindustrie<br />
für dringend benötigte Medikamente und<br />
für Lebensmittel eingesetzt <strong>werden</strong>.<br />
Unter dem Markennamen „Dolo-Neurobion“,<br />
vertreibt Merck ein Präparat, das<br />
Metamizol enthält, das schmerzstillend<br />
und fiebersenkend wirkt. Da Merck hauptsächlich<br />
mit Vitaminen handelt, wurden<br />
Impressum<br />
Verleger und Herausgeber:<br />
Michael Grimm<br />
Unser Team :<br />
Uta Schmitt<br />
Sanne Borghia<br />
Peter Horn<br />
Heiner Schäfer<br />
Astrid Nungeßer<br />
Michael Schreiber-Bimster<br />
Nicole Schneider<br />
Petra Weigand<br />
Anzeigen:<br />
verantwortlich Peter Horn,<br />
Heiner Schäfer<br />
Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 3<br />
Postanschrift:<br />
Zeitung für Darmstadt<br />
Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt<br />
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Spendenkonto:<br />
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BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601<br />
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Caro Druck<br />
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Nachdruck und Vervielfältigungen sind<br />
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Für namentlich gekennzeich<strong>net</strong>e Artikel<br />
oder Presseberichte von Parteien, Verbänden<br />
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und nach Ende des Zeitungsbezugs<br />
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Informanten bleiben gemäß gesetzlicher<br />
Grundlage auf Wunsch anonym.<br />
Text und Bild sind mit „QuarkXPress“<br />
auf Apple Macintosh gesetzt und unter<br />
Omnis 5 -Verlagverwaltung organisiert.<br />
Redaktionsschluß<br />
für die nächste Ausgabe: 22.8.92<br />
diesem Präparat die Vitamine B1, B6 und<br />
B12 hinzugefügt. Lange Zeit war dieses<br />
Präparat auch hierzulande nicht rezeptpflichtig,<br />
„bis Anfang der 60er Jahre bekannt<br />
wurde, daß Metamizol die Abwehrkräfte<br />
des menschlichen Organismus gegen<br />
Infektionserreger schwächt, weil zu<br />
wenig weiße Blutkörperchen gebildet <strong>werden</strong>;<br />
etwa die Hälfte der Opfer starben an<br />
infektiöser Blutvergiftung“ (Sepsis ist der<br />
medizinische Fachausdruck).<br />
Dennoch beließ Merck „Dolo-Neurobion“<br />
<strong>weiter</strong> auf dem Markt. Erst als sich herausstellte,<br />
daß „Metamizol einen Kreislaufschock<br />
auslösen kann, der meist nicht<br />
mehr erfolgreich behandelt <strong>werden</strong> kann<br />
und mit dem Tod des Patienten endet“,<br />
griffen die Behörden ein. „In den USA,<br />
Großbritannien, Schweden, Norwegen<br />
und Australien ist das Medikament wegen<br />
der unvertretbaren Risiken“, laut BUKO,<br />
„verboten worden“. In der Bundesrepublik<br />
gibt es für metamizolhaltige Präparate, denen<br />
andere Mittel beigefügt sind, seit März<br />
1987 ein „Verbot“.<br />
Widersprüchliches<br />
Die Darmstädter Firma Merck ersetzte<br />
daraufhin in der BRD Metamizol durch<br />
den Wirkstoff Paracetamol. Schulte-Sasse<br />
schrieb damals schon die Firma Merck an<br />
und wollte wissen, ob sie den Verkauf des<br />
Medikaments auch in den Ländern der<br />
Dritten Welt einstellen würde. Merck antwortete<br />
mit Schreiben vom Juni 1987,<br />
„daß wir … neben der Rücknahme … vom<br />
deutschen Markt auch den Export von metamizolhaltigen<br />
Formen des ‚Dolo-Neurobions‘<br />
in Länder der Dritten Welt eingestellt<br />
haben“. Trotz der besseren Erkenntnis<br />
und der Zusage, das Präparat nicht<br />
mehr zu verkaufen, handelt Merck „bis<br />
heute mit metamizolhaltigen Kombinationspräparaten<br />
in Ländern der Dritten<br />
Welt“, klagt Schulte-Sasse an und legt eine<br />
Medikamentenschachtel vor die „in<br />
Mexico am 15.5.1992 gekauft worden ist.“<br />
Sie trägt den Namen „Dolo-Neurobion“.<br />
Tödlicher Schock<br />
Journalisten gegenüber erklärte Merck:<br />
„Wir haben die Metamizolmenge halbiert“.<br />
Schulte-Sasse kommentiert: „Die<br />
Halbierung ändert nichts an der Nebenwirkung,<br />
außer daß die schmerzstillende Wirkung<br />
verringert wird. Die allergische Nebenwirkung<br />
von Metamizol ist unabhängig<br />
von der Dosis.“ Damit nicht genug,<br />
Hinweise für den „behandelnden Arzt …<br />
daß der Metamizol-Schock … in hohem<br />
Prozentsatz tödlich verläuft“, sind nicht<br />
enthalten. „Diese Information würde …<br />
dazu führen, daß der Arzt auf ein so risikoreiches<br />
Präparat verzichtet“, kritisiert<br />
Schulte-Sasse und zitiert auch das „Deutsche<br />
Ärzteblatt“, das vor dem beigemengten,<br />
hochdosierten Vitamin B6 warnt:<br />
„Leider läßt sich aus den bisher vorliegenden<br />
Beobachtungen eine Grenze für eine<br />
ungefährliche Dosierung nicht mit Sicherheit<br />
ableiten“.<br />
Gegen Gelenkrheumatismus<br />
und Lernschwierigkeiten<br />
Ein <strong>weiter</strong>es Medikament, „Encepha-bol“,<br />
preist Merck im Beipack als Heilmittel gegen<br />
chronischen Gelenkrheumatismus an.<br />
In Mexiko hingegen wird diese Krankheit<br />
gerade als Kontra-Indikation bezeich<strong>net</strong>,<br />
was bedeutet, daß bei dieser Krankheit das<br />
Präparat nicht eingenommen <strong>werden</strong> solle.<br />
Auch bei „Encephabol“ handelt es sich um<br />
ein Vitamin B6-Präparat.<br />
Nicht nur bei der Indikation nimmt Merck<br />
es nicht so genau: Während in Mexico die<br />
Tagesdosis mit 600 mg verord<strong>net</strong> wird,<br />
sollen Kolumbianer mit dreimal soviel<br />
täglich gesund <strong>werden</strong>, in Brasilien empfiehlt<br />
der Beipackzettel nur die Hälfte (300<br />
mg pro Tag).<br />
„Medizin spielt hier keine Rolle mehr“,<br />
kommentiert Schulte-Sasse, denn „wie<br />
wenig ‚Encephabol‘ für die Begründung<br />
einer medikamentösen Therapie taugt“,<br />
mag auch die Stellung<br />
des 15. Forums der Bundesärztekammer<br />
von<br />
1991 belegen, die sich<br />
mit dem Anspruch von<br />
Merck, „psychische<br />
Entwicklungsstörungen<br />
bei <strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen<br />
mit ‚Encephabol‘<br />
günstig beeinflussen<br />
zu können“, auseinandersetzte.<br />
Die<br />
Fachleute kamen zu der<br />
Überzeugung, „eine seriöse<br />
Untersuchung dieser<br />
Indikation liegt nicht<br />
vor“. Aber gerade in Pakistan<br />
wirbt Merck, das<br />
Medikament helfe <strong>Kinder</strong>n<br />
mit Schulproblemen,<br />
obwohl der Konzern<br />
am 5.6.1989 selbst<br />
schriftlich zugesichert<br />
hatte „diese Indikation<br />
wird nicht mehr beworben“.<br />
Auch in diesem<br />
Fall, wurden die Ärzte<br />
fündig: Ebenfalls im Mai dieses Jahres<br />
kauften sie in El Salvador eine Packung<br />
„Encephabol“ bei der in der Beilage eindeutig<br />
zu lesen stand: „Gegen Lernschwierigkeiten<br />
in der Schule“.<br />
Irreführende Werbung<br />
Die Veranstaltung der BUKO in der<br />
Darmstädter TH war organisiert und gestützt<br />
von den Falken, sozialistische Jugend<br />
Deutschlands, die Merck bereits im<br />
Februar 1992 angeschrieben und um Auskunft<br />
gebeten hatten. Ihnen gegenüber<br />
wies Merck die Behauptung zurück, daß<br />
sie den schlechten Zustand der Gesundheitssysteme<br />
in der Dritten Welt ausnutzen<br />
würde. „Mit großer Spannung“, so die Falken<br />
„erwarten wir die Reaktion der Firma<br />
Merck“. Auch der „Treffpunkt Dritte<br />
Welt“ unterstützte die Aktion und „möchte<br />
eine dem Thema angemessene Öffentlichkeit<br />
herstellen“.<br />
Merck erklärte den Falken ebenso wie dem<br />
„Darmstädter Echo“, es handle sich um<br />
einseitige Informationen. Lieferte aber<br />
selbst in Broschüren des Bundesverbandes<br />
der pharmazeutischen Industrie, den Falken<br />
<strong>weiter</strong>e Angriffspunkte: „Marketingmethoden<br />
pharmazeutischer Unternehmen<br />
in der Dritten Welt haben in einer Reihe<br />
von Fällen zu heftiger Kritik geführt… in<br />
vielen Fällen war und ist diese Kritik objektiv<br />
gerechtfertigt. Die Folgen von unangebrachtem<br />
Marketing … sind nicht nur<br />
aus der Sicht der Arzneimittelsicherheit<br />
inakzeptabel, sondern stellen auch eine<br />
Verschwendung knapper privater und öffentlicher<br />
Mittel dar.“ Merck gibt in den<br />
südamerikanischen Ländern allein für<br />
Werbung 40 Millionen Mark p.a. aus. Dabei<br />
wendet sich die Werbung gezielt an<br />
den Endverbraucher, obwohl darunter<br />
auch Medikamente wie Antibiotika sind,<br />
die unbedingt ärztlicher Kontrolle beim<br />
Einnehmen bedürfen. Die Maxime, viel<br />
hilft viel, hat ebenso fatale Auswirkungen<br />
für die PatientInnen wie eine Unterdosierung,<br />
die wirkungslos bleibt.<br />
Die Zeitung für Darmstadt hat die Firma<br />
Merck von der Veranstaltung informiert<br />
und vergebens um Stellungnahme gebeten.<br />
Pressesprecher Hans-Joachim Schmitt<br />
erklärte gegenüber dem „DE“, daß das<br />
Metamizolprodukt „Dolo-Neurobion“ in<br />
der Mischung mit den Vitaminen B1, B6<br />
und B12 ein „wirksames Medikament“ sei.<br />
Sachlich äußert sich Merck nicht zu den<br />
Vorwürfen, sondern erklärt, „daß die<br />
Kombinationspräparate auf dem Markt<br />
bleiben“, man demnach keineswegs daran<br />
denkt, die Geschäftspolitik zu ändern.<br />
Die Liste der Medikamente mit schädlichen<br />
oder auch überflüssigen Wirkungen<br />
ließe sich <strong>weiter</strong> fortsetzen. Die Broschüre<br />
„Merckwürdige Geschichten aus Lateinamerika“<br />
von der Pharmakampagne der<br />
BUKO, in der <strong>weiter</strong>e Beispiele ausführlich<br />
beschrieben sind, ist zu beziehen über:<br />
BUKO Pharma-Kampagne, August-Bebel-Str.<br />
62 in 4800 Bielefeld 1. BUKO und<br />
medico international fordern jede/n auf, an<br />
Merck zu schreiben, daß sie in Lateinamerika<br />
und in anderen Ländern gefährliche<br />
Medikamente zurückziehen und ihr Angebot<br />
auf unentbehrliche und rationale Arzneimittel<br />
beschränken sollen. Um der seit<br />
Jahren schon uneinsichtig fortgesetzten<br />
Geschäftspolitik des Unternehmens wirksam<br />
entgegentreten zu können, fordert<br />
BUKO auf, die Produkte der Firma Merck<br />
zu boykottieren.<br />
Michael Grimm<br />
Idylle zwischen Beton und Glas: Frauen wehren sich erfolgreich gegen das Fällen eines<br />
Baumes. „Können Sie nicht was machen?“ fragt hilflos Doris Schäfer am 22.5. , „der<br />
Bauverein will einen Baum bei uns fällen“. Sie wohnt in der Holzstraße 9 in Darmstadt,<br />
einem Stadthauskomplex. Dort soll ein Baum wachsen? Das Rätsel löst sich schnell vor<br />
Ort: auf dem zweiten Geschoß ist ein Dachgarten angelegt. Die AnliegerInnen genießen<br />
ihre Idylle mitten in der Stadt. Der Verkehrslärm hält sich in Grenzen und Balkone und<br />
Fenster lassen den ungehinderten Blick auf das kleine Fleckchen Natur zu.<br />
Rosensträucher, fettes, grünes Gras, ein paar Blümchen und ein Kirschbaum bringen Frische<br />
in die Beton-Landschaft. Bis zum 22. Mai, da rücken im Auftrag des „Bauverein für<br />
Arbeiterwohnungen“ die Angestellten einer Gartenbaufirma mit Rasenmäher, Kreissäge,<br />
Spaten und Rechen an. Ihr Auftrag lautet, bis auf einen Rosenstrauch und das üblich dörre<br />
Gesträuch, das allerorten in Darmstadt anzutreffen ist, alles zu beseitigen. Der Bauverein<br />
begründet den Kahlschlag mit Schäden, die von den Wurzeln des Bäumchens an der<br />
Dichtung des Daches enstehen.<br />
Die Empörung der Anliegerinnen ist groß. Fünf von ihnen hatten Hausverwalter Renneis<br />
vom Bauverein angeboten, den lieb gewonnenen Baum „nach der Vegetationsperiode“<br />
selbst auszugraben und in einem Garten in Ostertal wieder einzupflanzen. Doch er ließ<br />
die Gartenbaufirma anrücken. Ein Anruf bei Frau Lamm (Tel.: 132634), sie ist zuständig<br />
für illegales Beseitigen von Bäumen, erbrachte nur: „Da kann ich leider nichts machen.<br />
Obstbäume sind nicht geschützt“. Eine Verbindung mit Bauvereins-Chef Heinz Reinhard<br />
kommt zustande, und er meint: „In der Sache habe ich morgen Termin mit Herrn Renneis“.<br />
Auch der Hinweis, daß die Arbeiter den Baum noch heute beseitigen sollen, hilft<br />
nicht. Doch Reinhard wird tätig: eine halbe Stunde später, die Anwohnerinnen diskutieren<br />
noch mit den Arbeitern, sichert er telefonisch zu: „Der Baum wird nicht gefällt, sagen<br />
sie das Herrn Renneis, wenn er kommt“. <strong>Und</strong> tatsächlich, Renneis kommt , gibt kurz, arrogant<br />
und trocken die Anweisung: „Graben Sie den Baum aus wie eine Container-Pflanze,<br />
und stellen sie ihn auf die Seite…“. Einwände von Frau Schäfer, sie wolle den Baum<br />
selbst ausgraben, überhört er. Fragen mag er nicht beantworten. Mit schnellen Schritten<br />
überquert er die zerstörte Idylle, um einem Foto zu entgehen.<br />
( Foto as )<br />
Die Hessische Justizministerin, Dr. Christine<br />
Hohmann-Dennhardt, stellte sich in<br />
Wiesbaden hinter den Antrag zur Reform<br />
des sogenannten Abtreibungsparagraphen<br />
218 des Strafgesetzbuches. Zwar zwinge<br />
die vorgesehene Beratungs- und Informationspflicht<br />
im Rahmen der geplanten Fristenlösung<br />
ungewollt schwangere Frauen<br />
zu unnötigen Rechtfertigungen, angesichts<br />
der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen<br />
Bundestag stelle der Antrag jedoch einen<br />
vertretbaren politischen Kompromiß dar.<br />
Es sei auch hervorzuheben, daß nach dem<br />
Antrag das besondere Vertrauensverhältnis<br />
zwischen ärztlichem Personal und Patientinnen<br />
vor staatlichen Zugriffen dadurch<br />
geschützt <strong>werden</strong> solle, daß Patientinnenkarteien<br />
nur noch eingeschränkt in Strafverfahren<br />
verwertet <strong>werden</strong> dürfen.<br />
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung<br />
müsse auch hier beachtet <strong>werden</strong>.<br />
Es sei grundsätzlich zu verhindern,<br />
daß bei Ermittlungsverfahren gegen Ärzte<br />
die persönlichen Daten über Patienten verwertet<br />
<strong>werden</strong> können. „Patientinnen und<br />
Patienten sollen in solchen Fällen gegenüber<br />
den Strafverfolgungsbehörden die<br />
Auskunft verweigern können“. Entsprechend<br />
sei auch die Beschlagnahme ihrer<br />
Krankenakten künftig zu verbieten. Ausnahmen<br />
hiervon sollten bei richterlichen<br />
Anordnung möglich sein. Selbst der Richter<br />
solle dies jedoch nur bei Straftaten von<br />
nicht geringer Bedeutung und dann anordnen<br />
dürfen, wenn es keine anderen Aufklärungsmöglichkeiten<br />
gäbe. Die Ministerin<br />
kündigte an, sie bereite gegenwärtig<br />
eine entsprechende hessische Initiative im<br />
Bundesrat vor.<br />
Pressestelle Ministerium<br />
(Kompromißtine Hohmann-Dennhardt<br />
schließt im Falle des Scheiterns mit ihrer<br />
Initiative eine Geschlechtsumwandlung<br />
als Letztentscheidungsrecht an ihrer eigenen<br />
Person nicht aus – der Säzze, Auskehrer)<br />
Nord-Ost-<br />
Umgehung<br />
vertagt?<br />
2500 Unterschriften hat die Bürgerinitiative<br />
gegen den Bau der Nord-Ost-Umgehung<br />
gesammelt und am 10.6. Oberbürgermeister<br />
Metzger überreicht. Lian<br />
Röschinger von der BI forderte Metzger<br />
auf, die Planungen einstellen zu lassen,<br />
<strong>weiter</strong>en Straßenbau zu stoppen, statt dessen<br />
öffentliche Verkehrsmittel zu fördern<br />
und Radfahrern und Fußgängern Vorfahrt<br />
einzuräumen. „Viele BürgerInnen sind<br />
heute bereit“, so die Bürgerinitiative, „ihre<br />
motorisierten Lebensgewohnheiten einer<br />
besseren Umwelt und besserer Lebensqualität<br />
zuliebe aufzugeben. Es erfordert weitsichtiges<br />
Denken, Mut und Phantasie, aus<br />
der gewohnten Verkehrsplanung auszubrechen<br />
und die Gelder in langfristig<br />
effektivere und umweltfreundlichere Maßnahmen<br />
zur Behebung der Darmstädter<br />
Verkehrsmisere zu investieren.“ Metzger<br />
erklärte daraufhin, nicht zuständig zu sein,<br />
das sei Angelegenheit von Eike Ebert .<br />
Am gleichen Tag veröffentlicht Klaus<br />
Staat im „Darmstädter Echo“ eine Pressemeldung<br />
unter der Überschrift, „Ruth<br />
Wagner: Hoffnung für die Nordostumgehung“.<br />
Die von der Stadt gewünschte<br />
Umgehungsstraße ist nicht mehr vorgeschlagen<br />
für das Straßenbauprogramm der<br />
Bundesregierung. Die FDP-Bundestagsabgeord<strong>net</strong>e<br />
meint, ihre Beziehungen zu<br />
Bonner Parlamentariern könnten derzeit<br />
zur Wiederaufnahme der Straße in die<br />
Vorrangliste für das Straßenbauprogramm<br />
des Bundes führen.<br />
Vor einer Wiederaufnahme der Straße<br />
muß jedoch die hessische Landesregierung<br />
gehört <strong>werden</strong>, Verkehrsminister<br />
Welteke (SPD) hat dies mit der rot-grünen<br />
Landesregierung abzuklären - in Übereinstimmung<br />
beider Fraktionen. Bleiben die<br />
Grünen geschlossen ablehnend, spielt sich<br />
während der Amtsperiode dieser Landesregierung<br />
nichts mehr ab – das ist Koalitionsvereinbarung.<br />
Daniela Wagner (Grüne<br />
MdL) schätzt, daß es dann 25 Jahre dauert<br />
bis die Straße gebaut sein wird, allerdings<br />
nur, wenn die nächste Landesregierung<br />
den Bau beschließen würde. (mg)<br />
§218:<br />
„Vertretbarer<br />
Kompromiß“
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 3<br />
☛ Fortsetzung von Seite 1<br />
es auch in der offiziellen Presseverlautbarung<br />
zu lesen. Auf die Frage danach, was<br />
von dem „vertrauensbildenden Konsens“<br />
zu halten sei, erklärt Rinnert, „es handelt<br />
sich zunächst nur um Absichtserklärungen“.<br />
Dies ist richtig, denn die Beteiligten<br />
des Treffens vom 4.6. konnten keine Beschlüsse<br />
fassen. Das einzig greifbare Ergebnis<br />
ist der Auftrag für ein Sanierungsgutachten<br />
– heute, nachdem bereits seit<br />
über zwei Jahren bekannt ist, daß die<br />
Schulsäle <strong>vergiftet</strong> sind. Alle <strong>weiter</strong>en Erklärungen<br />
bedürfen der Zustimmung zunächst<br />
des Magistrats und dann der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung.<br />
Die Erfahrung<br />
zeigt, daß bis das Gutachten vorliegt und<br />
alle Hürden des parlamentarischen Weges<br />
genommen sind, mindestens ein Jahr vergeht.<br />
Höhere PCB-Werte<br />
im Sommer<br />
Bevor das Gutachten vorliegt, läßt sich nur<br />
darüber spekulieren, welches der beste<br />
Weg sein wird, die <strong>Kinder</strong> in nicht <strong>vergiftet</strong>en<br />
Schulräumen zu unterrichten. Vom<br />
Auswechseln der Leuchten über das Auskratzen<br />
der Fugen bis hin zum Abriß des<br />
Gebäudes kursieren Gerüchte. Fest steht<br />
nur, daß das Auswechseln der Kondensatoren<br />
nicht zu dem gewünschten Ergebnis<br />
geführt hat und der Magistrat von Wiesbadens<br />
Aufforderung alle Lampen komplett<br />
auszuwechseln (siehe ZD 27) nichts hält.<br />
Auch den eigenen Stadtverord<strong>net</strong>enbeschluß<br />
vom Januar, während der Osterferien<br />
die Lampen zu wechseln, wurde nicht<br />
ausgeführt. Fest steht heute auch, daß das<br />
Auskratzen der PCB-haltigen Fugenmassen<br />
ebenfalls keinen Erfolg brachte: die<br />
Raumluftwerte waren hinterher höher.<br />
Katastrophal ist, daß die Meßwerte, die<br />
das Institut Fresenius vorgelegt hatte, alle<br />
nach oben korrigiert <strong>werden</strong> mußten, da<br />
die höhere Außentemparatur, die Ausdünstung<br />
ebenfalls erhöht (siehe Faksimile).<br />
Es <strong>werden</strong> Meßwerte erreicht, die bedenklich<br />
hoch liegen und auch diese <strong>werden</strong> bezweifelt.<br />
Großes Staunen<br />
„Swyter vertritt die härteste Position“, beschreibt<br />
Elternvertreter Michael Lodzik,<br />
„nach ihm kommt keine Lampe raus. Er<br />
wollte auch keine Pressekonferenz“. Lodzik,<br />
der an dem Arbeitstreffen teilgenommen<br />
hatte, war erstaunt über den Bericht<br />
im „DE“, „denn so sind die Beschlüsse<br />
nicht gefaßt worden, aber ich nehme sie<br />
so, wie es von den Dezernenten erklärt<br />
worden ist. Dann passiert endlich etwas.“<br />
<strong>Und</strong> so ist er im Nachhinein mit dem Ergebnis<br />
in soweit einverstanden, als „wir<br />
uns darauf ja wohl berufen können“.<br />
Untersuchungen in Auftrag<br />
Unter den Eltern formiert sich der Widerstand<br />
zunehmend. Sie recherchieren inzwischen<br />
bundesweit, wo Erkenntnisse<br />
über die gesundheitlichen Folgen von<br />
PCB-Belastung vorliegen und etliche beauftragen<br />
Fachärzte mit Blutuntersuchungen<br />
der <strong>Kinder</strong>, um Gewißheit zu bekommen.<br />
Die Aktivitäten beschränken sich inzwischen<br />
nicht mehr nur auf die Lichtenbergschule,<br />
auch Eltern der<br />
Christian-Morgensternschule möchten<br />
wissen „warum die <strong>Kinder</strong> ständig krank<br />
sind, und ob es da Zusammenhänge gibt“.<br />
Im Blut kann PCB nicht nachgewiesen<br />
<strong>werden</strong> hatte ein Fachmann<br />
in Darmstadt öffentlich<br />
geäußert. Dennoch haben mehrere<br />
Eltern Blutuntersuchungen<br />
in Auftrag gegeben. Vom Bundesgesundheitsamt<br />
(BGA) und<br />
von dem „Centrum für Analytik<br />
und Forschung“, Herrn Dr. Eckrig,<br />
erhielten wir die folgenden<br />
gegenteiligen Informationen.<br />
PCB ist ein Sammelbegriff für 200 heute<br />
bekannte Isomere, die durch Nummern unterschieden<br />
<strong>werden</strong>. Bei PCB-Messungen<br />
<strong>werden</strong> zur Zeit 6 verschiedene Isomere<br />
ermittelt, von denen bekannt ist, daß „sie<br />
nicht unkritisch sind“, also den menschlichen<br />
Organismus schädigen. Diese Isomere<br />
<strong>werden</strong> meßtechnisch erfaßt und ergeben<br />
mit 5 multipliziert den Wert in Nanogramm<br />
(ng), der zugrunde gelegt ist, wenn<br />
in Schulräumen oder andernorts die<br />
Raumluft auf PCB-Gehalt geprüft wird.<br />
300ng setzt das Bundesgesundheitsamt als<br />
höchsten Grenzwert an und Räume, die bis<br />
zu 300ng belastet sind, müssen mittelfristig<br />
saniert <strong>werden</strong>; Räume mit Belastungen<br />
über 3000ng müssen innerhalb eines<br />
Jahres gründlich entgiftet <strong>werden</strong>, dies erklärte<br />
Professor Linke vom BGA am 12.6.<br />
in Kassel.<br />
Bei den Kondensatoren und Fugenmitteln<br />
wurden PCB-haltige Öle verwendet, um<br />
die Fließfähigkeit des Materials zu erhöhen.<br />
Waren die Materialien länger abgelagert,<br />
sonderte sich das Öl ab, so daß beim<br />
Einsetzen einer neuen Spritz-Kartusche<br />
besonders viel PCB an einer Stelle aufgebracht<br />
wurde. Daraus erklärt sich die unterschiedliche<br />
hohe Belastung der Räume.<br />
PCB ist „besonders sekundär kontaminationsfreudig“<br />
erklärt der Fachmann, das<br />
bedeutet es verbreitet sich gründlich überall<br />
in Wände, Böden, Mobiliar und wird<br />
über die Atemluft von den Menschen aufgenommen.<br />
Aus diesem Grund ist das Entfernen<br />
von Fugenmitteln und Kondensatoren<br />
nicht geeig<strong>net</strong>, die Räume zu entgiften,<br />
es sei denn nach dem Beseitigen würden<br />
Werte von weniger als 300ng gemessen<br />
<strong>werden</strong>.<br />
„Selbstverständlich läßt sich im Blut PCB<br />
nachweisen, im Blutfett“, erklärt Dr. Eckrig,<br />
„Wir machen Tausende von diesen<br />
Messungen, denen sich zum Beispiel auch<br />
die Frankfurter Juristen unterzogen haben.<br />
Die Vergiftung mit PCB aus den Fugenmitteln<br />
und Kondensatoren läßt sich eindeutig<br />
nachweisen. Während die Isomere<br />
der Wertigkeiten über 100 mit Nahrungsmitteln<br />
aufgenommen <strong>werden</strong>, sind die<br />
zwei in den Fugendichtungen enthaltenen<br />
Isomere 28 und 52, wenn sie im Blut gemessen<br />
<strong>werden</strong>, eindeutig über die Atemluft<br />
aufgenommen.“<br />
Diese Isomere reichern sich im Körper<br />
Frühjahrsputz soll Gift beseitigen<br />
„Der Magistrat ist der Meinung“, begründet Umweltdezernent Heino Swyter (FDP),<br />
„daß die Hauptursache für die PCB-Belastung nicht die Lampenschalen, sondern die<br />
Fugendichtmittel sind.“ Als „Frühjahrsputz“ betitelt Swyter seine geplante Reinigungsaktion,<br />
die den Beschluß der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung vom Januar 1992<br />
aufheben soll. Im März hob die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung den Beschluß, über<br />
Ostern alle Lampen auswechseln zu lassen, wieder auf.<br />
Vehement wendet sich Matthias Hohmann (Grüne) gegen den Magistrat: „Wir sind<br />
gefordert, die <strong>Kinder</strong> vor jeder Gefährdung ihrer Gesundheit zu schützen. Es ist<br />
genauso wichtig, außer den Fugenmassen auch die Lampen auszutauschen. <strong>Und</strong> er<br />
fordert, „Einsicht für die Stadtverord<strong>net</strong>en in sämtliche Protokolle und Meßergebnisse<br />
zu ermöglichen.“ Dies wird ihm zugesagt. Da Swyter davon gesprochen hatte, die<br />
Kondensatoren der „defekten Lampen“ auswechseln lassen zu wollen, fragt ihn Hohmann<br />
<strong>weiter</strong>: „Herr Swyter, wie wollen Sie heute wissen, welcher Kondensator in<br />
welcher Lampe kaputt gegangen ist?“ Swyter antwortet: „Nachdem mehrfach juristische<br />
Verfahren gegen mich im Gange sind, werde ich die Frage nicht beantworten.“<br />
Der frisch-gebackene Fraktionsvorsitzende der SPD, Horst Knechtel, beschreibt das<br />
<strong>weiter</strong>e Vorgehen des Magistrats: „Nachdem der Abschlußbericht des Institutes Fresenius<br />
vorliegt, sollen Fugendichtmittel entfernt und die Reinigung der Lampen in<br />
Auftrag gegeben <strong>werden</strong>“. Danach sieht er wieder das Erfordernis einer Schlußmessung.<br />
„Man hat den Eltern versprochen, die PCB-haltigen Lampenschalen auszuwechseln“,<br />
empört sich Günter Mayer (Grüne) „das ist alles nicht in Ordnung. Da<br />
bleibt ein bitterer Nachgeschmack.“<br />
Zu wenig Eltern waren auf den Zuschauerrängen der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
vom 26.3.92 anwesend. (mg)<br />
<strong>Und</strong> <strong>unsere</strong> <strong>Kinder</strong><br />
<strong>werden</strong> <strong>weiter</strong> <strong>vergiftet</strong><br />
Totgeburten<br />
Kopfschmerzen und Infektionen<br />
Das Krankheitsbild einer PCB-Vergiftung<br />
nicht an, sie bauen sich im Verlauf von 3<br />
bis 4 Monaten um die Hälfte ab und in<br />
nächsten Quartal wieder um die Hälfte und<br />
so <strong>weiter</strong>. Bis dahin jedoch können sie folgende<br />
Krankheitsbilder verursachen :<br />
Als Lebergift ziehen sie eine Lebervergrößerung<br />
nach sich; Leberkrebs ist allerdings<br />
nur aus Vergiftung in einer Raumluft-Belastung<br />
von über 3000ng bekannt.<br />
Die Isomere greifen das Immunsystem an,<br />
das heißt, die <strong>vergiftet</strong>en <strong>Kinder</strong> unterliegen<br />
einer erhöhten Infektanfälligkeit für<br />
Grippe, Husten, Schnupfen und vieles andere.<br />
Eine <strong>weiter</strong>e Folge ist die Schädigung des<br />
Nervensystems. Dies macht sich bemerkbar<br />
durch Kopfschmerzen, Leistungsschwäche<br />
und Müdigkeit.<br />
„Die Isomere 28 und 52 zeigen verheerende<br />
Folgen in ihrer Wirkung auf ungeborenes<br />
Leben. Es müßte untersucht <strong>werden</strong>,<br />
ob Lehrerinnen in den vergangenen Jahren<br />
häufig Totgeburten gehabt haben“, erklärt<br />
Eckrig. Gene <strong>werden</strong> nicht geschädigt.<br />
Dies ist der Stand der Wissenschaft in den<br />
vergangenen Jahren gewesen. Seit neuestem<br />
sind die Coplanaren mit den Nummern<br />
77, 126 und 156 bekannt und nachweisbar.<br />
Sie sind den Dioxinen vergleichbar<br />
und reichern sich im Körper an.<br />
Grenzwerte können nicht gesetzt <strong>werden</strong>,<br />
da sie auch in geringen Mengen toxisch<br />
sind, also schädlich für das Immunsystem.<br />
Empirische Untersuchungen über die Folgen<br />
gibt es noch nicht. Der Wissenschaftler<br />
geht davon aus, daß diese Coplanaren<br />
auch in geringen Mengen in den PCB-belasteten<br />
Räumen vorhanden sind. Deshalb<br />
mißt das Institut heute auch diese Gifte bei<br />
Blutuntersuchungen.<br />
M. Grimm<br />
Strafverfahren<br />
gegen Magistrat<br />
eingestellt<br />
Erneut mußte die Staatsanwaltschaft beim<br />
Landgericht Darmstadt sich mit der Strafanzeige<br />
eines Bürgers gegen den Magistrat<br />
der Stadt Darmstadt in Sachen PCB befassen.<br />
Der Bürger hatte das Ermittlungsverfahren<br />
im September letzten Jahres veranlaßt,<br />
weil er den Magistrat der Luftverunreinigung<br />
und der fahrlässigen Körperverletzung<br />
durch PCB verdächtigte.<br />
Der Anzeigenerstatter hatte der Staatsanwaltschaft<br />
mitgeteilt, daß es immer noch<br />
zu Verunreinigungen durch PCB in einer<br />
Darmstädter Schule gekommen sein soll<br />
und auch Untersuchungen der Raumluft<br />
nicht mehr stattfinden würden.<br />
Nachdem die Stadt Darmstadt unter anderem<br />
auch die PCB-Untersuchungsergebnisse<br />
des Instituts Fresenius, welches zwischen<br />
dem zweiten und zehnten Januar<br />
dieses Jahres in der Lichtenbergschule<br />
Raumluftmessungen vorgenommen hatte,<br />
der Umweltermittlungsgruppe des Regierungspräsidenten<br />
zur Verfügung gestellt<br />
hatte, teilte die Staatsanwaltschaft jetzt ihr<br />
Ermittlungsergebnis mit.<br />
Unter dem Aktenzeichen 11 Js 33937.4/91<br />
wurde dieses Ermittlungsverfahren gegen<br />
den Magistrat der Stadt Darmstadt nach §<br />
170 Abs. 2 Strafprozeßordnung eingestellt,<br />
da kein hinreichender Verdacht auf<br />
eine Luftverunreinigung und fahrlässige<br />
Körperverletzung durch PCB feststellbar<br />
war.<br />
Volker Rinnert, Presseamt Darmstadt<br />
(aus der Penne auf die Bahre, ist ja auch<br />
nicht grad´ das Wahre, der Säzzer Auskehrer)<br />
Messungen nachträglich korrigiert<br />
Die Werte steigen mit zunehmender Temparatur<br />
Faksimile von Raumluftmessungen<br />
Oje,<br />
Kolumbus!<br />
Daß du, überzeugt davon,<br />
in Indien zu sein,die Bewohner-<br />
Innen Amerikas kurzerhand<br />
Indianer nanntest, läßt sich<br />
verzeihen. Unverzeihlich bleibt<br />
hingegen, was dann folgte: Für<br />
die südlichen Kontinente hieß<br />
„Begegnung“ mit Europa meist<br />
Ausplünderung, Vernichtung<br />
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Noch heute herrscht der<br />
Norden über den Süden. Zwei<br />
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KULTURELLES<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 4<br />
„Das Publikum ist nicht mehr so gebildet…“<br />
Wieviel Kultur braucht Darmstadt? SPD-Forum über „Darmstadt Morgen“<br />
Schlagzeilen tragen schon immer den Hautgôut<br />
der unzulässigen Kürze und sind bei<br />
Küchenmeistern Würze. Was da unter dem<br />
Motto „Darmstadts Zukunft als Kulturstadt“<br />
auf dem SPD-Forum „Darmstadt Morgen“<br />
diskutiert wird, ist höchstens amuse<br />
gueule, vielleicht auch noch hors d‘œuvre<br />
für eine solche Kulturinarität: „Welche<br />
Kultur braucht Darmstadt (Bedarfslage)?“<br />
Leider, der Hauptgang fehlt, und niemand<br />
schmeckt, daß in der Kunst das Salz, der<br />
„Bedarf“ in der Suppe ist, die Kultur jedoch<br />
der Fond. Die Damen und Herren diskutieren<br />
nur über die Fett-Augen, die sie selbst<br />
abschöpfen, noch nicht einmal übers Salz.<br />
Dr. Gerhard Dette<br />
Moderat moderiert Dr. Gerhard Dette die<br />
kulturelle Zukunftsplanung der Darmstädter<br />
SPD, die statt ihres obersten Kulturwalters,<br />
<strong>unsere</strong>s Oberbürgermeisters, dessen<br />
Nachfolger, Peter Benz, präsentiert, denn<br />
über Darmstadts künftige Kultur wird er<br />
entscheiden und die Fettaugen sichern. Das<br />
Hauptgericht kommt nach den Wahlen 1993<br />
– vielleicht.<br />
„Vielfalt ohne Beliebigkeit“<br />
Was sich unser künftiger Kulturdezernent<br />
wünscht? „Kultur muß Ferment der Stadtpolitik<br />
sein“. Selbstverständlich läßt sich<br />
selbst bei „Darmstadts ausgezeich<strong>net</strong>en<br />
Voraussetzungen mit seinen unverwechselbaren<br />
Bausteinen, wie dem Theater, dem<br />
Landesmuseum, der Mathildenhöhe, der<br />
Akademie für Sprache und Dichtung, der<br />
Akademie für Tonkunst und des Büchnerpreises“<br />
Kultur nicht regieren, sondern nur<br />
beobachten und fördern. So sieht unser<br />
Vielleicht-Regent die Notwendigkeit (Fähigkeit?)<br />
für den „Weg für kulturelle Identität<br />
Darmstadts“. Er spricht von dem Flair, das<br />
Künstler anziehen kann, von einem „zweischneidigen<br />
Charme der Nachkriegszeit“<br />
und von „der Auflösung von Gewohntem als<br />
Übung“. Den Blick „auf die Mathildenhöhe“<br />
will er er<strong>weiter</strong>n und „Kultur in Darmstadt<br />
verteidigen“. Hat also Darmstadt eine Kultur?<br />
Oder braucht Darmstadt eine Kultur?<br />
Oder ist nicht gar eine bestimmte Kunst gemeint?<br />
Denn diese soll „eine Vielfalt haben,<br />
die nicht zur Beliebigkeit führt“. Welch grauenhafte<br />
Vorstellung birgt wohl die Entgrenzung<br />
des Kunstbegriffs (trotz Beuys, der<br />
unterm selben Dache beherbergt ist)?!<br />
„Sind in Darmstadt<br />
neue Impulse nötig?“<br />
quält sich Dr. Gerhard Dette – und schwelgt<br />
in der Fülle bestehender Literaturinstitutionen,<br />
der Akademie für Sprache und<br />
Dichtung (deren Sekretär er ist), dem PEN-<br />
Club, dem literarischen März und anderen.<br />
Prof. Dr. Hans Ulrich Engelmann<br />
<strong>Und</strong> Prof. Dr. Hans Ulrich Engelmann,<br />
freischaffender Komponist, fragt <strong>weiter</strong>:<br />
„Wie verhält es sich mit dem Interesse der<br />
Darmstädter Bevölkerung?“ Die Veranstaltung<br />
war gut besucht im Landesmuseum<br />
am 2. Juni 1992, rund 100 bis 120 kulturbeflissene<br />
DarmstädterInnen waren interessiert<br />
zu hören, was für eine Kultur<br />
Darmstadt braucht. Die „Internationalität“<br />
hält auch er hoch, „mit den 36. Ferienkursen<br />
für neue Musik sind wir weltbekannt“.<br />
Jugend-Kultur<br />
oder Internationalität?<br />
Von der Jugend, die eine Kultur der Zukunft<br />
in Darmstadt auslöffeln darf, war nichts zu<br />
sehen, dafür umso mehr zu hören: Allein in<br />
einem Redebeitrag ließ die Klavierlehrerin<br />
Mechthild Hoppstock<br />
und Organisatorin von „Jugend musiziert“,<br />
Mechthild Hoppstock, das Wort „Jugend“<br />
24 Mal erklingen, im gestreng-oberwilhelminischen<br />
Tonfall mit Leistung und Erfolg<br />
fordernder Rohrstock-Stimme.<br />
Dr. Peter Girth<br />
Dr. Peter Girth (unser Staatstheater-Intendant)<br />
freut sich „über die internationale<br />
Resonanz“ und stellt fest, daß „<strong>unsere</strong><br />
Gesellschaft nicht mehr so musikalisch<br />
gebildet ist. Aber wir brauchen uns kein<br />
schlechtes Gewissen zu machen“. Noch<br />
einmal vertieft der Intendant seine Kritik:<br />
„Die Menschen, die heute in die Oper<br />
gehen, sind in der Regel nicht so gebildet<br />
wie das Publikum im vorigen Jahrhundert“<br />
Hat er seine DarmstädterInnen so schnell<br />
kennengelernt? Dennoch befindet er: „Das<br />
Staatstheater, dazu bekenne ich mich, hat<br />
den Ruf erworben, immer progressiv zu<br />
sein“. Wie konservativ muß doch<br />
Darmstadts Bevölkerung sein, wenn der<br />
Intendant gleichzeitig darüber klagt, daß<br />
seit 1972 die Abonnements um 50 Prozent<br />
geschrumpft sind – oder sollte es so sein,<br />
daß unser Theaterpublikum „progressiver“<br />
ist als sein Großes Haus? Weshalb er<br />
<strong>unsere</strong>m Millionen-Deseaster ein derart<br />
schlechtes Zeugnis ausstellt? Jürgen<br />
Diesner korrigiert ihn im Pfingst-Echo:<br />
1972 hatte das Staatstheater 9250 Abos<br />
insgesamt und 1991 waren es noch 7787,<br />
mithin 15,8 Prozent Verlust.<br />
Leicht und lustig, bunt und billig<br />
Für Wogen in der hohen Diskussionsrunde<br />
um „Zentrumskultur“ (Girth: „Ich bekenne<br />
Jürgen Barth<br />
mich dazu“) sorgt Jürgen Barth, Kult-<br />
Manager der Bessunger Knabenschule mit<br />
seinen zwei „l“ und zwei „b“: Kultur und<br />
Kunst müssen leicht und lustig sein, bunt<br />
und billig. Dies fordert Mechthild<br />
Hoppstock zum Widerspruch: „Es ist nicht<br />
so, daß Jugend nur leicht und lustig Kunst<br />
betreiben möchte. Wettbewerbe, Höchstleistung,<br />
ich weiß, daß die Jugendlichen sehr<br />
viel leisten, auch freudig und gern.“ <strong>Und</strong><br />
kämpferisch entgeg<strong>net</strong> sie Girth: „Das<br />
Publikum soll heutzutage musikalisch nicht<br />
gebildet sein? Das muß ich abstreiten;<br />
moderne Musik wird von Jugendlichen<br />
meist am besten interpretiert, es ist die<br />
Musik ihrer Zeit“.<br />
Während Moderator Dette Lust-Verfechter<br />
Barth „verstehen“ kann, sieht Girth „ein<br />
grundlegendes Mißverständnis: Ich muß<br />
Ihnen widersprechen: Ihre zwei l und zwei b<br />
sind nicht akzeptabel. Ich wehre mich dagegen,<br />
das Theater zum Hampelmann der<br />
Politik machen zu lassen.“ <strong>Und</strong> weil Barth<br />
von der sozialen Akzeptanz gesprochen hat,<br />
fühlt sich Girth zum Schutze der Kunst berufen:<br />
„Das stammt aus der Kiste der tiefsten<br />
Reaktion (Beifall) und suggeriert Assoziationen<br />
aus der geistesfeindlichen Zeit<br />
des gesunden Volksempfindens“. In diesem<br />
Rahmen sieht der Intendant die Notwendigkeit,<br />
„etwas für die Jugend zu tun“.<br />
„Ich bin nicht<br />
als Stadtkämmerer…“<br />
„Ich werde auch ernst“, kontert Jürgen<br />
Barth, der fast nur was für die Jugend tut,<br />
„wenn es ums Geld geht.“ Viel Beifall<br />
bekommt er für seinen Einwurf: „Kunst und<br />
Kultur sollten angesichts welt<strong>weiter</strong> Armut<br />
auch preiswert sein“. <strong>Und</strong> er rech<strong>net</strong>: „Zehn<br />
Millionen bleiben für alle anderen Bereiche,<br />
der Rest geht in das Staatstheater. Die<br />
Stadt legt sich mit 50 Millionen krumm für<br />
Ihr Theater. <strong>Und</strong> Sie“, an Girth gewandt,<br />
„haben einmal gesagt ‚‚und wenn ich vor<br />
leerem Haus spielen müßte‘.“ Dagegen<br />
verwahrt sich Girth: „Ich bin nicht als Stadtkämmerer<br />
hierher gekommen.“ Zu einem<br />
„Mißverständnis“ erklärt er dies: „Ich sehe<br />
keinen Sinn darin, vor leerem Haus zu spielen,<br />
das habe ich nicht gesagt. Das ist der<br />
größte Blödsinn.“ Dennoch beklagt auch er<br />
das Staatstheater als „kulturpolitischen<br />
Größenwahn. Wie wollen Sie allabendlich<br />
1.600 Plätze füllen?“ Zwischenruf: „Herr<br />
Girth, das ist ihr Problem!“<br />
„Städtebauliche Katastrophe“<br />
„Das sind falsche Gegensätze zwischen<br />
Zentrumskultur als elitärer und einer Stadtteil-Kultur“,<br />
meldet sich Kulturreferent<br />
Wolbert zu Wort: „Was in Darmstadt fehlt,<br />
Dr. Klaus Wolbert<br />
ist urbane Kultur, ein Erlebnisraum … vor<br />
allem im Zentrum“. Er sieht „große Sünden,<br />
die in der Vergangenheit begangen worden<br />
sind. Das ist keine wohnliche Stadt, wo<br />
man sich nicht nachts irgendwo noch gerne<br />
aufhält.“ Das sieht auch Gotthelf Schlotter<br />
Gotthelf Schlotter<br />
(Bildhauer) so: „Wo sind hier die Plätze, die<br />
anziehen?“ Dafür erhält er Beifall und meint<br />
dann: „Es ist Aufgabe der Zukunft, hervorragende<br />
Architekten wieder miteinzubeziehen“.<br />
Für Girth geht es nicht „nur um<br />
Brunnen. Wir haben keine Bus- oder<br />
Straßenbahnhaltestelle vor <strong>unsere</strong>m Haus,<br />
das architektonisch und städtebaulich ein<br />
Katastrophe ist … da es gibt noch nicht<br />
einmal eine Bus- oder Straßenbahnhaltestelle.“<br />
„Letzte Chance fallen gelassen“<br />
Professor Engelmann singt das hohe Lied<br />
auf Darmstadt: „Es gibt Leute, denen hat es<br />
hervorragend hier gefallen, man muß nur<br />
die Augen offenhalten“. Ganz im Gegensatz<br />
zu ihm klagt Wolbert: „Die toten Wände, die<br />
Schlucht in der Luisenstraße … es ist noch<br />
viel zu tun und konzeptionell zu entwickeln,<br />
um Erlebnisraum zu schaffen“. Auch Girth<br />
fällt dazu noch was ein: „Diese Architektur<br />
schafft weder Atmosphäre noch Kultur.“ Er<br />
abstrahiert: „Kultur wird ermöglicht, sie ist<br />
nur hier nicht ermöglicht.“<br />
Auf die Zukunft von Darmstadts Urbanität<br />
bezieht sich auch Oberstudiendirektor Dr.<br />
Fritz Deppert: „Die Stadt hat mit den HEAG-<br />
Dr. Fritz Deppert<br />
Ist das Wasser knapp?<br />
„RP (Regierungspräsident, red) bereitet<br />
Notstandsverordnung vor“, stand in der<br />
FAZ vom 4.6.92 zu lesen. Die Förderung<br />
von Trinkwasser müsse um 20 bis 25<br />
Prozent gedrosselt <strong>werden</strong>. Die Vorordnung<br />
solle in Kraft treten, falls sich der<br />
Wassernotstand noch verschärfe. Es<br />
handelt sich bei der Meldung um eine<br />
Falsch-Meldung der Deutschen Presse<br />
Agentur, denn eine Notstandsverordnung<br />
gibt es nicht.<br />
Verantwortlich für die Auskunft zeich<strong>net</strong>e<br />
Baudirektor Heinz Lehr, Leiter des Dezernates<br />
Wasserversorgung beim RP Darmstadt.<br />
Die ZD hatte Lehr am 23.1. interviewt<br />
wegen der ständigen Ausweisung neuer<br />
Gewerbegebiete, obwohl 1987 ein genereller<br />
Baustopp wegen Wassermangels<br />
verhängt worden war.<br />
Nach der Versickerung von Rheinwasser in<br />
Biebesheim bestand auf einmal keine<br />
Knappheit mehr. Lehr erklärte gegenüber<br />
der ZD, daß die Rheinwasserversickerungsanlage<br />
nur zu 40% gefahren werde und<br />
reichlich Wasser zur Verfügung stünde für<br />
neue Gewerbegebiete, da die Kapazitäten<br />
ausgeweitet <strong>werden</strong> können.<br />
Auf wiederholte Anfragen bei Pressesprecher<br />
Gerhard Müller (RP) wegen eines<br />
Hallen die letzte Chance fallen gelassen.“<br />
Heftiger Beifall. Stattdessen setzt er darauf:<br />
Antrags von Merck auf Erhöhung der<br />
Wasserentnahme-Mengen wurde am 11.6.<br />
die Auskunft erteilt: „Merck hat einen<br />
Antrag auf Reduzierung von 7,3 Millionen<br />
Kubikmeter Grundwasser jährlich auf 6,6<br />
Mio gestellt“. Zum Beleg verwies der<br />
Pressesprecher auf die „Industriewasserstudie<br />
2“ des RP. In dieser Studie sind<br />
derartige Zahlen nicht enthalten. Statt<br />
dessen legte der RP unter dem Aktenzeichen<br />
(V 38 C 3 - 79 e 12/01 - M) einen<br />
Antrag des Chemiekonzern auf höhere<br />
Entnahme von 6,3, Mio auf 6,6 Millionen<br />
Kubikmeter aus. Alle sollen sparen – und<br />
Lehr erklärte in dem Interview: „In<br />
Darmstadt hat der Verbrauch abgenommen,<br />
weil die Industrie wassersparende<br />
Technologien einsetzt“. Was stimmt da<br />
eigentlich? Im Herbst <strong>werden</strong> wir gründliche<br />
Recherchen zu dem Thema veröffentlichen.<br />
Der Herausgeber<br />
Richtigstellung<br />
In der letzten Ausgabe haben wir Bundesaußenminister<br />
Kinkel versehentlich der<br />
CDU zugeord<strong>net</strong>. Dabei muß es sich um<br />
einen Freudschen Verschreiber gehandelt<br />
haben – Kinkel ist FDP-Mitglied.<br />
(red)<br />
„Wie kriegt man neues, junges Publikum?<br />
Das Zugehen gelingt nicht, junge Leute<br />
müssen heute selbst dafür sorgen. Was in<br />
Darmstadt fehlt, ist das Zugehen der Stadt<br />
und Künstler auf die Jugend der Stadt.“<br />
„Ein ungewöhlich<br />
positives Klima“<br />
Der Künstler Bernhard Meyer sieht das alles<br />
ganz anders: „Ich finde toll, daß es diese<br />
Veranstaltung gibt. Das Gerangel um Geld<br />
ist <strong>Kinder</strong>kram. Ich fühle mich als Künstler<br />
angenommen. Dies ist ein ungewöhnlich<br />
positives Klima: Es läuft für mich wesentlich<br />
besser als in vielen Städten der<br />
Bundesrepublik.“<br />
Aus dem Publikum kommt wieder Kritik:<br />
„Was interessiert uns Darmstadts Prestige<br />
in der Welt? Das bringt mir als hier Lebender<br />
nicht viel, wenn eine kleine Notiz in der<br />
New York Times erscheint. Wir haben hier<br />
eine Einkaufspassagen-Kultur. Die Frage ist<br />
doch: Wie <strong>werden</strong> die Mittel verteilt?“ „An<br />
der Filmkunst“, nimmt Wolbert den Faden<br />
auf, „sind wir alle dran, da muß etwas<br />
passieren“. „Wer ist wir?“ kommt ein<br />
skeptischer Zwischenruf – Wolbert: „Wir<br />
alle“.<br />
Das Publikum gibt sich aber nicht zufrieden:<br />
„Wenig Konstruktives haben wir<br />
vernommen“, meint einer und fragt: „In<br />
Darmstadt leben die Künstler, wo sind die<br />
vielen? Es gibt zu wenig Auftrittsmöglichkeiten.<br />
Kultur, die hier produziert wird, muß<br />
auch hier gezeigt <strong>werden</strong> können. Dazu<br />
habe ich nichts Substantielles gehört.“<br />
Dette entgeg<strong>net</strong>: „Das war nicht so verstanden,<br />
daß wir ein Konzept vorlegen.“<br />
Naive Wünsche?<br />
Nach ihren Wünschen gefragt, antworten<br />
die Diskussionsteilnehmer der Reihe nach.<br />
Jürgen Barth: „Ich wünsche mir, daß das<br />
Staatstheater sich aufmacht für andere, für<br />
<strong>Kinder</strong>, flexibler und offener ist. Ein Forum<br />
aller freien Initiativen vorstellt und diskutiert<br />
und Gelder dafür bereitstellt.“<br />
„Sie sind naiv!“, eröff<strong>net</strong> Girth seine<br />
Wuschliste: „Ihre Bitte nach Öffnung des<br />
Staatstheaters verhallt nicht ungehört. Wir<br />
sollten zusammenarbeiten. Ich finde es im<br />
übrigen nicht schlecht, daß der Oberbürgermeister<br />
die Kultur verwaltet.“ Gotthelf<br />
Schlotter wünscht sich, „daß etwas von der<br />
Kunst der Ausstellungen hierbleibt.“ Für<br />
Engelmann ist Darmstadt „nach wie vor ein<br />
fruchtbarer Boden“, er ist wunschlos.<br />
Wolbert meint: „Wir brauchen ein Anspruchsniveau<br />
frei von plebiszitären Anforderungen.<br />
Das heißt: Was ist Darmstädtisch<br />
an Darmstädter Kultur?“ Dagegen<br />
wird Deppert konkreter: Er wünscht sich<br />
„ein Zentrum mit der Chance für Künstler,<br />
sich zu präsentieren. Neue und junge Kunst<br />
und Künstler sollen nach Darmstadt geholt<br />
<strong>werden</strong> und eine neue alte Idee, die<br />
Darmstadt-Gespräche, wieder ins Leben<br />
gerufen <strong>werden</strong>.<br />
Sanne Borghia<br />
Friedenskulturkarawane<br />
Quer durch Europa führt eine „Friedenskulturkarawane“<br />
vom 14. Juli bis 14. August:<br />
Straßburg - Stuttgart - Sarajewo - Delphi -<br />
Genua - Marseille - Barcelona. Das Projekt<br />
unter dem Motto „New Relation Ship“ ist<br />
Teil der Kampagne „500 Jahre Lateinamerika“.<br />
An historischen Orten sollen mit den<br />
einheimischen Friedens- und anderen<br />
Gruppen die Geschichte des jeweiligen<br />
Landes thematisiert, koloniale Ausbeutungsstrukturen<br />
aufgedeckt und Alternativen<br />
zu ihrer Überwindung in konkreten<br />
Projekten gezeigt <strong>werden</strong>. In Delphi findet<br />
voraussichtlich vom 20. bis 27. Juli 1992<br />
eine olympische Friedenskonferenz mit<br />
Künstlern, Wissenschaftlern und friedensbewegten<br />
Menschen statt, eine Zukunftswerkstatt<br />
und ein Wettbewerb der Ideen<br />
angesichts der globalen Herausforderungen.<br />
Die Ergebnisse sollen in Form einer<br />
Friedens-Charta und als Kontrapunkt zu<br />
den olympischen Spielen in Barcelona mit<br />
Aktionen in die Öffentlichkeit getragen<br />
<strong>werden</strong>. Nähere Informationen bei: Gesellschaft<br />
Kultur des Friedens, c/o Henning<br />
Zierock, Am Lustnauer Tor 4, 7400 Tübingen,<br />
Tel. 07071/52200, Fax 07071/24905.<br />
(red)
Friedenstauben<br />
und ein Mord<br />
PLO-Sicherheitschef getötet<br />
während<br />
FriedespädagogInnen tagen<br />
Ein französischer Jude schenkt einem<br />
palästinensischen Gewerkschaftsführer<br />
seine teure Perlenkette. Eine israelische<br />
Sängerin singt bewegende und aufmunternde<br />
Lieder für die PalästinenserInnen in den<br />
besetzten Gebieten. Versöhnliche Streiflichter<br />
vom 4. Internationalen Kongreß der<br />
Friedenspädagoginnen an Pfingsten in<br />
Paris. Rund 500 TeilnehmerInnen aus mehr<br />
als 40 Ländern von fünf Kontinenten waren<br />
gekommen, unter ihnen eine Reihe von<br />
UNESCO-Preisträgern. Nach dem Auftakt<br />
im UNESCO-Gebäude im Zentrum von Paris<br />
zogen sie sich in den beschaulichen Vorort<br />
Marly-le-Roi zurück und diskutierten dort in<br />
Runde-Tisch-Gesprächen und Dutzenden<br />
von Arbeitsgruppen.<br />
Schwerpunkte bildeten die Unterrichtssituation<br />
in den besetzten palästinensischen<br />
Gebieten, der zweite Krieg am Golf und die<br />
„neue Weltordnung“ der USA, die Veränderungen<br />
in der ehemaligen Sowjetunion und<br />
die deutsche Vereinigung. Weitere Themen:<br />
Kurdistan, Abrüstung, Nationalismus und<br />
Rassismus, Ursachen und gewaltfreie<br />
Lösungsmöglichkeiten von Konflikten,<br />
Möglichkeiten der Friedenserziehung. Wie<br />
ein roter Faden zog sich durch viele Arbeitsgruppen<br />
die Forderung nach der Herstellung<br />
der Rechte der <strong>Kinder</strong>, die den gesellschaftlichen<br />
und internationalen Konflikten<br />
am meisten ausgesetzt sind. Konkrete<br />
Solidaritätsprojekte für die <strong>Kinder</strong> im Nahen<br />
Osten wurden vorgestellt. Die Ergebnisse<br />
des Kongresses sollen Anfang nächsten<br />
Jahres in Buchform vorliegen.<br />
Zur Zeit wird darüber diskutiert, ob dem<br />
globalen internationalen Kongreß, der auch<br />
diesmal wieder europalastig war, nicht<br />
regionale, d.h. kontinentale Treffen vorgeschaltet<br />
<strong>werden</strong> sollen. Die VertreterInnen<br />
Afrikas planen bereits ein solches Treffen.<br />
Ob global oder regional - in jedem Fall findet<br />
1994 in Galicien (Nordspanien) eine Konferenz<br />
statt.<br />
Am letzten Tag des Kongresses, während<br />
eines prächtigen Freilicht-Happenings mit<br />
Künstlern, Tanzgruppen und Hunderten von<br />
Brieftauben unter einem Schönwetter-<br />
Himmel, sickerte langsam durch, daß der<br />
PLO-Sicherheitschef, der mit französischen<br />
Regierungsstellen auch gerade wegen des<br />
Schutzes der palästinensischen Kongreßteilnehmer<br />
verhandelt hatte, in der Vornacht<br />
vor seinem Pariser Hotel ermordet wurde.<br />
Die palästinensischen Gewerkschafter, die<br />
den Terroranschlag dem israelischen<br />
Geheimdienst Mossad anlasteten, waren<br />
erschüttert, wollten sich aber nicht beirren<br />
lassen in ihrem Willen zur Versöhnung mit<br />
den Israelis und zur gewaltfreien Herstellung<br />
von Menschenrechten und staatlicher<br />
Autonomie der PalästinenserInnen.<br />
Artur Rümmler<br />
Voller Wonne<br />
legt die Mücke…<br />
Die Sammlung organischer Abfälle in Biotonnen<br />
kann in diesen warmen Tagen zu Problemen<br />
führen, weil sich der Bioabfall unter dem<br />
Einfluß der hohen Temperaturen schneller<br />
zersetzt. Stickwasser bildet sich und Fäulnisprozesse<br />
führen zu starken Gerüchen, die<br />
Insekten anlocken. Steht die Biotonne zeitweilig<br />
offen, legen Fliegen ihre Eier im Bioabfall<br />
ab, was wenige Tage später zu einem<br />
Madenbefall führt.<br />
Das städtische Fuhr- und Reinigungsamt<br />
empfiehlt deshalb, die Biotonnen im Sommer<br />
in den Schatten zu stellen und besonders viel<br />
Zeitungspapier oder andere saugfähige organische<br />
Materialien wie Pappe, Stroh,<br />
Haustierstreu, Reisig und Holzspäne mitzugeben.<br />
Nach jeder Leerung sollte der Boden<br />
der Biotonne zunächst mit drei oder vier<br />
Zeitungen (ohne Werbebroschüren) ausgelegt<br />
<strong>werden</strong>, um eine solide feuchtigkeitsbindende<br />
Grundlage zu schaffen. Noch wirkungsvoller<br />
ist das Einwickeln der feuchten<br />
Küchenabfälle in Zeitungspapier. Besonders<br />
wichtig ist die Zugabe von saugfähigen Materialien,<br />
wenn in die Biotonne keine Gartenabfälle<br />
kommen. Zur Vorsortierung von Bioabfall<br />
im Haushalt bietet das Fuhr- und Reinigungsamt<br />
übrigens Plastikeimer mit Deckel<br />
und Henkel für 7,80 DM (7,5 l) und kompostierfähige<br />
Papiertragetaschen aus Recyclingpapier<br />
zum Preis von 3,50 DM pro 10<br />
Stück an. Lisette Nichtweiss, Pressamt<br />
(<strong>Und</strong> die Mücke voller Wonne, legt die Eier in die Tonne, und<br />
die fauligen Gerüche, stehen in der ganzen Küche - d. S.)<br />
„Der Verkehr darf nicht behindert <strong>werden</strong>“,<br />
erklärt der Einsatzleiter der Polizei dem<br />
Organisator der Demonstration „Umkehr in<br />
der Verkehrspolitik muß sein“, Holger<br />
Haupt. Zwischen 500 und 800 DemonstrantInnen<br />
hatten sich am 22. Mai 1992 zu<br />
einem ersten Protest gegen den „Alptraum<br />
Auto“ auf den Straßen versammelt. Während<br />
Haupt vor Mikrophonen der Rundfunksender<br />
auf Reporterfrage danach, „Wie<br />
man heute eine autofreie Stadt erzielen<br />
will?“, Optimismus verbreitet: „Das hängt<br />
davon ab, wieviele Leute sich engagieren –<br />
ich bin das ganz zuversichtlich“, malt Harry<br />
Neß (SPD) schwarz: „Sie sollten sich<br />
leidtun! Sie kriegen doch keine Mehrheit“.<br />
Im Gegensatz zu ihm ist auch der ehemalige<br />
Pfarrer der Martinsgemeinde, Rüdiger<br />
Gieselmann, zuversichtlich: „Es gibt zwar in<br />
Darmstadt zuviele Autos, aber wir sind<br />
stolz, daß wir mit der Ost-Tangente bereits<br />
VERKEHR<br />
schon einmal verhindert haben, daß eine<br />
Autobahn durch die Stadt gebaut wird“.<br />
Der ehemalige Pfarrer Martin Waas<br />
vergleicht die Beziehung Mensch-Auto mit<br />
der Ehe: „Dies ist der Rest <strong>unsere</strong>r Tage.<br />
Die Ehe zwischen Mensch und Auto greift<br />
um sich wie die Pest. Ich möchte, daß diese<br />
Ehe vor dem Tod geschieden wird. Die<br />
ersten Zeiten, wo mit den Autos frohe<br />
Flitterwochen zu verbringen waren, sind<br />
vorbei. Ich habe beschlossen, die Ehe mit<br />
dem Fahrrad einzugehen. Zu Weihnachten<br />
werde ich mir einen roten Stadtfahrplan<br />
wünschen, auf dem alle Fahrradwege<br />
verzeich<strong>net</strong> sind, von Anfang bis zum<br />
Ende.“ Damit sprach er den DemonstrantInnen<br />
aus der Seele und forderte: „Aus<br />
dem Straßenbautopf sollte die Hälfte für<br />
Radwege abgezweigt <strong>werden</strong>“, sprachs und<br />
stieg wieder auf sein Fahrrad. (Foto as)<br />
Darmstadt Studenten steigen um: Vom<br />
Auto auf das Fahrrad und wie die HEAG<br />
bereits konstatierte: Vom Bus auf das<br />
Fahrrad.<br />
Diese umweltfreundliche Handlung hat<br />
Folgen. Die Drahtesel stehen zu hunderten<br />
an Aufgängen, vor Treppen und versperren<br />
so Feuerwehrangriffs- und Fluchtwege für<br />
StudentInnen. Allein vor dem Fachbereich<br />
Mathematik an der TH <strong>werden</strong> täglich rund<br />
hundert, im Sommer bis zu 250 Fahrräder<br />
abgestellt. Dafür gibt es vierzehn Abstellplätze.<br />
Deshalb haben die StudentInnen in<br />
ihrem Fachbereichsrat im Februar 1987<br />
beschlossen, sich um geeig<strong>net</strong>e Fahrrad-<br />
Parken zu bemühen. Für 48 Räder planten<br />
sie professionell entsprechende Park-<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 5<br />
Die wohlwollende Prüfung<br />
Eine unglaubliche<br />
Bürokratie verhindert<br />
Fahrradabstellplätze<br />
an der TH<br />
Das Interview<br />
Urbanität ein Fremdwort in Darmstadt<br />
Größenwahn soll die City untergraben -<br />
wie schon einmal beim Bau des Luisencenters<br />
Die ZD sprach mit Helmut Dressler (ein<br />
Partei-Unabhängiger, darauf legt er wert)<br />
Stadtverord<strong>net</strong>er der Grünen und einer der<br />
Vorsitzenden des „Förderkreis Heag-Hallen<br />
e.V.“<br />
ZD: Existiert der Heag-Hallen-Förderkreis<br />
eigentlich noch, man hört und liest so gar<br />
nichts mehr von ihm?<br />
Dressler: Der ist noch nicht aufgelöst, aber<br />
er tut nichts mehr, seine früher engagierten<br />
Mitglieder – Frauen und Männer, so gehört<br />
sich´s wohl – sind entmutigt worden durch<br />
die Politik des Magistrats , und die Heag-<br />
Halle ist ihnen aus „Brandschutzgründen“<br />
vor der Nase zugeschlagen worden, gerade<br />
zu einem Zeitpunkt, ich glaube 1987 war<br />
das, da viele Darmstädter die Halle als<br />
willkommene Bereicherung der Darmstädter<br />
City angenommen hatten.<br />
Bist Du auch entmutigt und resigniert?<br />
Oh, bei mir geht das nicht so schnell; ich<br />
gebe kein vernünftiges Vorhaben auf,<br />
solange noch eine Chance besteht.<br />
Aber die Chance ist doch längst dahin! –<br />
Die City-Entwicklungsgesellschaft plant<br />
bereits, und die entsprechende City-<br />
Grundstücksgesellschaft…<br />
… also Mengler, Suter & Suter und die<br />
Heag …<br />
… richtig, zu je ein Drittel, hat doch<br />
schon die Grundstücke, also Fina-Block<br />
und Heag-Hallen-Bereich und plant …<br />
… meines Wissens ist der Kauf noch längst<br />
nicht perfekt ...<br />
… und plant bereits ausgiebig. <strong>Und</strong> der<br />
wichtigste Fakt: Ihr habt doch in der<br />
letzten Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
beschlossen …<br />
… na, ich und wir auf keinen Fall …<br />
… daß das städtische Gebäude, das mit<br />
den blauen Fenstern, in der Heag-Passage<br />
abgerissen wird, und viele Ämter<br />
umziehen müssen in ein Gebäude der<br />
Firma Fink, Berliner Allee 5, und zwar<br />
noch in diesem Jahr. Wo also bleibt da<br />
eine Hoffnung?<br />
Die Herren Metzger und Blöcker versuchen,<br />
noch vor der nächsten Kommunalwahl im<br />
März ’93 Fakten zu schaffen, aber noch sind<br />
das nur Beschlüsse, also revidierbar, und<br />
es sind Beschlüsse, die zum Schaden für<br />
die Stadt ausgehen.<br />
Beispielsweise?<br />
Der Ämter-Umzug, der für die Investoren<br />
den Platz frei macht, der Abriß und die<br />
Anmietung der Räume bei Fink kostet die<br />
Stadt insgesamt mindestens 3 Mio DM,<br />
und langfristig muß sie ein neues Amtsgebäude<br />
bauen, das kostet – na vielleicht<br />
1997 – die Stadt <strong>weiter</strong>e Millionen. Das sind<br />
unentgeltliche Vorleistungen der Stadt<br />
ausschließlich zum Nutzen der Investoren,<br />
also Kosten ohne Nutzen für die Stadt –<br />
rausgeschmissenes Geld!<br />
Hast Du noch ein Beispiel?<br />
Ein Dutzend. Also, diese City-Entwicklungs-<br />
Gesellschaft plant – davon war übrigens<br />
zum Zeitpunkt der Beschlußfassung über<br />
den Verkauf in der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
nie die Rede –, unter dem Heag-<br />
Passagen-Areal eine riesige Tiefgarage zu<br />
bauen und ein Tunnelsystem zur Anbindung<br />
beider Bereiche. Damit wird der<br />
Autoverkehr in die innerste City gezogen,<br />
das ist ein Anachronismus, und Darmstadt<br />
würde tatsächlich immer autogerechter und<br />
immer weniger Lebens-gerecht.<br />
Während der Bauzeit wird es ähnlich wie<br />
beim Bau des Luisencenters zusätzliche<br />
Beeinträchtigungen geben.<br />
Du verniedlichst die Sache ...<br />
Oh, das wollte ich ganz und gar nicht!<br />
… denn die gigantischen Vorhaben im<br />
Fina-Innenblock-Bereich, die Erdarbeiten<br />
für die Tiefgarage und der Um- und Ausbau<br />
der Heag-Hallen wird die City für mehr als<br />
zwei Jahre zur totalen Baustelle <strong>werden</strong><br />
lassen. Kannst Du Dir den immensen<br />
Baustellenverkehr in der Fußgängerzone<br />
vorstellen? <strong>Und</strong> besonders für das Tunnelsystem<br />
müßten langwierige und schwierigste<br />
Verlegungen durchgeführt <strong>werden</strong>; da<br />
liegen ja überall Kabel und Gas- und<br />
Wasserleitungen und Kanäle. Das gerät<br />
bedrohlich in die Nähe des Wahnsinns!<br />
Aber am Schluß wird’s dann doch ganz<br />
schön fortschrittlich?<br />
Danke für die Frage! – Der totale Kommerz<br />
wird noch totaler, aber es <strong>werden</strong> einige<br />
Geschäfte während oder besser wegen der<br />
Bauerei auf der Strecke bleiben; eigentlich<br />
müßte sich der Einzelhandelsverband mit<br />
Händen und Füßen wehren, die schlafen<br />
offensichtlich noch, obwohl ich voraussehe,<br />
daß viele innerstädtische Geschäfte,<br />
weil die Menschen nicht inmitten einer<br />
Baustelle einkaufen <strong>werden</strong>, …-zig Prozent<br />
Umsatzverlust hinnehmen müssen.<br />
Die Planungsvorstellungen sind also<br />
unausgegoren?<br />
Ja! – <strong>Und</strong> darauf setze ich: Die Metzger,<br />
Blöcker & Co. mögen dilettantische Vorhaben<br />
in Gang setzen, aber die Investoren<br />
sind Geschäftsleute, für die müssen sich<br />
die 100 oder eher 200 Millionen in, na,<br />
sagen wir, 15 Jahren amortisieren, und das<br />
ist sehr zweifelhaft, außer wenn die Stadt<br />
massenhaft zubuttert. Hier in der Stadt aber<br />
geht die Metzger-Zeit zu Ende, und die<br />
Finanzlage wird schlechter. Also, die Gigantomanie<br />
könnte, nüchtern gerech<strong>net</strong>, sich<br />
selbst zu Fall bringen.<br />
Mengler kalkuliert aber zuverlässig<br />
gewinnträchtig.<br />
Das mag sein. Die Firma Mengler rafft in der<br />
Darmstädter City an sich, wessen sie<br />
habhaft <strong>werden</strong> kann, um hier ein Vermietungs-Monopol<br />
zu ergattern, denen gehört<br />
schon ziemlich viel; dafür darf ein Projekt<br />
schon mal Verluste machen, aber nur<br />
begrenzte. Ich meine also, daß zumindest<br />
diese Leute das Rechnen gelernt haben ...<br />
… und irgendwann das Projekt hinwerfen,<br />
mit begrenztem Verlust?<br />
Ja, genau; ich hoffe da auch auf die Heag<br />
und ihren seriösen Einfluß, „va banque“<br />
können deren Manager nicht spielen, und<br />
sie haben gehörige Verpflichtungen, ihr<br />
Risiko zu begrenzen.<br />
<strong>Und</strong> Deine Vorstellungen, was man hätte<br />
tun sollen oder was man tun müßte für<br />
Darmstädter Urbanität?<br />
Ach nein, das habe ich doch schon hundertmal<br />
erzählt. Unsere Broschüre „Kultur im<br />
Zentrum“ ist immer noch aktuell, nur einige<br />
Zahlen sind sicher überholt, sie stammen<br />
schließlich von 1985. Wir wollen Leben,<br />
Menschenkultur jeder Art in diese halbtote<br />
Innenstadt bringen – mit sehr begrenzten<br />
Investitionen ohne Perfektion, und das übrigens<br />
käme sogar den existierenden Geschäften<br />
zugute, weil Urbanität eine Vielfalt<br />
darstellt und die City wirklich attraktiv<br />
macht, aber heutzutage oder gar nach<br />
Abschluß jenes Projekts, oh je … (winkt ab)<br />
Danke.<br />
Helmut Dressler<br />
(Foto: H. Schäfer)<br />
Vorrichtungen und hatten den Wunsch,<br />
daß diese auch überdacht <strong>werden</strong> sollten,<br />
um <strong>weiter</strong>e StudentInnen dazu zu bringen,<br />
das Auto stehen zu lassen. Wichtig waren<br />
ihnen auch brauchbare, das heißt<br />
diebstahlsichere Vorrichtungen.<br />
Doch trotz eines umfangreichen Briefwechsels,<br />
mehrerer Ortstermine und<br />
Gespräche – insgesamt 26 in der Zeit vom<br />
6.2.1987 bis 15.4.1992 ist an die Fahrradabstellplätze<br />
nicht zu denken. Zwar wurde<br />
den StudentInnen immer wieder zugesichert,<br />
„daß … überdachte Fahrradeinstellplätze<br />
eingerichtet <strong>werden</strong>“, so der Präsident<br />
der Technischen Hochschule am 13.<br />
April 1987, und die StudentInnen freuten<br />
sich schon „über den raschen Erfolg“,<br />
wurden jedoch wenige Monate später<br />
vertröstet, da eine Haushaltssperre keine<br />
Mittel mehr beließe und „erst im Jahr 1988<br />
finanziert <strong>werden</strong> kann“ (3.6.1987).<br />
Anfang 1988 kam wieder ein Schreiben der<br />
Technischen Hochschule, das „für dieses<br />
Haushaltsjahr die Einrichtung“ zusicherte<br />
(11.4.1988). <strong>Und</strong> wieder verging ein Jahr –<br />
mehr noch, am 4.9.1989 ließ der Präsident<br />
dem Dekan des Fachbereichs mitteilen,<br />
„das Staatsbauamt wird so rasch wie<br />
möglich mitteilen wieviel … Abstellplätze<br />
… geplant sind und ob diese Maßnahme<br />
vorgezogen <strong>werden</strong> kann“. In diesem Jahr<br />
passierte wieder nichts.<br />
1990 verging auch wieder untätig, bis die<br />
StudentInnen im März 1991 wieder einen<br />
Vorstoß machten und wieder war die<br />
Reaktion die gleiche: Eine „wohlwollende<br />
Prüfung“ sagte der Präsident der TH am 5.<br />
April 1991 zu. Dieses Mal wird es konkreter,<br />
sogar Pläne wechseln zwischen<br />
Fachbereich und Hochschul-Leitung. Da<br />
anschließend wieder nichts passiert,<br />
schreiben die Professoren der Fachbereiche<br />
Mathematik und des Fachbereichs<br />
Physik an den Präsidenten der TH, an Prof.<br />
Dr. Helmut Böhme, im November 1991;<br />
eine Begehung wird vereinbart. Sie endet<br />
mit dem Versprechen, daß „die gewünschten<br />
Fahrradständer bis zum Beginn des<br />
Sommersemesters“, also im Februar<br />
diesen Jahres angebracht seien. Doch statt<br />
der Fahrradständer erhalten die Studenten<br />
ein Schreiben der Hochschul-Leitung am<br />
15. April, in dem zu lesen steht: „Die<br />
Möglichkeit einer Realisierung im Jahr<br />
1993 werde ich zu Beginn des nächsten<br />
Jahres gerne prüfen.“ Gezeich<strong>net</strong> mit<br />
freundlichen Grüßen Bauerfeind-<br />
Roßmann.<br />
Da lagen die StudentInnen des Fachbereichs<br />
wohl doch recht mit ihrem<br />
Anschreiben vom August 1989, in dem sie<br />
klagten, „sie fänden es bedauerlich, … daß<br />
<strong>unsere</strong> sinnvolle Forderung nach einem<br />
kleinen Beitrag zum Umweltschutz durch<br />
eine träge und offensichtlich uninteressierte<br />
Bürokratie ins Leere läuft.“<br />
Besonders pikant ist die Angelegenheit<br />
dadurch, daß in der gleichen Zeit „das TH-<br />
Parkhaus errichtet worden ist, für einen<br />
Kostenaufwand von ca. 10 Millionen Mark,<br />
das heute nahezu leer steht“, wie die<br />
Studenten schreiben und neben dem es<br />
<strong>weiter</strong>e brauchbare Flächen gibt, auf denen<br />
Fahrradständer angebracht <strong>werden</strong><br />
könnten. Die Mathematik-StudentInnen<br />
machten diesen Vorschlag und bekamen –<br />
wie könnte es anders sein – von der<br />
Verwaltung zu hören, „daß diese Fahrradplätze<br />
im Zuge der Außenarbeiten am<br />
Parkhaus angelegt würden“. Doch nichts<br />
ist geschehen.<br />
Die StudentInnen der Fachschaft, Oliver<br />
Dräger, Anne Eigenbrod und J. Reuling<br />
wenden sich an die Öffentlichkeit „in der<br />
Hoffnung, daß dadurch endlich was<br />
geschieht.“ Wahrscheinlich bekommen sie<br />
wieder eine Zusage wohlwollender<br />
Prüfung ….<br />
M. Grimm
GESCHICHTE<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 7<br />
Entnazifizierung<br />
und<br />
Entstasifizierung<br />
Demokratische JuristInnen<br />
diskutieren über Vergangenheitsbewältigung<br />
Die Vereinigung demokratischer Juristinnen<br />
und Juristen hatte am 4.6.92 zu einer<br />
Diskussionsveranstaltung in das DGB-Haus<br />
eingeladen, um das Thema „Stasi-Aufarbeitung<br />
und Entnazifizierung“ zu behandeln.<br />
Vorsitzender Rechtsanwalt Michael Lodzik<br />
wies in seiner Begrüßung auf die Aktualität<br />
dieser Probleme hin und hält eine kritische<br />
Betrachtungsweise der Vergangenheitsbewältigung<br />
Deutschlands für notwendig. Die<br />
Folgen für die Betroffenen in den neuen<br />
Bundesländern durch die Offenlegung der<br />
Stasi-Akten bedeuten für viele die Vernichtung<br />
ihrer Existenz, vergleichbar mit den<br />
Berufsverboten in der alten Bundesrepublik.<br />
Ist die Entnazifizierung vergleichbar mit der<br />
Behandlung des Stasi-Komplexes?<br />
Um diesen Fragen nachzugehen, hatte die<br />
Vereinigung zwei Referenten geladen:<br />
Rechtsanwalt Dieter Hummel aus Berlin und<br />
Philipp Benz, den Vorsitzenden des Verbandes<br />
der Verfolgten des Naziregimes<br />
Darmstadt-Dieburg. Beide konnten eigene<br />
Erfahrungen einbringen, wenn auch die<br />
Themenkreise einen beträchtlichen zeitlichen<br />
Abstand aufweisen.<br />
In der alten Bundesrepublik herrscht vielfach<br />
die Meinung, die Entnazifizierung sei fast<br />
rungen war, die von ihnen betriebene Entfernung<br />
belasteter Personen nach dem Gesetz<br />
Nr. 8 aus den Betrieben und Verwaltungen<br />
deutschen Behörden zu übertragen.<br />
Im Artikel 1, Grundsätze, heißt es,<br />
1.„Zur Befreiung <strong>unsere</strong>s Volkes von Nationalsozialismus<br />
und Militarismus und zur<br />
Sicherung dauernder Grundlagen eines<br />
deutschen demokratischen Staatslebens in<br />
Frieden mit der Welt <strong>werden</strong> alle, die die<br />
nationalsozialistische Gewaltherrschaft aktiv<br />
unterstützt oder sich durch Verstöße gegen<br />
die Grundsätze der Gerechtigkeit und<br />
Menschlichkeit oder durch eigensüchtige<br />
Ausnutzung der dadurch geschaffenen<br />
Zustände verantwortlich gemacht haben,<br />
von der Einflußnahme auf das öffentliche,<br />
wirtschaftliche und kulturelle Leben ausgeschlossen<br />
und zur Wiedergutmachung<br />
verpflichtet.“<br />
2. „Wer verantwortlich ist, wird zur Rechenschaft<br />
gezogen. Zugleich wird jedem<br />
Gelegenheit zur Rechtfertigung gegeben.<br />
Das Gesetz will kein Strafgesetz sein,<br />
sondern ein ‚Befreiungs-und Sühne-<br />
Gesetz‘“.<br />
Dem entspricht – so Benz – auch die Termi-<br />
Prächtige Bilder, wenig Geschichte<br />
„Van Gogh“ – ein Film von Maurice Pialat<br />
Seine Bilder <strong>werden</strong> heute für Millionen von<br />
Dollars gehandelt, sind bevorzugte Raubund<br />
Spekulationsobjekte. Er selber, vor rund<br />
hundert Jahren, nagte am Hungertuch. Die<br />
Bourgeoisie, treibende Kraft auf dem Kunstmarkt,<br />
hatte zu seinen Lebzeiten ihre Sehgewohnheiten<br />
noch nicht soweit verändert, daß<br />
sie ihn kaufen wollte.<br />
Vincent van Gogh stammte aus einer protestantischen<br />
Pastorenfamilie, wollte die<br />
leidenden Armen mit Religion trösten, lebte<br />
aufopferungsvoll und asketisch bei belgischen<br />
Bergarbeitern, versuchte sich als<br />
Hilfsprediger und scheiterte in der Priesterausbildung.<br />
Ein unruhiges Leben mit<br />
Wohnsitzen in England, Belgien, Niederlanden<br />
und Frankreich. Dazu frühe Liebesenttäuschungen,<br />
Konflikte mit den Eltern, van<br />
Goghs labile Psyche. Nach einem Konflikt<br />
mit Gauguin schnitt er sich ein Ohr ab und<br />
gab es einer Prostituierten. Heftige Anfälle<br />
von Kopfschmerzen plagten ihn. Seine<br />
Einweisung in die Nervenheilanstalt 1889<br />
befürwortete er selber.<br />
Maurice Pialats Film beginnt 1890, als van<br />
Gogh in Auvers-sur-Oise beim Arzt Dr. Gachet<br />
(Gérard Sety) unterschlüpft, und zeigt<br />
die letzten Lebensmonate des 37jährigen.<br />
Von seiner Vorgeschichte erfahren wir nur<br />
wenig, seine Person gewinnt deshalb nicht<br />
viel Tiefenschärfe. Auch die Entwicklung seiner<br />
Kunst über den Impressionismus hinaus,<br />
die wachsende Dynamisierung des Gegenstands,<br />
die Verselbständigung der Farbe, die<br />
seine Kunst so unverwechselbar machen,<br />
<strong>werden</strong> so gut wie nicht thematisiert. Inwieweit<br />
ist das überhaupt ein Künstlerfilm?<br />
Der Film lebt von seiner Hauptperson,<br />
überragend verkörpert von Jacques Dutronc:<br />
van Gogh mit unruhigem, abweisendem<br />
Blick, schlechter, vornübergebeugter<br />
Körperhaltung, einfach gekleidet, verschlossen<br />
und wortkarg, spröde und sensibel, mit<br />
fast linkischen Bewegungen, unberechenbaren<br />
Reaktionen und plötzlichen Wutausbrüchen.<br />
Der Künstler, von dem Wert seiner<br />
Kunst überzeugt, sich von der Malweise der<br />
in Mode gekommenen Impressionisten<br />
absetzend, leidet unter der mangelnden<br />
Anerkennung durch die Gesellschaft und der<br />
finanziellen Abhängigkeit von seinem Bruder<br />
Theo, einem Kunsthändler, der Vincent zwar<br />
prinzipiell helfen, aber seine Kunst nicht<br />
fördern will. Verständnis als Künstler findet<br />
er bei dem weitsichtigen Gachet. <strong>Und</strong> dessen<br />
Tochter Marguerite (die Rolle ist wie maßgeschneidert<br />
für Alexandra London), die starke<br />
frauenrechtlerische Tendenzen aufweist und<br />
treffsichere Dinge sagt, schätzt ihn als Mann.<br />
Dies tut aber auch die Prostituierte Cathy.<br />
Als van Gogh durch einen Schuß in den<br />
Bauch sein Leben beenden will, geschieht<br />
das für den Zuschauer etwas unvorbereitet.<br />
Das zweitägige Sterben des Verwundeten,<br />
der ärztliche Hilfe ablehnt, inszeniert Regisseur<br />
Pialat kühl und emotionslos: van Gogh<br />
dreht sich im Bett zur Wand, und sein Bruder<br />
sagt mitleidlos: „Es ist aus“. Daß der Film<br />
danach noch einige Minuten <strong>weiter</strong>läuft und<br />
mit der in Trauer gekleideten Marguerite<br />
endet, die mit einem neuen Maler Bekanntschaft<br />
macht, bestärkt die Vermutung, daß<br />
es Pialat nur zum Teil um die Künstlerproblematik<br />
van Goghs geht. Zu interessieren<br />
scheint ihn ebensosehr auch dessen gesellschaftliche<br />
Umgebung, denn<br />
in mehreren konfliktreichen E-<br />
pisoden der Familien Gachets,<br />
Theos und eines Gastwirts<br />
verläßt er die an van Gogh<br />
gebundene Erzählperspektive.<br />
Pialats Blick auf die französische<br />
Gesellschaft des ausgehenden<br />
19. Jahrhunderts vermittelt<br />
jedoch, abgesehen von<br />
ein paar Reminiszenzen an die<br />
Pariser Commune (das Lied<br />
„Der rote Hügel“), keine spezifischen<br />
historischen Tatbestände,<br />
sondern liefert mehr<br />
Kolorit und Atmosphäre. Die etwas zu ausgedehnte<br />
Handlung um van Gogh (der Film hat<br />
Überlänge) besteht aus vielen kleinen,<br />
sympathischen Alltagsszenen mit Konflikten,<br />
die von heute stammen könnten. Das<br />
unspektakuläre Geschehen kontrastiert mit<br />
der ästhetisch auffälligen Opulenz der Bilder<br />
im Stil der Impressionisten. Da gibt es Plein-<br />
Air-Gemälde: zartes Lichtgeflimmere auf<br />
dem Wasser, das Spiel der Lichtflecke auf<br />
den Körpern im Schatten der Bäume, Licht<br />
wie feiner Staub, aufsteigender Staub wie<br />
graues Licht. Da sind weibliche Akte, zarte<br />
Porträts, Can-Can-Tänzerinnen und ein<br />
prächtiges Dekor in einem wohl etwas zu<br />
freundlich stilisierten Bordell. Nicht sehr<br />
mitreißend, doch optisch genüßlich. (In der<br />
Frankfurter „Harmonie“ und vom 25. 6. bis<br />
28. 6. im Darmstädter „Broadway“.)<br />
Artur Rümmler<br />
Open-Air-Filmfestival<br />
Das älteste Open-Air-Filmfestival der Bundesrepublik<br />
öff<strong>net</strong> zum 16.mal seine Pforten.<br />
Vom 20. bis 24. August <strong>werden</strong> Amateur-<br />
Kurzfilme aus dem In- und Ausland vorgestellt.<br />
Das Spektrum reicht von kleinen,<br />
schmutzigen Filmen, die mit wenig Geld, a-<br />
ber viel Idealismus und Kreativität gedreht<br />
wurden, bis hin zu kostspieligen High-Tech-<br />
Produktionen. Das Braunshardter Tännchen<br />
in Weiterstadt wird für 4 Tage in ein riesiges<br />
Freiluftkino verwandelt, das Filmemacher<br />
und ZuschauerInnen auch Raum für Gespräche<br />
bietet. Das Abendprogramm wird<br />
täglich (Do-So) um 20 Uhr mit Live-Musik<br />
eröff<strong>net</strong>. Das Kurzfilmprogramm beginnt um<br />
21.30 Uhr mit Einbruch der Dunkelheit und<br />
währt bis früh in die Morgenstunden. Auch<br />
bei Regen heißt es: „Film ab “. Von Fr-So<br />
startet das Kurzfilmprogramm bereits um 14<br />
Uhr im Kommunalen Kino Weiterstadt. Den<br />
Abschluß des Festivals bildet die Vorführung<br />
der besten Filme im Kino um 20 Uhr (begrenzte<br />
Sitzzahl). Filme (Video, Super 8, 16<br />
mm) mit einer Laufzeit bis zu 30 Min. können<br />
noch bis zum 10. Juli eingereicht <strong>werden</strong>,<br />
bei: Kommunales Kino, Filmfest Weiterstadt,<br />
Bahnhofstr. 70, 6108 Weiterstadt, Tel.:<br />
06150/12185. Für alle, die den Einsendeschluß<br />
nicht einhalten können und Superkurz-Filme<br />
haben (höchstens 10 Min.), gibt<br />
es am Sa und So ein Open Screening<br />
(genaue Auskunft erhält man bei der Festival-Leitung<br />
vor Ort).<br />
Kommunales Kino Weiterstadt<br />
reibungslos vollzogen worden. Daß in der<br />
Hauptsache wirtschaftliche Interessen und<br />
das Zurückdrängen fortschrittlicher Tendenzen<br />
die Praxis der Spruchkammern beeinflußten,<br />
versuchte Philipp Benz aufgrund<br />
eigener Erfahrungen darzustellen und die<br />
gesetzlichen Bedingungen, die durch<br />
Zusammenarbeit der Besatzungsmächte<br />
(Kontrollrat) mit den Länderregierungen<br />
entstanden waren, zu erläutern. Er wies<br />
darauf hin, daß er sich trotz seiner Erfahrungen<br />
außerstande sehe, die Bewältigung der<br />
Nazi-Vergangenheit in ihrer ganzen Breite<br />
vorzutragen. Nachdem die Beteiligung staatlicher<br />
Stellen und der Justiz an der Verdrängung<br />
und Verharmlosung faschistischer<br />
Gewaltverbrechen heutzutage bekannt sind,<br />
ebenso wie die Amnestien für verurteilte<br />
Kriegsverbrecher aus Industrie und Diplomatie<br />
seitens der Besatzungsmächte, wird<br />
jetzt Umfang und Ausmaß der Unterstützung<br />
von NS-Verbrechern und Judenmördern<br />
durch die Kirchen beider Konfessionen<br />
bekannt.<br />
Das Gesetz zur Befreiung von Nazismus und<br />
Militarismus vom 5.3.46 war das erste<br />
Gesetz, das maßgeblich mit deutscher Beteiligung<br />
entstand. Die Absicht der Militärregienologie:<br />
„Betroffener“ (nicht Angeklagter),<br />
„öffentlicher Kläger“ (nicht Staatsanwalt)<br />
„Sühnemaßnahmen“ (nicht Strafen),<br />
„Spruch“ (nicht Urteil), „Verantwortlichkeit“<br />
(nicht Schuld). Die Verantwortlichkeit ist in<br />
diesem Gesetz nach Gruppen „Verantwortlicher“<br />
bestimmt: Hauptschuldige, Belastete<br />
(Aktivisten, Militaristen, Nutznießer),<br />
Minderbelastete (Bewährungsgruppe),<br />
Mitläufer und Entlastete unterscheidet der<br />
Gesetzgeber.<br />
Aus der Praxis der Spruchkammern zitiert<br />
Benz einige „Sprüche“: Im 1. Februar 1947<br />
hat die Spruchkammer Nürnberg den vom<br />
Militärtribunal freigesprochen Hans Fritsche<br />
9 Jahren Arbeitslager auferlegt. Nach kurzer<br />
Haft war er wieder frei. Am 16. Januar 1947<br />
beantragt die KPD im hessischen Landtag,<br />
Josias von Waldeck, oberster Gerichtsherr<br />
im KZ Buchenwald, zu enteignen. Befreiungsminister<br />
Binder (SPD) lehnt diesen<br />
Antrag ab. Waldeck wird amnestiert und<br />
behält den größten Grundbesitz Hessens. Er<br />
wird später Schirmherr und Finanzier der<br />
SS-Hilfsorganisation Hiag.<br />
Franz v. Papen, Vizekanzler Hitlers, der als<br />
Reichskanzler am 30.1.33 die Machtübernahme<br />
ermöglichte und am 20. Juli 1932 die<br />
preußische Regierung Braun-Severing durch<br />
einen Staatsstreich entmachtete, wird am<br />
23. Februar 1947 zu 8 Jahren Arbeitslager<br />
verurteilt. Bald darauf ist er wieder frei. Der<br />
öffentliche Ankläger, der den Ministern Maier<br />
(LDP) und Simpfendörfer (CDU) vorwirft, die<br />
Machtübernahme Hitlers unterstützt zu<br />
haben, wird entlassen. Maier stimmte<br />
übrigens wie der spätere Bundespräsident<br />
Heuß in einer Rede am 23.3.1933 dem<br />
Ermächtigungsgesetz zu. Herr von Opel und<br />
andere Wirtschaftsführer <strong>werden</strong> wohl<br />
angeklagt, kommen aber in der Regel mit DM<br />
2000 Sühne davon, obwohl sie am Krieg<br />
kräftig verdient haben.<br />
Am 4. Februar 1947 wird in Nürnberg ein<br />
Bombenanschlag auf das SPD-Büro verübt.<br />
Am 18. März 1947 findet ein Bombenattentat<br />
auf die Spruchkammer in Schlüchtern statt.<br />
Am 25. März 1947 wird in Öhringen, Kreis<br />
Stuttgart, der öffentliche Ankläger Reinhold<br />
Hub, der auch Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes<br />
ist, ermordet.<br />
Jeder zweite Nazis rettete Juden<br />
Philipp Benz konnte ein Spruchkammerverfahren,<br />
in dem er als Belastungszeuge<br />
geladen war, vortragen, das einen Einblick in<br />
die oft geübte Praxis bot: Im Herbst 1933<br />
wurde er mit 7 Kameraden aus Arheilgen in<br />
das damalige KZ Osthofen bei Worms eingeliefert.<br />
In der ersten Spruchkammerverhandlung<br />
wurde der Ortsgruppenleiter der<br />
NSDAP in Arheilgen wegen seiner Mitwirkung<br />
als „belastet“ eingestuft, in der<br />
Berufungsverhandlung jedoch entlastet, weil<br />
ein Zeuge aussagte, er sei vom Weg nach<br />
Osthofen durch denselben Ortsgruppenleiter<br />
verschont geblieben. Der Vorsitzende der<br />
Spruchkammer begründete seinen<br />
Freispruch mit dem Argument, die 8 ehemaligen<br />
Häftlinge seien durch ihre Erlebnisse im<br />
KZ nicht frei von Haß- und Grollgefühlen.<br />
Deshalb seien ihre Aussagen nicht als objektiv<br />
zu bewerten; nur der Entlastungszeuge<br />
sei glaubwürdig. Dies seien keine Einzelfälle<br />
gewesen – so Benz – und sie zeigten die<br />
Praxis der Spruchkammern, zu der auch<br />
Fragebogenfälschungen, Persilscheine,<br />
falsche Zeugenaussagen als Regel zählten.<br />
Jeder Zweite Nationalsozialist hatte demnach<br />
– so Benz – einem Juden das Leben gerettet<br />
oder einen Demokraten vor dem KZ bewahrt.<br />
Kohlesteuer für die NSDAP<br />
Die großen Konzerne, vor allem in der<br />
Schwerindustrie, hatten schon in der<br />
Weimarer Republik faschistische Terrorgruppen<br />
wie die Freikorps und den Stahlhelm<br />
offen finanziell unterstützt. So hatte<br />
Thyssen eine Kohlensteuer erhoben (50 Pfg.<br />
pro Tonne), mit der die Wahlkampagne der<br />
NSDAP finanziert wurde. Der Pressekonzern<br />
v. Hugenberg und die Habsburger Front<br />
sicherten die organisierte Unterstützung des<br />
Großkapitals für den Faschismus. Obwohl<br />
diese Kreise direkt für das nazistische<br />
Regime mitverantwortlich waren, konnten<br />
sie nur dann von der Entnazifizierung erfaßt<br />
<strong>werden</strong>, wenn ihnen eine direkte Verbindung<br />
zur NSDAP nachzuweisen war.<br />
Im Katalog „Fragen an die deutsche<br />
Geschichte“ anläßlich einer Ausstellung im<br />
Reichstag im Jahre 1990 wird die Entnazifizierung<br />
in 19 Zeilen abgehandelt. Zwei Sätze<br />
daraus sind typisch für die Einschätzung der<br />
Regierung und ihrer offiziellen Geschichtsschreiber:<br />
„Im Zuge des Wiederaufbaus und<br />
im Zeichen des kalten Krieges wird das<br />
anfangs rigorose Vorgehen zunehmend<br />
abgemildert, auf deutschen Druck hin<br />
schließlich 1948 de facto eingestellt. Den<br />
hohen, in sie gesetzten Erwartungen, ist die<br />
Entnazifizierung deshalb nicht gerecht<br />
geworden. “<br />
Die Stasi-Aufarbeitung<br />
Rechtsanwalt Dieter Hummel verteidigte mit<br />
Nachdruck die Veröffentlichung und Verfolgung<br />
von Verbrechen des Ministeriums für<br />
Staatssicherheit, der Staatsführung der<br />
ehemaligen DDR und der SED. Damit eine<br />
objektive Beurteilung dieser Tatbestände<br />
gewährleistet sei, müßten nicht die Personen,<br />
sondern ihre Tätigkeit für die Stasi<br />
untersucht und bewertet <strong>werden</strong>. Einen<br />
Auszug aus dem Einigungsvertrag und dem<br />
Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes<br />
der ehemaligen DDR (Stasi-<br />
Unterlagen-Gesetz vom 20.12.1991)<br />
übergab er den Teilnehmern als Orientierungshilfe.<br />
Der Einigungsvertrag I A 5 Seite 410 besagt:<br />
Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche<br />
Kündigung ist insbesondere dann<br />
gegeben, wenn der Arbeitnehmer „gegen die<br />
Gesetze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit<br />
verstoßen hat, insbesondere die<br />
im internationalen Pakt über bürgerliche und<br />
politische Rechte vom 19.12.66 gewährleisteten<br />
Menschenrechte oder die in der allgemeinen<br />
Erklärung der Menschen rechte vom<br />
10.12.48 enthaltenen Grundgesetze verletzt<br />
hat – oder für das frühere Ministerium für<br />
Staatssicherheit, Amt für nationale Sicherheit,<br />
tätig war, und deshalb ein Festhalten am<br />
Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint.“<br />
(Wem drängt sich da nicht der Vergleich mit<br />
den Richtlinien der alten BRD auf, nach<br />
denen Beamte und Anwärter den Nachweis<br />
erbringen mußten, für die freiheitliche<br />
demokratische Grundordnung einzustehen?)<br />
Rechtsanwalt Hummel erklärte eindeutig,<br />
daß die von der Gauck-Behörde vorgelegten<br />
Ermittlungen und Beweise in der Regel ihre<br />
Richtigkeit haben. Informelle Mitarbeiter der<br />
Stasi sind auf alle Fälle untragbar und<br />
müssen die Folgen tragen, was meistens den<br />
Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet und<br />
gerichtliche Schritte nicht ausschließt. RA<br />
Hummel: „Wem kriminelle Handlungen nicht<br />
gemessen an DDR-Recht, sondern an den<br />
Grundsätzen der Menschenrechte, vorzuwerfen<br />
sind, kann nicht mehr Richter, kann<br />
nicht mehr Staatsanwalt sein. Wer auf<br />
Demonstranten einprügelte, wer im Gefängnis<br />
malträtierte, hat kein Recht mehr auf eine<br />
Uniform.“ Gleichzeitig dürfe Vergangenheitsbewältigung<br />
aber nicht damit ihr<br />
Bewenden haben, daß sie sich in rechtlichen<br />
Strukturen erschöpft.<br />
Die Großen <strong>werden</strong> geschont<br />
Wie Benz gebrauchte auch er Vergleiche, die<br />
beweisen sollen, daß auch in den neuen<br />
Bundesländern die Großen geschont und nur<br />
die Kleinen sich zu verantworten hätten. Der<br />
Stellvertreter des Staatssicherheitsministers<br />
Mielcke, General Neiper, baue sich zur Zeit<br />
eine Villa und bleibe unbehelligt. Er fügte<br />
aber hinzu, daß verschiedene Personen, zu<br />
denen auch Schalck-Golodkowski gehört,<br />
von Interesse für den Bundesnachrichtendienst<br />
sind. Die großen Industriekombinate<br />
würden nach wie vor von den alten<br />
Managern und Direktoren verwaltet. Nur in<br />
kleinen und mittelständischen Betrieben<br />
hätten Wechsel stattgefunden. Ehemalige<br />
Mitglieder der SED können auf weniger<br />
Schonung rechnen als ehemalige Mitglieder<br />
von Blockparteien, von denen nicht wenige<br />
nach der Wende in höchste Staats- und<br />
Verwaltungsämter gelangten.<br />
Keine Gleichsetzung<br />
Benz widersprach der These, die Bewertung<br />
des Stasi-Komplexes und die Entnazifizierung<br />
seien gleichzusetzen; in der Behandlung<br />
und Aufarbeitung gebe es große Unterschiede.<br />
Die Vergangenheitsbewältigung in<br />
der BRD war 1948 abgeschlossen und war<br />
eher eine Rehabilitierung der Schuldigen als<br />
eine Sühne. Was jetzt in den neuen Bundesländern<br />
als Aufarbeitung bezeich<strong>net</strong> werde,<br />
ähnele sehr den Maßregelungen und Verfolgungen<br />
republikanischer Beamter,<br />
Funktionären linker Parteien und Gewerkschaften<br />
im Jahre 1933.<br />
Die Vorträge und die Diskussion hat nicht<br />
alle Fragen beantworten können, dafür sind<br />
die Themen zu vielschichtig, aber es bleibt<br />
das Verdienst der Veranstalter und ihres<br />
Vorsitzenden, einen Anfang eingeleitet zu<br />
haben.<br />
F. Demokrit
Die erste internationale Konferenz für Umweltschutz<br />
Reden – Beobachtungen – Interview<br />
Meine Damen und Herren,<br />
von dieser Konferenz in Rio de Janeiro<br />
muß eine Botschaft ausgehen – die Botschaft<br />
der Solidarität, der gleichberechtigten<br />
Partnerschaft aller Völker und der gemeinsamen<br />
Verantwortung für die eine<br />
Welt. Wir leben in einer Zeit dramatischer<br />
Veränderungen. Wir in Deutschland haben<br />
in besonderer Weise erfahren, welch große<br />
Chance um die Herausforderung dies für<br />
uns alle bedeutet.<br />
Dies aufnehmen heißt auch: Weltweiten<br />
Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung<br />
durch gemeinsames Handeln von Industrie-<br />
und Entwicklungsländern zu sichern.<br />
Die Industrieländer müssen sich dabei<br />
ihrer besonderen Verantwortung bewußt<br />
sein. Wir sind deshalb gefordert,<br />
künftig weit sorgsamer als bisher mit den<br />
natürlichen Ressourcen umzugehen. Wir<br />
müssen vorhandene technologische Möglichkeiten<br />
besser ausschöpfen und neue<br />
umweltgerechte Techniken entwickeln.<br />
Diese Kenntnisse wollen wir auch einsetzen,<br />
um den Entwicklungsländern bei ihrer<br />
Entwicklung zur Seite zu stehen. dafür<br />
brauchen sie <strong>unsere</strong> Unterstützung.<br />
Entscheidend dafür sind auch nationale<br />
und internationale Rahmenbedingungen,<br />
die eine ökologisch verträgliche Entwicklung<br />
sichern. Deshalb will ich meinen Beitrag<br />
für einen erfolgreichen Abschluß der<br />
GATT-Verhandlungen leisten. Diese<br />
Konferenz hat gute Fortschritte gemacht.<br />
Wir haben einen Prozeß neuer welt<strong>weiter</strong><br />
Partnerschaft in Gang gebracht.<br />
Die Agenda 21, die Rio-Deklaration und<br />
die Erklärung zu Wäldern sind eine tragfähige<br />
Grundlage für <strong>weiter</strong>e konkrete Maßnahmen.<br />
Die Konvention zur Artenvielfalt<br />
und die Klimaschutzkonvention <strong>werden</strong><br />
zu einem wirksameren globalen Schutz<br />
der Umwelt beitragen. Deshalb werde ich<br />
beide Konventionen hier unterzeichnen.<br />
In den kommenden Jahren müssen <strong>weiter</strong>e<br />
Schritte zur Reduzierung der Treibhausgase<br />
folgen. Deutschland hat als erstes großes<br />
Industrieland für das Jahr 2005 das<br />
Ziel einer Reduzierung der CO2-Emissionen<br />
um 25 bis 30 Prozent beschlossen. Wir<br />
sehen dies als Signal für ein gemeinsames<br />
Vorgehen aller Industriestaaten. Ich lade<br />
zur ersten Folgekonferenz der Klimaschutzkonvention<br />
nach Deutschland ein.<br />
Der Schutz der Wälder weltweit ist mir<br />
seit langem ein besonderes Anliegen, und<br />
ich begrüße deshalb auch die Initiative von<br />
Präsident George Bush. Ich hoffe, daß wir<br />
trotz aller Schwierigkeiten eine Waldkonvention<br />
erreichen <strong>werden</strong>. Diese wird zusammen<br />
mit der beabsichtigten Wüstenkonvention<br />
zur Erhaltung <strong>unsere</strong>r Lebensgrundlangen<br />
beitragen.<br />
Wir Deutschen stehen nach der Wiedervereinigung<br />
<strong>unsere</strong>s Vaterlandes vor besonderen<br />
Herausforderungen:<br />
1. Wir stehen in der Verantwortung gegenüber<br />
17 Millionen Landsleuten, die sich<br />
für die Freiheit und für die Einheit <strong>unsere</strong>s<br />
Landes entschieden haben. Sie verlangen<br />
nun zurecht gleiche Chancen auch für ihre<br />
Zukunft. Die verlangt von uns große Anstrengungen.<br />
2. Deutschland empfindet gegenüber seinen<br />
Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa<br />
eine besondere Verantwortung.<br />
Wir unterstützen deshalb den demokratisch<br />
und wirtschaftlichen Aufbau in diesen<br />
Ländern mit einem großen Hilfsprogramm.<br />
3. Trotz dieser großen Anstrengungen sind<br />
wir fest entschlossen, <strong>unsere</strong>r Verantwortung<br />
für die Entwicklungsländer gerecht<br />
zu <strong>werden</strong>. Wir wissen, daß dies auch ein<br />
Beitrag zur Sicherung <strong>unsere</strong>r eigenen Zukunft<br />
ist. Wir bekennen uns deshalb zur<br />
Verstärkung der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
und bestätigen ausdrücklich das<br />
0,7-Prozent-Ziel. Wir wollen so bald wie<br />
möglich erreichen, daß hierfür 0,7 Prozent<br />
des Bruttosozialprodukts eingesetzt <strong>werden</strong>.<br />
Dabei weise ich darauf hin, daß die<br />
Hilfen Deutschlands für seine östlichen<br />
Nachbarn angemessen zu berücksichtigen<br />
sind. Deutschland schlägt für globale Umweltmaßnahmen<br />
eine Aufstockung der<br />
AUSLAND<br />
Streiflichter von der UNCED<br />
Unser Autor, Axel Brodehl, wurde in Bonn mit dem Preis „Jugend forscht“ ausgezeich<strong>net</strong>. Er sprach in Bonn bei<br />
der Preisverleihung Bundeskanzler Kohl an und bat darum, mit auf die Umweltkonferenz nach Rio de Janeiro<br />
fahren zu dürfen. Kohl verwies ihn an das Bundespresseamt, und dies verlangte eine Akkreditierung als Journalist.<br />
Ein Freund engagierte sich und fragte beim stolzen Darmstädter Echo an, bekam wie erwartet einen Korb<br />
verpaßt, und besann sich dann auf die „Zeitung für Darmstadt“. So eine Akkreditierung ist ein Stück Papier,<br />
bedeutet nicht viel Arbeit, und warum sollte man einem Jungendlichen nicht die Möglichkeit geben? Zu <strong>unsere</strong>r<br />
großen Überraschung kam dann ein Fax nach dem anderen.<br />
„Drängende Menschheitsfragen“<br />
Rede von Bundeskanzler Kohl vor der UNCED<br />
globalen Umweltfazilität (GEF) um drei<br />
Milliarden Sonderziehungsrechte vor. Wir<br />
sind bereit, <strong>unsere</strong>n Anteil dazu zu leisten<br />
und bitten die anderen Industrieländer,<br />
ebenso zu handeln. Wir wollen, daß bei<br />
der Vergabe dieser Mittel die Entwicklungsländer<br />
einen angemessenen Einfluß<br />
erhalten. Deutschland hat in der Vergangenheit<br />
bereits in großem Umfang Schuldenerlasse<br />
gewährt. Bisher haben wir auf<br />
Forderungen von rund neuen Milliarden<br />
DM verzichtet. Weitere Entschuldungen<br />
zugunsten ärmerer Länder gegen entsprechende<br />
Umweltschutzmaßnahmen wollen<br />
wir gemeinsam mit anderen Staaten vornehmen.<br />
Die Entwicklungsländer sollen damit zusätzliche<br />
Möglichkeiten erhalten, ihre<br />
wirtschaftliche und soziale Entwicklung<br />
im Einklang mit der Natur voranzubringen.<br />
Eine gute Entwicklung ist nur möglich,<br />
wenn wir die Gegensätze nicht nur zwischen<br />
den Völkern abbauen, sondern auch<br />
zwischen Mensch und Natur. Eine friedliche<br />
Zukunft der Menschheit wird nur gesichert<br />
sein, wenn wir auch den Frieden mit<br />
der Natur finden.<br />
Dieser Erdgipfel belegt auch, wie wichtig<br />
es war, daß ich 1988 beim Wirtschaftsgipfel<br />
in Toronto angeregt habe, den globalen<br />
Umweltschutz zu einem ständigen Anliegen<br />
der sieben Industrienationen zu machen.<br />
Kommende Generationen <strong>werden</strong> unser<br />
Handeln in erster Linie daran messen, ob<br />
wir <strong>unsere</strong>r Verpflichtung zur Bewahrung<br />
der Schöpfung und auch zur Bekämpfung<br />
der Armut nachgekommen sind. In ihrem<br />
Interesse wollen wir alle diese lebenswichtige<br />
Aufgaben fortan in den Mittelpunkt<br />
der internationalen Politik stellen.<br />
Dieses Treffen von Rio hat uns dabei vorangebracht.<br />
Wir haben einen dynamischen<br />
Prozeß eingeleitet, der uns in welt<strong>weiter</strong><br />
Partnerschaft bei der Lösung der drängenden<br />
Zukunftsfragen der Menschheit voranbringen<br />
wird. Die Bundesrepublik<br />
Deutschland bekennt sich zu dieser Verantwortung.<br />
Was will Bush<br />
in Rio?<br />
Vor der UNCED in Rio versprach der<br />
Präsident der USA, George Bush, daß er<br />
bereit sei, den Betrag der internationalen<br />
Umwelthilfe um 66% gegenüber 1990 zu<br />
steigern, wenn es der Kongress billige.<br />
Bush vergaß zu erwähnen, daß dies<br />
lediglich 732 Mio US$ bedeutet, die USA<br />
aber eine Ausgabe von 27,28 Mrd. US$<br />
jährlich versprechen müßten, um das Ziel<br />
der UNO von 0,7 % des Bruttosozialprodukts<br />
zu erreichen.<br />
Andrew Lees von der Organisation<br />
Freunde der Internationalen Erde meinte<br />
dazu, Bush setze seinen Ehrgeiz, wiedergewählt<br />
zu <strong>werden</strong>, höher als seine Sorgen<br />
um die Umwelt. Er spreche darüber,<br />
den Pla<strong>net</strong>en zu retten, anstatt seine Weigerung<br />
zu begründen, weshalb er das Klima-<br />
und Artenschutzabkommen nicht<br />
unterschreiben wolle. Bush begründet<br />
seine Haltung mit den Interessen der<br />
amerikanischen Wirtschaft und blockiere<br />
der Hoffnungen auf eine weltweite Entwicklung.<br />
Bushs Feindseligkeit gegenüber staatlicher<br />
Kontrolle wurde deutlich in seiner<br />
Beschreibung der Umwelt- und Gesundheitskrisen<br />
Osteuropas. Er unterschreibe<br />
nicht, weil durch eine solche Handlung<br />
der Fortschritt der Biotechnologie<br />
gehemmt werde.<br />
So stellt sich die Frage,warum er in Rio<br />
auf der UNCED überhaupt erschienen ist.<br />
Kam er weil alle Staatschefs sich versammelt<br />
haben und ein Fortbleiben auffallen<br />
würde? Oder war es ein Zugeständnis an<br />
bevorstehende Präsidentschaftswahlen?<br />
Die Entwicklungsländer zeigen keinerlei<br />
Verständnis.Nur Kohl äußert eine wohlwollende<br />
Meinung über Bush .<br />
500 Jahre Amerika im Darmstädter Konsumtempel (Foto as)<br />
Interview mit Sambias<br />
Umweltminister Keli Walubita<br />
Keli Walubita Sambias Minister für<br />
Umwelt und Fossilien, erklärte, daß er vor<br />
der UNCED keine Vorstellung gehabt hätte<br />
über das, was auf ihn zukomme. Er hätte<br />
noch nicht einmal gewußt, ob es möglich<br />
sei, so eine Veranstaltung zu verwirklichen.<br />
Auch hätte er keine Vorstellung<br />
gehabt, wie groß die Zahl der Staaten und<br />
die der Teilnehmer sein könnte. Es sei das<br />
erste Mal, daß der Mensch von überall<br />
zusammen käme, um über die Erde und<br />
ihre Zukunft zu beraten. Die Erdenbewohner<br />
verhandelten über ihre eigene Existenz.<br />
Viele der Umweltminister diskutierten<br />
jeweils nicht nur zum Wohl des eigenen<br />
Volkes.<br />
Ob sein Volk über die Umweltprobleme<br />
informiert ist? Die Bevölkerung seines<br />
Landes wäre gut informiert – nicht zuletzt<br />
durch ihn. Er sei der erste Umweltminister<br />
von Sambia. Vor seiner Regierung hätte<br />
30 Jahre Kaunda die Macht gehabt bis<br />
1991. Sie hätten nach der Machtübernahme<br />
ein nationales Umweltkonzil gegründet<br />
und würden sich jetzt für die Bewahrung<br />
der Umwelt und um die Kontrolle<br />
über die Verschmutzung kümmern. Vor<br />
der UNCED habe sich die Regierung mit<br />
non-governmental organizations wie Greenpeace,<br />
world-wildlife-found und anderen<br />
zusammengesetzt, um für die Bevölkerung<br />
einen Bericht zu schreiben, der jede<br />
Ecke des Lande erreicht habe.<br />
Was die Europäer für sein Land tun können?<br />
Europa spiele eine wichtige Rolle, es<br />
habe die Technologie. Diese sollten die<br />
Staaten der G77-Länder versuchen zu<br />
kopieren. Er wünscht von den Industrienationen,<br />
daß sie die Abkommen unterzeichnen,<br />
denn sie hätten die Technologie und<br />
die Erfahrung und gerade von dieser wollten<br />
sie profitieren. Denn die Industriestaaten<br />
wüßten genau, wie die Probleme gelöst<br />
<strong>werden</strong> könnten.<br />
Welches die Hauptprobleme seines Landes<br />
sind? Da gebe es zum Beispiel die vielen<br />
Minen. Die Maschinen seien alt und<br />
Ursache für erhebliche Luftverschmutzung.<br />
Oft hätten sie Smog. Auch hätten sie<br />
sehr viel Sulfatoxygen in der Luft.<br />
Dadurch würden viele Pflanzen geschädigt<br />
und Krankheiten wie Hautallergien und<br />
rote Augen würden auftreten. Auch die<br />
Ein <strong>weiter</strong>er schwarzer Tag in der<br />
Geschichte der zivilisierten Menschheit –<br />
wieder ist ein menschliches Wesen planmäßig<br />
auf einer Art elektrischem Grill zu<br />
Tode gequält worden, um die niederen<br />
Instinkte der fehlgeleiteten Mehrheit einer<br />
Nation zufriedenzustellen, die sich gern in<br />
der Rolle des Weltgewissens sieht.<br />
War Roger Keith Coleman ein Mörder?<br />
Das ist keineswegs klar, betrachtet man all<br />
die Beweise, die unter verfahrenstechnischen<br />
Vorwänden nicht mehr zugelassen<br />
Verschmutzung des Wassers sei eines der<br />
Hauptprobleme, so würden zum Beispiel<br />
alle Abwässer der Firmen in den Hauptfluß<br />
geleitet. Aus diesem holt die Bevölkerung<br />
das Wasser für den täglichen<br />
Gebrauch. Walubita ist der Ansicht, daß er<br />
von der UNCED mit noch offeneren<br />
Augen zurückkommen werde und seinem<br />
Volk noch mehr helfen könnte. Auch habe<br />
er viele Kontakte geknüpft, von denen er<br />
sich verspräche, daß er auch nach der Konferenz<br />
auf Hilfe hoffen könne.<br />
Nach seiner Rückkehr wolle er in seinem<br />
Land nur noch organische Schädlingsbekämpfungsmittel<br />
verteilen lassen. Da<br />
sein Land darüberhinaus so gut wie keinen<br />
Wald mehr habe, weil er als Holz verkauft<br />
und Brandrodung betrieben worden sei. Er<br />
wolle jetzt viele neue Bäume pflanzen lassen.<br />
Dabei arbeite er schon mit den Amerikanern<br />
„Hand in Hand“.<br />
Was er von der finanziellen Unterstützung<br />
Europas hält?<br />
Sambia, so Walubita, erhalte Hilfe von<br />
vielen Ländern, so daß er garnicht böse<br />
über die finanzielle Unterstützung anderer<br />
sein könnte; auch wenn einige meinten,<br />
alle afrikanischen und anderen Entwicklungsländer<br />
müßten dies sein. Auch würden<br />
sich viele UN-Organisationen um das<br />
Wohl der Menschen und der Natur – was<br />
man nicht getrennt sehen dürfe – in Sambia<br />
kümmern. <strong>Und</strong> es käme noch die<br />
Unterstützung durch die Banken dazu.<br />
Seine Mitteilung an die Welt: Es ist das<br />
erste Mal, daß Menschen von der ganzen<br />
Erde zusammenkommen seien und einen<br />
Sinn im Zusammenhandeln sähen. Jeder<br />
Punkt von den Verhandlungen der<br />
UNCED müsse verfolgt <strong>werden</strong>, um die<br />
Menschheit zu bewahren und die Mutter<br />
Erde so zu verlassen, wie wir sie vorgefunden<br />
hätten. Unseren <strong>Kinder</strong>n und Enkelkindern<br />
müßten wir die Chancen geben,<br />
die wir hatten. Die Industriestaaten sollten<br />
ihr Vergnügen genau kennen und gut überlegt<br />
einsetzen, um das Gute, das sie besitzen,<br />
zu ehren. Wichtigster Punkt der Konferenz<br />
sei die Agenda 21, die über die allgemeinen<br />
Prinzipien wie mit der Umwelt<br />
umgegangen wird, bestimmt. Diese Akte<br />
würde die Menschen in Zukunft leiten.<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 8<br />
Mörderische Gerechtigkeit<br />
Zum Tod von Roger Keith Coleman<br />
wurden. Es ist schrecklich einfach: Coleman<br />
war ziemlich chancenlos, denn er<br />
konnte keinen erfahrenen, ehrgeizigen,<br />
teuren Anwalt bezahlen. Wer in den USA<br />
(und nicht nur dort) nicht reich – an Geld<br />
und/oder Beziehungen – ist, hat schlechte<br />
Chancen, Präsident zu <strong>werden</strong> – oder dem<br />
Gefängnis zu entrinnen, in das er, unschuldig<br />
oder nicht, geraten ist.<br />
<strong>Und</strong> wenn er ein Mörder war: hat er eine<br />
solche Strafe verdient? Wanda McCoy,<br />
das Mordopfer, mußte vor ihrem gewaltsamen<br />
Tod eine schreckliche halbe Stunde<br />
leiden; Coleman hat zehn Jahre lang täglich<br />
auf den Tod gewartet. Hat irgendjemand<br />
eine solche Strafe verdient?<br />
Es ist ein trauriges Faktum: seit es Menschen<br />
gibt, wird gemordet. Ein Mensch<br />
tötet einen anderen Menschen: ein Individuum<br />
mit einem Defizit an Werteorientierung,<br />
seelisch krank oder von üblem Trieb<br />
gelenkt, verletzt ein Prinzip, das für das<br />
Zusammenleben in der Gesellschaft unerläßlich<br />
ist – zumindest in der Daseinsform,<br />
die wir als Frieden bezeichnen. Schließlich<br />
gestattet diese Gesellschaft Ausnahmen,<br />
genannt Krieg oder Notwehr – und spricht<br />
dann nicht mehr von Mord, zu dem ja nach<br />
juristischer Definition die niedrigen<br />
Beweggründe gehören.<br />
Das Gebot „Du sollst nicht töten“ ist eine<br />
sehr einfache Regel, die nicht nur für Christen<br />
– auch solche der doppelmoralischen<br />
Art – universale Gültigkeit beansprucht.<br />
Wer die Ermordung des Mörders für einen<br />
moralischen Akt hält, befindet sich im Irrtum<br />
– hier findet der Umschlag in die<br />
Unmenschlichkeit statt.<br />
Die Todesstrafe ist unmoralisch, und nutzlos<br />
ist sie auch. Wanda McCoy wird durch<br />
den zusätzlichen, ebenso sinnlosen Tod<br />
Roger Colemans nicht wieder lebendig,<br />
und die Zahl der Morde wird auch nicht<br />
abnehmen.<br />
Keine Gesellschaft kann einem Gesetz<br />
Respekt verschaffen, in dessen Namen sie<br />
töten läßt. Wenn Menschenrechte respektiert<br />
<strong>werden</strong> sollen, darf die Justiz sich<br />
nicht selbst gegen sie vergehen – durch<br />
sinnlosen, gnadenlosen, institutionalisierten<br />
Mord. Roger Coleman: war er ein<br />
Mörder? Wir <strong>werden</strong> es wohl nie erfahren.<br />
Die Richter, die diesen Menschen zum<br />
Tode verurteilt haben, die ehrenwerten,<br />
furchtbaren alten Männer vom Supreme<br />
Court (samt der Alibi-Frau und dem Alibi-<br />
Schwarzen), die populären Kopf-ab-Politiker<br />
und Wahlstrategen, der Gouverneur,<br />
der zuletzt die Begnadigung ablehnte: wie<br />
nennen wir sie?<br />
Peter Horn<br />
Die Vita<br />
Roger Keith Coleman, 33 Jahre alt,<br />
starb am 20. Mai 1992 im Gefängnis<br />
von Jarratt im US-Bundesstaat Virginia<br />
auf dem elektrischen Stuhl. Er<br />
hatte bis zum letzten Augenblick seine<br />
Unschuld beteuert. Namhafte<br />
Rechtsgelehrte hatten sich für ihn eingesetzt<br />
und Bürgerrechtsgruppen<br />
Tausende von Unterschriften gesammelt.<br />
Er wurde schuldig gesprochen, im<br />
März 1981 seine Schwägerin Wanda<br />
McCoy vergewaltigt und ermordet zu<br />
haben. Verurteilt wurde Coleman in<br />
einem Indizienprozeß, der viele<br />
Ungereimtheiten aufwies. Vertreten<br />
wurde er von einem unerfahrenen,<br />
überforderten Pflichtverteidiger.<br />
Dieser hatte eine Frist um einen Tag<br />
verpaßt, so daß ein Berufungsverfahren<br />
auf Grund neuer Beweise nicht<br />
zustande kam.<br />
Colemans Hinrichtung war die 174. ,<br />
seit der Supreme Court, der oberste<br />
Gerichtshof der Vereinigten Staaten,<br />
1976 die Todesstrafe für verfassungsgemäß<br />
erklärt hatte. In den folgenden<br />
Jahren hatten die Richter des Supreme<br />
Court eine große Zahl der von<br />
ihnen überprüften Todesurteile aufgehoben.<br />
Seit in den der Amtsperioden<br />
der Präsidenten Reagan und Bush die<br />
liberaleren der obersten Richter ausgewechselt<br />
worden sind, <strong>werden</strong><br />
immer mehr Todesurteile vollstreckt.<br />
In den USA <strong>werden</strong> zur Zeit pro Jahr<br />
bei etwa 20.000 Tötungsdelikten rund<br />
250 Menschen zum Tode verurteilt.<br />
Umfragen zufolge befürworten über<br />
drei Viertel der US-Bevölkerung die<br />
Todesstrafe. Der „Spiegel“ führte die<br />
neuerliche Vollstreckungswelle auf<br />
den bevorstehenden Wahlkampf zurück,<br />
in dem konservative Härte<br />
Trumpf sein soll.
„Ich war an Mordanschlägen beteiligt“<br />
Der als Terrorist der Roten Armee Fraktion<br />
(RAF) verurteilte Peter-Jürgen Boock hat<br />
jetzt begründet, warum er sich während seines<br />
laufenden Gnadenverfahrens zur Beteiligung<br />
an Anschlägen und Morden bekannt<br />
Lieber Klaus,<br />
ich schiebe diesen Brief schon einige Tage<br />
vor mir her, denn es fällt mir schwer, einen<br />
Anfang zu finden. Ich habe mich so lange<br />
bei dir/euch nicht mehr gemeldet, weil ich<br />
mich geschämt habe. Ich habe in der Vergangenheit,<br />
was meine Beteiligung an den<br />
RAF-Mordanschlägen angeht, dich und alle<br />
anderen belogen. Aus Angst, aus Feigheit<br />
und aus der Unfähigkeit heraus, noch zu<br />
den mörderischen Taten zu stehen, an<br />
denen ich aktiv beteiligt war, habe ich mich<br />
Lieber Peter-Jürgen Boock,<br />
Deinen Brief vom 13. Mai 1992 haben wir –<br />
leider zeitgleich mit den Veröffentlichungen<br />
im SPIEGEL und den Tageszeitungen vom<br />
18. Mai 1992 – erhalten. Befremdet hat uns<br />
dieser Brief insofern, als er sich wie eine Art<br />
„Pflichtübung“ liest: aber dies ist vielleicht<br />
Deiner Gemütsverfassung zuzuschreiben,<br />
und wir wollen auch nicht ausschließen,<br />
daß wir in dieser Sache, in der wir uns über<br />
Jahre außerordentlich engagiert – und<br />
gleichsam auch für die Wahrheit Deiner Angaben<br />
verbürgt haben, uns ganz persönlich<br />
getäuscht und dabei auch verletzt fühlen.<br />
Wie dem auch sei:<br />
Daß etwas „im Busche“ war,<br />
ahnten wir seit den gerichts- und<br />
öffentlichkeitsbekannten Aussagen<br />
von Susanne Albrecht u.a.,<br />
die infolge der Entwicklungen in der<br />
ehemaligen DDR gefaßt worden<br />
und die teilweise auch als<br />
„Kronzeugen“ aufgetreten sind.<br />
Wir haben Dir seinerzeit je getrennt und<br />
miteineinder unabgesprochen ähnlich<br />
argumentierende Briefe geschrieben<br />
(Herbst 1990). In denselben haben wir Dir<br />
unser Interesse zur Wiederaufnahme der<br />
von Dir etwa 1988 abgebrochenen Kommunikation<br />
signalisiert, vorsichtige Fragen<br />
gestellt, aber zugleich auch mitgeteilt, daß<br />
wir nicht aufgrund neu bekannt gewordener<br />
Fragen oder gar Tatsachen alles, was wir im<br />
Zusammenhang der Stammheimer Prozesse<br />
vertreten haben, im „neuen Lichte“ für<br />
falsch und unvertretbar halten könnten.<br />
Eher im Gegenteil: uneingeschränkt galt<br />
und gilt Dein für die damaligen Verhältnisse<br />
früher und konsequenter Bruch zum RAF-<br />
Terrorismus, also Dein Aussteigen, noch<br />
bevor Du verhaftet wurdest. Deshalb ist es<br />
schade, daß Du auf <strong>unsere</strong> Briefe nicht<br />
geantwortet hast.<br />
Nun ist es infolge Deiner Aussagen wohl<br />
zur Gewißheit geworden (denn prinzipiell<br />
müssen Selbstentschuldigungen nicht richtiger<br />
oder falscher sein als Selbstbezichtigungen).<br />
Du hast 1977 an viel mehr Terroraktionen<br />
der RAF teilgenommen, als Du das<br />
Gericht, Deine Verteidiger und uns wie viele<br />
andere hast glauben machen wollen. Du<br />
hast getötet. Wir haben wie viele andere<br />
auch Deinen Aussagen im Kern geglaubt.<br />
Wir fanden sie stimmig und überzeugend.<br />
Mit <strong>unsere</strong>n bescheidenen Mitteln, die aber<br />
für uns und für das Komitee für Grundrechte<br />
und Demokratie ziemlich aufwendig<br />
waren, ja zuweilen fast die Grenze <strong>unsere</strong>r<br />
Kraft erreichten, haben wir deswegen auch<br />
andere davon zu überzeugen versucht, daß<br />
sie sich auf Deine Aussagen verlassen<br />
könnten. Etwa im Falle der Familie von<br />
Braunmühl, aber auch in öffentlichen<br />
Erklärungen, Publikationen und einer in diesem<br />
Falle sehr umfangreichen Korrespondenz<br />
mit besorgten Bürgerinnen und Bürgern.<br />
Nun, wir haben uns selbst getäuscht und<br />
sind von Dir getäuscht worden. Deswegen<br />
verachten wir Dich nicht. Wie könnten wir?!<br />
Verachtung ist ohnehin eine Stimmung und<br />
eine Haltung, die uns fremd ist, weil wir sie<br />
nicht mit <strong>unsere</strong>m menschenrechtlichen<br />
Politikverständnis in Übereinstimmung<br />
hat. An den Sprecher des Komitees für<br />
Grundrechte und Demokratie, Klaus Vack<br />
(Sensbachtal), schrieb er aus seiner Hamburger<br />
Haftanstalt einen Brief, den wir im<br />
Wortlaut veröffentlichen:<br />
bringen könnten. Wir sind aber als selbstund<br />
fremdgetäuscht ziemlich traurig darüber,<br />
daß die zwischen uns damals aufgekeimte,<br />
zeitweise fast aufgeblühte Freundschaft<br />
es Dir nicht erlaubt hat, uns reineren<br />
Wein über Deine Vergangenheit einzuschenken.<br />
Freilich: Die von uns vielleicht zu<br />
wenig beachteten Hindernisse dafür, die<br />
ganze Wahrheit zu sagen, waren hoch.<br />
Sicher stehen wir jetzt, stehen alle, die sich<br />
uneingeschränkt und uneigennützig für<br />
Dich verwendet haben, nicht gerade gut da.<br />
Vor allem aber bedauern wir, daß Du Deine<br />
eigene Sache erheblich erschwert hast,<br />
wenngleich die Stimmung der kalten<br />
Rache, die gerade Dein Stammheimer Verfahren<br />
durchatmete, ein wenig gedämpfter<br />
geworden zu sein scheint.<br />
Es wäre falsch und wir verhielten uns Dir<br />
gegenüber unehrlich, wenn wir Dir über<br />
<strong>unsere</strong> Reaktionen auf Deine Offenbarungen<br />
ein X für ein U vormachten. Wir können<br />
darüber nicht einfach mit den Achseln<br />
zucken und zur Tagesordnung übergehen.<br />
Freilich: Ebenso falsch wäre es, wir würden<br />
Dir gegenüber nun als selbsternannte neue<br />
Ankläger auftreten und uns darüberbeklagen,<br />
daß wir Dir vertraut haben und daß wir<br />
für Deine Sache, genauer, für Deine Person<br />
eingetreten und uns für Dich verbürgt<br />
haben. Aus ähnlichen Motiven,wie sie Heinrich<br />
Hannover in seinem Interview mit<br />
Ingrid Müller-Münch geäußert hat, dürfen<br />
wir bei aller Enttäuschung und Trauer die<br />
damalige Situation, beginnend mit Deiner<br />
Festnahme 1981, nicht aus dem Blick verlieren.<br />
Das Stammheimer Verfahren, bestimmt<br />
von Bundesanwaltschaft und Gericht, war,<br />
angefangen mit dem Ort, Mehrzweckgebäude<br />
und Haftanstalt Stammheim, nie zu<br />
akzeptieren. Es ist auch rückwärtig im Lichte<br />
heutiger Einsichten, Deinen Aussagen,<br />
nicht zu verteidigen.<br />
Hier wurde ein gnadenloser Prozeß<br />
in Szene gesetzt, der das anklagende<br />
und urteilende Tribunal selbst<br />
verurteilte.<br />
Jedenfalls galt und gilt diese Beurteilung<br />
dann, wenn menschenrechtliche Maßstäbe<br />
angelegt <strong>werden</strong>: uneingeschränkt selbst<br />
wenn man berücksichtigt, daß Du an terroristischem<br />
Mord direkt beteiligt warst.<br />
Du und Deine Verteidigung hatten von<br />
Anfang an nicht die Spur einer Chance. <strong>Und</strong><br />
du hattest auch, das haben wir uns seinerzeit<br />
zu wenig klargemacht, nicht viele Chancen,<br />
Dich zu verteidigen, ohne abgrundtief<br />
zu täuschen. Wie solltest Du Dich auch ins<br />
Freie sprechen können, der Du nach<br />
schlimmer Fürsorgeerziehung bei der RAF<br />
gelandet, eine totale Situation, die der RAF,<br />
nach kurzem verborgenem Zwischenspiel<br />
mit einer nächsten, die der Anklage und des<br />
Prozesses, austauschtest? Untersuchungshaft,<br />
Anklage und Gericht ließen Dir nicht<br />
einen Deut der „fairen Chance“, von der der<br />
seinerzeitige Innenminister Baum zwar<br />
gesprochen hatte, aber keine Taten folgen<br />
ließ.<br />
Wir aber, von dem überaus angetan, wie Du<br />
der RAF aufgekündigt hattest, wie Du Dich<br />
einem anderen Wirklichkeits- und Politikverständnis<br />
zuzuwenden suchtest, wollten<br />
vielleicht auch zu sehr glauben, gerade<br />
OFFENE BRIEFE<br />
Briefwechsel: RAF-Mitglied Boock und Klaus Vack<br />
in ein Netz aus Halbwahrheiten und Lügen<br />
geflüchtet und damit der Sache großen<br />
Schaden zugefügt.<br />
Nach dem Zusammenbruch der DDR und<br />
der Rückkehr der Aussteiger aus der RAF<br />
habe ich mich vor einigen Wochen entschieden,<br />
nun endlich reinen Tisch mit meiner<br />
Sache zu machen und umfassend gegenüber<br />
der Bundesanwaltschaft auszusagen.<br />
Allerdings bin ich nach wie vor nicht<br />
bereit, andere RAF-Mitglieder zu belasten<br />
und ich will auch keine Kronzeugenregelung<br />
für mich in Anspruch nehmen. Ausschlaggebend<br />
für meine Entscheidung war<br />
das neue Ermittlungsverfahren gegen Angelika<br />
Speitel wegen einer unterstellten Beteiligung<br />
an der Schleyer-Entführung. Nur<br />
zu sagen, daß sie daran nicht beteiligt war,<br />
aber ansonsten zu schweigen, hätte nicht<br />
ausgereicht, sie zu entlasten. Auch bei einigen<br />
der DDR-Rückkehrer, wie etwa dem<br />
Ehepaar Friedrich, deren Geradlinigkeit ich<br />
beeindruckend finde, kann ich nicht einfach<br />
zusehen, wie sie womöglich wegen Taten<br />
verurteilt <strong>werden</strong>, für die ich Mitverantwortung<br />
trage.<br />
Ich war – bis auf den Mordanschlag an<br />
Generalbundesanwalt Buback – an allen<br />
RAF-Anschlägen des Jahres 77 aktiv beteiligt,<br />
ich habe geschossen und muß davon<br />
ausgehen, daß ich auch getötet habe.<br />
„Wir fühlen uns persönlich verletzt und getäuscht“<br />
einen „idealen“ ehemaligen RAF-Angehörigen<br />
getroffen zu haben. Wir haben Dich,<br />
das ist <strong>unsere</strong> eigene Schuld und gehört zu<br />
der Selbsttäuschung, die niemand gerne<br />
eingesteht, zu wenig in Deinen Nöten, zu<br />
wenig in den von uns ansonsten zu Recht<br />
heftig kritisierten Zwängen gesehen. In der<br />
totalen Institution Untersuchungshaft dieser<br />
Art und in der totalen Situation Stammheimer<br />
Gerichtsverfahren wäre eine innere<br />
Kraft erforderlich gewesen, von der niemand<br />
vorab behaupten kann, über dieselbe<br />
zu verfügen. <strong>Und</strong> wie solltest gerade Du<br />
solche besitzen, nach solchem Aufwachsen<br />
und solchem Verstrickt<strong>werden</strong> in schlimme<br />
Schuld?<br />
Jedoch:<br />
Kein Schwamm drüber.<br />
Gerade wir, die wir auch ansonsten<br />
das gute Gedächtnis hochhalten,<br />
können nicht einfach, Schatten<br />
verwischend, zur Tagesordnung<br />
übergehen.<br />
Solcher Art würden wir verfahren, wenn<br />
wir vor einem scheinbar klaren Entweder-<br />
Oder kapitulierten. Entweder, so könnte die<br />
einfache, aber auch falsche Schlußfolgerung<br />
lauten, wir tun so, als sei nichts<br />
geschehen und werten Deine späte Aussage<br />
als vernachlässigbar. Für diese Konsequenz<br />
spräche, daß der Schwarze Peter vor<br />
allem bei der Bundesanwaltschaft dem<br />
Gericht und hinter beiden der uneinsichtigen<br />
Politik liegt. Sie haben nicht nur, das<br />
gilt ausweislich der besten Terrorismus-<br />
Studien für die etablierte Politik, die Bedingungen<br />
der Möglichkeit für die verhängnisvollen<br />
terroristischen Taten mitgeschaffen.<br />
Sie haben vielmehr durch die Art der Verfolgung<br />
von RAF und kleinem Umkreis dazu<br />
beitragen, daß Augenmaßlosigkeit und<br />
Gnadenlosigkeit Trumpf wurden, ja, daß die<br />
RAF vor allem aus den Bedingungen der<br />
Hochsicherheitstrakte und der Haftbedingungen<br />
zunächst an tödlicher Kraft zugenommen<br />
hat.<br />
Die „Alternative“ des Oder,<br />
ein Oder <strong>unsere</strong>r Enttäuschung über<br />
Deine Täuschung (und <strong>unsere</strong> zu<br />
verbergende Selbsttäuschung)<br />
durchschlagen zu lassen,<br />
hätte zur Konsequenz, daß wir Dich,<br />
ein schreckliches Wort einem Menschen<br />
gegenüber, „abschreiben.“<br />
Sich so oder so verhalten, wäre für uns<br />
gewiß der „einfachste“ Weg. Einen solchen<br />
jedoch könnten wir vor uns selbst nicht verantworten.<br />
Wählten wir eine der Varianten,<br />
verfolgten wir die Freund-Feind-Politik, die<br />
etablierte Instanzen und RAF so lange, zum<br />
Teil bis heute, negativ aneinander gefesselt<br />
hat. Bis heute halten beide „Partner“ das<br />
Phantasma RAF als eine (pseudo-) politische<br />
Größe am Leben.<br />
Unser Weg kann nur darin bestehen, daß<br />
wir versuchen, mit Dir wieder ins schon<br />
lange unterbrochene Gespräch zu kommen.<br />
Wenn wir hierbei freilich keine gegenseitig<br />
rückhaltlose Offenheit erreichen, dann wäre<br />
alle Gesprächsmühe vergebens. Getrennt<br />
und gemeinsam müssen wir „Vergangenheitsbewältigung“<br />
betreiben, um für<br />
Gegenwart und Zukunft frei zu <strong>werden</strong>.<br />
Lieber Klaus, es tut mir wirklich sehr leid,<br />
daß ich dich und so viele andere mir wohlmeinende<br />
Menschen belogen und mißbraucht<br />
habe. Ich könnte gut verstehen,<br />
wenn du nun mit mir nichts mehr zu tun haben<br />
willst.Ich habe bereits an den Bundespräsidenten<br />
geschrieben und ihm anheim<br />
gestellt, das Gnadengesuch niederzuschlagen.<br />
Auch Heinrich Albertz habe ich inzwischen<br />
schriftlich informiert, ebenso die Familie<br />
von Braunmühl. Was das Geld des Gustav-Heinemann-Preises<br />
angeht, das mir<br />
unter ganz anderen Voraussetzungen zur<br />
Verfügung gestellt wurde, werde ich alles an<br />
das Komitee zurückgeben, sobald mir das<br />
meine finanzielle Situation gestattet.<br />
In der Hoffnung, daß du/ihr mich nicht allzu<br />
sehr verachtet,<br />
dein Peter-Jürgen Boock<br />
Damit wir alles in <strong>unsere</strong>n Kräften Stehende<br />
unternehmen, damit persönlich-politische<br />
Verhältnisse in diesem Lande Bundesrepublik<br />
hergestellt <strong>werden</strong>, die alle Gewaltlösungen<br />
von Konflikten von oben, aber auch<br />
von unten, ausschließen.<br />
An erster Stelle steht in diesem Zusammenhang<br />
das zu befördern, was in Sachen RAF<br />
der ehemalige Bundesjustizminister Kinkel<br />
– eher noch zögerlich – in Bewegung<br />
gebracht hat. Es geht um eine humane und<br />
rationale „Vergangenheitsbewältigung“" in<br />
einem, rund um den „Deutschen Herbst.“<br />
Gefordert ist nicht ein Akt des<br />
Vergessens und Verleugnens,<br />
sondern daß die staatliche Seite<br />
zügig alle Inhaftierten nach meist<br />
jahrzehntelanger Haft entlassen<br />
würde, daß sie eine Chance<br />
„normalen“ Lebens erhalten.<br />
Jedoch ebenso erforderlich wäre es, daß<br />
grundrechtlich nicht akzeptable Strafrechts-<br />
und Strafprozeßrechtsänderungen,<br />
1977 ff. hastig gegen den Terrorismus<br />
zusammengeschustert und nun aIs „Mehrzweckwaffe“<br />
im Kampf gegen all das, was<br />
als „organisierte Kriminalität“ eingesetzt<br />
wird, gründlich revidiert <strong>werden</strong>. Damit<br />
endlich Raum für Politik werde und nicht<br />
Straf- und Polizeirecht falsch engbrüstige<br />
Politik im wörtlichen Sinne armiere.<br />
Darüber auch wollen wir mit Dir sprechen<br />
und hoffen, Dich dafür (wieder?!) zu gewinnen.<br />
Das heißt aber auch, daß wir uns dafür<br />
einsetzen <strong>werden</strong>, daß Dir trotz Deiner Verstrickungen<br />
und schlimmen Taten Recht<br />
geschehe, menschenrechtlich fundiertes<br />
Recht, in dem die Gnade als ein Bestandteil,<br />
nicht als ein Fremdkörper wohnt.<br />
Mit freundlichen Grüßen,<br />
Wolf-Dieter Narr, Klaus Vack<br />
An den Standortkommandanten<br />
Herrn Brigadegeneral<br />
John Costello<br />
Ludwigshöhstraße<br />
Camp Fritsch Kaserne<br />
6100 Darmstadt<br />
Betreff: Lärmbelästigung aus den<br />
Kelly Barracks<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
in letzter Zeit häufen sich wieder die<br />
Besch<strong>werden</strong> der Anwohner aus den<br />
Straßen Forstweg und Am Sandacker über<br />
laute Musik aus dem Kasernengelände. Die<br />
Bewohner beschweren sich darüber, daß<br />
abends und an den Wochenenden in vielen<br />
Fenstern Recorder und Radios aufgestellt<br />
<strong>werden</strong>. Dabei versucht jeder, den anderen<br />
an Lautstärke zu übertreffen.<br />
Die Bewohner fühlen sich in ihrem Ruhebedürfnis<br />
nachhaltig gestört, da gerade in der<br />
Freizeit diese Lärmbelästigung zunehmend<br />
auftritt. Die Bewohner haben nichts gegen<br />
Musik in Zimmerlautstärke, doch Musik in<br />
dieser Lautstärke wird von den Bewohnern<br />
schon fast als Körperverletzung empfunden.<br />
Wir bitten Sie darauf hinzuwirken, daß das<br />
gute Verhältnis zwischen deutschen und<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 9<br />
„Der Feind<br />
der Umwelt<br />
ist die Armut“<br />
An den Magistrat der Stadt Darmstadt<br />
Sehr geehrter Herr Metzger,<br />
endlich beginnt in Rio de Janeiro die Weltkonferenz<br />
über Umwelt und Entwicklung<br />
mit 35.000 Vertretern aus den armen u n d<br />
den reichen Nationen. Erstmalig <strong>werden</strong> die<br />
Armuts- und die Umweltproblematik miteinander<br />
verknüpft, um das Umdenken einzuleiten,<br />
das für das Überleben der Erde<br />
und ihrer Bewohner notwendig ist. „Der<br />
schlimmste Feind der Umwelt ist die<br />
Armut“ (Indira Gandhi).<br />
Noch geht es um den Interessenkonflikt:<br />
Wir in den Industrieländern mit 25% der<br />
Weltbevölkerung verbrauchen 80% der<br />
Weltvorräte und verursachen 80% der Umweltverschmutzung.<br />
Viele <strong>unsere</strong>r Mitbürger<br />
sind daran interessiert, Macht und<br />
Wohlstand der Industrienationen zu erhalten,<br />
während die Vertreter der Entwicklungsländer<br />
das nackte Überleben vor Augen<br />
haben. Die Umweltverschmutzung der<br />
Armen reißt aber keine Ozonlöcher in den<br />
Himmel, sondern bedroht Wasser und Erde<br />
ihrer nächsten Umgebung. Diese weltumspannenden<br />
Probleme bedrohen die ganze<br />
Menschheit.<br />
Durch die Aktionen und Aktivitäten zahlreicher<br />
Darmstädter Bürger mit „Menschen<br />
für Menschen“, Umwelt-, Friedens- und<br />
Dritte-Welt-Gruppen und dem Treffpunkt<br />
Dritte Welt sowie seit 1991 auch durch das<br />
Funkkolleg Humanökologie ist dieses weiten<br />
Kreisen bekannt. Es genügt nicht, dabei<br />
stehen zu bleiben. Wir müssen hier mit dem<br />
Umdenken und Umlenken beginnen. – Zum<br />
guten Gelingen einer Konferenz gehört die<br />
geistige Begleitung und die erklärte Solidarität,<br />
um den politischen Willen der Verhandlungspartner<br />
zu stärken. Wir bitten<br />
deshalb den Magistrat der Stadt Darmstadt<br />
eine Grußadresse an Bundesminister Töpfer<br />
und <strong>unsere</strong> Regierungsvertreter in Rio<br />
zu senden, um das Engagement der Darmstädter<br />
Bürger für die Ärmsten der Armen<br />
zu bekunden. Um dieses Engagement aufzuwerten,<br />
möge der Magistrat beschließen,<br />
einen Beirat für Entwicklung und Umwelt<br />
(nach dem Beispiel der Stadt Oerlinghausen/NRW)<br />
einzurichten. Ein solcher Beirat<br />
müßte die Arbeit der Gruppen koordinieren<br />
und würde dabei ihre Erfahrungen für die<br />
Stadt nutzbar machen. Das entspräche<br />
auch der Empfehlung des Weltentwicklungsberichts<br />
92, einen Entwicklungssicherheitsrat<br />
zu schaffen und dies auf lokaler<br />
Ebene zu unterstützen.<br />
RESULTATE wird mit den oben genannten<br />
Gruppen Kontakt aufnehmen und deren<br />
Unterstützung des Vorschlags herbeizuführen<br />
versuchen. Beim Umwelttag der<br />
Stadt Darmstadt am 6.6. auf dem Luisenplatz<br />
können wir die gesammelten Unterschriften<br />
überreichen.<br />
Janith Loewen, RESULTATE E.V.,<br />
Parkstr. 82, 6100 Darmstadt<br />
Ärger über laute Musik<br />
amerikanischen Mitbürgern nicht durch<br />
derartige Dinge belastet wird.<br />
In der Hoffnung, daß eine nachhaltige und<br />
dauerhafte Lösung gefunden wird, verbleibe<br />
ich<br />
mit freundlichen Grüßen<br />
Rudi Klein, Stadtverord<strong>net</strong>er<br />
Stadtbezirksverband Heimstättensiedlung<br />
Binger Str. 1, 6100 Darmstadt
BRIEFE AN DIE REDAKTION I<br />
Nein, ich habe kein erotisches Verhältnis Vorsicht vor Fusionen<br />
zu meinem Auto…<br />
ich liebe es nicht, damit zu fahren. Ich<br />
unterstütze die Meinung, das Auto ist einer<br />
der größten Feinde <strong>unsere</strong>r Umwelt (nicht<br />
erst seit der Ausstellung „Alptraum Auto“).<br />
Dennoch habe ich an der Demonstration<br />
am vergangenen Freitag, den 22. Mai, nicht<br />
teilgenommen. Warum? Nun, ich gehöre<br />
nicht zu der bevorzugten Minderheit von<br />
Studenten, Schülern oder Beschäftigten im<br />
Öffentlichen Dienst, die sich ihre Zeit frei<br />
einteilen oder freitags um eins die Arbeit<br />
niederlegen können. Ich verlasse meine<br />
Wohnung um 6:30 Uhr und bin normalerweise<br />
gegen 17:30 Uhr wieder in Darmstadt,<br />
gegen 18:00 zu Hause. Auch freitags.<br />
Klar benutze ich normalerweise die HEAG<br />
für den Weg zum Bahnhof und zurück, Eilzug,<br />
S-Bahn. Manchmal aber, da habe ich<br />
abends noch was zu erledigen. <strong>Und</strong> wenn<br />
man weiß, wie die Öffnungszeiten der<br />
Geschäfte und Ämter so sind, dann wird<br />
vielleicht einsichtig, daß ich eben doch<br />
gelegentlich mit dem Auto zum Bahnhof<br />
fahre. (Außerdem schaffe ich größere Einkäufe<br />
im Bau- oder Getränkemarkt einfach<br />
nicht mit der Hand, sorry.) Wie beneide ich<br />
dann Leute wie das Mitglied vom „Bund der<br />
Fußgänger“, die so viel Zeit haben, tagsüber<br />
in der Bahnhofsgegend auf Jagd zu gehen<br />
auf Autos, die (behindernd oder nicht) auf<br />
Gehwegen geparkt sind und diesen Aufkleber<br />
mitten auf die Scheiben kleben, wie<br />
schön, jeder ein kleiner Sheriff!<br />
Nein, ich liebe mein Auto nicht, aber wenn<br />
ich mit meiner vierköpfigen Familie übers<br />
Wochenende nach Saarbrücken zu einer<br />
Feier eingeladen bin, dann schockt mich die<br />
Preisforderung der Bundesbahn. Fürs<br />
Tramper–Monats-Ticket oder den Taschengeldpaß<br />
bin ich leider zu alt, der Senioren-<br />
Paß ist auch noch in <strong>weiter</strong> Ferne, und für<br />
den Familienpaß reisen wir nicht genug.<br />
„Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft<br />
dürfen Opfer von Straftaten nicht im Stich<br />
lassen. Die EG-Konvention des Europarates<br />
muß hierzu nach 15 Jahren des Nichtstuns<br />
endlich unterschrieben <strong>werden</strong>.“ Dies forderte<br />
Prinzessin Anne, Tochter der britischen<br />
Königin, bei der Eröffnung der diesjährigen<br />
Tagung des Forums der Europäischen Opferhilfsorganisationen<br />
(EFVS = European<br />
Forum For Victim Services) in Belfast (Nordirland),<br />
die in Dublin (Irland) fortgesetzt<br />
wurde. Prinzessin Anne, (Schirmherrin der<br />
britischen Opferhilfsorganisation „National<br />
Association For Victim Support Schemes“)<br />
unterstützt damit den Appell von Karl J.<br />
Kärchner (Weißer Ring Darmstadt) und Dieter<br />
Eppenstein (Mainz). Eppenstein, Generalsekretär<br />
des Weißen Ringes, kritisierte, die<br />
von inzwischen 21 der 25 Staaten Europas<br />
unterschriebene Absichtserklärung sei bisher<br />
weder in den Parlamenten behandelt<br />
noch ratifiziert worden.<br />
Das „Forum der Europäischen Opferhilfsorganisationen“<br />
verabschiedete jetzt eine<br />
Resolution an den Europarat, in der die noch<br />
säumigen Unterzeichnerstaaten aufgefordert<br />
<strong>werden</strong>, die Konvention unverzüglich zu ratifizieren.<br />
„Damit soll endlich eine Harmonisierung<br />
der Entschädigung für Kriminalitätsopfer<br />
eingeleitet <strong>werden</strong>“, erklärten Eppenstein<br />
und Kärchner, die für den Weißen Ring an<br />
dem Treffen der Organisationen aus 13 Ländern<br />
teilnahmen. <strong>Und</strong> <strong>weiter</strong>: „So wie sie für<br />
einige Kernstaaten der Europäischen<br />
Gemeinschaft (EG), beispielsweise Deutschland,<br />
Frankreich und Großbritannien, durch<br />
nationale Entschädigungsgesetze und durch<br />
Gegenseitigkeitsabkommen gesichert ist.“<br />
Da sich jedoch auch etliche EG-Staaten noch<br />
mit den entsprechenden Regelungen<br />
schwertun, ermuntert die Europäische<br />
Opferhilfe zudem die EG-Kommission – als<br />
die „Europa-Regierung“ in Brüssel – die<br />
gesetzgeberische Kompetenz an sich zu ziehen,<br />
zumal die Opferentschädigung generell<br />
in das Arbeits- und Sozialrecht eingebunden<br />
<strong>Und</strong> wie ist das im Urlaub, nachdem die<br />
Bundesbahn die geniale Idee hatte, die Tourenkarte<br />
ersatzlos zu streichen, mit der wir<br />
früher so schön beweglich waren am<br />
Urlaubsort? Sorry, ich kann es mir heute<br />
kaum noch leisten, mit der Bahn in Urlaub<br />
zu fahren, es sei denn, ich wollte mich nur<br />
14 Tage in die Sonne legen (will ich aber<br />
nicht!). <strong>Und</strong> da rede ich noch gar nicht von<br />
anderen Nettigkeiten wie nicht funktionierende<br />
Platzreservierungen, überfüllten<br />
Fahrkartenschaltern und der Tatsache, daß<br />
das Aufgeben von Fahrrädern als Reisegepäck<br />
jetzt dreimal so viel kostet und man<br />
dabei einkalkulieren muß, die Räder vor<br />
und nach dem Urlaub eine ganze Woche<br />
entbehren zu dürfen.<br />
Na klar fahre ich normalerweise mit dem<br />
Fahrrad nach Bessungen, zu regelmäßigen<br />
Veranstaltungen in der Bessunger Knabenschule,<br />
sommers wie winters. Aber wenn<br />
es reg<strong>net</strong>? Logo hält die HEAG vor der Tür.<br />
Aber wie oft, abends? Für mich heißt das:<br />
25 Minuten Wartezeit, dazu zweimal<br />
umsteigen (wenn es reg<strong>net</strong>!).<br />
Der sonntägliche Besuch bei den Schwiegereltern<br />
in Gernsheim (wieviele Busse fahren<br />
da sonntags?), eine abendliche<br />
Geburtstagsfeier am südlichen Rand von<br />
Griesheim (meilenweit von der halbstündig<br />
fahrenden HEAG entfernt) und... und...<br />
und.... Klar kann man das alles mit dem<br />
Fahrrad fahren, wenn man jung und ohne<br />
Familie ist. Aber mit <strong>Kinder</strong>n unter 10 Jahren?<br />
Nein, liebe Leute, ich will euch das ja gar<br />
nicht ausreden, eure Ideale, eure Vorstellungen.<br />
Als Anlieger der Frankfurter Straße<br />
bin ich ein ausgesprochener Anhänger<br />
einer autofreien Innenstadt. Aber, das müssen<br />
leider besonders die jüngeren noch ler-<br />
Europaweite Hilfe<br />
für Opfer von Verbrechen!<br />
ist, für das im EG-Raum ohnehin einheitliche<br />
Richtlinien gelten oder gefunden <strong>werden</strong><br />
müssen.<br />
Karl J. Kärchner, Leiter der für Südhessen<br />
zuständigen Außenstelle des Weißen Ringes<br />
und Pressesprecher des Polizeipräsidiums<br />
Darmstadt sprach in Dublin und Belfast über<br />
die Situation der Polizei im Umgang mit den<br />
Kriminalitätsopfern. Er hob in seinem Referat<br />
hervor, daß die Betreuungsmaßnahmen nur<br />
in einem sehr beschränkten Umfang durch<br />
die Polizei selbst erfolgen könne. Steigende<br />
Kriminalität und Verkehrsunfallzahlen lassen<br />
keinen ausreichenden zeitlichen Spielraum,<br />
ganz zu schweigen von der eher dünnen Personaldecke.<br />
Die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen<br />
muß daher bundesweit gefestigt<br />
<strong>werden</strong>. Dabei sei anzumerken, daß die<br />
Zusammenarbeit mit dem Weißen Ring fast<br />
flächendeckend erfolgt. Beispielgebend könne<br />
durchaus die schon seit nahezu 13 Jahren<br />
erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen<br />
Darmstädter Polizei und der hiesigen Außenstelle<br />
sein, die nachhaltig durch Polizeipräsidient<br />
Peter C. Ber<strong>net</strong> unterstützt wird. Damit<br />
war es möglich, rund 2.000 Menschen wirksam<br />
zu helfen, die Opfer von Gewalt und Kriminalität<br />
wurden.<br />
Weißer Ring, Außenstelle Darmstadt,<br />
Nikoleyweg 7, 6107 Reinheim<br />
Nerv getroffen<br />
Da ich am Montag, den 04.05.1992 anläßlich<br />
der <strong>Kinder</strong>- und Jugendsammelwoche zu<br />
Kaffee und Kuchen bei Bürgermeister Benz<br />
eingeladen war, wollte ich die Gelegenheit<br />
nutzen und ihm von der SV der Lichtenbergschule<br />
eine Info über PCB überreichen.<br />
Nachdem Bürgermeister Benz die zwei Flugblätter<br />
überflogen hatte, zerriß er sie erbost.<br />
Dann schaute er „ein wenig“ nervös auf den<br />
Tisch, nach dem Motto :„Ich bin nicht mehr<br />
anwesend!“. Einmal konnte er sich noch zu<br />
einem gekünstelten Lachen aufraffen, dann<br />
nen, es gibt leider immer noch (zu) viele<br />
gute Gründe, ein Auto zu haben und auch<br />
zu benutzen. Na klar, bessere „öffentliche“<br />
würden auch mir noch so manchen Kilometer<br />
ersparen. Aber leider sind die Familien,<br />
sind Wohnung und Arbeit in den vergangenen<br />
Jahrzehnten immer mehr getrennt worden.<br />
Die Orte, wo man sich wirklich erholen<br />
kann, rücken in immer <strong>weiter</strong>e Entfernung<br />
(oder wo findet man im Rhein-Main-Gebiet<br />
einen Platz, wo man weder von Autobahnlärm<br />
noch von Eisenbahn oder Flugzeugen<br />
geräuschbelästigt wird?). Wenn wir jetzt<br />
mit dem Auto anfangen, folgen wir genau<br />
dem Irrweg der heutigen Medizin, die Symptome<br />
behandelt anstatt Ursachen. Laßt<br />
uns <strong>unsere</strong> Umwelt wieder lebenswerter<br />
gestalten, laßt uns die Trennung von Wohnung<br />
und Arbeit aufheben (ich würde auch<br />
lieber in Darmstadt arbeiten...) , und hören<br />
wir damit auf, immer neuen Genüssen und<br />
Abenteuern nachzujagen. Solange wir permanent<br />
unterwegs sind, dauernd auf der<br />
Flucht (vor uns selbst?), solange wir für<br />
unser Leben nicht bessere Rahmenbedingungen<br />
schaffen, solange <strong>werden</strong> wir uns<br />
vergeblich mit der Lösung des Problems<br />
„Auto“ befassen.<br />
Jörn Schramm,<br />
Frankfurter Str. 78, 6100 Darmstadt<br />
Jugoslawien:<br />
Den Krieg bekämpfen,<br />
den Flüchtlingen helfen<br />
In Bosnien-Herzegowina fliehen die Menschen<br />
vor Tod, Hunger und Seuchen. Die<br />
deutsche Bundesregierung aber verlangt von<br />
den Flüchtlingen Visa oder Versorgungssicherheiten,<br />
welche die meisten unmöglich<br />
erbringen können. Gerade Deutschland, dessen<br />
grausamer Terror während des Zweiten<br />
Weltkrieges in Jugoslawien so viel Opfer und<br />
Leid schaffte, muß zu tätiger Sühne und Wiedergutmachung<br />
bereit sein.<br />
Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger auf,<br />
gegen das Verhalten der Regierung zu protestieren<br />
und Visa-Freiheit sowie fürsorgliche<br />
Unterstützung für die Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina<br />
zu fordern.<br />
Wir wenden uns<br />
an die europäischen Regierungen,<br />
an ihre Organisationen EG und KSZE und an<br />
die Vereinten Nationen: Lassen Sie sich nicht<br />
zu militärischen Interventionen hinreißen!<br />
Auch mitten in einem Krieg sind mit kriegerischen<br />
Mitteln, die zusätzlich von außen eingesetzt<br />
<strong>werden</strong>, keine Probleme zu lösen.<br />
Insbesondere für Europa gilt es, nichtmilitärische<br />
Konfliktbewältigung zu entfalten<br />
und durchzusetzen. Ein militärisches Eingreifen<br />
in den Krieg in Bosnien-Herzegowina<br />
würde die Gespenster der Vergangenheit<br />
beschwören und die Vertrauensbasis für die<br />
Zusammenarbeit in der Zukunft untergraben.<br />
Wir fordern die Bundesregierung, EG, KSZE<br />
und die Vereinten Nationen auf, sich stets<br />
rechtzeitig und vorbeugend den neuen Konflikten<br />
zu widmen. So war der Krieg in Bosnien-Herzegowina<br />
lange vorhersehbar, aber<br />
die europäischen Regierungen reagierten<br />
erst, als es zu spät war. Heute warnen wir vor<br />
kommenden Konflikten im Kosovo und vor<br />
Verschärfung von Repressionen gegenüber<br />
Minderheiten. Um sie zu verhindern, sind<br />
nicht nur negative, sondern vor allem auch<br />
positive Sanktionen erfolgreich, die menschenrechtlich<br />
angemessenes Verhalten<br />
belohnen.<br />
Alte und neue Machteliten,<br />
Militaristen, Banditen und Verblendete<br />
töten und verletzen Menschen, zerstören das<br />
Land und seine Wirtschaft. Sie hetzen die<br />
Völker des Balkans gegeneinander auf, um<br />
so unter nationalistischem Vorzeichen und<br />
rücksichtslos gegenüber allen humanen<br />
Kosten sich Macht und Privilegien zu sichern<br />
beziehungsweise zu erobern.<br />
schaute er wieder mit unnahbarer Miene auf<br />
den Tisch. Als er ging, – ein wenig früher als<br />
die anderen – schaute er weder nach rechts,<br />
noch nach links, sondern stur geradeaus.<br />
Meiner Meinung nach hat die Tatsache, daß<br />
er sogar bei einem harmlosen Kaffee- und<br />
Kuchentreff mit dem Problem PCB konfrontiert<br />
wird, so ziemlich seinen Nerv getroffen.<br />
Sandra Bauer, Darmstadt<br />
Der Bezirksleiter der Deutschen Angestellten–Gewerkschaft<br />
(DAG), Bezirk Südhessen,<br />
Harald Koch, hat die Beschäftigten in<br />
den Spar- und Darlehenskassen, Raiffeisenbanken<br />
und Volksbanken aufgerufen,<br />
Betriebsräte zu wählen, um Nachteile für<br />
die Beschäftigten, die durch Fusionen oder<br />
Auflösungen eintreten können, zu vermeiden.<br />
Der DAG-Bezirksleiter befürchtet, daß es<br />
durch die Gründung des Großverbandes<br />
der Genossenschaftsbanken für den<br />
Bereich Hessen, Rheinland-Pfalz und<br />
Thüringen verstärkt zu Fusionen bei den<br />
Genossenschaftsbanken kommt.<br />
„Nur Betriebsräte“, so Koch, „können in<br />
Die Amerikaner hatten durch den Lärm<br />
ihrer Hubschrauber einen Luftterror gegen<br />
die Bevölkerung entfesselt. Tag und/oder<br />
Nacht und stundenlang marterten sie rücksichtslos<br />
die im Einwirkungsbereich des<br />
Griesheimer Flugplatzes (der zu Darmstadt<br />
gehört) wohnenden Menschen. Die <strong>Kinder</strong><br />
schreckten aus dem Schlaf hoch, die arbeitende<br />
Bevölkerung wurde um den für sie<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 10<br />
einem Sozialplan<br />
Nachteile<br />
für die Beschäftigten<br />
verhindern<br />
und die Auflösung oder die Fusion einer<br />
Genossenschaftsbank sozial abfedern.<br />
Wir <strong>werden</strong> die Betriebsräte bei einer Aushandlung<br />
von Sozialplänen unterstützen<br />
und dafür sorgen, daß so wenig Arbeitsplätze<br />
wie möglich verlorengehen“, sagte<br />
Koch bei einer Versammlung von Betriebsräten<br />
in Darmstadt. Er warnte die Bankenvorstände<br />
vor einer Fusionseuphorie, bei<br />
denen die Beschäftigten das Nachsehen<br />
haben.<br />
DAG–Bezirk Südhessen<br />
Kein Flugplatz in Griesheim<br />
Dagegen stehen – in <strong>unsere</strong>m Lande leider<br />
zu wenig wahrgenommen – viele Menschen<br />
aus allen jugoslawischen Kulturen und<br />
Gesellschaften, die sich dem nationalistischmilitaristischen<br />
Terror entgegenstemmen.<br />
Sie lassen sich nicht einreden, Kroaten, Serben,<br />
Muslimane oder Albaner seien ihre<br />
Feinde. Sie begreifen sehr wohl, daß alle<br />
irgendwo Minderheiten sind und treten für<br />
die Rechte der Minderheiten ein. Sie lassen<br />
sich in allen Republiken auf die mühsame<br />
Arbeit gegen den Krieg ein. Sie bemühen<br />
sich um die Schaffung von Friedenszonen,<br />
und sie wehren sich gegen die Vertreibung<br />
von Menschen, um „ethnisch reine“ Nationalgebiete<br />
herzustellen. Denn die Politik der<br />
Vertreibung löst keines der Probleme, sondern<br />
setzt immer erneut eine Spirale der<br />
Feindschaft und Gegenfeindschaft in Gang,<br />
unter der die meisten Menschen im ehemaligen<br />
Jugoslawien zu leiden haben, während<br />
sich die Machteliten ihre Pfründe sichern.<br />
Allen Menschen, die Opfer<br />
dieses schrecklichen Krieges sind,<br />
gilt <strong>unsere</strong> Solidarität.<br />
Das Komitee für Grundrechte und Demokratieunterstützt<br />
als Teil der deutschen Friedensbewegung<br />
seit dem Auseinanderbrechen<br />
Jugoslawiens die Anti-Kriegs-Gruppen,<br />
die in fast allen Städten und Regionen entstanden<br />
sind. Diese Gruppen arbeiten<br />
gewaltfrei, aufopfernd und unter schwersten<br />
Bedingungen, bedroht von Repression oder<br />
gar tödlicher Verfolgung. Unsere Möglichkeiten<br />
sind begrenzt, aber wir haben nach<br />
besten Kräften dazu beigetragen, die materiellen<br />
Arbeitsbedingungen der Anti-Kriegs-<br />
Gruppen zu verbessern, ihre Kommunikationsstrukturen<br />
auch unter Kriegsbedingungen<br />
zu sichern und ihnen internationale Hilfe<br />
und Aufmerksamkeit zu schaffen.<br />
Diese Unterstützung<br />
muß <strong>weiter</strong>geführt <strong>werden</strong>!<br />
Wir haben auch humanitäre Hilfe geleistet,<br />
als die großen Organisationen und die Regierungen<br />
noch nicht daran dachten. In Zusammenarbeit<br />
mit Friedenszentren in Bosnien-<br />
Herzegowina, Serbien, Kroatien und Slowenien<br />
wollen wir jetzt Hilfe für Opfer und<br />
Flüchtlinge möglich machen, die von anderen<br />
nicht erreicht <strong>werden</strong>.<br />
Für diese Vorhaben wird <strong>weiter</strong>hin Geld<br />
benötigt, viel Geld. Wir rufen deshalb erneut<br />
alle Menschen guten Willens auf, diese dringende<br />
friedenspolitische und humanitäre<br />
Arbeit mit Spenden zu unter stützen .<br />
Aktueller Schwerpunkt ist gegenwärtig Medikamentenhilfe<br />
für Flüchtlinge aus Bosnien-<br />
Herzegowina .<br />
Komitee für Grundrechte und Demokratie<br />
e.V., 6121 Sensbachtal Sonderkonto: Verständigung<br />
statt Krieg – Humanitäre Hilfe für<br />
Flüchtlinge, Volksbank Odenwald eG, Konto<br />
8024618, BLZ 50863513<br />
Dr. Andreas Buro und Klaus Vack<br />
notwendigen Schlaf gebracht, die Kranken<br />
und Gebrechlichen fanden keine Ruhe. Mit<br />
menschenverachtender Brutalität ignorierten<br />
die Amerikaner die berechtigten Interessen<br />
der deutschen Bevölkerung.<br />
Dies wäre tatsächlich Vergangenheit, wenn<br />
die Amerikaner abziehen würden. Kaum<br />
deutet sich dies jedoch an, beeilen sich ausgerech<strong>net</strong><br />
deutsche Landsleute, den Amerikanern<br />
nachzueifern. Sie schrecken nicht<br />
davor zurück, die geplagte Bevölkerung in<br />
Griesheim, Darmstadt und den Umlandgemeinden<br />
erneut mit Fluglärm zu überziehen.<br />
Zehntausende von Menschen sollen in<br />
ihrer Gesundheit geschädigt, physisch und<br />
psychisch gemartert, eines wesentlichen<br />
Teils ihrer Lebensqualität beraubt <strong>werden</strong>!<br />
Schon jeder medizinische Laie weiß heutzutage,<br />
wie gefährlich und schädlich Lärm ist.<br />
Wer sind diese Unmenschen? Zum einen<br />
sind es einige Flieger, die ihre Freizeit in der<br />
Luft verbringen möchten. Zum andern sind<br />
es vom Gruppenegoismus geprägte<br />
Geschäftsleute, die ihre millionen– oder<br />
milliardenträchtigen Geschäfte mittels<br />
eines billigen Flugplatzes noch <strong>weiter</strong> intensivieren<br />
wollen. Öffentliche Verkehrsmittel<br />
(wie die umweltschonende Eisenbahn) zu<br />
benutzen, halten sie unter ihrer – sich<br />
selbst angedichteten – Würde; ein Flugzeug<br />
muß es sein. Im Privatbereich dieser feinen<br />
Herren darf selbstverständlich kein<br />
Fluglärm stattfinden; er muß über die Köpfe<br />
der völlig Unbeteiligten verteilt <strong>werden</strong>. So<br />
geht das nicht! Es darf nicht sein, daß sich<br />
einige wenige Skrupellose in ihrer Profitgier<br />
zu Lasten der Allgemeinheit unangemessene<br />
Vorteile verschaffen können. Die frevelhaften<br />
und verderbenbringenden Gelüste<br />
der die Menschenwerte mißachtenden<br />
Geschäftsleute und Freizeitflieger dürfen<br />
nicht über die Interessen zehntausender<br />
von Menschen triumphieren und müssen<br />
im Keim erstickt <strong>werden</strong>! Hört auf die<br />
Schreie der gequälten Menschen!<br />
Dr. Rudolf A. Krell,<br />
Schubertstr. 6, 6103 Griesheim<br />
Zeitung für Darmstadt<br />
- Redaktion -<br />
6100 Darmstadt<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
wir erhielten gestern die neueste Ausgabe<br />
Ihres Blattes (Nr. 30), die wir mit wirklichem<br />
Interesse gelesen haben. Dabei fielen<br />
uns besonders die beiden ausgezeich<strong>net</strong>en<br />
Artikel zu Kurdistan auf.<br />
Wir denken nun daran, Auszüge aus diesen<br />
zwei Berichten in <strong>unsere</strong>m nächsten medico-Rundschreiben<br />
zu verwenden. Selbstverständlich<br />
würden wir in diesem Fall ausdrücklich<br />
auf die Herkunft hinweisen: auf<br />
Ihr Blatt und auf die Autoren.<br />
Wir bitten daher um Ihr freundliches Einverständnis,<br />
das wir als gegeben betrachten,<br />
wenn wir nichts Gegenteiliges von<br />
Ihnen hören.<br />
Mit Dank und guten Grüßen,<br />
Hans Branscheidt, medico international,<br />
Obermainanlage 7, D–6000 Frankfurt/M. 1
BRIEFE AN DIE REDAKTION II<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 11<br />
Flüchtlinge in Groß-Bieberau<br />
Arbeitskreis hat Fragen und Forderungen<br />
Am 25. Mai trafen sich Mitglieder des Asylarbeitskreises<br />
Groß-Bieberau, um über die<br />
aktuelle Situation zu beraten. Fragen über<br />
Fragen hat der Kreis, die auch durch die Ausführungen<br />
von Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher<br />
Anton Weiher auf der Bürgerversammlung<br />
nicht beantwortet wurden, wie z. Beispiel:<br />
a) Welchen Grund hatte A. Weiher, zu der<br />
Flüchtlingsunterbringung eine Erklärung<br />
abzugeben, ohne Ankündigung in der Tagesordnung<br />
und ohne eine echte Möglichkeit,<br />
sich mit der Problematik auseinanderzusetzen?<br />
b) Welche Bedeutung hat es, wenn die im<br />
Außenbereich aufgestellten Wohncontainer<br />
„Wohnanlage“ genannt <strong>werden</strong>, die man<br />
„hübsch gestalten“ will, „damit die<br />
Menschen sich dort wohlfühlen?“<br />
(Zitat: „DE“-Bericht)<br />
c) Warum gelingt es einer der reichsten<br />
Kommunen des Kreises (Aussage<br />
Bürgermeister Werner Seubert) nicht, die<br />
Flüchtlinge wenigstens so gut<br />
aufzunehmen, wie im übrigen Kreisgebiet (z.<br />
B. Bickenbach, wo auch Notunterkunft in<br />
Containern erfolgte, bis ein Wohngebäude<br />
erstellt war)?<br />
d) Was haben die Verantwortlichen seit<br />
November 1991 getan, als ihnen <strong>weiter</strong>e<br />
48 Flüchtlinge (später auf 66 erhöht)<br />
angekündigt wurden?<br />
e) Was würden Werner Seubert und<br />
Anton Weiher sagen, wenn Groß-Bieberau<br />
Flüchtlinge aufnehmen sollte, die für<br />
andere Gemeinden bestimmt sind?<br />
f) Woher wußten die Anwohner der<br />
Albert-Einstein-Schule von der geplanten<br />
Aufstellung von Containern in ihrer<br />
Nachbarschaft – sie fanden lt. „DE“ bei Werner<br />
Seubert offene Ohren mit ihren Protesten<br />
–, wenn selbst die Schule nicht informiert<br />
war (Aussage des Vertreters<br />
der Schule auf der Bürgerversammlung)?<br />
Kirchen sollen sich selbst finanzieren<br />
Diese Bundesregierung ist doch nicht in der<br />
Lage, in der Sache Pflegeversicherung eine<br />
Einigung herbeizuführen. <strong>Und</strong> dabei wäre die<br />
Sache so einfach zu lösen. Es wird soviel<br />
Geld verplempert, unnötig verplempert. Dreizehn<br />
Milliarden Deutsche Mark <strong>werden</strong> jährlich<br />
als Kirchensteuer über die Finanzämter<br />
eingezogen und das ganz alleine für die zwei<br />
großen Kirchen. Aber das ist den Kirchenfürsten<br />
noch nicht genug, der Staat, also der<br />
Steuerzahler, gibt noch fünf bis sechs Milliarden<br />
DM hinzu. Dieses Geld wird gegen den<br />
Willen der Bundesbürger einfach verausgabt.<br />
<strong>Und</strong> dabei sind nach einer Umfrage<br />
84% aller Bundesbürger gegen die Kirchen<br />
überhaupt. Aber noch nicht genug, die vielen<br />
kirchlichen Feiertage in <strong>unsere</strong>r Republik, die<br />
ja von den Kirchenfürsten eingebracht wurden,<br />
kosten unser Volk jährlich hunderte von<br />
Milliarden Deutsche Mark. Das gibt es in keinem<br />
Land der Welt. Mit diesen Geldern<br />
könnte nicht nur die Pflegeversicherung<br />
Der Asylarbeitskreis weiß, daß für eine<br />
Unterbringung der Flüchtlinge gesorgt <strong>werden</strong><br />
muß und daß dies jetzt nur durch Aufstellung<br />
<strong>weiter</strong>er Wohncontainer erreicht<br />
<strong>werden</strong> kann. Hierzu erarbeiteten die Mitglieder<br />
einige Punkte, die unbedingt berücksichtigt<br />
<strong>werden</strong> sollten, um die Nachteile dieses<br />
ghettoähnlichen Containerlagers ein wenig<br />
zu mildern:<br />
1. Container einer höheren Qualität bestellen,<br />
das heißt<br />
- bessere Isolierung gegen Kälte und Hitze<br />
- wirksamere Schalldämmung<br />
- ein größerer Aufenthaltsraum, in dem sich<br />
die Bewohner mit Gästen, hoffentlich auch<br />
aus Groß-Bieberau, treffen können. Es gibt,<br />
im Gegensatz zu dem aufgestellten ersten<br />
Container, Qualitäten, die fast Fertighausniveau<br />
erreichen.<br />
2. In den Außenanlagen Bänke<br />
und Tische aufstellen.<br />
3. Wäscheleinen vorsehen.<br />
4. Spielanlagen zu kreativem Spiel,<br />
und zwar für <strong>Kinder</strong> und Erwachsene.<br />
5. Ein Raum zur sicheren Unterbringung von<br />
Fahrrädern. Um diese und ähnliche Fragen<br />
und Erwartungen zu verdeutlichen, lädt der<br />
Asylarbeitskreis die Verantwortlichen der<br />
Stadt für Mittwoch, den 17. Juni 1992, um<br />
19.00 Uhr zu einer Besprechung in den Container<br />
am Schaubacher Berg ein.<br />
Erneut wurde bei dem Treffen des Arbeitskreises<br />
die Einstellung einer/s Sozialarbeiterin/Sozialarbeiters<br />
gefordert. Wer den sozialen<br />
Frieden in Groß-Bieberau erhalten will,<br />
muß etwas dafür tun. Andere Kommunen<br />
des Kreises haben das längst verstanden und<br />
entsprechend gehandelt – im eigenen Interesse!<br />
Für Rückfragen:<br />
Margrit Horneff,<br />
Am Haslochberg 13, 6101 Groß-Bieberau<br />
finanziert <strong>werden</strong>, sondern der ganze Osten<br />
Europas und noch vieles mehr. Wann sieht<br />
diese Bundesregierung ein, daß sie mit diesen<br />
Geldern nicht so umspringen darf? Die<br />
Kirchen sollen sich selbst finanzieren. Der<br />
Körperschaftsstatus der Kirchen ist ein<br />
Relikt aus staatskirchlichen Zeiten, als die<br />
Kirche in das öffentliche Recht integriert und<br />
vom Staat privilegiert, aber auch von ihm<br />
beherrscht war. Der öffentlich-rechtliche<br />
Körperschaftsstatus widerspricht der Verpflichtung<br />
des Staates zu religiöser und weltanschaulicher<br />
Neutralität. Überdies erfüllen<br />
die dadurch privilegierten Kirchen nicht ein<br />
einziges Begriffsmerkmal, das von einer Körperschaft<br />
des öffentlichen Rechts erfüllt sein<br />
muß. Also weg mit der Kirchensteuer zur<br />
Finanzierung der Pflegeversicherung und für<br />
den Teil <strong>unsere</strong>s Landes der unter der<br />
Armutsgrenze lebt.<br />
Walter Decker, Kiesbergstr. 34<br />
Wider die lebenslange Freiheitsstrafe<br />
In einer vom Komitee für Grundrechte und<br />
Demokratie, einer bundesdeutschen Menschenrechtsorganisation,<br />
initiierten und<br />
jetzt veröffentlichten Erklärung „Wider die<br />
lebenslange Freiheitsstrafe“ haben sich 160<br />
Persönlichkeiten für die Abschaffung der<br />
lebenslangen Freiheitsstrafe und gegen den<br />
§ 211 Strafgesetzbuch (Mord) ausgesprochen<br />
.<br />
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner<br />
haben allesamt Erfahrungen mit dem Strafvollzug<br />
beziehungsweise sind beruflich im<br />
Bereich des Justizvollzugs oder in der freien<br />
Gefangenenarbeit tätig. Unter anderem<br />
unterstützen mehr als 50 in den deutschen<br />
Justizvollzugsanstalten engagierte Gefängnisseelsorgerinnen<br />
und Gefängnisseelsorger<br />
die Erklärung. Ebenso zählen zahlreiche<br />
anerkannte Wissenschaftler, darunter vor<br />
allem Strafrechtlerinnen und Strafrechtler,<br />
Kriminologinnen und Kriminologen, Psychologinnen<br />
und Psychologen, sowie<br />
Soziologinnen und Soziologen zu den<br />
Unterzeichnern.<br />
Für Anfang 1993 bereitet das Komitee für<br />
Grundrechte und Demokratie eine öffentliche<br />
Anhörung zur Problematik der lebenslangen<br />
Freiheitsstrafe vor. Zu dieser Veranstaltung<br />
<strong>werden</strong> sowohl wissenschaftliche<br />
Expertinnen und Experten als auch Praktikerinnen<br />
und Praktiker, die im Strafvollzug<br />
tätig sind, von lebenslanger Freiheitsstrafe<br />
Betroffene und nicht zuletzt Angehörige der<br />
Opfer von Gewalttaten eingeladen .<br />
Die Erklärung „Wider die lebenslange Freiheitsstrafe“,<br />
die auch in Zeitungsanzeigen<br />
veröffentlicht wird, nimmt ausdrücklich<br />
Bezug auf den für Gesamt-Deutschland<br />
gedachten Verfassungsentwurf des Kuratoriums<br />
für einen demokratisch verfaßten<br />
Bund deutscher Länder vom Juni 1991, der<br />
den Artikel 102 Grundgesetz neu formuliert:<br />
„Die Todesstrafe und die lebenslange Freiheitsstrafe<br />
sind abgeschafft.“<br />
Die Erklärung „Wider die lebenslange Freiheitsstrafe“<br />
kommt zu der Konsequenz:<br />
„Wenn wir die Menschenrechte und uns<br />
selbst ernst nehmen, gibt es nur eine Möglichkeit:<br />
Die Ersetzung der lebenslangen<br />
Freiheitsstrafe durch eine zeitlich begrenzte<br />
Freiheitsstrafe. Das Strafmaß Lebenslang<br />
ist inhuman.“<br />
Die Erklärung im Wortlaut und die Namen<br />
der Erstunterzeichnerinnen und –unterzeichner<br />
siehe folgende Seiten:<br />
Erklärung:<br />
Wider die lebenslange Freiheitsstrafe<br />
„Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ So heißt<br />
es in Artikel 102 des Grundgesetzes. Diese<br />
Bestimmung hat das Grundgesetz humanisiert.<br />
Sie geht jedoch nicht weit genug. Wie<br />
PCB: Getan hat sich nichts<br />
„wer langsam reit’ – kommt g’rad so<br />
weit“, gilt dieses Sprichwort<br />
eventuell auch für den Fall<br />
„PCB-an der LUO“ ?<br />
(Beliebig auf andere Darmstädter<br />
Schulen übertragbar!)<br />
Dies könnte durchaus möglich sein, dennoch<br />
kommen mir diesbezüglich starke<br />
Bedenken.<br />
Warum?<br />
Immerhin <strong>werden</strong> <strong>unsere</strong> <strong>Kinder</strong> – unter der<br />
Obhut der Stadtväter Darmstadts – langsam<br />
aber sicher immer mehr <strong>vergiftet</strong>. Können,<br />
bzw. wollen wir hierbei <strong>weiter</strong>hin<br />
untätig zusehen?<br />
- Haben diese „Herrschaften“ selbst keine<br />
<strong>Kinder</strong>?<br />
- Haben sie keine Angst um die Gesundheit<br />
ihrer <strong>Kinder</strong>?<br />
- Oder haben sie ihre <strong>Kinder</strong> längst in unbelasteten<br />
Schulen sicher untergebracht?<br />
Die – von uns gewählten – „Verantwortlichen“<br />
der Stadt Darmstadt lassen sich<br />
jedenfalls verdammt viel Zeit, in Sachen<br />
„Gesundheit / hier: PCB-Verseuchung an<br />
Schulen u. <strong>Kinder</strong>gärten“ tätig zu <strong>werden</strong>!<br />
Die Gesundheit der <strong>Kinder</strong> und somit der<br />
Darmstädter Bürger ist ihnen anscheinend<br />
wurscht .<br />
Wie sonst läßt sich erklären, daß seit 2 1/2<br />
Jahren – die Problematik „PCB“ bekannt ist<br />
und dennoch keine Änderungen erfolgt<br />
sind?<br />
Beginn 1989:<br />
- Erlaß des Hess. Innenministeriums<br />
(„PCB-Erlaß“)<br />
- Bekannt<strong>werden</strong> von Vorhandensein PCBhaltiger<br />
Lampenkörper an der LUO (auch<br />
an anderen Schulen Darmstadts?),<br />
Bis heute:<br />
- mind. 8 Schulelternbeiratssitzungen<br />
(LUO) und diverse Verhandlungen mit<br />
„verantwortlichen“ Vertretern der Stadt<br />
Darmstadt,<br />
Ergebnis:<br />
- im Prinzip: Nichts!<br />
Selbst Demonstrationen der SchülerInnen<br />
und ein Schulboykott haben noch nichts<br />
Konkretes erreichen können!<br />
Die Ignoranz des Hausherrn (und OB-Kandidaten<br />
1993) Peter Benz – bezüglich seiner<br />
Fürsorgepflicht gegenüber den „kleinen<br />
Bürgern“ dieser Stadt – grenzt an Unverschämtheit!<br />
Ist das die Politik von heute,<br />
bzw. von morgen?<br />
- Haben die SchülerInnen diesen praktischen<br />
„Politikunterricht“ richtig gelernt?<br />
- Handeln die Volksvertreter in den anderen<br />
Problembereichen und Sachfragen genauso?<br />
Wenn ja,<br />
können wir, Eltern und SchülerInnen, die<br />
Wähler von morgen, uns zukünftig Wahlen<br />
ersparen, da die „gewählten Vertreter!“<br />
nicht die Verantwortung tragen, die ihrem<br />
Auftrag entspricht!<br />
Diese Demokratie<br />
steht nur noch auf dem<br />
Papier!<br />
Karin Bauer<br />
die Todesstrafe bietet auch die lebenslange<br />
Freiheitsstrafe dem Verurteilten keine Perspektive<br />
auf ein Leben in Freiheit. Deshalb<br />
muß die lebenslange Freiheitsstrafe abgeschafft<br />
<strong>werden</strong>.<br />
Diesem Verlangen steht der Paragraph 211<br />
des Strafgesetzbuchs entgegen. Dort heißt<br />
es: „Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe<br />
bestraft“ und „Mörder ist, wer. .<br />
. “ . Der Paragraph 211 hat seine geltende<br />
Prägung im Nationalsozialismus (1941 )<br />
erhalten und fällt aus dem Rahmen aller<br />
übrigen Strafvorschriften, da er nicht wie<br />
sonst üblich die Tat, sondern den Täter<br />
definiert und ihn wissenschaftlich unhaltbar<br />
– auf immer ausgrenzend zur Mördergestalt<br />
abstempelt.<br />
Mordparagraph und lebenslange Freiheitsstrafe<br />
verletzen die Menschenrechte des<br />
Grundgesetzes. In dem für Gesamt-<br />
Deutschland gedachten Verfassungsentwurf<br />
des Kuratoriums für einen demokratisch<br />
verfaßten Bund deutscher Länder vom<br />
Juni 1991 heißt es deshalb: „Die Todesstrafe<br />
und die lebenslange Freiheitsstrafe sind<br />
abgeschafft.“<br />
• Die lebenslange Freiheitsstrafe stellt die<br />
Person, ihre Lern- und Wandlungsfähigkeit<br />
in Frage. Damit widerspricht die lebenslange<br />
Freiheitsstrafe der Menschenwürde und<br />
opfert die Verurteilten einem abstrakten<br />
Strafanspruch.<br />
• Die lebenslange Freiheitsstrafe überschreitet<br />
die Grenzen jeder gesellschaftlichen<br />
Einrichtung, also dessen, was Menschen<br />
anderen Menschen antun dürfen.<br />
• Die lebenslange Freiheitsstrafe verstößt<br />
gegen das Strafvollzugsgesetz. Alle Menschen,<br />
die sich gegen die Gesetze vergangen<br />
haben, müssen die Chance besitzen,<br />
wieder gleichberechtigte Mitglieder der<br />
Gesellschaft zu <strong>werden</strong>. Die lebenslange<br />
Freiheitsstrafe hingegen verdammt diejenigen,<br />
die mit ihr belegt <strong>werden</strong>, zur Perspektivlosigkeit.<br />
• Die lebenslange Freiheitsstrafe wird für<br />
Taten vorgesehen, die nicht wiedergutzumachende<br />
Opfer zur Folge haben. Sie mindert<br />
nicht das Leid. Sie täuscht nur Hilfe für<br />
die Opfer vor.<br />
• Die lebenslange Freiheitsstrafe verhindert<br />
zukünftige Straftaten nicht. Sie befördert<br />
Vorurteile über einen angeblich beim einzelnen<br />
Menschen festgelegten Hang zum<br />
Verbrechen. Dadurch wird behindert, daß<br />
sich Bürgerinnen und Bürger mit ihrem<br />
eigenen Verhalten und ihrer Verantwortung<br />
auseinandersetzen und eine Lösung individueller<br />
wie gesellschaftlicher Konflikte<br />
anstreben, die Gewalt als Tat und als Strafe<br />
ablehnt.<br />
Wenn wir die Menschenrechte und uns<br />
selbst ernst nehmen, gibt es nur eine<br />
Möglichkeit: die Ersetzung der<br />
lebenslangen Freiheitsstrafe durch eine<br />
zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe. Das<br />
Strafmaß Lebenslang ist inhuman.<br />
Klaus Vack, Sekretär des Komitees<br />
für Grundrechte und Demokratie e. V.<br />
6121 Sensbachtal
BRIEFE AN DIE REDAKTION III<br />
Nein,<br />
zur Einschränkung des Grundrechts auf Asyl<br />
Im Wortlaut:<br />
Konsens erzielt: Lichtenbergschule wird PCB-saniert<br />
Nach monatelangen, teilweise<br />
nicht immer sachlichen Angriffen<br />
gegen den Magistrat konnte<br />
heute in Sachen PCB-Sanierung<br />
der Lichtenbergschule ein<br />
Konsens zwischen allen Beteiligten erzielt<br />
<strong>werden</strong>.<br />
In einem sachlichen und in freundlicher<br />
Atmosphäre verlaufenden Gespräch haben<br />
sich heute morgen Bürgermeister Peter<br />
Benz als Schuldezernent, Umweltdezernent<br />
Heino Swyter und Baudezernent Dr. Wolfgang<br />
Rösch in der Lichtenbergschule mit<br />
Vertretern der Elternschaft, der Schüler, der<br />
Lehrer und der Schulleitung getroffen, um<br />
zusammen mit dem PCB-Sanierer Prof. Dr.<br />
Georg-Michael Därr den aktuellen Sachstand<br />
zu erörtern und gemeinsam <strong>weiter</strong>e<br />
Schritte und Maßnahmen zu erarbeiten.<br />
Nachdem die Gesprächsteilnehmer ihre<br />
Sicht der PCB-Problematik dargestellt hatten,<br />
wurde Einigkeit darüber erzielt, daß die<br />
Lampenschalen bzw. Leuchtkörper alleine<br />
keine geeig<strong>net</strong>e Maßnahme zur Reduzierung<br />
der PCB-Konzentration in der Raumluft<br />
ist, da bereits vor längerem sowohl in<br />
der Lichtenbergschule wie auch in nahezu<br />
allen anderen öffentlichen Gebäuden die<br />
PCB-haltigen Kondensatoren ausgetauscht<br />
worden waren. Stadtrat Dr. Rösch hat aber<br />
zugesagt zu prüfen, ob im Rahmen des<br />
Energiesparprogramms der ’Altbau‘ der<br />
Lichtenbergschule vorgezogen mit Energiesparleuchten<br />
ausgestattet <strong>werden</strong> kann.<br />
Dieser Leuchtentyp wird im Rahmen der<br />
Sanierung des neueren Teils der Lichtenbergschule<br />
dann auch dort installiert.<br />
Bei dem heutigen Gespräch wurde darin<br />
Konsens erzielt, daß nur die Entfernung der<br />
Fugenmassen in der Lichtenbergschule die<br />
PCB-Raumluftkontamination vermindern<br />
wird, da diese Fugenmassen quantitativ als<br />
Hauptemissionsquelle anzusehen sind.<br />
Prof. Därr, der auf dem Gebiet der PCB-Sanierung<br />
als Fachmann in Deutschland gilt,<br />
bestätigte dies. Nach seiner Ansicht haben<br />
die Lampen nur untergeord<strong>net</strong>en Einfluß<br />
auf die PCB-Belastung der Raumluft.<br />
Anläßlich dieses Gespräches berichtete er<br />
über seine Sanierungsversuche in Köln und<br />
in Wiesbaden. Die Erfahrungen, die er derzeit<br />
dort macht, will er bei den geplanten<br />
Sanierungsmaßnahmen in der Lichtenbergschule<br />
verwerten. Der PCB-Sanierer ging<br />
auch auf die immense Problematik der<br />
Messungen der Raumluft-Kontamination<br />
ein, wird aber die bisher im Auftrage der<br />
Stadt erfolgten Messungen wegen ihres<br />
logischen Aufbaus für sein Sanierungsgutachten<br />
verwenden.<br />
Der Vorstand des Komitees für Grundrechte<br />
und Demokratie erklärt zu dem Skandal<br />
des gegenwärtigen Versuchs, das Grundrecht<br />
auf Asyl einzuschränken: Ein Asylverfahrensgesetz,<br />
das zu eklatanten Einschränkungen<br />
der Einklagbarkeit von Asylbegehren<br />
führen wird, soll am 5. Juni 1992<br />
im Deutschen Bundestag beschlossen <strong>werden</strong><br />
und bereits am 1. Juli 1992 in Kraft treten.<br />
Darüber hinaus wollen die etablierten<br />
Parteien Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes<br />
bis zur Unkenntlichkeit verändern,<br />
um so das Asylrecht zu beschneiden. Die<br />
Flucht vor politischer Verfolgung wird mit<br />
anderen Formen der Einwanderung vermengt<br />
und so zur „Asylantenflut“ stilisiert.<br />
Politiker setzen populistisch auf Vorurteile<br />
und Angst gegenüber Einwanderern. Damit<br />
<strong>werden</strong> Emotionen aufgerührt, um sodann<br />
scheindemokratisch so zu tun, als entsprächen<br />
die Politiker nur dem Mehrheitswunsch<br />
.<br />
Die etablierten Parteien sind nicht<br />
bereit, im Sinne der Grundrechte zu<br />
sprechen und zu handeln. Damit<br />
kehren sie sich gegen das Interesse<br />
der eigenen Staatsbürgerinnen und -<br />
bürger an einer demokratischen und<br />
menschenrechtlichen Politik.<br />
Alle von offizieller Seite vorgetragenen<br />
Argumente klingen hohl:<br />
Die Flucht politisch Verfolgter ist keine der<br />
Hauptursachen der gegenwärtigen ökonomischen<br />
und sozialen Probleme der Bundesrepublik.<br />
Indem Politiker die „Asylantenflut“<br />
beschwören, täuschen sie über den<br />
selbstverschuldeten Mangel angemessener<br />
Wirtschafts- und Sozialpolitik hinweg,<br />
während in Wirklichkeit die Bundesrepublik<br />
nicht mehr in ihrem ungleichen Wohlstand<br />
ohne den Beitrag ausländischer Arbeiterinnen<br />
und Arbeiter existieren könnte.<br />
Auch der Hinweis auf die große Zahl abgelehnter<br />
Anträge von angeblichen „Scheinasylanten“<br />
täuscht. Einem großen Teil der<br />
Abgelehnten mußte nach der Genfer Konvention<br />
und aus humanitären Gründen Aufenthalt<br />
gewährt <strong>werden</strong>. Auch <strong>werden</strong><br />
Kriegsflüchtlinge – zum Beispiel aus Jugoslawien<br />
– aus durchsichtigen Finanzierungsgründen<br />
erst ins Asylverfahren gezwungen,<br />
um sie dann als nicht politisch Verfolgte zu<br />
„Scheinasylanten“ erklären zu lassen.<br />
Täuschung auch bei der Klage, die Asylverfahren<br />
dauerten zu lange. Diese Verfahrenslänge<br />
ist selbstproduziert, insbesondere<br />
durch regelmäßige Einsprüche des Bundesbeauftragten<br />
gegen erteilte Anerkennungen.<br />
Alle Vorschläge, wie z.B. die pauschale Benennung<br />
von Nichtverfolgerstaaten, sprechen<br />
der Weltlage und dem Sinn des Grundrechts<br />
auf Asyl hohn. Für die Beibehaltung<br />
des Grundrechts auf Asyl und eine demokratisch-rechtsstaatliche<br />
Form des Verfahrens<br />
sprechen eindeutige Argumente:<br />
• Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes<br />
gehört zu den wenigen Grundgesetzartikeln,<br />
die den schlimmen Erfahrungen mit<br />
dem deutschen Nationalsozialismus zu ent-<br />
Dieser Sanierungsvorschlag wird demnächst<br />
dem Magistrat vorgelegt. Der Magistrat,<br />
so heute die beteiligten Dezernenten,<br />
wird dann spätestens im Herbst darüber<br />
entscheiden, wie und welche Sanierungsmaßnahmen<br />
aufgrund des Gutachtens und<br />
der Kostenschätzung von Prof. Därr durchgeführt<br />
<strong>werden</strong>. Anschließend wird sich die<br />
Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung mit dieser<br />
Problematik wiederum beschäftigen müssen.<br />
Aufgrund des heutigen Gesprächs steht<br />
fest, daß der Neubau der Lichtenbergschule<br />
sowie <strong>weiter</strong>e Schulen, soweit sie mit PCB<br />
kontaminiert sind, saniert <strong>werden</strong>. Dies<br />
wird stufenweise erfolgen, also in mehreren<br />
Bauabschnitten, da die zu sanierenden Räume<br />
nahezu in Rohbauzustand versetzt <strong>werden</strong><br />
müssen, also in der Sanierungsphase<br />
Beim Erörterungstermin über das Merck-<br />
Eurolager N 90 am 25.05.92 im Darmstädter<br />
Regierungspräsidium hat die IGAB deutlich<br />
die Auffassung vertreten, daß die<br />
geplante konzentrierte Lagerung von<br />
höchst gefährlichen Stoffen in unmittelbarer<br />
Nähe von Wohngen nicht genehmigungsfähig<br />
ist. Gegen das Vorhaben hatten<br />
während der Offenlegung der Pläne im<br />
März/April dieses Jahres 349 Personenvor<br />
allem aus Arheilgen- Einwendungen<br />
erhoben. Da der Erörterungstermin<br />
während der Arbeitszeit stattfand, konnten<br />
viele Einwender ihre Gesichtspunkte nicht<br />
persönlich vortragen.<br />
Obwohl ein breites Spektrum von Bedenken<br />
und Anregungen auf der Tagesordnung<br />
stand, sind die Vertreter der Firma Merck,<br />
der Stadt Darmstadt und der Fachbehörden<br />
nur auf wenige Fragen und Hinweise konkret<br />
eingegangen. Immer wieder waren<br />
Nachfragen erforderlich, und die Antworten<br />
sind für die IGAB nach wie vor unbefriedigend.<br />
Ein wichtiger Streitpunkt war die Frage, ob<br />
das Eurolager bauplanungsrechtlich überhaupt<br />
zulässig ist. Wie Gerhard Schäfer von<br />
der IGAB vorgetragen hat, sind die Kriterien<br />
des § 34 des Baugesetzbuches nicht erfüllt.<br />
Dies betrifft die Unvereinbarkeit des Projektes<br />
mit der Umgebung bezüglich der Art<br />
wie auch des Maßes der baulichen Nutzung.<br />
Obwohl sich die Stadt Darmstadt<br />
nach wie vor weigert, wird sie nicht umhinkommen,<br />
für das betroffene Gebiet einen<br />
sprechen suchten.<br />
• Die Art, wie ein Land mit dem uralten<br />
Menschenrecht auf Asyl umgeht, berührt<br />
auch seine innere Freiheit und die seiner<br />
Bürgerinnen und Bürger. Solange der wirklichkeitsfremde<br />
Satz „Deutschland ist kein<br />
Einwanderungsland“ geglaubt wird, ist<br />
Deutschland in der Mitte des seine Grenzen<br />
aufhebenden EG-Europa durch sich selbst<br />
am meisten gefährdet. Deshalb ist nur solchen<br />
Politikerinnen und Politikern Vertrauen<br />
zu schenken, die um der inneren Freiheit<br />
willen die Freiheit und die Menschenrechte<br />
im zusammenwachsenden Europa und darüber<br />
hinaus unverkürzt zu erhalten streben.<br />
• Ein Land, das sich ängstlich abkapseln<br />
will, obgleich es wie die Bundesrepublik in<br />
seinem Wohlstand vom Weltmarkt abhängig<br />
ist, besitzt offenkundig angstmachende<br />
soziale und politische Umstände. Diese<br />
sind zu beheben, statt auf menschenrechtlich<br />
bedrohte Ausländer abzulenken.<br />
Wir sagen deshalb: Wer das jeder Person<br />
geltende Grundrecht auf Asyl einschränken<br />
will, verstößt nicht zuletzt gegen die Interessen<br />
der eigenen Bürgerinnen und Bürger,<br />
auch und gerade, indem er vorgibt, diese<br />
Interessen zu verfolgen. Wir appellieren an<br />
die Abgeord<strong>net</strong>en des Deutschen Bundestages<br />
und an den Bundesrat, dem geplanten<br />
neuen „Asylverfahrensgesetz“ die<br />
Zustimmung zu versagen und das Grundrecht<br />
auf Asyl unangetastet zu lassen.<br />
Dr. Andreas Buro, Sprecher des Komitees<br />
für Grundrechte und Demokratie<br />
dort für längere Zeit kein Unterricht stattfinden<br />
kann. Bei der Lichtenbergschule gehen<br />
die Fachleute von einer Bauzeit von etwa 12<br />
Monaten aus.<br />
Über die voraussichtlichen beträchtlichen<br />
Kosten, die die PCB-Sanierung der Stadt<br />
Darmstadt verursachen wird, wird sich der<br />
Magistrat und die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
ebenfalls zu gegebener Zeit<br />
befassen müssen.<br />
Sowohl Bürgermeister Peter Benz als auch<br />
die Stadträte Dr. Wolfgang Rösch und<br />
Heino Swyter bedankten sich abschließend<br />
für die Möglichkeit dieses Gesprächs, habe<br />
es doch zu einem vertrauensbildenden<br />
Konsens aller Beteiligten geführt.<br />
Darmstadt, den 4.6.92<br />
Volker Rinnert, Presseamt ,<br />
Merck-Eurolager N 90:<br />
Finden die Arheilger Bedenken Beachtung?<br />
Bebauungsplan aufzustellen. Nur bei einem<br />
ordentlichen Bauleitplanverfahren kann<br />
unter Beteiligung der Öffentlichkeit eine<br />
Abwägung der unterschiedlichen Interessen<br />
erfolgen, die noch unvereinbar im<br />
Raume stehen: geringer Abstand zu Wohngebieten,<br />
erhebliche Verkehrs- und<br />
Umweltprobleme.<br />
Bei Aufstellung eines Bebauungsplans wurde<br />
auch eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung<br />
vorgenommen, die die<br />
IGAB nach wie vor für dringend erforderlich<br />
hält. Das sehr hohe und lange Bauwerk wird<br />
Auswirkungen auf das Stadtklima haben<br />
und die schon heute belastete Situation im<br />
Darmstädter Norden (Wärmeinsel) noch<br />
verschärfen. Wo vor einigen Jahren noch<br />
Kleingärten waren und heute nur provisorische<br />
Bauten stehen, soll mit einem riesigen<br />
Baukörper in die natürlichen Güter Boden<br />
und Wasser massiv eingegriffen <strong>werden</strong>.<br />
Als völlig unzureichend sieht die IGAB die<br />
Sicherheitsüberprüfung an. Obwohl im<br />
Eurolager N 90 in einem Gebäude 9 000<br />
Tonnen zum Teil sehr giftige beziehungsweise<br />
leicht entzündliche Stoffe gelagert<br />
<strong>werden</strong> sollen, verlassen sich alle Gutachter<br />
auf das Funktionieren von automatischen<br />
Löschanlagen, als hätte es bei solchen<br />
Anlagen noch nie Pannen gegeben. Bei<br />
allen Modellrechnungen über Stoff-Freisetzungen<br />
und deren Ausbreiten in die Umgebung<br />
wurde die Möglichkeit eines größeren<br />
Brandes oder gar eines Großbrandes nicht<br />
ernsthaft geprüft. Auch eine potentielle<br />
Neue Wohnformen<br />
Wie sollten menschengerechte Wohnformen<br />
der nahen Zukunft aussehen und wie<br />
lassen sie sich realisieren? Mit dieser Fragestellung<br />
beschäftigt sich seit zwei Jahren<br />
intensiv ein Kreis interessierter Laien und<br />
Fachleute aus Darmstadt.<br />
Selbstbestimmt, ökologisch orientiert, von<br />
überschaubarer Größe und ohne Ausgrenzung<br />
oder Ghettoisierung einzelner Bevölkerungs-<br />
oder Altersgruppen sollten künftige<br />
Wohnprojekte angelegt sein, so lautet<br />
das Zwischenergebnis der Gruppe, die sich<br />
nun anschickt, die Rahmenbedingungen für<br />
eine konkrete Wohnanlage in Darmstadt<br />
mit etwa 40 Wohneinheiten zu schaffen.<br />
Als sich die Gruppe im Herbst 1990 nach<br />
zwei Tagungen der Evangelischen Erwachsenenbildung<br />
und der Stiftung ’Die Mitarbeit‘<br />
zu den Themen „Alternative Lebensund<br />
Wohnformen“ bildete, war in erster<br />
Linie eine Einflußnahme auf die Konzeption<br />
des künftigen HEAG-Altenwohnstiftes in<br />
Kranichstein und dessen Umfeld beabsichtigt.<br />
Den Bemühungen der Gruppe ist zu<br />
verdanken, daß die HEAG ihr internes Vorhaben<br />
zumindest der Öffentlichkeit präsentierte<br />
und einen Architektenwettbewerb<br />
auslobte.<br />
Dem Kreis, der sich als Initiativgruppe versteht<br />
und schlicht „Neues Wohnen“ nennt,<br />
gehören Alleinstehende und Paare mit und<br />
ohne <strong>Kinder</strong> an, Studenten, Sozialwissenschaftler<br />
und Architekten, Ältere im Ruhestand,<br />
auch Mitglieder der Grauen Panther,<br />
die auch ein Eigeninteresse an neuen<br />
Wohnformen besitzen. Die katastrophale<br />
Lage auf dem Wohnungsmarkt, die zunehmende<br />
Fehlbelegung von Wohnungen, die<br />
wachsende Vereinsamung großer Bevölkerungsteile<br />
und die daraus resultierenden<br />
Probleme in Hinblick auf Fürsorge und<br />
Krankenpflege waren Hauptargumente,<br />
sich allgemein der Frage nach neuen<br />
Wegen im Wohnungsbau zu stellen. Unterstützung<br />
erfahren sie dabei durch den<br />
Wohnbund, das Institut Wohnen und<br />
Umwelt und durch die Leiterin der Sozialverwaltung<br />
und früheren Frauenbeauftragten<br />
Dr. Wilma Mohr.<br />
Aus der Analyse bisheriger alternativer<br />
Wohnprojekte im In– und Ausland leiten sie<br />
folgendes Konzept für eine Wohnanlage ab:<br />
Auf einer Fläche von 8000-10000 qm sollen<br />
vier dreigeschossige Einzelhäuser mit<br />
gemeinsamer Freifläche entstehen, die von<br />
verschiedenen Interessengruppen bewohnt<br />
<strong>werden</strong>: Ein Haus der „älteren Generation“<br />
mit hauptsächlich Zweizimmerwohnungen,<br />
ein Haus mit vielen <strong>Kinder</strong>n, d.h. für Paare,<br />
Alleinerziehende und Wohngemeinschaften<br />
Gefährdung durch Flugzeuge wird bestritten,<br />
obwohl jeder weiß, daß eine der Hauptabflugrouten<br />
vom Frankfurter Flughafen<br />
direkt über Arheilgen führt.<br />
Obwohl es bei Merck trotz Sicherheitsvorkehrungen<br />
immer wieder zu kleineren und<br />
größeren Unfällen kommt, gibt es bis heute<br />
noch keine konkrete Alarm- und Gefahrenabwehrplanung<br />
für die Bürger im Umkreis.<br />
Die Erstellung entsprechender Pläne wurde<br />
seitens der IGAB von Gabriele Lewin beim<br />
Erörterungstermin unabhängig vom<br />
Genehmigungsverfahren für das Eurolager<br />
angemahnt.<br />
Das Regierungspräsidium muß sich als<br />
Genehmigungsbehörde mit all diesen<br />
Bedenken ernsthaft auseinandersetzen. Die<br />
IGAB wird sich bemühen, insbesondere zu<br />
den Sicherheitsfragen noch gutachterliche<br />
Stellungnahmen unabhängiger Experten<br />
nachzureichen. Für die hierzu bisher eingegangenen<br />
Spenden bedankt sich die IGAB<br />
an dieser Stelle.<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 12<br />
mit <strong>Kinder</strong>n mit überwiegend 4-5-Zimmerwohnungen,<br />
ein Haus für Bewohner ohne<br />
<strong>Kinder</strong>, Alleinlebende, Student/innen,<br />
Jugendliche, kleinere Wohngemeinschaften<br />
und Behinderte mit 3-4-Zimmerwohnungen<br />
sowie ein Mehrgenerationenhaus,<br />
das Appartments mit gemeinsamer Küche<br />
beinhaltet bei überwiegend 2–Zimmerwohnungen.<br />
Im Erdgeschoß aller Gebäude sind Räume<br />
gemeinschaftlicher Nutzung vorgesehen,<br />
die auch an externe Gruppen vermietet <strong>werden</strong><br />
können, z.B. Vereinsräume, <strong>Kinder</strong>hort,<br />
Cafe, etc. Auch Hobbyräume, Wintergärten,<br />
Abstellräume sowie Gästewohnungen sind<br />
geplant. Ökologische Gesichtspunkte sollen<br />
ebenfalls Berücksichtigung finden, so<br />
z.B. Regenwassernutzung, Mietergärten,<br />
Dachbegrünung und passive Solarenergienutzung.<br />
Mit dieser Zielsetzung vor Augen<br />
sucht die Gruppe nach einer geeig<strong>net</strong>en<br />
Rechtsform, die die Vergabe der Wohnungen<br />
an Mieter mit sozialem Bindungsschein<br />
genauso ermöglicht wie an normale Mieter<br />
und auch Eigentumswohnungen zuläßt. Die<br />
Verwaltung der Wohnungen und der<br />
Gemeinschaftsräume soll von den Bewohnern<br />
selbst bestimmt <strong>werden</strong>. Ein Bauträger<br />
und ein geeig<strong>net</strong>es Gelände sind <strong>weiter</strong>e<br />
Bedingungen für die baldige Umsetzung<br />
des Projektes. Die Gruppe will bei der<br />
Klärung rechtlicher Fragen die Stadt Darmstadt<br />
in die Pflicht nehmen, insbesondere<br />
Bürgermeister Benz, denn sie greift mit<br />
ihren Vorstellungen auch auf Passagen des<br />
von ihm mit erarbeiteten Altenplanes<br />
zurück.<br />
Wer sich für die Arbeit der Gruppe interessiert<br />
oder sich sogar für die Verwirklichung<br />
des Wohnprojektes einsetzen möchte, ist<br />
zu den offenen Treffen an jedem ersten<br />
Dienstag im Monat eingeladen, die ab 20<br />
Uhr im Institut Wohnen und Umwelt, Annastraße<br />
15 stattfinden, das nächste am 9.<br />
Juni.<br />
Weitere Informationen sind zu erhalten von<br />
Karin Gerhardt, Tel. 22441 und Hanni Skroblies,<br />
Tel. 719653. Christian Osorio,<br />
Initiativgruppe Neues Wohnen,<br />
Breslauer Platz 3, 6100 Darmstadt<br />
Der Mond ist<br />
aufgegangen…<br />
Wer das Glück oder Pech hat, hier in Darmstadt<br />
einmal im Krankenhaus des Elisabethenstifts<br />
einige Zeit verbringen zu müssen,<br />
der wird buchstäblich und in jeder Hinsicht<br />
vom Schlaf aufgerüttelt.<br />
Hier wird Darmstädter Politik und individueller<br />
Einsatz für den Menschen drastisch<br />
vor Augen geführt.<br />
Tag und Nacht mühen sich liebevolle<br />
Schwestern, tapfere Pfleger und Ärzte um<br />
das Wohl der Patienten und jahrelang –<br />
wenn nicht schon jahrzehntelang – hat die<br />
Darmstädter Stadtplanung – an vorderster<br />
Stelle ihr oberster Planer Metzger – auf<br />
dem Gebiet der Verkehrsberuhigung entlang<br />
der Landgraf-Georg-Straße, des City-<br />
Rings und der Bleichstraße nicht nur Nichts<br />
erreicht, sondern zugesehen, wie eine<br />
schlimme Situation immer chaotischer<br />
wird.<br />
Zum Glück oder Pech mußten die zuständigen<br />
Politiker noch keine schwüle Nacht bei<br />
offenem Fenster hier im Elisabethenstift<br />
verbringen. Sollte man ihnen solches vielleicht<br />
zum Wohle der Stadt Darmstadt wünschen?<br />
G. Wallner, Zi. 310
FEUILLETON I<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 13<br />
Kein<br />
unststück –<br />
unsthandwerk<br />
Strohhochzeit:<br />
Joachim Johannsens<br />
erste Inszenierung in Darmstadt<br />
Menhire auf steiniger Weide,<br />
links schemenhaft ein alter<br />
Pflug, in der Mitte ein großer<br />
dunkler Citrœn, dazwischen –<br />
kaum unterscheidbar von den<br />
hohen Steinen – vermummte Gestalten.<br />
<strong>Und</strong> über allem wabert der<br />
Morgennebel. Solch eindrucksvolles<br />
Bühnenbild (Bernd Damovsky)<br />
hat sich Schauspielchef Joachim<br />
Johannsen für seine erste Inszenierung<br />
in Darmstadt bauen lassen.<br />
Das „bretonischste Bühnenbild“ für<br />
die bisherigen Inszenierungen seines<br />
Stücks „Strohhochzeit“, wie<br />
Roland Fichet in einem Gespräch<br />
bemerkte. „De la paille pour mémoire“,<br />
Stroh zur Erinnerung, so<br />
der Originaltitel, entstand 1983 in<br />
der Bretagne, wo Fichet geboren<br />
und aufgewachsen ist. Autobiographisches<br />
floß in dieses Stück ein,<br />
die Erfahrungen mit ländlicher Abgeschiedenheit,<br />
in der ein rigider<br />
Katholizismus und Rudimente der<br />
keltisch-heidnischen Kultur nebeneinander<br />
existieren und in dem eine<br />
eigene, nicht mit dem Französischen<br />
verwandte Sprache – das<br />
Bretonische – das Verschlossene<br />
von Mensch und Landschaft zu<br />
betonen scheint.<br />
Die französische Uraufführung<br />
des Stücks im bretonischen St.<br />
Brieuc, wo Fichet heute lebt,<br />
arbeitet und ein eigenes Theater zur<br />
Verfügung hat, war ein Novum.<br />
Nicht nur, weil in ungewohnter<br />
Weise das Klima sexueller Repression<br />
spürbar ist, sondern auch<br />
wegen der Zweisprachigkeit. Bretonisch<br />
auf der Bühne gibt es sonst<br />
nicht. Die bretonische Kultur insgesamt<br />
wird in Frankreich ignoriert.<br />
Kürzlich lachte das Publikum in<br />
Paris über die bretonischen Passagen<br />
im Stück, weil es nicht verstehen<br />
konnte oder wollte. Joachim<br />
Johannsen, der zwei Jahre in Paris<br />
gelebt hat und dort auf Fichet<br />
aufmerksam wurde, behalf sich bei<br />
seiner Übersetzung ins Deutsche<br />
mit dem Englischen.<br />
In der deutsch(-englisch)sprachigen<br />
Erstaufführung der „Strohhochzeit“<br />
in Darmstadt liegt der<br />
Akzent gleichermaßen auf dem<br />
Zauber und der Schwierigkeit der<br />
Stunde Null von vier Personen, die<br />
ihr gewohntes Leben gezwungenermaßen<br />
nicht <strong>weiter</strong>führen können.<br />
Der Gutshof, auf dem die drei<br />
Geschwister aufgewachsen sind,<br />
mußte verkauft <strong>werden</strong>, der Knecht<br />
ist frei.<br />
Alle Vier sind über Nacht heimatlos<br />
geworden, ohne zu wissen, was die<br />
Zukunft bringen wird. Sie machen<br />
sich auf den Weg in ein unbekanntes<br />
Leben, der Citrœn streikt nach<br />
50 Metern, sie kommen nicht von<br />
der Stelle. Das ist die Grundsituation<br />
drei kurze Akte lang. Vigre<br />
macht dem jungen Mädchen Hélène<br />
einen Heiratsantrag und Jobloup,<br />
der ältere Bruder, tötet seine<br />
geliebte Stute. Viel mehr passiert<br />
nicht. Fichet will zeigen, wie jede<br />
der vier Personen mit der Atempause<br />
umgeht, die das Schicksal gewährt,<br />
um Abschied zu nehmen.<br />
Als zeitloses Gleichnis ist das zu<br />
verstehen. Es ist eines, das leider<br />
nicht eigentlich Neues bringt.<br />
Tschechow hat die gebildete<br />
Langeweile auf dem Lande besser<br />
eingefangen, Beckett gestaltete das<br />
Festsitzen und Wartenmüssen quälender,<br />
zugleich kurzweiliger, und<br />
Claudel hat die Fesseln von Familie<br />
und Tradition/Religion eindringlicher<br />
gezeigt. Hier hätte nur eine<br />
Inszenierung, die in der Schwebe<br />
bleibt, statt eindeutig zu <strong>werden</strong>,<br />
eine reizvolle Aufführung ergeben<br />
können. Regisseur Johannsen jedoch<br />
raubt dem Stück seine Geheimnisse.<br />
Jeder Zuschauer weiß<br />
nach anderthalb Stunden: die Geschwister<br />
haben ein latent inzestuöses<br />
Verhältnis zueinander, die<br />
plumpe Begehrlichkeit des Knechts<br />
Vigre kennt nur das eine Ziel – Hélène.<br />
Jobloup tötet seine Stute Eva,<br />
um sich von der Vergangenheit und<br />
seiner Bindung an die Schwester zu<br />
befreien und Zaac-Vigres Kumpanei<br />
trägt homoerotische Züge. Da<br />
bleibt keine Frage offen und kein<br />
Raum für Assoziationen.<br />
Die schauspielerischen Leistungen<br />
sind bemerkenswert. Timo Berndt<br />
verkörpert den Jobloup als zarten<br />
Hitzkopf, der den starken Mann<br />
herauskehrt, gerade weil er die<br />
Entwurzelung nicht aushalten<br />
kann. Gregor Weber (Schauspielschüler<br />
aus Frankfurt), der kleine<br />
zurückgebliebene Bruder, ist<br />
sprachlos geworden. Er bellt wie<br />
ein Hund, um sich verständlich zu<br />
machen und fordert jaulend seine<br />
Streicheleinheiten ein, wenn er sich<br />
nicht gerade mit Radiomusik und<br />
Pornoheften vergnügt. Vigre,<br />
gespielt von Klaus Ziemann, schafft<br />
es, sich im Dreierbund der<br />
Geschwister zu behaupten. Wo<br />
Unterwürfigkeit und Schmeichelei<br />
nicht <strong>weiter</strong>helfen, verschafft er<br />
sich mit polternder Dreistigkeit so<br />
etwas wie Achtung.<br />
Einzig die mädchenhafte Hélène<br />
scheint etwas begriffen zu<br />
haben. Alexandra von Schwerins<br />
Wandlungsfähigkeit läßt<br />
deutlich <strong>werden</strong>, wie ein junges, behütetes<br />
Mädchen zur erwachsenen<br />
Frau wird. Für sie ist die Stunde<br />
Null die Stunde einer Wiedergeburt.<br />
Sie weiß um die Reize der Gefangenschaft<br />
– „Ich hätte Lust, noch<br />
mehr Zeit zu verlieren. Ich hätte<br />
Lust, noch schwächer zu <strong>werden</strong>“ -,<br />
doch sie spürt (und man kann es<br />
sehen), daß sie lebendig ist und die<br />
Schmerzen des Neubeginns annehmen<br />
muß.<br />
Mit den Mitteln des Realismus, der<br />
Komik, der Psychologie und der<br />
Mythologie, die das Stück enthält<br />
und deren sich der Regisseur<br />
bedient, ist am Ende alles gesagt<br />
und gezeigt worden, was zu sagen<br />
und zu zeigen war. Es bleibt ein<br />
etwas schales Gefühl, weil alles<br />
verstanden wurde, was zu verstehen<br />
war. Wenn das Wesen der<br />
Kunst gerade in seinem unerklärlichen<br />
Rest begründet liegt, so war<br />
dies kein Kunst-Stück, sondern<br />
gutgemachtes Kunst-Handwerk.<br />
Leon Frey<br />
Foto: Alexandra von Schwerin als<br />
Hélène und Timo Berndt als Jobloup in<br />
der „Strohhochzeit“ von R. Fichet<br />
(G. Amos)<br />
Die Liebe in den Zeiten des HIV-Virus<br />
Er hat Aids, sie nicht. Er lebt zwangsweise<br />
in einem bewachten Internierungslager<br />
für HIV-Positive, sie in der nicht weniger<br />
reglementierten Welt der Gesunden.<br />
Der amerikanische Film- und Fernsehautor<br />
Alan Bowne, der 1990 an Aids starb, verlegte<br />
sein 1987 entstandenes Stück „Beirut“ in<br />
die Zukunft. Er entwarf eine negative, durchaus<br />
plausible Utopie. Wer HIV-positiv ist,<br />
bekommt einen Stempel auf die Pobacke,<br />
links die Männer, rechts die Frauen. Die Abgestempelten<br />
<strong>werden</strong> isoliert, die (noch) Gesunden<br />
mittels Kamera und wöchentlichen<br />
Blutkontrollen überwacht. Jede Art von<br />
körperlicher Liebe untersteht strengsten<br />
gesetzlichen Vorschriften, während Onanie<br />
vor Pornovideos favorisiert wird – selbstverständlich<br />
vor Überwachungskameras.<br />
Die Darmstädter Inszenierung des Stücks<br />
auf der Werkstattbühne spielt in einem<br />
rostig vergitterten Raum (Bühne: Axel<br />
Kimminus), einer Einzelzelle, in der Torch<br />
darauf wartet, daß sich erste Krankheitssymptome<br />
zeigen. Matratze, schmuddeliges<br />
Waschbecken und eine Pyramide aus<br />
Konservendosen (andere Lebensmittel gibt<br />
es nicht) bilden das karge Mobiliar. Der<br />
Regisseur Wolfgang Hagemann hat „Beirut“<br />
einiges an New Yorker Lokalkolorit genommen,<br />
um es besser im Irgendwo, d.h. überall<br />
ansiedeln zu können. Das wäre nicht nötig<br />
gewesen, vermindert aber möglicherweise<br />
die Distanz zum Thema. Jedenfalls wird die<br />
Vorstellbarkeit des utopischen Arrangements<br />
größer zu einem Zeitpunkt, wo das<br />
Thema Aids kaum noch Thema ist. Die Liebe<br />
in den Zeiten des HIV-Virus ist eben nicht<br />
nur für Homosexuelle problematisch, und<br />
der Gefahr sind nicht nur Fixer ausgesetzt.<br />
Was die im Stück bloß ausgedachte Ghettoisierung<br />
von Aids-Infizierten angeht, so<br />
haben Vorschläge gewisser Politiker hierzulande<br />
Alan Bownes Utopie längst eingeholt.<br />
Das Mädchen Blue schafft es, die strengen<br />
Sicherheitskontrollen in „Beirut“ – ein Begriff,<br />
der in den USA als Bezeichnung für<br />
Slum und Ghetto gebraucht wird – zu durchbrechen,<br />
um ihren Freund Torch zu besuchen.<br />
Sie will bei ihm bleiben. Elisabeth<br />
Degen spielt das Mädchen über weite<br />
Strecken allzu unbekümmert und munter, so<br />
als gäbe es gar kein Risiko. Blue will den<br />
Freund verführen, er sträubt sich, weil er<br />
Angst hat, sie anzustecken. Eineinviertel<br />
Stunden lang streiten die beiden darum, was<br />
zwischen ihnen möglich ist – Berührungen<br />
vielleicht, aber an welchen Körperstellen,<br />
Zungenküsse oder besser Trockenküsse,<br />
aus einer Dose essen oder lieber nicht. Beinahe<br />
pausenlos reden Torch und Blue über<br />
das unsichtbare Virus und was sie gerne<br />
täten, gäbe es das Virus nicht. Die Sprache<br />
ist für eine Liebesgeschichte ungewöhnlich<br />
unflätig und brutal. Sebastian Hufschmidt<br />
kommen die ordinären Ausdrücke (der Autor<br />
stammt aus der tiefsten Bronx) glaubwürdiger<br />
von den Lippen als Elisabeth Degen,<br />
deren Gesicht an das einer Renaissance-Madonna<br />
erinnert.<br />
Insgesamt vermittelt er den stärkeren<br />
Gesamteindruck. Ein gefangener, gedemütigter<br />
Mensch, der sich zitternd und schwitzend<br />
der unwürdigen Körperkontrolle des<br />
äußerst bedrohlich wirkenden Wärters (Dino<br />
Isanculescu) mit der gekrümmten Eisenstange<br />
unterwirft. Blues Entschluß, bei<br />
ihrem infizierten Geliebten zu bleiben, gewinnt<br />
erst allmählich gegen Ende des Stücks<br />
an Glaubwürdigkeit. Daß diese Liebe den<br />
Tod beinhaltet, wissen beide. Sie nutzen die<br />
Freiheit, sich zu entscheiden. „Du hast nicht<br />
eine Minute deines Lebens selbst besessen“,<br />
läßt Bowne das Mädchen Blue sagen,<br />
und die Degen darf es ohne Pathos aussprechen.<br />
„Der Augenblick, in dem wir sterben,<br />
der gehört uns“. Am Schluß sieht es dann<br />
Alan Bownes Stück „Beirut“ auf der Werkstattbühne<br />
aber doch so aus, als ob auch dieser Augenblick<br />
fremdbestimmt wäre.<br />
Das überwiegend junge Premierenpublikum<br />
applaudierte mit kräftigem Beifall und einigen<br />
Bravos. Es steht zu hoffen, daß „Beirut“<br />
und die Inszenierung des Stücks auf der<br />
Darmstädter Werkstattbühne zur notwendigen<br />
Aktualisierung des nicht mehr recht<br />
aktuellen Themas Aids beitragen <strong>werden</strong>. Im<br />
Anschluß an die „Beirut“-Aufführung am<br />
Freitag, dem 19. Juni 1992 (ca. 21.15 Uhr)<br />
soll eine Diskussion unter dem Titel<br />
„BEIRUT – Von der Liebe in einer apokalyptischen<br />
Welt“ stattfinden. Das Beirut-Ensemble<br />
und Mitglieder der Aids-Hilfe<br />
Darmstadt <strong>werden</strong> anwesend sein.<br />
Hanne Kreutzer<br />
Abb.: Elisabeth Degen in der Rolle des Mädchen<br />
Blue, Sebastian Hufschmidt spielt den Aids-<br />
Infizierten Torch<br />
(Foto: G. Amos)
FEUILLETON IV<br />
Nummer 31 · 19.6..1992 · Seite 16<br />
„Die irrige Vorstellung<br />
von einem demokratischen<br />
Politiker endlich begraben“<br />
Die Rede von<br />
Walter Steinmetz<br />
zur Verleihung<br />
des von ihm<br />
gestifteten<br />
Alternativen<br />
Büchnerpreises<br />
Lieber Herr Professor Jungk,<br />
verehrter Herr Professor Künzli,<br />
sehr geehrtes Auditorium,<br />
ich begrüße Sie sehr herzlich und hoffe Sie<br />
damit einverstanden, daß wir trotz des<br />
Fehlens der Politprominenz die Preisverleihung<br />
nicht abbrechen. Wir haben Verständnis<br />
dafür, daß der Wiederaufbau eines<br />
Feudalsystems wie zu Georg Büchners<br />
Zeiten den vollen Einsatz <strong>unsere</strong>s Polit-<br />
Adels erfordert. <strong>Und</strong> wir sollten auch Mitgefühl<br />
dafür aufbringen, wie Politikerinnen<br />
und Politiker unter dem Mißverständnis<br />
leiden müssen, für Parasiten und Schmarotzer<br />
gehalten zu <strong>werden</strong>, obwohl sie sich<br />
doch Tag und Nacht für uns aufopfern,<br />
während wir auch noch das demütigende<br />
Ansinnen stellen, daß sie ihre Kontoauszüge<br />
prüfen und abends ihre Kostüm- bzw.<br />
Anzugtaschen nach Briefumschlägen mit<br />
Barem absuchen sollen.<br />
Deshalb begrüßen wir es dankbar, daß der<br />
Herr Bundespräsident letzte Woche anläßlich<br />
einer Beerdigung seinen Untertanen<br />
Gelegenheit gegeben hat, ihre irrige Vorstellung<br />
von einem demokratischen Politiker<br />
endlich zu begraben. Nun wissen wir,<br />
wie und was ein Politiker zu sein hat: „Eine<br />
noble Persönlichkeit … mit Stil und Würde.“<br />
Wir sind stolz darauf, daß der Herr<br />
Bundespräsident selbst diese Maxime<br />
vorbildlich verkörpert, und fühlen uns beschämt<br />
von seiner gütigen Bescheidenheit.<br />
So will er für seine Hofhaltung in Berlin mit<br />
dem Kronprinzenpalais vorlieb nehmen und<br />
nicht den Wiederaufbau des königlichen<br />
Schlosses verlangen, das mit seinen ehemals<br />
600 Zimmern eigentlich den<br />
gebührenden Rahmen für ihn abgäbe.<br />
Es ist zu hoffen, daß ihm sein dankbares<br />
Volk seine seitherige Berliner Residenz,<br />
Schloß Bellevue im Tiergarten, als Zweitwohnung<br />
beläßt. Insbesondere von solchen<br />
Leuten, die ihre Wochenenden in der eigenen<br />
Gartenhütte in einer Laubenkolonie<br />
verbringen, kann Zustimmung erwartet<br />
<strong>werden</strong>.<br />
Nicht nur in Deutschland haben noble<br />
Persönlichkeiten die Situation im Griff.<br />
Herrn Bush ist es in Nachahmung bedeutender<br />
Vorbilder erfolgreich gelungen, alle<br />
Probleme auf sich beruhen zu lassen, so<br />
daß sich Gleichgültigkeit und Abgestumpftheit<br />
breitmachen. Etwas Besseres<br />
kann einer Regierung garnicht passieren.<br />
Wo kommen wir schließlich hin, wenn Störenfriede<br />
wie Georg Büchner und Robert<br />
Jungk sich als mündige Bürger aufspielen<br />
und blinden Gehorsam in Frage stellen?!<br />
Als <strong>weiter</strong>en Aktivposten in seiner Erfolgsbilanz<br />
kann Herr Bush mit dem Golfkrieg<br />
aufwarten. Als sein dynamisches Team aus<br />
seinen Filialen in Europa und Japan die gehorsam<br />
bereitgestellten Milliarden-Beteiligungen<br />
auf den Tisch geblättert hatte, war<br />
ein satter Reibach erwirtschaftet. Nachdem<br />
die Waffenlager vorteilhaft geräumt und die<br />
Ladenhüter der alten Generation im Irak<br />
zweckmäßig entsorgt <strong>werden</strong> konnten, ist<br />
jetzt Platz für frische Ware.<br />
Die Absatzerwartungen stimmen optimistisch:<br />
Der Waffenverbrauch in Jugoslawien<br />
verzeich<strong>net</strong> einen erfreulichen Anstieg,<br />
und der Markt im Nahen Osten ist <strong>weiter</strong>hin<br />
unbegrenzt aufnahmefähig. Dort sind seit<br />
dem Golfkrieg bis zum Mai ’92 Waffen für<br />
21,4 Milliarden Dollar abgesetzt worden.<br />
Einen Großteil lieferte die Firma Rockwell<br />
International, für die es ein Klacks ist, wenn<br />
sie zu einer Geldbuße von 18,5 Millionen<br />
Dollar verurteilt wird, weil sie in ihrer<br />
Atomwaffenanlage in Colorado radioaktive<br />
Stoffe in Bäche gekippt hat, wie dpa vor 10<br />
Tagen meldete. Rockwell ist derjenige Rüstungsgigant,<br />
bei dem Altbundeskanzler<br />
Helmut Schmidt seit dem Golfkrieg eine<br />
vorteilhafte Teilzeitbeschäftigung ausübt,<br />
wie ich vor einem Jahr an dieser Stelle<br />
enthüllt hatte. Nur wenige Tage später, am<br />
4. Juli 1991, ließ er mich in einem drei Seiten<br />
langen Brief wissen von der „geplanten<br />
Umstellung in dieser Firma von militärisch<br />
nutzbaren Gütern auf Produkte für zivile<br />
Verwendung“. Der Brief endet: „Was daran<br />
skandalös sein soll, vermag ich nicht zu<br />
erkennen.“<br />
Leider hat er mir nicht mitgeteilt, was das<br />
für zivile Produkte sind, so daß ich bei Rockwell<br />
leider noch nicht einkaufen konnte.<br />
Günstig einkaufen in Deutschland kann auf<br />
jeden Fall die israelische Regierung; Waffen<br />
bekommt sie sogar zum Null-Tarif. Mit<br />
etwas Geld als Zugabe lassen wir uns auch<br />
nicht lumpen. Auch unser Know-how in<br />
Sachen „Herrenrasse“ und „Volk ohne<br />
Raum“ steht kostenlos zur Verfügung, so<br />
daß die Entarabisierung zügig fortschreitet.<br />
Mit der Endlösung der Palästinenserfrage<br />
findet ein anderes Vorbild seine späte<br />
Anerkennung, so daß <strong>unsere</strong> Erfahrungen<br />
unter Hitler, Goebbels und Himmler nicht<br />
einfach nur für die Katz gewesen sind.<br />
Daß es auch sonst nur Grund zur Freude<br />
gibt, hat uns Herr Bush gelehrt, als er den<br />
Sturz Gorbatschows und den Zusammenbruch<br />
der Sowjetunion laut „Darmstädter<br />
Echo“ einen „Sieg der moralischen Überlegenheit“<br />
des gottesfürchtigen Westens<br />
nannte. Dadurch waren auch <strong>unsere</strong> Ängste<br />
ausgeräumt, in die uns Herr Gorbatschow<br />
gestürzt hatte. Er hatte sich im November<br />
letzten Jahres zu der Feststellung verstiegen,<br />
daß „bei einer strengen Beurteilung<br />
alle Staatsmänner und Regierungschefs der<br />
letzten Jahrzehnte statt in Rente ins<br />
Gefängnis geschickt“ <strong>werden</strong> müßten.<br />
Damit hatte er das Schreckensbild an die<br />
Wand gemalt, daß womöglich infolge<br />
Überfüllung die Herren Kohl und Honecker<br />
mit Helmut Schmidt eine Zelle teilen<br />
müßten.<br />
Auch in Darmstadt wäre die Gefängniskapazität<br />
prekär gewesen, weil der Gefängnisneubau<br />
in Weiterstadt noch nicht fertig ist,<br />
so daß zum Glück der Zustand nicht eingetreten<br />
ist, daß Darmstadt aus Mangel an<br />
seinen noblen Persönlichkeiten in die<br />
Provinzialität hätte versinken müssen.<br />
Zum Schluß wollen wir auch der <strong>weiter</strong>en<br />
Fortschritte gedenken, die unser Land seit<br />
dem letzten Jahr gemacht hat.<br />
Die Bundeswehr darf sich endlich bald mit<br />
militärischen Mitteln an Friedensmissionen<br />
beteiligen. Wie segensreich Missionare<br />
wirken können, ist uns anläßlich der 500-<br />
Jahr-Feiern der Entdeckung Amerikas<br />
wieder in Erinnerung gerufen worden. <strong>Und</strong><br />
ein Lied aus dem neuen Bundeswehr-<br />
Liederbuch von 1991 kann dann endlich<br />
auch mit Sinn erfüllt <strong>werden</strong>:<br />
Unsere Linke an dem Schwerte,<br />
in der Rechten einen Spieß,<br />
kämpfen wir, so weit die Erde,<br />
bald für das und bald für dies.<br />
Dieses Lied steht dem Deutschlandlied<br />
kaum nach, auf dessen Absingen wir<br />
deshalb auch in diesem Jahr wieder<br />
verzichten wollen.<br />
Experiment Israel gescheitert:<br />
jüdische Toleranz verraten<br />
Robert Jungk erhielt den Alternativen Büchner-Preis 1992<br />
– Preisstifter verärgert<br />
Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion<br />
und der unter ihrer Hegemonie<br />
stehenden Staaten jubelten<br />
Profitler und kalte Krieger in Siegerpose,<br />
Teile der Linken dagegen verstummten in<br />
resignativem Katzenjammer. Während die<br />
Demagogen des real existierenden Kapitalismus<br />
Fortschrittseuphorie und, vorsichtig<br />
noch, Großmachtgefühle unter die Leute<br />
streuen, sucht die Linke inzwischen, noch<br />
etwas verstört, aber sich aufrappelnd, nach<br />
neuen Zielen und Begründungszusammenhängen.<br />
Robert Jungk, diesjähriger Träger<br />
des Alternativen Büchnerpreises, zeigt den<br />
einen, was ihr „Fortschritt“ ist: selbstzerstörerischer<br />
Umgang mit Mensch, Natur<br />
und Ressourcen. Die anderen, auf deren<br />
Seite er steht, stärkt er mit Argumenten,<br />
macht Mut.<br />
Drei Ebenen der Realität<br />
In seinem „Projekt Ermutigung. Streitschrift<br />
wider die Resignation“ (Rotbuch<br />
Verlag 1988, aktualisiert 1990) sieht er „die<br />
‚Mächtigen‘ in Wahrheit schwächer, als sie<br />
scheinen, die ‚Ohnmächtigen' stärker, als<br />
sie wissen“. An der linken „Widerstandsbewegung“<br />
vermißt er neue Strategien im<br />
Kampf für gesellschaftliche Veränderungen<br />
und plädiert für „Methoden der Entfaltung<br />
sozialer Phantasie“. Erkenntnistheoretische<br />
Grundlage für diesen Vorschlag ist ein<br />
interessanter und kreativer Begriff von<br />
Realität, die aus drei Ebenen besteht: der<br />
sichtbaren, der sich vorbereitenden und der<br />
gewünschten Wirklichkeit. „Real ist<br />
nämlich nicht nur das offensichtlich Greifbare,<br />
sondern auch vieles, das schon<br />
spürbar im Werden ist und sich meist erst<br />
in leisen Signalen den Aufmerksamen<br />
mitteilt. Auch das, was in vielen Köpfen erst<br />
als Wunsch und Vorstellung vorhanden ist,<br />
gehört ins Bild einer tieferen Wirklichkeit.“<br />
Zweifel der Eliten<br />
Jungk analysiert die allumfassenden Gefahren<br />
einer „totalitären Technokratie“ und des<br />
„Atomstaats“, der Bio- und Informationstechnologie,<br />
läßt sich aber optimistisch<br />
stimmen durch die „whistle-blowers“, die<br />
„Verpfeifer“ in den Reihen der wissenschaftlich-technischen<br />
Eliten, die aus Gewissenskonflikten<br />
heraus die Fronten<br />
wechseln. „Die Zweifel der Eliten sind die<br />
Schwalben der Veränderung.“ Das klingt<br />
elitär, ist es aber nicht. Denn Jungks Intellektuelle<br />
sind keine abgehobenen Philosophenkönige,<br />
die in kleinem Zirkel ihr Süppchen<br />
der Erleuchtung kochen, sondern basisnahe<br />
Lauscher, Rezeptoren der<br />
Wünsche von Millionen Menschen.<br />
Diese Erwartungen und Phantasien sollen<br />
in „Zukunftswerkstätten“, einer Mischung<br />
aus Politikseminar und politischer Selbsterfahrung,<br />
zusammengetragen und von den<br />
Teilnehmern danach in den „Ritzen oder<br />
Freiräumen des Systems“ realisiert <strong>werden</strong>.<br />
In solchen „sozialen Experimenten“ sieht<br />
der Pazifist Jungk eine Chance, die gesellschaftlichen<br />
Veränderungen auf eine humane<br />
und gewaltlose Weise voranzutreiben.<br />
Daß er die Frage der politischen Macht<br />
nicht ausklammert, zeigte er mit seiner<br />
Kandidatur für das Amt des österreichischen<br />
Bundespräsidenten in diesem Jahr<br />
und bei seiner Kundgebungsrede am 1. Mai<br />
in Frankfurt, als er die Gewerkschaft als „die<br />
einzige große Gegenmacht“ gegen die „kleine<br />
Clique von Raubrittern“ bezeich<strong>net</strong>e.<br />
Konsequenter Antifaschist<br />
Geboren 1913 als Kind jüdischer Eltern,<br />
betätigte sich Jungk (das ist der Künstlername<br />
seines Vaters David Baum) als Schüler<br />
in antibürgerlichen deutsch-jüdischen<br />
und sozialistischen Gruppen, studierte in<br />
Berlin Philosophie, floh 1933 vor den Nazis,<br />
studierte in Paris Psychologie und Soziologie,<br />
hatte 1936 Kontakt zur linkssozialdemokratischen<br />
antifaschistischen Widerstandsgruppe<br />
„Neu beginnen", agitierte von<br />
der Schweiz aus journalistisch gegen die<br />
Nazis, war nach dem Krieg Korrespondent<br />
Schweizer und anderer Zeitungen, wohnte<br />
in den USA und seit den fünfziger Jahren<br />
überwiegend in Österreich. Anfang der<br />
siebziger hielt er an der Technischen<br />
Universität Berlin als Honorarprofessor<br />
Vorlesungen im Fach „Zukunftsforschung“.<br />
Vieles,was Jungk in den fünfziger Jahren<br />
über Atomenergie und Atomwaffen schrieb,<br />
wurde später zum Allgemeingut der<br />
Massenbewegungen. <strong>Und</strong> als die beiden<br />
Ströme der westdeutschen Friedensbewegung,<br />
der ältere, abrüstungsorientierte, und<br />
der jüngere, ökologische, in den achtziger<br />
Jahren mehr und mehr zu einer Einheit<br />
zusammenflossen, da lag diese Einheit in<br />
der Person Robert Jungks schon jahrzehntelang<br />
vor. Die Ostermarsch-Bewegung sah<br />
ihn als Mitstreiter, das Russell-Tribunal<br />
1977, die große Bonner Kundgebung im<br />
Oktober 1983, die Raketenbasis in Mutlangen<br />
wurde 1985 auch von ihm mitblockiert,<br />
und bei der Kundgebung gegen die Plutoniumfabrik<br />
in Hanau 1987 hielt er eine Rede,<br />
die ihm laut eigener Darstellung nach<br />
14jähriger Kolumnistentätigkeit bei der<br />
Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ den<br />
Hinauswurf einbrachte. Der 1986 verliehene<br />
alternative Nobelpreis wird's ihm etwas<br />
verschmerzt haben.<br />
Ein streitbarer Intellektueller…<br />
also, für den Theorie und Praxis deckungsgleich<br />
sind und eine enge, wechselseitige<br />
Verbindung eingehen. Dies hat er gemeinsam<br />
mit Georg Büchner. Wie sieht er<br />
selber sein Verhältnis zu dem Goddelauer?<br />
Jungk, der es gut fand, daß er im Rahmen<br />
des „menschliche Nähe und Verbundenheit“<br />
voraussetzenden Alternativen Büchnerpreises<br />
die Zuhörenden einfach mit „liebe<br />
Freunde“ begrüßen konnte, setzte sich<br />
zunächst vor allem von Büchner ab. Dessen<br />
Äußerungen im Brief an seinen Bruder<br />
Wilhelm vom Juli 1835 („... daß nichts zu<br />
tun ist und jeder, der im Augenblick sich<br />
aufopfert, seine Haut wie ein Narr zu Markte<br />
trägt.“) und im Schreiben vom Frühjahr<br />
1834 an seine Braut („Ich fühlte mich wie<br />
zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus<br />
der Geschichte.“) betrachtet er als Ausfluß<br />
eines „frevelhaften“ Geschichtspessimismus,<br />
der bei ihm „entschiedenen Widerspruch“<br />
hervorruft.<br />
„Woher nehmen denn die Zweifler die unbedingte<br />
Gewißheit der revolutionären Mißerfolge<br />
gleich für alle kommenden Zeiten?“<br />
Im übrigen habe die Geschichte der letzten<br />
150 Jahre Büchners Meinung nicht bestätigt.<br />
Denn seither sei die Zahl der „Narren,<br />
die ihre Haut zu Markte tragen“, gewaltig<br />
gewachsen. „Denn zu den Armen, die<br />
der damals noch enge geographische Gesichtskreis<br />
des mit ihnen leidenden Poeten<br />
erfaßte, sind die Milliarden unter Tyrannei,<br />
Hunger und Ausbeutung Leidenden in<br />
Afrika, Asien und Lateinamerika gestoßen.<br />
Sie sind zur Rebellion gezwungen, wenn sie<br />
überleben wollen. Resignation können sie<br />
sich nicht leisten. Es würde ihren massenhaften<br />
Tod unvermeidlich machen.“<br />
Robert Jungk<br />
Schwerlich vorstellbar, daß Büchner das<br />
anders sehen könnte.<br />
Büchner kein Nihilist<br />
(Fotos: H. Schäfer)<br />
Der Preisträger differenziert sein Bild vom<br />
Pessimisten Büchner, indem er sich der<br />
Auffassung des Literaturhistorikers Hans<br />
Mayer anschließt, der „die Elemente der<br />
Hoffnung schwach gegründet“ sieht.<br />
Büchner, so Jungk, gehöre nicht zu den<br />
radikalen Verneinern. „Wäre Büchner ein<br />
konsequenter Nihilist gewesen, so hätte er<br />
geschwiegen, sich mit der Darstellung der<br />
Leere und Langeweile begnügt wie in<br />
‚Leonce‘, wie im ‚Lenz‘. (...) Die zaghafte<br />
Wendung zu neuen Möglichkeiten war wohl<br />
stets in ihm angelegt.“ Büchners Pessimismus<br />
und die abschätzigen Urteile über die<br />
Volksmassen sieht er „nicht als ewige<br />
Wahrheit, sondern als zeitbedingt“. Das<br />
entscheidende „zeitlose Bekenntnis des<br />
Mitfühlenden, über die Widerwärtigkeiten<br />
der Gegenwart Hinausdenkenden“ sei in<br />
Büchners Satz enthalten: „Man muß die<br />
Menschen lieben, um in das eigentliche<br />
Wesen eines jeden einzudringen; es darf<br />
einem keiner zu gering, keiner zu häßlich<br />
sein.“ Büchners Anregung, sich dem Volke<br />
zuzuwenden, sei auch heute, da nirgendwo<br />
echte Herrschaft des Volkes bestehe, von<br />
unverminderter Dringlichkeit.<br />
☛ Fortsetzung Seite 17
FEUILLETON V<br />
☛ Fortsetzung von Seite 16 Krieg den Laboratorien!<br />
diesem Zusammenwirken des nach der St. Gallener Strafanstalt internierten<br />
Wahrheit suchenden Geistes mit einer Jungk belegte Künzli, wie der spätere<br />
Seltene Worte von einem Büchnerpreis- Aufgrund seiner Erfahrungen in den<br />
Klasse, die noch viel hartherziger war als Zukunftsforscher damals schon die konkrete<br />
Lebenssituation der Menschen, ihre<br />
Träger. Indem er Büchners Widersprüche Zukunftswerkstätten, wo er mit gleichgesinnten<br />
Menschen „Entwürfe für menschli-<br />
die von Büchner gehaßte Aristokratie,<br />
begreift und sie mit Augenmaß auf die<br />
Tendenz von dessen Gesamtpersönlichkeit<br />
Gefahren von nie geahnter Gewalt für die<br />
chere, gerechtere, freundlichere Verhältnisse“<br />
entwickelte, fühlt sich Jungk mit<br />
Unzufriedenheit analysierte, um positive<br />
bezieht, skizziert Jungk ein Porträt, das sich<br />
gesamte Schöpfung wuchsen. Vielleicht Alternativen vorzuschlagen. Jungk habe<br />
deutlich von der herrschenden Büchnerhätte<br />
ein im zwanzigsten Jahrhundert<br />
Büchner besonders verbunden. Was<br />
sich Büchners Losung „Wir sind das Volk!“<br />
Interpretation distanziert. Der entpolitisierte<br />
Goddelauer erhebt sich quasi von dem<br />
lebender Büchner seinen Kampfruf ‚Krieg<br />
Büchner nicht mehr erlebt habe, sei das<br />
auf die Fahnen geschrieben und kämpfe um<br />
den Palästen!‘ abgeändert in ‚Krieg den<br />
Nutzen- und Profitdenken der Bourgeoisie,<br />
ein „Menschenrecht auf Zukunft“.<br />
ihm verord<strong>net</strong>en resignativen Ruhelager,<br />
Laboratorien!‘, die sich dem Militär und der<br />
das nicht nur den Menschen, sondern auch<br />
klopft lästige Zweifel von sich ab und tritt<br />
Industrie verkaufen!“<br />
Schallende Ohrfeige für Israel<br />
die nichtmenschliche Natur im globalen<br />
nun als weitblickender, klüger gewordener Maßstab zerstöre. „Er hat nicht mehr miterleben<br />
müssen, wie sich die Forscher in Konflikt des Wissenschaftlers dichterisch oder ökologischen Zugang zu Jungks<br />
Als einen Schriftsteller, der den tragischen Künzli wählte nicht den friedenspolitischen<br />
Revolutionär wieder an die Seite der Volksmassen<br />
hier und auf der ganzen Welt. Handlanger der Macht wandelten und aus gestaltet, empfahl Jungk den mit ihm seit Persönlichkeit, sondern beschäftigte sich<br />
langem befreundeten, in Darmstadt lebenden<br />
Heinrich Schirmbeck: „Viel zu wenig Religion generell als antiquierte, überflüssi-<br />
ausführlich mit dessen Religiosität. Wer<br />
Darmstadt, den 15.6.1992<br />
Herr Künzli überwiegend olle Kamellen<br />
bekannt, viel zu wenig diskutiert, viel zu ge oder gar volksschädliche Ideologiebildung<br />
betrachtet, mußte von dieser Laudatio<br />
Sehr geehrter Herr Professor Jungk, von Annodazumal aufgewärmt und eine<br />
wenig geehrt.“ Ein Versäumnis sei, daß<br />
Sehr geehrter Herr Professor Künzli, Laudatio auf „das Judentum“ gehalten,<br />
Schirmbeck bisher „weder der akademische<br />
noch der alternative“ Büchnerpreis aber handelte es sich bei Künzlis folgenden<br />
enttäuscht oder gar verärgert sein. Faktisch<br />
das einem denkfähigen Menschen genauso<br />
zuwider sein muß, wie das Chri-<br />
den viel zu schmeichelhaften Bericht im<br />
„Darmstädter Echo“ vom 15.6. finde ich<br />
verliehen wurde. Einen Teil des Preisgeldes Bemerkungen um eine Provokation auf<br />
stentum. Beide sind Einschüchterungsmittel<br />
zur Disziplinierung des gemeinen<br />
noch untertrieben.Es war eine Katastrophe,<br />
was Sie beide bei der Erwartungs-<br />
Steinmetz zum Aufbau einer Zukunftsbi-<br />
Ohrfeige für die menschenrechtsverletzen-<br />
von 10 000 Mark will Jungk laut Preisstifter theosophischer Ebene, um eine schallende<br />
Volkes zwecks Machterhaltung der Herrschenden,<br />
und beide stehen sich in ihrer<br />
haltung des Publikums, meinen Vorgaben<br />
und <strong>unsere</strong>n Absprachen aus meiner<br />
Universität spenden, wo der russische Regierung und für alle hinter ihr stehenden<br />
bliothek an der Moskauer Lomonossow- de, waffenstarrende Politik der israelischen<br />
kriminellen Vergangenheit mutmaßlich in<br />
Absicht gemacht haben, die Überschrift<br />
nichts nach.<br />
Futurologe Igor Bestuschew-Lada lehrt. Hardliner. Getroffen sind auch <strong>unsere</strong><br />
sagt es deutlich.<br />
leidenschaftlichen Golfkrieger, die mit dem<br />
Ich sehe in Herrn Jungk ja gerade nicht<br />
Meine Kräfte habe ich umsonst vergeudet<br />
und mein Geld zum Fenster rausge-<br />
Die Laudatio auf Jungk hielt Arnold Künzli, Friedensbewegung eingeschlagen hatten.<br />
Kassandra und Prinzip Hoffnung Knüppel Israel auf die bundesdeutsche<br />
den typischen Vertreter des Judentums,<br />
wie sein unerschrockenes Handeln und<br />
worfen. Das Ansehen meines Preises ist<br />
ein emeritierter Professor (Jahrgang 1919),<br />
seine vernichtende Kritik an den israelischen<br />
Greueltaten beweist, was deutlich<br />
durch Sie lädiert. Mit zwar sich recht<br />
der über Kierkegaard promoviert, lange<br />
schön lesenden Worten das Thema zu<br />
Jahre als Auslandskorrespondent der<br />
zu machen Sie, sehr geehrter Herr Jungk,<br />
verfehlen wie dumme Jungens, das ist<br />
Basler Nationalzeitung gearbeitet und<br />
mich ja autorisiert hatten.<br />
doch wohl ein starkes Stück für Herren,<br />
zuletzt einen Lehrstuhl für Philosophie der<br />
die ausdrücklich Wert darauf legen, mit Sie haben eine Chance ungenutzt gelassen!<br />
Ich verabschiede mich von Ihnen im nannte Büchner und Jungk „Feuerseelen",<br />
Politik an der Universität Basel hatte. Er<br />
„Herr Professor“ angesprochen zu <strong>werden</strong>.<br />
Zorn.<br />
erzählte Anekdoten seiner Begegnungen<br />
Sie wußten, daß ich mich keineswegs in Walter Steinmetz<br />
mit Jungk, spürte in einem Text von 1940<br />
Konkurrenz zur Akademie für Sprache P.S.: Meine Bereitschaft zur Mithilfe in bereits dessen Wesenszug auf: er sei eine<br />
und Dichtung sehe, sondern Ihre Beiträge<br />
am rebellischen Büchner ausgerichtet rück, um nicht <strong>weiter</strong>hin auf diesem We-<br />
und Aufklärer, rufe aber gleichzeitig zum<br />
Sachen Zukunfts-Bibliothek ziehe ich zu-<br />
Kassandra, ein leidenschaftlicher Warner<br />
auf das Hier und Heute Bezug nehmen ge an das Unglück vom 13.6. erinnert zu Widerstand auf. „Er ist Kassandra und das<br />
sollten. Stattdessen hat insbesondere <strong>werden</strong>.<br />
Prinzip Hoffnung in einem, und beides<br />
radikal.“ Anhand eines Briefs des 1943 in<br />
Muskelstrahlende Jungs auf<br />
geschmücktem Pissoir<br />
Hundert Tage zeitgenössische Kunst auf der Kasseler documenta<br />
an darf sich<br />
fragen, welchen<br />
Wert Großereignisse<br />
der aktuellen<br />
Kunst heute<br />
besitzen. Denn<br />
betrachtet man den Volksansturm, der zur<br />
jüngst eröff<strong>net</strong>en documenta IX nach<br />
Kassel braust, sieht man dort die flanierende<br />
Kulturwelt und die überaktiven Massenmedien,<br />
dann könnte man fast glauben, es<br />
handle sich hierbei lediglich um eine institutionalisierte<br />
Freizeitangelegenheit einer<br />
verunsicherten Wohlstandsnation. Aber<br />
ein solches Urteil würde der documenta<br />
nicht gerecht. Denn seit Wilhelm Bode mit<br />
der ersten documenta 1955 den von den<br />
Nationalsozialisten leergefegten Köpfen<br />
Kassels einen Eindruck von der Klassischen<br />
Moderne geben wollte, konnte sich<br />
aus dieser konzentrierten Retrospektive<br />
die größte regelmäßig stattfindende Ausstellung<br />
von Gegenwartskunst entwickeln,<br />
die die Künstler immer in einer besonderen<br />
Weise am Werden beteiligte. Die Klagen<br />
über eine große, zu teure und zu unverständliche<br />
documenta wurden zu einer<br />
immerwährenden Begleitung – gleichzeitig<br />
konnten sich Mythen bilden, verklärende<br />
Sichtweisen stets eingeschlossen.<br />
Eine Ausstellung ist nie besser als ihre<br />
Macher. Als 1987 Manfred Schneckenburger<br />
bei der documenta 8 die Grenzen von<br />
Kunst und Gestaltung überspringen und<br />
die Gesellschaft einbeziehen wollte, warf<br />
man ihm später ein undifferenziertes und<br />
lediglich illustrierendes Konzept vor. Umso<br />
gespannter war man diesmal auf den<br />
Belgier Jan Hoet, der kein Konzept,<br />
sondern eine „Argumentation in Bildern“<br />
versprach. Der Museumschef, schon als<br />
Boxsportler und Jazzmusiker mit Lorbeeren<br />
bekränzt und obendrein neulich zum<br />
Belgier mit dem schärfsten Sex-Appeal<br />
gekürt, erläuterte seine offensichtliche<br />
Haltungslosigkeit in endlosen Dia-<br />
Marathons und dachte an Konzentration<br />
und Ekstase, jedenfalls an eine sinnliche<br />
Kunst, obendrein sogar an Abenteuerlichkeiten.<br />
Eine Erneuerung der seit Jahren<br />
kränkelnden klassischen Bereiche, neue<br />
Malerei und Skulpturen, mochte man da<br />
denken – und irrte sich gewaltig.<br />
Denn in Kassel präsentiert sich nun eine<br />
größtenteils konzeptuelle Kopfkunst, die<br />
trotz oder auch wegen der jüngsten<br />
Probleme und Umwälzungen an bekannten<br />
Standpunkten festhält, die <strong>unsere</strong> Kommunikation<br />
und <strong>unsere</strong> Sprachlosigkeit aufnimmt,<br />
eine zwar utopielose, aber Meditation<br />
und Innensicht gebietende Kunst. Daß<br />
von Künstlern kein Generalrezept für<br />
<strong>unsere</strong> Zukunft gegeben <strong>werden</strong> kann,<br />
mag heute nicht mehr überraschen, und<br />
daß Künstler immer weniger eine universell<br />
verständliche Sprache finden, mag<br />
ebenfalls <strong>unsere</strong>r Lebenswelt entsprechen.<br />
Dem Besucher präsentiert sich die documenta<br />
als eine große Wunderkammer, die<br />
zu Entdeckungsreisen einlädt, denn Jan<br />
Hoet hat einen Großteil von hierzulande<br />
Unbekannten eingeladen, aus mehr Nationen<br />
der Welt und mit höherem Frauenanteil,<br />
als das je der Fall war (Bravo!).<br />
Im Turm des Fridericianums, dem Herzstück<br />
der Ausstellung, müssen der Revolutionsmaler<br />
David, der Aussteiger Gauguin<br />
und der Kunstschamane Beuys als<br />
Zeugen der propagierten ganzheitlichen<br />
Erneuerungskraft herhalten, die ja ansonsten<br />
in Kassel nur sehr dünn gesät wurde.<br />
Überraschend sind auch einige Altmeister<br />
wie Francis Bacon und Elleworth Kelly, die<br />
erfreulich jung und frisch wirken neben der<br />
ansonsten schwächlichen neuen Malerei.<br />
Selten sind so viele neo-informelle, frei,<br />
ornamental und verspielt dahinmalende<br />
Namen zu entdecken wie hier. Ähnlich flau<br />
und lau auch eine Allgemeinheiten ästhetisierende<br />
und poetisierende Fotografie. Wie<br />
kraftvoll wirken dagegen die brutalistischharmonische<br />
Videoinstallation von Bruce<br />
Naumann oder das magische „Kristallkino“<br />
von Marina Abramovic, die für die<br />
größtenteils gelungenen raumbezogenen<br />
Arbeiten stehen mögen.<br />
Das Verhältnis der Kunst zur Kunst wird in<br />
der Neuen Galerie aufgegriffen. Die Sicht<br />
auf Altes wird verstellt und verhindert, aber<br />
dadurch gleichzeitig auch geschärft, wie<br />
die von Wittgenstein und Kafka zitierenden<br />
Tüchern verhängten Bilder bei Joseph Kosuth<br />
oder die von einer Holzwand versperrten<br />
Gemäldekabi<strong>net</strong>te von Heimo Zobering.<br />
Überhaupt hat Destruktives Konjunktur,<br />
kann das höhere Kunstempfinden immer<br />
noch erschüttert <strong>werden</strong> durch plakativen<br />
Sex, wie in den Fotos weiblicher Genitalien<br />
neben alten Damenportraits von Zoe<br />
Leonhard oder der geklonten überaktiven<br />
Schwulengruppe von Charles Ray, oder<br />
durch verdrängte Fäkalien, wie in der auf<br />
einer öffentlichen Toilette eingerichteten<br />
russischen Bürgerwohnung von Ilia Kababov,<br />
oder das mit Goldgrundgemälden von<br />
muskelstrahlenden Jungs geschmückte<br />
Pissoir von Attila Lukacs, das einige<br />
Besucher auch brav benutzen.<br />
Aber es drängt den Besucher immer<br />
<strong>weiter</strong>, in die neue documenta-Halle, in das<br />
Naturkundemuseum Ottoneum, in die<br />
temporären Bauten der Karlsaue, in eine<br />
Krankenkasse, in eine Schule, zu den<br />
Standplätzen im öffentlichen Raum ... auch<br />
wenn hier und da der umgebende Genius<br />
loci locken und bestechen mag, bleibt am<br />
Ende die Frage, ob man sich mit einer<br />
solchen Auseinanderziehung der Ereignisse<br />
nicht beinahe verzettelt hat.<br />
Dem Besucher bleiben so nur die Möglichkeiten<br />
einer kurzen, unverbindlichen Sicht<br />
auf alles oder einer lückenhaften, konzentrierten<br />
Beschäftigung mit Ausschnitten.<br />
Er ist jedenfalls unterwegs im immer<br />
unbestimmbarer <strong>werden</strong>den Land der<br />
Kunst, und wo er ankommen mag, bleibt<br />
abzuwarten – es gehört ebenfalls zum<br />
Mythos der documenta, daß man ihren<br />
Sinngehalt erst zu verstehen beginnt, wenn<br />
sie schon lange vergangen ist und man<br />
erinnerungsvoll im Katalog blättert.<br />
Gerhard Kölsch<br />
Bis zum 20.9.1992, täglich 10.30 bis 19.30<br />
Uhr. Tageskarte DM 20,- (12,-), dreibändiger<br />
Katalog DM 95,-; Kurzführer DM 18,-;<br />
Die Kasselaner Hotels sind nahezu ausgebucht,<br />
für jugendliche Besucher wurde ein<br />
Zelt mit Schlafplätzen eingerichtet –<br />
Übernachtung, Schlaftrunk und Frühstück<br />
sind dort für DM 25,- zu haben und können<br />
unter 0561-77 00 73 reserviert <strong>werden</strong>.<br />
Als „innere Triebfeder“ von Jungks Engagement<br />
arbeitet Künzli dessen Judentum<br />
heraus, „das Gefühl der Schuld, als Jude<br />
noch da zu sein", den Holocaust überlebt zu<br />
haben, „schuldlos schuldig“. Mit diesem<br />
Gefühl verbinde sich ein von Martin Buber<br />
vermitteltes „Judentum voller Heiterkeit<br />
und messianischer Hoffnung". Heimatlosigkeit<br />
habe ihn wie andere Juden gezwungen,<br />
zukunftsgerichtete Phantasie zu<br />
entwickeln, um überleben zu können. Was<br />
ist das für ein Messianismus? Künzli zitiert<br />
Jungk: „Komplementär dazu entstand in<br />
mir die Erwartung, daß nicht nur wir Juden,<br />
sondern die ganze Menschheit (!) irgendeinmal<br />
ins gelobte Land gelangen würden.“<br />
Befreiung und Erlösung also nicht nur für<br />
Juden, sondern für alle. Das steht den<br />
Spielarten der sehr irdisch ausgerichteten,<br />
stark auf soziale Gerechtigkeit zielenden<br />
Befreiungstheologie näher als dem Regierungschef<br />
Schamir.<br />
Jüdische Spartaner<br />
im Zionismus<br />
Künzli spielt Jungk gegen Israel aus: „Aber<br />
aus diesem unbedingten Bekenntnis Robert<br />
Jungks zu seinem Ursprung spricht ein<br />
wesentlich anderes Judentum als das von<br />
den jüdischen Spartanern im real existierenden<br />
Zionismus des Staates Israel praktizierte.<br />
Man darf sich fragen, ob Geist und<br />
Botschaft des Judentums, so wie sie uns<br />
tradiert wurden, bei einem Robert Jungk<br />
nicht unvergleichlich treuer aufgehoben<br />
sind als in einem auf Macht, Gewalt und<br />
Waffen – bis hin zur Atomwaffe – bauenden<br />
jüdischen Nationalstaat.“<br />
Jungk selber hatte im Vorwort zur Anthologie<br />
„Nachgedanken zum Golfkrieg“ (vgl.<br />
Rezension in ZD Dez. 91) ein hartes, für ihn<br />
selber schmerzliches Fazit gezogen: „Ich<br />
sehe – wenn auch nur widerwillig – ein, daß<br />
das ‚Experiment Israel‘, der Judenstaat,<br />
eine Utopie, an deren Verwirklichung ich<br />
geglaubt habe, zu einem großen Problem<br />
geworden ist. Dies ist die Schuld jener<br />
extremistischen Nationalisten, die eine<br />
humane, internationale und tolerante<br />
Denkart, die jüdischer Erfahrung und Tradition<br />
entspricht, verraten haben. Sie, die zu<br />
einer Gemeinschaft gehören, die wie kaum<br />
eine andere von einer ‚Herrenrasse‘ verfolgt<br />
und auf schreckliche Weise dezimiert<br />
wurde, spielen sich nun selber als Unterdrücker<br />
auf.“<br />
In Übereinstimmung mit Jungk befindet<br />
sich Künzli, wenn er am Schluß seiner Rede<br />
feststellt, daß das jüdische Volk echten und<br />
dauerhaften Schutz nicht im militaristischen<br />
Nationalstaat, sondern nur – im<br />
Geiste auch von Büchners „Gesellschaft der<br />
Menschenrechte“ – in einer neuen Zivilisation<br />
und einer internationalen Völker- und<br />
Friedensordnung findet. „Überleben kann<br />
das jüdische Volk nur, wenn auch alle<br />
anderen Völker überleben.“<br />
Preisstifter Walter Steinmetz, der Robert<br />
Jungk mit dem Einverständnis von Gerhard<br />
Zwerenz, dem letztjährigen Preisträger,<br />
gekürt hatte und mit dem Verleihungsdatum<br />
13. Juni an das Datum des 1835 gegen<br />
Büchner ausgestellten Steckbriefs erinnern<br />
wollte, hielt eine Begrüßungsrede, wie man<br />
sie von ihm erwartet: eine pointierte politische<br />
Satire mit Rundumschlag gegen eine<br />
Reihe von Politikern der moralisch angeblich<br />
so überlegenen westlichen Welt.<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 17<br />
Streitbar und provokativ<br />
Bei Steinmetz scheint die Botschaft der<br />
beiden Professoren nicht als kämpferische<br />
angekommen zu sein, auf jeden Fall war sie<br />
ihm zu lasch, zu wenig konkret. Unmittelbar<br />
nach der Veranstaltung zeigte er sich sehr<br />
verärgert über den Laudator, der sich nach<br />
seiner Meinung, die mit ihm getroffenen<br />
Absprachen verletzend, um deutliche Worte<br />
gedrückt hatte: „Mich hat gestört, daß<br />
Künzli auf olle Kamellen von Anno dazumal<br />
zurückgegriffen hat, anstatt im Hier und<br />
Heute die Dinge kritisch beim Namen zu<br />
nennen. Das war eine würdige Rede, geeig<strong>net</strong><br />
für die Akademie für Sprache und<br />
Dichtung, aber nicht für den Alternativen<br />
Büchnerpreis!“ <strong>Und</strong> in einem zwei Tage<br />
später der Presse vorgelegten Brief (siehe<br />
Kasten) nahm er auch Jungk von seiner<br />
Kritik nicht aus und verabschiedete sich<br />
von seinem neuesten Preisträger und<br />
dessen Laudator im Zorn.<br />
Dennoch meine ich, im Gegensatz zu Steinmetz,<br />
daß das kämpferische Ansehen des<br />
Alternativen Büchnerpreises nicht lädiert<br />
ist. Auch hat Steinmetz nicht, wie er vermutet,<br />
seine „Kräfte umsonst vergeudet“ und<br />
sein „Geld zum Fenster rausgeworfen“. Hat<br />
er doch einen Preisträger gewählt, der im<br />
thematischen und politischen Zentrum der<br />
gesellschaftlichen Auseinandersetzungen<br />
<strong>unsere</strong>r Welt steht und das herrschende<br />
Büchner-Bild korrigiert, indem er Büchner<br />
vom Kopf auf die Füße stellt und wieder zu<br />
den Volksmassen gehen läßt. <strong>Und</strong> der<br />
Laudator attackiert im Namen Jungks den<br />
kriegerischen Staat Israel. Der Alternative<br />
Büchnerpreis hat wieder einmal bestätigt,<br />
was er ist: streitbar und provokativ.<br />
Artur Rümmler<br />
Ehre,<br />
wem Ehre gebührt<br />
Fast hätte ich dem Stifter des Alternativen<br />
Büchnerpreises, Walter Steinmetz<br />
Unrecht angetan, als ich mir dachte, wozu<br />
überhaupt ein Alternativer Büchnerpreis?<br />
Gediegen und höchst professoral zeich<strong>net</strong>e<br />
der Laudator und Freund Robert<br />
Jungks eine Bekanntschaft nach, die,<br />
zwar literarisch eher theosophisch, in<br />
Fachkreisen Anerkennung finden mag<br />
und somit einer Akademie für Sprache<br />
und Dichtung angemessen und höchst<br />
festlich in das Konzept gepaßt hätte. Ehre,<br />
wem Ehre gebührt.<br />
Der Geehrte selbst entdeckte in der<br />
Wissenschaftlichkeit seines Laudators<br />
Züge an sich, die ihm zuvor nicht bekannt<br />
waren. Dann erklärte er unmißverständlich,<br />
daß ihm an der Laudatio mehr<br />
gelegen sei als an dem Preis selbst, und<br />
daß darüberhinaus in Darmstadt einer<br />
lebe, der eines Büchnerpreises (gleich ob<br />
des der Akademie für Sprache und<br />
Dichtung oder des Alternativen) würdig<br />
sei. Heinrich Schirmbeck, den er meinte,<br />
war denn auch von der Veranstaltung<br />
höchst angetan.<br />
Nicht so Walter Steinmetz: Er, der aus<br />
seiner privaten Schatulle den Widerstandsgeist<br />
Büchners in die Gegenwart<br />
fortpflanzen und bürgerlich-revolutionäre<br />
Ehre hochhalten will, ist verärgert. Nicht<br />
nur, daß ihm unverblümt gesagt wird,<br />
wen er für würdig halten solle, wird sein<br />
Preis auch noch als nebensächlich eingestuft.<br />
Es ist Steinmetz – das kann man<br />
seinen Reden entnehmen – nicht darum<br />
angetan, professorale Ehrbezeugungen<br />
zum Gegenstand seines Büchnerpreises<br />
zu machen. Aus seinem eigenen politischen<br />
Verständnis heraus, mußte er sich<br />
brüskiert, mißbraucht, wenn nicht gar<br />
hintergangen fühlen. Kein deutliches,<br />
mächtiges Wort kam über die Lippen des<br />
Laudators. Er hat dem Widerstandsgeist<br />
Robert Jungks, der Steinmetz und<br />
Zwerenz gefiel, nicht Rechnung getragen.<br />
Mehr für Insider barg die Laudatio den<br />
kritischen scharfen Biß.<br />
Nicht, daß ich mich in die lange Reihe<br />
derer eingliedern wollte, die dem Stifter<br />
Vorschläge, gar Vorschriften machen<br />
wollen, wer denn würdig sei und geehrt<br />
<strong>werden</strong> müsse oder nicht. Nein. Vielmehr<br />
ein Tip an den Stifter, aus kulturfördernder<br />
Sicht eher junge Protestgeister zu<br />
ehren, die sich den Büchner nicht<br />
uminterpretieren müssen, um mit ihm in<br />
einer historischen Linie zu stehen.<br />
Unzweifelhaft: Robert Jungk war ebenso<br />
wie Gerhard Zwerenz würdiger Träger.<br />
Der Herausgeber
Prozeßbeobachtung von Astrid Nungeßer und Michael Grimm<br />
Warum sitzt der<br />
Mann, der<br />
heute den<br />
gesamten Vormittag vernommen wird,<br />
nicht mit auf der Anklagebank? Werner<br />
Schreiber, 1932 geboren, heute selbständiger<br />
Chemotechniker, war seit 1973 bei der<br />
Firma Kolb tätig und baute dort die Betriebsanlagenabteilung<br />
auf. 1982 wurde er<br />
Geschäftsführer bei der 1977 gegründeten<br />
Kolb-Tochterfirma Pilot Plant.<br />
Ja, natürlich habe er selbst mit Irakgeschäften<br />
zu tun gehabt, er habe schließlich die<br />
technischen Anlagen mit den Kunden<br />
besprochen, erklärt Schreiber ungeduldig.<br />
In Samarra sei er im Herbst 1978 gewesen.<br />
Er erteilt Auskunft über die staatlichen<br />
Stellen, mit denen er bei seinen Irak-<br />
Geschäften zu tun hatte. Da ist zum einen<br />
das State Establishment for Pesticides<br />
Production (SEPP), die getarnte C- und B-<br />
Waffen-Behörde des Irak, die großteils die<br />
Anlagen für Samarra bei Kolb orderte. Im<br />
September 1981 erhielt Schreiber Besuch<br />
von den Herren Attar, Dr. Al-Naimi und Dr.<br />
Al Ani, die als „Direction General“ der SEPP<br />
auftraten. Allerdings handelt die „Direction<br />
General“ auch unter der Bezeichnung<br />
„Ministry of Industry“ und „State Organisation<br />
for Chemical Industrie“ (SOCI).<br />
Außerdem nennt Schreiber die Firmen „Al<br />
Hazen“ und „General Engineering“. Der<br />
Name der irakischen Beschaffungsfirma<br />
„Sat Soti“ sagt Schreiber „momentan<br />
nichts“. Das ändert sich, als Pani ein<br />
Schriftstück mit dem Titel „Reisebericht<br />
Irak“ aus Schreibers Unterlagen verliest.<br />
Hier findet sich unter anderem ein ausführlicher<br />
Bericht über eine Besprechung mit<br />
der Firma „Sat Soti“. Thema: Einzelfragen<br />
zur Installation der von Kolb gelieferten<br />
Anlagen. „Ja“, sagt Schreiber an die<br />
Organisation „SAT“ habe er sich erinnern<br />
können, nur „SOTI“ sei ihm kein Begriff<br />
gewesen. Eine Vorstellung von den Aufgaben<br />
der Firma „SAT SOTI“ habe er nicht:<br />
„Man redet da ja immer nur mit einzelnen<br />
Leuten.“<br />
Der Anlagenbauer bei Kolb<br />
Es wird noch mehr von der Geschäftskorrespondenz<br />
zwischen Schreiber und „SOTI“<br />
verlesen. Immer wieder geht es darum, daß<br />
Kolb aufgefordert wird, ein Angebot<br />
abzugeben: über die Lieferung von Chlorgasreaktoren,<br />
Säuretanks, Ersatzteilen etc.<br />
Auch über die Installation der Anlagen wird<br />
debattiert. So verlangt Schreiber in einem<br />
der Briefe 930 DM Tagessatz für die<br />
deutschen Techniker, „Geländewagen und<br />
Wochenenden in Bagdad“ inbegriffen.<br />
Nach der Verlesung der Geschäftsbriefe<br />
räumt Schreiber ein: „Die Erinnerung<br />
kommt allmählich wieder.“ Pani bittet<br />
Schreiber, eine Skizze von Samarra<br />
anzufertigen. „Was die alles wissen wollen.<br />
JUSTIZ I<br />
„Sie müssen<br />
sich nicht<br />
selbst belasten“<br />
Giftgasprozeß:<br />
Das Verfahren entblättert sich<br />
zunehmend als Paradebeispiel<br />
für Klassenjustiz<br />
Ich bin Chemotechniker und kein Maler“,<br />
plustert sich Schreiber in der Prozeßpause<br />
auf. Wieder im Gerichtsaal beginnt er dann<br />
aber doch, zu zeichnen und zu erklären, wie<br />
die Gebäude aussahen und in welchem<br />
Zustand sie sich befanden. „Die Herren Al<br />
Ani und Attar von der SEPP haben stets<br />
davon gesprochen, daß in Samarra Pestizide<br />
hergestellt <strong>werden</strong> sollten, als sie mich<br />
1981 in Frankfurt besuchten“, beteuert<br />
Schreiber mit gespielter Naivität.<br />
Ob er Chemielieferungen in den Irak vermittelt<br />
habe, will der Vorsitzende Pani wissen.<br />
Ja, 1981 habe er eine Lieferung von<br />
Phosphortrichlorid – dies ist eine der<br />
Chemikalien, aus der Giftgas hergestellt<br />
wird – vermittelt. Es fallen auch Firmennamen:<br />
Die Firma Heberger Bau (Schifferstadt)<br />
und die Firma Ludwig Hammer<br />
GmbH habe die Gebäude in Samarra gebaut<br />
und die Firma Keram-Chemie die Abluftwäscher<br />
für die Laboranlagen geliefert und<br />
installiert. Auf die Frage, ob die gelieferten<br />
Anlagen modifiziert worden seien, antwortet<br />
Schreiber: „Bis 1983 nicht.“<br />
Staatsanwalt Brandt interessiert, wie lange<br />
Schreiber mit der Technik im Irak befaßt<br />
war: „Dauerte das bis zu ihrem Ausscheiden<br />
aus der Firma?“ Schreiber: „Ich bin seit<br />
1983 nicht mehr mit dem Irak befaßt. In<br />
diesem Zeitraum wurden die Aufgaben bei<br />
Kolb umverteilt.“ Wer nach 1983 für die<br />
Irakgeschäfte zuständig war, sei „von Fall<br />
zu Fall“ verschieden gewesen: „Das war oft<br />
Maier, dann Fraenzel als unser Mann im<br />
Irak und manchmal auch Langer.“ Keiner<br />
kommt auf die Idee, zu fragen, warum<br />
ausgerech<strong>net</strong> 1983, als der Vertrag über die<br />
Lieferung der Anlagen ANI, GASHI und<br />
MOHAMED unter Dach und Fach gebracht<br />
wurde, bei Kolb eine Umverteilung der<br />
Aufgaben stattfand.<br />
Brandt: „Dr. Ruck sagte hier aus, für ihn<br />
seien Sie der Anlagenbauer bei Kolb<br />
gewesen?“ Schreiber, stolz: „Das war ich<br />
auch.“ Es stellt sich heraus, man wundert<br />
sich schon gar nicht mehr, daß Ruck auch<br />
zu Schreiber ein freundschaftlich persönliches<br />
Verhältnis hatte. Auf Brandts Frage, ob<br />
er über seine Kontakte zu den Angeklagten<br />
Akteneinsicht gehabt habe, antwortet<br />
Schreiber mit seiner Lieblingsfloskel: „Von<br />
Fall zu Fall“.<br />
Wenn man bedenkt, daß die meisten<br />
Einschränkungen der Presse damit begründet<br />
wurden, daß die Zeugen keinesfalls<br />
vorbeeinflußt <strong>werden</strong> dürften, ist diese<br />
Information und die Gelassenheit, mit der<br />
sie aufgenommen wird, erstaunlich.<br />
Freche Behauptung<br />
Als man Schreiber nach dem Grund für sein<br />
Ausscheiden aus der Firma Pilot Plant 1985<br />
befragt, schwindet dessen demonstrative<br />
Gelassenheit: „Das war die Strangulierung<br />
durch die Exportverbote, man hat uns ja<br />
den Geschäftsboden völlig entzogen.“<br />
Fraenzels Rechtsanwalt Hild vergewissert<br />
sich bei Schreiber: „Ist es richtig, daß sie<br />
für die Anlagen ANI, MOHAMED, IESA und<br />
MEDA alle Verhandlungen und Beratungsgespräche<br />
mit den Kunden geführt, die<br />
Angebote unterbreitet haben und die<br />
Verträge abwickelten?“ Schreiber weicht<br />
aus: „ANI war ja ein Dauerbrenner, das ging<br />
ja über zweieinhalb Jahre. In diesem<br />
Zeitraum habe ich natürlich alle Kundengespräche<br />
geführt.“<br />
„Haben sie ANI auch konstruiert?“, hakt<br />
Rechtsanwältin Michalke nach. „Ich habe<br />
an der Anlage das wenigste gemacht, das<br />
meiste habe ich delegiert“, antwortet<br />
Schreiber weltmännisch. „ANI war eine<br />
reine Versuchsanlage, möglichst flexibel,<br />
zur Herstellung von Pestiziden, daran<br />
besteht gar kein Zweifel“. Diese Behauptung<br />
ist frech, vor dem Hintergrund, daß<br />
der anwesende Sachverständige für<br />
Chemieanlagen, Prof. Dr. Richarz, die<br />
Anlage ANI in seinem Gutachten als „für die<br />
moderne Pestizidherstellung nicht geeig<strong>net</strong>“<br />
einstuft.<br />
Rechtsanwältin Michalke fragt Schreiber<br />
nun: „Wurde ihnen die militärische Zielsetzung<br />
der Organisation (SEPP, die Verf.)<br />
angedeutet?“ Schreiber: „Nein, überhaupt<br />
nicht, auch nicht, daß es eine Tarnorganisation<br />
sei.“ Sind Tarnorganisationen bezeichnen<br />
als solche nicht bezeich<strong>net</strong>, dann<br />
handelte es sich um keine Tarnung. Michalke<br />
läßt nicht locker: „War es in ihren Augen<br />
eine militärische Organisation?“ Schreiber<br />
startet wieder ein Ausweichmanöver:<br />
„Nicht direkt. Waren sie schon mal in der<br />
Dritten Welt? Da sehen sie in jeder Fabrik<br />
Leute in Uniformen. Das hat aber nichts mit<br />
Militär zu tun. Die Bewachung Samarras<br />
war dagegen lächerlich. 1978 war kein<br />
Mensch dort, und auch 1983 waren da nur<br />
ganz normale Wächter und überhaupt keine<br />
militärische Sicherung. Die kam dann erst<br />
nach dem Bericht der New York Times,<br />
davor war da noch nie ein Soldat auf dem<br />
Gelände. Wenn einer in die Zeitung schreiben<br />
würde, ‚die Amis wollen die Firma<br />
Höchst zerbomben‘, würden die wohl auch<br />
einige Raketen daneben aufstellen.“<br />
Laienhafte Unterstellung?<br />
Rechtsanwältin Michalke: „Hatten Sie<br />
aufgrund der Planung und der Technik<br />
Anhaltspunkte für eine militärische Zielsetzung?“<br />
Schreiber verneint: „Hatte ich nicht.<br />
Wenn ich chemische Stoffe herstellen will,<br />
gehe ich mit speziellen Wünschen an den<br />
Lieferanten heran – so wie ‚SEPP‘ an die<br />
Firma Uhde (Tochterfirma von Hoechst,<br />
ansässig in Dortmund, die Verf). Wir haben<br />
ja kein Prozeß-Know-how verkauft. Es wird<br />
oft unterstellt, wir hätten wissen müssen,<br />
wofür das genutzt wird. Das ist laienhaft.<br />
Kein Kunde will ja sein Know-how preisgeben,<br />
man sucht Geräte, an denen man<br />
friemeln und ausprobieren kann.“ Die<br />
„Unterstellung“, von der Schreiber spricht,<br />
ist Teil des Anklagevorwurfs. Die Sachverständigen<br />
für Chemieanlagen, Dr. Hallmann<br />
und Dr. Richarz, sind überzeugt, daß den<br />
Angeklagten der Verwendungszweck der<br />
Anlagen bekannt war.<br />
„Das heißt, daß die Anlagen dann über<br />
einen bestimmten Zeitraum laufen und<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 18<br />
dabei immer spezieller <strong>werden</strong>?“ repetiert<br />
Michalke. Schreiber wettert: „Das läßt sich<br />
unmöglich verhindern. Wenn heute ein<br />
Staat der Dritten Welt kommt und will die<br />
Anlage speziell zur Herstellung eines<br />
Produkts, besteht sogar bei einer Produktionsanlage<br />
die Möglichkeit, den Zweck im<br />
nachhinein zu ändern. Bis Sie raushaben,<br />
welche Möglichkeiten da bestehen, sind Sie<br />
pensioniert, und die Firma ist pleite. Das<br />
alles ist doch eine politische Kampagne und<br />
sonst gar nichts. Interessanterweise<br />
spricht heute auch niemand mehr davon,<br />
daß auf <strong>unsere</strong>n Anlagen Kampfstoff<br />
produziert worden ist. Das ist nämlich<br />
politisch nicht mehr opportun. Es kann ja<br />
auch gar nichts produziert worden sein,<br />
weil die Anlage noch gar nicht fertig war.<br />
Wer mir erzählt, daß man in einem Glasreaktor<br />
chemische Kampfstoffe herstellen<br />
kann, hat technisch schlicht und einfach<br />
keine Ahnung. Das muß einfach mal gesagt<br />
<strong>werden</strong>.“<br />
Klassenjustiz<br />
Warum greift das Gericht hier nicht ein?<br />
Warum darf der ehemalige Kolb-Manager,<br />
der ursprünglich mitangeklagt war, solche<br />
Reden halten, die mit den an ihn gestellten<br />
Fragen nicht das Geringste zu tun haben?<br />
Vor allem aber, warum läßt Pani zu, daß<br />
Schreiber das Ergebnis der Verhandlung<br />
mit der Behauptung, auf der Anlage könne<br />
kein Giftgas produziert worden sein,<br />
vorwegnimmt? Jeder harmlose Ladendieb,<br />
der erklärt, „Ich bin unschuldig“, bekommt<br />
mit Sicherheit zu hören, darüber habe nicht<br />
er, sondern das Gericht zu befinden.<br />
Schreiber aber darf sogar die Sachverständigen<br />
beleidigen, in dem er indirekt<br />
behauptet, sie hätten von der Technik keine<br />
Ahnung. Schreiber – und das entlarvt die<br />
Klassenjustiz – wird noch nicht einmal<br />
ermahnt, sich zurückzuhalten, geschweige<br />
denn, daß ihm eine Ordnungsmaßnahme<br />
angedroht wird.<br />
Beihilfe geleistet?<br />
Rechtsanwalt Hild fragt Schreiber noch<br />
einmal nach seiner Beteiligung an der<br />
Anlage MOHAMED und seinen Aktivitäten<br />
nach 1983. Schreiber will gerade zur<br />
Antwort ansetzen, als es am Tisch der<br />
Staatsanwaltschaft hektisch wird: Brandt<br />
ruft aufgeregt etwas zu Pani herüber, der<br />
versteht zunächst nicht, dann fällt bei ihm<br />
der Groschen. Er fällt Schreiber ins Wort:<br />
„Herr Schreiber, das Verfahren gegen Sie<br />
ist eingestellt worden. Stellt sich aber jetzt<br />
heraus, daß Sie über diesen Zeitraum<br />
hinaus (also nach 1983, die Verf.) tätig<br />
waren, könnte man auf die Idee kommen,<br />
daß Sie Beihilfe geleistet haben. Also<br />
denken Sie daran, Sie müssen sich nicht<br />
selbst belasten.“ Man könnte in der Tat „auf<br />
die Idee kommen…“ .<br />
Schreiber erklärt, er wolle auf die Frage<br />
Hilds antworten. „Das Projekt MOHAMED<br />
wurde ja von Langer ausgeführt. Ich war<br />
aber bei den Verhandlungen und Besprechungen<br />
zugegen. Das war ja 1983. Nach<br />
dem Aufgabenwechsel 1983 habe ich im<br />
Prinzip nicht mehr an Gesprächen über<br />
Samarra teilgenommen, da war ich viel im<br />
Ausland.“ Keiner stellt die Frage, was unter<br />
„im Prinzip nicht“ zu verstehen ist. Rechtsanwalt<br />
Pauly will allerdings wissen, in<br />
welchem Verhältnis Schreiber zu seinem<br />
Mandanten Langer gestanden habe. „Ich<br />
war sein Chef“, bekennt Schreiber<br />
freimütig.<br />
Pauly gibt erwartungsgemäß „keine<br />
Erklärung“ dazu ab, daß Pani Schreiber<br />
unvereidigt entlassen will. Man beschließt,<br />
Schreiber später noch einmal zu hören.<br />
Erinnerungsschwierigkeiten<br />
Als nächstes soll der Offenbacher Architekt<br />
Karlheinz Kröger dem Gericht Rede und<br />
Antwort stehen. Kröger hat nicht nur das<br />
Bürogebäude der Firma Kolb im Irak,<br />
sondern auch die Gebäude geplant, die<br />
nach seiner eigenen Aussage in seinem<br />
Büro unter der Bezeichnung „Irak-Bunker“<br />
liefen. Mit der Bauleitung betraute Kröger<br />
die Firma Heberger Bau GmbH mit Sitz in<br />
Schifferstadt. Nicht nur die Tatsache, daß<br />
Kröger zu seiner Vernehmung als Zeuge<br />
einen Anwalt mitgebracht hat, erweckt den<br />
Eindruck eines vorsichtigen Menschen.<br />
Auch seine starken Erinnerungsschwierigkeiten<br />
deuten darauf hin. Der Begriff<br />
„Samarra“ sagt ihm beispielsweise gar<br />
nichts. Er wisse nur, daß sich die Baustelle<br />
außerhalb von Bagdad befunden habe.<br />
Sagebiel fragt, in welche Richtung Krögers<br />
Chauffeure von Bagdad aus gefahren seien.<br />
☛ Fortsetzung Seite 19
JUSTIZ II<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 19<br />
☛ Fortsetzung von Seite 18<br />
An die Richtung könne er sich nicht mehr<br />
erinnern, möglicherweise sei es Norden<br />
gewesen. Sagebiel schlägt vor, daß Kröger<br />
sich eine Karte von Bagdad und Umgebung<br />
ansieht, um die Erinnerung aufzufrischen,<br />
aber Kröger „glaubt nicht, daß mir das<br />
helfen würde“. Ob er Herrn Attar von der<br />
„SEPP“ kenne, will das Gericht wissen.<br />
„Nein“ sagt Kröger, er habe ja die Firma<br />
Heberger mit der Bauleitung betraut. Auch<br />
an die Höhe des von Kolb gezahlten<br />
Honorars kann Kröger sich nicht erinnern.<br />
Ein Architekt und sein Bunker<br />
Das Gericht liest nun eine Aktennotiz vor, in<br />
der der Ablauf eines Gesprächs zwischen<br />
Kröger und der Firma Kolb minutiös<br />
beschrieben ist. Auch die Worte „Samarra“<br />
und „Irak-Bunker“ tauchen dabei auf.<br />
Krögers Reaktion auf die Verlesung: „Ich<br />
erinnere mich nicht an dieses Gespräch,<br />
aber es muß wohl stattgefunden haben.“<br />
Der Auftrag sei eben in seinem Büro unter<br />
der Bezeichnung „Irak-Bunker“ gelaufen,<br />
erklärt Kröger beiläufig. Richter Sagebiel<br />
will wissen, wie es zu dieser Bezeichnung<br />
kam. Kröger: „Weil die Gebäude mit Sand<br />
angeschüttet waren“. Sagebiel ist nicht<br />
überzeugt: „Deshalb haben sie die Gebäude<br />
,Bunker‘ genannt?“ Kröger erklärt: „Ja, ich<br />
bin im Krieg aufgewachsen und da haben<br />
wir alles, was angeschüttet war, ,Bunker‘<br />
genannt“.<br />
Sagebiel: „Wie können Sie ein Gebäude<br />
bauen, wenn sie nicht wissen, für was es<br />
genutzt <strong>werden</strong> soll?“ Kröger behauptet,<br />
das sei kein Problem: „Ich kannte die Größe<br />
des Raums, die Belastbarkeit der Böden<br />
richtet sich nach der DIN für Industrieböden“.<br />
Sagebiel, entschuldigend: „Ich bin da<br />
ein Laie“. Kröger, offen mißtrauisch: „Das<br />
sagen Kriminalbeamte immer, und dann<br />
wissen sie aber doch Bescheid“.<br />
Sagebiel stellt klar, kein Kriminalbeamter zu<br />
sein und beteuert, er sei wirklich ein Laie.<br />
Sagebiels nächste Frage: „Gab es irgendwelche<br />
Hinweise auf eine militärische<br />
Nutzung?“ Erwartungsgemäß antwortet<br />
Kröger mit „Nein“. Er wird unvereidigt<br />
entlassen.<br />
Samarra-Reise eine Farce<br />
Am neunten Verhandlungstag des Irak-<br />
Giftgasprozesses wird Klaus Dieter Haferkamp<br />
vernommen. Haferkamp reiste 1984<br />
als Beauftragter des TÜV Rheinland mit Dr.<br />
Ruck zusammen nach Samarra, um die von<br />
Kolb gelieferten Anlagen auf ihre Genehmigungsbedürftigkeit<br />
zu kontrollieren.<br />
Der Diplomingenieur schildert, wie es zu<br />
seiner Reise nach Samarra kam: „Im<br />
Frühjahr 1984 gab es eine Anfrage vom<br />
Wirtschaftsministerium an den TÜV, ob wir<br />
jemanden haben, der die Anlagen dort<br />
überprüfen kann.“ Haferkamps Aufgabe<br />
beim TÜV war es, Sicherheitsgutachten in<br />
Bezug auf Arbeitsschutz und Imissionsschutz<br />
zu erstellen. Obwohl er nach eigener<br />
Aussage ausdrücklich darauf hinwies, daß<br />
„mein Schwerpunkt auf Sicherheitsaspekten<br />
liegt und – ich bin kein Chemiker – nicht<br />
darauf, die Auslegung einer Anlage auf<br />
bestimmte Produkte zu erkennen“, hielt<br />
man ihn für den richtigen Mann. Haferkamp<br />
versuchte, sich auf Samarra vorzubereiten.<br />
Er studierte „drei bis vier Tage“ die Pläne<br />
der Anlage, die ihm Ruck zur Verfügung<br />
stellte, besuchte die Firma Bayer und nahm<br />
an einer Informationsveranstaltung im<br />
Wirtschaftministerium teil, bei der die<br />
Amerikaner ihre Kenntnisse über Samarra<br />
<strong>weiter</strong>gaben.<br />
„Was wir Ihnen zeigen,<br />
steht in <strong>unsere</strong>m Ermessen“<br />
Nach Dauer und Verlauf der Reise befragt,<br />
erzählt Haferkamp: „Die Reise dauerte –<br />
wenn ich mich richtig erinnere – vom 15.<br />
bis zum 20. Oktober (1984 d. Verf.). Wir<br />
wurden im Irak von Herrn Fraenzel betreut.<br />
Die ganze Reise war von Kolb organisiert,<br />
sonst wäre der Irak nicht einverstanden<br />
gewesen.“ Die Besichtigung Samarras<br />
dauerte nach Haferkamps Aussage etwa 7<br />
Stunden. Mit dem Leiter der Anlage, Herrn<br />
Attar, habe es ein Vorgespräch über die<br />
Besichtigung der Kolb-Anlagen und das<br />
Produktionsverfahren gegeben. Pani fragt,<br />
ob er sich auch erkundigt habe, was auf den<br />
Anlagen produziert werde. „Ja“, bestätigt<br />
Haferkamp, „die Antwort war: ,Das braucht<br />
Sie nicht zu interessieren, was wir Ihnen<br />
zeigen, steht in <strong>unsere</strong>m Ermessen’.“<br />
Mit Hilfe einer an die Wand projizierten<br />
Folie demonstriert Haferkamp die Besichtigung:<br />
„Wir haben alle Bunker gesehen, bis<br />
auf einen, weil da eine französische Anlage<br />
drin war. In dem unterirdischen Arbeitsraum<br />
gab es einen Bereich, wo Käfige für<br />
Tierversuche standen.“ Man habe erfahren,<br />
daß die nicht auf ihren Plänen verzeich<strong>net</strong>e<br />
Anlage Nr. 4 schon 1976 von Kolb geliefert<br />
worden war. „Die Abluftanlage wies auf<br />
hochtoxische Stoffe hin, aber sie war nicht<br />
mehr funktionsfähig“, erinnert sich der<br />
Ingenieur.<br />
Erinnerungslücken<br />
„Haben Sie sich mal erkundigt, was auf der<br />
Anlage produziert wurde, als sie noch<br />
funktionsfähig war?“, fragt der Vorsitzende.<br />
Haferkamp bejaht: „Uns wurde aber nur<br />
gesagt, daß sie unter einer dem Militär<br />
nahestehenden Organisation gebaut<br />
worden sei.“ Er fährt mit seiner Beschreibung<br />
fort: „AHMED 1 sah so aus, als ob<br />
Versuche auf ihr gemacht worden wären,<br />
für die sie nicht konstruiert war.“ Offensichtlich<br />
hat Haferkamp das Gefühl, ein<br />
heißes Eisen angegriffen zu haben und fügt<br />
rasch hinzu: „Wenn sie für irgendetwas<br />
konstruiert war…“. Jedenfalls hätten diese<br />
Versuche „außerhalb des Spektrums<br />
dessen gelegen, was auf dieser Anlage<br />
möglich war.“ Sowohl die Aufnahme als<br />
auch die Entnahme des Produkts habe<br />
völlig ohne Sicherheits- und Schutzmaßnahmen<br />
stattgefunden, erklärt der TÜV-<br />
Beauftragte befremdet.<br />
Staatsanwalt Brandt hat noch eine Frage zur<br />
Anlage Nr. 4: „Konnten Sie feststellen, ob<br />
die Abluftanlage voll hochgefahren war, als<br />
sie so schlecht funktionierte?“ – Haferkamp<br />
verneint. Auf Brandts Frage, wie sich der<br />
schlechte Zustand dargestellt habe, erklärt<br />
er: „Die Anlage hat einen undichten<br />
Eindruck gemacht, aber ich kann mich nicht<br />
so genau erinnern.“<br />
Rechtsanwältin Greef interessiert sich für<br />
die militärische Bewachung Samarras:<br />
„Haben Sie irgendwelche Geschütze<br />
gesehen?“ Haferkamp erinnert sich: „Ja.<br />
Auf diesen aufgeschütteten Sandhaufen.“<br />
Nach der Zahl der Geschütze befragt,<br />
erklärt Haferkamp: „Es waren viele, ich<br />
würde sagen zehn bis zwanzig.“ Sie hakt<br />
nach: „Wie haben Sie sich das Vorhandensein<br />
dieser Geschütze erklärt?“ Haferkamp<br />
gibt dieselbe Begründung wie Dr. Ruck bei<br />
seiner Vernehmung: „Das war ja kurz nach<br />
dem Angriff der Israelis auf den Reaktor,<br />
der ist auch in den Gesprächen immer<br />
wieder erwähnt worden.“<br />
Kein Druck der Amerikaner<br />
Rechtsanwalt Mohn, der letzte Woche die<br />
These aufstellte, hinter dem Druck der USA<br />
hätten handfeste handelspolitische Interessen<br />
gestanden, fragt nun: „Welche Informationen<br />
hatten Sie von den Amerikanern?“<br />
Haferkamp erklärt, man habe ihnen<br />
Luftbilder von Samarra gezeigt. Außerdem<br />
hätten die Amerikaner aufgrund dieser<br />
Luftbilder verschiedene Gebäude rekonstruiert:<br />
„Uns wurden Vermutungen mitgeteilt,<br />
wie etwa, daß sich Stockwerke unter<br />
der Erde befinden.“ „Ist es richtig, daß die<br />
Geheimdienstler mit dem Ergebnis ihrer<br />
Untersuchungen unzufrieden waren?“,<br />
spielt Mohn auf Dr. Rucks Aussage an.<br />
Haferkamp bejaht. Mohn: „Hat der Geheimdienst<br />
später noch Druck gemacht?“ Hier<br />
deckt sich Haferkamps Aussage nicht mehr<br />
mit der seines Reisepartners Dr. Ruck:<br />
„Nein, Druck wurde nicht ausgeübt.“<br />
Nun wird Haferkamp befragt, wie er sich auf<br />
den Gerichtstermin vorbereitet habe. Es<br />
stellt sich heraus, daß vor Ort, also bei der<br />
Besichtigung Samarras, keinerlei Notizen<br />
angefertigt wurden – anscheinend hatten<br />
die Irakis dies verboten. Die Berichte, die<br />
nach der Reise angefertigt wurden, sind<br />
nach Haferkamps Aussage beim TÜV<br />
mittlerweile wieder zur „Verschlußsache“<br />
erklärt worden. Bei dem Wort „Verschlußsache“<br />
wird der Vorsitzende panisch: „Das<br />
kann der TÜV doch gar nicht. Dann hätten<br />
Sie ja eine Aussagegenehmigung<br />
gebraucht!“ – Die Aufregung ist unnötig;<br />
der TÜV ist privatrechtlich organisiert, es<br />
handelt sich also nur um eine „wirtschaftliche<br />
Geheimhaltung“, die für das Gericht<br />
keine Bedeutung hat.<br />
„Meine Aussage<br />
war nicht gesteuert“<br />
Rechtsanwalt Mohn fragt, ob Haferkamp<br />
vor seinen Gerichtstermin irgendwelche<br />
Kontakte gehabt habe. Haferkamp verneint:<br />
„Ich habe keine offiziellen Kontakte<br />
gehabt.“ Mohn drängt <strong>weiter</strong>: „<strong>Und</strong> inoffizielle?“<br />
Haferkamp gibt nach einigen<br />
Ausweichmanövern zu, vor seinem Termin<br />
mit Dr. Ruck telefoniert zu haben. Mohn<br />
interessiert sich jedoch nicht nur für den<br />
laufenden Prozeß: „Hat es vor Ihrer Aussage<br />
vor dem Hessischen Finanzgericht<br />
Maßnahmen der Bundesregierung<br />
gegeben?“ – Darauf Haferkamp, entschieden:<br />
„Meine Aussage war nicht gesteuert.“<br />
Das hessische Finanzgericht hatte 1984 auf<br />
Antrag der Firma Kolb entschieden, daß das<br />
Hauptzollamt nicht berechtigt war, die<br />
Kolb-Lieferungen für den Irak zurückzuhalten,<br />
da die Änderung der Außenwirtschaftsverordnung<br />
ungültig sei. Nachdem das<br />
Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil<br />
aufhob, weil es das Umlaufverschweigungsverfahren<br />
aus gewohnheitsrechtlichen<br />
Gründen für zulässig hält, wird nun<br />
das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden<br />
haben.<br />
Rechtsanwalt Hild nimmt ebenfalls Bezug<br />
auf Haferkamps Aussage vor dem Hessischen<br />
Finanzgericht: „Hat Herr Attar<br />
(Hauptvertreter der SEPP, die Verf.) vor Ort<br />
erklärt, wofür die Anlagen sind? Eben<br />
sagten sie ja, er habe erklärt, das ginge sie<br />
nichts an. Am 7.12. 84 klang ihre Aussage<br />
da etwas anders. Hat Herr Attar nicht<br />
vielleicht doch etwas gesagt?“ Haferkamp<br />
bleibt souverän: „Er hat sich abgegrenzt<br />
von der Organisation, die vorher auf dem<br />
Gelände tätig war: ‚Wir machen jetzt etwas<br />
in Richtung Pflanzenschutzmitteln‘.“<br />
Hild: „Sie sollen bei ihrer Vernehmung auch<br />
gefragt worden sein: ,Dr. Ruck ist der<br />
Ansicht, daß die Reise nur auf Druck der<br />
USA zustande kam und daß handelspolitische<br />
Interessen der USA dahintersteckten…‘<br />
– Sie sollen geantwortet haben: ,Ich<br />
habe einen ähnlichen Eindruck. Der Besuch<br />
im Irak ist wohl auf Druck von Israel und<br />
den Amerikanern zustandegekommen.<br />
Diesen Eindruck hatte ich bei Besuchen des<br />
Wirtschaftministeriums und des auswärtigen<br />
Amts‘. Gingen Sie von handelspolitischen<br />
Zwängen aus?“ Haferkamp ziert sich:<br />
„Bei den USA waren wohl Interessen auf<br />
diesem Gebiet da.“<br />
Hild: „Herr Attar soll gesagt haben, daß es<br />
eine amerikanische Konkurrenzfirma zu<br />
Pilot Plant gibt. Haben Sie das ausgesagt?“<br />
„Das könnte sein“, räumt Haferkamp ein<br />
und fügt hinzu: „Mein Eindruck war damals,<br />
daß Pilot Plant eine junge Firma mit wenig<br />
Erfahrung bezüglich chemischer Anlagen<br />
ist. Von der Verfahrenstechnik her war da<br />
nicht viel Know-how“. Hild stellt die<br />
Gretchenfrage: „Gab es irgendwelche<br />
Indizien dafür, daß Kampfstoffe produziert<br />
wurden?“ Haferkamp verneint erwartungsgemäß,<br />
weist aber nochmals darauf hin:<br />
„Ich bin kein Fachmann für Kampfstoffe,<br />
sondern für Sicherheitsmaßnahmen. Das<br />
ist der Hintergrund meiner Ausführungen.<br />
AHMED 1, sie war als einzige Anlage in<br />
Funktion, hatte kein geschlossenes Entnahmesystem,<br />
das auf toxische Stoffe hingewiesen<br />
hätte, und auch die Entwässerungsanlage<br />
war offen. Die Männer hätten mit<br />
Schutzanzügen arbeiten müssen. Wir<br />
haben keine Schutzkleidung gesehen, aber<br />
sowas kann man natürlich auch schnell<br />
wegräumen.“<br />
Hochpotente Anlage<br />
Professor Dialer interessiert sich für Haferkamps<br />
Besichtigung bei der Firma Bayer,<br />
die im Vorfeld der Samarra-Reise stattfand.<br />
Es folgt ein Gespräch mit vielen technischen<br />
Details, in dessen Verlauf sich Dr.<br />
Hallmann erkundigt, ob bei der Anlage im<br />
Irak Steuerungs- und Produktionsraum<br />
getrennt gewesen seien. Haferkamp<br />
bestätigt dies. Dr. Hallmann bohrt nach:<br />
„Das macht man doch nur, wenn hochtoxische<br />
Stoffe produziert <strong>werden</strong>.“ Auch dies<br />
bejaht Haferkamp, relativiert aber: „Man<br />
macht das bei einer Anlage, auf der auch<br />
toxische Stoffe hergestellt <strong>werden</strong>.“<br />
Hallmann läßt sich nicht auf Wortspielereien<br />
ein: „Jedenfalls war klar, daß es sich um<br />
eine hochpotente Anlage handelt.“<br />
Rege Kontakte zu Kolb<br />
Zum Schluß schaltet sich Richter Thomas<br />
Sagebiel ein: „Ist es richtig, daß es noch ein<br />
Abschlußessen mit Herrn Attar und<br />
anderen gab?“ „Ja, auf dem Betriebsgelände“,<br />
bestätigt Haferkamp. Wer alles dabeigewesen<br />
sei, wisse er nicht mehr genau,<br />
aber Herr Fraenzel bestimmt. Sagebiel,<br />
wohl in Anspielung auf Rucks Aussage, daß<br />
er mit dem Angeklagten Al Kadhi heimgeflogen<br />
ist : „Kennen sie Herrn Al Kadhi?“<br />
Haferkamp weicht aus: „Ich würde ihn nicht<br />
wiedererkennen“.<br />
Die Staatsanwaltschaft fragt, ob die Ergebnisse<br />
der Besichtigung mit Herrn Attar oder<br />
Fraenzel besprochen worden seien. Haferkamp<br />
gibt zu, man habe mit Fraenzel „grob<br />
über die Probleme mit der Anlage gesprochen“.<br />
Entschuldigend ergänzt er: „Ohne<br />
die Betreuung durch Herrn Fraenzel wäre<br />
die Reise nicht möglich gewesen. Hieraus<br />
haben sich dann rege Kontakte entwickelt.“<br />
Der Eindruck, daß die Samarra-Reise ein<br />
Farce war, verfestigt sich zunehmend: Man<br />
schickt zwei Männer nach Samarra, die<br />
beide (was nicht ihre Schuld ist) keine<br />
speziellen Kenntnisse in Bezug auf die<br />
Produktion von Kampfstoffen mitbringen.<br />
Einer von ihnen weist sogar darauf hin, daß<br />
er Ingenieur und kein Chemiker ist, daß<br />
Sicherheitsvorkehrungen sein eigentliches<br />
Fachgebiet darstellen. Warum wurde<br />
beispielsweise nicht einer der Sachverständigen<br />
für chemische Anlagen, die heute<br />
dem Prozeß beiwohnen, nach Samarra<br />
geschickt?<br />
Die beiden „Fachleute“ machen „auf dem<br />
Flug nach Samarra aus, was wir kontrollieren<br />
wollen“. Sie vermuten, daß sie diese<br />
Reise letztendlich wegen Handelsinteressen<br />
der USA unternehmen müssen – was<br />
ihre Motivation nicht gerade gehoben<br />
haben dürfte. Die Reise ist von der Firma<br />
organisiert, deren Anlagen auf ihre Genehmigungsbedürftigkeit<br />
kontrolliert <strong>werden</strong><br />
sollen – der Firma Kolb. Vor dieser wird<br />
auch „ganz offen“ über das Ergebnis er<br />
Besichtigung gesprochen.<br />
Die irakischen Anlagenbetreiber erklärten<br />
offen, „es liegt in <strong>unsere</strong>m Ermessen, was<br />
wir Ihnen zeigen“. Nur eine der vorgeführten<br />
Anlagen ist funktionsfähig. Offensichtlich<br />
ging es bei der Samarra-Reise lediglich<br />
darum, im Hinblick auf das Ausland eine<br />
Pflichtübung zu absolvieren – ein Interesse,<br />
die Aktivitäten der Firma Kolb zu kontrollieren,<br />
bestand nicht.<br />
Ehemaliger Geschäftsführer<br />
Schreiber bleibt<br />
als Verdächtigter unvereidigt<br />
Nochmals wird Schreiber, ehemaliger<br />
Geschäftsführer bei Pilot Plant, vernommen.<br />
Er, der ursprünglich ebenfalls<br />
angeklagt war, wird zunächst wiederholt<br />
belehrt, daß er sich nicht selbst zu belasten<br />
brauche. Bei Schreibers Vernehmung geht<br />
es dann auch vorwiegend um dessen<br />
eigene Tatbeteiligung.<br />
Schreiber gibt zu, Phosphortrichlorid an die<br />
irakische Beschaffungsfirma „SOTI“ geliefert<br />
zu haben. Auch daß er mit der „SEPP“<br />
die Verhandlungen über die Anlage AHMED<br />
1 führte, räumt Schreiber ein.<br />
AHMED 1 ist nach dem Gutachten von Dr.<br />
Richarz „für die Herstellung chemischer<br />
Kampfstoffe ohne Zweifel geeig<strong>net</strong>“. Ob<br />
Änderungen an dieser Anlage besprochen<br />
worden seien? Schreiber bestätigt: „Wir<br />
haben Änderungen besprochen, aber im<br />
großen und ganzen ist die Anlage so geblieben<br />
wie geplant“.<br />
Staatsanwalt Brandt interessiert sich für<br />
Schreibers Kontakte: „Haben Sie zu der<br />
Frankfurter Firma CGM zwischen 1981 und<br />
1983 irgendwelche Kontakte aufgenommen?“<br />
Schreiber erwidert, es habe lediglich<br />
1979 ein einziges Telefongespräch<br />
gegeben. Er habe damals versucht, über die<br />
CGM eine Anlage zu bekommen, die einer<br />
seiner Kunden verlangt hatte. „Das ist aber<br />
dann im Sande verlaufen“.<br />
Schreiber gibt die Planung zu<br />
Rechtsanwalt Pauly will wissen: „Welche<br />
Personen haben die Verträge ausgehandelt,<br />
um welche Änderungen ging es, und wer<br />
hat das Konzept mit dem Kunden ausgearbeitet?“<br />
– Kein Wunder, daß Pauly sich<br />
engagiert; alles, was Schreiber hier<br />
einräumt, entlastet Paulys Mandanten<br />
Ewald Langer. Pauly verliest ein Schriftstück,<br />
in dem es um ein Angebot der Firma<br />
Kolb an die „SEPP“ geht und fügt hinzu:<br />
„Mit diesem Angebot kann Langer nichts zu<br />
tun gehabt haben. Da war er noch gar nicht<br />
in der Firma. Haben Sie das bearbeitet?“<br />
Schreiber bejaht.<br />
Pani resümiert: „Es wurde also ein grobes<br />
Konzept erstellt, das dann feiner ausgearbeitet<br />
wurde. Mit wem wurde dieses grobe<br />
Konzept erstellt? Mit Ihnen?“ – Schreiber,<br />
lässig: „Im großen und ganzen ja.“ Pani<br />
fährt fort: „Wer führte die Bestellungen für<br />
die Anlage aus?“ – Schreiber: „An die<br />
Unterlieferanten? Ja, die sind von Mitarbeitern<br />
geschrieben und von mir unterschrieben<br />
worden, weil ich ja Geschäftsführer<br />
war. Das mußte ja jemand machen, der<br />
Prokura hatte.“<br />
Hild stellt die entscheidende Frage: „Auf<br />
welche Anlage bezog sich dieses<br />
Angebot?“ – Schreiber: „Auf MOHAMED.“<br />
Die Anlage MOHAMED ist, im Gegensatz zu<br />
AHMED 1, Gegenstand dieses Verfahrens –<br />
Schreiber scheint sich also sehr sicher zu<br />
fühlen.<br />
Als Pani ihn dann unter Hinweis auf § 60 II<br />
StPO unvereidigt entläßt, notiert Schreiber<br />
sich den Paragraphen. Vermutlich wird er<br />
erbost sein, wenn er ihn zu Hause<br />
nachschlägt: Von der Vereidigung ist<br />
abzusehen bei Personen – so das Gesetz –,<br />
die selbst der Tat, welche den Gegenstand<br />
der Untersuchung bildet, verdächtig sind.<br />
Ob gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet<br />
wird? Schreiber hat offen eingestanden, die<br />
Planungen gekannt und damit auch über<br />
die Planung für eine Giftgasproduktionsanlage<br />
informiert gewesen zu sein.<br />
Verärgerte Juristen:<br />
Bonn hat Unterlagen<br />
vorenthalten<br />
„Die Kammer beabsichtigt, die Verhandlung<br />
zu unterbrechen und die Bundesregierung<br />
zu befragen“, mit diesem Beschluß<br />
setzte Richter Alfred Pani am 12. Verhandlungstag<br />
das Verfahren aus. Hintergrund<br />
bildete ein fernschriftlich zugestelltes<br />
Dokument aus den UN-Berichten, das am 1.<br />
Juni „zur großen Überraschung“ des Richters<br />
eintraf. „Dem Zollkriminalinstitut als<br />
Hilfesbeamten der Staatsanwaltschaft sind<br />
Unterlagen zugänglich, die erst während<br />
des Verfahrens vorgelegt <strong>werden</strong> – ein<br />
<strong>Und</strong>ing“, kommentiert Pani und auch<br />
Rechtsanwältin Michalke meint: „So geht<br />
das nicht. Dann muß gesagt <strong>werden</strong>, das<br />
wird nicht in das Verfahren eingebracht.<br />
Das muß doch strafrechtsprozessuale<br />
Folgen haben.“<br />
Bereits im März verfügten die Beamten des<br />
Zollkriminalinstitutes über diese Unterlagen<br />
und ließen eine hausinterne Übersetzung<br />
anfertigen. Das Gericht besaß im Gegensatz<br />
zu der Staatsanwaltschaft keine Kenntnis<br />
von dem Vorhandensein des Zusatzberichtes.<br />
„Jedermann ging davon aus, daß die<br />
UN-Berichte vollständig vorliegen“, ärgerte<br />
sich Pani und war sich einig auch mit<br />
Rechtsanwalt Hild: „Das Verfahren ist für<br />
alle Beteiligten nicht zumutbar. Die Kammer<br />
trifft kein Verschulden, aber die Verteidigung<br />
kann so nicht verteidigen“. Staatsanwalt<br />
Detlev Thorer rechtfertigte: „Das ist ein<br />
UN-Bericht, der einem besonderen<br />
Geheimhaltungsgrad unterliegt, davon<br />
gingen wir aus“.<br />
In Übereinstimmung wurde aus Kostengründen<br />
beschlossen, die Sachverständigen<br />
nicht mehr zum regelmäßigen Aufenthalt<br />
während des Verfahrens zu verpflichten.<br />
Interview<br />
mit Leiter der UN-Delegation<br />
Die Publikation „Rege Geschäfte mit tödlichem<br />
Ausgang“ der „Chemischen<br />
Rundschau“ (VCH Verlagsgesellschaft<br />
Weinheim), erschienen Ende Mai 92, sorgte<br />
für Aufmerksamkeit. Flottenadmiral Heinz-<br />
Dieter Jopp, als deutscher Leiter der UN-<br />
Delegation, hatte über seinen Aufenthalt in<br />
Samarra ein Interview gegeben. Prozeßbedeutsame<br />
Fragen sind darin gestellt; auf die<br />
Frage, um was für Anlagen es sich in<br />
Samarra gehandelt habe, erklärt Jopp:<br />
„Nach irakischen Angaben dienten beide<br />
Anlagentypen zur Herstellung von Tabun,<br />
Sarin, und Senfgas“. Welche Rolle dabei<br />
deutsche Firmen gespielt haben? „Die<br />
Anlagen“, so Jopp, „sind im Endeffekt alle<br />
von deutschen Firmen gebaut worden“. Der<br />
Journalist fragt <strong>weiter</strong>: „Die Firmen behaupten,<br />
sie hätten wissentlich nur Anlagen zur<br />
Produktion von Pestiziden geliefert. Ist das<br />
naiv?“ Jopp: „Ich würde es weniger als<br />
Naivität, sondern eher als Unverfrorenheit<br />
bezeichnen. Alle Inspektoren sagen: Wer<br />
diese Anlagen sieht, der muß auch sofort<br />
erkennen, was hier produziert wird. Spätestens<br />
dann, als die deutschen Firmenangehörigen<br />
den Bau der Anlagen vor Ort<br />
überwacht haben – und das ist so geschehen<br />
–, muß ihnen ein Licht aufgegangen<br />
sein“.<br />
Unter Bezug auf den Prozeß fragt der<br />
Journalist: „Die Verteidiger der Unternehmen<br />
aus Südhessen wollen die Protokolle<br />
ihrer UN-Delegation dem Gericht als entlastendes<br />
Material vorlegen. Wie das?“ Jopp:<br />
„Darauf kann ich mir keinen Reim machen.<br />
Ich kenne sämtliche Protokolle der UN-<br />
Sonderkomission. Aus allen geht glasklar<br />
hervor, was produziert wurde und zu<br />
welchem Zweck. Nicht enthalten in den<br />
Protokollen sind die Namen der Lieferfirmen,<br />
obwohl sie zum teil deutlich auf<br />
Typenschildern zu lesen sind. Die Listen<br />
mit den Firmennamen wurden ausschließlich<br />
dem UN-Chiefinspektor ausgehändigt“.<br />
In Journalistenkreisen läuft das Gerücht<br />
um, der „Spiegel“ verfüge über die UN-<br />
Berichte und werde im Sommer damit an<br />
die Öffentlichkeit treten.
Klaren Worten<br />
müssen auch klare Taten folgen<br />
Die Stellungnahme der SPD<br />
für einen Beitritt der Stadt<br />
Darmstadt und der Region<br />
Südhessen zum Rhein-Main-<br />
Verkehrsverbund hat in der<br />
FDP-Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion positive Reaktionen<br />
ausgelöst. Nach den bisher eher<br />
zögerlichen Äußerungen der Sozialdemokraten<br />
sei es an der Zeit für eine Klarstellung<br />
gewesen, erklärte der FDP-Fraktionsvorsitzende<br />
Peter J. Netuschil. Die von der<br />
FDP erklärte Ansicht, daß die Region Darmstadt<br />
auf die künftige Konzeption des RMV<br />
verstärkt Einfluß nehmen muß, sollte notwendigerweise<br />
auch vom Landkreis Darmstadt-Dieburg<br />
geteilt <strong>werden</strong>. Die SPD<br />
Darmstadt sollte auf ihre Parteifreunde im<br />
Eissporthalle:<br />
Karten auf den Tisch<br />
Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
soll Licht in das<br />
Finanzgebaren der TSG 1846<br />
und der Betreibergesellschaft<br />
für das Eissportzentrum<br />
bringen. Dies hat die SPD–Fraktion<br />
auf ihrer letzten Fraktionssitzung beschlossen.<br />
Der Vorsitzende des Vereins, Herbert<br />
Reißer, solle veranlaßt <strong>werden</strong>, alle „Karten<br />
auf den Tisch“ zu legen und einen Kassensturz<br />
vorzunehmen. Wie der stellvertretende<br />
Fraktionsvorsitzende Dr. Harry Neß<br />
dazu mitteilt, sei ein Grund für diesen<br />
Beschluß die Information gewesen, daß die<br />
Betreibergesellschaft einen Geschäftsführer<br />
beschäftige, der ein ausgesprochen<br />
stattliches Salär so um die DM 10.000,.-<br />
beziehen soll. Man frage sich, was dieser<br />
Mann eigentlich tue, um die Einnahmesituation<br />
von Betreibergesellschaft und Verein<br />
zu verbessern.<br />
Offensichtlich gebe es z. B. kein gastronomisches<br />
Konzept. Auch sei beobachtbar,<br />
daß der Biergarten trotz des schönen Wetters<br />
geschlossen bleibe. Weitere Aktivitäten<br />
wie z. B. Konzertveranstaltungen seien<br />
CDU: Eissporthalle erhalten<br />
Verschleppen und verzögern<br />
unliebsamer Entscheidungen<br />
ist in der Kommunalpolitik in<br />
Darmstadt zwar an der Tagesordnung,<br />
dient der Sache aber<br />
nicht. Mehr als ein halbes Jahr ist seit dem<br />
Beschluß der SPD vergangen, die Zuschüsse<br />
an die TSG für die Eissporthalle zu streichen.<br />
Seitdem ruht das Problem. Jetzt soll<br />
ein betriebswirtschaftliches Gutachten für<br />
35.000 DM erstellt <strong>werden</strong>, aber die Bank<br />
macht Druck, weil der Schuldendienst für<br />
die Eissporthalle nicht mehr bedient wird.<br />
Nach Meinung der CDU sollte eine klare<br />
Zukunftsperspektive für den Eissport in<br />
Darmstadt entwickelt <strong>werden</strong>. Dafür sprechen<br />
drei Gründe:<br />
1. Es gibt in Darmstadt eine breite „Bürgerbewegung“<br />
von jungen Leuten zugunsten<br />
der Eissporthalle als beliebtes Freizeitangebot.<br />
80.000 Besucher im Jahr sprechen für<br />
sich.<br />
2. Es gibt keinen Grund zu der Annahme,<br />
daß die Eissporthalle von der Stadt besser<br />
oder gar billiger betrieben <strong>werden</strong> könnte.<br />
Die Übernahme der Halle durch die Stadt<br />
bedeutet das „Aus“ für den Eissport in<br />
Darmstadt.<br />
3. Der Eissport ist eine echte sportliche<br />
Innovation für Darmstadt, in einer Region,<br />
wo nach Lage und Klima Wintersport sonst<br />
überhaupt nicht möglich ist.<br />
Aus diesen Gründen hat sich die CDU-Fraktion<br />
eindeutig für den Erhalt der Eissporthalle<br />
eingesetzt. Die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
hat, bis auf die Grünen, beschlossen,<br />
daß der Magistrat einen Vorschlag machen<br />
soll, wie die Eissporthalle in Trägerschaft<br />
der TSG erhalten <strong>werden</strong> kann. „Bis jetzt hat<br />
der Magistrat nicht einmal den kleinen Finger<br />
gerührt“, kritisiert Alfred Aldenhoff. „Er<br />
trägt die Verantwortung dafür, wenn sich die<br />
Tore der Eissporthalle für immer schließen.“<br />
Da bereits investive Leistungen von der<br />
Stadt erbracht worden sind, wobei mit minimalen<br />
Aufwand ein gutes Ergebnis erzielt<br />
wurde, sollte man das sport- und freizeitpolitische<br />
Ziel dauerhaft sichern.<br />
Landkreis einwirken, damit deren Blockadehaltung<br />
nicht <strong>weiter</strong> zu „verkehrspolitischer<br />
Unbeweglichkeit“ beiträgt, empfahl<br />
Netuschil.<br />
Der FDP-Politiker kündigte einen gemeinsamen<br />
Antrag der Darmstädter Koalitionsfraktion<br />
an, der auch einen separaten Beitritt<br />
Darmstadts zum RMV vorbereiten soll.<br />
Nach den Worten des RMV-Geschäftsführers<br />
Volker Sparmann bleibe nur noch bis<br />
zum Sommer Zeit, der RMV-Gründungsgesellschaft<br />
beizutreten. „Nur so haben wir<br />
die Möglichkeit, <strong>unsere</strong> Forderungen einzubringen<br />
und zu verhindern, daß der RMV lediglich<br />
eine Er<strong>weiter</strong>ung des bisherigen FVV<br />
darstellt“, sagte Netuschil abschließend.<br />
ebenfalls in letzter Zeit nicht zu registrieren.<br />
Die Einstellung der städtischen Zuschüsse<br />
hätten jedoch für Reißer und seinen<br />
Geschäftsführer Anlaß sein müssen, verstärkt<br />
und ideenreich nach Möglichkeiten<br />
zu suchen, die Zuweisungen der Betreibergesellschaft<br />
an den Verein zu erhöhen. <strong>Und</strong><br />
so dränge sich der Verdacht auf, daß die<br />
Zahlungsunfähigkeit des Vereins Bestandteil<br />
einer Strategie Reißers sei, den Steuerzahler<br />
auf jeden Fall zur Kasse zu bitten.<br />
Wenn sich als richtig erweise, daß er die<br />
Untätigkeit dieses Geschäftsführers, der<br />
noch dazu Vereinsfunktionär ist, mit einem<br />
solch fürstlichen Salär belohne, dann sei es<br />
sicher nicht verfehlt, die Finanzmisere von<br />
Verein und Gesellschaft als „Finanzdebakel“<br />
zu bezeichnen, für das Reißer die volle Verantwortung<br />
zu übernehmen habe.<br />
Für ihn, so Dr. Neß, stelle sich dann auch<br />
die Frage, ob die Heimfallklausel des Vertrages,<br />
die die Pflicht der Stadt zur Übernahme<br />
der Halle und des Vereinsvermögens<br />
im Konkursfall festlegt, unter solchen<br />
Vorzeichen wirksam <strong>werden</strong> könne.<br />
Mit einer Großen Anfrage hat die CDU das<br />
Thema jetzt wieder auf den Tisch gelegt und<br />
erwartet, daß die Stadt sich entscheidet, wie<br />
es mit der Eissporthalle <strong>weiter</strong>geht, bevor<br />
die Mitarbeiter wegen der unsicheren Zukunft<br />
abwandern und die Besucher sich verlaufen.<br />
„Eissport in Darmstadt ist gut angekommen,<br />
aber dauernde Querelen verunsichern<br />
alle Beteiligten und stiften Schaden.<br />
Deshalb muß jetzt gehandelt <strong>werden</strong>“, erklärt<br />
Alfred Aldenhoff für die CDU-Fraktion.<br />
Thema: „Verkehr“<br />
Trotz überlangen Wochenendes<br />
durch den Himmelfahrtsfeiertag<br />
kamen viele interessierte<br />
Bürgerinnen und Bürger<br />
zum Mittwochs-Treff der<br />
Eberstädter Grünen.<br />
Thema des Abends war der Verkehr in diesem<br />
Stadtteil. Der gute Besuch in der Veranstaltung<br />
überraschte deshalb kaum<br />
jemanden, da Planungen wie das Wolfhartweg-Baugebiet<br />
oder das Projekt Heag-<br />
Wartehalle den Eberstädtern erhebliche<br />
Belastungen durch zusätzlichen Autoverkehr<br />
zumuten. „Man muß sich Gedanken<br />
machen, wie man die Eberstädter Verkehrsprobleme<br />
lösen kann, die ja auch ohne diese<br />
Vorhaben nicht unerheblich sind“, sagt<br />
Doris Fröhlich, die Eberstädter Stadtverord<strong>net</strong>e<br />
der Grünen.<br />
Der Ortsverband Eberstadt lud deshalb die<br />
renommierte Stadt- und Verkehrsplanerin<br />
Gisela Stete und Richard Lichtenstein vom<br />
Bürgerverband zur Förderung des Schienenverkehrs<br />
(BFS) zu seinem Treffen ein.<br />
Gisela Stete versuchte in ihrem Referat die<br />
Frage zu beantworten, „welche Verkehrspolitik<br />
die Mobilität für alle Bevölkerungsteile<br />
sichert.“<br />
Ihrer Ansicht nach ist „unser heutiges<br />
Mobilitätsverständnis deformiert“, weil<br />
Mobilität in erster Linie mit dem Auto in<br />
PARTEIEN - STANDPUNKTE I<br />
Fortschreibung<br />
des Rahmenplans<br />
für Eberstadt<br />
„Die CDU Eberstadt setzt den<br />
Bürgerwillen um“, zieht<br />
Stadtverord<strong>net</strong>er Michael<br />
Bergmann das Fazit der<br />
öffentlichen Sitzung der CDU-<br />
Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion vom Montag,<br />
dem 30. März 1992, im Haus der Vereine.<br />
Dort hatten die Eberstädter laut und vernehmlich<br />
ihren Unmut darüber bekundet,<br />
daß das dem OB Metzger unterstellte Planungsamt<br />
ganz offensichtlich kein einheitliches,<br />
das Ganze überschauende Gesamtkonzept<br />
für Eberstadt besitze. So die Stimmen<br />
von Teilnehmern: „Hier und dort so ein<br />
bißchen undurchdachte Verkehrsberuhigung,<br />
keine neuen Baugebiete, auch dort<br />
nicht, wo man verdichten könnte, keine<br />
effektive Anbindung der Randgebiete und<br />
vor allem: Wo bleibt <strong>unsere</strong> Sicherheit, z.B.<br />
auf dem Eberstädter Friedhof oder sonst als<br />
Passant, geschützt?” <strong>Und</strong> so war <strong>weiter</strong> zu<br />
vernehmen: „Wieviel schöner könnte unser<br />
Eberstadt sein, wenn doch endlich gehandelt<br />
würde.” Das ist der Knackpunkt, kommentiert<br />
Stadtverord<strong>net</strong>er Michael Bergmann<br />
die Sorgen der Eberstädter. OB Metzger<br />
ist weder in der Lage, darauf schlüssige<br />
Antworten zu geben, noch Initiativen zu<br />
entwickeln. Weil die Initiativen der CDU<br />
Eberstadt von der SPD und der FDP ständig<br />
abgeblockt würden, wider besseres Wissen<br />
übrigens, zwingt die CDU-Fraktion die<br />
SPD/FDP-Koalition mit ihrem Antrag, den<br />
Rahmenplan auf den neuesten Stand zu<br />
bringen, den wahren Bedürfnissen der Bürgerschaft<br />
endlich Rechnung zu tragen. OB<br />
Metzger und die SPD rühmten sich ständig,<br />
den direkteren Draht zur Bevölkerung zu<br />
haben. Ergebnisse daraus seien aber nicht<br />
sichbar. Nur ein Gesamtkonzept, daß die<br />
Bezüge von Einwohnerzahl, möglicher neuer<br />
Baugebiete, öffentlichen und individuellen<br />
Nahverkehrs (Ziel- und Quellverkehr)<br />
bis hin zur Anbindung der Randgebiete<br />
nach dem CDU-Vorschlag eines Ringbusses<br />
sowie die Fortentwicklung von Gewerbe<br />
und Handel aufnehme, werde den zukünftigen<br />
Interessen und Bedürfnissen der Bürgerschaft<br />
gerecht. SPD und FDP mangele<br />
es an einer zukunftsweisenden Vision, die<br />
dem Gemeinwohl verpflichtet sei. Statt<br />
dessen stehe als Überschrift über dem Programm<br />
von SPD und FDP in Magistrat und<br />
Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung allein das<br />
Wort: „Ideenlosigkeit!“. Dem müsse nun<br />
endlich Einhalt geboten <strong>werden</strong>. SPD und<br />
FDP hätten, so Bergmann, mit der Zustimmung<br />
zum CDU-Antrag die Chance, sich<br />
den zukunftsweisenden Bedürfnissen der<br />
Bürgerschaft zuzuwenden, anstatt ihre Verweigerungshaltung<br />
fortzuführen.<br />
Michael Bergmann, Stadtverord<strong>net</strong>er<br />
Betr.: Veranstaltung der Grünen in Eberstadt<br />
Verbindung gebracht wird. Abgesehen<br />
davon, daß das Verkehrsmittel Auto die<br />
Erwartungen in puncto Mobilität schon lange<br />
nicht mehr erfüllen kann, wird der PKW<br />
hauptsächlich „von der Bevölkerungsgruppe<br />
mit den Merkmalen männlich, zwischen<br />
20 und 59 Jahren, genutzt.“ Alle anderen<br />
legen ihre Wege überwiegend mit dem<br />
ÖPNV, dem Fahrrad oder auf eigenen<br />
Füßen zurück, <strong>werden</strong> in ihrer Mobilität<br />
aber durch den Autoverkehr behindert, da<br />
die Verkehrspolitik auf den Autoverkehr<br />
fixiert ist.<br />
Um Mobilität für alle Gruppen der Gesellschaft<br />
zu gewährleisten, muß die Privilegierung<br />
der Autos abgeschafft <strong>werden</strong>, und es<br />
müssen integrierte Verkehrsplanungskonzepte<br />
für Fußgänger, Fahrradfahrer, ÖPNV-<br />
Nutzer und Autofahrer entwickelt <strong>werden</strong>,<br />
so Frau Stete <strong>weiter</strong>. Konkret schlug sie in<br />
ihrem Referat vor:<br />
1. Vermeidung des Verkehrsaufwandes<br />
durch kompakte Siedlungsstrukturen, in<br />
denen die Wege z. B. zwischen Wohnen<br />
und Arbeiten kurz sind und deshalb der<br />
Zwang zum Auto entfällt.<br />
2. Verlagerung des Autoverkehrs auf<br />
umweltverträgliche Verkehrsmittel durch<br />
Verbesserung des ÖPNVs und durch die<br />
Schaffung durchgängiger Radwegeverbindungen.<br />
Ein Teil des Einzugsgebietes<br />
der Andersen-Schule liegt<br />
östlich der Reuterallee. Deshalb<br />
müssen Schülerinnen<br />
und Schüler täglich mehrmals<br />
diese stark befahrene Straße überqueren.<br />
Um den Schulweg sicherer zu machen<br />
und das Überqueren der breiten Fahrbahn<br />
zu erleichtern, wollen die Eberstädter CDU-<br />
Stadtverord<strong>net</strong>en, daß in Höhe der Einmündung<br />
Brandenburger Straße eine Verkehrsinsel<br />
eingebaut wird. Die CDU-Kommunalpolitiker<br />
greifen mit ihrem Antrag ein Anlie-<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 20<br />
Schulweg sicherer machen<br />
gen der Elternvertretung der Andersen-<br />
Schule auf, die sich über die Schulwegsicherheit<br />
Gedanken gemacht hat.<br />
Auch im Bereich der Sachsenstraße wäre<br />
eine Verkehrsinsel nützlich, meint die Eberstädter<br />
CDU. Sie könnte zugleich die Fußgänger<br />
schützen, die dort zum Einkaufen<br />
unterwegs sind und ebenfalls die Reuterallee<br />
überqueren müssen. Natürlich kommen<br />
auch andere geeig<strong>net</strong>e Sicherheitsvorkehrungen<br />
in Betracht, die einen besseren<br />
Schutz der <strong>Kinder</strong> gewährleisten können.<br />
Für den Erhalt der Schutzhütten<br />
„Es ist eine Schande, daß der<br />
Magistrat, insbesondere die<br />
verantwortlichen Dezernenten<br />
Metzger (SPD) und<br />
Swyter (FDP) noch immer<br />
nicht mit der planungsrechtlichen Absicherung<br />
von Schutzhütten und Einfriedungen<br />
für Gärten und die Streuobstwiesen im<br />
Eberstädter Osten übergekommen sind,<br />
obwohl dies nur noch bis Ende 1992 möglich<br />
sei“, so Stadtverord<strong>net</strong>er Michael Bergmann<br />
(CDU) bei einem Ortsbegang am Freitag,<br />
dem 29. Mai 1992. Unter der sachkundigen<br />
Führung von Armin Meyer von der<br />
Arbeitsgemeinschaft Eberstädter Obstgärtner<br />
erwanderte die CDU–Eberstadt, deren<br />
Vorsitzender Willi Franz außerdem zahlreiche<br />
interessierte Eberstädter Bürger<br />
begrüßen konnte, den Bereich der Gärten<br />
und Streuobstwiesen im Eberstädter Osten.<br />
Die Teilnehmer konnten sich davon überzeugen,<br />
wie hier verantwortungsbewußt<br />
eine naturverbundene und naturgerechte<br />
„Katastrophenpolitik“<br />
„Erfreut“, zeigt sich der Vorsitzende<br />
der SPD-Fraktion<br />
Horst Knechtel darüber, daß<br />
sich sein CDU-Kollege Dr.<br />
Rüdiger Moog „Mangels<br />
eines eigenen Oberbürgermeisterkandidaten<br />
mit dem der SPD, Bürgermeister Peter<br />
Benz, beschäftigt“ („DE“ vom 13.6.1992).<br />
In seinem Bestreben, Benz am Zeug zu<br />
flicken, verheddere er sich allerdings in den<br />
für ihn typischen selbstgeknüpften Fallstricken<br />
aus Uninformiertheit und Fundamentalopposition.<br />
So sei ihm und das für<br />
einen Fraktionsvorsitzenden wunderlicherweise<br />
völlig entgangen, daß es einen Diskussions-,<br />
Entscheidungs- und Mittelbereitstellungsprozeß<br />
zur Einrichtung eines<br />
Jugendkulturzentrums in der Oettinger Villa<br />
gegeben habe, dieses längst eingerichtet<br />
sei und bereits arbeite. Auch habe sein<br />
eigener Parteifreund, der Stadtrat Dr.<br />
Rösch, erst vor kurzem verkündet, daß die<br />
Sanierung des Familienbades am Woog<br />
sofort nach dem Abschluß der laufenden<br />
Badesaison in Angriff genommen werde.<br />
Die SPD/FDP-Koalition habe die entsprechenden<br />
Mittel dafür bereitgestellt. Sie werde<br />
auch jetzt dargestellte mögliche Mehrkosten<br />
genehmigen. Was die Marktplatz-Tiefgarage<br />
betreffe, so habe sich die SPD<br />
öffentlich dazu bekannt, daß dieses Projekt<br />
nicht verwirklicht <strong>werden</strong> soll. Es sei Ausdruck<br />
einer überholten Verkehrspolitik bzw.<br />
verkehrspolitischer Positionen, auf denen<br />
die CDU „sitzengeblieben“ sei. Die SPD, so<br />
Knechtel, lasse sich dafür gerne von der<br />
CDU kritisieren und bitte sie darum, dies<br />
recht häufig und so entspreche es der veränderten<br />
Finanzlage, daß seine Realisierung<br />
noch nicht in Angriff genommen worden<br />
sei. Die SPD wolle nicht dem Borbild<br />
der CDU auf Bundesebene folgen und die<br />
städtischen Finanzen ruinieren. In der<br />
Koalitionsvereinbarung mit der FDP sei die<br />
Realisierung solcher Projekte auch ausdrücklich<br />
unter den Finanzierungsvorbehalt<br />
gestellt worden. Dies „vergesse“ Dr. Moog<br />
zu erwähnen, wie er auch davon ablenken<br />
möchte, daß die Katastrophenpolitik der<br />
CDU-geführten Regierung in Bonn, die<br />
Abwälzung milliardenteurer Belastungen<br />
auf die Kommunen sowie das von ihr zu<br />
vertretende Finanzdebakel den Städten und<br />
Gemeinden bundesweit den finanziellen<br />
Spielraum zur Realisierung solcher Vorhaben<br />
genommen hat. Offensichtlich sei Dr.<br />
Moog auch „entgangen“, daß es nach der<br />
letzten Kommunalwahl eine zum damaligen<br />
Zeitpunkt nicht vorhersehbare „Wiedervereinigung“<br />
mit unübersehbaren finanziellen<br />
Belastungen gegeben habe, so Knechtel.<br />
Außerdem habe die „unselige und unsoziale<br />
Steuerreform“ der CDU in Bonn auch die<br />
Stadt Darmstadt „fast stranguliert“.<br />
Landschaftspflege betrieben werde. Um<br />
diese erhaltende Landschaftspflege <strong>weiter</strong>hin<br />
zu gewährleisen – das war augenfällig<br />
und jedem einsichtig –, ist es notwendig,<br />
die bestehenden Schutzhütten mit ihren<br />
Gerätschaften und die vor Diebstahl und<br />
Verwüstungen schützenden Einfriedigungen,<br />
die sich im übrigen unauffällig in die<br />
Landschaft einpassen, zu erhalten. Nur so<br />
kann vor Ort eine naturgerechte Bewirtschaftung<br />
und erhaltende Pflege der Streuobstwiesen<br />
und Obstgärten gewährleistet<br />
<strong>werden</strong>, so der einstimmige sachkundige<br />
Tenor der Wanderer. „Umso unverständlicher<br />
ist es“, so Bergmann, „daß der SPD/<br />
FDP-beherrschte Magistrat die Dinge treiben<br />
läßt und nicht handelt.“ Der Stadtverord<strong>net</strong>e<br />
erinnerte daran, daß es die frühere<br />
CDU-geführte Landesregierung gewesen<br />
sei, die das Problem durch das Ergänzungsgesetz<br />
vom 04.04.1990 zum Hessischen<br />
Naturschutzgesetz mit einer entsprechenden<br />
Handlungsermächtigung für die<br />
Kommunen habe lösen wollen. Eile sei<br />
geboten; denn diese Handlungsermächtigung<br />
gelte nur noch bis Ende 1992. „Auch<br />
hier“, so Michael Bergmann, „werde erneut<br />
die Handlungsunfähigkeit der verantwortlichen<br />
Dezernenten Metzger und Swyter, die<br />
auf eine sachgerechte Abstimmung der<br />
Belange von Naturschutz, Landschaftspflege<br />
und den berechtigen Interessen der<br />
Betroffenen sowie der Bürgerschaft keine<br />
Rücksicht nehmen, deutlich. Ihnen mangelt<br />
es, wie auch andernorts, an gestaltender<br />
Kreativität.“<br />
Michael Bergmann, CDU-Eberstadt<br />
Erbbauverträge<br />
laufen aus<br />
Wenn, wie demnächst in der<br />
Heimstättensiedlung, Erbbauverträge<br />
auslaufen, ist es<br />
wichtig, die betroffenen Bürger<br />
frühzeitig zu informieren,<br />
damit sie sich auf die neue Situation einstellen<br />
können.<br />
Deshalb fordert die CDU den Magistrat in<br />
einem Antrag auf, zehn Jahre vor dem Auslaufen<br />
des Vertrags die Erbbauberechtigten<br />
zu benachrichtigen und ihnen die unterschiedlichen<br />
Möglichkeiten deutlich zu<br />
machen, die in jedem Fall weitreichende<br />
finanzielle Auswirkungen haben können.<br />
Der bisherige Besitzer kann das Grundstück<br />
von der Stadt kaufen, dabei <strong>werden</strong> dem<br />
Preis die derzeit gültigen Richtwerte<br />
zugrunde gelegt. Einen Preisnachlaß von<br />
20% gibt es für die Erbbauberechtigten, die<br />
seit mehr als 15 Jahren Inhaber des Erbbaurechtes<br />
sind oder deren <strong>Kinder</strong> und<br />
Enkel. Wer nicht kaufen will, kann ein neues<br />
Erbbaurecht bestellen lassen, allerdings zu<br />
geänderten Bedingungen: Der Erbbauzins<br />
beträgt jetzt 4% des Grundstückwertes,<br />
wobei ebenfalls 20% Abschlag für den<br />
beschriebenen Personenkreis gewährt<br />
wird. Rudi Klein (CDU) weist darauf hin,<br />
daß es in Einzelfällen durchaus zu handfesten<br />
Erhöhungen des Erbbauzinses kommen<br />
kann und daß sich die Leute auf veränderte<br />
finanzielle Rahmenbedingungen einstellen<br />
müssen, oder im Falle des Kaufes<br />
die Finanzierung sicherstellen müssen. Die<br />
CDU will auch erreichen, daß für einkommensschwächere<br />
Erbbauberechtigte Wege<br />
gefunden <strong>werden</strong>, damit sie ohne Angst vor<br />
der Zukunft ihre Erbbaurechte wahrnehmen<br />
können. Niemand kann bei der gegenwärtigen<br />
Situation auf dem Wohnungsmarkt ein<br />
Interesse daran haben, daß hier aufgrund<br />
unzureichender Information Familien in<br />
Wohnungsschwierigkeiten kommen. Bis<br />
zum Jahr 2000 laufen in der Heimstättensiedlung<br />
noch rund ein Dutzend Verträge<br />
aus.
PARTEIEN - STANDPUNKTE II<br />
Wann kommen mehr Studentenwohnungen?<br />
Die FDP-Landtagsabgeord<strong>net</strong>e<br />
und Stadtverord<strong>net</strong>e<br />
Ruth Wagner hatte mit einer<br />
Kleinen Anfrage im Hessischen<br />
Landtag erneut die<br />
Situation der Studentenwohnungen in<br />
Darmstadt zum Thema gemacht. In der<br />
Antwort der Ministerin für Wissenschaft<br />
und Kunst, Prof. Evelies Mayer, wird deutlich,<br />
daß nur für das Projekt Neckarstraße<br />
15 - 17 mit 146 Plätzen ein Fortschritt zu<br />
erkennen ist. Alle anderen Projekte, die<br />
bereits von der Vorgängerregierung auf den<br />
Weg gebracht wurden, hängen in der Verwaltung<br />
des Landes Hessen bzw. auch in<br />
der Abstimmung mit der Stadt Darmstadt.<br />
So ist das Wohnheim auf dem Gelände der<br />
Fachhochschule Darmstadt offensichtlich<br />
im Gerangel zwischen den Abstimmungen<br />
bezüglich von Parkplätzen und Gestaltung<br />
der Stadt und dem Land Hessen. Hier sei<br />
auch der neue Wohnungsbaudezernent<br />
Gerd Grünewaldt gefordert, für Beschleunigung<br />
zu sorgen.<br />
Die Projekte Nieder-Ramstädter Straße /<br />
Ecke Lichtwiesenweg mit 250 Plätzen<br />
sowie das Projekt am Kantplatz mit 76 Plätzen<br />
und das Gebäude des Polizeipräsidiums<br />
mit über 100 Plätzen sind alle erst in<br />
der Planung für 1993.<br />
Ruth Wagner forderte die Landesregierung<br />
auf, nun auch in der Öffentlichkeit deutlich<br />
zu machen, daß sie dem Votum des Haushaltsgesetzgebers<br />
folgen werde, die Landesbezuschussung<br />
über 20.000 DM pro<br />
Wohneinheit tatsächlich auch zu vergeben,<br />
weil nur so eine Studentenwohnung noch<br />
finanziert <strong>werden</strong> könne. Die Landesregierung<br />
habe die Mittel für den studentischen<br />
Wohnheimbau deshalb drastisch gekürzt,<br />
weil sie behauptete, daß die Mittel nicht<br />
abflössen. Jetzt stelle sich heraus, daß bei<br />
höheren Bezuschussungen die Gelder sehr<br />
wohl gebraucht würden. Frau Mayer sei<br />
nun gefordert, den Willen des Haushaltgesetzgebers<br />
zu vollziehen.<br />
Seit einem Jahr<br />
Sendepause<br />
an der B3<br />
„Die B3-Umgehung Arheilgens<br />
muß mit allen Mitteln<br />
beschleunigt <strong>werden</strong>, sonst<br />
droht ihr ein gleiches Schicksal<br />
wie der Nord-Ost-Umgehung<br />
Darmstadts“ warnt der CDU-Fraktionsvorsitzende<br />
Dr. Rüdiger Moog.<br />
Vom Bund aus sei die Finanzierung noch in<br />
der höchsten Prioritätsstufe gesichert, aber<br />
seit mehr als einem Jahr denke die rot/grüne<br />
Landesregierung über eine stillschweigende<br />
Beerdigung nach. Wegen der dringend<br />
erforderlichen Entlastung des Arheilger<br />
Ortskerns will die CDU-Fraktion mit<br />
einer großen Anfrage Druck machen, damit<br />
die B3 nicht an der „Darmstädter Krankheit“<br />
des Verzögerns und Verschleppens stirbt.<br />
Nachbohren will die CDU zunächst in Wiesbaden,<br />
wo man über Umplanungen nachdenkt,<br />
ohne daß der zuständige Verkehrsminister<br />
Auskunft geben kann, was konkret<br />
geprüft wird. „Der Eichel-Stau soll zementiert<br />
<strong>werden</strong>“, fürchtet die CDU-Fraktion,<br />
weil die Landesregierung bis heute kein<br />
Ergebnis ihres Nachdenkens vorgelegt hat.<br />
Den zweiten Ansatzpunkt für eine Beschleunigung<br />
sieht die CDU-Fraktion beim Magistrat.<br />
„Der Oberbürgermeister muß die Karten<br />
auf den Tisch legen, wie er den Einspruch<br />
der Gemeinde Weiterstadt gegen<br />
die B3 vom Tisch bekommen will“, fordert<br />
Dr. Moog. Vielleicht ließe sich bei der<br />
Anbindung der B3 an die Gräfenhäuser<br />
Straße eine Lösung finden, die die Bedenken<br />
der Weiterstädter ausräumt. Nur müsse<br />
bald eine Einigung gefunden <strong>werden</strong>, denn<br />
an der B3 „warten mehr Leute sehnsüchtig<br />
auf den ‚ersten Spatenstich’ als bei der<br />
Heaghalle in der Innenstadt“, weiß Alfred<br />
Aldenhoff, Arheilger CDU-Politiker.<br />
Die CDU will jede Chance für einen Kompromiß,<br />
auch mit den Interessenten an der<br />
Virchowstraße, nutzen, um in der Sache<br />
voranzukommen, einzige Bedingung: es<br />
darf keine neue Planung geben, „denn das<br />
wäre der endgültige Ausstieg aus der Verkehrsentlastung<br />
für Arheilgen“, weiß Dr.<br />
Rüdiger Moog.<br />
Antwort der Ministerin Dr. Evelies Mayer<br />
…auf die Kleine Anfrage der Abgeord<strong>net</strong>en.<br />
Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) betreffend<br />
Studentenwohnungen in Darmstadt<br />
Frage: Wann und mit welchen Beträgen<br />
wird die Landesregierung die baureifen Planungen<br />
für Studentenwohnungen in Darmstadt<br />
im Jahr 1992 bezuschussen und<br />
damit den Baubeginn ermöglichen:<br />
1. Wohnheimprojekt Neckarstraße 15 - 17<br />
Der Bau dieses Studentenwohnhauses mit<br />
146 Plätzen hat begonnen. Am 20. Februar<br />
1992 fand die Grundsteinlegung statt. Der<br />
Zuschuß aus dem Bund-Länder-Programm<br />
beträgt 5.840 Mio DM. Die Mittel <strong>werden</strong><br />
entsprechend dem Baufortschritt abgerufen.<br />
2. Projekt Schöfferstraße (Gelände FHD)<br />
Auf dem Gelände der Fachhochschule<br />
Darmstadt soll ein Studentenwohnhaus mit<br />
145 Plätzen durch einen privaten Bauherrn<br />
errichtet <strong>werden</strong>. Der hierzu erforderliche<br />
Erbbaurechtsvertrag wird z.Z geprüft.<br />
Wegen der Einpassung in die Ausbauplanung<br />
der Fachhochschule Darmstadt sind<br />
noch Abstimmungen erforderlich. Es ist<br />
damit zu rechnen, daß nach erfolgter Bezuschussung<br />
noch im laufenden Jahr 1992<br />
mit dem Bau begonnen <strong>werden</strong> kann.<br />
3. Nieder-Ramstädter Straße / Ecke Lichtwiesenweg<br />
Verhunztes Stadtbild korrigieren<br />
FDP-Ortsverbände fordern Gesamtkonzept für Eschollbrücker Straße<br />
Ein städtebauliches Gesamtkonzept<br />
für die Südseite der<br />
Eschollbrücker Straße fordern<br />
die FDP-Ortsverbände<br />
Mitte/West und Bessungen<br />
nach einer Ortsbesichtigung.<br />
In den nächsten Jahren biete sich die Möglichkeit,<br />
an dieser Hauptverkehrsachse im<br />
Südwesten der Stadt das verhunzte Stadtbild<br />
endlich in Ordnung zu bringen: Nach<br />
dem Abriß einer großen Autowerkstatt Ecke<br />
Kathreinstraße, dem Abriß der Tankstelle<br />
Ecke Groß-Gerauer Weg und dem bevorstehenden<br />
Umzug der Brief- und Paketverteilzentrale<br />
in den Postneubau am Bahnhof<br />
seien drei größere Grundstücke an der<br />
Eschollbrücker Straße neu zu bebauen. Hinzu<br />
kämen <strong>weiter</strong>e für den Gebrauchtwagenhandel<br />
genutzte oder mit minderwertiger<br />
Bausubstanz belegte Flächen, die in eine<br />
Gesamtplanung einbezogen <strong>werden</strong> könnten.<br />
Das Darmstädter Theaterpublikum<br />
schimpft. Es wünscht<br />
sich mehr ästhetisches und<br />
weniger provokantes Theater,<br />
mehr traditionelle Opernaufführungen<br />
und klassisches Schauspiel in<br />
gepflegter deutscher Sprache. Die<br />
Wunschliste ließe sich noch verlängern,<br />
weiß die Kulturpolitikerin Dr. Sissy Geiger<br />
zu berichten. „Bei einer Bürgerbefragung<br />
auf dem Luisenplatz und während meiner<br />
Sprechstunde beklagten sich Bürgerinnen<br />
und Bürger darüber, daß der Spielplan an<br />
den Zuschauern vorbei gemacht wird. Viele<br />
kündigten die Rückgabe des Abonnements<br />
unter Protest an.“<br />
Die CDU-Politikerin will nun den Ursachen<br />
solcher Unmutsäußerungen nachgehen:<br />
Sie hat für die CDU-Fraktion eine große<br />
Anfrage an den Magistrat entwickelt, in der<br />
nach der offenbar rückläufigen Platzausnutzung,<br />
ihren Gründen und nach Möglichkeiten<br />
der Abhilfe gefragt wird. Schließlich<br />
bezahlt die Stadt Darmstadt rund 20 Mio.<br />
DM an Zuschüssen an das Theater, deshalb<br />
müßte es für den Kulturdezernenten<br />
Günther Metzger Chefsache sein, nicht nur<br />
für ein leistungsfähiges Theater zu sorgen,<br />
sondern ihm auch die Gunst des Darmstädter<br />
Publikums zu erhalten. Es müßte dem<br />
Dezernenten ein Anliegen sein, der Theaterleitung<br />
ein Gespür für die Wünsche des<br />
Publikums zu vermitteln. Ein geeig<strong>net</strong>es<br />
Mittel sieht die CDU-Kulturexpertin in der<br />
Bestellung eines Ombudsmannes, der dem<br />
Publikum als Ansprechpartner und Vermittler<br />
zur Verfügung stünde. „Die Darm-<br />
Zur Vorbereitung eines Architektenwettbewerbes<br />
wurden bereits Planungsmittel für<br />
dieses Projekt bewilligt. Nach dessen<br />
Abschluß und nach vorangegangener Baugenehmigung<br />
kann dem Bauträger ein entsprechender<br />
Zuschuß gewährt <strong>werden</strong>.<br />
Dies wird jedoch aller Voraussicht nach<br />
erst Anfang 1993 sein.<br />
4. Wohnheimprojekt Kantplatz<br />
Die Vorbereitungen für die Errichtung dieses<br />
Wohnhauses mit ca. 70 Wohnplätzen<br />
laufen an. Ein in Auftrag gegebenes städtebauliches<br />
Gutachten liegt bereits vor. Derzeit<br />
<strong>werden</strong> Gespräche mit möglichen Bauherren<br />
geführt. Sobald diese abgeschlossen<br />
sind, kann ein entsprechender<br />
Zuschuß gewährt <strong>werden</strong>. Dies wird jedoch<br />
nicht vor 1993 sein.<br />
5. Gebäude des Polizeipräsidiums<br />
Die landesinterne Prüfung hat ergeben, daß<br />
das Gebäude für Studentenwohnraumzwecke<br />
zur Verfügung gestellt <strong>werden</strong><br />
kann. Gegenwärtig wird geprüft, welchem<br />
Träger die Ausführungen dieses Projekts<br />
angeboten wird. Da die Planungen noch<br />
nicht abgeschlossen sind, kann ein<br />
Zuschuß noch nicht gewährt <strong>werden</strong>.<br />
Wiesbaden, den 10. April 1992<br />
Prof. Dr. E. Mayer<br />
Auch der nach dem Abriß mehrerer Wohnhäuser<br />
an der Ecke Artilleriestraße vor kurzem<br />
fertiggestellte große Autoparkplatz für<br />
das Fernmeldeamt sei als Dauerlösung keinesfalls<br />
akzeptabel. Daß die Stadt überhaupt<br />
derartige bauliche Veränderungen<br />
widerspruchslos hinnehme, ist nach Auffassung<br />
des Mitte/West-Vorsitzenden Damerau<br />
nur schwer zu begreifen, aber leider<br />
symptomatisch. Nach Ansicht Dameraus<br />
darf die Stadt nicht zulassen, daß in der<br />
Eschollbrücker Straße an die Stelle der alten<br />
Häßlichkeiten – entstanden durch zusammenhanglose<br />
Einzelgenehmigungen –<br />
ein neues städtebauliches Chaos entsteht.<br />
Deshalb fordern die FDP-Ortsverbände eine<br />
im Rahmen einer Bebauungsplanung zu<br />
entwickelnde Gesamtperspektive dafür, wie<br />
man der Eschollbrücker Straße in einem<br />
Zeitraum von etwa zehn Jahren zu einem<br />
ansehnlichen Gesicht verhelfen könne.<br />
Thomas Damerau<br />
Unzufriedenheit mit dem Staatsheater<br />
CDU fragt nach Verantwortung des Magistrats<br />
städter gehörten einmal zu den eifrigsten<br />
Theaterbesuchern der Republik, und das ist<br />
noch gar nicht solange her“, erinnert Dr.<br />
Sissy Geiger.<br />
Ähnlich wie im Fall der Herderschule<br />
stehen auch bei<br />
den Gymnasien eine Reihe<br />
von Schülern aus dem Landkreis<br />
vor verschlossener Tür.<br />
Diesen <strong>Kinder</strong>n und ihren Eltern will die<br />
CDU mit einem dringlichen Antrag helfen.<br />
Noch im kommenden Schuljahr könnten<br />
die Schüler in Darmstadt aufgenommen<br />
<strong>werden</strong>, weil es nicht am Platz mangelt und<br />
einige Gymnasien gern bereit wären, eine<br />
<strong>weiter</strong>e 5. Klasse zu eröffnen.<br />
Das entscheidende Hindernis besteht darin,<br />
daß Schulen Geld kosten und die Stadt nur<br />
ihre eigenen Gymnasiasten versorgen will.<br />
Der Landkreis selbst bietet keine 5. Gymnasialklassen<br />
an, sondern nur die Förderstufe.<br />
Zahlreiche Eltern ziehen aber die gegliederte<br />
Schule vor und so entsteht der „run“<br />
auf die Darmstädter Gymnasien. „Es ist<br />
Eltern schwer zu erklären, wenn sie direkt<br />
vor den Toren Darmstadts wohnen, daß<br />
ihre <strong>Kinder</strong> hier nicht in die Schule gehen<br />
dürfen“, begründet Karin Wolff, schulpolitische<br />
Sprecherin der CDU, die Initiative ihrer<br />
Fraktion. Etwa 80 <strong>Kinder</strong> seien nach Aussage<br />
des Staatlichen Schulamtes betroffen,<br />
sie und ihre Eltern seien in ihrem Recht auf<br />
freie Schulwahl beschnitten und fühlten<br />
sich als Opfer der Gesamtschulpolitik.<br />
Die CDU macht gleichzeitig deutlich, daß es<br />
sich hier nur um eine Übergangslösung<br />
handeln kann. „Wir sind nicht die Sponsoren<br />
des Landkreises“, sagt Karin Wolff,„wir<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 21<br />
Begehrte Darmstädter Schulen<br />
Jetzt kocht der<br />
Chef<br />
Zum dritten Mal ist in Darmstadt die<br />
Stelle einer Frauenbeauftragten zu<br />
besetzen. Beim ersten Mal hat eine<br />
Kommission aus Vertreterinnen der<br />
Frauenverbände, der autonomen<br />
Gruppen und der Fraktionen die Stellenbesetzung<br />
vorbereitet. Dem lag die<br />
richtige Erkenntnis zugrunde, daß<br />
diese Position, die als Interessenvertretung<br />
der Darmstädterinnen arbeiten<br />
soll, nicht ohne gute Zusammenarbeit<br />
mit den aktiven Frauen in der<br />
Stadt besetzt <strong>werden</strong> sollte. Beim<br />
zweiten Mal, nach dem Ausscheiden<br />
von Kai Fölster hatten immerhin noch<br />
die Parlamentarierinnen aus allen<br />
Fraktionen die Chance, in das Auswahlverfahren<br />
einbezogen zu <strong>werden</strong>.<br />
Diesmal aber hat der Oberbürgermeister<br />
verraten, bleibt alles im<br />
Schoße des Magistrats, denn nach<br />
seiner Meinung ist die Position der<br />
Frauenbeauftragten eine Stelle wie<br />
jede andere auch in der Stadtverwaltung.<br />
Hatten nicht einst die Initiatorinnen<br />
gemeinsam von einem Stück<br />
Autonomie für die Frauenbeauftragte<br />
geträumt? Sie dürfen<br />
sich jetzt trösten:<br />
Metzger weiß, was<br />
Frauen wünschen.<br />
CDU empört über Hochhuths Äußerungen<br />
Einstimmig hat die CDU in<br />
ihrer letzten Fraktionssitzung<br />
beschlossen, an die „Deutsche<br />
Akademie für Sprache und<br />
Dichtung“ und das PEN-Zentrum<br />
heranzutreten und die beiden Institutionen,<br />
die ihren Sitz in Darmstadt haben, aufzufordern,<br />
sich von den skandalösen Äußerungen<br />
Rolf Hochhuths zu distanzieren.<br />
Hochhuth hatte bei einem Interview mehrfach<br />
den Mord an Carsten Rohwedder als<br />
verständlich, wenn nicht gar als berechtigt<br />
bezeich<strong>net</strong> und ihn damit nachträglich legitimiert.<br />
Zitat Hochhuth: „Wer so etwas wie<br />
Rohwedder tut, gegen eine wehrlose Bevölkerung,<br />
soll sich nicht wundern, wenn er<br />
erschossen wird.“<br />
CDU-Fraktionsvorsitzender Dr. Rüdiger<br />
Moog weist in seinem Schreiben auf die<br />
Macht der Sprache hin und auf die besondere<br />
Verantwortung der Literaturschaffenden.<br />
Moog: „Dem Mord geht regelmäßig der Rufmord<br />
voraus, das war bei allen Terroranschlägen<br />
so, von Schleyer über Herrhausen<br />
bis Rohwedder.“ Es sei nur ein kleiner Schritt<br />
von der „klammheimlichen Freude“ der<br />
Attentäter über einen gelungenen Anschlag<br />
und der nachträglichen Legitimation des<br />
Mordes durch den Dramatiker Hochhuth.<br />
Hochhuth müsse sich fragen lassen, ob er<br />
mit seinem Bekenntnis zur Gewalt als Mittel<br />
der Konfliktbewältigung nicht zum Schreibtischmörder<br />
werde.<br />
Die CDU-Fraktion fürchte, daß durch solche<br />
PEN-Zentrum Bundesrepublik Deutschland<br />
Sandstr. 10<br />
6100 Darmstadt<br />
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Generalsekretär,<br />
dürfen auch den SPD–Schuldezernenten<br />
des Landkreises nicht aus der Verantwortung<br />
entlassen.“ Den <strong>Kinder</strong>n, die jetzt<br />
umgeschult <strong>werden</strong>, muß rasch geholfen<br />
<strong>werden</strong>, deshalb der Vorschlag der CDU:<br />
wo Platz ist, die Griesheimer und Roßdörfer<br />
Schüler aufnehmen. „Wie sollen wir sonst<br />
den Bürgern erklären, daß zwar Darmstädter<br />
Schüler, die von der Grundschule für<br />
nicht geeig<strong>net</strong> gehalten <strong>werden</strong>, trotzdem<br />
ins Gymnasium gehen dürfen, andere, begabte<br />
<strong>Kinder</strong> aber nicht, weil sie fünf Kilometer<br />
<strong>weiter</strong> wohnen?“ fragt Karin Wolff.<br />
Kanalprobleme<br />
und Erbbaurecht<br />
Seit Jahren haben die Häuser<br />
in der Heimstättensiedlung<br />
die Keller unter Wasser stehen,<br />
wenns kräftig reg<strong>net</strong>.<br />
„Die Lösung des Problems<br />
kann nicht der Einbau von Rückstauventilen<br />
sein“, stellt Dr. Rüdiger Moog bei einer<br />
öffentlichen Fraktionssitzung der CDU in<br />
der Siedlung fest und weist darauf hin, daß<br />
jährlich zweistellige Millionenbeträge im<br />
Kanalbau deswegen nicht ausgegeben <strong>werden</strong><br />
können, weil die entsprechende Tiefbauplanung<br />
nicht vorankommt.<br />
Kritisch angemahnt wurde auch die Einführung<br />
von „Tempo 30“. Eine Mutter wies<br />
darauf hin, daß die Heimstättensiedlung<br />
das einzige Wohngebiet in Darmstadt sei, in<br />
dem es keine Geschwindigkeitsbegrenzung<br />
gebe.<br />
Wichtig für die Bürgerschaft seien die in<br />
den nächsten Jahren auslaufenden Erbpachtverträge.<br />
Stadtrat Bernd Ellwanger<br />
(CDU) versprach die rechtzeitige, sachkundige<br />
Information der Bürger über die CDU-<br />
Heimstätte sicherzustellen, damit die<br />
Betroffenen frühzeitig planen könnten, ob<br />
sie ihr Grundstück günstig kaufen wollten<br />
oder ob eine Erneuerung des Erbbaurechts<br />
gewünscht sei. Der Magistrat habe bisher<br />
versäumt, die Bürger ausreichend zu informieren.<br />
Das brennendste Thema in der Heimstättensiedlung<br />
ist die Zukunft der Ernst-Ludwig-Kaserne.<br />
Das wurde bei der CDU-Veranstaltung<br />
in der Siedlung deutlich. Die<br />
Bürger beklagten, daß vom Magistrat so<br />
widersprüchliche Aussagen kämen. „Wir<br />
fühlen uns verschaukelt, wenn Gerd Grünewaldt<br />
am 2. Mai in der Zeitung kundtut, die<br />
Kasernen würden im Frühjahr 1993<br />
geräumt, aber der Oberbürgermeister noch<br />
immer das Jahr 1995 nennt“, monierte ein<br />
Anwohner. „Uns will man Sand in die<br />
Augen streuen bis nach der Kommunalwahl“.<br />
Hunderte von Bürgerinnen und Bürger<br />
haben sich auf Unterschriftenlisten für<br />
Wohnungsbau auf dem Kasernengelände<br />
ausgesprochen. „Die Unterschriften bringen<br />
wir dem Magistrat, damit er endlich<br />
weiß, was die Leute denken und das auch<br />
der Landesregierung deutlich machen<br />
kann,“ verspricht Dr. Rüdiger Moog.<br />
Äußerungen dem nächsten Mord der Boden<br />
bereitet werde. Sie erwartet von den beiden<br />
literarischen Institutionen, daß sie im Rahmen<br />
ihrer Möglichkeiten auf eine gewaltlose<br />
Gesellschaft hinwirken.<br />
Sprache kann vielfach Waffe sein. Sie soll es vielfach auch sein. Aber Sprache sollte nicht Morde<br />
legitimieren.<br />
Der Dramatiker Rolf Hochhuth hat in der Juniausgabe des Managermagazins folgendes erklärt:<br />
„Wer so etwas wie Rohwedder tut, gegen eine wehrlose Bevölkerung, soll sich nicht wundern,<br />
wenn er erschossen wird.“<br />
Diese Aussage von Rolf Hochhuth bereitet den Boden für das nächste Attentat. Dem Mord geht<br />
regelmäßig der Rufmord voraus. Dies war bei Hans (sic!)-Martin Schleyer so, bei Alfred Herrhausen,<br />
bei Carsten Rohwedder.<br />
Die CDU-Fraktion in Darmstadt ist entsetzt über diese Äußerung von Rolf Hochhuth. Dieses Interview<br />
ist die Fortsetzung des infamen Spiels mit Worten, welches Morden zu rechtfertigen sucht.<br />
Literaten wissen um die Macht der Sprache. Auch das PEN-Zentrum hat insoweit besondere Verantwortung.<br />
Wir fordern Sie als CDU-Fraktion auf, sich von den Äußerungen Rolf Hochhuths zu distanzieren<br />
und bitten Sie, in Ihrer Mitgliedschaft verstärkt darauf hinzuarbeiten, daß verbale Legitimationsversuche<br />
gemeiner Morde unterbleiben. Wir sollten alle auf eine gewaltlose Gesellschaft hinwirken<br />
und nicht den Boden für Gewalt vorbereiten.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Dr. Rüdiger Moog, Fraktionsvorsitzender.
CDU-Kranichstein besucht Jagdschloß<br />
Über den Fortgang der<br />
Restaurierungsarbeiten am<br />
Jagdschloß Kranichstein<br />
informierte sich die Kranichsteiner<br />
CDU unter der sachkundigen<br />
Führung des Architekten Jürgen<br />
Rittmannsperger. Das Jagdschloß sei mit<br />
dem umgebenden Park- und Waldanlagen<br />
in seiner Geschlossenheit ein Juwel unter<br />
den südhessischen Baudenkmälern, dessen<br />
ursprünglichen Charakter man bei den<br />
Renovierungarbeiten wiedergewinnen<br />
wollte. Da alle Unterlagen durch den Krieg<br />
vernichtet worden seien, habe man sich auf<br />
die „Auskünfte“, die das Bauwerk selbst<br />
den kundigen Restauratoren gibt sowie auf<br />
bildliche Darstellungen stützen müssen.<br />
Hotel und Restaurant entstehen im früheren<br />
Ökonomiegebäude sowie im Kavaliershaus<br />
– der historischen Küche. Die Terrasse<br />
wird sich nun ohne einengende Mauer<br />
mit bequemen Barockstufen als Restaurantgarten<br />
dem Besucher öffnen. Der historische<br />
Charakter bleibt von außen auch am<br />
Jägersaalflügel gewahrt.<br />
Wo früher große Tordurchfahrten für<br />
Wagen waren, ist das geschlossene Mauerwerk<br />
(wie bei Scheunen) durch großzügige<br />
<strong>Kinder</strong>betreuung:<br />
Für die 3jährigen keine Lösung<br />
Um der Misere im <strong>Kinder</strong>gartenbereich<br />
speziell in Eberstadt<br />
entgegenzuwirken,<br />
schlägt die Fraktion Die Grünen<br />
ein Bündel von Maßnahmen<br />
vor. In Eberstadt fehlten nach ihrer Information<br />
zur Zeit etwa 150 <strong>Kinder</strong>gartenplätze.<br />
Die Grünen wissen, daß der Mangel an <strong>Kinder</strong>gartenplätzen<br />
ein weit verbreitetes Problem<br />
ist. Dabei gehen sie davon aus, daß<br />
jede/r 3jährige ein Anspruch auf ein Gruppenleben<br />
unter Gleichaltrigen und damit<br />
auf einen <strong>Kinder</strong>gartenplatz habe. Es könne<br />
nicht angehen, daß sich Familienstrukturen<br />
ändern und z.B. die Berufstätigkeit von<br />
Müttern zunimmt, während das Maß an<br />
entsprechenden <strong>Kinder</strong>betreuungsangeboten<br />
stagniert.<br />
Was die Situation in Eberstadt betrifft, so<br />
erwarten die Grünen, daß im Zuge der begrüßenswerten<br />
Nachverdichtung im vorhandenen<br />
Ortskern auch die Infrastruktur –<br />
und dazu gehört auch die Bereitstellung<br />
von Betreuungsplätzen – in genügendem<br />
Umfang mitwächst.<br />
Als einen ersten Schritt schlagen die Grünen<br />
vor, mit dem Ausbau des Horts Heidelberger<br />
Landstraße 271 unverzüglich zu beginnen.<br />
In ihrem zur nächsten Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
eingebrachten Antrag<br />
fordern die Grünen unter anderem, daß die<br />
Mittel für die 1. Baurate als Ergänzung zu<br />
den zugebilligten Landesmitteln im Nachtragshaushalt<br />
1992 eingesetzt <strong>werden</strong>. Es<br />
müßte ihrer Meinung nach möglich sein,<br />
dort zusätzlich zu den geplanten Hortgruppen<br />
auch eine Gruppe für Vorschulkinder<br />
einzurichten.<br />
Mit einfachen Mitteln und durch Mitnutzung<br />
bereits vorhandener Einrichtungen<br />
könnten nach Ansicht der Grünen auch<br />
kurzfristige Lösungen geschaffen <strong>werden</strong>.<br />
So könnte z. B. im Eberstädter <strong>Kinder</strong>- und<br />
Kulturzentrum und hier in den Räumen der<br />
Familienbildungsstätte eine zusätzliche<br />
Nutzung für <strong>Kinder</strong>gruppen arrangiert <strong>werden</strong>.<br />
Dasselbe gelte auch für die <strong>Kinder</strong>insel<br />
in Eberstadt Süd III in Verbindung mit den<br />
dortigen Räumen der Familienbildungsstätte.<br />
Auch Schulen dürften nicht<br />
unberücksichtigt bleiben: So schließe die<br />
Umwandlung der Mühltalschule in Mutterund<br />
Kind-Cafe mit <strong>Kinder</strong>haus auch die<br />
Möglichkeit einer festen <strong>Kinder</strong>tagesstätten-Gruppe<br />
mit ein.<br />
Wenn die Leiterinnen und Leiter aller städtischer,<br />
freien und privaten Einrichtungen<br />
in Eberstadt einen frühzeitigen Abgleich der<br />
Anmeldungen rechtzeitig vor Beginn des<br />
neuen <strong>Kinder</strong>gartenjahres vornehmen würden,<br />
so könnten Doppelmeldungen erkannt<br />
und der genaue Bedarf an <strong>Kinder</strong>betreuungsplätzen<br />
rechtzeitig ermittelt und aufgefangen<br />
<strong>werden</strong>.<br />
Für solche Koordinierungsmaßnahmen bei<br />
der Vergabe von <strong>Kinder</strong>gartenplätzen – vergleichbar<br />
mit dem Modell der ZVS, der zentralen<br />
Studienplatz-Vergabestelle – sind jedoch<br />
Geldmittel aus dem Nachtragshaushalt<br />
erforderlich, die die Grünen in einem<br />
<strong>weiter</strong>en Antrag fordern. Diese Koordinierungsgespräche<br />
sollten in allen Stadtteilen<br />
durchgeführt <strong>werden</strong>, denn sie seien unabdingbare<br />
Voraussetzung dafür, daß eine<br />
optimale Belegung aller vorhandener Plätze<br />
erfolge und der Fehlbedarf auch frühzeitig<br />
erkennbar werde.<br />
Das IWU arbeite zur Zeit an einer Fortschreibung<br />
des Bedarfsplans, doch die<br />
Studie werde noch einige Zeit in Anspruch<br />
nehmen. Für die heute 3jährigen sei dies<br />
jedoch keine Lösung.<br />
Nach Ansicht der Grünen ist eine Fülle von<br />
kurzfristigen Maßnahmen und Zwischenlösungen<br />
unbedingt erforderlich.<br />
PARTEIEN - STANDPUNKTE III<br />
Glasportale durchbrochen, die zugleich<br />
Lichtquellen für die dahinterliegenden<br />
Räumlichkeiten darstellen. Die Hoffnung,<br />
das Jagdzeughaus für die Er<strong>weiter</strong>ung der<br />
Hotelkapazität nutzen zu können, hat sich<br />
zerschlagen, weil es aus Denkmalschutzgründen<br />
in seiner jetzigen Form erhalten<br />
bleiben soll.<br />
Die Sanierung des Jagdschlosses war mit<br />
20 Mio. DM veranschlagt, die sich das Land<br />
Hessen und die Stadt Darmstadt teilen, da<br />
der Eigentümer, die Stiftung Hessischer<br />
Jägerhof, solche Mittel natürlich nicht aufbringen<br />
kann. In der Zwischenzeit sind die<br />
Baukosten gestiegen, so daß <strong>weiter</strong>e Mittel<br />
für den Fortgang der Arbeiten am Jagdmuseum<br />
erforderlich sind. Die Schäden am<br />
Gebäude waren erheblich, insbesondere<br />
das Dach war einsturzgefährdet. Da war<br />
auch die Wiederherstellung der Dachfläche<br />
der erste Schritt zur Sanierung. 2 Prozent<br />
der Bausumme müßte eigentlich jetzt jährlich<br />
bereitgestellt <strong>werden</strong> für die Instandhaltung,<br />
damit es nicht wieder zu gravierenden<br />
Schäden kommt. Der besondere<br />
Charme des Schlosses sei auch darin zu<br />
erblicken, meinte Jürgen Rittmannsperger,<br />
daß man mit verhältnismäßig geringen Mitteln<br />
eine große Wirkung erzielen wollte.<br />
Überall sei zu erkennen, daß das Darmstädter<br />
Fürstenhaus nicht zu den Begüterten<br />
gehört habe. In den Gasträumen des alten<br />
Hotels sei seinerzeit die CDU-Kranichstein<br />
gegründet worden, sagte Stv. Georg Röder,<br />
man freue sich darauf, daß man in wenigen<br />
Jahren am gleichen Platz das 25jährige<br />
Jubiläum feiern könne. Für einen auf dem<br />
Reißbrett entstandenen Stadtteil sei dieser<br />
historische Bezugspunkt besonders wichtig.<br />
Georg Röder dankte Herrn Rittmanns-<br />
<strong>Kinder</strong>gartenplätze fehlen<br />
CDU: Handlungsbedarf in Eberstadt<br />
In Darmstadt ist längst keine<br />
Rede mehr davon, daß alle<br />
4jährigen und die Hälfte der<br />
3jährigen einen <strong>Kinder</strong>gartenplatz<br />
bekommen, wie es<br />
die Sozialplanung vorsieht. In Eberstadt ist<br />
die Situation besonders schwierig. Eine<br />
Elterninitiative hat ermittelt, daß mit den<br />
unversorgten 4jährigen <strong>Kinder</strong>n zwei Gruppen<br />
zu füllen wären.<br />
Die CDU-Fraktion fordert deshalb, daß der<br />
Ausbau des Anwesens Heidelberger Landstraße<br />
271 unverzüglich in Angriff genommen<br />
wird. Dort ist ein <strong>Kinder</strong>hort für drei<br />
Gruppen, sowie ein zusätzlicher Raum für<br />
offene <strong>Kinder</strong>arbeit geplant. „Hier könnte<br />
relativ bald ein Ausweg aus der Sackgasse<br />
gefunden <strong>werden</strong>“, schlägt die sozialpolitische<br />
Sprecherin der CDU, Eva Ludwig vor.<br />
In Eberstadt fehlten natürlich auch Hortplätze,<br />
aber mindestens übergangsweise<br />
könnte man dort durchaus eine <strong>Kinder</strong>gartengruppe<br />
unterbringen und so die angespannte<br />
Situation entschärfen. Für die CDU<br />
sei es nicht hinnehmbar, daß Eltern bei der<br />
Nachfrage nach einem <strong>Kinder</strong>gartenplatz zu<br />
hören bekämen, sie hätten „null Chance“,<br />
weil die Plätze gerade nur für Sozialfälle<br />
und Alleinerziehende ausreichten.<br />
Die Finanzierung kann über das Stadterneuerungsprogramm<br />
laufen, so daß die Stadt<br />
nur etwas mehr als ein Drittel der Kosten zu<br />
übernehmen hätte. Anfang Mai sind 2,5 Mio<br />
aus dem Programm „einfache Stadterneuerung“<br />
für Darmstadt zugesagt worden. Deshalb<br />
wird die CDU Oberbürgermeister<br />
Metzger kritisch fragen, ob diese Mittel für<br />
Radwege in Arheilgen ver<strong>net</strong>zen<br />
Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 22<br />
Heinrichstraße –<br />
außer Spesen, nichts gewesen<br />
CDU fragt nach dem nachweisbaren Nutzen<br />
Erstaunlich widersprüchlich<br />
stellt sich die Beurteilung der<br />
Verkehrssituation in der<br />
Heinrichstraße dar. Der Oberbürgermeister<br />
spricht in der<br />
Öffentlichkeit von einem Erfolg des Rückbaus.<br />
Die CDU-Fraktion hatte in einer<br />
Großen Anfrage nach dem „nachweisbaren<br />
Nutzen für die Luftreinhaltung“ gefragt. Als<br />
CDU und ADFC erstellen Mängelliste<br />
„Die Radwege in Arheilgen<br />
sind Stückwerk, es gibt weder<br />
eine durchgängige Ost-<br />
West-Verbindung noch einen<br />
gefahrlosen Weg vom Süden<br />
ins Zentrum“, stellt Dr. Horst Wenzelburger<br />
(CDU) fest. Die Arheilger CDU hat zusammen<br />
mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub<br />
(ADFC) die Radwege im Stadtteil<br />
Vollständig<br />
„Das ist aber ein ausgewogenes Verhältnis<br />
auf den Parteienseiten“, kommentiert<br />
Volker Rinnert vom Presseamt<br />
der Stadt Darmstadt die letzte<br />
Ausgabe der ZD. „Da stehen 15 mal<br />
die CDU, 2 mal die Grünen und einmal<br />
die FDP. Warum druckt Ihr nichts<br />
von der SPD?“ Der Herausgeber: „Da<br />
müssen Sie die SPD fragen, von dort<br />
kommt nichts“. Rinnert dreht sich um<br />
und fragt den anwesenden SPD-Pressesprecher<br />
Yves Humeau, „Stimmt<br />
das? Warum schickt Ihr denn keine<br />
Pressemeldungen?“ Humeau reagiert:<br />
„Ich weiß nicht, ob wir darin<br />
überhaupt erscheinen wollen“<br />
Auf den Parteienseiten veröffentlicht<br />
die ZD alle eingehenden Pressemeldungen<br />
der Parteien. In der letzten<br />
Ausgabe waren bis auf eine Meldung<br />
der CDU alle vom 22.4. bis zum 19.5.<br />
eingegangenen Meldungen abgedruckt.<br />
Sie sollen einen unveränderten<br />
Einblick in den Umfang und die<br />
politische Stellung der Parteien<br />
geben.<br />
Der Herausgeber<br />
den <strong>Kinder</strong>garten bzw. -hort verwendet<br />
<strong>werden</strong> und ob im Nachtrag die Restfinanzierung<br />
sichergestellt wird.<br />
Eberstadt sei nur die Spitze des Eisberges,<br />
auch andernorts fehlten Plätze. Diese Entwicklung<br />
sei vorhersehbar gewesen, weil<br />
die starken Jahrgänge um 1960 herum jetzt<br />
in der Familiengründungsphase seien und<br />
die Nachfrage noch steige. „Die Glaubwürdigkeit<br />
der Sozialpolitik wird nicht an Plänen<br />
gemessen, die eine Vollversorgung für<br />
alle 4jährigen und die Hälfte der 3jährigen<br />
vorgaukeln“, betont Eva Ludwig. „Die Eltern<br />
wissen, daß die Wirklichkeit weit dahinter<br />
zurückbleibt.“ Die CDU wird sich um die<br />
<strong>Kinder</strong>gartenversorgung verstärkt kümmern<br />
und konkrete Vorschläge dazu machen.<br />
Haltestelle Grundstraße<br />
Die Baupreise laufen davon.<br />
So auch bei dem ursprünglich<br />
unbestrittenen Umbau<br />
der Haltestelle Grundstraße/<br />
Kesselhuthweg. Mehrausgaben<br />
von 11.000 DM waren der Grund, warum<br />
SPD/FDP die Maßnahme jetzt scheitern<br />
ließen.<br />
Dazu meint Georg Röder, CDU–Stadtverord<strong>net</strong>er<br />
aus Kranichstein: „Jede <strong>weiter</strong>e<br />
Verzögerung kann den Umbau nur noch<br />
teurer machen.“ Er weist mit Recht darauf<br />
hin, daß aus Gründen der Verkehrssicherheit<br />
die Baumaßnahme ohnehin dringend<br />
erforderlich ist. Die Verkehrsverhältnisse<br />
hätten sich verschlechtert. Das Einfädeln in<br />
unter die Lupe genommen und festgestellt,<br />
daß es nicht nur einen „Flickenteppich“ unverbundener<br />
Teilstücke gibt, sondern auch<br />
ausgesprochene Fallen, wo Radfahrer<br />
gefährdet sind.<br />
Deshalb fordert die CDU-Fraktion in einem<br />
Antrag einen markierten Radweg entlang<br />
der Frankfurter Straße bis über die Einmündung<br />
der Unteren Mühlstraße hinaus. „Radfahrer<br />
sind im Bereich der Kurve wegen der<br />
unübersichtlichen Situation dort hochgefährdet“,<br />
haben die Fahrrad-Experten festgestellt.<br />
Weiterhin will die CDU eine durchgängige<br />
Querverbindung von Kranichstein bis ins<br />
Zentrum Arheilgens mit Anschluß nach<br />
Norden, Richtung Wixhausen, und zum<br />
Bahnhof Arheilgen hergestellt haben. Sie<br />
soll die Radfahrer abseits der Hauptverkehrsstraßen<br />
führen und damit die Unfallgefahr<br />
mindern.<br />
Auf einen neuralgischen Punkt habe die Arheilger<br />
CDU schon oft hingewiesen, ohne<br />
daß bisher etwas geschehen sei: der Fußund<br />
Radweg entlang der Arheilger Woogstraße.<br />
Wie auch der Fahrradclub bestätigen<br />
konnte, ist diese Verbindung zum<br />
Mühlchen „eine Zitterpartie“ für <strong>Kinder</strong> und<br />
Eltern, weil Autofahrer nicht genug Rücksicht<br />
auf Radler und Fußgänger nehmen.<br />
Einig waren sich die CDU-Kommunalpolitiker<br />
und der ADFC darüber, daß an alle Umsteigeplätze<br />
in Arheilgen neuzeitliche Fahrradständer<br />
hingehören. Sie sollten nicht<br />
nur überdacht, sondern vor allem diebstahlsicher<br />
sein. Der ADFC hat solche Anlagen<br />
getestet. „Immer mehr Leute nutzen<br />
‚bike & ride‘, aber sie wollen sicher sein,<br />
daß ihr Rad nicht inzwischen geklaut wird“,<br />
weiß Dr. Wenzelburger.<br />
den starken Verkehrsstrom auf der Kranichsteiner<br />
Straße sei bei dem derzeitigen<br />
Zustand der Haltestelle fast unmöglich und<br />
beschwöre immer wieder gefährliche Situationen<br />
herauf.<br />
Georg Röder und seine Kranichsteiner Kollegen<br />
fordern in einem Antrag, den Ausbau<br />
der Bushaltestelle im Nachtrag zu finanzieren<br />
und „umgehend den Auftrag zur Durchführung<br />
zu erteilen.“<br />
Die CDU-Kommunalpolitiker haben auch<br />
einen Deckungsvorschlag: Beim Ausbau<br />
des Seitersweges ist Geld gespart worden,<br />
damit könnte die Bushaltestelle in Kranichstein<br />
bezahlt <strong>werden</strong>.<br />
Antwort auf diese präzise Frage gibt es<br />
beim Oberbürgermeister nur betretenes<br />
Schweigen. Weder vorher noch nachher<br />
seien Messungen durchgeführt worden,<br />
räumt Metzger ein, deshalb sei man auf<br />
fremde Untersuchungen angewiesen. Unter<br />
der Voraussetzung, daß man gleichmäßig<br />
fahre, könne man davon ausgehen, daß die<br />
Luftbelastung sinkt. Die stellvertretende<br />
Fraktionsvorsitzende der CDU, Eva Ludwig:<br />
„Das ist kalter Kaffee, der ständige stopand-go-Verkehr<br />
auf der Heinrichstraße<br />
macht eine gleichmäßige Fahrweise völlig<br />
unmöglich. Es ist absurd, daß Metzger<br />
angeblich hektischen Fahrern die Schuld<br />
dafür zuweist, daß die Verkehrsberuhigung<br />
keinen Nutzen gebracht hat.“<br />
Kritisch sieht die CDU auch die Frage der<br />
Verkehrssicherheit. Radfahrer seien beispielsweise<br />
mehr gefährdet, weil es nur ein<br />
Radweg-Fragment gebe an einer besonders<br />
engen Stelle. Wenn der Oberbürgermeister<br />
schon einen Erfolg darin sieht, daß „keine<br />
neuen Gefahrenpotentiale aufgebaut wurden“,<br />
dann sei dies mehr als eine magere<br />
Bilanz. Allein das Zubauen einer Straße,<br />
ohne verkehrslenkende und verkehrsreduzierende<br />
Maßnahmen sei „ein Schuß in den<br />
Ofen“. Heinrichstraße und Landgraf-Georg-<br />
Straße seien typische Beispiele für das<br />
Scheitern der Darmstädter Verkehrspolitik.<br />
FDP: Grillhütte<br />
Die Standortfrage für eine<br />
Grillhütte in Arheilgen ist<br />
nach Ansicht der FDP-Arheilgen<br />
gelöst. Der Ortsverbandsvorsitzende<br />
Dieter Balzer<br />
erklärte, der Vorschlag von Stadtrat<br />
Heino Swyter trage sowohl den Interessen<br />
der Arheilger als auch des Landschaftsund<br />
Naturschutzes Rechnung. Eine Grillhütte<br />
aus dem städtischen Grundstück<br />
nördlich des Geländes der Privilegierten<br />
Schützengemeinschaft und des Kleintierzüchtervereins<br />
an der Weiterstädter Straße<br />
schone insbesondere das an der Waldbucht<br />
angrenzende Landschaftschutzgebiet sowie<br />
das Naturschutzgebiet „Kleewoog“.<br />
Balzer begrüßte es, daß vom ursprünglich<br />
vorgesehenen Standort im Grünzug Arheilgen-Südost<br />
Abstand genommen wurde, da<br />
er zu nahe an Wohngebieten gelegen hätte.<br />
Balzer hofft nun auf eine schnelle Realisierung<br />
des Vorhabens Grillhütte.<br />
Betr.: Umweltkonferenz in Rio<br />
„Umweltschutz beginnt zu<br />
Hause“ erklären die Darmstädter<br />
Grünen zum Beginn<br />
der Umweltkonferenz in Rio.<br />
Es ist widersinnig, über den<br />
Atlantik zu jetten und über den Schutz der<br />
Umwelt hohle Phrasen zu dreschen, wenn<br />
vor Ort die ökologischen Belange vernachlässigt<br />
<strong>werden</strong>.<br />
Bei der Erneuerung der Anlagen des Fernheizwerkes<br />
in Kranichstein zum Beispiel<br />
<strong>werden</strong> in der Magistratsvorlage zwei Varianten<br />
vorgestellt, von denen eine zwar teurer,<br />
aber vom umweltpolitischen Standpunkt<br />
aus unverzichtbar ist. Es handelt sich<br />
dabei um eine Gasturbine mit Abhitzekessel,<br />
die die kombinierte Produktion von<br />
Strom und Wärme gestattet, und so durch<br />
bessere Ausnutzung der Primärenergie<br />
dazu beiträgt, die Emissionen zu senken.<br />
„Haben nicht auch prominente Sozialdemokraten<br />
im Vorfeld der Umweltkonferenz<br />
mit drastischen Worten gefordert, den<br />
CO2-Ausstoß in den Industriestaaten zu<br />
senken“, fragen die Grünen. Hier in Darmstadt<br />
haben die Genossen die Möglichkeit,<br />
ihren Beitrag zu leisten und die Vorgaben<br />
ihrer Partei umzusetzen.<br />
Beim Austausch der Anlagen im Fernheizwerk<br />
Kranichstein, der aufgrund der Vorschriften<br />
der TA Luft erforderlich ist, dürfen<br />
deshalb nicht lediglich die vorhandenen<br />
Kessel erneuert <strong>werden</strong>, wie es die andere,<br />
billigere Variante in der Magistratsvorlage<br />
vorsieht, sondern es muß dann auch die<br />
fortschrittlichste Heizkraftwerkstechnik<br />
angewandt <strong>werden</strong>.<br />
„Angesichts der globalen Umweltprobleme<br />
ist es heutzutage nicht mehr zu rechtfertigen,<br />
vor Ort nur Wärme zu erzeugen, Strom<br />
aber von außerhalb zu beziehen, weil die<br />
Energieverluste durch den Transport<br />
erheblich sind.“ Auch wenn Blockheizkraftwerke<br />
auf den ersten Blick teurer sind,<br />
rechnen sich unter dem Strich die Investitionen<br />
in diese Technologie, da die bei der<br />
Stromerzeugung entstehende Motor- und<br />
Abgaswärme nicht einfach ungenutzt verlorengeht,<br />
sondern mittels Wärmetauscher<br />
in Wärmeenergie für die Haushalte umgewandelt<br />
wird.<br />
Die Grünen sind gespannt, ob sie nicht nur<br />
in Rio, sondern auch in Darmstadt das<br />
„Dr.-Jekill-and-Mister-Hyde-Syndrom“ der<br />
verantwortlichen Umweltpolitiker beobachten<br />
müssen: Zwei Seelen in einer Brust, mit<br />
Worten immer das Gute wollen, aber unabhängig<br />
davon in den allermeisten Fällen<br />
zum Nachteil der Umwelt handeln.