22.11.2014 Aufrufe

Und unsere Kinder werden weiter vergiftet - Zfd-online.net

Und unsere Kinder werden weiter vergiftet - Zfd-online.net

Und unsere Kinder werden weiter vergiftet - Zfd-online.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

satirisch<br />

justizhörig<br />

experimentell<br />

wahrheitenliebend<br />

frei-volksherrschaftlich<br />

Freitag, 19.6.1992<br />

25. Kalenderwoche, 3. Jahrgang<br />

Nummer 31<br />

offen<br />

bissig<br />

kritisch<br />

unabhängig<br />

überparteilich<br />

Einzelpreis 2,20 DM<br />

Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt, Telefon 0 6151/71 98 96<br />

<strong>Und</strong> <strong>unsere</strong> <strong>Kinder</strong><br />

<strong>werden</strong> <strong>weiter</strong> <strong>vergiftet</strong><br />

PCB in Schulen: Sanierung erst in den kommenden Jahren?<br />

Sie lesen<br />

3 PCB: Die Krankheiten<br />

4 Brauchen wir Kultur?<br />

5 Urbanität ein Fremdwort<br />

6 Brutale Polizeieinsätze<br />

9 Vack antwortet RAF-Boock<br />

8 Kohls Rede in Rio<br />

14 Nase eher rümpfen als putzen<br />

16&17 Al. Büchnerpreis -<br />

der Stifter ärgert sich<br />

18&19 Paradebeispiel f. Klassenjustiz<br />

Nächste Ausgabe:<br />

Freitag, 28.8.92<br />

„Dies ist eine Arbeitssitzung, da ist die<br />

Öffentlichkeit nicht zugelassen“, begründet<br />

Umweltdezernent Heino Swyter<br />

(FDP), weshalb er Zensur ausübt und die<br />

Presse ausschließt, denn nicht nur der ZD<br />

auch dem „Darmstädter Echo“ wurde die<br />

Teilnahme verweigert, ein klarer Verstoß<br />

gegen das Pressegesetz. Der Experte für<br />

PCB Sanierung, Professor Dr. Georg-Michael<br />

Därr, war auf Einladung des Magistrats<br />

in der Lichtenbergschule erschienen.<br />

Die Arbeitsbesprechung, an der unter anderen<br />

Bürgermeister Peter Benz, Baudezernent<br />

Dr. Wolfgang Rösch, Oberstudiendirektor<br />

Wilfried Schupp, Eltern- und<br />

Schülervertreter teilnahmen, sollte Klärung<br />

bringen, wie die <strong>vergiftet</strong>en Schulräume,<br />

in denen immer noch Unterricht<br />

stattfindet, saniert <strong>werden</strong> können.<br />

Gründe für seine Pressezensur vermochte<br />

Swyter nicht zu nennen, doch erschien sie<br />

den Verantwortlichen wohl aus mehreren<br />

Gründen erforderlich. Eine Pressekonferenz,<br />

die anschließend stattfinden sollte,<br />

wurde ebenfalls abgesagt – da hätten unangenehme<br />

Fragen gestellt <strong>werden</strong> können –<br />

stattdessen wurde Pressesprecher Volker<br />

Rinnert beauftragt, eine offizielle Erklärung<br />

zu schreiben (siehe Seite 12).<br />

Er meinte auf Befragen: „Da sichere ich<br />

mich ab, von allen drei Dezernenten ist die<br />

Meldung abgeseg<strong>net</strong> und zum Teil ergänzt<br />

worden. Was das „Echo“ aus der Meldung<br />

gemacht hat (DE, 5.6. „Vielleicht muß abgerissen<br />

<strong>werden</strong>“), daß die Lampen ausgetauscht<br />

<strong>werden</strong>, ist falsch.<br />

Dr. Rösch hat nur erklärt, er prüft, ob die<br />

Lampen ausgewechselt <strong>werden</strong>“. So steht<br />

☛ Fortsetzung Seite 3<br />

Deutsche Denk-Kommode<br />

a treten doch immer wieder Leute<br />

Dauf, die ungestraft ihre selbst<br />

geglaubten Lügen als Wahrheit verkaufen.<br />

Ihre Standard-Schubladen<br />

eines biedermeierlich-bürgerlich sauber<br />

intarsierten Kommodentums von<br />

deutscher Ordentlichkeit. Kurz, was<br />

nicht faßbar, nicht klassifizierbar ist,<br />

gibt es nicht, also muß es in die unterste<br />

Schublade, die für den ordentlichen<br />

Deutschen Sammelplatz für<br />

alles Unordentliche ist.<br />

Daß die Umwelt, sprich saubere Luft,<br />

Trinkwasser, gesunder Wald oder<br />

auch nur einzelne Bäume in der Stadt<br />

eigentlich Sache von jederfrau/mann<br />

sein könnten, ist für das kommode,<br />

faschismusverdräuende Hirn heutzutage<br />

noch ein ganzes Stück zu fortgeschritten.<br />

Saubere deutsche Kommoden-Ordnung<br />

lautet:<br />

Fach links: (RAF, Alt DDR, Russen,<br />

Spontis, Grüne Fundalos, Jusos,<br />

SPD)<br />

Fach rechts: Hitler, lange nichts, Gauweiler,<br />

CSU, CDU, dazwischen Juristen<br />

(NPD und Splittergruppen,<br />

zählen auch für Staatsanwälte nicht),<br />

Skins sind unpolitische Hakenkreuzträger<br />

mithin für den Verfassungsschutz<br />

ohne Bedeutung.<br />

„Mercks Medikamente haben tödliche Nebenwirkungen“<br />

Die Geschäfte des Pharmakonzerns mit der Gesundheit in den Ländern der Dritten Welt<br />

Arzneimittel sollen helfen. Wer sich vertrauensvoll an den Arzt wendet, hofft, daß dieser seine Besch<strong>werden</strong> lindern<br />

und die Gesundheit wiederherstellen kann. Was würden Sie sagen, wenn Sie feststellen müßten, daß Ihnen mit dem<br />

Medikament nicht geholfen wird, sondern Sie darüber hinaus auch noch neue Krankheiten bekommen oder gar in Todesgefahr<br />

geraten? Wer in Südamerika, in Indien oder in irgendeinem anderen Land der sogenannten Dritten Welt<br />

lebt, ist unseriöser Geschäftemacherei ausgeliefert. Gerade auch deutsche Pharmazieunternehmen – unter ihnen die<br />

Darmstädter Firma Merck – kennen keine Grenzen. In diese Länder <strong>werden</strong> Medikamente verkauft, die in der Bundesrepublik<br />

nicht mehr zugelassen sind und von denen bekannt ist, daß ihre Nebenwirkungen bis zum Tod führen<br />

können. Der Arzt, Dr. Hermann Schulte-Sasse, berichtete über seine Recherchen und den bislang ergebnislosen<br />

Kampf gegen die unseriösen Geschäfte mit der Gesundheit. Er tritt für die Patienten in der Dritten Welt seit Jahren ein<br />

und versuchte erfolglos, die Pharma-Konzerne von ihren gemeinen Geschäften abzubringen. Deshalb wendet er sich<br />

an die Öffentlichkeit, um so mehr zu erreichen.<br />

Mit schweren Vorwürfen gegen Merck<br />

tritt Schulte-Sasse in Darmstadt an.<br />

„Merck vertreibt Medikamente mit tödliche<br />

Nebenwirkungen. Über Jahre hinweg<br />

hat sich daran nichts geändert, nur durch<br />

scharfe Stellungnahmen kann öffentliche<br />

Empörung entstehen, um Druck auf das<br />

Unternehmen auszuüben. Bereits seit Jahren<br />

ist von Ärzten immer wieder darauf<br />

hingewiesen worden, und wir haben einen<br />

intensiven Briefwechsel mit Merck gehabt,<br />

dennoch hat sich nichts geändert“.<br />

Schulte-Sasse ist heute als ärztlicher Berater<br />

der AOK Bremen tätig. Der 1975 zum<br />

Arzt approbierte Internist arbeitete zwei<br />

Jahre als medizinischer Entwicklungshelfer<br />

in Ecquador. „Diese Zeit als ärztlicher<br />

Entwicklungshelfer hat mich gelehrt, daß<br />

die Krankheiten der Länder in der Dritten<br />

Welt erstens Krankheiten der Armut sind,<br />

und zweitens, daß die Unterentwicklung<br />

bei den staatlichen Arzneimittelbehörden<br />

eine wirksame Kontrolle bis hin zur Verteilung<br />

an Kliniken und Ärzte verhindert.<br />

Dies ist die Grundlage für meine Forderung<br />

an die Pharmazieindustrie“, so Schulte-Sasse,<br />

„dies nicht für ihre Geschäfte zu<br />

nutzen und ein besonderes Maß an Verantwortlichkeit<br />

zu zeigen“.<br />

Der Arzt schilderte am 25. Mai vor etwa<br />

achtzig BesucherInnen in der TH Darmstadt<br />

seine Erfahrungen mit dem Unternehmen.<br />

Unterstützt von „medico international“<br />

in Frankfurt und der Pharma-Kampagne<br />

des Bundeskongresses entwicklungspolitischer<br />

Aktionsgruppen (BUKO)<br />

recherchierte er, welche Medikamente von<br />

den Pharmaunternehmen der Bundesrepublik<br />

in die Entwicklungsländer exportiert<br />

<strong>werden</strong>. Dabei stießen die Ärzte auf eine<br />

Reihe von Medikamenten, die in den Industrienationen<br />

zum Teil bereits verboten<br />

oder nur als rezeptpflichtig zugelassen<br />

sind.<br />

Erstmals im Jahr 1975 erstellte die Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) eine „Li-<br />

ste unentbehrlicher Arzneimittel“. Darin<br />

faßte die Organisation die Arzneimittel zusammen,<br />

die rund 95 Prozent aller Krankheiten<br />

ausreichend bekämpfen können.<br />

1988 wurde diese Liste erneut überarbeitet<br />

und auf 266 wirksame und preiswerte Medikamente<br />

festgesetzt. Vergleicht man das<br />

Angebot der Firma Merck mit dieser Liste,<br />

dann ergibt sich ein erschreckendes Bild:<br />

Nach Mexiko liefert Merck 35 Arzneimittel,<br />

von denen laut BUKO nur 8,6 Prozent<br />

unentbehrlich sind; in Zentralamerika mit<br />

57 Medikamenten und in Brasilien mit 34<br />

Medikamenten fällt kein Arzneimittel unter<br />

diese Kriterien; in Kolumbien, wohin<br />

Merck 42 Präparate liefert, sind es gerade<br />

11,9 Prozent. Diese Liste der unentbehrlichen<br />

Arzneimittel wird in Fachkreisen er<strong>weiter</strong>t<br />

um sogenannte „rationale Pharmakotherapeutika“.<br />

Diese Arzneimittel, „deren Wirksamkeit<br />

gesichert erscheint und deren Nebenwirkungen<br />

dem jeweiligen Stand des Wissens<br />

entsprechend erprobt sind“ gelten ebenfalls<br />

als seriös.<br />

☛ Fortsetzung Seite 2<br />

Fach mitte: FDP, Kirchen, Sekten<br />

überhaupt Religionen.<br />

Fach unten: Grüne (Rest) und alles,<br />

was dem o.a. Ordnungsdenken unordentlich<br />

ist.<br />

Skepsis: ist ein Fremdwort (dem<br />

Griechischen entlehnt) und als<br />

Fremdwort wie alles Nichtheimatliche<br />

barbarisch, laut Duden gibt es das<br />

Wort angeblich im Deutschen:<br />

„Gelehrte Entlehnung aus gr. sképsis‚<br />

Betrachtung; Untersuchung; Prüfung;<br />

Bedenken“ – Be-Denken also ist ein<br />

Fremdwort, paßt mithin nicht in die<br />

Ordnung.<br />

Kritik: Ist auch ein barbarisches Wort<br />

und trotz seiner Entdeckung heute<br />

untergegangen in den Putzeimern der<br />

Sauberkeitsmänner und -frauen, der<br />

Reinigungsarbeit staatstreuer Ideologen<br />

und parteipolitischer Pfründejäger.<br />

Denken, selbständiges: Haben wir<br />

denen überlassen, die <strong>unsere</strong> Stimmen<br />

haben (siehe auch Urne, Wahl,<br />

etc), solches für uns zu tun, besser zu<br />

lassen. Ordnung muß sein! (Welche?)<br />

Wer sagt da etwas vom Analcharakter<br />

des Ordnungswesens? „Chaoten,<br />

Anarchisten, Verräter, Staatsfeinde....“,<br />

oder was guten Deutschen<br />

dazu noch einfällt.<br />

Unverständlich? Der gute Deutsche<br />

gehe nach Hause, öffne seinen<br />

Schrank und kontrolliere peinlichst<br />

genau, ob die Hemden in der Reihe<br />

hängen, das Besteck in den Haltern<br />

liegt, die Bücher nach Autoren (oder<br />

Titeln) geord<strong>net</strong> stehen, die Frau<br />

Staub gewischt hat, und die <strong>Kinder</strong><br />

das Automobil polieren. Übrigens die<br />

o.a. Kommode nicht vergessen.<br />

Preisfrage: In welche Kommode paßt<br />

die ZD? Antwort bitte an Postfach 104<br />

323, 6100 Darmstadt. „Die ZD, ach<br />

Sie meinen das grüne Blatt?!“


Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 2<br />

☛ Fortsetzung von Seite 1<br />

„Mercks Medikamente haben… “<br />

Auch nach dieser Klassifikation schneidet<br />

das Sortiment der Arzneimittel Mercks außerordentlich<br />

schlecht ab. Danach sind in<br />

Mexiko von 35 nur 9 Medikamente „rational“,<br />

in Zentralamerika (57) nur 11, in Kolumbien<br />

(42) nur 15 und in Brasilien (34)<br />

nur 6. Schulte-Sasse führt dies darauf zurück,<br />

daß die Firma Merck insbesondere<br />

mit Vitaminen handelt, die traditionell eine<br />

große Rolle im Sortiment spielen.<br />

Durch Werbeversprechungen verlockt, die<br />

von Ärzten als irreführend bezeich<strong>net</strong> <strong>werden</strong>,<br />

müssen die Menschen oft soviel Geld<br />

hinlegen, daß das Beispiel des Preises für<br />

„den Vitamincocktail Salubion“ von<br />

Merck für „den Einkauf von Lebensmitteln<br />

für eine mehrköpfige Familie ausreichend<br />

sind“ – eine vage Information, die<br />

nichts besagt, da kein Zeitraum angegeben<br />

und keine Preise benannt sind.<br />

Armut erzeugt Krankheit<br />

Die Folgen beschreiben medico und BU-<br />

KO als katastrophal: Da Armut und<br />

Krankheit direkt zusammengehören, das<br />

heißt, schlechte Lebensbedingungen, unzureichende<br />

Ernährung, wenig oder verseuchtes<br />

Wasser und mangelhafte hygienische<br />

Verhältnisse die Ausbreitung von<br />

Krankheiten fördern, „gilt es vor allem die<br />

knappen Gelder dieser Länder für sinnvolle<br />

und notwenige Medikamente einzusetzen“.<br />

Nach Angaben von UNICEF wird<br />

der Tod von jährlich 4 Millionen <strong>Kinder</strong>n<br />

alleine durch eine so banale Krankheit wie<br />

Durchfall verursacht, an Masern sterben<br />

<strong>weiter</strong>e 1,5 Millionen und an Malaria<br />

nochmals eine Million.<br />

Ohne die hemmungslose und auf Profit<br />

ausgerichtete Medikamenten-Politik<br />

könnten die Gelder der Pharmazieindustrie<br />

für dringend benötigte Medikamente und<br />

für Lebensmittel eingesetzt <strong>werden</strong>.<br />

Unter dem Markennamen „Dolo-Neurobion“,<br />

vertreibt Merck ein Präparat, das<br />

Metamizol enthält, das schmerzstillend<br />

und fiebersenkend wirkt. Da Merck hauptsächlich<br />

mit Vitaminen handelt, wurden<br />

Impressum<br />

Verleger und Herausgeber:<br />

Michael Grimm<br />

Unser Team :<br />

Uta Schmitt<br />

Sanne Borghia<br />

Peter Horn<br />

Heiner Schäfer<br />

Astrid Nungeßer<br />

Michael Schreiber-Bimster<br />

Nicole Schneider<br />

Petra Weigand<br />

Anzeigen:<br />

verantwortlich Peter Horn,<br />

Heiner Schäfer<br />

Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 3<br />

Postanschrift:<br />

Zeitung für Darmstadt<br />

Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt<br />

Telefon 06151/719896<br />

Telefax 06151/719897<br />

Bankverbindungen:<br />

Volksbank Darmstadt<br />

BLZ 508 900 00, Konto 14 111301<br />

Spendenkonto:<br />

Postscheckamt Frankfurt<br />

BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601<br />

Druck:<br />

Caro Druck<br />

Kasseler Straße 1a, 6000 Frankfurt 1<br />

Durchschnittliche Auflage:<br />

10.000<br />

Abonnement:<br />

jährlich DM 60,00 incl. 7% MWSt.<br />

Nachdruck und Vervielfältigungen sind<br />

nur mit Genehmigung des Verlages<br />

gestattet.<br />

Für namentlich gekennzeich<strong>net</strong>e Artikel<br />

oder Presseberichte von Parteien, Verbänden<br />

und Vereinen übernehmen die<br />

jeweiligen AutorInnen die presserechtliche<br />

Verantwortung. Sie sind kein<br />

Spiegel für die Meinung der Redaktion.<br />

Personenbezogene Daten <strong>werden</strong><br />

elektronisch gespeichert, ausschließlich<br />

intern für die Verwaltung eingesetzt<br />

und nach Ende des Zeitungsbezugs<br />

umgehend gelöscht.<br />

Informanten bleiben gemäß gesetzlicher<br />

Grundlage auf Wunsch anonym.<br />

Text und Bild sind mit „QuarkXPress“<br />

auf Apple Macintosh gesetzt und unter<br />

Omnis 5 -Verlagverwaltung organisiert.<br />

Redaktionsschluß<br />

für die nächste Ausgabe: 22.8.92<br />

diesem Präparat die Vitamine B1, B6 und<br />

B12 hinzugefügt. Lange Zeit war dieses<br />

Präparat auch hierzulande nicht rezeptpflichtig,<br />

„bis Anfang der 60er Jahre bekannt<br />

wurde, daß Metamizol die Abwehrkräfte<br />

des menschlichen Organismus gegen<br />

Infektionserreger schwächt, weil zu<br />

wenig weiße Blutkörperchen gebildet <strong>werden</strong>;<br />

etwa die Hälfte der Opfer starben an<br />

infektiöser Blutvergiftung“ (Sepsis ist der<br />

medizinische Fachausdruck).<br />

Dennoch beließ Merck „Dolo-Neurobion“<br />

<strong>weiter</strong> auf dem Markt. Erst als sich herausstellte,<br />

daß „Metamizol einen Kreislaufschock<br />

auslösen kann, der meist nicht<br />

mehr erfolgreich behandelt <strong>werden</strong> kann<br />

und mit dem Tod des Patienten endet“,<br />

griffen die Behörden ein. „In den USA,<br />

Großbritannien, Schweden, Norwegen<br />

und Australien ist das Medikament wegen<br />

der unvertretbaren Risiken“, laut BUKO,<br />

„verboten worden“. In der Bundesrepublik<br />

gibt es für metamizolhaltige Präparate, denen<br />

andere Mittel beigefügt sind, seit März<br />

1987 ein „Verbot“.<br />

Widersprüchliches<br />

Die Darmstädter Firma Merck ersetzte<br />

daraufhin in der BRD Metamizol durch<br />

den Wirkstoff Paracetamol. Schulte-Sasse<br />

schrieb damals schon die Firma Merck an<br />

und wollte wissen, ob sie den Verkauf des<br />

Medikaments auch in den Ländern der<br />

Dritten Welt einstellen würde. Merck antwortete<br />

mit Schreiben vom Juni 1987,<br />

„daß wir … neben der Rücknahme … vom<br />

deutschen Markt auch den Export von metamizolhaltigen<br />

Formen des ‚Dolo-Neurobions‘<br />

in Länder der Dritten Welt eingestellt<br />

haben“. Trotz der besseren Erkenntnis<br />

und der Zusage, das Präparat nicht<br />

mehr zu verkaufen, handelt Merck „bis<br />

heute mit metamizolhaltigen Kombinationspräparaten<br />

in Ländern der Dritten<br />

Welt“, klagt Schulte-Sasse an und legt eine<br />

Medikamentenschachtel vor die „in<br />

Mexico am 15.5.1992 gekauft worden ist.“<br />

Sie trägt den Namen „Dolo-Neurobion“.<br />

Tödlicher Schock<br />

Journalisten gegenüber erklärte Merck:<br />

„Wir haben die Metamizolmenge halbiert“.<br />

Schulte-Sasse kommentiert: „Die<br />

Halbierung ändert nichts an der Nebenwirkung,<br />

außer daß die schmerzstillende Wirkung<br />

verringert wird. Die allergische Nebenwirkung<br />

von Metamizol ist unabhängig<br />

von der Dosis.“ Damit nicht genug,<br />

Hinweise für den „behandelnden Arzt …<br />

daß der Metamizol-Schock … in hohem<br />

Prozentsatz tödlich verläuft“, sind nicht<br />

enthalten. „Diese Information würde …<br />

dazu führen, daß der Arzt auf ein so risikoreiches<br />

Präparat verzichtet“, kritisiert<br />

Schulte-Sasse und zitiert auch das „Deutsche<br />

Ärzteblatt“, das vor dem beigemengten,<br />

hochdosierten Vitamin B6 warnt:<br />

„Leider läßt sich aus den bisher vorliegenden<br />

Beobachtungen eine Grenze für eine<br />

ungefährliche Dosierung nicht mit Sicherheit<br />

ableiten“.<br />

Gegen Gelenkrheumatismus<br />

und Lernschwierigkeiten<br />

Ein <strong>weiter</strong>es Medikament, „Encepha-bol“,<br />

preist Merck im Beipack als Heilmittel gegen<br />

chronischen Gelenkrheumatismus an.<br />

In Mexiko hingegen wird diese Krankheit<br />

gerade als Kontra-Indikation bezeich<strong>net</strong>,<br />

was bedeutet, daß bei dieser Krankheit das<br />

Präparat nicht eingenommen <strong>werden</strong> solle.<br />

Auch bei „Encephabol“ handelt es sich um<br />

ein Vitamin B6-Präparat.<br />

Nicht nur bei der Indikation nimmt Merck<br />

es nicht so genau: Während in Mexico die<br />

Tagesdosis mit 600 mg verord<strong>net</strong> wird,<br />

sollen Kolumbianer mit dreimal soviel<br />

täglich gesund <strong>werden</strong>, in Brasilien empfiehlt<br />

der Beipackzettel nur die Hälfte (300<br />

mg pro Tag).<br />

„Medizin spielt hier keine Rolle mehr“,<br />

kommentiert Schulte-Sasse, denn „wie<br />

wenig ‚Encephabol‘ für die Begründung<br />

einer medikamentösen Therapie taugt“,<br />

mag auch die Stellung<br />

des 15. Forums der Bundesärztekammer<br />

von<br />

1991 belegen, die sich<br />

mit dem Anspruch von<br />

Merck, „psychische<br />

Entwicklungsstörungen<br />

bei <strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen<br />

mit ‚Encephabol‘<br />

günstig beeinflussen<br />

zu können“, auseinandersetzte.<br />

Die<br />

Fachleute kamen zu der<br />

Überzeugung, „eine seriöse<br />

Untersuchung dieser<br />

Indikation liegt nicht<br />

vor“. Aber gerade in Pakistan<br />

wirbt Merck, das<br />

Medikament helfe <strong>Kinder</strong>n<br />

mit Schulproblemen,<br />

obwohl der Konzern<br />

am 5.6.1989 selbst<br />

schriftlich zugesichert<br />

hatte „diese Indikation<br />

wird nicht mehr beworben“.<br />

Auch in diesem<br />

Fall, wurden die Ärzte<br />

fündig: Ebenfalls im Mai dieses Jahres<br />

kauften sie in El Salvador eine Packung<br />

„Encephabol“ bei der in der Beilage eindeutig<br />

zu lesen stand: „Gegen Lernschwierigkeiten<br />

in der Schule“.<br />

Irreführende Werbung<br />

Die Veranstaltung der BUKO in der<br />

Darmstädter TH war organisiert und gestützt<br />

von den Falken, sozialistische Jugend<br />

Deutschlands, die Merck bereits im<br />

Februar 1992 angeschrieben und um Auskunft<br />

gebeten hatten. Ihnen gegenüber<br />

wies Merck die Behauptung zurück, daß<br />

sie den schlechten Zustand der Gesundheitssysteme<br />

in der Dritten Welt ausnutzen<br />

würde. „Mit großer Spannung“, so die Falken<br />

„erwarten wir die Reaktion der Firma<br />

Merck“. Auch der „Treffpunkt Dritte<br />

Welt“ unterstützte die Aktion und „möchte<br />

eine dem Thema angemessene Öffentlichkeit<br />

herstellen“.<br />

Merck erklärte den Falken ebenso wie dem<br />

„Darmstädter Echo“, es handle sich um<br />

einseitige Informationen. Lieferte aber<br />

selbst in Broschüren des Bundesverbandes<br />

der pharmazeutischen Industrie, den Falken<br />

<strong>weiter</strong>e Angriffspunkte: „Marketingmethoden<br />

pharmazeutischer Unternehmen<br />

in der Dritten Welt haben in einer Reihe<br />

von Fällen zu heftiger Kritik geführt… in<br />

vielen Fällen war und ist diese Kritik objektiv<br />

gerechtfertigt. Die Folgen von unangebrachtem<br />

Marketing … sind nicht nur<br />

aus der Sicht der Arzneimittelsicherheit<br />

inakzeptabel, sondern stellen auch eine<br />

Verschwendung knapper privater und öffentlicher<br />

Mittel dar.“ Merck gibt in den<br />

südamerikanischen Ländern allein für<br />

Werbung 40 Millionen Mark p.a. aus. Dabei<br />

wendet sich die Werbung gezielt an<br />

den Endverbraucher, obwohl darunter<br />

auch Medikamente wie Antibiotika sind,<br />

die unbedingt ärztlicher Kontrolle beim<br />

Einnehmen bedürfen. Die Maxime, viel<br />

hilft viel, hat ebenso fatale Auswirkungen<br />

für die PatientInnen wie eine Unterdosierung,<br />

die wirkungslos bleibt.<br />

Die Zeitung für Darmstadt hat die Firma<br />

Merck von der Veranstaltung informiert<br />

und vergebens um Stellungnahme gebeten.<br />

Pressesprecher Hans-Joachim Schmitt<br />

erklärte gegenüber dem „DE“, daß das<br />

Metamizolprodukt „Dolo-Neurobion“ in<br />

der Mischung mit den Vitaminen B1, B6<br />

und B12 ein „wirksames Medikament“ sei.<br />

Sachlich äußert sich Merck nicht zu den<br />

Vorwürfen, sondern erklärt, „daß die<br />

Kombinationspräparate auf dem Markt<br />

bleiben“, man demnach keineswegs daran<br />

denkt, die Geschäftspolitik zu ändern.<br />

Die Liste der Medikamente mit schädlichen<br />

oder auch überflüssigen Wirkungen<br />

ließe sich <strong>weiter</strong> fortsetzen. Die Broschüre<br />

„Merckwürdige Geschichten aus Lateinamerika“<br />

von der Pharmakampagne der<br />

BUKO, in der <strong>weiter</strong>e Beispiele ausführlich<br />

beschrieben sind, ist zu beziehen über:<br />

BUKO Pharma-Kampagne, August-Bebel-Str.<br />

62 in 4800 Bielefeld 1. BUKO und<br />

medico international fordern jede/n auf, an<br />

Merck zu schreiben, daß sie in Lateinamerika<br />

und in anderen Ländern gefährliche<br />

Medikamente zurückziehen und ihr Angebot<br />

auf unentbehrliche und rationale Arzneimittel<br />

beschränken sollen. Um der seit<br />

Jahren schon uneinsichtig fortgesetzten<br />

Geschäftspolitik des Unternehmens wirksam<br />

entgegentreten zu können, fordert<br />

BUKO auf, die Produkte der Firma Merck<br />

zu boykottieren.<br />

Michael Grimm<br />

Idylle zwischen Beton und Glas: Frauen wehren sich erfolgreich gegen das Fällen eines<br />

Baumes. „Können Sie nicht was machen?“ fragt hilflos Doris Schäfer am 22.5. , „der<br />

Bauverein will einen Baum bei uns fällen“. Sie wohnt in der Holzstraße 9 in Darmstadt,<br />

einem Stadthauskomplex. Dort soll ein Baum wachsen? Das Rätsel löst sich schnell vor<br />

Ort: auf dem zweiten Geschoß ist ein Dachgarten angelegt. Die AnliegerInnen genießen<br />

ihre Idylle mitten in der Stadt. Der Verkehrslärm hält sich in Grenzen und Balkone und<br />

Fenster lassen den ungehinderten Blick auf das kleine Fleckchen Natur zu.<br />

Rosensträucher, fettes, grünes Gras, ein paar Blümchen und ein Kirschbaum bringen Frische<br />

in die Beton-Landschaft. Bis zum 22. Mai, da rücken im Auftrag des „Bauverein für<br />

Arbeiterwohnungen“ die Angestellten einer Gartenbaufirma mit Rasenmäher, Kreissäge,<br />

Spaten und Rechen an. Ihr Auftrag lautet, bis auf einen Rosenstrauch und das üblich dörre<br />

Gesträuch, das allerorten in Darmstadt anzutreffen ist, alles zu beseitigen. Der Bauverein<br />

begründet den Kahlschlag mit Schäden, die von den Wurzeln des Bäumchens an der<br />

Dichtung des Daches enstehen.<br />

Die Empörung der Anliegerinnen ist groß. Fünf von ihnen hatten Hausverwalter Renneis<br />

vom Bauverein angeboten, den lieb gewonnenen Baum „nach der Vegetationsperiode“<br />

selbst auszugraben und in einem Garten in Ostertal wieder einzupflanzen. Doch er ließ<br />

die Gartenbaufirma anrücken. Ein Anruf bei Frau Lamm (Tel.: 132634), sie ist zuständig<br />

für illegales Beseitigen von Bäumen, erbrachte nur: „Da kann ich leider nichts machen.<br />

Obstbäume sind nicht geschützt“. Eine Verbindung mit Bauvereins-Chef Heinz Reinhard<br />

kommt zustande, und er meint: „In der Sache habe ich morgen Termin mit Herrn Renneis“.<br />

Auch der Hinweis, daß die Arbeiter den Baum noch heute beseitigen sollen, hilft<br />

nicht. Doch Reinhard wird tätig: eine halbe Stunde später, die Anwohnerinnen diskutieren<br />

noch mit den Arbeitern, sichert er telefonisch zu: „Der Baum wird nicht gefällt, sagen<br />

sie das Herrn Renneis, wenn er kommt“. <strong>Und</strong> tatsächlich, Renneis kommt , gibt kurz, arrogant<br />

und trocken die Anweisung: „Graben Sie den Baum aus wie eine Container-Pflanze,<br />

und stellen sie ihn auf die Seite…“. Einwände von Frau Schäfer, sie wolle den Baum<br />

selbst ausgraben, überhört er. Fragen mag er nicht beantworten. Mit schnellen Schritten<br />

überquert er die zerstörte Idylle, um einem Foto zu entgehen.<br />

( Foto as )<br />

Die Hessische Justizministerin, Dr. Christine<br />

Hohmann-Dennhardt, stellte sich in<br />

Wiesbaden hinter den Antrag zur Reform<br />

des sogenannten Abtreibungsparagraphen<br />

218 des Strafgesetzbuches. Zwar zwinge<br />

die vorgesehene Beratungs- und Informationspflicht<br />

im Rahmen der geplanten Fristenlösung<br />

ungewollt schwangere Frauen<br />

zu unnötigen Rechtfertigungen, angesichts<br />

der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen<br />

Bundestag stelle der Antrag jedoch einen<br />

vertretbaren politischen Kompromiß dar.<br />

Es sei auch hervorzuheben, daß nach dem<br />

Antrag das besondere Vertrauensverhältnis<br />

zwischen ärztlichem Personal und Patientinnen<br />

vor staatlichen Zugriffen dadurch<br />

geschützt <strong>werden</strong> solle, daß Patientinnenkarteien<br />

nur noch eingeschränkt in Strafverfahren<br />

verwertet <strong>werden</strong> dürfen.<br />

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung<br />

müsse auch hier beachtet <strong>werden</strong>.<br />

Es sei grundsätzlich zu verhindern,<br />

daß bei Ermittlungsverfahren gegen Ärzte<br />

die persönlichen Daten über Patienten verwertet<br />

<strong>werden</strong> können. „Patientinnen und<br />

Patienten sollen in solchen Fällen gegenüber<br />

den Strafverfolgungsbehörden die<br />

Auskunft verweigern können“. Entsprechend<br />

sei auch die Beschlagnahme ihrer<br />

Krankenakten künftig zu verbieten. Ausnahmen<br />

hiervon sollten bei richterlichen<br />

Anordnung möglich sein. Selbst der Richter<br />

solle dies jedoch nur bei Straftaten von<br />

nicht geringer Bedeutung und dann anordnen<br />

dürfen, wenn es keine anderen Aufklärungsmöglichkeiten<br />

gäbe. Die Ministerin<br />

kündigte an, sie bereite gegenwärtig<br />

eine entsprechende hessische Initiative im<br />

Bundesrat vor.<br />

Pressestelle Ministerium<br />

(Kompromißtine Hohmann-Dennhardt<br />

schließt im Falle des Scheiterns mit ihrer<br />

Initiative eine Geschlechtsumwandlung<br />

als Letztentscheidungsrecht an ihrer eigenen<br />

Person nicht aus – der Säzze, Auskehrer)<br />

Nord-Ost-<br />

Umgehung<br />

vertagt?<br />

2500 Unterschriften hat die Bürgerinitiative<br />

gegen den Bau der Nord-Ost-Umgehung<br />

gesammelt und am 10.6. Oberbürgermeister<br />

Metzger überreicht. Lian<br />

Röschinger von der BI forderte Metzger<br />

auf, die Planungen einstellen zu lassen,<br />

<strong>weiter</strong>en Straßenbau zu stoppen, statt dessen<br />

öffentliche Verkehrsmittel zu fördern<br />

und Radfahrern und Fußgängern Vorfahrt<br />

einzuräumen. „Viele BürgerInnen sind<br />

heute bereit“, so die Bürgerinitiative, „ihre<br />

motorisierten Lebensgewohnheiten einer<br />

besseren Umwelt und besserer Lebensqualität<br />

zuliebe aufzugeben. Es erfordert weitsichtiges<br />

Denken, Mut und Phantasie, aus<br />

der gewohnten Verkehrsplanung auszubrechen<br />

und die Gelder in langfristig<br />

effektivere und umweltfreundlichere Maßnahmen<br />

zur Behebung der Darmstädter<br />

Verkehrsmisere zu investieren.“ Metzger<br />

erklärte daraufhin, nicht zuständig zu sein,<br />

das sei Angelegenheit von Eike Ebert .<br />

Am gleichen Tag veröffentlicht Klaus<br />

Staat im „Darmstädter Echo“ eine Pressemeldung<br />

unter der Überschrift, „Ruth<br />

Wagner: Hoffnung für die Nordostumgehung“.<br />

Die von der Stadt gewünschte<br />

Umgehungsstraße ist nicht mehr vorgeschlagen<br />

für das Straßenbauprogramm der<br />

Bundesregierung. Die FDP-Bundestagsabgeord<strong>net</strong>e<br />

meint, ihre Beziehungen zu<br />

Bonner Parlamentariern könnten derzeit<br />

zur Wiederaufnahme der Straße in die<br />

Vorrangliste für das Straßenbauprogramm<br />

des Bundes führen.<br />

Vor einer Wiederaufnahme der Straße<br />

muß jedoch die hessische Landesregierung<br />

gehört <strong>werden</strong>, Verkehrsminister<br />

Welteke (SPD) hat dies mit der rot-grünen<br />

Landesregierung abzuklären - in Übereinstimmung<br />

beider Fraktionen. Bleiben die<br />

Grünen geschlossen ablehnend, spielt sich<br />

während der Amtsperiode dieser Landesregierung<br />

nichts mehr ab – das ist Koalitionsvereinbarung.<br />

Daniela Wagner (Grüne<br />

MdL) schätzt, daß es dann 25 Jahre dauert<br />

bis die Straße gebaut sein wird, allerdings<br />

nur, wenn die nächste Landesregierung<br />

den Bau beschließen würde. (mg)<br />

§218:<br />

„Vertretbarer<br />

Kompromiß“


Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 3<br />

☛ Fortsetzung von Seite 1<br />

es auch in der offiziellen Presseverlautbarung<br />

zu lesen. Auf die Frage danach, was<br />

von dem „vertrauensbildenden Konsens“<br />

zu halten sei, erklärt Rinnert, „es handelt<br />

sich zunächst nur um Absichtserklärungen“.<br />

Dies ist richtig, denn die Beteiligten<br />

des Treffens vom 4.6. konnten keine Beschlüsse<br />

fassen. Das einzig greifbare Ergebnis<br />

ist der Auftrag für ein Sanierungsgutachten<br />

– heute, nachdem bereits seit<br />

über zwei Jahren bekannt ist, daß die<br />

Schulsäle <strong>vergiftet</strong> sind. Alle <strong>weiter</strong>en Erklärungen<br />

bedürfen der Zustimmung zunächst<br />

des Magistrats und dann der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung.<br />

Die Erfahrung<br />

zeigt, daß bis das Gutachten vorliegt und<br />

alle Hürden des parlamentarischen Weges<br />

genommen sind, mindestens ein Jahr vergeht.<br />

Höhere PCB-Werte<br />

im Sommer<br />

Bevor das Gutachten vorliegt, läßt sich nur<br />

darüber spekulieren, welches der beste<br />

Weg sein wird, die <strong>Kinder</strong> in nicht <strong>vergiftet</strong>en<br />

Schulräumen zu unterrichten. Vom<br />

Auswechseln der Leuchten über das Auskratzen<br />

der Fugen bis hin zum Abriß des<br />

Gebäudes kursieren Gerüchte. Fest steht<br />

nur, daß das Auswechseln der Kondensatoren<br />

nicht zu dem gewünschten Ergebnis<br />

geführt hat und der Magistrat von Wiesbadens<br />

Aufforderung alle Lampen komplett<br />

auszuwechseln (siehe ZD 27) nichts hält.<br />

Auch den eigenen Stadtverord<strong>net</strong>enbeschluß<br />

vom Januar, während der Osterferien<br />

die Lampen zu wechseln, wurde nicht<br />

ausgeführt. Fest steht heute auch, daß das<br />

Auskratzen der PCB-haltigen Fugenmassen<br />

ebenfalls keinen Erfolg brachte: die<br />

Raumluftwerte waren hinterher höher.<br />

Katastrophal ist, daß die Meßwerte, die<br />

das Institut Fresenius vorgelegt hatte, alle<br />

nach oben korrigiert <strong>werden</strong> mußten, da<br />

die höhere Außentemparatur, die Ausdünstung<br />

ebenfalls erhöht (siehe Faksimile).<br />

Es <strong>werden</strong> Meßwerte erreicht, die bedenklich<br />

hoch liegen und auch diese <strong>werden</strong> bezweifelt.<br />

Großes Staunen<br />

„Swyter vertritt die härteste Position“, beschreibt<br />

Elternvertreter Michael Lodzik,<br />

„nach ihm kommt keine Lampe raus. Er<br />

wollte auch keine Pressekonferenz“. Lodzik,<br />

der an dem Arbeitstreffen teilgenommen<br />

hatte, war erstaunt über den Bericht<br />

im „DE“, „denn so sind die Beschlüsse<br />

nicht gefaßt worden, aber ich nehme sie<br />

so, wie es von den Dezernenten erklärt<br />

worden ist. Dann passiert endlich etwas.“<br />

<strong>Und</strong> so ist er im Nachhinein mit dem Ergebnis<br />

in soweit einverstanden, als „wir<br />

uns darauf ja wohl berufen können“.<br />

Untersuchungen in Auftrag<br />

Unter den Eltern formiert sich der Widerstand<br />

zunehmend. Sie recherchieren inzwischen<br />

bundesweit, wo Erkenntnisse<br />

über die gesundheitlichen Folgen von<br />

PCB-Belastung vorliegen und etliche beauftragen<br />

Fachärzte mit Blutuntersuchungen<br />

der <strong>Kinder</strong>, um Gewißheit zu bekommen.<br />

Die Aktivitäten beschränken sich inzwischen<br />

nicht mehr nur auf die Lichtenbergschule,<br />

auch Eltern der<br />

Christian-Morgensternschule möchten<br />

wissen „warum die <strong>Kinder</strong> ständig krank<br />

sind, und ob es da Zusammenhänge gibt“.<br />

Im Blut kann PCB nicht nachgewiesen<br />

<strong>werden</strong> hatte ein Fachmann<br />

in Darmstadt öffentlich<br />

geäußert. Dennoch haben mehrere<br />

Eltern Blutuntersuchungen<br />

in Auftrag gegeben. Vom Bundesgesundheitsamt<br />

(BGA) und<br />

von dem „Centrum für Analytik<br />

und Forschung“, Herrn Dr. Eckrig,<br />

erhielten wir die folgenden<br />

gegenteiligen Informationen.<br />

PCB ist ein Sammelbegriff für 200 heute<br />

bekannte Isomere, die durch Nummern unterschieden<br />

<strong>werden</strong>. Bei PCB-Messungen<br />

<strong>werden</strong> zur Zeit 6 verschiedene Isomere<br />

ermittelt, von denen bekannt ist, daß „sie<br />

nicht unkritisch sind“, also den menschlichen<br />

Organismus schädigen. Diese Isomere<br />

<strong>werden</strong> meßtechnisch erfaßt und ergeben<br />

mit 5 multipliziert den Wert in Nanogramm<br />

(ng), der zugrunde gelegt ist, wenn<br />

in Schulräumen oder andernorts die<br />

Raumluft auf PCB-Gehalt geprüft wird.<br />

300ng setzt das Bundesgesundheitsamt als<br />

höchsten Grenzwert an und Räume, die bis<br />

zu 300ng belastet sind, müssen mittelfristig<br />

saniert <strong>werden</strong>; Räume mit Belastungen<br />

über 3000ng müssen innerhalb eines<br />

Jahres gründlich entgiftet <strong>werden</strong>, dies erklärte<br />

Professor Linke vom BGA am 12.6.<br />

in Kassel.<br />

Bei den Kondensatoren und Fugenmitteln<br />

wurden PCB-haltige Öle verwendet, um<br />

die Fließfähigkeit des Materials zu erhöhen.<br />

Waren die Materialien länger abgelagert,<br />

sonderte sich das Öl ab, so daß beim<br />

Einsetzen einer neuen Spritz-Kartusche<br />

besonders viel PCB an einer Stelle aufgebracht<br />

wurde. Daraus erklärt sich die unterschiedliche<br />

hohe Belastung der Räume.<br />

PCB ist „besonders sekundär kontaminationsfreudig“<br />

erklärt der Fachmann, das<br />

bedeutet es verbreitet sich gründlich überall<br />

in Wände, Böden, Mobiliar und wird<br />

über die Atemluft von den Menschen aufgenommen.<br />

Aus diesem Grund ist das Entfernen<br />

von Fugenmitteln und Kondensatoren<br />

nicht geeig<strong>net</strong>, die Räume zu entgiften,<br />

es sei denn nach dem Beseitigen würden<br />

Werte von weniger als 300ng gemessen<br />

<strong>werden</strong>.<br />

„Selbstverständlich läßt sich im Blut PCB<br />

nachweisen, im Blutfett“, erklärt Dr. Eckrig,<br />

„Wir machen Tausende von diesen<br />

Messungen, denen sich zum Beispiel auch<br />

die Frankfurter Juristen unterzogen haben.<br />

Die Vergiftung mit PCB aus den Fugenmitteln<br />

und Kondensatoren läßt sich eindeutig<br />

nachweisen. Während die Isomere<br />

der Wertigkeiten über 100 mit Nahrungsmitteln<br />

aufgenommen <strong>werden</strong>, sind die<br />

zwei in den Fugendichtungen enthaltenen<br />

Isomere 28 und 52, wenn sie im Blut gemessen<br />

<strong>werden</strong>, eindeutig über die Atemluft<br />

aufgenommen.“<br />

Diese Isomere reichern sich im Körper<br />

Frühjahrsputz soll Gift beseitigen<br />

„Der Magistrat ist der Meinung“, begründet Umweltdezernent Heino Swyter (FDP),<br />

„daß die Hauptursache für die PCB-Belastung nicht die Lampenschalen, sondern die<br />

Fugendichtmittel sind.“ Als „Frühjahrsputz“ betitelt Swyter seine geplante Reinigungsaktion,<br />

die den Beschluß der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung vom Januar 1992<br />

aufheben soll. Im März hob die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung den Beschluß, über<br />

Ostern alle Lampen auswechseln zu lassen, wieder auf.<br />

Vehement wendet sich Matthias Hohmann (Grüne) gegen den Magistrat: „Wir sind<br />

gefordert, die <strong>Kinder</strong> vor jeder Gefährdung ihrer Gesundheit zu schützen. Es ist<br />

genauso wichtig, außer den Fugenmassen auch die Lampen auszutauschen. <strong>Und</strong> er<br />

fordert, „Einsicht für die Stadtverord<strong>net</strong>en in sämtliche Protokolle und Meßergebnisse<br />

zu ermöglichen.“ Dies wird ihm zugesagt. Da Swyter davon gesprochen hatte, die<br />

Kondensatoren der „defekten Lampen“ auswechseln lassen zu wollen, fragt ihn Hohmann<br />

<strong>weiter</strong>: „Herr Swyter, wie wollen Sie heute wissen, welcher Kondensator in<br />

welcher Lampe kaputt gegangen ist?“ Swyter antwortet: „Nachdem mehrfach juristische<br />

Verfahren gegen mich im Gange sind, werde ich die Frage nicht beantworten.“<br />

Der frisch-gebackene Fraktionsvorsitzende der SPD, Horst Knechtel, beschreibt das<br />

<strong>weiter</strong>e Vorgehen des Magistrats: „Nachdem der Abschlußbericht des Institutes Fresenius<br />

vorliegt, sollen Fugendichtmittel entfernt und die Reinigung der Lampen in<br />

Auftrag gegeben <strong>werden</strong>“. Danach sieht er wieder das Erfordernis einer Schlußmessung.<br />

„Man hat den Eltern versprochen, die PCB-haltigen Lampenschalen auszuwechseln“,<br />

empört sich Günter Mayer (Grüne) „das ist alles nicht in Ordnung. Da<br />

bleibt ein bitterer Nachgeschmack.“<br />

Zu wenig Eltern waren auf den Zuschauerrängen der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

vom 26.3.92 anwesend. (mg)<br />

<strong>Und</strong> <strong>unsere</strong> <strong>Kinder</strong><br />

<strong>werden</strong> <strong>weiter</strong> <strong>vergiftet</strong><br />

Totgeburten<br />

Kopfschmerzen und Infektionen<br />

Das Krankheitsbild einer PCB-Vergiftung<br />

nicht an, sie bauen sich im Verlauf von 3<br />

bis 4 Monaten um die Hälfte ab und in<br />

nächsten Quartal wieder um die Hälfte und<br />

so <strong>weiter</strong>. Bis dahin jedoch können sie folgende<br />

Krankheitsbilder verursachen :<br />

Als Lebergift ziehen sie eine Lebervergrößerung<br />

nach sich; Leberkrebs ist allerdings<br />

nur aus Vergiftung in einer Raumluft-Belastung<br />

von über 3000ng bekannt.<br />

Die Isomere greifen das Immunsystem an,<br />

das heißt, die <strong>vergiftet</strong>en <strong>Kinder</strong> unterliegen<br />

einer erhöhten Infektanfälligkeit für<br />

Grippe, Husten, Schnupfen und vieles andere.<br />

Eine <strong>weiter</strong>e Folge ist die Schädigung des<br />

Nervensystems. Dies macht sich bemerkbar<br />

durch Kopfschmerzen, Leistungsschwäche<br />

und Müdigkeit.<br />

„Die Isomere 28 und 52 zeigen verheerende<br />

Folgen in ihrer Wirkung auf ungeborenes<br />

Leben. Es müßte untersucht <strong>werden</strong>,<br />

ob Lehrerinnen in den vergangenen Jahren<br />

häufig Totgeburten gehabt haben“, erklärt<br />

Eckrig. Gene <strong>werden</strong> nicht geschädigt.<br />

Dies ist der Stand der Wissenschaft in den<br />

vergangenen Jahren gewesen. Seit neuestem<br />

sind die Coplanaren mit den Nummern<br />

77, 126 und 156 bekannt und nachweisbar.<br />

Sie sind den Dioxinen vergleichbar<br />

und reichern sich im Körper an.<br />

Grenzwerte können nicht gesetzt <strong>werden</strong>,<br />

da sie auch in geringen Mengen toxisch<br />

sind, also schädlich für das Immunsystem.<br />

Empirische Untersuchungen über die Folgen<br />

gibt es noch nicht. Der Wissenschaftler<br />

geht davon aus, daß diese Coplanaren<br />

auch in geringen Mengen in den PCB-belasteten<br />

Räumen vorhanden sind. Deshalb<br />

mißt das Institut heute auch diese Gifte bei<br />

Blutuntersuchungen.<br />

M. Grimm<br />

Strafverfahren<br />

gegen Magistrat<br />

eingestellt<br />

Erneut mußte die Staatsanwaltschaft beim<br />

Landgericht Darmstadt sich mit der Strafanzeige<br />

eines Bürgers gegen den Magistrat<br />

der Stadt Darmstadt in Sachen PCB befassen.<br />

Der Bürger hatte das Ermittlungsverfahren<br />

im September letzten Jahres veranlaßt,<br />

weil er den Magistrat der Luftverunreinigung<br />

und der fahrlässigen Körperverletzung<br />

durch PCB verdächtigte.<br />

Der Anzeigenerstatter hatte der Staatsanwaltschaft<br />

mitgeteilt, daß es immer noch<br />

zu Verunreinigungen durch PCB in einer<br />

Darmstädter Schule gekommen sein soll<br />

und auch Untersuchungen der Raumluft<br />

nicht mehr stattfinden würden.<br />

Nachdem die Stadt Darmstadt unter anderem<br />

auch die PCB-Untersuchungsergebnisse<br />

des Instituts Fresenius, welches zwischen<br />

dem zweiten und zehnten Januar<br />

dieses Jahres in der Lichtenbergschule<br />

Raumluftmessungen vorgenommen hatte,<br />

der Umweltermittlungsgruppe des Regierungspräsidenten<br />

zur Verfügung gestellt<br />

hatte, teilte die Staatsanwaltschaft jetzt ihr<br />

Ermittlungsergebnis mit.<br />

Unter dem Aktenzeichen 11 Js 33937.4/91<br />

wurde dieses Ermittlungsverfahren gegen<br />

den Magistrat der Stadt Darmstadt nach §<br />

170 Abs. 2 Strafprozeßordnung eingestellt,<br />

da kein hinreichender Verdacht auf<br />

eine Luftverunreinigung und fahrlässige<br />

Körperverletzung durch PCB feststellbar<br />

war.<br />

Volker Rinnert, Presseamt Darmstadt<br />

(aus der Penne auf die Bahre, ist ja auch<br />

nicht grad´ das Wahre, der Säzzer Auskehrer)<br />

Messungen nachträglich korrigiert<br />

Die Werte steigen mit zunehmender Temparatur<br />

Faksimile von Raumluftmessungen<br />

Oje,<br />

Kolumbus!<br />

Daß du, überzeugt davon,<br />

in Indien zu sein,die Bewohner-<br />

Innen Amerikas kurzerhand<br />

Indianer nanntest, läßt sich<br />

verzeihen. Unverzeihlich bleibt<br />

hingegen, was dann folgte: Für<br />

die südlichen Kontinente hieß<br />

„Begegnung“ mit Europa meist<br />

Ausplünderung, Vernichtung<br />

und Völkermord:<br />

Noch heute herrscht der<br />

Norden über den Süden. Zwei<br />

Drittel der Menschheit kriegen<br />

das als tägliches Elend zu<br />

spüren.<br />

„500 Jahre Kolonialismus –<br />

500 Jahre Widerstand“ heißt<br />

deshalb <strong>unsere</strong> diesjährige Veranstaltungsreihe.<br />

Bei uns gibt es<br />

Informationen zum Thema und<br />

Produkte von Menschen, die<br />

versuchen, den katastrophalen<br />

Folgen, die Kolumbus für sie<br />

hatte, etwas Eigenständiges<br />

entgegenzusetzen.<br />

Alle Veranstaltungen jeweils<br />

am ersten Dienstag im Monat<br />

um 20 Uhr.<br />

Elisabethenstr. 51<br />

Darmstadt<br />

Telefon 2 19 11<br />

Mo-Fr 10 –13, 16 – 18.30 Uhr<br />

Sa 10 – 13 Uhr<br />

Anders handeln:<br />

Solidarisch einkaufen!<br />

Die Depesche<br />

ist eine<br />

Kriegserklärung…<br />

Pressefreiheit und Pressevielfalt<br />

ist (Über)Leben.<br />

Keine hundert Jahre ist es<br />

her, daß <strong>unsere</strong> Vorfahren<br />

für die Preß-Freiheit ihr<br />

Leben gelassen haben.<br />

Keine fünfzig Jahre sind vergangen,<br />

daß wir sie nach<br />

vollkommenem<br />

Verlust wieder erhalten<br />

haben – und wieder sind<br />

wir dabei, sie zu verlieren,<br />

weil sie verkauft wird: an<br />

Krämerseelen, die um des<br />

Geldes willen die Nachrichten<br />

und ihre Meinung dem<br />

Meistbietenden anpassen.<br />

Für eine unabhängige,<br />

unzensierte, freie und<br />

an Wahrheiten orientierte<br />

Presse haben wir die<br />

Darmstädter<br />

Initiative<br />

für die<br />

Vielfalt<br />

der Presse<br />

gegründet:<br />

• für eine Kontrolle<br />

über Parlamente<br />

• für ein öffentliches<br />

Forum der Leserinnen<br />

• für ein Mehr<br />

an Demokratie.<br />

Verschlafen Sie nicht<br />

wie viele MitbürgerInnen<br />

die schleichende Inflation<br />

der Meinungs- und Pressefreiheit!<br />

Beteiligen Sie sich<br />

an <strong>unsere</strong>r Initiative!<br />

Anzeige<br />

Anzeige


KULTURELLES<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 4<br />

„Das Publikum ist nicht mehr so gebildet…“<br />

Wieviel Kultur braucht Darmstadt? SPD-Forum über „Darmstadt Morgen“<br />

Schlagzeilen tragen schon immer den Hautgôut<br />

der unzulässigen Kürze und sind bei<br />

Küchenmeistern Würze. Was da unter dem<br />

Motto „Darmstadts Zukunft als Kulturstadt“<br />

auf dem SPD-Forum „Darmstadt Morgen“<br />

diskutiert wird, ist höchstens amuse<br />

gueule, vielleicht auch noch hors d‘œuvre<br />

für eine solche Kulturinarität: „Welche<br />

Kultur braucht Darmstadt (Bedarfslage)?“<br />

Leider, der Hauptgang fehlt, und niemand<br />

schmeckt, daß in der Kunst das Salz, der<br />

„Bedarf“ in der Suppe ist, die Kultur jedoch<br />

der Fond. Die Damen und Herren diskutieren<br />

nur über die Fett-Augen, die sie selbst<br />

abschöpfen, noch nicht einmal übers Salz.<br />

Dr. Gerhard Dette<br />

Moderat moderiert Dr. Gerhard Dette die<br />

kulturelle Zukunftsplanung der Darmstädter<br />

SPD, die statt ihres obersten Kulturwalters,<br />

<strong>unsere</strong>s Oberbürgermeisters, dessen<br />

Nachfolger, Peter Benz, präsentiert, denn<br />

über Darmstadts künftige Kultur wird er<br />

entscheiden und die Fettaugen sichern. Das<br />

Hauptgericht kommt nach den Wahlen 1993<br />

– vielleicht.<br />

„Vielfalt ohne Beliebigkeit“<br />

Was sich unser künftiger Kulturdezernent<br />

wünscht? „Kultur muß Ferment der Stadtpolitik<br />

sein“. Selbstverständlich läßt sich<br />

selbst bei „Darmstadts ausgezeich<strong>net</strong>en<br />

Voraussetzungen mit seinen unverwechselbaren<br />

Bausteinen, wie dem Theater, dem<br />

Landesmuseum, der Mathildenhöhe, der<br />

Akademie für Sprache und Dichtung, der<br />

Akademie für Tonkunst und des Büchnerpreises“<br />

Kultur nicht regieren, sondern nur<br />

beobachten und fördern. So sieht unser<br />

Vielleicht-Regent die Notwendigkeit (Fähigkeit?)<br />

für den „Weg für kulturelle Identität<br />

Darmstadts“. Er spricht von dem Flair, das<br />

Künstler anziehen kann, von einem „zweischneidigen<br />

Charme der Nachkriegszeit“<br />

und von „der Auflösung von Gewohntem als<br />

Übung“. Den Blick „auf die Mathildenhöhe“<br />

will er er<strong>weiter</strong>n und „Kultur in Darmstadt<br />

verteidigen“. Hat also Darmstadt eine Kultur?<br />

Oder braucht Darmstadt eine Kultur?<br />

Oder ist nicht gar eine bestimmte Kunst gemeint?<br />

Denn diese soll „eine Vielfalt haben,<br />

die nicht zur Beliebigkeit führt“. Welch grauenhafte<br />

Vorstellung birgt wohl die Entgrenzung<br />

des Kunstbegriffs (trotz Beuys, der<br />

unterm selben Dache beherbergt ist)?!<br />

„Sind in Darmstadt<br />

neue Impulse nötig?“<br />

quält sich Dr. Gerhard Dette – und schwelgt<br />

in der Fülle bestehender Literaturinstitutionen,<br />

der Akademie für Sprache und<br />

Dichtung (deren Sekretär er ist), dem PEN-<br />

Club, dem literarischen März und anderen.<br />

Prof. Dr. Hans Ulrich Engelmann<br />

<strong>Und</strong> Prof. Dr. Hans Ulrich Engelmann,<br />

freischaffender Komponist, fragt <strong>weiter</strong>:<br />

„Wie verhält es sich mit dem Interesse der<br />

Darmstädter Bevölkerung?“ Die Veranstaltung<br />

war gut besucht im Landesmuseum<br />

am 2. Juni 1992, rund 100 bis 120 kulturbeflissene<br />

DarmstädterInnen waren interessiert<br />

zu hören, was für eine Kultur<br />

Darmstadt braucht. Die „Internationalität“<br />

hält auch er hoch, „mit den 36. Ferienkursen<br />

für neue Musik sind wir weltbekannt“.<br />

Jugend-Kultur<br />

oder Internationalität?<br />

Von der Jugend, die eine Kultur der Zukunft<br />

in Darmstadt auslöffeln darf, war nichts zu<br />

sehen, dafür umso mehr zu hören: Allein in<br />

einem Redebeitrag ließ die Klavierlehrerin<br />

Mechthild Hoppstock<br />

und Organisatorin von „Jugend musiziert“,<br />

Mechthild Hoppstock, das Wort „Jugend“<br />

24 Mal erklingen, im gestreng-oberwilhelminischen<br />

Tonfall mit Leistung und Erfolg<br />

fordernder Rohrstock-Stimme.<br />

Dr. Peter Girth<br />

Dr. Peter Girth (unser Staatstheater-Intendant)<br />

freut sich „über die internationale<br />

Resonanz“ und stellt fest, daß „<strong>unsere</strong><br />

Gesellschaft nicht mehr so musikalisch<br />

gebildet ist. Aber wir brauchen uns kein<br />

schlechtes Gewissen zu machen“. Noch<br />

einmal vertieft der Intendant seine Kritik:<br />

„Die Menschen, die heute in die Oper<br />

gehen, sind in der Regel nicht so gebildet<br />

wie das Publikum im vorigen Jahrhundert“<br />

Hat er seine DarmstädterInnen so schnell<br />

kennengelernt? Dennoch befindet er: „Das<br />

Staatstheater, dazu bekenne ich mich, hat<br />

den Ruf erworben, immer progressiv zu<br />

sein“. Wie konservativ muß doch<br />

Darmstadts Bevölkerung sein, wenn der<br />

Intendant gleichzeitig darüber klagt, daß<br />

seit 1972 die Abonnements um 50 Prozent<br />

geschrumpft sind – oder sollte es so sein,<br />

daß unser Theaterpublikum „progressiver“<br />

ist als sein Großes Haus? Weshalb er<br />

<strong>unsere</strong>m Millionen-Deseaster ein derart<br />

schlechtes Zeugnis ausstellt? Jürgen<br />

Diesner korrigiert ihn im Pfingst-Echo:<br />

1972 hatte das Staatstheater 9250 Abos<br />

insgesamt und 1991 waren es noch 7787,<br />

mithin 15,8 Prozent Verlust.<br />

Leicht und lustig, bunt und billig<br />

Für Wogen in der hohen Diskussionsrunde<br />

um „Zentrumskultur“ (Girth: „Ich bekenne<br />

Jürgen Barth<br />

mich dazu“) sorgt Jürgen Barth, Kult-<br />

Manager der Bessunger Knabenschule mit<br />

seinen zwei „l“ und zwei „b“: Kultur und<br />

Kunst müssen leicht und lustig sein, bunt<br />

und billig. Dies fordert Mechthild<br />

Hoppstock zum Widerspruch: „Es ist nicht<br />

so, daß Jugend nur leicht und lustig Kunst<br />

betreiben möchte. Wettbewerbe, Höchstleistung,<br />

ich weiß, daß die Jugendlichen sehr<br />

viel leisten, auch freudig und gern.“ <strong>Und</strong><br />

kämpferisch entgeg<strong>net</strong> sie Girth: „Das<br />

Publikum soll heutzutage musikalisch nicht<br />

gebildet sein? Das muß ich abstreiten;<br />

moderne Musik wird von Jugendlichen<br />

meist am besten interpretiert, es ist die<br />

Musik ihrer Zeit“.<br />

Während Moderator Dette Lust-Verfechter<br />

Barth „verstehen“ kann, sieht Girth „ein<br />

grundlegendes Mißverständnis: Ich muß<br />

Ihnen widersprechen: Ihre zwei l und zwei b<br />

sind nicht akzeptabel. Ich wehre mich dagegen,<br />

das Theater zum Hampelmann der<br />

Politik machen zu lassen.“ <strong>Und</strong> weil Barth<br />

von der sozialen Akzeptanz gesprochen hat,<br />

fühlt sich Girth zum Schutze der Kunst berufen:<br />

„Das stammt aus der Kiste der tiefsten<br />

Reaktion (Beifall) und suggeriert Assoziationen<br />

aus der geistesfeindlichen Zeit<br />

des gesunden Volksempfindens“. In diesem<br />

Rahmen sieht der Intendant die Notwendigkeit,<br />

„etwas für die Jugend zu tun“.<br />

„Ich bin nicht<br />

als Stadtkämmerer…“<br />

„Ich werde auch ernst“, kontert Jürgen<br />

Barth, der fast nur was für die Jugend tut,<br />

„wenn es ums Geld geht.“ Viel Beifall<br />

bekommt er für seinen Einwurf: „Kunst und<br />

Kultur sollten angesichts welt<strong>weiter</strong> Armut<br />

auch preiswert sein“. <strong>Und</strong> er rech<strong>net</strong>: „Zehn<br />

Millionen bleiben für alle anderen Bereiche,<br />

der Rest geht in das Staatstheater. Die<br />

Stadt legt sich mit 50 Millionen krumm für<br />

Ihr Theater. <strong>Und</strong> Sie“, an Girth gewandt,<br />

„haben einmal gesagt ‚‚und wenn ich vor<br />

leerem Haus spielen müßte‘.“ Dagegen<br />

verwahrt sich Girth: „Ich bin nicht als Stadtkämmerer<br />

hierher gekommen.“ Zu einem<br />

„Mißverständnis“ erklärt er dies: „Ich sehe<br />

keinen Sinn darin, vor leerem Haus zu spielen,<br />

das habe ich nicht gesagt. Das ist der<br />

größte Blödsinn.“ Dennoch beklagt auch er<br />

das Staatstheater als „kulturpolitischen<br />

Größenwahn. Wie wollen Sie allabendlich<br />

1.600 Plätze füllen?“ Zwischenruf: „Herr<br />

Girth, das ist ihr Problem!“<br />

„Städtebauliche Katastrophe“<br />

„Das sind falsche Gegensätze zwischen<br />

Zentrumskultur als elitärer und einer Stadtteil-Kultur“,<br />

meldet sich Kulturreferent<br />

Wolbert zu Wort: „Was in Darmstadt fehlt,<br />

Dr. Klaus Wolbert<br />

ist urbane Kultur, ein Erlebnisraum … vor<br />

allem im Zentrum“. Er sieht „große Sünden,<br />

die in der Vergangenheit begangen worden<br />

sind. Das ist keine wohnliche Stadt, wo<br />

man sich nicht nachts irgendwo noch gerne<br />

aufhält.“ Das sieht auch Gotthelf Schlotter<br />

Gotthelf Schlotter<br />

(Bildhauer) so: „Wo sind hier die Plätze, die<br />

anziehen?“ Dafür erhält er Beifall und meint<br />

dann: „Es ist Aufgabe der Zukunft, hervorragende<br />

Architekten wieder miteinzubeziehen“.<br />

Für Girth geht es nicht „nur um<br />

Brunnen. Wir haben keine Bus- oder<br />

Straßenbahnhaltestelle vor <strong>unsere</strong>m Haus,<br />

das architektonisch und städtebaulich ein<br />

Katastrophe ist … da es gibt noch nicht<br />

einmal eine Bus- oder Straßenbahnhaltestelle.“<br />

„Letzte Chance fallen gelassen“<br />

Professor Engelmann singt das hohe Lied<br />

auf Darmstadt: „Es gibt Leute, denen hat es<br />

hervorragend hier gefallen, man muß nur<br />

die Augen offenhalten“. Ganz im Gegensatz<br />

zu ihm klagt Wolbert: „Die toten Wände, die<br />

Schlucht in der Luisenstraße … es ist noch<br />

viel zu tun und konzeptionell zu entwickeln,<br />

um Erlebnisraum zu schaffen“. Auch Girth<br />

fällt dazu noch was ein: „Diese Architektur<br />

schafft weder Atmosphäre noch Kultur.“ Er<br />

abstrahiert: „Kultur wird ermöglicht, sie ist<br />

nur hier nicht ermöglicht.“<br />

Auf die Zukunft von Darmstadts Urbanität<br />

bezieht sich auch Oberstudiendirektor Dr.<br />

Fritz Deppert: „Die Stadt hat mit den HEAG-<br />

Dr. Fritz Deppert<br />

Ist das Wasser knapp?<br />

„RP (Regierungspräsident, red) bereitet<br />

Notstandsverordnung vor“, stand in der<br />

FAZ vom 4.6.92 zu lesen. Die Förderung<br />

von Trinkwasser müsse um 20 bis 25<br />

Prozent gedrosselt <strong>werden</strong>. Die Vorordnung<br />

solle in Kraft treten, falls sich der<br />

Wassernotstand noch verschärfe. Es<br />

handelt sich bei der Meldung um eine<br />

Falsch-Meldung der Deutschen Presse<br />

Agentur, denn eine Notstandsverordnung<br />

gibt es nicht.<br />

Verantwortlich für die Auskunft zeich<strong>net</strong>e<br />

Baudirektor Heinz Lehr, Leiter des Dezernates<br />

Wasserversorgung beim RP Darmstadt.<br />

Die ZD hatte Lehr am 23.1. interviewt<br />

wegen der ständigen Ausweisung neuer<br />

Gewerbegebiete, obwohl 1987 ein genereller<br />

Baustopp wegen Wassermangels<br />

verhängt worden war.<br />

Nach der Versickerung von Rheinwasser in<br />

Biebesheim bestand auf einmal keine<br />

Knappheit mehr. Lehr erklärte gegenüber<br />

der ZD, daß die Rheinwasserversickerungsanlage<br />

nur zu 40% gefahren werde und<br />

reichlich Wasser zur Verfügung stünde für<br />

neue Gewerbegebiete, da die Kapazitäten<br />

ausgeweitet <strong>werden</strong> können.<br />

Auf wiederholte Anfragen bei Pressesprecher<br />

Gerhard Müller (RP) wegen eines<br />

Hallen die letzte Chance fallen gelassen.“<br />

Heftiger Beifall. Stattdessen setzt er darauf:<br />

Antrags von Merck auf Erhöhung der<br />

Wasserentnahme-Mengen wurde am 11.6.<br />

die Auskunft erteilt: „Merck hat einen<br />

Antrag auf Reduzierung von 7,3 Millionen<br />

Kubikmeter Grundwasser jährlich auf 6,6<br />

Mio gestellt“. Zum Beleg verwies der<br />

Pressesprecher auf die „Industriewasserstudie<br />

2“ des RP. In dieser Studie sind<br />

derartige Zahlen nicht enthalten. Statt<br />

dessen legte der RP unter dem Aktenzeichen<br />

(V 38 C 3 - 79 e 12/01 - M) einen<br />

Antrag des Chemiekonzern auf höhere<br />

Entnahme von 6,3, Mio auf 6,6 Millionen<br />

Kubikmeter aus. Alle sollen sparen – und<br />

Lehr erklärte in dem Interview: „In<br />

Darmstadt hat der Verbrauch abgenommen,<br />

weil die Industrie wassersparende<br />

Technologien einsetzt“. Was stimmt da<br />

eigentlich? Im Herbst <strong>werden</strong> wir gründliche<br />

Recherchen zu dem Thema veröffentlichen.<br />

Der Herausgeber<br />

Richtigstellung<br />

In der letzten Ausgabe haben wir Bundesaußenminister<br />

Kinkel versehentlich der<br />

CDU zugeord<strong>net</strong>. Dabei muß es sich um<br />

einen Freudschen Verschreiber gehandelt<br />

haben – Kinkel ist FDP-Mitglied.<br />

(red)<br />

„Wie kriegt man neues, junges Publikum?<br />

Das Zugehen gelingt nicht, junge Leute<br />

müssen heute selbst dafür sorgen. Was in<br />

Darmstadt fehlt, ist das Zugehen der Stadt<br />

und Künstler auf die Jugend der Stadt.“<br />

„Ein ungewöhlich<br />

positives Klima“<br />

Der Künstler Bernhard Meyer sieht das alles<br />

ganz anders: „Ich finde toll, daß es diese<br />

Veranstaltung gibt. Das Gerangel um Geld<br />

ist <strong>Kinder</strong>kram. Ich fühle mich als Künstler<br />

angenommen. Dies ist ein ungewöhnlich<br />

positives Klima: Es läuft für mich wesentlich<br />

besser als in vielen Städten der<br />

Bundesrepublik.“<br />

Aus dem Publikum kommt wieder Kritik:<br />

„Was interessiert uns Darmstadts Prestige<br />

in der Welt? Das bringt mir als hier Lebender<br />

nicht viel, wenn eine kleine Notiz in der<br />

New York Times erscheint. Wir haben hier<br />

eine Einkaufspassagen-Kultur. Die Frage ist<br />

doch: Wie <strong>werden</strong> die Mittel verteilt?“ „An<br />

der Filmkunst“, nimmt Wolbert den Faden<br />

auf, „sind wir alle dran, da muß etwas<br />

passieren“. „Wer ist wir?“ kommt ein<br />

skeptischer Zwischenruf – Wolbert: „Wir<br />

alle“.<br />

Das Publikum gibt sich aber nicht zufrieden:<br />

„Wenig Konstruktives haben wir<br />

vernommen“, meint einer und fragt: „In<br />

Darmstadt leben die Künstler, wo sind die<br />

vielen? Es gibt zu wenig Auftrittsmöglichkeiten.<br />

Kultur, die hier produziert wird, muß<br />

auch hier gezeigt <strong>werden</strong> können. Dazu<br />

habe ich nichts Substantielles gehört.“<br />

Dette entgeg<strong>net</strong>: „Das war nicht so verstanden,<br />

daß wir ein Konzept vorlegen.“<br />

Naive Wünsche?<br />

Nach ihren Wünschen gefragt, antworten<br />

die Diskussionsteilnehmer der Reihe nach.<br />

Jürgen Barth: „Ich wünsche mir, daß das<br />

Staatstheater sich aufmacht für andere, für<br />

<strong>Kinder</strong>, flexibler und offener ist. Ein Forum<br />

aller freien Initiativen vorstellt und diskutiert<br />

und Gelder dafür bereitstellt.“<br />

„Sie sind naiv!“, eröff<strong>net</strong> Girth seine<br />

Wuschliste: „Ihre Bitte nach Öffnung des<br />

Staatstheaters verhallt nicht ungehört. Wir<br />

sollten zusammenarbeiten. Ich finde es im<br />

übrigen nicht schlecht, daß der Oberbürgermeister<br />

die Kultur verwaltet.“ Gotthelf<br />

Schlotter wünscht sich, „daß etwas von der<br />

Kunst der Ausstellungen hierbleibt.“ Für<br />

Engelmann ist Darmstadt „nach wie vor ein<br />

fruchtbarer Boden“, er ist wunschlos.<br />

Wolbert meint: „Wir brauchen ein Anspruchsniveau<br />

frei von plebiszitären Anforderungen.<br />

Das heißt: Was ist Darmstädtisch<br />

an Darmstädter Kultur?“ Dagegen<br />

wird Deppert konkreter: Er wünscht sich<br />

„ein Zentrum mit der Chance für Künstler,<br />

sich zu präsentieren. Neue und junge Kunst<br />

und Künstler sollen nach Darmstadt geholt<br />

<strong>werden</strong> und eine neue alte Idee, die<br />

Darmstadt-Gespräche, wieder ins Leben<br />

gerufen <strong>werden</strong>.<br />

Sanne Borghia<br />

Friedenskulturkarawane<br />

Quer durch Europa führt eine „Friedenskulturkarawane“<br />

vom 14. Juli bis 14. August:<br />

Straßburg - Stuttgart - Sarajewo - Delphi -<br />

Genua - Marseille - Barcelona. Das Projekt<br />

unter dem Motto „New Relation Ship“ ist<br />

Teil der Kampagne „500 Jahre Lateinamerika“.<br />

An historischen Orten sollen mit den<br />

einheimischen Friedens- und anderen<br />

Gruppen die Geschichte des jeweiligen<br />

Landes thematisiert, koloniale Ausbeutungsstrukturen<br />

aufgedeckt und Alternativen<br />

zu ihrer Überwindung in konkreten<br />

Projekten gezeigt <strong>werden</strong>. In Delphi findet<br />

voraussichtlich vom 20. bis 27. Juli 1992<br />

eine olympische Friedenskonferenz mit<br />

Künstlern, Wissenschaftlern und friedensbewegten<br />

Menschen statt, eine Zukunftswerkstatt<br />

und ein Wettbewerb der Ideen<br />

angesichts der globalen Herausforderungen.<br />

Die Ergebnisse sollen in Form einer<br />

Friedens-Charta und als Kontrapunkt zu<br />

den olympischen Spielen in Barcelona mit<br />

Aktionen in die Öffentlichkeit getragen<br />

<strong>werden</strong>. Nähere Informationen bei: Gesellschaft<br />

Kultur des Friedens, c/o Henning<br />

Zierock, Am Lustnauer Tor 4, 7400 Tübingen,<br />

Tel. 07071/52200, Fax 07071/24905.<br />

(red)


Friedenstauben<br />

und ein Mord<br />

PLO-Sicherheitschef getötet<br />

während<br />

FriedespädagogInnen tagen<br />

Ein französischer Jude schenkt einem<br />

palästinensischen Gewerkschaftsführer<br />

seine teure Perlenkette. Eine israelische<br />

Sängerin singt bewegende und aufmunternde<br />

Lieder für die PalästinenserInnen in den<br />

besetzten Gebieten. Versöhnliche Streiflichter<br />

vom 4. Internationalen Kongreß der<br />

Friedenspädagoginnen an Pfingsten in<br />

Paris. Rund 500 TeilnehmerInnen aus mehr<br />

als 40 Ländern von fünf Kontinenten waren<br />

gekommen, unter ihnen eine Reihe von<br />

UNESCO-Preisträgern. Nach dem Auftakt<br />

im UNESCO-Gebäude im Zentrum von Paris<br />

zogen sie sich in den beschaulichen Vorort<br />

Marly-le-Roi zurück und diskutierten dort in<br />

Runde-Tisch-Gesprächen und Dutzenden<br />

von Arbeitsgruppen.<br />

Schwerpunkte bildeten die Unterrichtssituation<br />

in den besetzten palästinensischen<br />

Gebieten, der zweite Krieg am Golf und die<br />

„neue Weltordnung“ der USA, die Veränderungen<br />

in der ehemaligen Sowjetunion und<br />

die deutsche Vereinigung. Weitere Themen:<br />

Kurdistan, Abrüstung, Nationalismus und<br />

Rassismus, Ursachen und gewaltfreie<br />

Lösungsmöglichkeiten von Konflikten,<br />

Möglichkeiten der Friedenserziehung. Wie<br />

ein roter Faden zog sich durch viele Arbeitsgruppen<br />

die Forderung nach der Herstellung<br />

der Rechte der <strong>Kinder</strong>, die den gesellschaftlichen<br />

und internationalen Konflikten<br />

am meisten ausgesetzt sind. Konkrete<br />

Solidaritätsprojekte für die <strong>Kinder</strong> im Nahen<br />

Osten wurden vorgestellt. Die Ergebnisse<br />

des Kongresses sollen Anfang nächsten<br />

Jahres in Buchform vorliegen.<br />

Zur Zeit wird darüber diskutiert, ob dem<br />

globalen internationalen Kongreß, der auch<br />

diesmal wieder europalastig war, nicht<br />

regionale, d.h. kontinentale Treffen vorgeschaltet<br />

<strong>werden</strong> sollen. Die VertreterInnen<br />

Afrikas planen bereits ein solches Treffen.<br />

Ob global oder regional - in jedem Fall findet<br />

1994 in Galicien (Nordspanien) eine Konferenz<br />

statt.<br />

Am letzten Tag des Kongresses, während<br />

eines prächtigen Freilicht-Happenings mit<br />

Künstlern, Tanzgruppen und Hunderten von<br />

Brieftauben unter einem Schönwetter-<br />

Himmel, sickerte langsam durch, daß der<br />

PLO-Sicherheitschef, der mit französischen<br />

Regierungsstellen auch gerade wegen des<br />

Schutzes der palästinensischen Kongreßteilnehmer<br />

verhandelt hatte, in der Vornacht<br />

vor seinem Pariser Hotel ermordet wurde.<br />

Die palästinensischen Gewerkschafter, die<br />

den Terroranschlag dem israelischen<br />

Geheimdienst Mossad anlasteten, waren<br />

erschüttert, wollten sich aber nicht beirren<br />

lassen in ihrem Willen zur Versöhnung mit<br />

den Israelis und zur gewaltfreien Herstellung<br />

von Menschenrechten und staatlicher<br />

Autonomie der PalästinenserInnen.<br />

Artur Rümmler<br />

Voller Wonne<br />

legt die Mücke…<br />

Die Sammlung organischer Abfälle in Biotonnen<br />

kann in diesen warmen Tagen zu Problemen<br />

führen, weil sich der Bioabfall unter dem<br />

Einfluß der hohen Temperaturen schneller<br />

zersetzt. Stickwasser bildet sich und Fäulnisprozesse<br />

führen zu starken Gerüchen, die<br />

Insekten anlocken. Steht die Biotonne zeitweilig<br />

offen, legen Fliegen ihre Eier im Bioabfall<br />

ab, was wenige Tage später zu einem<br />

Madenbefall führt.<br />

Das städtische Fuhr- und Reinigungsamt<br />

empfiehlt deshalb, die Biotonnen im Sommer<br />

in den Schatten zu stellen und besonders viel<br />

Zeitungspapier oder andere saugfähige organische<br />

Materialien wie Pappe, Stroh,<br />

Haustierstreu, Reisig und Holzspäne mitzugeben.<br />

Nach jeder Leerung sollte der Boden<br />

der Biotonne zunächst mit drei oder vier<br />

Zeitungen (ohne Werbebroschüren) ausgelegt<br />

<strong>werden</strong>, um eine solide feuchtigkeitsbindende<br />

Grundlage zu schaffen. Noch wirkungsvoller<br />

ist das Einwickeln der feuchten<br />

Küchenabfälle in Zeitungspapier. Besonders<br />

wichtig ist die Zugabe von saugfähigen Materialien,<br />

wenn in die Biotonne keine Gartenabfälle<br />

kommen. Zur Vorsortierung von Bioabfall<br />

im Haushalt bietet das Fuhr- und Reinigungsamt<br />

übrigens Plastikeimer mit Deckel<br />

und Henkel für 7,80 DM (7,5 l) und kompostierfähige<br />

Papiertragetaschen aus Recyclingpapier<br />

zum Preis von 3,50 DM pro 10<br />

Stück an. Lisette Nichtweiss, Pressamt<br />

(<strong>Und</strong> die Mücke voller Wonne, legt die Eier in die Tonne, und<br />

die fauligen Gerüche, stehen in der ganzen Küche - d. S.)<br />

„Der Verkehr darf nicht behindert <strong>werden</strong>“,<br />

erklärt der Einsatzleiter der Polizei dem<br />

Organisator der Demonstration „Umkehr in<br />

der Verkehrspolitik muß sein“, Holger<br />

Haupt. Zwischen 500 und 800 DemonstrantInnen<br />

hatten sich am 22. Mai 1992 zu<br />

einem ersten Protest gegen den „Alptraum<br />

Auto“ auf den Straßen versammelt. Während<br />

Haupt vor Mikrophonen der Rundfunksender<br />

auf Reporterfrage danach, „Wie<br />

man heute eine autofreie Stadt erzielen<br />

will?“, Optimismus verbreitet: „Das hängt<br />

davon ab, wieviele Leute sich engagieren –<br />

ich bin das ganz zuversichtlich“, malt Harry<br />

Neß (SPD) schwarz: „Sie sollten sich<br />

leidtun! Sie kriegen doch keine Mehrheit“.<br />

Im Gegensatz zu ihm ist auch der ehemalige<br />

Pfarrer der Martinsgemeinde, Rüdiger<br />

Gieselmann, zuversichtlich: „Es gibt zwar in<br />

Darmstadt zuviele Autos, aber wir sind<br />

stolz, daß wir mit der Ost-Tangente bereits<br />

VERKEHR<br />

schon einmal verhindert haben, daß eine<br />

Autobahn durch die Stadt gebaut wird“.<br />

Der ehemalige Pfarrer Martin Waas<br />

vergleicht die Beziehung Mensch-Auto mit<br />

der Ehe: „Dies ist der Rest <strong>unsere</strong>r Tage.<br />

Die Ehe zwischen Mensch und Auto greift<br />

um sich wie die Pest. Ich möchte, daß diese<br />

Ehe vor dem Tod geschieden wird. Die<br />

ersten Zeiten, wo mit den Autos frohe<br />

Flitterwochen zu verbringen waren, sind<br />

vorbei. Ich habe beschlossen, die Ehe mit<br />

dem Fahrrad einzugehen. Zu Weihnachten<br />

werde ich mir einen roten Stadtfahrplan<br />

wünschen, auf dem alle Fahrradwege<br />

verzeich<strong>net</strong> sind, von Anfang bis zum<br />

Ende.“ Damit sprach er den DemonstrantInnen<br />

aus der Seele und forderte: „Aus<br />

dem Straßenbautopf sollte die Hälfte für<br />

Radwege abgezweigt <strong>werden</strong>“, sprachs und<br />

stieg wieder auf sein Fahrrad. (Foto as)<br />

Darmstadt Studenten steigen um: Vom<br />

Auto auf das Fahrrad und wie die HEAG<br />

bereits konstatierte: Vom Bus auf das<br />

Fahrrad.<br />

Diese umweltfreundliche Handlung hat<br />

Folgen. Die Drahtesel stehen zu hunderten<br />

an Aufgängen, vor Treppen und versperren<br />

so Feuerwehrangriffs- und Fluchtwege für<br />

StudentInnen. Allein vor dem Fachbereich<br />

Mathematik an der TH <strong>werden</strong> täglich rund<br />

hundert, im Sommer bis zu 250 Fahrräder<br />

abgestellt. Dafür gibt es vierzehn Abstellplätze.<br />

Deshalb haben die StudentInnen in<br />

ihrem Fachbereichsrat im Februar 1987<br />

beschlossen, sich um geeig<strong>net</strong>e Fahrrad-<br />

Parken zu bemühen. Für 48 Räder planten<br />

sie professionell entsprechende Park-<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 5<br />

Die wohlwollende Prüfung<br />

Eine unglaubliche<br />

Bürokratie verhindert<br />

Fahrradabstellplätze<br />

an der TH<br />

Das Interview<br />

Urbanität ein Fremdwort in Darmstadt<br />

Größenwahn soll die City untergraben -<br />

wie schon einmal beim Bau des Luisencenters<br />

Die ZD sprach mit Helmut Dressler (ein<br />

Partei-Unabhängiger, darauf legt er wert)<br />

Stadtverord<strong>net</strong>er der Grünen und einer der<br />

Vorsitzenden des „Förderkreis Heag-Hallen<br />

e.V.“<br />

ZD: Existiert der Heag-Hallen-Förderkreis<br />

eigentlich noch, man hört und liest so gar<br />

nichts mehr von ihm?<br />

Dressler: Der ist noch nicht aufgelöst, aber<br />

er tut nichts mehr, seine früher engagierten<br />

Mitglieder – Frauen und Männer, so gehört<br />

sich´s wohl – sind entmutigt worden durch<br />

die Politik des Magistrats , und die Heag-<br />

Halle ist ihnen aus „Brandschutzgründen“<br />

vor der Nase zugeschlagen worden, gerade<br />

zu einem Zeitpunkt, ich glaube 1987 war<br />

das, da viele Darmstädter die Halle als<br />

willkommene Bereicherung der Darmstädter<br />

City angenommen hatten.<br />

Bist Du auch entmutigt und resigniert?<br />

Oh, bei mir geht das nicht so schnell; ich<br />

gebe kein vernünftiges Vorhaben auf,<br />

solange noch eine Chance besteht.<br />

Aber die Chance ist doch längst dahin! –<br />

Die City-Entwicklungsgesellschaft plant<br />

bereits, und die entsprechende City-<br />

Grundstücksgesellschaft…<br />

… also Mengler, Suter & Suter und die<br />

Heag …<br />

… richtig, zu je ein Drittel, hat doch<br />

schon die Grundstücke, also Fina-Block<br />

und Heag-Hallen-Bereich und plant …<br />

… meines Wissens ist der Kauf noch längst<br />

nicht perfekt ...<br />

… und plant bereits ausgiebig. <strong>Und</strong> der<br />

wichtigste Fakt: Ihr habt doch in der<br />

letzten Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

beschlossen …<br />

… na, ich und wir auf keinen Fall …<br />

… daß das städtische Gebäude, das mit<br />

den blauen Fenstern, in der Heag-Passage<br />

abgerissen wird, und viele Ämter<br />

umziehen müssen in ein Gebäude der<br />

Firma Fink, Berliner Allee 5, und zwar<br />

noch in diesem Jahr. Wo also bleibt da<br />

eine Hoffnung?<br />

Die Herren Metzger und Blöcker versuchen,<br />

noch vor der nächsten Kommunalwahl im<br />

März ’93 Fakten zu schaffen, aber noch sind<br />

das nur Beschlüsse, also revidierbar, und<br />

es sind Beschlüsse, die zum Schaden für<br />

die Stadt ausgehen.<br />

Beispielsweise?<br />

Der Ämter-Umzug, der für die Investoren<br />

den Platz frei macht, der Abriß und die<br />

Anmietung der Räume bei Fink kostet die<br />

Stadt insgesamt mindestens 3 Mio DM,<br />

und langfristig muß sie ein neues Amtsgebäude<br />

bauen, das kostet – na vielleicht<br />

1997 – die Stadt <strong>weiter</strong>e Millionen. Das sind<br />

unentgeltliche Vorleistungen der Stadt<br />

ausschließlich zum Nutzen der Investoren,<br />

also Kosten ohne Nutzen für die Stadt –<br />

rausgeschmissenes Geld!<br />

Hast Du noch ein Beispiel?<br />

Ein Dutzend. Also, diese City-Entwicklungs-<br />

Gesellschaft plant – davon war übrigens<br />

zum Zeitpunkt der Beschlußfassung über<br />

den Verkauf in der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

nie die Rede –, unter dem Heag-<br />

Passagen-Areal eine riesige Tiefgarage zu<br />

bauen und ein Tunnelsystem zur Anbindung<br />

beider Bereiche. Damit wird der<br />

Autoverkehr in die innerste City gezogen,<br />

das ist ein Anachronismus, und Darmstadt<br />

würde tatsächlich immer autogerechter und<br />

immer weniger Lebens-gerecht.<br />

Während der Bauzeit wird es ähnlich wie<br />

beim Bau des Luisencenters zusätzliche<br />

Beeinträchtigungen geben.<br />

Du verniedlichst die Sache ...<br />

Oh, das wollte ich ganz und gar nicht!<br />

… denn die gigantischen Vorhaben im<br />

Fina-Innenblock-Bereich, die Erdarbeiten<br />

für die Tiefgarage und der Um- und Ausbau<br />

der Heag-Hallen wird die City für mehr als<br />

zwei Jahre zur totalen Baustelle <strong>werden</strong><br />

lassen. Kannst Du Dir den immensen<br />

Baustellenverkehr in der Fußgängerzone<br />

vorstellen? <strong>Und</strong> besonders für das Tunnelsystem<br />

müßten langwierige und schwierigste<br />

Verlegungen durchgeführt <strong>werden</strong>; da<br />

liegen ja überall Kabel und Gas- und<br />

Wasserleitungen und Kanäle. Das gerät<br />

bedrohlich in die Nähe des Wahnsinns!<br />

Aber am Schluß wird’s dann doch ganz<br />

schön fortschrittlich?<br />

Danke für die Frage! – Der totale Kommerz<br />

wird noch totaler, aber es <strong>werden</strong> einige<br />

Geschäfte während oder besser wegen der<br />

Bauerei auf der Strecke bleiben; eigentlich<br />

müßte sich der Einzelhandelsverband mit<br />

Händen und Füßen wehren, die schlafen<br />

offensichtlich noch, obwohl ich voraussehe,<br />

daß viele innerstädtische Geschäfte,<br />

weil die Menschen nicht inmitten einer<br />

Baustelle einkaufen <strong>werden</strong>, …-zig Prozent<br />

Umsatzverlust hinnehmen müssen.<br />

Die Planungsvorstellungen sind also<br />

unausgegoren?<br />

Ja! – <strong>Und</strong> darauf setze ich: Die Metzger,<br />

Blöcker & Co. mögen dilettantische Vorhaben<br />

in Gang setzen, aber die Investoren<br />

sind Geschäftsleute, für die müssen sich<br />

die 100 oder eher 200 Millionen in, na,<br />

sagen wir, 15 Jahren amortisieren, und das<br />

ist sehr zweifelhaft, außer wenn die Stadt<br />

massenhaft zubuttert. Hier in der Stadt aber<br />

geht die Metzger-Zeit zu Ende, und die<br />

Finanzlage wird schlechter. Also, die Gigantomanie<br />

könnte, nüchtern gerech<strong>net</strong>, sich<br />

selbst zu Fall bringen.<br />

Mengler kalkuliert aber zuverlässig<br />

gewinnträchtig.<br />

Das mag sein. Die Firma Mengler rafft in der<br />

Darmstädter City an sich, wessen sie<br />

habhaft <strong>werden</strong> kann, um hier ein Vermietungs-Monopol<br />

zu ergattern, denen gehört<br />

schon ziemlich viel; dafür darf ein Projekt<br />

schon mal Verluste machen, aber nur<br />

begrenzte. Ich meine also, daß zumindest<br />

diese Leute das Rechnen gelernt haben ...<br />

… und irgendwann das Projekt hinwerfen,<br />

mit begrenztem Verlust?<br />

Ja, genau; ich hoffe da auch auf die Heag<br />

und ihren seriösen Einfluß, „va banque“<br />

können deren Manager nicht spielen, und<br />

sie haben gehörige Verpflichtungen, ihr<br />

Risiko zu begrenzen.<br />

<strong>Und</strong> Deine Vorstellungen, was man hätte<br />

tun sollen oder was man tun müßte für<br />

Darmstädter Urbanität?<br />

Ach nein, das habe ich doch schon hundertmal<br />

erzählt. Unsere Broschüre „Kultur im<br />

Zentrum“ ist immer noch aktuell, nur einige<br />

Zahlen sind sicher überholt, sie stammen<br />

schließlich von 1985. Wir wollen Leben,<br />

Menschenkultur jeder Art in diese halbtote<br />

Innenstadt bringen – mit sehr begrenzten<br />

Investitionen ohne Perfektion, und das übrigens<br />

käme sogar den existierenden Geschäften<br />

zugute, weil Urbanität eine Vielfalt<br />

darstellt und die City wirklich attraktiv<br />

macht, aber heutzutage oder gar nach<br />

Abschluß jenes Projekts, oh je … (winkt ab)<br />

Danke.<br />

Helmut Dressler<br />

(Foto: H. Schäfer)<br />

Vorrichtungen und hatten den Wunsch,<br />

daß diese auch überdacht <strong>werden</strong> sollten,<br />

um <strong>weiter</strong>e StudentInnen dazu zu bringen,<br />

das Auto stehen zu lassen. Wichtig waren<br />

ihnen auch brauchbare, das heißt<br />

diebstahlsichere Vorrichtungen.<br />

Doch trotz eines umfangreichen Briefwechsels,<br />

mehrerer Ortstermine und<br />

Gespräche – insgesamt 26 in der Zeit vom<br />

6.2.1987 bis 15.4.1992 ist an die Fahrradabstellplätze<br />

nicht zu denken. Zwar wurde<br />

den StudentInnen immer wieder zugesichert,<br />

„daß … überdachte Fahrradeinstellplätze<br />

eingerichtet <strong>werden</strong>“, so der Präsident<br />

der Technischen Hochschule am 13.<br />

April 1987, und die StudentInnen freuten<br />

sich schon „über den raschen Erfolg“,<br />

wurden jedoch wenige Monate später<br />

vertröstet, da eine Haushaltssperre keine<br />

Mittel mehr beließe und „erst im Jahr 1988<br />

finanziert <strong>werden</strong> kann“ (3.6.1987).<br />

Anfang 1988 kam wieder ein Schreiben der<br />

Technischen Hochschule, das „für dieses<br />

Haushaltsjahr die Einrichtung“ zusicherte<br />

(11.4.1988). <strong>Und</strong> wieder verging ein Jahr –<br />

mehr noch, am 4.9.1989 ließ der Präsident<br />

dem Dekan des Fachbereichs mitteilen,<br />

„das Staatsbauamt wird so rasch wie<br />

möglich mitteilen wieviel … Abstellplätze<br />

… geplant sind und ob diese Maßnahme<br />

vorgezogen <strong>werden</strong> kann“. In diesem Jahr<br />

passierte wieder nichts.<br />

1990 verging auch wieder untätig, bis die<br />

StudentInnen im März 1991 wieder einen<br />

Vorstoß machten und wieder war die<br />

Reaktion die gleiche: Eine „wohlwollende<br />

Prüfung“ sagte der Präsident der TH am 5.<br />

April 1991 zu. Dieses Mal wird es konkreter,<br />

sogar Pläne wechseln zwischen<br />

Fachbereich und Hochschul-Leitung. Da<br />

anschließend wieder nichts passiert,<br />

schreiben die Professoren der Fachbereiche<br />

Mathematik und des Fachbereichs<br />

Physik an den Präsidenten der TH, an Prof.<br />

Dr. Helmut Böhme, im November 1991;<br />

eine Begehung wird vereinbart. Sie endet<br />

mit dem Versprechen, daß „die gewünschten<br />

Fahrradständer bis zum Beginn des<br />

Sommersemesters“, also im Februar<br />

diesen Jahres angebracht seien. Doch statt<br />

der Fahrradständer erhalten die Studenten<br />

ein Schreiben der Hochschul-Leitung am<br />

15. April, in dem zu lesen steht: „Die<br />

Möglichkeit einer Realisierung im Jahr<br />

1993 werde ich zu Beginn des nächsten<br />

Jahres gerne prüfen.“ Gezeich<strong>net</strong> mit<br />

freundlichen Grüßen Bauerfeind-<br />

Roßmann.<br />

Da lagen die StudentInnen des Fachbereichs<br />

wohl doch recht mit ihrem<br />

Anschreiben vom August 1989, in dem sie<br />

klagten, „sie fänden es bedauerlich, … daß<br />

<strong>unsere</strong> sinnvolle Forderung nach einem<br />

kleinen Beitrag zum Umweltschutz durch<br />

eine träge und offensichtlich uninteressierte<br />

Bürokratie ins Leere läuft.“<br />

Besonders pikant ist die Angelegenheit<br />

dadurch, daß in der gleichen Zeit „das TH-<br />

Parkhaus errichtet worden ist, für einen<br />

Kostenaufwand von ca. 10 Millionen Mark,<br />

das heute nahezu leer steht“, wie die<br />

Studenten schreiben und neben dem es<br />

<strong>weiter</strong>e brauchbare Flächen gibt, auf denen<br />

Fahrradständer angebracht <strong>werden</strong><br />

könnten. Die Mathematik-StudentInnen<br />

machten diesen Vorschlag und bekamen –<br />

wie könnte es anders sein – von der<br />

Verwaltung zu hören, „daß diese Fahrradplätze<br />

im Zuge der Außenarbeiten am<br />

Parkhaus angelegt würden“. Doch nichts<br />

ist geschehen.<br />

Die StudentInnen der Fachschaft, Oliver<br />

Dräger, Anne Eigenbrod und J. Reuling<br />

wenden sich an die Öffentlichkeit „in der<br />

Hoffnung, daß dadurch endlich was<br />

geschieht.“ Wahrscheinlich bekommen sie<br />

wieder eine Zusage wohlwollender<br />

Prüfung ….<br />

M. Grimm


GESCHICHTE<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 7<br />

Entnazifizierung<br />

und<br />

Entstasifizierung<br />

Demokratische JuristInnen<br />

diskutieren über Vergangenheitsbewältigung<br />

Die Vereinigung demokratischer Juristinnen<br />

und Juristen hatte am 4.6.92 zu einer<br />

Diskussionsveranstaltung in das DGB-Haus<br />

eingeladen, um das Thema „Stasi-Aufarbeitung<br />

und Entnazifizierung“ zu behandeln.<br />

Vorsitzender Rechtsanwalt Michael Lodzik<br />

wies in seiner Begrüßung auf die Aktualität<br />

dieser Probleme hin und hält eine kritische<br />

Betrachtungsweise der Vergangenheitsbewältigung<br />

Deutschlands für notwendig. Die<br />

Folgen für die Betroffenen in den neuen<br />

Bundesländern durch die Offenlegung der<br />

Stasi-Akten bedeuten für viele die Vernichtung<br />

ihrer Existenz, vergleichbar mit den<br />

Berufsverboten in der alten Bundesrepublik.<br />

Ist die Entnazifizierung vergleichbar mit der<br />

Behandlung des Stasi-Komplexes?<br />

Um diesen Fragen nachzugehen, hatte die<br />

Vereinigung zwei Referenten geladen:<br />

Rechtsanwalt Dieter Hummel aus Berlin und<br />

Philipp Benz, den Vorsitzenden des Verbandes<br />

der Verfolgten des Naziregimes<br />

Darmstadt-Dieburg. Beide konnten eigene<br />

Erfahrungen einbringen, wenn auch die<br />

Themenkreise einen beträchtlichen zeitlichen<br />

Abstand aufweisen.<br />

In der alten Bundesrepublik herrscht vielfach<br />

die Meinung, die Entnazifizierung sei fast<br />

rungen war, die von ihnen betriebene Entfernung<br />

belasteter Personen nach dem Gesetz<br />

Nr. 8 aus den Betrieben und Verwaltungen<br />

deutschen Behörden zu übertragen.<br />

Im Artikel 1, Grundsätze, heißt es,<br />

1.„Zur Befreiung <strong>unsere</strong>s Volkes von Nationalsozialismus<br />

und Militarismus und zur<br />

Sicherung dauernder Grundlagen eines<br />

deutschen demokratischen Staatslebens in<br />

Frieden mit der Welt <strong>werden</strong> alle, die die<br />

nationalsozialistische Gewaltherrschaft aktiv<br />

unterstützt oder sich durch Verstöße gegen<br />

die Grundsätze der Gerechtigkeit und<br />

Menschlichkeit oder durch eigensüchtige<br />

Ausnutzung der dadurch geschaffenen<br />

Zustände verantwortlich gemacht haben,<br />

von der Einflußnahme auf das öffentliche,<br />

wirtschaftliche und kulturelle Leben ausgeschlossen<br />

und zur Wiedergutmachung<br />

verpflichtet.“<br />

2. „Wer verantwortlich ist, wird zur Rechenschaft<br />

gezogen. Zugleich wird jedem<br />

Gelegenheit zur Rechtfertigung gegeben.<br />

Das Gesetz will kein Strafgesetz sein,<br />

sondern ein ‚Befreiungs-und Sühne-<br />

Gesetz‘“.<br />

Dem entspricht – so Benz – auch die Termi-<br />

Prächtige Bilder, wenig Geschichte<br />

„Van Gogh“ – ein Film von Maurice Pialat<br />

Seine Bilder <strong>werden</strong> heute für Millionen von<br />

Dollars gehandelt, sind bevorzugte Raubund<br />

Spekulationsobjekte. Er selber, vor rund<br />

hundert Jahren, nagte am Hungertuch. Die<br />

Bourgeoisie, treibende Kraft auf dem Kunstmarkt,<br />

hatte zu seinen Lebzeiten ihre Sehgewohnheiten<br />

noch nicht soweit verändert, daß<br />

sie ihn kaufen wollte.<br />

Vincent van Gogh stammte aus einer protestantischen<br />

Pastorenfamilie, wollte die<br />

leidenden Armen mit Religion trösten, lebte<br />

aufopferungsvoll und asketisch bei belgischen<br />

Bergarbeitern, versuchte sich als<br />

Hilfsprediger und scheiterte in der Priesterausbildung.<br />

Ein unruhiges Leben mit<br />

Wohnsitzen in England, Belgien, Niederlanden<br />

und Frankreich. Dazu frühe Liebesenttäuschungen,<br />

Konflikte mit den Eltern, van<br />

Goghs labile Psyche. Nach einem Konflikt<br />

mit Gauguin schnitt er sich ein Ohr ab und<br />

gab es einer Prostituierten. Heftige Anfälle<br />

von Kopfschmerzen plagten ihn. Seine<br />

Einweisung in die Nervenheilanstalt 1889<br />

befürwortete er selber.<br />

Maurice Pialats Film beginnt 1890, als van<br />

Gogh in Auvers-sur-Oise beim Arzt Dr. Gachet<br />

(Gérard Sety) unterschlüpft, und zeigt<br />

die letzten Lebensmonate des 37jährigen.<br />

Von seiner Vorgeschichte erfahren wir nur<br />

wenig, seine Person gewinnt deshalb nicht<br />

viel Tiefenschärfe. Auch die Entwicklung seiner<br />

Kunst über den Impressionismus hinaus,<br />

die wachsende Dynamisierung des Gegenstands,<br />

die Verselbständigung der Farbe, die<br />

seine Kunst so unverwechselbar machen,<br />

<strong>werden</strong> so gut wie nicht thematisiert. Inwieweit<br />

ist das überhaupt ein Künstlerfilm?<br />

Der Film lebt von seiner Hauptperson,<br />

überragend verkörpert von Jacques Dutronc:<br />

van Gogh mit unruhigem, abweisendem<br />

Blick, schlechter, vornübergebeugter<br />

Körperhaltung, einfach gekleidet, verschlossen<br />

und wortkarg, spröde und sensibel, mit<br />

fast linkischen Bewegungen, unberechenbaren<br />

Reaktionen und plötzlichen Wutausbrüchen.<br />

Der Künstler, von dem Wert seiner<br />

Kunst überzeugt, sich von der Malweise der<br />

in Mode gekommenen Impressionisten<br />

absetzend, leidet unter der mangelnden<br />

Anerkennung durch die Gesellschaft und der<br />

finanziellen Abhängigkeit von seinem Bruder<br />

Theo, einem Kunsthändler, der Vincent zwar<br />

prinzipiell helfen, aber seine Kunst nicht<br />

fördern will. Verständnis als Künstler findet<br />

er bei dem weitsichtigen Gachet. <strong>Und</strong> dessen<br />

Tochter Marguerite (die Rolle ist wie maßgeschneidert<br />

für Alexandra London), die starke<br />

frauenrechtlerische Tendenzen aufweist und<br />

treffsichere Dinge sagt, schätzt ihn als Mann.<br />

Dies tut aber auch die Prostituierte Cathy.<br />

Als van Gogh durch einen Schuß in den<br />

Bauch sein Leben beenden will, geschieht<br />

das für den Zuschauer etwas unvorbereitet.<br />

Das zweitägige Sterben des Verwundeten,<br />

der ärztliche Hilfe ablehnt, inszeniert Regisseur<br />

Pialat kühl und emotionslos: van Gogh<br />

dreht sich im Bett zur Wand, und sein Bruder<br />

sagt mitleidlos: „Es ist aus“. Daß der Film<br />

danach noch einige Minuten <strong>weiter</strong>läuft und<br />

mit der in Trauer gekleideten Marguerite<br />

endet, die mit einem neuen Maler Bekanntschaft<br />

macht, bestärkt die Vermutung, daß<br />

es Pialat nur zum Teil um die Künstlerproblematik<br />

van Goghs geht. Zu interessieren<br />

scheint ihn ebensosehr auch dessen gesellschaftliche<br />

Umgebung, denn<br />

in mehreren konfliktreichen E-<br />

pisoden der Familien Gachets,<br />

Theos und eines Gastwirts<br />

verläßt er die an van Gogh<br />

gebundene Erzählperspektive.<br />

Pialats Blick auf die französische<br />

Gesellschaft des ausgehenden<br />

19. Jahrhunderts vermittelt<br />

jedoch, abgesehen von<br />

ein paar Reminiszenzen an die<br />

Pariser Commune (das Lied<br />

„Der rote Hügel“), keine spezifischen<br />

historischen Tatbestände,<br />

sondern liefert mehr<br />

Kolorit und Atmosphäre. Die etwas zu ausgedehnte<br />

Handlung um van Gogh (der Film hat<br />

Überlänge) besteht aus vielen kleinen,<br />

sympathischen Alltagsszenen mit Konflikten,<br />

die von heute stammen könnten. Das<br />

unspektakuläre Geschehen kontrastiert mit<br />

der ästhetisch auffälligen Opulenz der Bilder<br />

im Stil der Impressionisten. Da gibt es Plein-<br />

Air-Gemälde: zartes Lichtgeflimmere auf<br />

dem Wasser, das Spiel der Lichtflecke auf<br />

den Körpern im Schatten der Bäume, Licht<br />

wie feiner Staub, aufsteigender Staub wie<br />

graues Licht. Da sind weibliche Akte, zarte<br />

Porträts, Can-Can-Tänzerinnen und ein<br />

prächtiges Dekor in einem wohl etwas zu<br />

freundlich stilisierten Bordell. Nicht sehr<br />

mitreißend, doch optisch genüßlich. (In der<br />

Frankfurter „Harmonie“ und vom 25. 6. bis<br />

28. 6. im Darmstädter „Broadway“.)<br />

Artur Rümmler<br />

Open-Air-Filmfestival<br />

Das älteste Open-Air-Filmfestival der Bundesrepublik<br />

öff<strong>net</strong> zum 16.mal seine Pforten.<br />

Vom 20. bis 24. August <strong>werden</strong> Amateur-<br />

Kurzfilme aus dem In- und Ausland vorgestellt.<br />

Das Spektrum reicht von kleinen,<br />

schmutzigen Filmen, die mit wenig Geld, a-<br />

ber viel Idealismus und Kreativität gedreht<br />

wurden, bis hin zu kostspieligen High-Tech-<br />

Produktionen. Das Braunshardter Tännchen<br />

in Weiterstadt wird für 4 Tage in ein riesiges<br />

Freiluftkino verwandelt, das Filmemacher<br />

und ZuschauerInnen auch Raum für Gespräche<br />

bietet. Das Abendprogramm wird<br />

täglich (Do-So) um 20 Uhr mit Live-Musik<br />

eröff<strong>net</strong>. Das Kurzfilmprogramm beginnt um<br />

21.30 Uhr mit Einbruch der Dunkelheit und<br />

währt bis früh in die Morgenstunden. Auch<br />

bei Regen heißt es: „Film ab “. Von Fr-So<br />

startet das Kurzfilmprogramm bereits um 14<br />

Uhr im Kommunalen Kino Weiterstadt. Den<br />

Abschluß des Festivals bildet die Vorführung<br />

der besten Filme im Kino um 20 Uhr (begrenzte<br />

Sitzzahl). Filme (Video, Super 8, 16<br />

mm) mit einer Laufzeit bis zu 30 Min. können<br />

noch bis zum 10. Juli eingereicht <strong>werden</strong>,<br />

bei: Kommunales Kino, Filmfest Weiterstadt,<br />

Bahnhofstr. 70, 6108 Weiterstadt, Tel.:<br />

06150/12185. Für alle, die den Einsendeschluß<br />

nicht einhalten können und Superkurz-Filme<br />

haben (höchstens 10 Min.), gibt<br />

es am Sa und So ein Open Screening<br />

(genaue Auskunft erhält man bei der Festival-Leitung<br />

vor Ort).<br />

Kommunales Kino Weiterstadt<br />

reibungslos vollzogen worden. Daß in der<br />

Hauptsache wirtschaftliche Interessen und<br />

das Zurückdrängen fortschrittlicher Tendenzen<br />

die Praxis der Spruchkammern beeinflußten,<br />

versuchte Philipp Benz aufgrund<br />

eigener Erfahrungen darzustellen und die<br />

gesetzlichen Bedingungen, die durch<br />

Zusammenarbeit der Besatzungsmächte<br />

(Kontrollrat) mit den Länderregierungen<br />

entstanden waren, zu erläutern. Er wies<br />

darauf hin, daß er sich trotz seiner Erfahrungen<br />

außerstande sehe, die Bewältigung der<br />

Nazi-Vergangenheit in ihrer ganzen Breite<br />

vorzutragen. Nachdem die Beteiligung staatlicher<br />

Stellen und der Justiz an der Verdrängung<br />

und Verharmlosung faschistischer<br />

Gewaltverbrechen heutzutage bekannt sind,<br />

ebenso wie die Amnestien für verurteilte<br />

Kriegsverbrecher aus Industrie und Diplomatie<br />

seitens der Besatzungsmächte, wird<br />

jetzt Umfang und Ausmaß der Unterstützung<br />

von NS-Verbrechern und Judenmördern<br />

durch die Kirchen beider Konfessionen<br />

bekannt.<br />

Das Gesetz zur Befreiung von Nazismus und<br />

Militarismus vom 5.3.46 war das erste<br />

Gesetz, das maßgeblich mit deutscher Beteiligung<br />

entstand. Die Absicht der Militärregienologie:<br />

„Betroffener“ (nicht Angeklagter),<br />

„öffentlicher Kläger“ (nicht Staatsanwalt)<br />

„Sühnemaßnahmen“ (nicht Strafen),<br />

„Spruch“ (nicht Urteil), „Verantwortlichkeit“<br />

(nicht Schuld). Die Verantwortlichkeit ist in<br />

diesem Gesetz nach Gruppen „Verantwortlicher“<br />

bestimmt: Hauptschuldige, Belastete<br />

(Aktivisten, Militaristen, Nutznießer),<br />

Minderbelastete (Bewährungsgruppe),<br />

Mitläufer und Entlastete unterscheidet der<br />

Gesetzgeber.<br />

Aus der Praxis der Spruchkammern zitiert<br />

Benz einige „Sprüche“: Im 1. Februar 1947<br />

hat die Spruchkammer Nürnberg den vom<br />

Militärtribunal freigesprochen Hans Fritsche<br />

9 Jahren Arbeitslager auferlegt. Nach kurzer<br />

Haft war er wieder frei. Am 16. Januar 1947<br />

beantragt die KPD im hessischen Landtag,<br />

Josias von Waldeck, oberster Gerichtsherr<br />

im KZ Buchenwald, zu enteignen. Befreiungsminister<br />

Binder (SPD) lehnt diesen<br />

Antrag ab. Waldeck wird amnestiert und<br />

behält den größten Grundbesitz Hessens. Er<br />

wird später Schirmherr und Finanzier der<br />

SS-Hilfsorganisation Hiag.<br />

Franz v. Papen, Vizekanzler Hitlers, der als<br />

Reichskanzler am 30.1.33 die Machtübernahme<br />

ermöglichte und am 20. Juli 1932 die<br />

preußische Regierung Braun-Severing durch<br />

einen Staatsstreich entmachtete, wird am<br />

23. Februar 1947 zu 8 Jahren Arbeitslager<br />

verurteilt. Bald darauf ist er wieder frei. Der<br />

öffentliche Ankläger, der den Ministern Maier<br />

(LDP) und Simpfendörfer (CDU) vorwirft, die<br />

Machtübernahme Hitlers unterstützt zu<br />

haben, wird entlassen. Maier stimmte<br />

übrigens wie der spätere Bundespräsident<br />

Heuß in einer Rede am 23.3.1933 dem<br />

Ermächtigungsgesetz zu. Herr von Opel und<br />

andere Wirtschaftsführer <strong>werden</strong> wohl<br />

angeklagt, kommen aber in der Regel mit DM<br />

2000 Sühne davon, obwohl sie am Krieg<br />

kräftig verdient haben.<br />

Am 4. Februar 1947 wird in Nürnberg ein<br />

Bombenanschlag auf das SPD-Büro verübt.<br />

Am 18. März 1947 findet ein Bombenattentat<br />

auf die Spruchkammer in Schlüchtern statt.<br />

Am 25. März 1947 wird in Öhringen, Kreis<br />

Stuttgart, der öffentliche Ankläger Reinhold<br />

Hub, der auch Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes<br />

ist, ermordet.<br />

Jeder zweite Nazis rettete Juden<br />

Philipp Benz konnte ein Spruchkammerverfahren,<br />

in dem er als Belastungszeuge<br />

geladen war, vortragen, das einen Einblick in<br />

die oft geübte Praxis bot: Im Herbst 1933<br />

wurde er mit 7 Kameraden aus Arheilgen in<br />

das damalige KZ Osthofen bei Worms eingeliefert.<br />

In der ersten Spruchkammerverhandlung<br />

wurde der Ortsgruppenleiter der<br />

NSDAP in Arheilgen wegen seiner Mitwirkung<br />

als „belastet“ eingestuft, in der<br />

Berufungsverhandlung jedoch entlastet, weil<br />

ein Zeuge aussagte, er sei vom Weg nach<br />

Osthofen durch denselben Ortsgruppenleiter<br />

verschont geblieben. Der Vorsitzende der<br />

Spruchkammer begründete seinen<br />

Freispruch mit dem Argument, die 8 ehemaligen<br />

Häftlinge seien durch ihre Erlebnisse im<br />

KZ nicht frei von Haß- und Grollgefühlen.<br />

Deshalb seien ihre Aussagen nicht als objektiv<br />

zu bewerten; nur der Entlastungszeuge<br />

sei glaubwürdig. Dies seien keine Einzelfälle<br />

gewesen – so Benz – und sie zeigten die<br />

Praxis der Spruchkammern, zu der auch<br />

Fragebogenfälschungen, Persilscheine,<br />

falsche Zeugenaussagen als Regel zählten.<br />

Jeder Zweite Nationalsozialist hatte demnach<br />

– so Benz – einem Juden das Leben gerettet<br />

oder einen Demokraten vor dem KZ bewahrt.<br />

Kohlesteuer für die NSDAP<br />

Die großen Konzerne, vor allem in der<br />

Schwerindustrie, hatten schon in der<br />

Weimarer Republik faschistische Terrorgruppen<br />

wie die Freikorps und den Stahlhelm<br />

offen finanziell unterstützt. So hatte<br />

Thyssen eine Kohlensteuer erhoben (50 Pfg.<br />

pro Tonne), mit der die Wahlkampagne der<br />

NSDAP finanziert wurde. Der Pressekonzern<br />

v. Hugenberg und die Habsburger Front<br />

sicherten die organisierte Unterstützung des<br />

Großkapitals für den Faschismus. Obwohl<br />

diese Kreise direkt für das nazistische<br />

Regime mitverantwortlich waren, konnten<br />

sie nur dann von der Entnazifizierung erfaßt<br />

<strong>werden</strong>, wenn ihnen eine direkte Verbindung<br />

zur NSDAP nachzuweisen war.<br />

Im Katalog „Fragen an die deutsche<br />

Geschichte“ anläßlich einer Ausstellung im<br />

Reichstag im Jahre 1990 wird die Entnazifizierung<br />

in 19 Zeilen abgehandelt. Zwei Sätze<br />

daraus sind typisch für die Einschätzung der<br />

Regierung und ihrer offiziellen Geschichtsschreiber:<br />

„Im Zuge des Wiederaufbaus und<br />

im Zeichen des kalten Krieges wird das<br />

anfangs rigorose Vorgehen zunehmend<br />

abgemildert, auf deutschen Druck hin<br />

schließlich 1948 de facto eingestellt. Den<br />

hohen, in sie gesetzten Erwartungen, ist die<br />

Entnazifizierung deshalb nicht gerecht<br />

geworden. “<br />

Die Stasi-Aufarbeitung<br />

Rechtsanwalt Dieter Hummel verteidigte mit<br />

Nachdruck die Veröffentlichung und Verfolgung<br />

von Verbrechen des Ministeriums für<br />

Staatssicherheit, der Staatsführung der<br />

ehemaligen DDR und der SED. Damit eine<br />

objektive Beurteilung dieser Tatbestände<br />

gewährleistet sei, müßten nicht die Personen,<br />

sondern ihre Tätigkeit für die Stasi<br />

untersucht und bewertet <strong>werden</strong>. Einen<br />

Auszug aus dem Einigungsvertrag und dem<br />

Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes<br />

der ehemaligen DDR (Stasi-<br />

Unterlagen-Gesetz vom 20.12.1991)<br />

übergab er den Teilnehmern als Orientierungshilfe.<br />

Der Einigungsvertrag I A 5 Seite 410 besagt:<br />

Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche<br />

Kündigung ist insbesondere dann<br />

gegeben, wenn der Arbeitnehmer „gegen die<br />

Gesetze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit<br />

verstoßen hat, insbesondere die<br />

im internationalen Pakt über bürgerliche und<br />

politische Rechte vom 19.12.66 gewährleisteten<br />

Menschenrechte oder die in der allgemeinen<br />

Erklärung der Menschen rechte vom<br />

10.12.48 enthaltenen Grundgesetze verletzt<br />

hat – oder für das frühere Ministerium für<br />

Staatssicherheit, Amt für nationale Sicherheit,<br />

tätig war, und deshalb ein Festhalten am<br />

Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint.“<br />

(Wem drängt sich da nicht der Vergleich mit<br />

den Richtlinien der alten BRD auf, nach<br />

denen Beamte und Anwärter den Nachweis<br />

erbringen mußten, für die freiheitliche<br />

demokratische Grundordnung einzustehen?)<br />

Rechtsanwalt Hummel erklärte eindeutig,<br />

daß die von der Gauck-Behörde vorgelegten<br />

Ermittlungen und Beweise in der Regel ihre<br />

Richtigkeit haben. Informelle Mitarbeiter der<br />

Stasi sind auf alle Fälle untragbar und<br />

müssen die Folgen tragen, was meistens den<br />

Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet und<br />

gerichtliche Schritte nicht ausschließt. RA<br />

Hummel: „Wem kriminelle Handlungen nicht<br />

gemessen an DDR-Recht, sondern an den<br />

Grundsätzen der Menschenrechte, vorzuwerfen<br />

sind, kann nicht mehr Richter, kann<br />

nicht mehr Staatsanwalt sein. Wer auf<br />

Demonstranten einprügelte, wer im Gefängnis<br />

malträtierte, hat kein Recht mehr auf eine<br />

Uniform.“ Gleichzeitig dürfe Vergangenheitsbewältigung<br />

aber nicht damit ihr<br />

Bewenden haben, daß sie sich in rechtlichen<br />

Strukturen erschöpft.<br />

Die Großen <strong>werden</strong> geschont<br />

Wie Benz gebrauchte auch er Vergleiche, die<br />

beweisen sollen, daß auch in den neuen<br />

Bundesländern die Großen geschont und nur<br />

die Kleinen sich zu verantworten hätten. Der<br />

Stellvertreter des Staatssicherheitsministers<br />

Mielcke, General Neiper, baue sich zur Zeit<br />

eine Villa und bleibe unbehelligt. Er fügte<br />

aber hinzu, daß verschiedene Personen, zu<br />

denen auch Schalck-Golodkowski gehört,<br />

von Interesse für den Bundesnachrichtendienst<br />

sind. Die großen Industriekombinate<br />

würden nach wie vor von den alten<br />

Managern und Direktoren verwaltet. Nur in<br />

kleinen und mittelständischen Betrieben<br />

hätten Wechsel stattgefunden. Ehemalige<br />

Mitglieder der SED können auf weniger<br />

Schonung rechnen als ehemalige Mitglieder<br />

von Blockparteien, von denen nicht wenige<br />

nach der Wende in höchste Staats- und<br />

Verwaltungsämter gelangten.<br />

Keine Gleichsetzung<br />

Benz widersprach der These, die Bewertung<br />

des Stasi-Komplexes und die Entnazifizierung<br />

seien gleichzusetzen; in der Behandlung<br />

und Aufarbeitung gebe es große Unterschiede.<br />

Die Vergangenheitsbewältigung in<br />

der BRD war 1948 abgeschlossen und war<br />

eher eine Rehabilitierung der Schuldigen als<br />

eine Sühne. Was jetzt in den neuen Bundesländern<br />

als Aufarbeitung bezeich<strong>net</strong> werde,<br />

ähnele sehr den Maßregelungen und Verfolgungen<br />

republikanischer Beamter,<br />

Funktionären linker Parteien und Gewerkschaften<br />

im Jahre 1933.<br />

Die Vorträge und die Diskussion hat nicht<br />

alle Fragen beantworten können, dafür sind<br />

die Themen zu vielschichtig, aber es bleibt<br />

das Verdienst der Veranstalter und ihres<br />

Vorsitzenden, einen Anfang eingeleitet zu<br />

haben.<br />

F. Demokrit


Die erste internationale Konferenz für Umweltschutz<br />

Reden – Beobachtungen – Interview<br />

Meine Damen und Herren,<br />

von dieser Konferenz in Rio de Janeiro<br />

muß eine Botschaft ausgehen – die Botschaft<br />

der Solidarität, der gleichberechtigten<br />

Partnerschaft aller Völker und der gemeinsamen<br />

Verantwortung für die eine<br />

Welt. Wir leben in einer Zeit dramatischer<br />

Veränderungen. Wir in Deutschland haben<br />

in besonderer Weise erfahren, welch große<br />

Chance um die Herausforderung dies für<br />

uns alle bedeutet.<br />

Dies aufnehmen heißt auch: Weltweiten<br />

Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung<br />

durch gemeinsames Handeln von Industrie-<br />

und Entwicklungsländern zu sichern.<br />

Die Industrieländer müssen sich dabei<br />

ihrer besonderen Verantwortung bewußt<br />

sein. Wir sind deshalb gefordert,<br />

künftig weit sorgsamer als bisher mit den<br />

natürlichen Ressourcen umzugehen. Wir<br />

müssen vorhandene technologische Möglichkeiten<br />

besser ausschöpfen und neue<br />

umweltgerechte Techniken entwickeln.<br />

Diese Kenntnisse wollen wir auch einsetzen,<br />

um den Entwicklungsländern bei ihrer<br />

Entwicklung zur Seite zu stehen. dafür<br />

brauchen sie <strong>unsere</strong> Unterstützung.<br />

Entscheidend dafür sind auch nationale<br />

und internationale Rahmenbedingungen,<br />

die eine ökologisch verträgliche Entwicklung<br />

sichern. Deshalb will ich meinen Beitrag<br />

für einen erfolgreichen Abschluß der<br />

GATT-Verhandlungen leisten. Diese<br />

Konferenz hat gute Fortschritte gemacht.<br />

Wir haben einen Prozeß neuer welt<strong>weiter</strong><br />

Partnerschaft in Gang gebracht.<br />

Die Agenda 21, die Rio-Deklaration und<br />

die Erklärung zu Wäldern sind eine tragfähige<br />

Grundlage für <strong>weiter</strong>e konkrete Maßnahmen.<br />

Die Konvention zur Artenvielfalt<br />

und die Klimaschutzkonvention <strong>werden</strong><br />

zu einem wirksameren globalen Schutz<br />

der Umwelt beitragen. Deshalb werde ich<br />

beide Konventionen hier unterzeichnen.<br />

In den kommenden Jahren müssen <strong>weiter</strong>e<br />

Schritte zur Reduzierung der Treibhausgase<br />

folgen. Deutschland hat als erstes großes<br />

Industrieland für das Jahr 2005 das<br />

Ziel einer Reduzierung der CO2-Emissionen<br />

um 25 bis 30 Prozent beschlossen. Wir<br />

sehen dies als Signal für ein gemeinsames<br />

Vorgehen aller Industriestaaten. Ich lade<br />

zur ersten Folgekonferenz der Klimaschutzkonvention<br />

nach Deutschland ein.<br />

Der Schutz der Wälder weltweit ist mir<br />

seit langem ein besonderes Anliegen, und<br />

ich begrüße deshalb auch die Initiative von<br />

Präsident George Bush. Ich hoffe, daß wir<br />

trotz aller Schwierigkeiten eine Waldkonvention<br />

erreichen <strong>werden</strong>. Diese wird zusammen<br />

mit der beabsichtigten Wüstenkonvention<br />

zur Erhaltung <strong>unsere</strong>r Lebensgrundlangen<br />

beitragen.<br />

Wir Deutschen stehen nach der Wiedervereinigung<br />

<strong>unsere</strong>s Vaterlandes vor besonderen<br />

Herausforderungen:<br />

1. Wir stehen in der Verantwortung gegenüber<br />

17 Millionen Landsleuten, die sich<br />

für die Freiheit und für die Einheit <strong>unsere</strong>s<br />

Landes entschieden haben. Sie verlangen<br />

nun zurecht gleiche Chancen auch für ihre<br />

Zukunft. Die verlangt von uns große Anstrengungen.<br />

2. Deutschland empfindet gegenüber seinen<br />

Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa<br />

eine besondere Verantwortung.<br />

Wir unterstützen deshalb den demokratisch<br />

und wirtschaftlichen Aufbau in diesen<br />

Ländern mit einem großen Hilfsprogramm.<br />

3. Trotz dieser großen Anstrengungen sind<br />

wir fest entschlossen, <strong>unsere</strong>r Verantwortung<br />

für die Entwicklungsländer gerecht<br />

zu <strong>werden</strong>. Wir wissen, daß dies auch ein<br />

Beitrag zur Sicherung <strong>unsere</strong>r eigenen Zukunft<br />

ist. Wir bekennen uns deshalb zur<br />

Verstärkung der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

und bestätigen ausdrücklich das<br />

0,7-Prozent-Ziel. Wir wollen so bald wie<br />

möglich erreichen, daß hierfür 0,7 Prozent<br />

des Bruttosozialprodukts eingesetzt <strong>werden</strong>.<br />

Dabei weise ich darauf hin, daß die<br />

Hilfen Deutschlands für seine östlichen<br />

Nachbarn angemessen zu berücksichtigen<br />

sind. Deutschland schlägt für globale Umweltmaßnahmen<br />

eine Aufstockung der<br />

AUSLAND<br />

Streiflichter von der UNCED<br />

Unser Autor, Axel Brodehl, wurde in Bonn mit dem Preis „Jugend forscht“ ausgezeich<strong>net</strong>. Er sprach in Bonn bei<br />

der Preisverleihung Bundeskanzler Kohl an und bat darum, mit auf die Umweltkonferenz nach Rio de Janeiro<br />

fahren zu dürfen. Kohl verwies ihn an das Bundespresseamt, und dies verlangte eine Akkreditierung als Journalist.<br />

Ein Freund engagierte sich und fragte beim stolzen Darmstädter Echo an, bekam wie erwartet einen Korb<br />

verpaßt, und besann sich dann auf die „Zeitung für Darmstadt“. So eine Akkreditierung ist ein Stück Papier,<br />

bedeutet nicht viel Arbeit, und warum sollte man einem Jungendlichen nicht die Möglichkeit geben? Zu <strong>unsere</strong>r<br />

großen Überraschung kam dann ein Fax nach dem anderen.<br />

„Drängende Menschheitsfragen“<br />

Rede von Bundeskanzler Kohl vor der UNCED<br />

globalen Umweltfazilität (GEF) um drei<br />

Milliarden Sonderziehungsrechte vor. Wir<br />

sind bereit, <strong>unsere</strong>n Anteil dazu zu leisten<br />

und bitten die anderen Industrieländer,<br />

ebenso zu handeln. Wir wollen, daß bei<br />

der Vergabe dieser Mittel die Entwicklungsländer<br />

einen angemessenen Einfluß<br />

erhalten. Deutschland hat in der Vergangenheit<br />

bereits in großem Umfang Schuldenerlasse<br />

gewährt. Bisher haben wir auf<br />

Forderungen von rund neuen Milliarden<br />

DM verzichtet. Weitere Entschuldungen<br />

zugunsten ärmerer Länder gegen entsprechende<br />

Umweltschutzmaßnahmen wollen<br />

wir gemeinsam mit anderen Staaten vornehmen.<br />

Die Entwicklungsländer sollen damit zusätzliche<br />

Möglichkeiten erhalten, ihre<br />

wirtschaftliche und soziale Entwicklung<br />

im Einklang mit der Natur voranzubringen.<br />

Eine gute Entwicklung ist nur möglich,<br />

wenn wir die Gegensätze nicht nur zwischen<br />

den Völkern abbauen, sondern auch<br />

zwischen Mensch und Natur. Eine friedliche<br />

Zukunft der Menschheit wird nur gesichert<br />

sein, wenn wir auch den Frieden mit<br />

der Natur finden.<br />

Dieser Erdgipfel belegt auch, wie wichtig<br />

es war, daß ich 1988 beim Wirtschaftsgipfel<br />

in Toronto angeregt habe, den globalen<br />

Umweltschutz zu einem ständigen Anliegen<br />

der sieben Industrienationen zu machen.<br />

Kommende Generationen <strong>werden</strong> unser<br />

Handeln in erster Linie daran messen, ob<br />

wir <strong>unsere</strong>r Verpflichtung zur Bewahrung<br />

der Schöpfung und auch zur Bekämpfung<br />

der Armut nachgekommen sind. In ihrem<br />

Interesse wollen wir alle diese lebenswichtige<br />

Aufgaben fortan in den Mittelpunkt<br />

der internationalen Politik stellen.<br />

Dieses Treffen von Rio hat uns dabei vorangebracht.<br />

Wir haben einen dynamischen<br />

Prozeß eingeleitet, der uns in welt<strong>weiter</strong><br />

Partnerschaft bei der Lösung der drängenden<br />

Zukunftsfragen der Menschheit voranbringen<br />

wird. Die Bundesrepublik<br />

Deutschland bekennt sich zu dieser Verantwortung.<br />

Was will Bush<br />

in Rio?<br />

Vor der UNCED in Rio versprach der<br />

Präsident der USA, George Bush, daß er<br />

bereit sei, den Betrag der internationalen<br />

Umwelthilfe um 66% gegenüber 1990 zu<br />

steigern, wenn es der Kongress billige.<br />

Bush vergaß zu erwähnen, daß dies<br />

lediglich 732 Mio US$ bedeutet, die USA<br />

aber eine Ausgabe von 27,28 Mrd. US$<br />

jährlich versprechen müßten, um das Ziel<br />

der UNO von 0,7 % des Bruttosozialprodukts<br />

zu erreichen.<br />

Andrew Lees von der Organisation<br />

Freunde der Internationalen Erde meinte<br />

dazu, Bush setze seinen Ehrgeiz, wiedergewählt<br />

zu <strong>werden</strong>, höher als seine Sorgen<br />

um die Umwelt. Er spreche darüber,<br />

den Pla<strong>net</strong>en zu retten, anstatt seine Weigerung<br />

zu begründen, weshalb er das Klima-<br />

und Artenschutzabkommen nicht<br />

unterschreiben wolle. Bush begründet<br />

seine Haltung mit den Interessen der<br />

amerikanischen Wirtschaft und blockiere<br />

der Hoffnungen auf eine weltweite Entwicklung.<br />

Bushs Feindseligkeit gegenüber staatlicher<br />

Kontrolle wurde deutlich in seiner<br />

Beschreibung der Umwelt- und Gesundheitskrisen<br />

Osteuropas. Er unterschreibe<br />

nicht, weil durch eine solche Handlung<br />

der Fortschritt der Biotechnologie<br />

gehemmt werde.<br />

So stellt sich die Frage,warum er in Rio<br />

auf der UNCED überhaupt erschienen ist.<br />

Kam er weil alle Staatschefs sich versammelt<br />

haben und ein Fortbleiben auffallen<br />

würde? Oder war es ein Zugeständnis an<br />

bevorstehende Präsidentschaftswahlen?<br />

Die Entwicklungsländer zeigen keinerlei<br />

Verständnis.Nur Kohl äußert eine wohlwollende<br />

Meinung über Bush .<br />

500 Jahre Amerika im Darmstädter Konsumtempel (Foto as)<br />

Interview mit Sambias<br />

Umweltminister Keli Walubita<br />

Keli Walubita Sambias Minister für<br />

Umwelt und Fossilien, erklärte, daß er vor<br />

der UNCED keine Vorstellung gehabt hätte<br />

über das, was auf ihn zukomme. Er hätte<br />

noch nicht einmal gewußt, ob es möglich<br />

sei, so eine Veranstaltung zu verwirklichen.<br />

Auch hätte er keine Vorstellung<br />

gehabt, wie groß die Zahl der Staaten und<br />

die der Teilnehmer sein könnte. Es sei das<br />

erste Mal, daß der Mensch von überall<br />

zusammen käme, um über die Erde und<br />

ihre Zukunft zu beraten. Die Erdenbewohner<br />

verhandelten über ihre eigene Existenz.<br />

Viele der Umweltminister diskutierten<br />

jeweils nicht nur zum Wohl des eigenen<br />

Volkes.<br />

Ob sein Volk über die Umweltprobleme<br />

informiert ist? Die Bevölkerung seines<br />

Landes wäre gut informiert – nicht zuletzt<br />

durch ihn. Er sei der erste Umweltminister<br />

von Sambia. Vor seiner Regierung hätte<br />

30 Jahre Kaunda die Macht gehabt bis<br />

1991. Sie hätten nach der Machtübernahme<br />

ein nationales Umweltkonzil gegründet<br />

und würden sich jetzt für die Bewahrung<br />

der Umwelt und um die Kontrolle<br />

über die Verschmutzung kümmern. Vor<br />

der UNCED habe sich die Regierung mit<br />

non-governmental organizations wie Greenpeace,<br />

world-wildlife-found und anderen<br />

zusammengesetzt, um für die Bevölkerung<br />

einen Bericht zu schreiben, der jede<br />

Ecke des Lande erreicht habe.<br />

Was die Europäer für sein Land tun können?<br />

Europa spiele eine wichtige Rolle, es<br />

habe die Technologie. Diese sollten die<br />

Staaten der G77-Länder versuchen zu<br />

kopieren. Er wünscht von den Industrienationen,<br />

daß sie die Abkommen unterzeichnen,<br />

denn sie hätten die Technologie und<br />

die Erfahrung und gerade von dieser wollten<br />

sie profitieren. Denn die Industriestaaten<br />

wüßten genau, wie die Probleme gelöst<br />

<strong>werden</strong> könnten.<br />

Welches die Hauptprobleme seines Landes<br />

sind? Da gebe es zum Beispiel die vielen<br />

Minen. Die Maschinen seien alt und<br />

Ursache für erhebliche Luftverschmutzung.<br />

Oft hätten sie Smog. Auch hätten sie<br />

sehr viel Sulfatoxygen in der Luft.<br />

Dadurch würden viele Pflanzen geschädigt<br />

und Krankheiten wie Hautallergien und<br />

rote Augen würden auftreten. Auch die<br />

Ein <strong>weiter</strong>er schwarzer Tag in der<br />

Geschichte der zivilisierten Menschheit –<br />

wieder ist ein menschliches Wesen planmäßig<br />

auf einer Art elektrischem Grill zu<br />

Tode gequält worden, um die niederen<br />

Instinkte der fehlgeleiteten Mehrheit einer<br />

Nation zufriedenzustellen, die sich gern in<br />

der Rolle des Weltgewissens sieht.<br />

War Roger Keith Coleman ein Mörder?<br />

Das ist keineswegs klar, betrachtet man all<br />

die Beweise, die unter verfahrenstechnischen<br />

Vorwänden nicht mehr zugelassen<br />

Verschmutzung des Wassers sei eines der<br />

Hauptprobleme, so würden zum Beispiel<br />

alle Abwässer der Firmen in den Hauptfluß<br />

geleitet. Aus diesem holt die Bevölkerung<br />

das Wasser für den täglichen<br />

Gebrauch. Walubita ist der Ansicht, daß er<br />

von der UNCED mit noch offeneren<br />

Augen zurückkommen werde und seinem<br />

Volk noch mehr helfen könnte. Auch habe<br />

er viele Kontakte geknüpft, von denen er<br />

sich verspräche, daß er auch nach der Konferenz<br />

auf Hilfe hoffen könne.<br />

Nach seiner Rückkehr wolle er in seinem<br />

Land nur noch organische Schädlingsbekämpfungsmittel<br />

verteilen lassen. Da<br />

sein Land darüberhinaus so gut wie keinen<br />

Wald mehr habe, weil er als Holz verkauft<br />

und Brandrodung betrieben worden sei. Er<br />

wolle jetzt viele neue Bäume pflanzen lassen.<br />

Dabei arbeite er schon mit den Amerikanern<br />

„Hand in Hand“.<br />

Was er von der finanziellen Unterstützung<br />

Europas hält?<br />

Sambia, so Walubita, erhalte Hilfe von<br />

vielen Ländern, so daß er garnicht böse<br />

über die finanzielle Unterstützung anderer<br />

sein könnte; auch wenn einige meinten,<br />

alle afrikanischen und anderen Entwicklungsländer<br />

müßten dies sein. Auch würden<br />

sich viele UN-Organisationen um das<br />

Wohl der Menschen und der Natur – was<br />

man nicht getrennt sehen dürfe – in Sambia<br />

kümmern. <strong>Und</strong> es käme noch die<br />

Unterstützung durch die Banken dazu.<br />

Seine Mitteilung an die Welt: Es ist das<br />

erste Mal, daß Menschen von der ganzen<br />

Erde zusammenkommen seien und einen<br />

Sinn im Zusammenhandeln sähen. Jeder<br />

Punkt von den Verhandlungen der<br />

UNCED müsse verfolgt <strong>werden</strong>, um die<br />

Menschheit zu bewahren und die Mutter<br />

Erde so zu verlassen, wie wir sie vorgefunden<br />

hätten. Unseren <strong>Kinder</strong>n und Enkelkindern<br />

müßten wir die Chancen geben,<br />

die wir hatten. Die Industriestaaten sollten<br />

ihr Vergnügen genau kennen und gut überlegt<br />

einsetzen, um das Gute, das sie besitzen,<br />

zu ehren. Wichtigster Punkt der Konferenz<br />

sei die Agenda 21, die über die allgemeinen<br />

Prinzipien wie mit der Umwelt<br />

umgegangen wird, bestimmt. Diese Akte<br />

würde die Menschen in Zukunft leiten.<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 8<br />

Mörderische Gerechtigkeit<br />

Zum Tod von Roger Keith Coleman<br />

wurden. Es ist schrecklich einfach: Coleman<br />

war ziemlich chancenlos, denn er<br />

konnte keinen erfahrenen, ehrgeizigen,<br />

teuren Anwalt bezahlen. Wer in den USA<br />

(und nicht nur dort) nicht reich – an Geld<br />

und/oder Beziehungen – ist, hat schlechte<br />

Chancen, Präsident zu <strong>werden</strong> – oder dem<br />

Gefängnis zu entrinnen, in das er, unschuldig<br />

oder nicht, geraten ist.<br />

<strong>Und</strong> wenn er ein Mörder war: hat er eine<br />

solche Strafe verdient? Wanda McCoy,<br />

das Mordopfer, mußte vor ihrem gewaltsamen<br />

Tod eine schreckliche halbe Stunde<br />

leiden; Coleman hat zehn Jahre lang täglich<br />

auf den Tod gewartet. Hat irgendjemand<br />

eine solche Strafe verdient?<br />

Es ist ein trauriges Faktum: seit es Menschen<br />

gibt, wird gemordet. Ein Mensch<br />

tötet einen anderen Menschen: ein Individuum<br />

mit einem Defizit an Werteorientierung,<br />

seelisch krank oder von üblem Trieb<br />

gelenkt, verletzt ein Prinzip, das für das<br />

Zusammenleben in der Gesellschaft unerläßlich<br />

ist – zumindest in der Daseinsform,<br />

die wir als Frieden bezeichnen. Schließlich<br />

gestattet diese Gesellschaft Ausnahmen,<br />

genannt Krieg oder Notwehr – und spricht<br />

dann nicht mehr von Mord, zu dem ja nach<br />

juristischer Definition die niedrigen<br />

Beweggründe gehören.<br />

Das Gebot „Du sollst nicht töten“ ist eine<br />

sehr einfache Regel, die nicht nur für Christen<br />

– auch solche der doppelmoralischen<br />

Art – universale Gültigkeit beansprucht.<br />

Wer die Ermordung des Mörders für einen<br />

moralischen Akt hält, befindet sich im Irrtum<br />

– hier findet der Umschlag in die<br />

Unmenschlichkeit statt.<br />

Die Todesstrafe ist unmoralisch, und nutzlos<br />

ist sie auch. Wanda McCoy wird durch<br />

den zusätzlichen, ebenso sinnlosen Tod<br />

Roger Colemans nicht wieder lebendig,<br />

und die Zahl der Morde wird auch nicht<br />

abnehmen.<br />

Keine Gesellschaft kann einem Gesetz<br />

Respekt verschaffen, in dessen Namen sie<br />

töten läßt. Wenn Menschenrechte respektiert<br />

<strong>werden</strong> sollen, darf die Justiz sich<br />

nicht selbst gegen sie vergehen – durch<br />

sinnlosen, gnadenlosen, institutionalisierten<br />

Mord. Roger Coleman: war er ein<br />

Mörder? Wir <strong>werden</strong> es wohl nie erfahren.<br />

Die Richter, die diesen Menschen zum<br />

Tode verurteilt haben, die ehrenwerten,<br />

furchtbaren alten Männer vom Supreme<br />

Court (samt der Alibi-Frau und dem Alibi-<br />

Schwarzen), die populären Kopf-ab-Politiker<br />

und Wahlstrategen, der Gouverneur,<br />

der zuletzt die Begnadigung ablehnte: wie<br />

nennen wir sie?<br />

Peter Horn<br />

Die Vita<br />

Roger Keith Coleman, 33 Jahre alt,<br />

starb am 20. Mai 1992 im Gefängnis<br />

von Jarratt im US-Bundesstaat Virginia<br />

auf dem elektrischen Stuhl. Er<br />

hatte bis zum letzten Augenblick seine<br />

Unschuld beteuert. Namhafte<br />

Rechtsgelehrte hatten sich für ihn eingesetzt<br />

und Bürgerrechtsgruppen<br />

Tausende von Unterschriften gesammelt.<br />

Er wurde schuldig gesprochen, im<br />

März 1981 seine Schwägerin Wanda<br />

McCoy vergewaltigt und ermordet zu<br />

haben. Verurteilt wurde Coleman in<br />

einem Indizienprozeß, der viele<br />

Ungereimtheiten aufwies. Vertreten<br />

wurde er von einem unerfahrenen,<br />

überforderten Pflichtverteidiger.<br />

Dieser hatte eine Frist um einen Tag<br />

verpaßt, so daß ein Berufungsverfahren<br />

auf Grund neuer Beweise nicht<br />

zustande kam.<br />

Colemans Hinrichtung war die 174. ,<br />

seit der Supreme Court, der oberste<br />

Gerichtshof der Vereinigten Staaten,<br />

1976 die Todesstrafe für verfassungsgemäß<br />

erklärt hatte. In den folgenden<br />

Jahren hatten die Richter des Supreme<br />

Court eine große Zahl der von<br />

ihnen überprüften Todesurteile aufgehoben.<br />

Seit in den der Amtsperioden<br />

der Präsidenten Reagan und Bush die<br />

liberaleren der obersten Richter ausgewechselt<br />

worden sind, <strong>werden</strong><br />

immer mehr Todesurteile vollstreckt.<br />

In den USA <strong>werden</strong> zur Zeit pro Jahr<br />

bei etwa 20.000 Tötungsdelikten rund<br />

250 Menschen zum Tode verurteilt.<br />

Umfragen zufolge befürworten über<br />

drei Viertel der US-Bevölkerung die<br />

Todesstrafe. Der „Spiegel“ führte die<br />

neuerliche Vollstreckungswelle auf<br />

den bevorstehenden Wahlkampf zurück,<br />

in dem konservative Härte<br />

Trumpf sein soll.


„Ich war an Mordanschlägen beteiligt“<br />

Der als Terrorist der Roten Armee Fraktion<br />

(RAF) verurteilte Peter-Jürgen Boock hat<br />

jetzt begründet, warum er sich während seines<br />

laufenden Gnadenverfahrens zur Beteiligung<br />

an Anschlägen und Morden bekannt<br />

Lieber Klaus,<br />

ich schiebe diesen Brief schon einige Tage<br />

vor mir her, denn es fällt mir schwer, einen<br />

Anfang zu finden. Ich habe mich so lange<br />

bei dir/euch nicht mehr gemeldet, weil ich<br />

mich geschämt habe. Ich habe in der Vergangenheit,<br />

was meine Beteiligung an den<br />

RAF-Mordanschlägen angeht, dich und alle<br />

anderen belogen. Aus Angst, aus Feigheit<br />

und aus der Unfähigkeit heraus, noch zu<br />

den mörderischen Taten zu stehen, an<br />

denen ich aktiv beteiligt war, habe ich mich<br />

Lieber Peter-Jürgen Boock,<br />

Deinen Brief vom 13. Mai 1992 haben wir –<br />

leider zeitgleich mit den Veröffentlichungen<br />

im SPIEGEL und den Tageszeitungen vom<br />

18. Mai 1992 – erhalten. Befremdet hat uns<br />

dieser Brief insofern, als er sich wie eine Art<br />

„Pflichtübung“ liest: aber dies ist vielleicht<br />

Deiner Gemütsverfassung zuzuschreiben,<br />

und wir wollen auch nicht ausschließen,<br />

daß wir in dieser Sache, in der wir uns über<br />

Jahre außerordentlich engagiert – und<br />

gleichsam auch für die Wahrheit Deiner Angaben<br />

verbürgt haben, uns ganz persönlich<br />

getäuscht und dabei auch verletzt fühlen.<br />

Wie dem auch sei:<br />

Daß etwas „im Busche“ war,<br />

ahnten wir seit den gerichts- und<br />

öffentlichkeitsbekannten Aussagen<br />

von Susanne Albrecht u.a.,<br />

die infolge der Entwicklungen in der<br />

ehemaligen DDR gefaßt worden<br />

und die teilweise auch als<br />

„Kronzeugen“ aufgetreten sind.<br />

Wir haben Dir seinerzeit je getrennt und<br />

miteineinder unabgesprochen ähnlich<br />

argumentierende Briefe geschrieben<br />

(Herbst 1990). In denselben haben wir Dir<br />

unser Interesse zur Wiederaufnahme der<br />

von Dir etwa 1988 abgebrochenen Kommunikation<br />

signalisiert, vorsichtige Fragen<br />

gestellt, aber zugleich auch mitgeteilt, daß<br />

wir nicht aufgrund neu bekannt gewordener<br />

Fragen oder gar Tatsachen alles, was wir im<br />

Zusammenhang der Stammheimer Prozesse<br />

vertreten haben, im „neuen Lichte“ für<br />

falsch und unvertretbar halten könnten.<br />

Eher im Gegenteil: uneingeschränkt galt<br />

und gilt Dein für die damaligen Verhältnisse<br />

früher und konsequenter Bruch zum RAF-<br />

Terrorismus, also Dein Aussteigen, noch<br />

bevor Du verhaftet wurdest. Deshalb ist es<br />

schade, daß Du auf <strong>unsere</strong> Briefe nicht<br />

geantwortet hast.<br />

Nun ist es infolge Deiner Aussagen wohl<br />

zur Gewißheit geworden (denn prinzipiell<br />

müssen Selbstentschuldigungen nicht richtiger<br />

oder falscher sein als Selbstbezichtigungen).<br />

Du hast 1977 an viel mehr Terroraktionen<br />

der RAF teilgenommen, als Du das<br />

Gericht, Deine Verteidiger und uns wie viele<br />

andere hast glauben machen wollen. Du<br />

hast getötet. Wir haben wie viele andere<br />

auch Deinen Aussagen im Kern geglaubt.<br />

Wir fanden sie stimmig und überzeugend.<br />

Mit <strong>unsere</strong>n bescheidenen Mitteln, die aber<br />

für uns und für das Komitee für Grundrechte<br />

und Demokratie ziemlich aufwendig<br />

waren, ja zuweilen fast die Grenze <strong>unsere</strong>r<br />

Kraft erreichten, haben wir deswegen auch<br />

andere davon zu überzeugen versucht, daß<br />

sie sich auf Deine Aussagen verlassen<br />

könnten. Etwa im Falle der Familie von<br />

Braunmühl, aber auch in öffentlichen<br />

Erklärungen, Publikationen und einer in diesem<br />

Falle sehr umfangreichen Korrespondenz<br />

mit besorgten Bürgerinnen und Bürgern.<br />

Nun, wir haben uns selbst getäuscht und<br />

sind von Dir getäuscht worden. Deswegen<br />

verachten wir Dich nicht. Wie könnten wir?!<br />

Verachtung ist ohnehin eine Stimmung und<br />

eine Haltung, die uns fremd ist, weil wir sie<br />

nicht mit <strong>unsere</strong>m menschenrechtlichen<br />

Politikverständnis in Übereinstimmung<br />

hat. An den Sprecher des Komitees für<br />

Grundrechte und Demokratie, Klaus Vack<br />

(Sensbachtal), schrieb er aus seiner Hamburger<br />

Haftanstalt einen Brief, den wir im<br />

Wortlaut veröffentlichen:<br />

bringen könnten. Wir sind aber als selbstund<br />

fremdgetäuscht ziemlich traurig darüber,<br />

daß die zwischen uns damals aufgekeimte,<br />

zeitweise fast aufgeblühte Freundschaft<br />

es Dir nicht erlaubt hat, uns reineren<br />

Wein über Deine Vergangenheit einzuschenken.<br />

Freilich: Die von uns vielleicht zu<br />

wenig beachteten Hindernisse dafür, die<br />

ganze Wahrheit zu sagen, waren hoch.<br />

Sicher stehen wir jetzt, stehen alle, die sich<br />

uneingeschränkt und uneigennützig für<br />

Dich verwendet haben, nicht gerade gut da.<br />

Vor allem aber bedauern wir, daß Du Deine<br />

eigene Sache erheblich erschwert hast,<br />

wenngleich die Stimmung der kalten<br />

Rache, die gerade Dein Stammheimer Verfahren<br />

durchatmete, ein wenig gedämpfter<br />

geworden zu sein scheint.<br />

Es wäre falsch und wir verhielten uns Dir<br />

gegenüber unehrlich, wenn wir Dir über<br />

<strong>unsere</strong> Reaktionen auf Deine Offenbarungen<br />

ein X für ein U vormachten. Wir können<br />

darüber nicht einfach mit den Achseln<br />

zucken und zur Tagesordnung übergehen.<br />

Freilich: Ebenso falsch wäre es, wir würden<br />

Dir gegenüber nun als selbsternannte neue<br />

Ankläger auftreten und uns darüberbeklagen,<br />

daß wir Dir vertraut haben und daß wir<br />

für Deine Sache, genauer, für Deine Person<br />

eingetreten und uns für Dich verbürgt<br />

haben. Aus ähnlichen Motiven,wie sie Heinrich<br />

Hannover in seinem Interview mit<br />

Ingrid Müller-Münch geäußert hat, dürfen<br />

wir bei aller Enttäuschung und Trauer die<br />

damalige Situation, beginnend mit Deiner<br />

Festnahme 1981, nicht aus dem Blick verlieren.<br />

Das Stammheimer Verfahren, bestimmt<br />

von Bundesanwaltschaft und Gericht, war,<br />

angefangen mit dem Ort, Mehrzweckgebäude<br />

und Haftanstalt Stammheim, nie zu<br />

akzeptieren. Es ist auch rückwärtig im Lichte<br />

heutiger Einsichten, Deinen Aussagen,<br />

nicht zu verteidigen.<br />

Hier wurde ein gnadenloser Prozeß<br />

in Szene gesetzt, der das anklagende<br />

und urteilende Tribunal selbst<br />

verurteilte.<br />

Jedenfalls galt und gilt diese Beurteilung<br />

dann, wenn menschenrechtliche Maßstäbe<br />

angelegt <strong>werden</strong>: uneingeschränkt selbst<br />

wenn man berücksichtigt, daß Du an terroristischem<br />

Mord direkt beteiligt warst.<br />

Du und Deine Verteidigung hatten von<br />

Anfang an nicht die Spur einer Chance. <strong>Und</strong><br />

du hattest auch, das haben wir uns seinerzeit<br />

zu wenig klargemacht, nicht viele Chancen,<br />

Dich zu verteidigen, ohne abgrundtief<br />

zu täuschen. Wie solltest Du Dich auch ins<br />

Freie sprechen können, der Du nach<br />

schlimmer Fürsorgeerziehung bei der RAF<br />

gelandet, eine totale Situation, die der RAF,<br />

nach kurzem verborgenem Zwischenspiel<br />

mit einer nächsten, die der Anklage und des<br />

Prozesses, austauschtest? Untersuchungshaft,<br />

Anklage und Gericht ließen Dir nicht<br />

einen Deut der „fairen Chance“, von der der<br />

seinerzeitige Innenminister Baum zwar<br />

gesprochen hatte, aber keine Taten folgen<br />

ließ.<br />

Wir aber, von dem überaus angetan, wie Du<br />

der RAF aufgekündigt hattest, wie Du Dich<br />

einem anderen Wirklichkeits- und Politikverständnis<br />

zuzuwenden suchtest, wollten<br />

vielleicht auch zu sehr glauben, gerade<br />

OFFENE BRIEFE<br />

Briefwechsel: RAF-Mitglied Boock und Klaus Vack<br />

in ein Netz aus Halbwahrheiten und Lügen<br />

geflüchtet und damit der Sache großen<br />

Schaden zugefügt.<br />

Nach dem Zusammenbruch der DDR und<br />

der Rückkehr der Aussteiger aus der RAF<br />

habe ich mich vor einigen Wochen entschieden,<br />

nun endlich reinen Tisch mit meiner<br />

Sache zu machen und umfassend gegenüber<br />

der Bundesanwaltschaft auszusagen.<br />

Allerdings bin ich nach wie vor nicht<br />

bereit, andere RAF-Mitglieder zu belasten<br />

und ich will auch keine Kronzeugenregelung<br />

für mich in Anspruch nehmen. Ausschlaggebend<br />

für meine Entscheidung war<br />

das neue Ermittlungsverfahren gegen Angelika<br />

Speitel wegen einer unterstellten Beteiligung<br />

an der Schleyer-Entführung. Nur<br />

zu sagen, daß sie daran nicht beteiligt war,<br />

aber ansonsten zu schweigen, hätte nicht<br />

ausgereicht, sie zu entlasten. Auch bei einigen<br />

der DDR-Rückkehrer, wie etwa dem<br />

Ehepaar Friedrich, deren Geradlinigkeit ich<br />

beeindruckend finde, kann ich nicht einfach<br />

zusehen, wie sie womöglich wegen Taten<br />

verurteilt <strong>werden</strong>, für die ich Mitverantwortung<br />

trage.<br />

Ich war – bis auf den Mordanschlag an<br />

Generalbundesanwalt Buback – an allen<br />

RAF-Anschlägen des Jahres 77 aktiv beteiligt,<br />

ich habe geschossen und muß davon<br />

ausgehen, daß ich auch getötet habe.<br />

„Wir fühlen uns persönlich verletzt und getäuscht“<br />

einen „idealen“ ehemaligen RAF-Angehörigen<br />

getroffen zu haben. Wir haben Dich,<br />

das ist <strong>unsere</strong> eigene Schuld und gehört zu<br />

der Selbsttäuschung, die niemand gerne<br />

eingesteht, zu wenig in Deinen Nöten, zu<br />

wenig in den von uns ansonsten zu Recht<br />

heftig kritisierten Zwängen gesehen. In der<br />

totalen Institution Untersuchungshaft dieser<br />

Art und in der totalen Situation Stammheimer<br />

Gerichtsverfahren wäre eine innere<br />

Kraft erforderlich gewesen, von der niemand<br />

vorab behaupten kann, über dieselbe<br />

zu verfügen. <strong>Und</strong> wie solltest gerade Du<br />

solche besitzen, nach solchem Aufwachsen<br />

und solchem Verstrickt<strong>werden</strong> in schlimme<br />

Schuld?<br />

Jedoch:<br />

Kein Schwamm drüber.<br />

Gerade wir, die wir auch ansonsten<br />

das gute Gedächtnis hochhalten,<br />

können nicht einfach, Schatten<br />

verwischend, zur Tagesordnung<br />

übergehen.<br />

Solcher Art würden wir verfahren, wenn<br />

wir vor einem scheinbar klaren Entweder-<br />

Oder kapitulierten. Entweder, so könnte die<br />

einfache, aber auch falsche Schlußfolgerung<br />

lauten, wir tun so, als sei nichts<br />

geschehen und werten Deine späte Aussage<br />

als vernachlässigbar. Für diese Konsequenz<br />

spräche, daß der Schwarze Peter vor<br />

allem bei der Bundesanwaltschaft dem<br />

Gericht und hinter beiden der uneinsichtigen<br />

Politik liegt. Sie haben nicht nur, das<br />

gilt ausweislich der besten Terrorismus-<br />

Studien für die etablierte Politik, die Bedingungen<br />

der Möglichkeit für die verhängnisvollen<br />

terroristischen Taten mitgeschaffen.<br />

Sie haben vielmehr durch die Art der Verfolgung<br />

von RAF und kleinem Umkreis dazu<br />

beitragen, daß Augenmaßlosigkeit und<br />

Gnadenlosigkeit Trumpf wurden, ja, daß die<br />

RAF vor allem aus den Bedingungen der<br />

Hochsicherheitstrakte und der Haftbedingungen<br />

zunächst an tödlicher Kraft zugenommen<br />

hat.<br />

Die „Alternative“ des Oder,<br />

ein Oder <strong>unsere</strong>r Enttäuschung über<br />

Deine Täuschung (und <strong>unsere</strong> zu<br />

verbergende Selbsttäuschung)<br />

durchschlagen zu lassen,<br />

hätte zur Konsequenz, daß wir Dich,<br />

ein schreckliches Wort einem Menschen<br />

gegenüber, „abschreiben.“<br />

Sich so oder so verhalten, wäre für uns<br />

gewiß der „einfachste“ Weg. Einen solchen<br />

jedoch könnten wir vor uns selbst nicht verantworten.<br />

Wählten wir eine der Varianten,<br />

verfolgten wir die Freund-Feind-Politik, die<br />

etablierte Instanzen und RAF so lange, zum<br />

Teil bis heute, negativ aneinander gefesselt<br />

hat. Bis heute halten beide „Partner“ das<br />

Phantasma RAF als eine (pseudo-) politische<br />

Größe am Leben.<br />

Unser Weg kann nur darin bestehen, daß<br />

wir versuchen, mit Dir wieder ins schon<br />

lange unterbrochene Gespräch zu kommen.<br />

Wenn wir hierbei freilich keine gegenseitig<br />

rückhaltlose Offenheit erreichen, dann wäre<br />

alle Gesprächsmühe vergebens. Getrennt<br />

und gemeinsam müssen wir „Vergangenheitsbewältigung“<br />

betreiben, um für<br />

Gegenwart und Zukunft frei zu <strong>werden</strong>.<br />

Lieber Klaus, es tut mir wirklich sehr leid,<br />

daß ich dich und so viele andere mir wohlmeinende<br />

Menschen belogen und mißbraucht<br />

habe. Ich könnte gut verstehen,<br />

wenn du nun mit mir nichts mehr zu tun haben<br />

willst.Ich habe bereits an den Bundespräsidenten<br />

geschrieben und ihm anheim<br />

gestellt, das Gnadengesuch niederzuschlagen.<br />

Auch Heinrich Albertz habe ich inzwischen<br />

schriftlich informiert, ebenso die Familie<br />

von Braunmühl. Was das Geld des Gustav-Heinemann-Preises<br />

angeht, das mir<br />

unter ganz anderen Voraussetzungen zur<br />

Verfügung gestellt wurde, werde ich alles an<br />

das Komitee zurückgeben, sobald mir das<br />

meine finanzielle Situation gestattet.<br />

In der Hoffnung, daß du/ihr mich nicht allzu<br />

sehr verachtet,<br />

dein Peter-Jürgen Boock<br />

Damit wir alles in <strong>unsere</strong>n Kräften Stehende<br />

unternehmen, damit persönlich-politische<br />

Verhältnisse in diesem Lande Bundesrepublik<br />

hergestellt <strong>werden</strong>, die alle Gewaltlösungen<br />

von Konflikten von oben, aber auch<br />

von unten, ausschließen.<br />

An erster Stelle steht in diesem Zusammenhang<br />

das zu befördern, was in Sachen RAF<br />

der ehemalige Bundesjustizminister Kinkel<br />

– eher noch zögerlich – in Bewegung<br />

gebracht hat. Es geht um eine humane und<br />

rationale „Vergangenheitsbewältigung“" in<br />

einem, rund um den „Deutschen Herbst.“<br />

Gefordert ist nicht ein Akt des<br />

Vergessens und Verleugnens,<br />

sondern daß die staatliche Seite<br />

zügig alle Inhaftierten nach meist<br />

jahrzehntelanger Haft entlassen<br />

würde, daß sie eine Chance<br />

„normalen“ Lebens erhalten.<br />

Jedoch ebenso erforderlich wäre es, daß<br />

grundrechtlich nicht akzeptable Strafrechts-<br />

und Strafprozeßrechtsänderungen,<br />

1977 ff. hastig gegen den Terrorismus<br />

zusammengeschustert und nun aIs „Mehrzweckwaffe“<br />

im Kampf gegen all das, was<br />

als „organisierte Kriminalität“ eingesetzt<br />

wird, gründlich revidiert <strong>werden</strong>. Damit<br />

endlich Raum für Politik werde und nicht<br />

Straf- und Polizeirecht falsch engbrüstige<br />

Politik im wörtlichen Sinne armiere.<br />

Darüber auch wollen wir mit Dir sprechen<br />

und hoffen, Dich dafür (wieder?!) zu gewinnen.<br />

Das heißt aber auch, daß wir uns dafür<br />

einsetzen <strong>werden</strong>, daß Dir trotz Deiner Verstrickungen<br />

und schlimmen Taten Recht<br />

geschehe, menschenrechtlich fundiertes<br />

Recht, in dem die Gnade als ein Bestandteil,<br />

nicht als ein Fremdkörper wohnt.<br />

Mit freundlichen Grüßen,<br />

Wolf-Dieter Narr, Klaus Vack<br />

An den Standortkommandanten<br />

Herrn Brigadegeneral<br />

John Costello<br />

Ludwigshöhstraße<br />

Camp Fritsch Kaserne<br />

6100 Darmstadt<br />

Betreff: Lärmbelästigung aus den<br />

Kelly Barracks<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

in letzter Zeit häufen sich wieder die<br />

Besch<strong>werden</strong> der Anwohner aus den<br />

Straßen Forstweg und Am Sandacker über<br />

laute Musik aus dem Kasernengelände. Die<br />

Bewohner beschweren sich darüber, daß<br />

abends und an den Wochenenden in vielen<br />

Fenstern Recorder und Radios aufgestellt<br />

<strong>werden</strong>. Dabei versucht jeder, den anderen<br />

an Lautstärke zu übertreffen.<br />

Die Bewohner fühlen sich in ihrem Ruhebedürfnis<br />

nachhaltig gestört, da gerade in der<br />

Freizeit diese Lärmbelästigung zunehmend<br />

auftritt. Die Bewohner haben nichts gegen<br />

Musik in Zimmerlautstärke, doch Musik in<br />

dieser Lautstärke wird von den Bewohnern<br />

schon fast als Körperverletzung empfunden.<br />

Wir bitten Sie darauf hinzuwirken, daß das<br />

gute Verhältnis zwischen deutschen und<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 9<br />

„Der Feind<br />

der Umwelt<br />

ist die Armut“<br />

An den Magistrat der Stadt Darmstadt<br />

Sehr geehrter Herr Metzger,<br />

endlich beginnt in Rio de Janeiro die Weltkonferenz<br />

über Umwelt und Entwicklung<br />

mit 35.000 Vertretern aus den armen u n d<br />

den reichen Nationen. Erstmalig <strong>werden</strong> die<br />

Armuts- und die Umweltproblematik miteinander<br />

verknüpft, um das Umdenken einzuleiten,<br />

das für das Überleben der Erde<br />

und ihrer Bewohner notwendig ist. „Der<br />

schlimmste Feind der Umwelt ist die<br />

Armut“ (Indira Gandhi).<br />

Noch geht es um den Interessenkonflikt:<br />

Wir in den Industrieländern mit 25% der<br />

Weltbevölkerung verbrauchen 80% der<br />

Weltvorräte und verursachen 80% der Umweltverschmutzung.<br />

Viele <strong>unsere</strong>r Mitbürger<br />

sind daran interessiert, Macht und<br />

Wohlstand der Industrienationen zu erhalten,<br />

während die Vertreter der Entwicklungsländer<br />

das nackte Überleben vor Augen<br />

haben. Die Umweltverschmutzung der<br />

Armen reißt aber keine Ozonlöcher in den<br />

Himmel, sondern bedroht Wasser und Erde<br />

ihrer nächsten Umgebung. Diese weltumspannenden<br />

Probleme bedrohen die ganze<br />

Menschheit.<br />

Durch die Aktionen und Aktivitäten zahlreicher<br />

Darmstädter Bürger mit „Menschen<br />

für Menschen“, Umwelt-, Friedens- und<br />

Dritte-Welt-Gruppen und dem Treffpunkt<br />

Dritte Welt sowie seit 1991 auch durch das<br />

Funkkolleg Humanökologie ist dieses weiten<br />

Kreisen bekannt. Es genügt nicht, dabei<br />

stehen zu bleiben. Wir müssen hier mit dem<br />

Umdenken und Umlenken beginnen. – Zum<br />

guten Gelingen einer Konferenz gehört die<br />

geistige Begleitung und die erklärte Solidarität,<br />

um den politischen Willen der Verhandlungspartner<br />

zu stärken. Wir bitten<br />

deshalb den Magistrat der Stadt Darmstadt<br />

eine Grußadresse an Bundesminister Töpfer<br />

und <strong>unsere</strong> Regierungsvertreter in Rio<br />

zu senden, um das Engagement der Darmstädter<br />

Bürger für die Ärmsten der Armen<br />

zu bekunden. Um dieses Engagement aufzuwerten,<br />

möge der Magistrat beschließen,<br />

einen Beirat für Entwicklung und Umwelt<br />

(nach dem Beispiel der Stadt Oerlinghausen/NRW)<br />

einzurichten. Ein solcher Beirat<br />

müßte die Arbeit der Gruppen koordinieren<br />

und würde dabei ihre Erfahrungen für die<br />

Stadt nutzbar machen. Das entspräche<br />

auch der Empfehlung des Weltentwicklungsberichts<br />

92, einen Entwicklungssicherheitsrat<br />

zu schaffen und dies auf lokaler<br />

Ebene zu unterstützen.<br />

RESULTATE wird mit den oben genannten<br />

Gruppen Kontakt aufnehmen und deren<br />

Unterstützung des Vorschlags herbeizuführen<br />

versuchen. Beim Umwelttag der<br />

Stadt Darmstadt am 6.6. auf dem Luisenplatz<br />

können wir die gesammelten Unterschriften<br />

überreichen.<br />

Janith Loewen, RESULTATE E.V.,<br />

Parkstr. 82, 6100 Darmstadt<br />

Ärger über laute Musik<br />

amerikanischen Mitbürgern nicht durch<br />

derartige Dinge belastet wird.<br />

In der Hoffnung, daß eine nachhaltige und<br />

dauerhafte Lösung gefunden wird, verbleibe<br />

ich<br />

mit freundlichen Grüßen<br />

Rudi Klein, Stadtverord<strong>net</strong>er<br />

Stadtbezirksverband Heimstättensiedlung<br />

Binger Str. 1, 6100 Darmstadt


BRIEFE AN DIE REDAKTION I<br />

Nein, ich habe kein erotisches Verhältnis Vorsicht vor Fusionen<br />

zu meinem Auto…<br />

ich liebe es nicht, damit zu fahren. Ich<br />

unterstütze die Meinung, das Auto ist einer<br />

der größten Feinde <strong>unsere</strong>r Umwelt (nicht<br />

erst seit der Ausstellung „Alptraum Auto“).<br />

Dennoch habe ich an der Demonstration<br />

am vergangenen Freitag, den 22. Mai, nicht<br />

teilgenommen. Warum? Nun, ich gehöre<br />

nicht zu der bevorzugten Minderheit von<br />

Studenten, Schülern oder Beschäftigten im<br />

Öffentlichen Dienst, die sich ihre Zeit frei<br />

einteilen oder freitags um eins die Arbeit<br />

niederlegen können. Ich verlasse meine<br />

Wohnung um 6:30 Uhr und bin normalerweise<br />

gegen 17:30 Uhr wieder in Darmstadt,<br />

gegen 18:00 zu Hause. Auch freitags.<br />

Klar benutze ich normalerweise die HEAG<br />

für den Weg zum Bahnhof und zurück, Eilzug,<br />

S-Bahn. Manchmal aber, da habe ich<br />

abends noch was zu erledigen. <strong>Und</strong> wenn<br />

man weiß, wie die Öffnungszeiten der<br />

Geschäfte und Ämter so sind, dann wird<br />

vielleicht einsichtig, daß ich eben doch<br />

gelegentlich mit dem Auto zum Bahnhof<br />

fahre. (Außerdem schaffe ich größere Einkäufe<br />

im Bau- oder Getränkemarkt einfach<br />

nicht mit der Hand, sorry.) Wie beneide ich<br />

dann Leute wie das Mitglied vom „Bund der<br />

Fußgänger“, die so viel Zeit haben, tagsüber<br />

in der Bahnhofsgegend auf Jagd zu gehen<br />

auf Autos, die (behindernd oder nicht) auf<br />

Gehwegen geparkt sind und diesen Aufkleber<br />

mitten auf die Scheiben kleben, wie<br />

schön, jeder ein kleiner Sheriff!<br />

Nein, ich liebe mein Auto nicht, aber wenn<br />

ich mit meiner vierköpfigen Familie übers<br />

Wochenende nach Saarbrücken zu einer<br />

Feier eingeladen bin, dann schockt mich die<br />

Preisforderung der Bundesbahn. Fürs<br />

Tramper–Monats-Ticket oder den Taschengeldpaß<br />

bin ich leider zu alt, der Senioren-<br />

Paß ist auch noch in <strong>weiter</strong> Ferne, und für<br />

den Familienpaß reisen wir nicht genug.<br />

„Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft<br />

dürfen Opfer von Straftaten nicht im Stich<br />

lassen. Die EG-Konvention des Europarates<br />

muß hierzu nach 15 Jahren des Nichtstuns<br />

endlich unterschrieben <strong>werden</strong>.“ Dies forderte<br />

Prinzessin Anne, Tochter der britischen<br />

Königin, bei der Eröffnung der diesjährigen<br />

Tagung des Forums der Europäischen Opferhilfsorganisationen<br />

(EFVS = European<br />

Forum For Victim Services) in Belfast (Nordirland),<br />

die in Dublin (Irland) fortgesetzt<br />

wurde. Prinzessin Anne, (Schirmherrin der<br />

britischen Opferhilfsorganisation „National<br />

Association For Victim Support Schemes“)<br />

unterstützt damit den Appell von Karl J.<br />

Kärchner (Weißer Ring Darmstadt) und Dieter<br />

Eppenstein (Mainz). Eppenstein, Generalsekretär<br />

des Weißen Ringes, kritisierte, die<br />

von inzwischen 21 der 25 Staaten Europas<br />

unterschriebene Absichtserklärung sei bisher<br />

weder in den Parlamenten behandelt<br />

noch ratifiziert worden.<br />

Das „Forum der Europäischen Opferhilfsorganisationen“<br />

verabschiedete jetzt eine<br />

Resolution an den Europarat, in der die noch<br />

säumigen Unterzeichnerstaaten aufgefordert<br />

<strong>werden</strong>, die Konvention unverzüglich zu ratifizieren.<br />

„Damit soll endlich eine Harmonisierung<br />

der Entschädigung für Kriminalitätsopfer<br />

eingeleitet <strong>werden</strong>“, erklärten Eppenstein<br />

und Kärchner, die für den Weißen Ring an<br />

dem Treffen der Organisationen aus 13 Ländern<br />

teilnahmen. <strong>Und</strong> <strong>weiter</strong>: „So wie sie für<br />

einige Kernstaaten der Europäischen<br />

Gemeinschaft (EG), beispielsweise Deutschland,<br />

Frankreich und Großbritannien, durch<br />

nationale Entschädigungsgesetze und durch<br />

Gegenseitigkeitsabkommen gesichert ist.“<br />

Da sich jedoch auch etliche EG-Staaten noch<br />

mit den entsprechenden Regelungen<br />

schwertun, ermuntert die Europäische<br />

Opferhilfe zudem die EG-Kommission – als<br />

die „Europa-Regierung“ in Brüssel – die<br />

gesetzgeberische Kompetenz an sich zu ziehen,<br />

zumal die Opferentschädigung generell<br />

in das Arbeits- und Sozialrecht eingebunden<br />

<strong>Und</strong> wie ist das im Urlaub, nachdem die<br />

Bundesbahn die geniale Idee hatte, die Tourenkarte<br />

ersatzlos zu streichen, mit der wir<br />

früher so schön beweglich waren am<br />

Urlaubsort? Sorry, ich kann es mir heute<br />

kaum noch leisten, mit der Bahn in Urlaub<br />

zu fahren, es sei denn, ich wollte mich nur<br />

14 Tage in die Sonne legen (will ich aber<br />

nicht!). <strong>Und</strong> da rede ich noch gar nicht von<br />

anderen Nettigkeiten wie nicht funktionierende<br />

Platzreservierungen, überfüllten<br />

Fahrkartenschaltern und der Tatsache, daß<br />

das Aufgeben von Fahrrädern als Reisegepäck<br />

jetzt dreimal so viel kostet und man<br />

dabei einkalkulieren muß, die Räder vor<br />

und nach dem Urlaub eine ganze Woche<br />

entbehren zu dürfen.<br />

Na klar fahre ich normalerweise mit dem<br />

Fahrrad nach Bessungen, zu regelmäßigen<br />

Veranstaltungen in der Bessunger Knabenschule,<br />

sommers wie winters. Aber wenn<br />

es reg<strong>net</strong>? Logo hält die HEAG vor der Tür.<br />

Aber wie oft, abends? Für mich heißt das:<br />

25 Minuten Wartezeit, dazu zweimal<br />

umsteigen (wenn es reg<strong>net</strong>!).<br />

Der sonntägliche Besuch bei den Schwiegereltern<br />

in Gernsheim (wieviele Busse fahren<br />

da sonntags?), eine abendliche<br />

Geburtstagsfeier am südlichen Rand von<br />

Griesheim (meilenweit von der halbstündig<br />

fahrenden HEAG entfernt) und... und...<br />

und.... Klar kann man das alles mit dem<br />

Fahrrad fahren, wenn man jung und ohne<br />

Familie ist. Aber mit <strong>Kinder</strong>n unter 10 Jahren?<br />

Nein, liebe Leute, ich will euch das ja gar<br />

nicht ausreden, eure Ideale, eure Vorstellungen.<br />

Als Anlieger der Frankfurter Straße<br />

bin ich ein ausgesprochener Anhänger<br />

einer autofreien Innenstadt. Aber, das müssen<br />

leider besonders die jüngeren noch ler-<br />

Europaweite Hilfe<br />

für Opfer von Verbrechen!<br />

ist, für das im EG-Raum ohnehin einheitliche<br />

Richtlinien gelten oder gefunden <strong>werden</strong><br />

müssen.<br />

Karl J. Kärchner, Leiter der für Südhessen<br />

zuständigen Außenstelle des Weißen Ringes<br />

und Pressesprecher des Polizeipräsidiums<br />

Darmstadt sprach in Dublin und Belfast über<br />

die Situation der Polizei im Umgang mit den<br />

Kriminalitätsopfern. Er hob in seinem Referat<br />

hervor, daß die Betreuungsmaßnahmen nur<br />

in einem sehr beschränkten Umfang durch<br />

die Polizei selbst erfolgen könne. Steigende<br />

Kriminalität und Verkehrsunfallzahlen lassen<br />

keinen ausreichenden zeitlichen Spielraum,<br />

ganz zu schweigen von der eher dünnen Personaldecke.<br />

Die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen<br />

muß daher bundesweit gefestigt<br />

<strong>werden</strong>. Dabei sei anzumerken, daß die<br />

Zusammenarbeit mit dem Weißen Ring fast<br />

flächendeckend erfolgt. Beispielgebend könne<br />

durchaus die schon seit nahezu 13 Jahren<br />

erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen<br />

Darmstädter Polizei und der hiesigen Außenstelle<br />

sein, die nachhaltig durch Polizeipräsidient<br />

Peter C. Ber<strong>net</strong> unterstützt wird. Damit<br />

war es möglich, rund 2.000 Menschen wirksam<br />

zu helfen, die Opfer von Gewalt und Kriminalität<br />

wurden.<br />

Weißer Ring, Außenstelle Darmstadt,<br />

Nikoleyweg 7, 6107 Reinheim<br />

Nerv getroffen<br />

Da ich am Montag, den 04.05.1992 anläßlich<br />

der <strong>Kinder</strong>- und Jugendsammelwoche zu<br />

Kaffee und Kuchen bei Bürgermeister Benz<br />

eingeladen war, wollte ich die Gelegenheit<br />

nutzen und ihm von der SV der Lichtenbergschule<br />

eine Info über PCB überreichen.<br />

Nachdem Bürgermeister Benz die zwei Flugblätter<br />

überflogen hatte, zerriß er sie erbost.<br />

Dann schaute er „ein wenig“ nervös auf den<br />

Tisch, nach dem Motto :„Ich bin nicht mehr<br />

anwesend!“. Einmal konnte er sich noch zu<br />

einem gekünstelten Lachen aufraffen, dann<br />

nen, es gibt leider immer noch (zu) viele<br />

gute Gründe, ein Auto zu haben und auch<br />

zu benutzen. Na klar, bessere „öffentliche“<br />

würden auch mir noch so manchen Kilometer<br />

ersparen. Aber leider sind die Familien,<br />

sind Wohnung und Arbeit in den vergangenen<br />

Jahrzehnten immer mehr getrennt worden.<br />

Die Orte, wo man sich wirklich erholen<br />

kann, rücken in immer <strong>weiter</strong>e Entfernung<br />

(oder wo findet man im Rhein-Main-Gebiet<br />

einen Platz, wo man weder von Autobahnlärm<br />

noch von Eisenbahn oder Flugzeugen<br />

geräuschbelästigt wird?). Wenn wir jetzt<br />

mit dem Auto anfangen, folgen wir genau<br />

dem Irrweg der heutigen Medizin, die Symptome<br />

behandelt anstatt Ursachen. Laßt<br />

uns <strong>unsere</strong> Umwelt wieder lebenswerter<br />

gestalten, laßt uns die Trennung von Wohnung<br />

und Arbeit aufheben (ich würde auch<br />

lieber in Darmstadt arbeiten...) , und hören<br />

wir damit auf, immer neuen Genüssen und<br />

Abenteuern nachzujagen. Solange wir permanent<br />

unterwegs sind, dauernd auf der<br />

Flucht (vor uns selbst?), solange wir für<br />

unser Leben nicht bessere Rahmenbedingungen<br />

schaffen, solange <strong>werden</strong> wir uns<br />

vergeblich mit der Lösung des Problems<br />

„Auto“ befassen.<br />

Jörn Schramm,<br />

Frankfurter Str. 78, 6100 Darmstadt<br />

Jugoslawien:<br />

Den Krieg bekämpfen,<br />

den Flüchtlingen helfen<br />

In Bosnien-Herzegowina fliehen die Menschen<br />

vor Tod, Hunger und Seuchen. Die<br />

deutsche Bundesregierung aber verlangt von<br />

den Flüchtlingen Visa oder Versorgungssicherheiten,<br />

welche die meisten unmöglich<br />

erbringen können. Gerade Deutschland, dessen<br />

grausamer Terror während des Zweiten<br />

Weltkrieges in Jugoslawien so viel Opfer und<br />

Leid schaffte, muß zu tätiger Sühne und Wiedergutmachung<br />

bereit sein.<br />

Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger auf,<br />

gegen das Verhalten der Regierung zu protestieren<br />

und Visa-Freiheit sowie fürsorgliche<br />

Unterstützung für die Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina<br />

zu fordern.<br />

Wir wenden uns<br />

an die europäischen Regierungen,<br />

an ihre Organisationen EG und KSZE und an<br />

die Vereinten Nationen: Lassen Sie sich nicht<br />

zu militärischen Interventionen hinreißen!<br />

Auch mitten in einem Krieg sind mit kriegerischen<br />

Mitteln, die zusätzlich von außen eingesetzt<br />

<strong>werden</strong>, keine Probleme zu lösen.<br />

Insbesondere für Europa gilt es, nichtmilitärische<br />

Konfliktbewältigung zu entfalten<br />

und durchzusetzen. Ein militärisches Eingreifen<br />

in den Krieg in Bosnien-Herzegowina<br />

würde die Gespenster der Vergangenheit<br />

beschwören und die Vertrauensbasis für die<br />

Zusammenarbeit in der Zukunft untergraben.<br />

Wir fordern die Bundesregierung, EG, KSZE<br />

und die Vereinten Nationen auf, sich stets<br />

rechtzeitig und vorbeugend den neuen Konflikten<br />

zu widmen. So war der Krieg in Bosnien-Herzegowina<br />

lange vorhersehbar, aber<br />

die europäischen Regierungen reagierten<br />

erst, als es zu spät war. Heute warnen wir vor<br />

kommenden Konflikten im Kosovo und vor<br />

Verschärfung von Repressionen gegenüber<br />

Minderheiten. Um sie zu verhindern, sind<br />

nicht nur negative, sondern vor allem auch<br />

positive Sanktionen erfolgreich, die menschenrechtlich<br />

angemessenes Verhalten<br />

belohnen.<br />

Alte und neue Machteliten,<br />

Militaristen, Banditen und Verblendete<br />

töten und verletzen Menschen, zerstören das<br />

Land und seine Wirtschaft. Sie hetzen die<br />

Völker des Balkans gegeneinander auf, um<br />

so unter nationalistischem Vorzeichen und<br />

rücksichtslos gegenüber allen humanen<br />

Kosten sich Macht und Privilegien zu sichern<br />

beziehungsweise zu erobern.<br />

schaute er wieder mit unnahbarer Miene auf<br />

den Tisch. Als er ging, – ein wenig früher als<br />

die anderen – schaute er weder nach rechts,<br />

noch nach links, sondern stur geradeaus.<br />

Meiner Meinung nach hat die Tatsache, daß<br />

er sogar bei einem harmlosen Kaffee- und<br />

Kuchentreff mit dem Problem PCB konfrontiert<br />

wird, so ziemlich seinen Nerv getroffen.<br />

Sandra Bauer, Darmstadt<br />

Der Bezirksleiter der Deutschen Angestellten–Gewerkschaft<br />

(DAG), Bezirk Südhessen,<br />

Harald Koch, hat die Beschäftigten in<br />

den Spar- und Darlehenskassen, Raiffeisenbanken<br />

und Volksbanken aufgerufen,<br />

Betriebsräte zu wählen, um Nachteile für<br />

die Beschäftigten, die durch Fusionen oder<br />

Auflösungen eintreten können, zu vermeiden.<br />

Der DAG-Bezirksleiter befürchtet, daß es<br />

durch die Gründung des Großverbandes<br />

der Genossenschaftsbanken für den<br />

Bereich Hessen, Rheinland-Pfalz und<br />

Thüringen verstärkt zu Fusionen bei den<br />

Genossenschaftsbanken kommt.<br />

„Nur Betriebsräte“, so Koch, „können in<br />

Die Amerikaner hatten durch den Lärm<br />

ihrer Hubschrauber einen Luftterror gegen<br />

die Bevölkerung entfesselt. Tag und/oder<br />

Nacht und stundenlang marterten sie rücksichtslos<br />

die im Einwirkungsbereich des<br />

Griesheimer Flugplatzes (der zu Darmstadt<br />

gehört) wohnenden Menschen. Die <strong>Kinder</strong><br />

schreckten aus dem Schlaf hoch, die arbeitende<br />

Bevölkerung wurde um den für sie<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 10<br />

einem Sozialplan<br />

Nachteile<br />

für die Beschäftigten<br />

verhindern<br />

und die Auflösung oder die Fusion einer<br />

Genossenschaftsbank sozial abfedern.<br />

Wir <strong>werden</strong> die Betriebsräte bei einer Aushandlung<br />

von Sozialplänen unterstützen<br />

und dafür sorgen, daß so wenig Arbeitsplätze<br />

wie möglich verlorengehen“, sagte<br />

Koch bei einer Versammlung von Betriebsräten<br />

in Darmstadt. Er warnte die Bankenvorstände<br />

vor einer Fusionseuphorie, bei<br />

denen die Beschäftigten das Nachsehen<br />

haben.<br />

DAG–Bezirk Südhessen<br />

Kein Flugplatz in Griesheim<br />

Dagegen stehen – in <strong>unsere</strong>m Lande leider<br />

zu wenig wahrgenommen – viele Menschen<br />

aus allen jugoslawischen Kulturen und<br />

Gesellschaften, die sich dem nationalistischmilitaristischen<br />

Terror entgegenstemmen.<br />

Sie lassen sich nicht einreden, Kroaten, Serben,<br />

Muslimane oder Albaner seien ihre<br />

Feinde. Sie begreifen sehr wohl, daß alle<br />

irgendwo Minderheiten sind und treten für<br />

die Rechte der Minderheiten ein. Sie lassen<br />

sich in allen Republiken auf die mühsame<br />

Arbeit gegen den Krieg ein. Sie bemühen<br />

sich um die Schaffung von Friedenszonen,<br />

und sie wehren sich gegen die Vertreibung<br />

von Menschen, um „ethnisch reine“ Nationalgebiete<br />

herzustellen. Denn die Politik der<br />

Vertreibung löst keines der Probleme, sondern<br />

setzt immer erneut eine Spirale der<br />

Feindschaft und Gegenfeindschaft in Gang,<br />

unter der die meisten Menschen im ehemaligen<br />

Jugoslawien zu leiden haben, während<br />

sich die Machteliten ihre Pfründe sichern.<br />

Allen Menschen, die Opfer<br />

dieses schrecklichen Krieges sind,<br />

gilt <strong>unsere</strong> Solidarität.<br />

Das Komitee für Grundrechte und Demokratieunterstützt<br />

als Teil der deutschen Friedensbewegung<br />

seit dem Auseinanderbrechen<br />

Jugoslawiens die Anti-Kriegs-Gruppen,<br />

die in fast allen Städten und Regionen entstanden<br />

sind. Diese Gruppen arbeiten<br />

gewaltfrei, aufopfernd und unter schwersten<br />

Bedingungen, bedroht von Repression oder<br />

gar tödlicher Verfolgung. Unsere Möglichkeiten<br />

sind begrenzt, aber wir haben nach<br />

besten Kräften dazu beigetragen, die materiellen<br />

Arbeitsbedingungen der Anti-Kriegs-<br />

Gruppen zu verbessern, ihre Kommunikationsstrukturen<br />

auch unter Kriegsbedingungen<br />

zu sichern und ihnen internationale Hilfe<br />

und Aufmerksamkeit zu schaffen.<br />

Diese Unterstützung<br />

muß <strong>weiter</strong>geführt <strong>werden</strong>!<br />

Wir haben auch humanitäre Hilfe geleistet,<br />

als die großen Organisationen und die Regierungen<br />

noch nicht daran dachten. In Zusammenarbeit<br />

mit Friedenszentren in Bosnien-<br />

Herzegowina, Serbien, Kroatien und Slowenien<br />

wollen wir jetzt Hilfe für Opfer und<br />

Flüchtlinge möglich machen, die von anderen<br />

nicht erreicht <strong>werden</strong>.<br />

Für diese Vorhaben wird <strong>weiter</strong>hin Geld<br />

benötigt, viel Geld. Wir rufen deshalb erneut<br />

alle Menschen guten Willens auf, diese dringende<br />

friedenspolitische und humanitäre<br />

Arbeit mit Spenden zu unter stützen .<br />

Aktueller Schwerpunkt ist gegenwärtig Medikamentenhilfe<br />

für Flüchtlinge aus Bosnien-<br />

Herzegowina .<br />

Komitee für Grundrechte und Demokratie<br />

e.V., 6121 Sensbachtal Sonderkonto: Verständigung<br />

statt Krieg – Humanitäre Hilfe für<br />

Flüchtlinge, Volksbank Odenwald eG, Konto<br />

8024618, BLZ 50863513<br />

Dr. Andreas Buro und Klaus Vack<br />

notwendigen Schlaf gebracht, die Kranken<br />

und Gebrechlichen fanden keine Ruhe. Mit<br />

menschenverachtender Brutalität ignorierten<br />

die Amerikaner die berechtigten Interessen<br />

der deutschen Bevölkerung.<br />

Dies wäre tatsächlich Vergangenheit, wenn<br />

die Amerikaner abziehen würden. Kaum<br />

deutet sich dies jedoch an, beeilen sich ausgerech<strong>net</strong><br />

deutsche Landsleute, den Amerikanern<br />

nachzueifern. Sie schrecken nicht<br />

davor zurück, die geplagte Bevölkerung in<br />

Griesheim, Darmstadt und den Umlandgemeinden<br />

erneut mit Fluglärm zu überziehen.<br />

Zehntausende von Menschen sollen in<br />

ihrer Gesundheit geschädigt, physisch und<br />

psychisch gemartert, eines wesentlichen<br />

Teils ihrer Lebensqualität beraubt <strong>werden</strong>!<br />

Schon jeder medizinische Laie weiß heutzutage,<br />

wie gefährlich und schädlich Lärm ist.<br />

Wer sind diese Unmenschen? Zum einen<br />

sind es einige Flieger, die ihre Freizeit in der<br />

Luft verbringen möchten. Zum andern sind<br />

es vom Gruppenegoismus geprägte<br />

Geschäftsleute, die ihre millionen– oder<br />

milliardenträchtigen Geschäfte mittels<br />

eines billigen Flugplatzes noch <strong>weiter</strong> intensivieren<br />

wollen. Öffentliche Verkehrsmittel<br />

(wie die umweltschonende Eisenbahn) zu<br />

benutzen, halten sie unter ihrer – sich<br />

selbst angedichteten – Würde; ein Flugzeug<br />

muß es sein. Im Privatbereich dieser feinen<br />

Herren darf selbstverständlich kein<br />

Fluglärm stattfinden; er muß über die Köpfe<br />

der völlig Unbeteiligten verteilt <strong>werden</strong>. So<br />

geht das nicht! Es darf nicht sein, daß sich<br />

einige wenige Skrupellose in ihrer Profitgier<br />

zu Lasten der Allgemeinheit unangemessene<br />

Vorteile verschaffen können. Die frevelhaften<br />

und verderbenbringenden Gelüste<br />

der die Menschenwerte mißachtenden<br />

Geschäftsleute und Freizeitflieger dürfen<br />

nicht über die Interessen zehntausender<br />

von Menschen triumphieren und müssen<br />

im Keim erstickt <strong>werden</strong>! Hört auf die<br />

Schreie der gequälten Menschen!<br />

Dr. Rudolf A. Krell,<br />

Schubertstr. 6, 6103 Griesheim<br />

Zeitung für Darmstadt<br />

- Redaktion -<br />

6100 Darmstadt<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

wir erhielten gestern die neueste Ausgabe<br />

Ihres Blattes (Nr. 30), die wir mit wirklichem<br />

Interesse gelesen haben. Dabei fielen<br />

uns besonders die beiden ausgezeich<strong>net</strong>en<br />

Artikel zu Kurdistan auf.<br />

Wir denken nun daran, Auszüge aus diesen<br />

zwei Berichten in <strong>unsere</strong>m nächsten medico-Rundschreiben<br />

zu verwenden. Selbstverständlich<br />

würden wir in diesem Fall ausdrücklich<br />

auf die Herkunft hinweisen: auf<br />

Ihr Blatt und auf die Autoren.<br />

Wir bitten daher um Ihr freundliches Einverständnis,<br />

das wir als gegeben betrachten,<br />

wenn wir nichts Gegenteiliges von<br />

Ihnen hören.<br />

Mit Dank und guten Grüßen,<br />

Hans Branscheidt, medico international,<br />

Obermainanlage 7, D–6000 Frankfurt/M. 1


BRIEFE AN DIE REDAKTION II<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 11<br />

Flüchtlinge in Groß-Bieberau<br />

Arbeitskreis hat Fragen und Forderungen<br />

Am 25. Mai trafen sich Mitglieder des Asylarbeitskreises<br />

Groß-Bieberau, um über die<br />

aktuelle Situation zu beraten. Fragen über<br />

Fragen hat der Kreis, die auch durch die Ausführungen<br />

von Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher<br />

Anton Weiher auf der Bürgerversammlung<br />

nicht beantwortet wurden, wie z. Beispiel:<br />

a) Welchen Grund hatte A. Weiher, zu der<br />

Flüchtlingsunterbringung eine Erklärung<br />

abzugeben, ohne Ankündigung in der Tagesordnung<br />

und ohne eine echte Möglichkeit,<br />

sich mit der Problematik auseinanderzusetzen?<br />

b) Welche Bedeutung hat es, wenn die im<br />

Außenbereich aufgestellten Wohncontainer<br />

„Wohnanlage“ genannt <strong>werden</strong>, die man<br />

„hübsch gestalten“ will, „damit die<br />

Menschen sich dort wohlfühlen?“<br />

(Zitat: „DE“-Bericht)<br />

c) Warum gelingt es einer der reichsten<br />

Kommunen des Kreises (Aussage<br />

Bürgermeister Werner Seubert) nicht, die<br />

Flüchtlinge wenigstens so gut<br />

aufzunehmen, wie im übrigen Kreisgebiet (z.<br />

B. Bickenbach, wo auch Notunterkunft in<br />

Containern erfolgte, bis ein Wohngebäude<br />

erstellt war)?<br />

d) Was haben die Verantwortlichen seit<br />

November 1991 getan, als ihnen <strong>weiter</strong>e<br />

48 Flüchtlinge (später auf 66 erhöht)<br />

angekündigt wurden?<br />

e) Was würden Werner Seubert und<br />

Anton Weiher sagen, wenn Groß-Bieberau<br />

Flüchtlinge aufnehmen sollte, die für<br />

andere Gemeinden bestimmt sind?<br />

f) Woher wußten die Anwohner der<br />

Albert-Einstein-Schule von der geplanten<br />

Aufstellung von Containern in ihrer<br />

Nachbarschaft – sie fanden lt. „DE“ bei Werner<br />

Seubert offene Ohren mit ihren Protesten<br />

–, wenn selbst die Schule nicht informiert<br />

war (Aussage des Vertreters<br />

der Schule auf der Bürgerversammlung)?<br />

Kirchen sollen sich selbst finanzieren<br />

Diese Bundesregierung ist doch nicht in der<br />

Lage, in der Sache Pflegeversicherung eine<br />

Einigung herbeizuführen. <strong>Und</strong> dabei wäre die<br />

Sache so einfach zu lösen. Es wird soviel<br />

Geld verplempert, unnötig verplempert. Dreizehn<br />

Milliarden Deutsche Mark <strong>werden</strong> jährlich<br />

als Kirchensteuer über die Finanzämter<br />

eingezogen und das ganz alleine für die zwei<br />

großen Kirchen. Aber das ist den Kirchenfürsten<br />

noch nicht genug, der Staat, also der<br />

Steuerzahler, gibt noch fünf bis sechs Milliarden<br />

DM hinzu. Dieses Geld wird gegen den<br />

Willen der Bundesbürger einfach verausgabt.<br />

<strong>Und</strong> dabei sind nach einer Umfrage<br />

84% aller Bundesbürger gegen die Kirchen<br />

überhaupt. Aber noch nicht genug, die vielen<br />

kirchlichen Feiertage in <strong>unsere</strong>r Republik, die<br />

ja von den Kirchenfürsten eingebracht wurden,<br />

kosten unser Volk jährlich hunderte von<br />

Milliarden Deutsche Mark. Das gibt es in keinem<br />

Land der Welt. Mit diesen Geldern<br />

könnte nicht nur die Pflegeversicherung<br />

Der Asylarbeitskreis weiß, daß für eine<br />

Unterbringung der Flüchtlinge gesorgt <strong>werden</strong><br />

muß und daß dies jetzt nur durch Aufstellung<br />

<strong>weiter</strong>er Wohncontainer erreicht<br />

<strong>werden</strong> kann. Hierzu erarbeiteten die Mitglieder<br />

einige Punkte, die unbedingt berücksichtigt<br />

<strong>werden</strong> sollten, um die Nachteile dieses<br />

ghettoähnlichen Containerlagers ein wenig<br />

zu mildern:<br />

1. Container einer höheren Qualität bestellen,<br />

das heißt<br />

- bessere Isolierung gegen Kälte und Hitze<br />

- wirksamere Schalldämmung<br />

- ein größerer Aufenthaltsraum, in dem sich<br />

die Bewohner mit Gästen, hoffentlich auch<br />

aus Groß-Bieberau, treffen können. Es gibt,<br />

im Gegensatz zu dem aufgestellten ersten<br />

Container, Qualitäten, die fast Fertighausniveau<br />

erreichen.<br />

2. In den Außenanlagen Bänke<br />

und Tische aufstellen.<br />

3. Wäscheleinen vorsehen.<br />

4. Spielanlagen zu kreativem Spiel,<br />

und zwar für <strong>Kinder</strong> und Erwachsene.<br />

5. Ein Raum zur sicheren Unterbringung von<br />

Fahrrädern. Um diese und ähnliche Fragen<br />

und Erwartungen zu verdeutlichen, lädt der<br />

Asylarbeitskreis die Verantwortlichen der<br />

Stadt für Mittwoch, den 17. Juni 1992, um<br />

19.00 Uhr zu einer Besprechung in den Container<br />

am Schaubacher Berg ein.<br />

Erneut wurde bei dem Treffen des Arbeitskreises<br />

die Einstellung einer/s Sozialarbeiterin/Sozialarbeiters<br />

gefordert. Wer den sozialen<br />

Frieden in Groß-Bieberau erhalten will,<br />

muß etwas dafür tun. Andere Kommunen<br />

des Kreises haben das längst verstanden und<br />

entsprechend gehandelt – im eigenen Interesse!<br />

Für Rückfragen:<br />

Margrit Horneff,<br />

Am Haslochberg 13, 6101 Groß-Bieberau<br />

finanziert <strong>werden</strong>, sondern der ganze Osten<br />

Europas und noch vieles mehr. Wann sieht<br />

diese Bundesregierung ein, daß sie mit diesen<br />

Geldern nicht so umspringen darf? Die<br />

Kirchen sollen sich selbst finanzieren. Der<br />

Körperschaftsstatus der Kirchen ist ein<br />

Relikt aus staatskirchlichen Zeiten, als die<br />

Kirche in das öffentliche Recht integriert und<br />

vom Staat privilegiert, aber auch von ihm<br />

beherrscht war. Der öffentlich-rechtliche<br />

Körperschaftsstatus widerspricht der Verpflichtung<br />

des Staates zu religiöser und weltanschaulicher<br />

Neutralität. Überdies erfüllen<br />

die dadurch privilegierten Kirchen nicht ein<br />

einziges Begriffsmerkmal, das von einer Körperschaft<br />

des öffentlichen Rechts erfüllt sein<br />

muß. Also weg mit der Kirchensteuer zur<br />

Finanzierung der Pflegeversicherung und für<br />

den Teil <strong>unsere</strong>s Landes der unter der<br />

Armutsgrenze lebt.<br />

Walter Decker, Kiesbergstr. 34<br />

Wider die lebenslange Freiheitsstrafe<br />

In einer vom Komitee für Grundrechte und<br />

Demokratie, einer bundesdeutschen Menschenrechtsorganisation,<br />

initiierten und<br />

jetzt veröffentlichten Erklärung „Wider die<br />

lebenslange Freiheitsstrafe“ haben sich 160<br />

Persönlichkeiten für die Abschaffung der<br />

lebenslangen Freiheitsstrafe und gegen den<br />

§ 211 Strafgesetzbuch (Mord) ausgesprochen<br />

.<br />

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner<br />

haben allesamt Erfahrungen mit dem Strafvollzug<br />

beziehungsweise sind beruflich im<br />

Bereich des Justizvollzugs oder in der freien<br />

Gefangenenarbeit tätig. Unter anderem<br />

unterstützen mehr als 50 in den deutschen<br />

Justizvollzugsanstalten engagierte Gefängnisseelsorgerinnen<br />

und Gefängnisseelsorger<br />

die Erklärung. Ebenso zählen zahlreiche<br />

anerkannte Wissenschaftler, darunter vor<br />

allem Strafrechtlerinnen und Strafrechtler,<br />

Kriminologinnen und Kriminologen, Psychologinnen<br />

und Psychologen, sowie<br />

Soziologinnen und Soziologen zu den<br />

Unterzeichnern.<br />

Für Anfang 1993 bereitet das Komitee für<br />

Grundrechte und Demokratie eine öffentliche<br />

Anhörung zur Problematik der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe vor. Zu dieser Veranstaltung<br />

<strong>werden</strong> sowohl wissenschaftliche<br />

Expertinnen und Experten als auch Praktikerinnen<br />

und Praktiker, die im Strafvollzug<br />

tätig sind, von lebenslanger Freiheitsstrafe<br />

Betroffene und nicht zuletzt Angehörige der<br />

Opfer von Gewalttaten eingeladen .<br />

Die Erklärung „Wider die lebenslange Freiheitsstrafe“,<br />

die auch in Zeitungsanzeigen<br />

veröffentlicht wird, nimmt ausdrücklich<br />

Bezug auf den für Gesamt-Deutschland<br />

gedachten Verfassungsentwurf des Kuratoriums<br />

für einen demokratisch verfaßten<br />

Bund deutscher Länder vom Juni 1991, der<br />

den Artikel 102 Grundgesetz neu formuliert:<br />

„Die Todesstrafe und die lebenslange Freiheitsstrafe<br />

sind abgeschafft.“<br />

Die Erklärung „Wider die lebenslange Freiheitsstrafe“<br />

kommt zu der Konsequenz:<br />

„Wenn wir die Menschenrechte und uns<br />

selbst ernst nehmen, gibt es nur eine Möglichkeit:<br />

Die Ersetzung der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe durch eine zeitlich begrenzte<br />

Freiheitsstrafe. Das Strafmaß Lebenslang<br />

ist inhuman.“<br />

Die Erklärung im Wortlaut und die Namen<br />

der Erstunterzeichnerinnen und –unterzeichner<br />

siehe folgende Seiten:<br />

Erklärung:<br />

Wider die lebenslange Freiheitsstrafe<br />

„Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ So heißt<br />

es in Artikel 102 des Grundgesetzes. Diese<br />

Bestimmung hat das Grundgesetz humanisiert.<br />

Sie geht jedoch nicht weit genug. Wie<br />

PCB: Getan hat sich nichts<br />

„wer langsam reit’ – kommt g’rad so<br />

weit“, gilt dieses Sprichwort<br />

eventuell auch für den Fall<br />

„PCB-an der LUO“ ?<br />

(Beliebig auf andere Darmstädter<br />

Schulen übertragbar!)<br />

Dies könnte durchaus möglich sein, dennoch<br />

kommen mir diesbezüglich starke<br />

Bedenken.<br />

Warum?<br />

Immerhin <strong>werden</strong> <strong>unsere</strong> <strong>Kinder</strong> – unter der<br />

Obhut der Stadtväter Darmstadts – langsam<br />

aber sicher immer mehr <strong>vergiftet</strong>. Können,<br />

bzw. wollen wir hierbei <strong>weiter</strong>hin<br />

untätig zusehen?<br />

- Haben diese „Herrschaften“ selbst keine<br />

<strong>Kinder</strong>?<br />

- Haben sie keine Angst um die Gesundheit<br />

ihrer <strong>Kinder</strong>?<br />

- Oder haben sie ihre <strong>Kinder</strong> längst in unbelasteten<br />

Schulen sicher untergebracht?<br />

Die – von uns gewählten – „Verantwortlichen“<br />

der Stadt Darmstadt lassen sich<br />

jedenfalls verdammt viel Zeit, in Sachen<br />

„Gesundheit / hier: PCB-Verseuchung an<br />

Schulen u. <strong>Kinder</strong>gärten“ tätig zu <strong>werden</strong>!<br />

Die Gesundheit der <strong>Kinder</strong> und somit der<br />

Darmstädter Bürger ist ihnen anscheinend<br />

wurscht .<br />

Wie sonst läßt sich erklären, daß seit 2 1/2<br />

Jahren – die Problematik „PCB“ bekannt ist<br />

und dennoch keine Änderungen erfolgt<br />

sind?<br />

Beginn 1989:<br />

- Erlaß des Hess. Innenministeriums<br />

(„PCB-Erlaß“)<br />

- Bekannt<strong>werden</strong> von Vorhandensein PCBhaltiger<br />

Lampenkörper an der LUO (auch<br />

an anderen Schulen Darmstadts?),<br />

Bis heute:<br />

- mind. 8 Schulelternbeiratssitzungen<br />

(LUO) und diverse Verhandlungen mit<br />

„verantwortlichen“ Vertretern der Stadt<br />

Darmstadt,<br />

Ergebnis:<br />

- im Prinzip: Nichts!<br />

Selbst Demonstrationen der SchülerInnen<br />

und ein Schulboykott haben noch nichts<br />

Konkretes erreichen können!<br />

Die Ignoranz des Hausherrn (und OB-Kandidaten<br />

1993) Peter Benz – bezüglich seiner<br />

Fürsorgepflicht gegenüber den „kleinen<br />

Bürgern“ dieser Stadt – grenzt an Unverschämtheit!<br />

Ist das die Politik von heute,<br />

bzw. von morgen?<br />

- Haben die SchülerInnen diesen praktischen<br />

„Politikunterricht“ richtig gelernt?<br />

- Handeln die Volksvertreter in den anderen<br />

Problembereichen und Sachfragen genauso?<br />

Wenn ja,<br />

können wir, Eltern und SchülerInnen, die<br />

Wähler von morgen, uns zukünftig Wahlen<br />

ersparen, da die „gewählten Vertreter!“<br />

nicht die Verantwortung tragen, die ihrem<br />

Auftrag entspricht!<br />

Diese Demokratie<br />

steht nur noch auf dem<br />

Papier!<br />

Karin Bauer<br />

die Todesstrafe bietet auch die lebenslange<br />

Freiheitsstrafe dem Verurteilten keine Perspektive<br />

auf ein Leben in Freiheit. Deshalb<br />

muß die lebenslange Freiheitsstrafe abgeschafft<br />

<strong>werden</strong>.<br />

Diesem Verlangen steht der Paragraph 211<br />

des Strafgesetzbuchs entgegen. Dort heißt<br />

es: „Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe<br />

bestraft“ und „Mörder ist, wer. .<br />

. “ . Der Paragraph 211 hat seine geltende<br />

Prägung im Nationalsozialismus (1941 )<br />

erhalten und fällt aus dem Rahmen aller<br />

übrigen Strafvorschriften, da er nicht wie<br />

sonst üblich die Tat, sondern den Täter<br />

definiert und ihn wissenschaftlich unhaltbar<br />

– auf immer ausgrenzend zur Mördergestalt<br />

abstempelt.<br />

Mordparagraph und lebenslange Freiheitsstrafe<br />

verletzen die Menschenrechte des<br />

Grundgesetzes. In dem für Gesamt-<br />

Deutschland gedachten Verfassungsentwurf<br />

des Kuratoriums für einen demokratisch<br />

verfaßten Bund deutscher Länder vom<br />

Juni 1991 heißt es deshalb: „Die Todesstrafe<br />

und die lebenslange Freiheitsstrafe sind<br />

abgeschafft.“<br />

• Die lebenslange Freiheitsstrafe stellt die<br />

Person, ihre Lern- und Wandlungsfähigkeit<br />

in Frage. Damit widerspricht die lebenslange<br />

Freiheitsstrafe der Menschenwürde und<br />

opfert die Verurteilten einem abstrakten<br />

Strafanspruch.<br />

• Die lebenslange Freiheitsstrafe überschreitet<br />

die Grenzen jeder gesellschaftlichen<br />

Einrichtung, also dessen, was Menschen<br />

anderen Menschen antun dürfen.<br />

• Die lebenslange Freiheitsstrafe verstößt<br />

gegen das Strafvollzugsgesetz. Alle Menschen,<br />

die sich gegen die Gesetze vergangen<br />

haben, müssen die Chance besitzen,<br />

wieder gleichberechtigte Mitglieder der<br />

Gesellschaft zu <strong>werden</strong>. Die lebenslange<br />

Freiheitsstrafe hingegen verdammt diejenigen,<br />

die mit ihr belegt <strong>werden</strong>, zur Perspektivlosigkeit.<br />

• Die lebenslange Freiheitsstrafe wird für<br />

Taten vorgesehen, die nicht wiedergutzumachende<br />

Opfer zur Folge haben. Sie mindert<br />

nicht das Leid. Sie täuscht nur Hilfe für<br />

die Opfer vor.<br />

• Die lebenslange Freiheitsstrafe verhindert<br />

zukünftige Straftaten nicht. Sie befördert<br />

Vorurteile über einen angeblich beim einzelnen<br />

Menschen festgelegten Hang zum<br />

Verbrechen. Dadurch wird behindert, daß<br />

sich Bürgerinnen und Bürger mit ihrem<br />

eigenen Verhalten und ihrer Verantwortung<br />

auseinandersetzen und eine Lösung individueller<br />

wie gesellschaftlicher Konflikte<br />

anstreben, die Gewalt als Tat und als Strafe<br />

ablehnt.<br />

Wenn wir die Menschenrechte und uns<br />

selbst ernst nehmen, gibt es nur eine<br />

Möglichkeit: die Ersetzung der<br />

lebenslangen Freiheitsstrafe durch eine<br />

zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe. Das<br />

Strafmaß Lebenslang ist inhuman.<br />

Klaus Vack, Sekretär des Komitees<br />

für Grundrechte und Demokratie e. V.<br />

6121 Sensbachtal


BRIEFE AN DIE REDAKTION III<br />

Nein,<br />

zur Einschränkung des Grundrechts auf Asyl<br />

Im Wortlaut:<br />

Konsens erzielt: Lichtenbergschule wird PCB-saniert<br />

Nach monatelangen, teilweise<br />

nicht immer sachlichen Angriffen<br />

gegen den Magistrat konnte<br />

heute in Sachen PCB-Sanierung<br />

der Lichtenbergschule ein<br />

Konsens zwischen allen Beteiligten erzielt<br />

<strong>werden</strong>.<br />

In einem sachlichen und in freundlicher<br />

Atmosphäre verlaufenden Gespräch haben<br />

sich heute morgen Bürgermeister Peter<br />

Benz als Schuldezernent, Umweltdezernent<br />

Heino Swyter und Baudezernent Dr. Wolfgang<br />

Rösch in der Lichtenbergschule mit<br />

Vertretern der Elternschaft, der Schüler, der<br />

Lehrer und der Schulleitung getroffen, um<br />

zusammen mit dem PCB-Sanierer Prof. Dr.<br />

Georg-Michael Därr den aktuellen Sachstand<br />

zu erörtern und gemeinsam <strong>weiter</strong>e<br />

Schritte und Maßnahmen zu erarbeiten.<br />

Nachdem die Gesprächsteilnehmer ihre<br />

Sicht der PCB-Problematik dargestellt hatten,<br />

wurde Einigkeit darüber erzielt, daß die<br />

Lampenschalen bzw. Leuchtkörper alleine<br />

keine geeig<strong>net</strong>e Maßnahme zur Reduzierung<br />

der PCB-Konzentration in der Raumluft<br />

ist, da bereits vor längerem sowohl in<br />

der Lichtenbergschule wie auch in nahezu<br />

allen anderen öffentlichen Gebäuden die<br />

PCB-haltigen Kondensatoren ausgetauscht<br />

worden waren. Stadtrat Dr. Rösch hat aber<br />

zugesagt zu prüfen, ob im Rahmen des<br />

Energiesparprogramms der ’Altbau‘ der<br />

Lichtenbergschule vorgezogen mit Energiesparleuchten<br />

ausgestattet <strong>werden</strong> kann.<br />

Dieser Leuchtentyp wird im Rahmen der<br />

Sanierung des neueren Teils der Lichtenbergschule<br />

dann auch dort installiert.<br />

Bei dem heutigen Gespräch wurde darin<br />

Konsens erzielt, daß nur die Entfernung der<br />

Fugenmassen in der Lichtenbergschule die<br />

PCB-Raumluftkontamination vermindern<br />

wird, da diese Fugenmassen quantitativ als<br />

Hauptemissionsquelle anzusehen sind.<br />

Prof. Därr, der auf dem Gebiet der PCB-Sanierung<br />

als Fachmann in Deutschland gilt,<br />

bestätigte dies. Nach seiner Ansicht haben<br />

die Lampen nur untergeord<strong>net</strong>en Einfluß<br />

auf die PCB-Belastung der Raumluft.<br />

Anläßlich dieses Gespräches berichtete er<br />

über seine Sanierungsversuche in Köln und<br />

in Wiesbaden. Die Erfahrungen, die er derzeit<br />

dort macht, will er bei den geplanten<br />

Sanierungsmaßnahmen in der Lichtenbergschule<br />

verwerten. Der PCB-Sanierer ging<br />

auch auf die immense Problematik der<br />

Messungen der Raumluft-Kontamination<br />

ein, wird aber die bisher im Auftrage der<br />

Stadt erfolgten Messungen wegen ihres<br />

logischen Aufbaus für sein Sanierungsgutachten<br />

verwenden.<br />

Der Vorstand des Komitees für Grundrechte<br />

und Demokratie erklärt zu dem Skandal<br />

des gegenwärtigen Versuchs, das Grundrecht<br />

auf Asyl einzuschränken: Ein Asylverfahrensgesetz,<br />

das zu eklatanten Einschränkungen<br />

der Einklagbarkeit von Asylbegehren<br />

führen wird, soll am 5. Juni 1992<br />

im Deutschen Bundestag beschlossen <strong>werden</strong><br />

und bereits am 1. Juli 1992 in Kraft treten.<br />

Darüber hinaus wollen die etablierten<br />

Parteien Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes<br />

bis zur Unkenntlichkeit verändern,<br />

um so das Asylrecht zu beschneiden. Die<br />

Flucht vor politischer Verfolgung wird mit<br />

anderen Formen der Einwanderung vermengt<br />

und so zur „Asylantenflut“ stilisiert.<br />

Politiker setzen populistisch auf Vorurteile<br />

und Angst gegenüber Einwanderern. Damit<br />

<strong>werden</strong> Emotionen aufgerührt, um sodann<br />

scheindemokratisch so zu tun, als entsprächen<br />

die Politiker nur dem Mehrheitswunsch<br />

.<br />

Die etablierten Parteien sind nicht<br />

bereit, im Sinne der Grundrechte zu<br />

sprechen und zu handeln. Damit<br />

kehren sie sich gegen das Interesse<br />

der eigenen Staatsbürgerinnen und -<br />

bürger an einer demokratischen und<br />

menschenrechtlichen Politik.<br />

Alle von offizieller Seite vorgetragenen<br />

Argumente klingen hohl:<br />

Die Flucht politisch Verfolgter ist keine der<br />

Hauptursachen der gegenwärtigen ökonomischen<br />

und sozialen Probleme der Bundesrepublik.<br />

Indem Politiker die „Asylantenflut“<br />

beschwören, täuschen sie über den<br />

selbstverschuldeten Mangel angemessener<br />

Wirtschafts- und Sozialpolitik hinweg,<br />

während in Wirklichkeit die Bundesrepublik<br />

nicht mehr in ihrem ungleichen Wohlstand<br />

ohne den Beitrag ausländischer Arbeiterinnen<br />

und Arbeiter existieren könnte.<br />

Auch der Hinweis auf die große Zahl abgelehnter<br />

Anträge von angeblichen „Scheinasylanten“<br />

täuscht. Einem großen Teil der<br />

Abgelehnten mußte nach der Genfer Konvention<br />

und aus humanitären Gründen Aufenthalt<br />

gewährt <strong>werden</strong>. Auch <strong>werden</strong><br />

Kriegsflüchtlinge – zum Beispiel aus Jugoslawien<br />

– aus durchsichtigen Finanzierungsgründen<br />

erst ins Asylverfahren gezwungen,<br />

um sie dann als nicht politisch Verfolgte zu<br />

„Scheinasylanten“ erklären zu lassen.<br />

Täuschung auch bei der Klage, die Asylverfahren<br />

dauerten zu lange. Diese Verfahrenslänge<br />

ist selbstproduziert, insbesondere<br />

durch regelmäßige Einsprüche des Bundesbeauftragten<br />

gegen erteilte Anerkennungen.<br />

Alle Vorschläge, wie z.B. die pauschale Benennung<br />

von Nichtverfolgerstaaten, sprechen<br />

der Weltlage und dem Sinn des Grundrechts<br />

auf Asyl hohn. Für die Beibehaltung<br />

des Grundrechts auf Asyl und eine demokratisch-rechtsstaatliche<br />

Form des Verfahrens<br />

sprechen eindeutige Argumente:<br />

• Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes<br />

gehört zu den wenigen Grundgesetzartikeln,<br />

die den schlimmen Erfahrungen mit<br />

dem deutschen Nationalsozialismus zu ent-<br />

Dieser Sanierungsvorschlag wird demnächst<br />

dem Magistrat vorgelegt. Der Magistrat,<br />

so heute die beteiligten Dezernenten,<br />

wird dann spätestens im Herbst darüber<br />

entscheiden, wie und welche Sanierungsmaßnahmen<br />

aufgrund des Gutachtens und<br />

der Kostenschätzung von Prof. Därr durchgeführt<br />

<strong>werden</strong>. Anschließend wird sich die<br />

Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung mit dieser<br />

Problematik wiederum beschäftigen müssen.<br />

Aufgrund des heutigen Gesprächs steht<br />

fest, daß der Neubau der Lichtenbergschule<br />

sowie <strong>weiter</strong>e Schulen, soweit sie mit PCB<br />

kontaminiert sind, saniert <strong>werden</strong>. Dies<br />

wird stufenweise erfolgen, also in mehreren<br />

Bauabschnitten, da die zu sanierenden Räume<br />

nahezu in Rohbauzustand versetzt <strong>werden</strong><br />

müssen, also in der Sanierungsphase<br />

Beim Erörterungstermin über das Merck-<br />

Eurolager N 90 am 25.05.92 im Darmstädter<br />

Regierungspräsidium hat die IGAB deutlich<br />

die Auffassung vertreten, daß die<br />

geplante konzentrierte Lagerung von<br />

höchst gefährlichen Stoffen in unmittelbarer<br />

Nähe von Wohngen nicht genehmigungsfähig<br />

ist. Gegen das Vorhaben hatten<br />

während der Offenlegung der Pläne im<br />

März/April dieses Jahres 349 Personenvor<br />

allem aus Arheilgen- Einwendungen<br />

erhoben. Da der Erörterungstermin<br />

während der Arbeitszeit stattfand, konnten<br />

viele Einwender ihre Gesichtspunkte nicht<br />

persönlich vortragen.<br />

Obwohl ein breites Spektrum von Bedenken<br />

und Anregungen auf der Tagesordnung<br />

stand, sind die Vertreter der Firma Merck,<br />

der Stadt Darmstadt und der Fachbehörden<br />

nur auf wenige Fragen und Hinweise konkret<br />

eingegangen. Immer wieder waren<br />

Nachfragen erforderlich, und die Antworten<br />

sind für die IGAB nach wie vor unbefriedigend.<br />

Ein wichtiger Streitpunkt war die Frage, ob<br />

das Eurolager bauplanungsrechtlich überhaupt<br />

zulässig ist. Wie Gerhard Schäfer von<br />

der IGAB vorgetragen hat, sind die Kriterien<br />

des § 34 des Baugesetzbuches nicht erfüllt.<br />

Dies betrifft die Unvereinbarkeit des Projektes<br />

mit der Umgebung bezüglich der Art<br />

wie auch des Maßes der baulichen Nutzung.<br />

Obwohl sich die Stadt Darmstadt<br />

nach wie vor weigert, wird sie nicht umhinkommen,<br />

für das betroffene Gebiet einen<br />

sprechen suchten.<br />

• Die Art, wie ein Land mit dem uralten<br />

Menschenrecht auf Asyl umgeht, berührt<br />

auch seine innere Freiheit und die seiner<br />

Bürgerinnen und Bürger. Solange der wirklichkeitsfremde<br />

Satz „Deutschland ist kein<br />

Einwanderungsland“ geglaubt wird, ist<br />

Deutschland in der Mitte des seine Grenzen<br />

aufhebenden EG-Europa durch sich selbst<br />

am meisten gefährdet. Deshalb ist nur solchen<br />

Politikerinnen und Politikern Vertrauen<br />

zu schenken, die um der inneren Freiheit<br />

willen die Freiheit und die Menschenrechte<br />

im zusammenwachsenden Europa und darüber<br />

hinaus unverkürzt zu erhalten streben.<br />

• Ein Land, das sich ängstlich abkapseln<br />

will, obgleich es wie die Bundesrepublik in<br />

seinem Wohlstand vom Weltmarkt abhängig<br />

ist, besitzt offenkundig angstmachende<br />

soziale und politische Umstände. Diese<br />

sind zu beheben, statt auf menschenrechtlich<br />

bedrohte Ausländer abzulenken.<br />

Wir sagen deshalb: Wer das jeder Person<br />

geltende Grundrecht auf Asyl einschränken<br />

will, verstößt nicht zuletzt gegen die Interessen<br />

der eigenen Bürgerinnen und Bürger,<br />

auch und gerade, indem er vorgibt, diese<br />

Interessen zu verfolgen. Wir appellieren an<br />

die Abgeord<strong>net</strong>en des Deutschen Bundestages<br />

und an den Bundesrat, dem geplanten<br />

neuen „Asylverfahrensgesetz“ die<br />

Zustimmung zu versagen und das Grundrecht<br />

auf Asyl unangetastet zu lassen.<br />

Dr. Andreas Buro, Sprecher des Komitees<br />

für Grundrechte und Demokratie<br />

dort für längere Zeit kein Unterricht stattfinden<br />

kann. Bei der Lichtenbergschule gehen<br />

die Fachleute von einer Bauzeit von etwa 12<br />

Monaten aus.<br />

Über die voraussichtlichen beträchtlichen<br />

Kosten, die die PCB-Sanierung der Stadt<br />

Darmstadt verursachen wird, wird sich der<br />

Magistrat und die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

ebenfalls zu gegebener Zeit<br />

befassen müssen.<br />

Sowohl Bürgermeister Peter Benz als auch<br />

die Stadträte Dr. Wolfgang Rösch und<br />

Heino Swyter bedankten sich abschließend<br />

für die Möglichkeit dieses Gesprächs, habe<br />

es doch zu einem vertrauensbildenden<br />

Konsens aller Beteiligten geführt.<br />

Darmstadt, den 4.6.92<br />

Volker Rinnert, Presseamt ,<br />

Merck-Eurolager N 90:<br />

Finden die Arheilger Bedenken Beachtung?<br />

Bebauungsplan aufzustellen. Nur bei einem<br />

ordentlichen Bauleitplanverfahren kann<br />

unter Beteiligung der Öffentlichkeit eine<br />

Abwägung der unterschiedlichen Interessen<br />

erfolgen, die noch unvereinbar im<br />

Raume stehen: geringer Abstand zu Wohngebieten,<br />

erhebliche Verkehrs- und<br />

Umweltprobleme.<br />

Bei Aufstellung eines Bebauungsplans wurde<br />

auch eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung<br />

vorgenommen, die die<br />

IGAB nach wie vor für dringend erforderlich<br />

hält. Das sehr hohe und lange Bauwerk wird<br />

Auswirkungen auf das Stadtklima haben<br />

und die schon heute belastete Situation im<br />

Darmstädter Norden (Wärmeinsel) noch<br />

verschärfen. Wo vor einigen Jahren noch<br />

Kleingärten waren und heute nur provisorische<br />

Bauten stehen, soll mit einem riesigen<br />

Baukörper in die natürlichen Güter Boden<br />

und Wasser massiv eingegriffen <strong>werden</strong>.<br />

Als völlig unzureichend sieht die IGAB die<br />

Sicherheitsüberprüfung an. Obwohl im<br />

Eurolager N 90 in einem Gebäude 9 000<br />

Tonnen zum Teil sehr giftige beziehungsweise<br />

leicht entzündliche Stoffe gelagert<br />

<strong>werden</strong> sollen, verlassen sich alle Gutachter<br />

auf das Funktionieren von automatischen<br />

Löschanlagen, als hätte es bei solchen<br />

Anlagen noch nie Pannen gegeben. Bei<br />

allen Modellrechnungen über Stoff-Freisetzungen<br />

und deren Ausbreiten in die Umgebung<br />

wurde die Möglichkeit eines größeren<br />

Brandes oder gar eines Großbrandes nicht<br />

ernsthaft geprüft. Auch eine potentielle<br />

Neue Wohnformen<br />

Wie sollten menschengerechte Wohnformen<br />

der nahen Zukunft aussehen und wie<br />

lassen sie sich realisieren? Mit dieser Fragestellung<br />

beschäftigt sich seit zwei Jahren<br />

intensiv ein Kreis interessierter Laien und<br />

Fachleute aus Darmstadt.<br />

Selbstbestimmt, ökologisch orientiert, von<br />

überschaubarer Größe und ohne Ausgrenzung<br />

oder Ghettoisierung einzelner Bevölkerungs-<br />

oder Altersgruppen sollten künftige<br />

Wohnprojekte angelegt sein, so lautet<br />

das Zwischenergebnis der Gruppe, die sich<br />

nun anschickt, die Rahmenbedingungen für<br />

eine konkrete Wohnanlage in Darmstadt<br />

mit etwa 40 Wohneinheiten zu schaffen.<br />

Als sich die Gruppe im Herbst 1990 nach<br />

zwei Tagungen der Evangelischen Erwachsenenbildung<br />

und der Stiftung ’Die Mitarbeit‘<br />

zu den Themen „Alternative Lebensund<br />

Wohnformen“ bildete, war in erster<br />

Linie eine Einflußnahme auf die Konzeption<br />

des künftigen HEAG-Altenwohnstiftes in<br />

Kranichstein und dessen Umfeld beabsichtigt.<br />

Den Bemühungen der Gruppe ist zu<br />

verdanken, daß die HEAG ihr internes Vorhaben<br />

zumindest der Öffentlichkeit präsentierte<br />

und einen Architektenwettbewerb<br />

auslobte.<br />

Dem Kreis, der sich als Initiativgruppe versteht<br />

und schlicht „Neues Wohnen“ nennt,<br />

gehören Alleinstehende und Paare mit und<br />

ohne <strong>Kinder</strong> an, Studenten, Sozialwissenschaftler<br />

und Architekten, Ältere im Ruhestand,<br />

auch Mitglieder der Grauen Panther,<br />

die auch ein Eigeninteresse an neuen<br />

Wohnformen besitzen. Die katastrophale<br />

Lage auf dem Wohnungsmarkt, die zunehmende<br />

Fehlbelegung von Wohnungen, die<br />

wachsende Vereinsamung großer Bevölkerungsteile<br />

und die daraus resultierenden<br />

Probleme in Hinblick auf Fürsorge und<br />

Krankenpflege waren Hauptargumente,<br />

sich allgemein der Frage nach neuen<br />

Wegen im Wohnungsbau zu stellen. Unterstützung<br />

erfahren sie dabei durch den<br />

Wohnbund, das Institut Wohnen und<br />

Umwelt und durch die Leiterin der Sozialverwaltung<br />

und früheren Frauenbeauftragten<br />

Dr. Wilma Mohr.<br />

Aus der Analyse bisheriger alternativer<br />

Wohnprojekte im In– und Ausland leiten sie<br />

folgendes Konzept für eine Wohnanlage ab:<br />

Auf einer Fläche von 8000-10000 qm sollen<br />

vier dreigeschossige Einzelhäuser mit<br />

gemeinsamer Freifläche entstehen, die von<br />

verschiedenen Interessengruppen bewohnt<br />

<strong>werden</strong>: Ein Haus der „älteren Generation“<br />

mit hauptsächlich Zweizimmerwohnungen,<br />

ein Haus mit vielen <strong>Kinder</strong>n, d.h. für Paare,<br />

Alleinerziehende und Wohngemeinschaften<br />

Gefährdung durch Flugzeuge wird bestritten,<br />

obwohl jeder weiß, daß eine der Hauptabflugrouten<br />

vom Frankfurter Flughafen<br />

direkt über Arheilgen führt.<br />

Obwohl es bei Merck trotz Sicherheitsvorkehrungen<br />

immer wieder zu kleineren und<br />

größeren Unfällen kommt, gibt es bis heute<br />

noch keine konkrete Alarm- und Gefahrenabwehrplanung<br />

für die Bürger im Umkreis.<br />

Die Erstellung entsprechender Pläne wurde<br />

seitens der IGAB von Gabriele Lewin beim<br />

Erörterungstermin unabhängig vom<br />

Genehmigungsverfahren für das Eurolager<br />

angemahnt.<br />

Das Regierungspräsidium muß sich als<br />

Genehmigungsbehörde mit all diesen<br />

Bedenken ernsthaft auseinandersetzen. Die<br />

IGAB wird sich bemühen, insbesondere zu<br />

den Sicherheitsfragen noch gutachterliche<br />

Stellungnahmen unabhängiger Experten<br />

nachzureichen. Für die hierzu bisher eingegangenen<br />

Spenden bedankt sich die IGAB<br />

an dieser Stelle.<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 12<br />

mit <strong>Kinder</strong>n mit überwiegend 4-5-Zimmerwohnungen,<br />

ein Haus für Bewohner ohne<br />

<strong>Kinder</strong>, Alleinlebende, Student/innen,<br />

Jugendliche, kleinere Wohngemeinschaften<br />

und Behinderte mit 3-4-Zimmerwohnungen<br />

sowie ein Mehrgenerationenhaus,<br />

das Appartments mit gemeinsamer Küche<br />

beinhaltet bei überwiegend 2–Zimmerwohnungen.<br />

Im Erdgeschoß aller Gebäude sind Räume<br />

gemeinschaftlicher Nutzung vorgesehen,<br />

die auch an externe Gruppen vermietet <strong>werden</strong><br />

können, z.B. Vereinsräume, <strong>Kinder</strong>hort,<br />

Cafe, etc. Auch Hobbyräume, Wintergärten,<br />

Abstellräume sowie Gästewohnungen sind<br />

geplant. Ökologische Gesichtspunkte sollen<br />

ebenfalls Berücksichtigung finden, so<br />

z.B. Regenwassernutzung, Mietergärten,<br />

Dachbegrünung und passive Solarenergienutzung.<br />

Mit dieser Zielsetzung vor Augen<br />

sucht die Gruppe nach einer geeig<strong>net</strong>en<br />

Rechtsform, die die Vergabe der Wohnungen<br />

an Mieter mit sozialem Bindungsschein<br />

genauso ermöglicht wie an normale Mieter<br />

und auch Eigentumswohnungen zuläßt. Die<br />

Verwaltung der Wohnungen und der<br />

Gemeinschaftsräume soll von den Bewohnern<br />

selbst bestimmt <strong>werden</strong>. Ein Bauträger<br />

und ein geeig<strong>net</strong>es Gelände sind <strong>weiter</strong>e<br />

Bedingungen für die baldige Umsetzung<br />

des Projektes. Die Gruppe will bei der<br />

Klärung rechtlicher Fragen die Stadt Darmstadt<br />

in die Pflicht nehmen, insbesondere<br />

Bürgermeister Benz, denn sie greift mit<br />

ihren Vorstellungen auch auf Passagen des<br />

von ihm mit erarbeiteten Altenplanes<br />

zurück.<br />

Wer sich für die Arbeit der Gruppe interessiert<br />

oder sich sogar für die Verwirklichung<br />

des Wohnprojektes einsetzen möchte, ist<br />

zu den offenen Treffen an jedem ersten<br />

Dienstag im Monat eingeladen, die ab 20<br />

Uhr im Institut Wohnen und Umwelt, Annastraße<br />

15 stattfinden, das nächste am 9.<br />

Juni.<br />

Weitere Informationen sind zu erhalten von<br />

Karin Gerhardt, Tel. 22441 und Hanni Skroblies,<br />

Tel. 719653. Christian Osorio,<br />

Initiativgruppe Neues Wohnen,<br />

Breslauer Platz 3, 6100 Darmstadt<br />

Der Mond ist<br />

aufgegangen…<br />

Wer das Glück oder Pech hat, hier in Darmstadt<br />

einmal im Krankenhaus des Elisabethenstifts<br />

einige Zeit verbringen zu müssen,<br />

der wird buchstäblich und in jeder Hinsicht<br />

vom Schlaf aufgerüttelt.<br />

Hier wird Darmstädter Politik und individueller<br />

Einsatz für den Menschen drastisch<br />

vor Augen geführt.<br />

Tag und Nacht mühen sich liebevolle<br />

Schwestern, tapfere Pfleger und Ärzte um<br />

das Wohl der Patienten und jahrelang –<br />

wenn nicht schon jahrzehntelang – hat die<br />

Darmstädter Stadtplanung – an vorderster<br />

Stelle ihr oberster Planer Metzger – auf<br />

dem Gebiet der Verkehrsberuhigung entlang<br />

der Landgraf-Georg-Straße, des City-<br />

Rings und der Bleichstraße nicht nur Nichts<br />

erreicht, sondern zugesehen, wie eine<br />

schlimme Situation immer chaotischer<br />

wird.<br />

Zum Glück oder Pech mußten die zuständigen<br />

Politiker noch keine schwüle Nacht bei<br />

offenem Fenster hier im Elisabethenstift<br />

verbringen. Sollte man ihnen solches vielleicht<br />

zum Wohle der Stadt Darmstadt wünschen?<br />

G. Wallner, Zi. 310


FEUILLETON I<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 13<br />

Kein<br />

unststück –<br />

unsthandwerk<br />

Strohhochzeit:<br />

Joachim Johannsens<br />

erste Inszenierung in Darmstadt<br />

Menhire auf steiniger Weide,<br />

links schemenhaft ein alter<br />

Pflug, in der Mitte ein großer<br />

dunkler Citrœn, dazwischen –<br />

kaum unterscheidbar von den<br />

hohen Steinen – vermummte Gestalten.<br />

<strong>Und</strong> über allem wabert der<br />

Morgennebel. Solch eindrucksvolles<br />

Bühnenbild (Bernd Damovsky)<br />

hat sich Schauspielchef Joachim<br />

Johannsen für seine erste Inszenierung<br />

in Darmstadt bauen lassen.<br />

Das „bretonischste Bühnenbild“ für<br />

die bisherigen Inszenierungen seines<br />

Stücks „Strohhochzeit“, wie<br />

Roland Fichet in einem Gespräch<br />

bemerkte. „De la paille pour mémoire“,<br />

Stroh zur Erinnerung, so<br />

der Originaltitel, entstand 1983 in<br />

der Bretagne, wo Fichet geboren<br />

und aufgewachsen ist. Autobiographisches<br />

floß in dieses Stück ein,<br />

die Erfahrungen mit ländlicher Abgeschiedenheit,<br />

in der ein rigider<br />

Katholizismus und Rudimente der<br />

keltisch-heidnischen Kultur nebeneinander<br />

existieren und in dem eine<br />

eigene, nicht mit dem Französischen<br />

verwandte Sprache – das<br />

Bretonische – das Verschlossene<br />

von Mensch und Landschaft zu<br />

betonen scheint.<br />

Die französische Uraufführung<br />

des Stücks im bretonischen St.<br />

Brieuc, wo Fichet heute lebt,<br />

arbeitet und ein eigenes Theater zur<br />

Verfügung hat, war ein Novum.<br />

Nicht nur, weil in ungewohnter<br />

Weise das Klima sexueller Repression<br />

spürbar ist, sondern auch<br />

wegen der Zweisprachigkeit. Bretonisch<br />

auf der Bühne gibt es sonst<br />

nicht. Die bretonische Kultur insgesamt<br />

wird in Frankreich ignoriert.<br />

Kürzlich lachte das Publikum in<br />

Paris über die bretonischen Passagen<br />

im Stück, weil es nicht verstehen<br />

konnte oder wollte. Joachim<br />

Johannsen, der zwei Jahre in Paris<br />

gelebt hat und dort auf Fichet<br />

aufmerksam wurde, behalf sich bei<br />

seiner Übersetzung ins Deutsche<br />

mit dem Englischen.<br />

In der deutsch(-englisch)sprachigen<br />

Erstaufführung der „Strohhochzeit“<br />

in Darmstadt liegt der<br />

Akzent gleichermaßen auf dem<br />

Zauber und der Schwierigkeit der<br />

Stunde Null von vier Personen, die<br />

ihr gewohntes Leben gezwungenermaßen<br />

nicht <strong>weiter</strong>führen können.<br />

Der Gutshof, auf dem die drei<br />

Geschwister aufgewachsen sind,<br />

mußte verkauft <strong>werden</strong>, der Knecht<br />

ist frei.<br />

Alle Vier sind über Nacht heimatlos<br />

geworden, ohne zu wissen, was die<br />

Zukunft bringen wird. Sie machen<br />

sich auf den Weg in ein unbekanntes<br />

Leben, der Citrœn streikt nach<br />

50 Metern, sie kommen nicht von<br />

der Stelle. Das ist die Grundsituation<br />

drei kurze Akte lang. Vigre<br />

macht dem jungen Mädchen Hélène<br />

einen Heiratsantrag und Jobloup,<br />

der ältere Bruder, tötet seine<br />

geliebte Stute. Viel mehr passiert<br />

nicht. Fichet will zeigen, wie jede<br />

der vier Personen mit der Atempause<br />

umgeht, die das Schicksal gewährt,<br />

um Abschied zu nehmen.<br />

Als zeitloses Gleichnis ist das zu<br />

verstehen. Es ist eines, das leider<br />

nicht eigentlich Neues bringt.<br />

Tschechow hat die gebildete<br />

Langeweile auf dem Lande besser<br />

eingefangen, Beckett gestaltete das<br />

Festsitzen und Wartenmüssen quälender,<br />

zugleich kurzweiliger, und<br />

Claudel hat die Fesseln von Familie<br />

und Tradition/Religion eindringlicher<br />

gezeigt. Hier hätte nur eine<br />

Inszenierung, die in der Schwebe<br />

bleibt, statt eindeutig zu <strong>werden</strong>,<br />

eine reizvolle Aufführung ergeben<br />

können. Regisseur Johannsen jedoch<br />

raubt dem Stück seine Geheimnisse.<br />

Jeder Zuschauer weiß<br />

nach anderthalb Stunden: die Geschwister<br />

haben ein latent inzestuöses<br />

Verhältnis zueinander, die<br />

plumpe Begehrlichkeit des Knechts<br />

Vigre kennt nur das eine Ziel – Hélène.<br />

Jobloup tötet seine Stute Eva,<br />

um sich von der Vergangenheit und<br />

seiner Bindung an die Schwester zu<br />

befreien und Zaac-Vigres Kumpanei<br />

trägt homoerotische Züge. Da<br />

bleibt keine Frage offen und kein<br />

Raum für Assoziationen.<br />

Die schauspielerischen Leistungen<br />

sind bemerkenswert. Timo Berndt<br />

verkörpert den Jobloup als zarten<br />

Hitzkopf, der den starken Mann<br />

herauskehrt, gerade weil er die<br />

Entwurzelung nicht aushalten<br />

kann. Gregor Weber (Schauspielschüler<br />

aus Frankfurt), der kleine<br />

zurückgebliebene Bruder, ist<br />

sprachlos geworden. Er bellt wie<br />

ein Hund, um sich verständlich zu<br />

machen und fordert jaulend seine<br />

Streicheleinheiten ein, wenn er sich<br />

nicht gerade mit Radiomusik und<br />

Pornoheften vergnügt. Vigre,<br />

gespielt von Klaus Ziemann, schafft<br />

es, sich im Dreierbund der<br />

Geschwister zu behaupten. Wo<br />

Unterwürfigkeit und Schmeichelei<br />

nicht <strong>weiter</strong>helfen, verschafft er<br />

sich mit polternder Dreistigkeit so<br />

etwas wie Achtung.<br />

Einzig die mädchenhafte Hélène<br />

scheint etwas begriffen zu<br />

haben. Alexandra von Schwerins<br />

Wandlungsfähigkeit läßt<br />

deutlich <strong>werden</strong>, wie ein junges, behütetes<br />

Mädchen zur erwachsenen<br />

Frau wird. Für sie ist die Stunde<br />

Null die Stunde einer Wiedergeburt.<br />

Sie weiß um die Reize der Gefangenschaft<br />

– „Ich hätte Lust, noch<br />

mehr Zeit zu verlieren. Ich hätte<br />

Lust, noch schwächer zu <strong>werden</strong>“ -,<br />

doch sie spürt (und man kann es<br />

sehen), daß sie lebendig ist und die<br />

Schmerzen des Neubeginns annehmen<br />

muß.<br />

Mit den Mitteln des Realismus, der<br />

Komik, der Psychologie und der<br />

Mythologie, die das Stück enthält<br />

und deren sich der Regisseur<br />

bedient, ist am Ende alles gesagt<br />

und gezeigt worden, was zu sagen<br />

und zu zeigen war. Es bleibt ein<br />

etwas schales Gefühl, weil alles<br />

verstanden wurde, was zu verstehen<br />

war. Wenn das Wesen der<br />

Kunst gerade in seinem unerklärlichen<br />

Rest begründet liegt, so war<br />

dies kein Kunst-Stück, sondern<br />

gutgemachtes Kunst-Handwerk.<br />

Leon Frey<br />

Foto: Alexandra von Schwerin als<br />

Hélène und Timo Berndt als Jobloup in<br />

der „Strohhochzeit“ von R. Fichet<br />

(G. Amos)<br />

Die Liebe in den Zeiten des HIV-Virus<br />

Er hat Aids, sie nicht. Er lebt zwangsweise<br />

in einem bewachten Internierungslager<br />

für HIV-Positive, sie in der nicht weniger<br />

reglementierten Welt der Gesunden.<br />

Der amerikanische Film- und Fernsehautor<br />

Alan Bowne, der 1990 an Aids starb, verlegte<br />

sein 1987 entstandenes Stück „Beirut“ in<br />

die Zukunft. Er entwarf eine negative, durchaus<br />

plausible Utopie. Wer HIV-positiv ist,<br />

bekommt einen Stempel auf die Pobacke,<br />

links die Männer, rechts die Frauen. Die Abgestempelten<br />

<strong>werden</strong> isoliert, die (noch) Gesunden<br />

mittels Kamera und wöchentlichen<br />

Blutkontrollen überwacht. Jede Art von<br />

körperlicher Liebe untersteht strengsten<br />

gesetzlichen Vorschriften, während Onanie<br />

vor Pornovideos favorisiert wird – selbstverständlich<br />

vor Überwachungskameras.<br />

Die Darmstädter Inszenierung des Stücks<br />

auf der Werkstattbühne spielt in einem<br />

rostig vergitterten Raum (Bühne: Axel<br />

Kimminus), einer Einzelzelle, in der Torch<br />

darauf wartet, daß sich erste Krankheitssymptome<br />

zeigen. Matratze, schmuddeliges<br />

Waschbecken und eine Pyramide aus<br />

Konservendosen (andere Lebensmittel gibt<br />

es nicht) bilden das karge Mobiliar. Der<br />

Regisseur Wolfgang Hagemann hat „Beirut“<br />

einiges an New Yorker Lokalkolorit genommen,<br />

um es besser im Irgendwo, d.h. überall<br />

ansiedeln zu können. Das wäre nicht nötig<br />

gewesen, vermindert aber möglicherweise<br />

die Distanz zum Thema. Jedenfalls wird die<br />

Vorstellbarkeit des utopischen Arrangements<br />

größer zu einem Zeitpunkt, wo das<br />

Thema Aids kaum noch Thema ist. Die Liebe<br />

in den Zeiten des HIV-Virus ist eben nicht<br />

nur für Homosexuelle problematisch, und<br />

der Gefahr sind nicht nur Fixer ausgesetzt.<br />

Was die im Stück bloß ausgedachte Ghettoisierung<br />

von Aids-Infizierten angeht, so<br />

haben Vorschläge gewisser Politiker hierzulande<br />

Alan Bownes Utopie längst eingeholt.<br />

Das Mädchen Blue schafft es, die strengen<br />

Sicherheitskontrollen in „Beirut“ – ein Begriff,<br />

der in den USA als Bezeichnung für<br />

Slum und Ghetto gebraucht wird – zu durchbrechen,<br />

um ihren Freund Torch zu besuchen.<br />

Sie will bei ihm bleiben. Elisabeth<br />

Degen spielt das Mädchen über weite<br />

Strecken allzu unbekümmert und munter, so<br />

als gäbe es gar kein Risiko. Blue will den<br />

Freund verführen, er sträubt sich, weil er<br />

Angst hat, sie anzustecken. Eineinviertel<br />

Stunden lang streiten die beiden darum, was<br />

zwischen ihnen möglich ist – Berührungen<br />

vielleicht, aber an welchen Körperstellen,<br />

Zungenküsse oder besser Trockenküsse,<br />

aus einer Dose essen oder lieber nicht. Beinahe<br />

pausenlos reden Torch und Blue über<br />

das unsichtbare Virus und was sie gerne<br />

täten, gäbe es das Virus nicht. Die Sprache<br />

ist für eine Liebesgeschichte ungewöhnlich<br />

unflätig und brutal. Sebastian Hufschmidt<br />

kommen die ordinären Ausdrücke (der Autor<br />

stammt aus der tiefsten Bronx) glaubwürdiger<br />

von den Lippen als Elisabeth Degen,<br />

deren Gesicht an das einer Renaissance-Madonna<br />

erinnert.<br />

Insgesamt vermittelt er den stärkeren<br />

Gesamteindruck. Ein gefangener, gedemütigter<br />

Mensch, der sich zitternd und schwitzend<br />

der unwürdigen Körperkontrolle des<br />

äußerst bedrohlich wirkenden Wärters (Dino<br />

Isanculescu) mit der gekrümmten Eisenstange<br />

unterwirft. Blues Entschluß, bei<br />

ihrem infizierten Geliebten zu bleiben, gewinnt<br />

erst allmählich gegen Ende des Stücks<br />

an Glaubwürdigkeit. Daß diese Liebe den<br />

Tod beinhaltet, wissen beide. Sie nutzen die<br />

Freiheit, sich zu entscheiden. „Du hast nicht<br />

eine Minute deines Lebens selbst besessen“,<br />

läßt Bowne das Mädchen Blue sagen,<br />

und die Degen darf es ohne Pathos aussprechen.<br />

„Der Augenblick, in dem wir sterben,<br />

der gehört uns“. Am Schluß sieht es dann<br />

Alan Bownes Stück „Beirut“ auf der Werkstattbühne<br />

aber doch so aus, als ob auch dieser Augenblick<br />

fremdbestimmt wäre.<br />

Das überwiegend junge Premierenpublikum<br />

applaudierte mit kräftigem Beifall und einigen<br />

Bravos. Es steht zu hoffen, daß „Beirut“<br />

und die Inszenierung des Stücks auf der<br />

Darmstädter Werkstattbühne zur notwendigen<br />

Aktualisierung des nicht mehr recht<br />

aktuellen Themas Aids beitragen <strong>werden</strong>. Im<br />

Anschluß an die „Beirut“-Aufführung am<br />

Freitag, dem 19. Juni 1992 (ca. 21.15 Uhr)<br />

soll eine Diskussion unter dem Titel<br />

„BEIRUT – Von der Liebe in einer apokalyptischen<br />

Welt“ stattfinden. Das Beirut-Ensemble<br />

und Mitglieder der Aids-Hilfe<br />

Darmstadt <strong>werden</strong> anwesend sein.<br />

Hanne Kreutzer<br />

Abb.: Elisabeth Degen in der Rolle des Mädchen<br />

Blue, Sebastian Hufschmidt spielt den Aids-<br />

Infizierten Torch<br />

(Foto: G. Amos)


FEUILLETON IV<br />

Nummer 31 · 19.6..1992 · Seite 16<br />

„Die irrige Vorstellung<br />

von einem demokratischen<br />

Politiker endlich begraben“<br />

Die Rede von<br />

Walter Steinmetz<br />

zur Verleihung<br />

des von ihm<br />

gestifteten<br />

Alternativen<br />

Büchnerpreises<br />

Lieber Herr Professor Jungk,<br />

verehrter Herr Professor Künzli,<br />

sehr geehrtes Auditorium,<br />

ich begrüße Sie sehr herzlich und hoffe Sie<br />

damit einverstanden, daß wir trotz des<br />

Fehlens der Politprominenz die Preisverleihung<br />

nicht abbrechen. Wir haben Verständnis<br />

dafür, daß der Wiederaufbau eines<br />

Feudalsystems wie zu Georg Büchners<br />

Zeiten den vollen Einsatz <strong>unsere</strong>s Polit-<br />

Adels erfordert. <strong>Und</strong> wir sollten auch Mitgefühl<br />

dafür aufbringen, wie Politikerinnen<br />

und Politiker unter dem Mißverständnis<br />

leiden müssen, für Parasiten und Schmarotzer<br />

gehalten zu <strong>werden</strong>, obwohl sie sich<br />

doch Tag und Nacht für uns aufopfern,<br />

während wir auch noch das demütigende<br />

Ansinnen stellen, daß sie ihre Kontoauszüge<br />

prüfen und abends ihre Kostüm- bzw.<br />

Anzugtaschen nach Briefumschlägen mit<br />

Barem absuchen sollen.<br />

Deshalb begrüßen wir es dankbar, daß der<br />

Herr Bundespräsident letzte Woche anläßlich<br />

einer Beerdigung seinen Untertanen<br />

Gelegenheit gegeben hat, ihre irrige Vorstellung<br />

von einem demokratischen Politiker<br />

endlich zu begraben. Nun wissen wir,<br />

wie und was ein Politiker zu sein hat: „Eine<br />

noble Persönlichkeit … mit Stil und Würde.“<br />

Wir sind stolz darauf, daß der Herr<br />

Bundespräsident selbst diese Maxime<br />

vorbildlich verkörpert, und fühlen uns beschämt<br />

von seiner gütigen Bescheidenheit.<br />

So will er für seine Hofhaltung in Berlin mit<br />

dem Kronprinzenpalais vorlieb nehmen und<br />

nicht den Wiederaufbau des königlichen<br />

Schlosses verlangen, das mit seinen ehemals<br />

600 Zimmern eigentlich den<br />

gebührenden Rahmen für ihn abgäbe.<br />

Es ist zu hoffen, daß ihm sein dankbares<br />

Volk seine seitherige Berliner Residenz,<br />

Schloß Bellevue im Tiergarten, als Zweitwohnung<br />

beläßt. Insbesondere von solchen<br />

Leuten, die ihre Wochenenden in der eigenen<br />

Gartenhütte in einer Laubenkolonie<br />

verbringen, kann Zustimmung erwartet<br />

<strong>werden</strong>.<br />

Nicht nur in Deutschland haben noble<br />

Persönlichkeiten die Situation im Griff.<br />

Herrn Bush ist es in Nachahmung bedeutender<br />

Vorbilder erfolgreich gelungen, alle<br />

Probleme auf sich beruhen zu lassen, so<br />

daß sich Gleichgültigkeit und Abgestumpftheit<br />

breitmachen. Etwas Besseres<br />

kann einer Regierung garnicht passieren.<br />

Wo kommen wir schließlich hin, wenn Störenfriede<br />

wie Georg Büchner und Robert<br />

Jungk sich als mündige Bürger aufspielen<br />

und blinden Gehorsam in Frage stellen?!<br />

Als <strong>weiter</strong>en Aktivposten in seiner Erfolgsbilanz<br />

kann Herr Bush mit dem Golfkrieg<br />

aufwarten. Als sein dynamisches Team aus<br />

seinen Filialen in Europa und Japan die gehorsam<br />

bereitgestellten Milliarden-Beteiligungen<br />

auf den Tisch geblättert hatte, war<br />

ein satter Reibach erwirtschaftet. Nachdem<br />

die Waffenlager vorteilhaft geräumt und die<br />

Ladenhüter der alten Generation im Irak<br />

zweckmäßig entsorgt <strong>werden</strong> konnten, ist<br />

jetzt Platz für frische Ware.<br />

Die Absatzerwartungen stimmen optimistisch:<br />

Der Waffenverbrauch in Jugoslawien<br />

verzeich<strong>net</strong> einen erfreulichen Anstieg,<br />

und der Markt im Nahen Osten ist <strong>weiter</strong>hin<br />

unbegrenzt aufnahmefähig. Dort sind seit<br />

dem Golfkrieg bis zum Mai ’92 Waffen für<br />

21,4 Milliarden Dollar abgesetzt worden.<br />

Einen Großteil lieferte die Firma Rockwell<br />

International, für die es ein Klacks ist, wenn<br />

sie zu einer Geldbuße von 18,5 Millionen<br />

Dollar verurteilt wird, weil sie in ihrer<br />

Atomwaffenanlage in Colorado radioaktive<br />

Stoffe in Bäche gekippt hat, wie dpa vor 10<br />

Tagen meldete. Rockwell ist derjenige Rüstungsgigant,<br />

bei dem Altbundeskanzler<br />

Helmut Schmidt seit dem Golfkrieg eine<br />

vorteilhafte Teilzeitbeschäftigung ausübt,<br />

wie ich vor einem Jahr an dieser Stelle<br />

enthüllt hatte. Nur wenige Tage später, am<br />

4. Juli 1991, ließ er mich in einem drei Seiten<br />

langen Brief wissen von der „geplanten<br />

Umstellung in dieser Firma von militärisch<br />

nutzbaren Gütern auf Produkte für zivile<br />

Verwendung“. Der Brief endet: „Was daran<br />

skandalös sein soll, vermag ich nicht zu<br />

erkennen.“<br />

Leider hat er mir nicht mitgeteilt, was das<br />

für zivile Produkte sind, so daß ich bei Rockwell<br />

leider noch nicht einkaufen konnte.<br />

Günstig einkaufen in Deutschland kann auf<br />

jeden Fall die israelische Regierung; Waffen<br />

bekommt sie sogar zum Null-Tarif. Mit<br />

etwas Geld als Zugabe lassen wir uns auch<br />

nicht lumpen. Auch unser Know-how in<br />

Sachen „Herrenrasse“ und „Volk ohne<br />

Raum“ steht kostenlos zur Verfügung, so<br />

daß die Entarabisierung zügig fortschreitet.<br />

Mit der Endlösung der Palästinenserfrage<br />

findet ein anderes Vorbild seine späte<br />

Anerkennung, so daß <strong>unsere</strong> Erfahrungen<br />

unter Hitler, Goebbels und Himmler nicht<br />

einfach nur für die Katz gewesen sind.<br />

Daß es auch sonst nur Grund zur Freude<br />

gibt, hat uns Herr Bush gelehrt, als er den<br />

Sturz Gorbatschows und den Zusammenbruch<br />

der Sowjetunion laut „Darmstädter<br />

Echo“ einen „Sieg der moralischen Überlegenheit“<br />

des gottesfürchtigen Westens<br />

nannte. Dadurch waren auch <strong>unsere</strong> Ängste<br />

ausgeräumt, in die uns Herr Gorbatschow<br />

gestürzt hatte. Er hatte sich im November<br />

letzten Jahres zu der Feststellung verstiegen,<br />

daß „bei einer strengen Beurteilung<br />

alle Staatsmänner und Regierungschefs der<br />

letzten Jahrzehnte statt in Rente ins<br />

Gefängnis geschickt“ <strong>werden</strong> müßten.<br />

Damit hatte er das Schreckensbild an die<br />

Wand gemalt, daß womöglich infolge<br />

Überfüllung die Herren Kohl und Honecker<br />

mit Helmut Schmidt eine Zelle teilen<br />

müßten.<br />

Auch in Darmstadt wäre die Gefängniskapazität<br />

prekär gewesen, weil der Gefängnisneubau<br />

in Weiterstadt noch nicht fertig ist,<br />

so daß zum Glück der Zustand nicht eingetreten<br />

ist, daß Darmstadt aus Mangel an<br />

seinen noblen Persönlichkeiten in die<br />

Provinzialität hätte versinken müssen.<br />

Zum Schluß wollen wir auch der <strong>weiter</strong>en<br />

Fortschritte gedenken, die unser Land seit<br />

dem letzten Jahr gemacht hat.<br />

Die Bundeswehr darf sich endlich bald mit<br />

militärischen Mitteln an Friedensmissionen<br />

beteiligen. Wie segensreich Missionare<br />

wirken können, ist uns anläßlich der 500-<br />

Jahr-Feiern der Entdeckung Amerikas<br />

wieder in Erinnerung gerufen worden. <strong>Und</strong><br />

ein Lied aus dem neuen Bundeswehr-<br />

Liederbuch von 1991 kann dann endlich<br />

auch mit Sinn erfüllt <strong>werden</strong>:<br />

Unsere Linke an dem Schwerte,<br />

in der Rechten einen Spieß,<br />

kämpfen wir, so weit die Erde,<br />

bald für das und bald für dies.<br />

Dieses Lied steht dem Deutschlandlied<br />

kaum nach, auf dessen Absingen wir<br />

deshalb auch in diesem Jahr wieder<br />

verzichten wollen.<br />

Experiment Israel gescheitert:<br />

jüdische Toleranz verraten<br />

Robert Jungk erhielt den Alternativen Büchner-Preis 1992<br />

– Preisstifter verärgert<br />

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion<br />

und der unter ihrer Hegemonie<br />

stehenden Staaten jubelten<br />

Profitler und kalte Krieger in Siegerpose,<br />

Teile der Linken dagegen verstummten in<br />

resignativem Katzenjammer. Während die<br />

Demagogen des real existierenden Kapitalismus<br />

Fortschrittseuphorie und, vorsichtig<br />

noch, Großmachtgefühle unter die Leute<br />

streuen, sucht die Linke inzwischen, noch<br />

etwas verstört, aber sich aufrappelnd, nach<br />

neuen Zielen und Begründungszusammenhängen.<br />

Robert Jungk, diesjähriger Träger<br />

des Alternativen Büchnerpreises, zeigt den<br />

einen, was ihr „Fortschritt“ ist: selbstzerstörerischer<br />

Umgang mit Mensch, Natur<br />

und Ressourcen. Die anderen, auf deren<br />

Seite er steht, stärkt er mit Argumenten,<br />

macht Mut.<br />

Drei Ebenen der Realität<br />

In seinem „Projekt Ermutigung. Streitschrift<br />

wider die Resignation“ (Rotbuch<br />

Verlag 1988, aktualisiert 1990) sieht er „die<br />

‚Mächtigen‘ in Wahrheit schwächer, als sie<br />

scheinen, die ‚Ohnmächtigen' stärker, als<br />

sie wissen“. An der linken „Widerstandsbewegung“<br />

vermißt er neue Strategien im<br />

Kampf für gesellschaftliche Veränderungen<br />

und plädiert für „Methoden der Entfaltung<br />

sozialer Phantasie“. Erkenntnistheoretische<br />

Grundlage für diesen Vorschlag ist ein<br />

interessanter und kreativer Begriff von<br />

Realität, die aus drei Ebenen besteht: der<br />

sichtbaren, der sich vorbereitenden und der<br />

gewünschten Wirklichkeit. „Real ist<br />

nämlich nicht nur das offensichtlich Greifbare,<br />

sondern auch vieles, das schon<br />

spürbar im Werden ist und sich meist erst<br />

in leisen Signalen den Aufmerksamen<br />

mitteilt. Auch das, was in vielen Köpfen erst<br />

als Wunsch und Vorstellung vorhanden ist,<br />

gehört ins Bild einer tieferen Wirklichkeit.“<br />

Zweifel der Eliten<br />

Jungk analysiert die allumfassenden Gefahren<br />

einer „totalitären Technokratie“ und des<br />

„Atomstaats“, der Bio- und Informationstechnologie,<br />

läßt sich aber optimistisch<br />

stimmen durch die „whistle-blowers“, die<br />

„Verpfeifer“ in den Reihen der wissenschaftlich-technischen<br />

Eliten, die aus Gewissenskonflikten<br />

heraus die Fronten<br />

wechseln. „Die Zweifel der Eliten sind die<br />

Schwalben der Veränderung.“ Das klingt<br />

elitär, ist es aber nicht. Denn Jungks Intellektuelle<br />

sind keine abgehobenen Philosophenkönige,<br />

die in kleinem Zirkel ihr Süppchen<br />

der Erleuchtung kochen, sondern basisnahe<br />

Lauscher, Rezeptoren der<br />

Wünsche von Millionen Menschen.<br />

Diese Erwartungen und Phantasien sollen<br />

in „Zukunftswerkstätten“, einer Mischung<br />

aus Politikseminar und politischer Selbsterfahrung,<br />

zusammengetragen und von den<br />

Teilnehmern danach in den „Ritzen oder<br />

Freiräumen des Systems“ realisiert <strong>werden</strong>.<br />

In solchen „sozialen Experimenten“ sieht<br />

der Pazifist Jungk eine Chance, die gesellschaftlichen<br />

Veränderungen auf eine humane<br />

und gewaltlose Weise voranzutreiben.<br />

Daß er die Frage der politischen Macht<br />

nicht ausklammert, zeigte er mit seiner<br />

Kandidatur für das Amt des österreichischen<br />

Bundespräsidenten in diesem Jahr<br />

und bei seiner Kundgebungsrede am 1. Mai<br />

in Frankfurt, als er die Gewerkschaft als „die<br />

einzige große Gegenmacht“ gegen die „kleine<br />

Clique von Raubrittern“ bezeich<strong>net</strong>e.<br />

Konsequenter Antifaschist<br />

Geboren 1913 als Kind jüdischer Eltern,<br />

betätigte sich Jungk (das ist der Künstlername<br />

seines Vaters David Baum) als Schüler<br />

in antibürgerlichen deutsch-jüdischen<br />

und sozialistischen Gruppen, studierte in<br />

Berlin Philosophie, floh 1933 vor den Nazis,<br />

studierte in Paris Psychologie und Soziologie,<br />

hatte 1936 Kontakt zur linkssozialdemokratischen<br />

antifaschistischen Widerstandsgruppe<br />

„Neu beginnen", agitierte von<br />

der Schweiz aus journalistisch gegen die<br />

Nazis, war nach dem Krieg Korrespondent<br />

Schweizer und anderer Zeitungen, wohnte<br />

in den USA und seit den fünfziger Jahren<br />

überwiegend in Österreich. Anfang der<br />

siebziger hielt er an der Technischen<br />

Universität Berlin als Honorarprofessor<br />

Vorlesungen im Fach „Zukunftsforschung“.<br />

Vieles,was Jungk in den fünfziger Jahren<br />

über Atomenergie und Atomwaffen schrieb,<br />

wurde später zum Allgemeingut der<br />

Massenbewegungen. <strong>Und</strong> als die beiden<br />

Ströme der westdeutschen Friedensbewegung,<br />

der ältere, abrüstungsorientierte, und<br />

der jüngere, ökologische, in den achtziger<br />

Jahren mehr und mehr zu einer Einheit<br />

zusammenflossen, da lag diese Einheit in<br />

der Person Robert Jungks schon jahrzehntelang<br />

vor. Die Ostermarsch-Bewegung sah<br />

ihn als Mitstreiter, das Russell-Tribunal<br />

1977, die große Bonner Kundgebung im<br />

Oktober 1983, die Raketenbasis in Mutlangen<br />

wurde 1985 auch von ihm mitblockiert,<br />

und bei der Kundgebung gegen die Plutoniumfabrik<br />

in Hanau 1987 hielt er eine Rede,<br />

die ihm laut eigener Darstellung nach<br />

14jähriger Kolumnistentätigkeit bei der<br />

Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ den<br />

Hinauswurf einbrachte. Der 1986 verliehene<br />

alternative Nobelpreis wird's ihm etwas<br />

verschmerzt haben.<br />

Ein streitbarer Intellektueller…<br />

also, für den Theorie und Praxis deckungsgleich<br />

sind und eine enge, wechselseitige<br />

Verbindung eingehen. Dies hat er gemeinsam<br />

mit Georg Büchner. Wie sieht er<br />

selber sein Verhältnis zu dem Goddelauer?<br />

Jungk, der es gut fand, daß er im Rahmen<br />

des „menschliche Nähe und Verbundenheit“<br />

voraussetzenden Alternativen Büchnerpreises<br />

die Zuhörenden einfach mit „liebe<br />

Freunde“ begrüßen konnte, setzte sich<br />

zunächst vor allem von Büchner ab. Dessen<br />

Äußerungen im Brief an seinen Bruder<br />

Wilhelm vom Juli 1835 („... daß nichts zu<br />

tun ist und jeder, der im Augenblick sich<br />

aufopfert, seine Haut wie ein Narr zu Markte<br />

trägt.“) und im Schreiben vom Frühjahr<br />

1834 an seine Braut („Ich fühlte mich wie<br />

zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus<br />

der Geschichte.“) betrachtet er als Ausfluß<br />

eines „frevelhaften“ Geschichtspessimismus,<br />

der bei ihm „entschiedenen Widerspruch“<br />

hervorruft.<br />

„Woher nehmen denn die Zweifler die unbedingte<br />

Gewißheit der revolutionären Mißerfolge<br />

gleich für alle kommenden Zeiten?“<br />

Im übrigen habe die Geschichte der letzten<br />

150 Jahre Büchners Meinung nicht bestätigt.<br />

Denn seither sei die Zahl der „Narren,<br />

die ihre Haut zu Markte tragen“, gewaltig<br />

gewachsen. „Denn zu den Armen, die<br />

der damals noch enge geographische Gesichtskreis<br />

des mit ihnen leidenden Poeten<br />

erfaßte, sind die Milliarden unter Tyrannei,<br />

Hunger und Ausbeutung Leidenden in<br />

Afrika, Asien und Lateinamerika gestoßen.<br />

Sie sind zur Rebellion gezwungen, wenn sie<br />

überleben wollen. Resignation können sie<br />

sich nicht leisten. Es würde ihren massenhaften<br />

Tod unvermeidlich machen.“<br />

Robert Jungk<br />

Schwerlich vorstellbar, daß Büchner das<br />

anders sehen könnte.<br />

Büchner kein Nihilist<br />

(Fotos: H. Schäfer)<br />

Der Preisträger differenziert sein Bild vom<br />

Pessimisten Büchner, indem er sich der<br />

Auffassung des Literaturhistorikers Hans<br />

Mayer anschließt, der „die Elemente der<br />

Hoffnung schwach gegründet“ sieht.<br />

Büchner, so Jungk, gehöre nicht zu den<br />

radikalen Verneinern. „Wäre Büchner ein<br />

konsequenter Nihilist gewesen, so hätte er<br />

geschwiegen, sich mit der Darstellung der<br />

Leere und Langeweile begnügt wie in<br />

‚Leonce‘, wie im ‚Lenz‘. (...) Die zaghafte<br />

Wendung zu neuen Möglichkeiten war wohl<br />

stets in ihm angelegt.“ Büchners Pessimismus<br />

und die abschätzigen Urteile über die<br />

Volksmassen sieht er „nicht als ewige<br />

Wahrheit, sondern als zeitbedingt“. Das<br />

entscheidende „zeitlose Bekenntnis des<br />

Mitfühlenden, über die Widerwärtigkeiten<br />

der Gegenwart Hinausdenkenden“ sei in<br />

Büchners Satz enthalten: „Man muß die<br />

Menschen lieben, um in das eigentliche<br />

Wesen eines jeden einzudringen; es darf<br />

einem keiner zu gering, keiner zu häßlich<br />

sein.“ Büchners Anregung, sich dem Volke<br />

zuzuwenden, sei auch heute, da nirgendwo<br />

echte Herrschaft des Volkes bestehe, von<br />

unverminderter Dringlichkeit.<br />

☛ Fortsetzung Seite 17


FEUILLETON V<br />

☛ Fortsetzung von Seite 16 Krieg den Laboratorien!<br />

diesem Zusammenwirken des nach der St. Gallener Strafanstalt internierten<br />

Wahrheit suchenden Geistes mit einer Jungk belegte Künzli, wie der spätere<br />

Seltene Worte von einem Büchnerpreis- Aufgrund seiner Erfahrungen in den<br />

Klasse, die noch viel hartherziger war als Zukunftsforscher damals schon die konkrete<br />

Lebenssituation der Menschen, ihre<br />

Träger. Indem er Büchners Widersprüche Zukunftswerkstätten, wo er mit gleichgesinnten<br />

Menschen „Entwürfe für menschli-<br />

die von Büchner gehaßte Aristokratie,<br />

begreift und sie mit Augenmaß auf die<br />

Tendenz von dessen Gesamtpersönlichkeit<br />

Gefahren von nie geahnter Gewalt für die<br />

chere, gerechtere, freundlichere Verhältnisse“<br />

entwickelte, fühlt sich Jungk mit<br />

Unzufriedenheit analysierte, um positive<br />

bezieht, skizziert Jungk ein Porträt, das sich<br />

gesamte Schöpfung wuchsen. Vielleicht Alternativen vorzuschlagen. Jungk habe<br />

deutlich von der herrschenden Büchnerhätte<br />

ein im zwanzigsten Jahrhundert<br />

Büchner besonders verbunden. Was<br />

sich Büchners Losung „Wir sind das Volk!“<br />

Interpretation distanziert. Der entpolitisierte<br />

Goddelauer erhebt sich quasi von dem<br />

lebender Büchner seinen Kampfruf ‚Krieg<br />

Büchner nicht mehr erlebt habe, sei das<br />

auf die Fahnen geschrieben und kämpfe um<br />

den Palästen!‘ abgeändert in ‚Krieg den<br />

Nutzen- und Profitdenken der Bourgeoisie,<br />

ein „Menschenrecht auf Zukunft“.<br />

ihm verord<strong>net</strong>en resignativen Ruhelager,<br />

Laboratorien!‘, die sich dem Militär und der<br />

das nicht nur den Menschen, sondern auch<br />

klopft lästige Zweifel von sich ab und tritt<br />

Industrie verkaufen!“<br />

Schallende Ohrfeige für Israel<br />

die nichtmenschliche Natur im globalen<br />

nun als weitblickender, klüger gewordener Maßstab zerstöre. „Er hat nicht mehr miterleben<br />

müssen, wie sich die Forscher in Konflikt des Wissenschaftlers dichterisch oder ökologischen Zugang zu Jungks<br />

Als einen Schriftsteller, der den tragischen Künzli wählte nicht den friedenspolitischen<br />

Revolutionär wieder an die Seite der Volksmassen<br />

hier und auf der ganzen Welt. Handlanger der Macht wandelten und aus gestaltet, empfahl Jungk den mit ihm seit Persönlichkeit, sondern beschäftigte sich<br />

langem befreundeten, in Darmstadt lebenden<br />

Heinrich Schirmbeck: „Viel zu wenig Religion generell als antiquierte, überflüssi-<br />

ausführlich mit dessen Religiosität. Wer<br />

Darmstadt, den 15.6.1992<br />

Herr Künzli überwiegend olle Kamellen<br />

bekannt, viel zu wenig diskutiert, viel zu ge oder gar volksschädliche Ideologiebildung<br />

betrachtet, mußte von dieser Laudatio<br />

Sehr geehrter Herr Professor Jungk, von Annodazumal aufgewärmt und eine<br />

wenig geehrt.“ Ein Versäumnis sei, daß<br />

Sehr geehrter Herr Professor Künzli, Laudatio auf „das Judentum“ gehalten,<br />

Schirmbeck bisher „weder der akademische<br />

noch der alternative“ Büchnerpreis aber handelte es sich bei Künzlis folgenden<br />

enttäuscht oder gar verärgert sein. Faktisch<br />

das einem denkfähigen Menschen genauso<br />

zuwider sein muß, wie das Chri-<br />

den viel zu schmeichelhaften Bericht im<br />

„Darmstädter Echo“ vom 15.6. finde ich<br />

verliehen wurde. Einen Teil des Preisgeldes Bemerkungen um eine Provokation auf<br />

stentum. Beide sind Einschüchterungsmittel<br />

zur Disziplinierung des gemeinen<br />

noch untertrieben.Es war eine Katastrophe,<br />

was Sie beide bei der Erwartungs-<br />

Steinmetz zum Aufbau einer Zukunftsbi-<br />

Ohrfeige für die menschenrechtsverletzen-<br />

von 10 000 Mark will Jungk laut Preisstifter theosophischer Ebene, um eine schallende<br />

Volkes zwecks Machterhaltung der Herrschenden,<br />

und beide stehen sich in ihrer<br />

haltung des Publikums, meinen Vorgaben<br />

und <strong>unsere</strong>n Absprachen aus meiner<br />

Universität spenden, wo der russische Regierung und für alle hinter ihr stehenden<br />

bliothek an der Moskauer Lomonossow- de, waffenstarrende Politik der israelischen<br />

kriminellen Vergangenheit mutmaßlich in<br />

Absicht gemacht haben, die Überschrift<br />

nichts nach.<br />

Futurologe Igor Bestuschew-Lada lehrt. Hardliner. Getroffen sind auch <strong>unsere</strong><br />

sagt es deutlich.<br />

leidenschaftlichen Golfkrieger, die mit dem<br />

Ich sehe in Herrn Jungk ja gerade nicht<br />

Meine Kräfte habe ich umsonst vergeudet<br />

und mein Geld zum Fenster rausge-<br />

Die Laudatio auf Jungk hielt Arnold Künzli, Friedensbewegung eingeschlagen hatten.<br />

Kassandra und Prinzip Hoffnung Knüppel Israel auf die bundesdeutsche<br />

den typischen Vertreter des Judentums,<br />

wie sein unerschrockenes Handeln und<br />

worfen. Das Ansehen meines Preises ist<br />

ein emeritierter Professor (Jahrgang 1919),<br />

seine vernichtende Kritik an den israelischen<br />

Greueltaten beweist, was deutlich<br />

durch Sie lädiert. Mit zwar sich recht<br />

der über Kierkegaard promoviert, lange<br />

schön lesenden Worten das Thema zu<br />

Jahre als Auslandskorrespondent der<br />

zu machen Sie, sehr geehrter Herr Jungk,<br />

verfehlen wie dumme Jungens, das ist<br />

Basler Nationalzeitung gearbeitet und<br />

mich ja autorisiert hatten.<br />

doch wohl ein starkes Stück für Herren,<br />

zuletzt einen Lehrstuhl für Philosophie der<br />

die ausdrücklich Wert darauf legen, mit Sie haben eine Chance ungenutzt gelassen!<br />

Ich verabschiede mich von Ihnen im nannte Büchner und Jungk „Feuerseelen",<br />

Politik an der Universität Basel hatte. Er<br />

„Herr Professor“ angesprochen zu <strong>werden</strong>.<br />

Zorn.<br />

erzählte Anekdoten seiner Begegnungen<br />

Sie wußten, daß ich mich keineswegs in Walter Steinmetz<br />

mit Jungk, spürte in einem Text von 1940<br />

Konkurrenz zur Akademie für Sprache P.S.: Meine Bereitschaft zur Mithilfe in bereits dessen Wesenszug auf: er sei eine<br />

und Dichtung sehe, sondern Ihre Beiträge<br />

am rebellischen Büchner ausgerichtet rück, um nicht <strong>weiter</strong>hin auf diesem We-<br />

und Aufklärer, rufe aber gleichzeitig zum<br />

Sachen Zukunfts-Bibliothek ziehe ich zu-<br />

Kassandra, ein leidenschaftlicher Warner<br />

auf das Hier und Heute Bezug nehmen ge an das Unglück vom 13.6. erinnert zu Widerstand auf. „Er ist Kassandra und das<br />

sollten. Stattdessen hat insbesondere <strong>werden</strong>.<br />

Prinzip Hoffnung in einem, und beides<br />

radikal.“ Anhand eines Briefs des 1943 in<br />

Muskelstrahlende Jungs auf<br />

geschmücktem Pissoir<br />

Hundert Tage zeitgenössische Kunst auf der Kasseler documenta<br />

an darf sich<br />

fragen, welchen<br />

Wert Großereignisse<br />

der aktuellen<br />

Kunst heute<br />

besitzen. Denn<br />

betrachtet man den Volksansturm, der zur<br />

jüngst eröff<strong>net</strong>en documenta IX nach<br />

Kassel braust, sieht man dort die flanierende<br />

Kulturwelt und die überaktiven Massenmedien,<br />

dann könnte man fast glauben, es<br />

handle sich hierbei lediglich um eine institutionalisierte<br />

Freizeitangelegenheit einer<br />

verunsicherten Wohlstandsnation. Aber<br />

ein solches Urteil würde der documenta<br />

nicht gerecht. Denn seit Wilhelm Bode mit<br />

der ersten documenta 1955 den von den<br />

Nationalsozialisten leergefegten Köpfen<br />

Kassels einen Eindruck von der Klassischen<br />

Moderne geben wollte, konnte sich<br />

aus dieser konzentrierten Retrospektive<br />

die größte regelmäßig stattfindende Ausstellung<br />

von Gegenwartskunst entwickeln,<br />

die die Künstler immer in einer besonderen<br />

Weise am Werden beteiligte. Die Klagen<br />

über eine große, zu teure und zu unverständliche<br />

documenta wurden zu einer<br />

immerwährenden Begleitung – gleichzeitig<br />

konnten sich Mythen bilden, verklärende<br />

Sichtweisen stets eingeschlossen.<br />

Eine Ausstellung ist nie besser als ihre<br />

Macher. Als 1987 Manfred Schneckenburger<br />

bei der documenta 8 die Grenzen von<br />

Kunst und Gestaltung überspringen und<br />

die Gesellschaft einbeziehen wollte, warf<br />

man ihm später ein undifferenziertes und<br />

lediglich illustrierendes Konzept vor. Umso<br />

gespannter war man diesmal auf den<br />

Belgier Jan Hoet, der kein Konzept,<br />

sondern eine „Argumentation in Bildern“<br />

versprach. Der Museumschef, schon als<br />

Boxsportler und Jazzmusiker mit Lorbeeren<br />

bekränzt und obendrein neulich zum<br />

Belgier mit dem schärfsten Sex-Appeal<br />

gekürt, erläuterte seine offensichtliche<br />

Haltungslosigkeit in endlosen Dia-<br />

Marathons und dachte an Konzentration<br />

und Ekstase, jedenfalls an eine sinnliche<br />

Kunst, obendrein sogar an Abenteuerlichkeiten.<br />

Eine Erneuerung der seit Jahren<br />

kränkelnden klassischen Bereiche, neue<br />

Malerei und Skulpturen, mochte man da<br />

denken – und irrte sich gewaltig.<br />

Denn in Kassel präsentiert sich nun eine<br />

größtenteils konzeptuelle Kopfkunst, die<br />

trotz oder auch wegen der jüngsten<br />

Probleme und Umwälzungen an bekannten<br />

Standpunkten festhält, die <strong>unsere</strong> Kommunikation<br />

und <strong>unsere</strong> Sprachlosigkeit aufnimmt,<br />

eine zwar utopielose, aber Meditation<br />

und Innensicht gebietende Kunst. Daß<br />

von Künstlern kein Generalrezept für<br />

<strong>unsere</strong> Zukunft gegeben <strong>werden</strong> kann,<br />

mag heute nicht mehr überraschen, und<br />

daß Künstler immer weniger eine universell<br />

verständliche Sprache finden, mag<br />

ebenfalls <strong>unsere</strong>r Lebenswelt entsprechen.<br />

Dem Besucher präsentiert sich die documenta<br />

als eine große Wunderkammer, die<br />

zu Entdeckungsreisen einlädt, denn Jan<br />

Hoet hat einen Großteil von hierzulande<br />

Unbekannten eingeladen, aus mehr Nationen<br />

der Welt und mit höherem Frauenanteil,<br />

als das je der Fall war (Bravo!).<br />

Im Turm des Fridericianums, dem Herzstück<br />

der Ausstellung, müssen der Revolutionsmaler<br />

David, der Aussteiger Gauguin<br />

und der Kunstschamane Beuys als<br />

Zeugen der propagierten ganzheitlichen<br />

Erneuerungskraft herhalten, die ja ansonsten<br />

in Kassel nur sehr dünn gesät wurde.<br />

Überraschend sind auch einige Altmeister<br />

wie Francis Bacon und Elleworth Kelly, die<br />

erfreulich jung und frisch wirken neben der<br />

ansonsten schwächlichen neuen Malerei.<br />

Selten sind so viele neo-informelle, frei,<br />

ornamental und verspielt dahinmalende<br />

Namen zu entdecken wie hier. Ähnlich flau<br />

und lau auch eine Allgemeinheiten ästhetisierende<br />

und poetisierende Fotografie. Wie<br />

kraftvoll wirken dagegen die brutalistischharmonische<br />

Videoinstallation von Bruce<br />

Naumann oder das magische „Kristallkino“<br />

von Marina Abramovic, die für die<br />

größtenteils gelungenen raumbezogenen<br />

Arbeiten stehen mögen.<br />

Das Verhältnis der Kunst zur Kunst wird in<br />

der Neuen Galerie aufgegriffen. Die Sicht<br />

auf Altes wird verstellt und verhindert, aber<br />

dadurch gleichzeitig auch geschärft, wie<br />

die von Wittgenstein und Kafka zitierenden<br />

Tüchern verhängten Bilder bei Joseph Kosuth<br />

oder die von einer Holzwand versperrten<br />

Gemäldekabi<strong>net</strong>te von Heimo Zobering.<br />

Überhaupt hat Destruktives Konjunktur,<br />

kann das höhere Kunstempfinden immer<br />

noch erschüttert <strong>werden</strong> durch plakativen<br />

Sex, wie in den Fotos weiblicher Genitalien<br />

neben alten Damenportraits von Zoe<br />

Leonhard oder der geklonten überaktiven<br />

Schwulengruppe von Charles Ray, oder<br />

durch verdrängte Fäkalien, wie in der auf<br />

einer öffentlichen Toilette eingerichteten<br />

russischen Bürgerwohnung von Ilia Kababov,<br />

oder das mit Goldgrundgemälden von<br />

muskelstrahlenden Jungs geschmückte<br />

Pissoir von Attila Lukacs, das einige<br />

Besucher auch brav benutzen.<br />

Aber es drängt den Besucher immer<br />

<strong>weiter</strong>, in die neue documenta-Halle, in das<br />

Naturkundemuseum Ottoneum, in die<br />

temporären Bauten der Karlsaue, in eine<br />

Krankenkasse, in eine Schule, zu den<br />

Standplätzen im öffentlichen Raum ... auch<br />

wenn hier und da der umgebende Genius<br />

loci locken und bestechen mag, bleibt am<br />

Ende die Frage, ob man sich mit einer<br />

solchen Auseinanderziehung der Ereignisse<br />

nicht beinahe verzettelt hat.<br />

Dem Besucher bleiben so nur die Möglichkeiten<br />

einer kurzen, unverbindlichen Sicht<br />

auf alles oder einer lückenhaften, konzentrierten<br />

Beschäftigung mit Ausschnitten.<br />

Er ist jedenfalls unterwegs im immer<br />

unbestimmbarer <strong>werden</strong>den Land der<br />

Kunst, und wo er ankommen mag, bleibt<br />

abzuwarten – es gehört ebenfalls zum<br />

Mythos der documenta, daß man ihren<br />

Sinngehalt erst zu verstehen beginnt, wenn<br />

sie schon lange vergangen ist und man<br />

erinnerungsvoll im Katalog blättert.<br />

Gerhard Kölsch<br />

Bis zum 20.9.1992, täglich 10.30 bis 19.30<br />

Uhr. Tageskarte DM 20,- (12,-), dreibändiger<br />

Katalog DM 95,-; Kurzführer DM 18,-;<br />

Die Kasselaner Hotels sind nahezu ausgebucht,<br />

für jugendliche Besucher wurde ein<br />

Zelt mit Schlafplätzen eingerichtet –<br />

Übernachtung, Schlaftrunk und Frühstück<br />

sind dort für DM 25,- zu haben und können<br />

unter 0561-77 00 73 reserviert <strong>werden</strong>.<br />

Als „innere Triebfeder“ von Jungks Engagement<br />

arbeitet Künzli dessen Judentum<br />

heraus, „das Gefühl der Schuld, als Jude<br />

noch da zu sein", den Holocaust überlebt zu<br />

haben, „schuldlos schuldig“. Mit diesem<br />

Gefühl verbinde sich ein von Martin Buber<br />

vermitteltes „Judentum voller Heiterkeit<br />

und messianischer Hoffnung". Heimatlosigkeit<br />

habe ihn wie andere Juden gezwungen,<br />

zukunftsgerichtete Phantasie zu<br />

entwickeln, um überleben zu können. Was<br />

ist das für ein Messianismus? Künzli zitiert<br />

Jungk: „Komplementär dazu entstand in<br />

mir die Erwartung, daß nicht nur wir Juden,<br />

sondern die ganze Menschheit (!) irgendeinmal<br />

ins gelobte Land gelangen würden.“<br />

Befreiung und Erlösung also nicht nur für<br />

Juden, sondern für alle. Das steht den<br />

Spielarten der sehr irdisch ausgerichteten,<br />

stark auf soziale Gerechtigkeit zielenden<br />

Befreiungstheologie näher als dem Regierungschef<br />

Schamir.<br />

Jüdische Spartaner<br />

im Zionismus<br />

Künzli spielt Jungk gegen Israel aus: „Aber<br />

aus diesem unbedingten Bekenntnis Robert<br />

Jungks zu seinem Ursprung spricht ein<br />

wesentlich anderes Judentum als das von<br />

den jüdischen Spartanern im real existierenden<br />

Zionismus des Staates Israel praktizierte.<br />

Man darf sich fragen, ob Geist und<br />

Botschaft des Judentums, so wie sie uns<br />

tradiert wurden, bei einem Robert Jungk<br />

nicht unvergleichlich treuer aufgehoben<br />

sind als in einem auf Macht, Gewalt und<br />

Waffen – bis hin zur Atomwaffe – bauenden<br />

jüdischen Nationalstaat.“<br />

Jungk selber hatte im Vorwort zur Anthologie<br />

„Nachgedanken zum Golfkrieg“ (vgl.<br />

Rezension in ZD Dez. 91) ein hartes, für ihn<br />

selber schmerzliches Fazit gezogen: „Ich<br />

sehe – wenn auch nur widerwillig – ein, daß<br />

das ‚Experiment Israel‘, der Judenstaat,<br />

eine Utopie, an deren Verwirklichung ich<br />

geglaubt habe, zu einem großen Problem<br />

geworden ist. Dies ist die Schuld jener<br />

extremistischen Nationalisten, die eine<br />

humane, internationale und tolerante<br />

Denkart, die jüdischer Erfahrung und Tradition<br />

entspricht, verraten haben. Sie, die zu<br />

einer Gemeinschaft gehören, die wie kaum<br />

eine andere von einer ‚Herrenrasse‘ verfolgt<br />

und auf schreckliche Weise dezimiert<br />

wurde, spielen sich nun selber als Unterdrücker<br />

auf.“<br />

In Übereinstimmung mit Jungk befindet<br />

sich Künzli, wenn er am Schluß seiner Rede<br />

feststellt, daß das jüdische Volk echten und<br />

dauerhaften Schutz nicht im militaristischen<br />

Nationalstaat, sondern nur – im<br />

Geiste auch von Büchners „Gesellschaft der<br />

Menschenrechte“ – in einer neuen Zivilisation<br />

und einer internationalen Völker- und<br />

Friedensordnung findet. „Überleben kann<br />

das jüdische Volk nur, wenn auch alle<br />

anderen Völker überleben.“<br />

Preisstifter Walter Steinmetz, der Robert<br />

Jungk mit dem Einverständnis von Gerhard<br />

Zwerenz, dem letztjährigen Preisträger,<br />

gekürt hatte und mit dem Verleihungsdatum<br />

13. Juni an das Datum des 1835 gegen<br />

Büchner ausgestellten Steckbriefs erinnern<br />

wollte, hielt eine Begrüßungsrede, wie man<br />

sie von ihm erwartet: eine pointierte politische<br />

Satire mit Rundumschlag gegen eine<br />

Reihe von Politikern der moralisch angeblich<br />

so überlegenen westlichen Welt.<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 17<br />

Streitbar und provokativ<br />

Bei Steinmetz scheint die Botschaft der<br />

beiden Professoren nicht als kämpferische<br />

angekommen zu sein, auf jeden Fall war sie<br />

ihm zu lasch, zu wenig konkret. Unmittelbar<br />

nach der Veranstaltung zeigte er sich sehr<br />

verärgert über den Laudator, der sich nach<br />

seiner Meinung, die mit ihm getroffenen<br />

Absprachen verletzend, um deutliche Worte<br />

gedrückt hatte: „Mich hat gestört, daß<br />

Künzli auf olle Kamellen von Anno dazumal<br />

zurückgegriffen hat, anstatt im Hier und<br />

Heute die Dinge kritisch beim Namen zu<br />

nennen. Das war eine würdige Rede, geeig<strong>net</strong><br />

für die Akademie für Sprache und<br />

Dichtung, aber nicht für den Alternativen<br />

Büchnerpreis!“ <strong>Und</strong> in einem zwei Tage<br />

später der Presse vorgelegten Brief (siehe<br />

Kasten) nahm er auch Jungk von seiner<br />

Kritik nicht aus und verabschiedete sich<br />

von seinem neuesten Preisträger und<br />

dessen Laudator im Zorn.<br />

Dennoch meine ich, im Gegensatz zu Steinmetz,<br />

daß das kämpferische Ansehen des<br />

Alternativen Büchnerpreises nicht lädiert<br />

ist. Auch hat Steinmetz nicht, wie er vermutet,<br />

seine „Kräfte umsonst vergeudet“ und<br />

sein „Geld zum Fenster rausgeworfen“. Hat<br />

er doch einen Preisträger gewählt, der im<br />

thematischen und politischen Zentrum der<br />

gesellschaftlichen Auseinandersetzungen<br />

<strong>unsere</strong>r Welt steht und das herrschende<br />

Büchner-Bild korrigiert, indem er Büchner<br />

vom Kopf auf die Füße stellt und wieder zu<br />

den Volksmassen gehen läßt. <strong>Und</strong> der<br />

Laudator attackiert im Namen Jungks den<br />

kriegerischen Staat Israel. Der Alternative<br />

Büchnerpreis hat wieder einmal bestätigt,<br />

was er ist: streitbar und provokativ.<br />

Artur Rümmler<br />

Ehre,<br />

wem Ehre gebührt<br />

Fast hätte ich dem Stifter des Alternativen<br />

Büchnerpreises, Walter Steinmetz<br />

Unrecht angetan, als ich mir dachte, wozu<br />

überhaupt ein Alternativer Büchnerpreis?<br />

Gediegen und höchst professoral zeich<strong>net</strong>e<br />

der Laudator und Freund Robert<br />

Jungks eine Bekanntschaft nach, die,<br />

zwar literarisch eher theosophisch, in<br />

Fachkreisen Anerkennung finden mag<br />

und somit einer Akademie für Sprache<br />

und Dichtung angemessen und höchst<br />

festlich in das Konzept gepaßt hätte. Ehre,<br />

wem Ehre gebührt.<br />

Der Geehrte selbst entdeckte in der<br />

Wissenschaftlichkeit seines Laudators<br />

Züge an sich, die ihm zuvor nicht bekannt<br />

waren. Dann erklärte er unmißverständlich,<br />

daß ihm an der Laudatio mehr<br />

gelegen sei als an dem Preis selbst, und<br />

daß darüberhinaus in Darmstadt einer<br />

lebe, der eines Büchnerpreises (gleich ob<br />

des der Akademie für Sprache und<br />

Dichtung oder des Alternativen) würdig<br />

sei. Heinrich Schirmbeck, den er meinte,<br />

war denn auch von der Veranstaltung<br />

höchst angetan.<br />

Nicht so Walter Steinmetz: Er, der aus<br />

seiner privaten Schatulle den Widerstandsgeist<br />

Büchners in die Gegenwart<br />

fortpflanzen und bürgerlich-revolutionäre<br />

Ehre hochhalten will, ist verärgert. Nicht<br />

nur, daß ihm unverblümt gesagt wird,<br />

wen er für würdig halten solle, wird sein<br />

Preis auch noch als nebensächlich eingestuft.<br />

Es ist Steinmetz – das kann man<br />

seinen Reden entnehmen – nicht darum<br />

angetan, professorale Ehrbezeugungen<br />

zum Gegenstand seines Büchnerpreises<br />

zu machen. Aus seinem eigenen politischen<br />

Verständnis heraus, mußte er sich<br />

brüskiert, mißbraucht, wenn nicht gar<br />

hintergangen fühlen. Kein deutliches,<br />

mächtiges Wort kam über die Lippen des<br />

Laudators. Er hat dem Widerstandsgeist<br />

Robert Jungks, der Steinmetz und<br />

Zwerenz gefiel, nicht Rechnung getragen.<br />

Mehr für Insider barg die Laudatio den<br />

kritischen scharfen Biß.<br />

Nicht, daß ich mich in die lange Reihe<br />

derer eingliedern wollte, die dem Stifter<br />

Vorschläge, gar Vorschriften machen<br />

wollen, wer denn würdig sei und geehrt<br />

<strong>werden</strong> müsse oder nicht. Nein. Vielmehr<br />

ein Tip an den Stifter, aus kulturfördernder<br />

Sicht eher junge Protestgeister zu<br />

ehren, die sich den Büchner nicht<br />

uminterpretieren müssen, um mit ihm in<br />

einer historischen Linie zu stehen.<br />

Unzweifelhaft: Robert Jungk war ebenso<br />

wie Gerhard Zwerenz würdiger Träger.<br />

Der Herausgeber


Prozeßbeobachtung von Astrid Nungeßer und Michael Grimm<br />

Warum sitzt der<br />

Mann, der<br />

heute den<br />

gesamten Vormittag vernommen wird,<br />

nicht mit auf der Anklagebank? Werner<br />

Schreiber, 1932 geboren, heute selbständiger<br />

Chemotechniker, war seit 1973 bei der<br />

Firma Kolb tätig und baute dort die Betriebsanlagenabteilung<br />

auf. 1982 wurde er<br />

Geschäftsführer bei der 1977 gegründeten<br />

Kolb-Tochterfirma Pilot Plant.<br />

Ja, natürlich habe er selbst mit Irakgeschäften<br />

zu tun gehabt, er habe schließlich die<br />

technischen Anlagen mit den Kunden<br />

besprochen, erklärt Schreiber ungeduldig.<br />

In Samarra sei er im Herbst 1978 gewesen.<br />

Er erteilt Auskunft über die staatlichen<br />

Stellen, mit denen er bei seinen Irak-<br />

Geschäften zu tun hatte. Da ist zum einen<br />

das State Establishment for Pesticides<br />

Production (SEPP), die getarnte C- und B-<br />

Waffen-Behörde des Irak, die großteils die<br />

Anlagen für Samarra bei Kolb orderte. Im<br />

September 1981 erhielt Schreiber Besuch<br />

von den Herren Attar, Dr. Al-Naimi und Dr.<br />

Al Ani, die als „Direction General“ der SEPP<br />

auftraten. Allerdings handelt die „Direction<br />

General“ auch unter der Bezeichnung<br />

„Ministry of Industry“ und „State Organisation<br />

for Chemical Industrie“ (SOCI).<br />

Außerdem nennt Schreiber die Firmen „Al<br />

Hazen“ und „General Engineering“. Der<br />

Name der irakischen Beschaffungsfirma<br />

„Sat Soti“ sagt Schreiber „momentan<br />

nichts“. Das ändert sich, als Pani ein<br />

Schriftstück mit dem Titel „Reisebericht<br />

Irak“ aus Schreibers Unterlagen verliest.<br />

Hier findet sich unter anderem ein ausführlicher<br />

Bericht über eine Besprechung mit<br />

der Firma „Sat Soti“. Thema: Einzelfragen<br />

zur Installation der von Kolb gelieferten<br />

Anlagen. „Ja“, sagt Schreiber an die<br />

Organisation „SAT“ habe er sich erinnern<br />

können, nur „SOTI“ sei ihm kein Begriff<br />

gewesen. Eine Vorstellung von den Aufgaben<br />

der Firma „SAT SOTI“ habe er nicht:<br />

„Man redet da ja immer nur mit einzelnen<br />

Leuten.“<br />

Der Anlagenbauer bei Kolb<br />

Es wird noch mehr von der Geschäftskorrespondenz<br />

zwischen Schreiber und „SOTI“<br />

verlesen. Immer wieder geht es darum, daß<br />

Kolb aufgefordert wird, ein Angebot<br />

abzugeben: über die Lieferung von Chlorgasreaktoren,<br />

Säuretanks, Ersatzteilen etc.<br />

Auch über die Installation der Anlagen wird<br />

debattiert. So verlangt Schreiber in einem<br />

der Briefe 930 DM Tagessatz für die<br />

deutschen Techniker, „Geländewagen und<br />

Wochenenden in Bagdad“ inbegriffen.<br />

Nach der Verlesung der Geschäftsbriefe<br />

räumt Schreiber ein: „Die Erinnerung<br />

kommt allmählich wieder.“ Pani bittet<br />

Schreiber, eine Skizze von Samarra<br />

anzufertigen. „Was die alles wissen wollen.<br />

JUSTIZ I<br />

„Sie müssen<br />

sich nicht<br />

selbst belasten“<br />

Giftgasprozeß:<br />

Das Verfahren entblättert sich<br />

zunehmend als Paradebeispiel<br />

für Klassenjustiz<br />

Ich bin Chemotechniker und kein Maler“,<br />

plustert sich Schreiber in der Prozeßpause<br />

auf. Wieder im Gerichtsaal beginnt er dann<br />

aber doch, zu zeichnen und zu erklären, wie<br />

die Gebäude aussahen und in welchem<br />

Zustand sie sich befanden. „Die Herren Al<br />

Ani und Attar von der SEPP haben stets<br />

davon gesprochen, daß in Samarra Pestizide<br />

hergestellt <strong>werden</strong> sollten, als sie mich<br />

1981 in Frankfurt besuchten“, beteuert<br />

Schreiber mit gespielter Naivität.<br />

Ob er Chemielieferungen in den Irak vermittelt<br />

habe, will der Vorsitzende Pani wissen.<br />

Ja, 1981 habe er eine Lieferung von<br />

Phosphortrichlorid – dies ist eine der<br />

Chemikalien, aus der Giftgas hergestellt<br />

wird – vermittelt. Es fallen auch Firmennamen:<br />

Die Firma Heberger Bau (Schifferstadt)<br />

und die Firma Ludwig Hammer<br />

GmbH habe die Gebäude in Samarra gebaut<br />

und die Firma Keram-Chemie die Abluftwäscher<br />

für die Laboranlagen geliefert und<br />

installiert. Auf die Frage, ob die gelieferten<br />

Anlagen modifiziert worden seien, antwortet<br />

Schreiber: „Bis 1983 nicht.“<br />

Staatsanwalt Brandt interessiert, wie lange<br />

Schreiber mit der Technik im Irak befaßt<br />

war: „Dauerte das bis zu ihrem Ausscheiden<br />

aus der Firma?“ Schreiber: „Ich bin seit<br />

1983 nicht mehr mit dem Irak befaßt. In<br />

diesem Zeitraum wurden die Aufgaben bei<br />

Kolb umverteilt.“ Wer nach 1983 für die<br />

Irakgeschäfte zuständig war, sei „von Fall<br />

zu Fall“ verschieden gewesen: „Das war oft<br />

Maier, dann Fraenzel als unser Mann im<br />

Irak und manchmal auch Langer.“ Keiner<br />

kommt auf die Idee, zu fragen, warum<br />

ausgerech<strong>net</strong> 1983, als der Vertrag über die<br />

Lieferung der Anlagen ANI, GASHI und<br />

MOHAMED unter Dach und Fach gebracht<br />

wurde, bei Kolb eine Umverteilung der<br />

Aufgaben stattfand.<br />

Brandt: „Dr. Ruck sagte hier aus, für ihn<br />

seien Sie der Anlagenbauer bei Kolb<br />

gewesen?“ Schreiber, stolz: „Das war ich<br />

auch.“ Es stellt sich heraus, man wundert<br />

sich schon gar nicht mehr, daß Ruck auch<br />

zu Schreiber ein freundschaftlich persönliches<br />

Verhältnis hatte. Auf Brandts Frage, ob<br />

er über seine Kontakte zu den Angeklagten<br />

Akteneinsicht gehabt habe, antwortet<br />

Schreiber mit seiner Lieblingsfloskel: „Von<br />

Fall zu Fall“.<br />

Wenn man bedenkt, daß die meisten<br />

Einschränkungen der Presse damit begründet<br />

wurden, daß die Zeugen keinesfalls<br />

vorbeeinflußt <strong>werden</strong> dürften, ist diese<br />

Information und die Gelassenheit, mit der<br />

sie aufgenommen wird, erstaunlich.<br />

Freche Behauptung<br />

Als man Schreiber nach dem Grund für sein<br />

Ausscheiden aus der Firma Pilot Plant 1985<br />

befragt, schwindet dessen demonstrative<br />

Gelassenheit: „Das war die Strangulierung<br />

durch die Exportverbote, man hat uns ja<br />

den Geschäftsboden völlig entzogen.“<br />

Fraenzels Rechtsanwalt Hild vergewissert<br />

sich bei Schreiber: „Ist es richtig, daß sie<br />

für die Anlagen ANI, MOHAMED, IESA und<br />

MEDA alle Verhandlungen und Beratungsgespräche<br />

mit den Kunden geführt, die<br />

Angebote unterbreitet haben und die<br />

Verträge abwickelten?“ Schreiber weicht<br />

aus: „ANI war ja ein Dauerbrenner, das ging<br />

ja über zweieinhalb Jahre. In diesem<br />

Zeitraum habe ich natürlich alle Kundengespräche<br />

geführt.“<br />

„Haben sie ANI auch konstruiert?“, hakt<br />

Rechtsanwältin Michalke nach. „Ich habe<br />

an der Anlage das wenigste gemacht, das<br />

meiste habe ich delegiert“, antwortet<br />

Schreiber weltmännisch. „ANI war eine<br />

reine Versuchsanlage, möglichst flexibel,<br />

zur Herstellung von Pestiziden, daran<br />

besteht gar kein Zweifel“. Diese Behauptung<br />

ist frech, vor dem Hintergrund, daß<br />

der anwesende Sachverständige für<br />

Chemieanlagen, Prof. Dr. Richarz, die<br />

Anlage ANI in seinem Gutachten als „für die<br />

moderne Pestizidherstellung nicht geeig<strong>net</strong>“<br />

einstuft.<br />

Rechtsanwältin Michalke fragt Schreiber<br />

nun: „Wurde ihnen die militärische Zielsetzung<br />

der Organisation (SEPP, die Verf.)<br />

angedeutet?“ Schreiber: „Nein, überhaupt<br />

nicht, auch nicht, daß es eine Tarnorganisation<br />

sei.“ Sind Tarnorganisationen bezeichnen<br />

als solche nicht bezeich<strong>net</strong>, dann<br />

handelte es sich um keine Tarnung. Michalke<br />

läßt nicht locker: „War es in ihren Augen<br />

eine militärische Organisation?“ Schreiber<br />

startet wieder ein Ausweichmanöver:<br />

„Nicht direkt. Waren sie schon mal in der<br />

Dritten Welt? Da sehen sie in jeder Fabrik<br />

Leute in Uniformen. Das hat aber nichts mit<br />

Militär zu tun. Die Bewachung Samarras<br />

war dagegen lächerlich. 1978 war kein<br />

Mensch dort, und auch 1983 waren da nur<br />

ganz normale Wächter und überhaupt keine<br />

militärische Sicherung. Die kam dann erst<br />

nach dem Bericht der New York Times,<br />

davor war da noch nie ein Soldat auf dem<br />

Gelände. Wenn einer in die Zeitung schreiben<br />

würde, ‚die Amis wollen die Firma<br />

Höchst zerbomben‘, würden die wohl auch<br />

einige Raketen daneben aufstellen.“<br />

Laienhafte Unterstellung?<br />

Rechtsanwältin Michalke: „Hatten Sie<br />

aufgrund der Planung und der Technik<br />

Anhaltspunkte für eine militärische Zielsetzung?“<br />

Schreiber verneint: „Hatte ich nicht.<br />

Wenn ich chemische Stoffe herstellen will,<br />

gehe ich mit speziellen Wünschen an den<br />

Lieferanten heran – so wie ‚SEPP‘ an die<br />

Firma Uhde (Tochterfirma von Hoechst,<br />

ansässig in Dortmund, die Verf). Wir haben<br />

ja kein Prozeß-Know-how verkauft. Es wird<br />

oft unterstellt, wir hätten wissen müssen,<br />

wofür das genutzt wird. Das ist laienhaft.<br />

Kein Kunde will ja sein Know-how preisgeben,<br />

man sucht Geräte, an denen man<br />

friemeln und ausprobieren kann.“ Die<br />

„Unterstellung“, von der Schreiber spricht,<br />

ist Teil des Anklagevorwurfs. Die Sachverständigen<br />

für Chemieanlagen, Dr. Hallmann<br />

und Dr. Richarz, sind überzeugt, daß den<br />

Angeklagten der Verwendungszweck der<br />

Anlagen bekannt war.<br />

„Das heißt, daß die Anlagen dann über<br />

einen bestimmten Zeitraum laufen und<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 18<br />

dabei immer spezieller <strong>werden</strong>?“ repetiert<br />

Michalke. Schreiber wettert: „Das läßt sich<br />

unmöglich verhindern. Wenn heute ein<br />

Staat der Dritten Welt kommt und will die<br />

Anlage speziell zur Herstellung eines<br />

Produkts, besteht sogar bei einer Produktionsanlage<br />

die Möglichkeit, den Zweck im<br />

nachhinein zu ändern. Bis Sie raushaben,<br />

welche Möglichkeiten da bestehen, sind Sie<br />

pensioniert, und die Firma ist pleite. Das<br />

alles ist doch eine politische Kampagne und<br />

sonst gar nichts. Interessanterweise<br />

spricht heute auch niemand mehr davon,<br />

daß auf <strong>unsere</strong>n Anlagen Kampfstoff<br />

produziert worden ist. Das ist nämlich<br />

politisch nicht mehr opportun. Es kann ja<br />

auch gar nichts produziert worden sein,<br />

weil die Anlage noch gar nicht fertig war.<br />

Wer mir erzählt, daß man in einem Glasreaktor<br />

chemische Kampfstoffe herstellen<br />

kann, hat technisch schlicht und einfach<br />

keine Ahnung. Das muß einfach mal gesagt<br />

<strong>werden</strong>.“<br />

Klassenjustiz<br />

Warum greift das Gericht hier nicht ein?<br />

Warum darf der ehemalige Kolb-Manager,<br />

der ursprünglich mitangeklagt war, solche<br />

Reden halten, die mit den an ihn gestellten<br />

Fragen nicht das Geringste zu tun haben?<br />

Vor allem aber, warum läßt Pani zu, daß<br />

Schreiber das Ergebnis der Verhandlung<br />

mit der Behauptung, auf der Anlage könne<br />

kein Giftgas produziert worden sein,<br />

vorwegnimmt? Jeder harmlose Ladendieb,<br />

der erklärt, „Ich bin unschuldig“, bekommt<br />

mit Sicherheit zu hören, darüber habe nicht<br />

er, sondern das Gericht zu befinden.<br />

Schreiber aber darf sogar die Sachverständigen<br />

beleidigen, in dem er indirekt<br />

behauptet, sie hätten von der Technik keine<br />

Ahnung. Schreiber – und das entlarvt die<br />

Klassenjustiz – wird noch nicht einmal<br />

ermahnt, sich zurückzuhalten, geschweige<br />

denn, daß ihm eine Ordnungsmaßnahme<br />

angedroht wird.<br />

Beihilfe geleistet?<br />

Rechtsanwalt Hild fragt Schreiber noch<br />

einmal nach seiner Beteiligung an der<br />

Anlage MOHAMED und seinen Aktivitäten<br />

nach 1983. Schreiber will gerade zur<br />

Antwort ansetzen, als es am Tisch der<br />

Staatsanwaltschaft hektisch wird: Brandt<br />

ruft aufgeregt etwas zu Pani herüber, der<br />

versteht zunächst nicht, dann fällt bei ihm<br />

der Groschen. Er fällt Schreiber ins Wort:<br />

„Herr Schreiber, das Verfahren gegen Sie<br />

ist eingestellt worden. Stellt sich aber jetzt<br />

heraus, daß Sie über diesen Zeitraum<br />

hinaus (also nach 1983, die Verf.) tätig<br />

waren, könnte man auf die Idee kommen,<br />

daß Sie Beihilfe geleistet haben. Also<br />

denken Sie daran, Sie müssen sich nicht<br />

selbst belasten.“ Man könnte in der Tat „auf<br />

die Idee kommen…“ .<br />

Schreiber erklärt, er wolle auf die Frage<br />

Hilds antworten. „Das Projekt MOHAMED<br />

wurde ja von Langer ausgeführt. Ich war<br />

aber bei den Verhandlungen und Besprechungen<br />

zugegen. Das war ja 1983. Nach<br />

dem Aufgabenwechsel 1983 habe ich im<br />

Prinzip nicht mehr an Gesprächen über<br />

Samarra teilgenommen, da war ich viel im<br />

Ausland.“ Keiner stellt die Frage, was unter<br />

„im Prinzip nicht“ zu verstehen ist. Rechtsanwalt<br />

Pauly will allerdings wissen, in<br />

welchem Verhältnis Schreiber zu seinem<br />

Mandanten Langer gestanden habe. „Ich<br />

war sein Chef“, bekennt Schreiber<br />

freimütig.<br />

Pauly gibt erwartungsgemäß „keine<br />

Erklärung“ dazu ab, daß Pani Schreiber<br />

unvereidigt entlassen will. Man beschließt,<br />

Schreiber später noch einmal zu hören.<br />

Erinnerungsschwierigkeiten<br />

Als nächstes soll der Offenbacher Architekt<br />

Karlheinz Kröger dem Gericht Rede und<br />

Antwort stehen. Kröger hat nicht nur das<br />

Bürogebäude der Firma Kolb im Irak,<br />

sondern auch die Gebäude geplant, die<br />

nach seiner eigenen Aussage in seinem<br />

Büro unter der Bezeichnung „Irak-Bunker“<br />

liefen. Mit der Bauleitung betraute Kröger<br />

die Firma Heberger Bau GmbH mit Sitz in<br />

Schifferstadt. Nicht nur die Tatsache, daß<br />

Kröger zu seiner Vernehmung als Zeuge<br />

einen Anwalt mitgebracht hat, erweckt den<br />

Eindruck eines vorsichtigen Menschen.<br />

Auch seine starken Erinnerungsschwierigkeiten<br />

deuten darauf hin. Der Begriff<br />

„Samarra“ sagt ihm beispielsweise gar<br />

nichts. Er wisse nur, daß sich die Baustelle<br />

außerhalb von Bagdad befunden habe.<br />

Sagebiel fragt, in welche Richtung Krögers<br />

Chauffeure von Bagdad aus gefahren seien.<br />

☛ Fortsetzung Seite 19


JUSTIZ II<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 19<br />

☛ Fortsetzung von Seite 18<br />

An die Richtung könne er sich nicht mehr<br />

erinnern, möglicherweise sei es Norden<br />

gewesen. Sagebiel schlägt vor, daß Kröger<br />

sich eine Karte von Bagdad und Umgebung<br />

ansieht, um die Erinnerung aufzufrischen,<br />

aber Kröger „glaubt nicht, daß mir das<br />

helfen würde“. Ob er Herrn Attar von der<br />

„SEPP“ kenne, will das Gericht wissen.<br />

„Nein“ sagt Kröger, er habe ja die Firma<br />

Heberger mit der Bauleitung betraut. Auch<br />

an die Höhe des von Kolb gezahlten<br />

Honorars kann Kröger sich nicht erinnern.<br />

Ein Architekt und sein Bunker<br />

Das Gericht liest nun eine Aktennotiz vor, in<br />

der der Ablauf eines Gesprächs zwischen<br />

Kröger und der Firma Kolb minutiös<br />

beschrieben ist. Auch die Worte „Samarra“<br />

und „Irak-Bunker“ tauchen dabei auf.<br />

Krögers Reaktion auf die Verlesung: „Ich<br />

erinnere mich nicht an dieses Gespräch,<br />

aber es muß wohl stattgefunden haben.“<br />

Der Auftrag sei eben in seinem Büro unter<br />

der Bezeichnung „Irak-Bunker“ gelaufen,<br />

erklärt Kröger beiläufig. Richter Sagebiel<br />

will wissen, wie es zu dieser Bezeichnung<br />

kam. Kröger: „Weil die Gebäude mit Sand<br />

angeschüttet waren“. Sagebiel ist nicht<br />

überzeugt: „Deshalb haben sie die Gebäude<br />

,Bunker‘ genannt?“ Kröger erklärt: „Ja, ich<br />

bin im Krieg aufgewachsen und da haben<br />

wir alles, was angeschüttet war, ,Bunker‘<br />

genannt“.<br />

Sagebiel: „Wie können Sie ein Gebäude<br />

bauen, wenn sie nicht wissen, für was es<br />

genutzt <strong>werden</strong> soll?“ Kröger behauptet,<br />

das sei kein Problem: „Ich kannte die Größe<br />

des Raums, die Belastbarkeit der Böden<br />

richtet sich nach der DIN für Industrieböden“.<br />

Sagebiel, entschuldigend: „Ich bin da<br />

ein Laie“. Kröger, offen mißtrauisch: „Das<br />

sagen Kriminalbeamte immer, und dann<br />

wissen sie aber doch Bescheid“.<br />

Sagebiel stellt klar, kein Kriminalbeamter zu<br />

sein und beteuert, er sei wirklich ein Laie.<br />

Sagebiels nächste Frage: „Gab es irgendwelche<br />

Hinweise auf eine militärische<br />

Nutzung?“ Erwartungsgemäß antwortet<br />

Kröger mit „Nein“. Er wird unvereidigt<br />

entlassen.<br />

Samarra-Reise eine Farce<br />

Am neunten Verhandlungstag des Irak-<br />

Giftgasprozesses wird Klaus Dieter Haferkamp<br />

vernommen. Haferkamp reiste 1984<br />

als Beauftragter des TÜV Rheinland mit Dr.<br />

Ruck zusammen nach Samarra, um die von<br />

Kolb gelieferten Anlagen auf ihre Genehmigungsbedürftigkeit<br />

zu kontrollieren.<br />

Der Diplomingenieur schildert, wie es zu<br />

seiner Reise nach Samarra kam: „Im<br />

Frühjahr 1984 gab es eine Anfrage vom<br />

Wirtschaftsministerium an den TÜV, ob wir<br />

jemanden haben, der die Anlagen dort<br />

überprüfen kann.“ Haferkamps Aufgabe<br />

beim TÜV war es, Sicherheitsgutachten in<br />

Bezug auf Arbeitsschutz und Imissionsschutz<br />

zu erstellen. Obwohl er nach eigener<br />

Aussage ausdrücklich darauf hinwies, daß<br />

„mein Schwerpunkt auf Sicherheitsaspekten<br />

liegt und – ich bin kein Chemiker – nicht<br />

darauf, die Auslegung einer Anlage auf<br />

bestimmte Produkte zu erkennen“, hielt<br />

man ihn für den richtigen Mann. Haferkamp<br />

versuchte, sich auf Samarra vorzubereiten.<br />

Er studierte „drei bis vier Tage“ die Pläne<br />

der Anlage, die ihm Ruck zur Verfügung<br />

stellte, besuchte die Firma Bayer und nahm<br />

an einer Informationsveranstaltung im<br />

Wirtschaftministerium teil, bei der die<br />

Amerikaner ihre Kenntnisse über Samarra<br />

<strong>weiter</strong>gaben.<br />

„Was wir Ihnen zeigen,<br />

steht in <strong>unsere</strong>m Ermessen“<br />

Nach Dauer und Verlauf der Reise befragt,<br />

erzählt Haferkamp: „Die Reise dauerte –<br />

wenn ich mich richtig erinnere – vom 15.<br />

bis zum 20. Oktober (1984 d. Verf.). Wir<br />

wurden im Irak von Herrn Fraenzel betreut.<br />

Die ganze Reise war von Kolb organisiert,<br />

sonst wäre der Irak nicht einverstanden<br />

gewesen.“ Die Besichtigung Samarras<br />

dauerte nach Haferkamps Aussage etwa 7<br />

Stunden. Mit dem Leiter der Anlage, Herrn<br />

Attar, habe es ein Vorgespräch über die<br />

Besichtigung der Kolb-Anlagen und das<br />

Produktionsverfahren gegeben. Pani fragt,<br />

ob er sich auch erkundigt habe, was auf den<br />

Anlagen produziert werde. „Ja“, bestätigt<br />

Haferkamp, „die Antwort war: ,Das braucht<br />

Sie nicht zu interessieren, was wir Ihnen<br />

zeigen, steht in <strong>unsere</strong>m Ermessen’.“<br />

Mit Hilfe einer an die Wand projizierten<br />

Folie demonstriert Haferkamp die Besichtigung:<br />

„Wir haben alle Bunker gesehen, bis<br />

auf einen, weil da eine französische Anlage<br />

drin war. In dem unterirdischen Arbeitsraum<br />

gab es einen Bereich, wo Käfige für<br />

Tierversuche standen.“ Man habe erfahren,<br />

daß die nicht auf ihren Plänen verzeich<strong>net</strong>e<br />

Anlage Nr. 4 schon 1976 von Kolb geliefert<br />

worden war. „Die Abluftanlage wies auf<br />

hochtoxische Stoffe hin, aber sie war nicht<br />

mehr funktionsfähig“, erinnert sich der<br />

Ingenieur.<br />

Erinnerungslücken<br />

„Haben Sie sich mal erkundigt, was auf der<br />

Anlage produziert wurde, als sie noch<br />

funktionsfähig war?“, fragt der Vorsitzende.<br />

Haferkamp bejaht: „Uns wurde aber nur<br />

gesagt, daß sie unter einer dem Militär<br />

nahestehenden Organisation gebaut<br />

worden sei.“ Er fährt mit seiner Beschreibung<br />

fort: „AHMED 1 sah so aus, als ob<br />

Versuche auf ihr gemacht worden wären,<br />

für die sie nicht konstruiert war.“ Offensichtlich<br />

hat Haferkamp das Gefühl, ein<br />

heißes Eisen angegriffen zu haben und fügt<br />

rasch hinzu: „Wenn sie für irgendetwas<br />

konstruiert war…“. Jedenfalls hätten diese<br />

Versuche „außerhalb des Spektrums<br />

dessen gelegen, was auf dieser Anlage<br />

möglich war.“ Sowohl die Aufnahme als<br />

auch die Entnahme des Produkts habe<br />

völlig ohne Sicherheits- und Schutzmaßnahmen<br />

stattgefunden, erklärt der TÜV-<br />

Beauftragte befremdet.<br />

Staatsanwalt Brandt hat noch eine Frage zur<br />

Anlage Nr. 4: „Konnten Sie feststellen, ob<br />

die Abluftanlage voll hochgefahren war, als<br />

sie so schlecht funktionierte?“ – Haferkamp<br />

verneint. Auf Brandts Frage, wie sich der<br />

schlechte Zustand dargestellt habe, erklärt<br />

er: „Die Anlage hat einen undichten<br />

Eindruck gemacht, aber ich kann mich nicht<br />

so genau erinnern.“<br />

Rechtsanwältin Greef interessiert sich für<br />

die militärische Bewachung Samarras:<br />

„Haben Sie irgendwelche Geschütze<br />

gesehen?“ Haferkamp erinnert sich: „Ja.<br />

Auf diesen aufgeschütteten Sandhaufen.“<br />

Nach der Zahl der Geschütze befragt,<br />

erklärt Haferkamp: „Es waren viele, ich<br />

würde sagen zehn bis zwanzig.“ Sie hakt<br />

nach: „Wie haben Sie sich das Vorhandensein<br />

dieser Geschütze erklärt?“ Haferkamp<br />

gibt dieselbe Begründung wie Dr. Ruck bei<br />

seiner Vernehmung: „Das war ja kurz nach<br />

dem Angriff der Israelis auf den Reaktor,<br />

der ist auch in den Gesprächen immer<br />

wieder erwähnt worden.“<br />

Kein Druck der Amerikaner<br />

Rechtsanwalt Mohn, der letzte Woche die<br />

These aufstellte, hinter dem Druck der USA<br />

hätten handfeste handelspolitische Interessen<br />

gestanden, fragt nun: „Welche Informationen<br />

hatten Sie von den Amerikanern?“<br />

Haferkamp erklärt, man habe ihnen<br />

Luftbilder von Samarra gezeigt. Außerdem<br />

hätten die Amerikaner aufgrund dieser<br />

Luftbilder verschiedene Gebäude rekonstruiert:<br />

„Uns wurden Vermutungen mitgeteilt,<br />

wie etwa, daß sich Stockwerke unter<br />

der Erde befinden.“ „Ist es richtig, daß die<br />

Geheimdienstler mit dem Ergebnis ihrer<br />

Untersuchungen unzufrieden waren?“,<br />

spielt Mohn auf Dr. Rucks Aussage an.<br />

Haferkamp bejaht. Mohn: „Hat der Geheimdienst<br />

später noch Druck gemacht?“ Hier<br />

deckt sich Haferkamps Aussage nicht mehr<br />

mit der seines Reisepartners Dr. Ruck:<br />

„Nein, Druck wurde nicht ausgeübt.“<br />

Nun wird Haferkamp befragt, wie er sich auf<br />

den Gerichtstermin vorbereitet habe. Es<br />

stellt sich heraus, daß vor Ort, also bei der<br />

Besichtigung Samarras, keinerlei Notizen<br />

angefertigt wurden – anscheinend hatten<br />

die Irakis dies verboten. Die Berichte, die<br />

nach der Reise angefertigt wurden, sind<br />

nach Haferkamps Aussage beim TÜV<br />

mittlerweile wieder zur „Verschlußsache“<br />

erklärt worden. Bei dem Wort „Verschlußsache“<br />

wird der Vorsitzende panisch: „Das<br />

kann der TÜV doch gar nicht. Dann hätten<br />

Sie ja eine Aussagegenehmigung<br />

gebraucht!“ – Die Aufregung ist unnötig;<br />

der TÜV ist privatrechtlich organisiert, es<br />

handelt sich also nur um eine „wirtschaftliche<br />

Geheimhaltung“, die für das Gericht<br />

keine Bedeutung hat.<br />

„Meine Aussage<br />

war nicht gesteuert“<br />

Rechtsanwalt Mohn fragt, ob Haferkamp<br />

vor seinen Gerichtstermin irgendwelche<br />

Kontakte gehabt habe. Haferkamp verneint:<br />

„Ich habe keine offiziellen Kontakte<br />

gehabt.“ Mohn drängt <strong>weiter</strong>: „<strong>Und</strong> inoffizielle?“<br />

Haferkamp gibt nach einigen<br />

Ausweichmanövern zu, vor seinem Termin<br />

mit Dr. Ruck telefoniert zu haben. Mohn<br />

interessiert sich jedoch nicht nur für den<br />

laufenden Prozeß: „Hat es vor Ihrer Aussage<br />

vor dem Hessischen Finanzgericht<br />

Maßnahmen der Bundesregierung<br />

gegeben?“ – Darauf Haferkamp, entschieden:<br />

„Meine Aussage war nicht gesteuert.“<br />

Das hessische Finanzgericht hatte 1984 auf<br />

Antrag der Firma Kolb entschieden, daß das<br />

Hauptzollamt nicht berechtigt war, die<br />

Kolb-Lieferungen für den Irak zurückzuhalten,<br />

da die Änderung der Außenwirtschaftsverordnung<br />

ungültig sei. Nachdem das<br />

Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil<br />

aufhob, weil es das Umlaufverschweigungsverfahren<br />

aus gewohnheitsrechtlichen<br />

Gründen für zulässig hält, wird nun<br />

das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden<br />

haben.<br />

Rechtsanwalt Hild nimmt ebenfalls Bezug<br />

auf Haferkamps Aussage vor dem Hessischen<br />

Finanzgericht: „Hat Herr Attar<br />

(Hauptvertreter der SEPP, die Verf.) vor Ort<br />

erklärt, wofür die Anlagen sind? Eben<br />

sagten sie ja, er habe erklärt, das ginge sie<br />

nichts an. Am 7.12. 84 klang ihre Aussage<br />

da etwas anders. Hat Herr Attar nicht<br />

vielleicht doch etwas gesagt?“ Haferkamp<br />

bleibt souverän: „Er hat sich abgegrenzt<br />

von der Organisation, die vorher auf dem<br />

Gelände tätig war: ‚Wir machen jetzt etwas<br />

in Richtung Pflanzenschutzmitteln‘.“<br />

Hild: „Sie sollen bei ihrer Vernehmung auch<br />

gefragt worden sein: ,Dr. Ruck ist der<br />

Ansicht, daß die Reise nur auf Druck der<br />

USA zustande kam und daß handelspolitische<br />

Interessen der USA dahintersteckten…‘<br />

– Sie sollen geantwortet haben: ,Ich<br />

habe einen ähnlichen Eindruck. Der Besuch<br />

im Irak ist wohl auf Druck von Israel und<br />

den Amerikanern zustandegekommen.<br />

Diesen Eindruck hatte ich bei Besuchen des<br />

Wirtschaftministeriums und des auswärtigen<br />

Amts‘. Gingen Sie von handelspolitischen<br />

Zwängen aus?“ Haferkamp ziert sich:<br />

„Bei den USA waren wohl Interessen auf<br />

diesem Gebiet da.“<br />

Hild: „Herr Attar soll gesagt haben, daß es<br />

eine amerikanische Konkurrenzfirma zu<br />

Pilot Plant gibt. Haben Sie das ausgesagt?“<br />

„Das könnte sein“, räumt Haferkamp ein<br />

und fügt hinzu: „Mein Eindruck war damals,<br />

daß Pilot Plant eine junge Firma mit wenig<br />

Erfahrung bezüglich chemischer Anlagen<br />

ist. Von der Verfahrenstechnik her war da<br />

nicht viel Know-how“. Hild stellt die<br />

Gretchenfrage: „Gab es irgendwelche<br />

Indizien dafür, daß Kampfstoffe produziert<br />

wurden?“ Haferkamp verneint erwartungsgemäß,<br />

weist aber nochmals darauf hin:<br />

„Ich bin kein Fachmann für Kampfstoffe,<br />

sondern für Sicherheitsmaßnahmen. Das<br />

ist der Hintergrund meiner Ausführungen.<br />

AHMED 1, sie war als einzige Anlage in<br />

Funktion, hatte kein geschlossenes Entnahmesystem,<br />

das auf toxische Stoffe hingewiesen<br />

hätte, und auch die Entwässerungsanlage<br />

war offen. Die Männer hätten mit<br />

Schutzanzügen arbeiten müssen. Wir<br />

haben keine Schutzkleidung gesehen, aber<br />

sowas kann man natürlich auch schnell<br />

wegräumen.“<br />

Hochpotente Anlage<br />

Professor Dialer interessiert sich für Haferkamps<br />

Besichtigung bei der Firma Bayer,<br />

die im Vorfeld der Samarra-Reise stattfand.<br />

Es folgt ein Gespräch mit vielen technischen<br />

Details, in dessen Verlauf sich Dr.<br />

Hallmann erkundigt, ob bei der Anlage im<br />

Irak Steuerungs- und Produktionsraum<br />

getrennt gewesen seien. Haferkamp<br />

bestätigt dies. Dr. Hallmann bohrt nach:<br />

„Das macht man doch nur, wenn hochtoxische<br />

Stoffe produziert <strong>werden</strong>.“ Auch dies<br />

bejaht Haferkamp, relativiert aber: „Man<br />

macht das bei einer Anlage, auf der auch<br />

toxische Stoffe hergestellt <strong>werden</strong>.“<br />

Hallmann läßt sich nicht auf Wortspielereien<br />

ein: „Jedenfalls war klar, daß es sich um<br />

eine hochpotente Anlage handelt.“<br />

Rege Kontakte zu Kolb<br />

Zum Schluß schaltet sich Richter Thomas<br />

Sagebiel ein: „Ist es richtig, daß es noch ein<br />

Abschlußessen mit Herrn Attar und<br />

anderen gab?“ „Ja, auf dem Betriebsgelände“,<br />

bestätigt Haferkamp. Wer alles dabeigewesen<br />

sei, wisse er nicht mehr genau,<br />

aber Herr Fraenzel bestimmt. Sagebiel,<br />

wohl in Anspielung auf Rucks Aussage, daß<br />

er mit dem Angeklagten Al Kadhi heimgeflogen<br />

ist : „Kennen sie Herrn Al Kadhi?“<br />

Haferkamp weicht aus: „Ich würde ihn nicht<br />

wiedererkennen“.<br />

Die Staatsanwaltschaft fragt, ob die Ergebnisse<br />

der Besichtigung mit Herrn Attar oder<br />

Fraenzel besprochen worden seien. Haferkamp<br />

gibt zu, man habe mit Fraenzel „grob<br />

über die Probleme mit der Anlage gesprochen“.<br />

Entschuldigend ergänzt er: „Ohne<br />

die Betreuung durch Herrn Fraenzel wäre<br />

die Reise nicht möglich gewesen. Hieraus<br />

haben sich dann rege Kontakte entwickelt.“<br />

Der Eindruck, daß die Samarra-Reise ein<br />

Farce war, verfestigt sich zunehmend: Man<br />

schickt zwei Männer nach Samarra, die<br />

beide (was nicht ihre Schuld ist) keine<br />

speziellen Kenntnisse in Bezug auf die<br />

Produktion von Kampfstoffen mitbringen.<br />

Einer von ihnen weist sogar darauf hin, daß<br />

er Ingenieur und kein Chemiker ist, daß<br />

Sicherheitsvorkehrungen sein eigentliches<br />

Fachgebiet darstellen. Warum wurde<br />

beispielsweise nicht einer der Sachverständigen<br />

für chemische Anlagen, die heute<br />

dem Prozeß beiwohnen, nach Samarra<br />

geschickt?<br />

Die beiden „Fachleute“ machen „auf dem<br />

Flug nach Samarra aus, was wir kontrollieren<br />

wollen“. Sie vermuten, daß sie diese<br />

Reise letztendlich wegen Handelsinteressen<br />

der USA unternehmen müssen – was<br />

ihre Motivation nicht gerade gehoben<br />

haben dürfte. Die Reise ist von der Firma<br />

organisiert, deren Anlagen auf ihre Genehmigungsbedürftigkeit<br />

kontrolliert <strong>werden</strong><br />

sollen – der Firma Kolb. Vor dieser wird<br />

auch „ganz offen“ über das Ergebnis er<br />

Besichtigung gesprochen.<br />

Die irakischen Anlagenbetreiber erklärten<br />

offen, „es liegt in <strong>unsere</strong>m Ermessen, was<br />

wir Ihnen zeigen“. Nur eine der vorgeführten<br />

Anlagen ist funktionsfähig. Offensichtlich<br />

ging es bei der Samarra-Reise lediglich<br />

darum, im Hinblick auf das Ausland eine<br />

Pflichtübung zu absolvieren – ein Interesse,<br />

die Aktivitäten der Firma Kolb zu kontrollieren,<br />

bestand nicht.<br />

Ehemaliger Geschäftsführer<br />

Schreiber bleibt<br />

als Verdächtigter unvereidigt<br />

Nochmals wird Schreiber, ehemaliger<br />

Geschäftsführer bei Pilot Plant, vernommen.<br />

Er, der ursprünglich ebenfalls<br />

angeklagt war, wird zunächst wiederholt<br />

belehrt, daß er sich nicht selbst zu belasten<br />

brauche. Bei Schreibers Vernehmung geht<br />

es dann auch vorwiegend um dessen<br />

eigene Tatbeteiligung.<br />

Schreiber gibt zu, Phosphortrichlorid an die<br />

irakische Beschaffungsfirma „SOTI“ geliefert<br />

zu haben. Auch daß er mit der „SEPP“<br />

die Verhandlungen über die Anlage AHMED<br />

1 führte, räumt Schreiber ein.<br />

AHMED 1 ist nach dem Gutachten von Dr.<br />

Richarz „für die Herstellung chemischer<br />

Kampfstoffe ohne Zweifel geeig<strong>net</strong>“. Ob<br />

Änderungen an dieser Anlage besprochen<br />

worden seien? Schreiber bestätigt: „Wir<br />

haben Änderungen besprochen, aber im<br />

großen und ganzen ist die Anlage so geblieben<br />

wie geplant“.<br />

Staatsanwalt Brandt interessiert sich für<br />

Schreibers Kontakte: „Haben Sie zu der<br />

Frankfurter Firma CGM zwischen 1981 und<br />

1983 irgendwelche Kontakte aufgenommen?“<br />

Schreiber erwidert, es habe lediglich<br />

1979 ein einziges Telefongespräch<br />

gegeben. Er habe damals versucht, über die<br />

CGM eine Anlage zu bekommen, die einer<br />

seiner Kunden verlangt hatte. „Das ist aber<br />

dann im Sande verlaufen“.<br />

Schreiber gibt die Planung zu<br />

Rechtsanwalt Pauly will wissen: „Welche<br />

Personen haben die Verträge ausgehandelt,<br />

um welche Änderungen ging es, und wer<br />

hat das Konzept mit dem Kunden ausgearbeitet?“<br />

– Kein Wunder, daß Pauly sich<br />

engagiert; alles, was Schreiber hier<br />

einräumt, entlastet Paulys Mandanten<br />

Ewald Langer. Pauly verliest ein Schriftstück,<br />

in dem es um ein Angebot der Firma<br />

Kolb an die „SEPP“ geht und fügt hinzu:<br />

„Mit diesem Angebot kann Langer nichts zu<br />

tun gehabt haben. Da war er noch gar nicht<br />

in der Firma. Haben Sie das bearbeitet?“<br />

Schreiber bejaht.<br />

Pani resümiert: „Es wurde also ein grobes<br />

Konzept erstellt, das dann feiner ausgearbeitet<br />

wurde. Mit wem wurde dieses grobe<br />

Konzept erstellt? Mit Ihnen?“ – Schreiber,<br />

lässig: „Im großen und ganzen ja.“ Pani<br />

fährt fort: „Wer führte die Bestellungen für<br />

die Anlage aus?“ – Schreiber: „An die<br />

Unterlieferanten? Ja, die sind von Mitarbeitern<br />

geschrieben und von mir unterschrieben<br />

worden, weil ich ja Geschäftsführer<br />

war. Das mußte ja jemand machen, der<br />

Prokura hatte.“<br />

Hild stellt die entscheidende Frage: „Auf<br />

welche Anlage bezog sich dieses<br />

Angebot?“ – Schreiber: „Auf MOHAMED.“<br />

Die Anlage MOHAMED ist, im Gegensatz zu<br />

AHMED 1, Gegenstand dieses Verfahrens –<br />

Schreiber scheint sich also sehr sicher zu<br />

fühlen.<br />

Als Pani ihn dann unter Hinweis auf § 60 II<br />

StPO unvereidigt entläßt, notiert Schreiber<br />

sich den Paragraphen. Vermutlich wird er<br />

erbost sein, wenn er ihn zu Hause<br />

nachschlägt: Von der Vereidigung ist<br />

abzusehen bei Personen – so das Gesetz –,<br />

die selbst der Tat, welche den Gegenstand<br />

der Untersuchung bildet, verdächtig sind.<br />

Ob gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet<br />

wird? Schreiber hat offen eingestanden, die<br />

Planungen gekannt und damit auch über<br />

die Planung für eine Giftgasproduktionsanlage<br />

informiert gewesen zu sein.<br />

Verärgerte Juristen:<br />

Bonn hat Unterlagen<br />

vorenthalten<br />

„Die Kammer beabsichtigt, die Verhandlung<br />

zu unterbrechen und die Bundesregierung<br />

zu befragen“, mit diesem Beschluß<br />

setzte Richter Alfred Pani am 12. Verhandlungstag<br />

das Verfahren aus. Hintergrund<br />

bildete ein fernschriftlich zugestelltes<br />

Dokument aus den UN-Berichten, das am 1.<br />

Juni „zur großen Überraschung“ des Richters<br />

eintraf. „Dem Zollkriminalinstitut als<br />

Hilfesbeamten der Staatsanwaltschaft sind<br />

Unterlagen zugänglich, die erst während<br />

des Verfahrens vorgelegt <strong>werden</strong> – ein<br />

<strong>Und</strong>ing“, kommentiert Pani und auch<br />

Rechtsanwältin Michalke meint: „So geht<br />

das nicht. Dann muß gesagt <strong>werden</strong>, das<br />

wird nicht in das Verfahren eingebracht.<br />

Das muß doch strafrechtsprozessuale<br />

Folgen haben.“<br />

Bereits im März verfügten die Beamten des<br />

Zollkriminalinstitutes über diese Unterlagen<br />

und ließen eine hausinterne Übersetzung<br />

anfertigen. Das Gericht besaß im Gegensatz<br />

zu der Staatsanwaltschaft keine Kenntnis<br />

von dem Vorhandensein des Zusatzberichtes.<br />

„Jedermann ging davon aus, daß die<br />

UN-Berichte vollständig vorliegen“, ärgerte<br />

sich Pani und war sich einig auch mit<br />

Rechtsanwalt Hild: „Das Verfahren ist für<br />

alle Beteiligten nicht zumutbar. Die Kammer<br />

trifft kein Verschulden, aber die Verteidigung<br />

kann so nicht verteidigen“. Staatsanwalt<br />

Detlev Thorer rechtfertigte: „Das ist ein<br />

UN-Bericht, der einem besonderen<br />

Geheimhaltungsgrad unterliegt, davon<br />

gingen wir aus“.<br />

In Übereinstimmung wurde aus Kostengründen<br />

beschlossen, die Sachverständigen<br />

nicht mehr zum regelmäßigen Aufenthalt<br />

während des Verfahrens zu verpflichten.<br />

Interview<br />

mit Leiter der UN-Delegation<br />

Die Publikation „Rege Geschäfte mit tödlichem<br />

Ausgang“ der „Chemischen<br />

Rundschau“ (VCH Verlagsgesellschaft<br />

Weinheim), erschienen Ende Mai 92, sorgte<br />

für Aufmerksamkeit. Flottenadmiral Heinz-<br />

Dieter Jopp, als deutscher Leiter der UN-<br />

Delegation, hatte über seinen Aufenthalt in<br />

Samarra ein Interview gegeben. Prozeßbedeutsame<br />

Fragen sind darin gestellt; auf die<br />

Frage, um was für Anlagen es sich in<br />

Samarra gehandelt habe, erklärt Jopp:<br />

„Nach irakischen Angaben dienten beide<br />

Anlagentypen zur Herstellung von Tabun,<br />

Sarin, und Senfgas“. Welche Rolle dabei<br />

deutsche Firmen gespielt haben? „Die<br />

Anlagen“, so Jopp, „sind im Endeffekt alle<br />

von deutschen Firmen gebaut worden“. Der<br />

Journalist fragt <strong>weiter</strong>: „Die Firmen behaupten,<br />

sie hätten wissentlich nur Anlagen zur<br />

Produktion von Pestiziden geliefert. Ist das<br />

naiv?“ Jopp: „Ich würde es weniger als<br />

Naivität, sondern eher als Unverfrorenheit<br />

bezeichnen. Alle Inspektoren sagen: Wer<br />

diese Anlagen sieht, der muß auch sofort<br />

erkennen, was hier produziert wird. Spätestens<br />

dann, als die deutschen Firmenangehörigen<br />

den Bau der Anlagen vor Ort<br />

überwacht haben – und das ist so geschehen<br />

–, muß ihnen ein Licht aufgegangen<br />

sein“.<br />

Unter Bezug auf den Prozeß fragt der<br />

Journalist: „Die Verteidiger der Unternehmen<br />

aus Südhessen wollen die Protokolle<br />

ihrer UN-Delegation dem Gericht als entlastendes<br />

Material vorlegen. Wie das?“ Jopp:<br />

„Darauf kann ich mir keinen Reim machen.<br />

Ich kenne sämtliche Protokolle der UN-<br />

Sonderkomission. Aus allen geht glasklar<br />

hervor, was produziert wurde und zu<br />

welchem Zweck. Nicht enthalten in den<br />

Protokollen sind die Namen der Lieferfirmen,<br />

obwohl sie zum teil deutlich auf<br />

Typenschildern zu lesen sind. Die Listen<br />

mit den Firmennamen wurden ausschließlich<br />

dem UN-Chiefinspektor ausgehändigt“.<br />

In Journalistenkreisen läuft das Gerücht<br />

um, der „Spiegel“ verfüge über die UN-<br />

Berichte und werde im Sommer damit an<br />

die Öffentlichkeit treten.


Klaren Worten<br />

müssen auch klare Taten folgen<br />

Die Stellungnahme der SPD<br />

für einen Beitritt der Stadt<br />

Darmstadt und der Region<br />

Südhessen zum Rhein-Main-<br />

Verkehrsverbund hat in der<br />

FDP-Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion positive Reaktionen<br />

ausgelöst. Nach den bisher eher<br />

zögerlichen Äußerungen der Sozialdemokraten<br />

sei es an der Zeit für eine Klarstellung<br />

gewesen, erklärte der FDP-Fraktionsvorsitzende<br />

Peter J. Netuschil. Die von der<br />

FDP erklärte Ansicht, daß die Region Darmstadt<br />

auf die künftige Konzeption des RMV<br />

verstärkt Einfluß nehmen muß, sollte notwendigerweise<br />

auch vom Landkreis Darmstadt-Dieburg<br />

geteilt <strong>werden</strong>. Die SPD<br />

Darmstadt sollte auf ihre Parteifreunde im<br />

Eissporthalle:<br />

Karten auf den Tisch<br />

Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />

soll Licht in das<br />

Finanzgebaren der TSG 1846<br />

und der Betreibergesellschaft<br />

für das Eissportzentrum<br />

bringen. Dies hat die SPD–Fraktion<br />

auf ihrer letzten Fraktionssitzung beschlossen.<br />

Der Vorsitzende des Vereins, Herbert<br />

Reißer, solle veranlaßt <strong>werden</strong>, alle „Karten<br />

auf den Tisch“ zu legen und einen Kassensturz<br />

vorzunehmen. Wie der stellvertretende<br />

Fraktionsvorsitzende Dr. Harry Neß<br />

dazu mitteilt, sei ein Grund für diesen<br />

Beschluß die Information gewesen, daß die<br />

Betreibergesellschaft einen Geschäftsführer<br />

beschäftige, der ein ausgesprochen<br />

stattliches Salär so um die DM 10.000,.-<br />

beziehen soll. Man frage sich, was dieser<br />

Mann eigentlich tue, um die Einnahmesituation<br />

von Betreibergesellschaft und Verein<br />

zu verbessern.<br />

Offensichtlich gebe es z. B. kein gastronomisches<br />

Konzept. Auch sei beobachtbar,<br />

daß der Biergarten trotz des schönen Wetters<br />

geschlossen bleibe. Weitere Aktivitäten<br />

wie z. B. Konzertveranstaltungen seien<br />

CDU: Eissporthalle erhalten<br />

Verschleppen und verzögern<br />

unliebsamer Entscheidungen<br />

ist in der Kommunalpolitik in<br />

Darmstadt zwar an der Tagesordnung,<br />

dient der Sache aber<br />

nicht. Mehr als ein halbes Jahr ist seit dem<br />

Beschluß der SPD vergangen, die Zuschüsse<br />

an die TSG für die Eissporthalle zu streichen.<br />

Seitdem ruht das Problem. Jetzt soll<br />

ein betriebswirtschaftliches Gutachten für<br />

35.000 DM erstellt <strong>werden</strong>, aber die Bank<br />

macht Druck, weil der Schuldendienst für<br />

die Eissporthalle nicht mehr bedient wird.<br />

Nach Meinung der CDU sollte eine klare<br />

Zukunftsperspektive für den Eissport in<br />

Darmstadt entwickelt <strong>werden</strong>. Dafür sprechen<br />

drei Gründe:<br />

1. Es gibt in Darmstadt eine breite „Bürgerbewegung“<br />

von jungen Leuten zugunsten<br />

der Eissporthalle als beliebtes Freizeitangebot.<br />

80.000 Besucher im Jahr sprechen für<br />

sich.<br />

2. Es gibt keinen Grund zu der Annahme,<br />

daß die Eissporthalle von der Stadt besser<br />

oder gar billiger betrieben <strong>werden</strong> könnte.<br />

Die Übernahme der Halle durch die Stadt<br />

bedeutet das „Aus“ für den Eissport in<br />

Darmstadt.<br />

3. Der Eissport ist eine echte sportliche<br />

Innovation für Darmstadt, in einer Region,<br />

wo nach Lage und Klima Wintersport sonst<br />

überhaupt nicht möglich ist.<br />

Aus diesen Gründen hat sich die CDU-Fraktion<br />

eindeutig für den Erhalt der Eissporthalle<br />

eingesetzt. Die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

hat, bis auf die Grünen, beschlossen,<br />

daß der Magistrat einen Vorschlag machen<br />

soll, wie die Eissporthalle in Trägerschaft<br />

der TSG erhalten <strong>werden</strong> kann. „Bis jetzt hat<br />

der Magistrat nicht einmal den kleinen Finger<br />

gerührt“, kritisiert Alfred Aldenhoff. „Er<br />

trägt die Verantwortung dafür, wenn sich die<br />

Tore der Eissporthalle für immer schließen.“<br />

Da bereits investive Leistungen von der<br />

Stadt erbracht worden sind, wobei mit minimalen<br />

Aufwand ein gutes Ergebnis erzielt<br />

wurde, sollte man das sport- und freizeitpolitische<br />

Ziel dauerhaft sichern.<br />

Landkreis einwirken, damit deren Blockadehaltung<br />

nicht <strong>weiter</strong> zu „verkehrspolitischer<br />

Unbeweglichkeit“ beiträgt, empfahl<br />

Netuschil.<br />

Der FDP-Politiker kündigte einen gemeinsamen<br />

Antrag der Darmstädter Koalitionsfraktion<br />

an, der auch einen separaten Beitritt<br />

Darmstadts zum RMV vorbereiten soll.<br />

Nach den Worten des RMV-Geschäftsführers<br />

Volker Sparmann bleibe nur noch bis<br />

zum Sommer Zeit, der RMV-Gründungsgesellschaft<br />

beizutreten. „Nur so haben wir<br />

die Möglichkeit, <strong>unsere</strong> Forderungen einzubringen<br />

und zu verhindern, daß der RMV lediglich<br />

eine Er<strong>weiter</strong>ung des bisherigen FVV<br />

darstellt“, sagte Netuschil abschließend.<br />

ebenfalls in letzter Zeit nicht zu registrieren.<br />

Die Einstellung der städtischen Zuschüsse<br />

hätten jedoch für Reißer und seinen<br />

Geschäftsführer Anlaß sein müssen, verstärkt<br />

und ideenreich nach Möglichkeiten<br />

zu suchen, die Zuweisungen der Betreibergesellschaft<br />

an den Verein zu erhöhen. <strong>Und</strong><br />

so dränge sich der Verdacht auf, daß die<br />

Zahlungsunfähigkeit des Vereins Bestandteil<br />

einer Strategie Reißers sei, den Steuerzahler<br />

auf jeden Fall zur Kasse zu bitten.<br />

Wenn sich als richtig erweise, daß er die<br />

Untätigkeit dieses Geschäftsführers, der<br />

noch dazu Vereinsfunktionär ist, mit einem<br />

solch fürstlichen Salär belohne, dann sei es<br />

sicher nicht verfehlt, die Finanzmisere von<br />

Verein und Gesellschaft als „Finanzdebakel“<br />

zu bezeichnen, für das Reißer die volle Verantwortung<br />

zu übernehmen habe.<br />

Für ihn, so Dr. Neß, stelle sich dann auch<br />

die Frage, ob die Heimfallklausel des Vertrages,<br />

die die Pflicht der Stadt zur Übernahme<br />

der Halle und des Vereinsvermögens<br />

im Konkursfall festlegt, unter solchen<br />

Vorzeichen wirksam <strong>werden</strong> könne.<br />

Mit einer Großen Anfrage hat die CDU das<br />

Thema jetzt wieder auf den Tisch gelegt und<br />

erwartet, daß die Stadt sich entscheidet, wie<br />

es mit der Eissporthalle <strong>weiter</strong>geht, bevor<br />

die Mitarbeiter wegen der unsicheren Zukunft<br />

abwandern und die Besucher sich verlaufen.<br />

„Eissport in Darmstadt ist gut angekommen,<br />

aber dauernde Querelen verunsichern<br />

alle Beteiligten und stiften Schaden.<br />

Deshalb muß jetzt gehandelt <strong>werden</strong>“, erklärt<br />

Alfred Aldenhoff für die CDU-Fraktion.<br />

Thema: „Verkehr“<br />

Trotz überlangen Wochenendes<br />

durch den Himmelfahrtsfeiertag<br />

kamen viele interessierte<br />

Bürgerinnen und Bürger<br />

zum Mittwochs-Treff der<br />

Eberstädter Grünen.<br />

Thema des Abends war der Verkehr in diesem<br />

Stadtteil. Der gute Besuch in der Veranstaltung<br />

überraschte deshalb kaum<br />

jemanden, da Planungen wie das Wolfhartweg-Baugebiet<br />

oder das Projekt Heag-<br />

Wartehalle den Eberstädtern erhebliche<br />

Belastungen durch zusätzlichen Autoverkehr<br />

zumuten. „Man muß sich Gedanken<br />

machen, wie man die Eberstädter Verkehrsprobleme<br />

lösen kann, die ja auch ohne diese<br />

Vorhaben nicht unerheblich sind“, sagt<br />

Doris Fröhlich, die Eberstädter Stadtverord<strong>net</strong>e<br />

der Grünen.<br />

Der Ortsverband Eberstadt lud deshalb die<br />

renommierte Stadt- und Verkehrsplanerin<br />

Gisela Stete und Richard Lichtenstein vom<br />

Bürgerverband zur Förderung des Schienenverkehrs<br />

(BFS) zu seinem Treffen ein.<br />

Gisela Stete versuchte in ihrem Referat die<br />

Frage zu beantworten, „welche Verkehrspolitik<br />

die Mobilität für alle Bevölkerungsteile<br />

sichert.“<br />

Ihrer Ansicht nach ist „unser heutiges<br />

Mobilitätsverständnis deformiert“, weil<br />

Mobilität in erster Linie mit dem Auto in<br />

PARTEIEN - STANDPUNKTE I<br />

Fortschreibung<br />

des Rahmenplans<br />

für Eberstadt<br />

„Die CDU Eberstadt setzt den<br />

Bürgerwillen um“, zieht<br />

Stadtverord<strong>net</strong>er Michael<br />

Bergmann das Fazit der<br />

öffentlichen Sitzung der CDU-<br />

Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion vom Montag,<br />

dem 30. März 1992, im Haus der Vereine.<br />

Dort hatten die Eberstädter laut und vernehmlich<br />

ihren Unmut darüber bekundet,<br />

daß das dem OB Metzger unterstellte Planungsamt<br />

ganz offensichtlich kein einheitliches,<br />

das Ganze überschauende Gesamtkonzept<br />

für Eberstadt besitze. So die Stimmen<br />

von Teilnehmern: „Hier und dort so ein<br />

bißchen undurchdachte Verkehrsberuhigung,<br />

keine neuen Baugebiete, auch dort<br />

nicht, wo man verdichten könnte, keine<br />

effektive Anbindung der Randgebiete und<br />

vor allem: Wo bleibt <strong>unsere</strong> Sicherheit, z.B.<br />

auf dem Eberstädter Friedhof oder sonst als<br />

Passant, geschützt?” <strong>Und</strong> so war <strong>weiter</strong> zu<br />

vernehmen: „Wieviel schöner könnte unser<br />

Eberstadt sein, wenn doch endlich gehandelt<br />

würde.” Das ist der Knackpunkt, kommentiert<br />

Stadtverord<strong>net</strong>er Michael Bergmann<br />

die Sorgen der Eberstädter. OB Metzger<br />

ist weder in der Lage, darauf schlüssige<br />

Antworten zu geben, noch Initiativen zu<br />

entwickeln. Weil die Initiativen der CDU<br />

Eberstadt von der SPD und der FDP ständig<br />

abgeblockt würden, wider besseres Wissen<br />

übrigens, zwingt die CDU-Fraktion die<br />

SPD/FDP-Koalition mit ihrem Antrag, den<br />

Rahmenplan auf den neuesten Stand zu<br />

bringen, den wahren Bedürfnissen der Bürgerschaft<br />

endlich Rechnung zu tragen. OB<br />

Metzger und die SPD rühmten sich ständig,<br />

den direkteren Draht zur Bevölkerung zu<br />

haben. Ergebnisse daraus seien aber nicht<br />

sichbar. Nur ein Gesamtkonzept, daß die<br />

Bezüge von Einwohnerzahl, möglicher neuer<br />

Baugebiete, öffentlichen und individuellen<br />

Nahverkehrs (Ziel- und Quellverkehr)<br />

bis hin zur Anbindung der Randgebiete<br />

nach dem CDU-Vorschlag eines Ringbusses<br />

sowie die Fortentwicklung von Gewerbe<br />

und Handel aufnehme, werde den zukünftigen<br />

Interessen und Bedürfnissen der Bürgerschaft<br />

gerecht. SPD und FDP mangele<br />

es an einer zukunftsweisenden Vision, die<br />

dem Gemeinwohl verpflichtet sei. Statt<br />

dessen stehe als Überschrift über dem Programm<br />

von SPD und FDP in Magistrat und<br />

Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung allein das<br />

Wort: „Ideenlosigkeit!“. Dem müsse nun<br />

endlich Einhalt geboten <strong>werden</strong>. SPD und<br />

FDP hätten, so Bergmann, mit der Zustimmung<br />

zum CDU-Antrag die Chance, sich<br />

den zukunftsweisenden Bedürfnissen der<br />

Bürgerschaft zuzuwenden, anstatt ihre Verweigerungshaltung<br />

fortzuführen.<br />

Michael Bergmann, Stadtverord<strong>net</strong>er<br />

Betr.: Veranstaltung der Grünen in Eberstadt<br />

Verbindung gebracht wird. Abgesehen<br />

davon, daß das Verkehrsmittel Auto die<br />

Erwartungen in puncto Mobilität schon lange<br />

nicht mehr erfüllen kann, wird der PKW<br />

hauptsächlich „von der Bevölkerungsgruppe<br />

mit den Merkmalen männlich, zwischen<br />

20 und 59 Jahren, genutzt.“ Alle anderen<br />

legen ihre Wege überwiegend mit dem<br />

ÖPNV, dem Fahrrad oder auf eigenen<br />

Füßen zurück, <strong>werden</strong> in ihrer Mobilität<br />

aber durch den Autoverkehr behindert, da<br />

die Verkehrspolitik auf den Autoverkehr<br />

fixiert ist.<br />

Um Mobilität für alle Gruppen der Gesellschaft<br />

zu gewährleisten, muß die Privilegierung<br />

der Autos abgeschafft <strong>werden</strong>, und es<br />

müssen integrierte Verkehrsplanungskonzepte<br />

für Fußgänger, Fahrradfahrer, ÖPNV-<br />

Nutzer und Autofahrer entwickelt <strong>werden</strong>,<br />

so Frau Stete <strong>weiter</strong>. Konkret schlug sie in<br />

ihrem Referat vor:<br />

1. Vermeidung des Verkehrsaufwandes<br />

durch kompakte Siedlungsstrukturen, in<br />

denen die Wege z. B. zwischen Wohnen<br />

und Arbeiten kurz sind und deshalb der<br />

Zwang zum Auto entfällt.<br />

2. Verlagerung des Autoverkehrs auf<br />

umweltverträgliche Verkehrsmittel durch<br />

Verbesserung des ÖPNVs und durch die<br />

Schaffung durchgängiger Radwegeverbindungen.<br />

Ein Teil des Einzugsgebietes<br />

der Andersen-Schule liegt<br />

östlich der Reuterallee. Deshalb<br />

müssen Schülerinnen<br />

und Schüler täglich mehrmals<br />

diese stark befahrene Straße überqueren.<br />

Um den Schulweg sicherer zu machen<br />

und das Überqueren der breiten Fahrbahn<br />

zu erleichtern, wollen die Eberstädter CDU-<br />

Stadtverord<strong>net</strong>en, daß in Höhe der Einmündung<br />

Brandenburger Straße eine Verkehrsinsel<br />

eingebaut wird. Die CDU-Kommunalpolitiker<br />

greifen mit ihrem Antrag ein Anlie-<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 20<br />

Schulweg sicherer machen<br />

gen der Elternvertretung der Andersen-<br />

Schule auf, die sich über die Schulwegsicherheit<br />

Gedanken gemacht hat.<br />

Auch im Bereich der Sachsenstraße wäre<br />

eine Verkehrsinsel nützlich, meint die Eberstädter<br />

CDU. Sie könnte zugleich die Fußgänger<br />

schützen, die dort zum Einkaufen<br />

unterwegs sind und ebenfalls die Reuterallee<br />

überqueren müssen. Natürlich kommen<br />

auch andere geeig<strong>net</strong>e Sicherheitsvorkehrungen<br />

in Betracht, die einen besseren<br />

Schutz der <strong>Kinder</strong> gewährleisten können.<br />

Für den Erhalt der Schutzhütten<br />

„Es ist eine Schande, daß der<br />

Magistrat, insbesondere die<br />

verantwortlichen Dezernenten<br />

Metzger (SPD) und<br />

Swyter (FDP) noch immer<br />

nicht mit der planungsrechtlichen Absicherung<br />

von Schutzhütten und Einfriedungen<br />

für Gärten und die Streuobstwiesen im<br />

Eberstädter Osten übergekommen sind,<br />

obwohl dies nur noch bis Ende 1992 möglich<br />

sei“, so Stadtverord<strong>net</strong>er Michael Bergmann<br />

(CDU) bei einem Ortsbegang am Freitag,<br />

dem 29. Mai 1992. Unter der sachkundigen<br />

Führung von Armin Meyer von der<br />

Arbeitsgemeinschaft Eberstädter Obstgärtner<br />

erwanderte die CDU–Eberstadt, deren<br />

Vorsitzender Willi Franz außerdem zahlreiche<br />

interessierte Eberstädter Bürger<br />

begrüßen konnte, den Bereich der Gärten<br />

und Streuobstwiesen im Eberstädter Osten.<br />

Die Teilnehmer konnten sich davon überzeugen,<br />

wie hier verantwortungsbewußt<br />

eine naturverbundene und naturgerechte<br />

„Katastrophenpolitik“<br />

„Erfreut“, zeigt sich der Vorsitzende<br />

der SPD-Fraktion<br />

Horst Knechtel darüber, daß<br />

sich sein CDU-Kollege Dr.<br />

Rüdiger Moog „Mangels<br />

eines eigenen Oberbürgermeisterkandidaten<br />

mit dem der SPD, Bürgermeister Peter<br />

Benz, beschäftigt“ („DE“ vom 13.6.1992).<br />

In seinem Bestreben, Benz am Zeug zu<br />

flicken, verheddere er sich allerdings in den<br />

für ihn typischen selbstgeknüpften Fallstricken<br />

aus Uninformiertheit und Fundamentalopposition.<br />

So sei ihm und das für<br />

einen Fraktionsvorsitzenden wunderlicherweise<br />

völlig entgangen, daß es einen Diskussions-,<br />

Entscheidungs- und Mittelbereitstellungsprozeß<br />

zur Einrichtung eines<br />

Jugendkulturzentrums in der Oettinger Villa<br />

gegeben habe, dieses längst eingerichtet<br />

sei und bereits arbeite. Auch habe sein<br />

eigener Parteifreund, der Stadtrat Dr.<br />

Rösch, erst vor kurzem verkündet, daß die<br />

Sanierung des Familienbades am Woog<br />

sofort nach dem Abschluß der laufenden<br />

Badesaison in Angriff genommen werde.<br />

Die SPD/FDP-Koalition habe die entsprechenden<br />

Mittel dafür bereitgestellt. Sie werde<br />

auch jetzt dargestellte mögliche Mehrkosten<br />

genehmigen. Was die Marktplatz-Tiefgarage<br />

betreffe, so habe sich die SPD<br />

öffentlich dazu bekannt, daß dieses Projekt<br />

nicht verwirklicht <strong>werden</strong> soll. Es sei Ausdruck<br />

einer überholten Verkehrspolitik bzw.<br />

verkehrspolitischer Positionen, auf denen<br />

die CDU „sitzengeblieben“ sei. Die SPD, so<br />

Knechtel, lasse sich dafür gerne von der<br />

CDU kritisieren und bitte sie darum, dies<br />

recht häufig und so entspreche es der veränderten<br />

Finanzlage, daß seine Realisierung<br />

noch nicht in Angriff genommen worden<br />

sei. Die SPD wolle nicht dem Borbild<br />

der CDU auf Bundesebene folgen und die<br />

städtischen Finanzen ruinieren. In der<br />

Koalitionsvereinbarung mit der FDP sei die<br />

Realisierung solcher Projekte auch ausdrücklich<br />

unter den Finanzierungsvorbehalt<br />

gestellt worden. Dies „vergesse“ Dr. Moog<br />

zu erwähnen, wie er auch davon ablenken<br />

möchte, daß die Katastrophenpolitik der<br />

CDU-geführten Regierung in Bonn, die<br />

Abwälzung milliardenteurer Belastungen<br />

auf die Kommunen sowie das von ihr zu<br />

vertretende Finanzdebakel den Städten und<br />

Gemeinden bundesweit den finanziellen<br />

Spielraum zur Realisierung solcher Vorhaben<br />

genommen hat. Offensichtlich sei Dr.<br />

Moog auch „entgangen“, daß es nach der<br />

letzten Kommunalwahl eine zum damaligen<br />

Zeitpunkt nicht vorhersehbare „Wiedervereinigung“<br />

mit unübersehbaren finanziellen<br />

Belastungen gegeben habe, so Knechtel.<br />

Außerdem habe die „unselige und unsoziale<br />

Steuerreform“ der CDU in Bonn auch die<br />

Stadt Darmstadt „fast stranguliert“.<br />

Landschaftspflege betrieben werde. Um<br />

diese erhaltende Landschaftspflege <strong>weiter</strong>hin<br />

zu gewährleisen – das war augenfällig<br />

und jedem einsichtig –, ist es notwendig,<br />

die bestehenden Schutzhütten mit ihren<br />

Gerätschaften und die vor Diebstahl und<br />

Verwüstungen schützenden Einfriedigungen,<br />

die sich im übrigen unauffällig in die<br />

Landschaft einpassen, zu erhalten. Nur so<br />

kann vor Ort eine naturgerechte Bewirtschaftung<br />

und erhaltende Pflege der Streuobstwiesen<br />

und Obstgärten gewährleistet<br />

<strong>werden</strong>, so der einstimmige sachkundige<br />

Tenor der Wanderer. „Umso unverständlicher<br />

ist es“, so Bergmann, „daß der SPD/<br />

FDP-beherrschte Magistrat die Dinge treiben<br />

läßt und nicht handelt.“ Der Stadtverord<strong>net</strong>e<br />

erinnerte daran, daß es die frühere<br />

CDU-geführte Landesregierung gewesen<br />

sei, die das Problem durch das Ergänzungsgesetz<br />

vom 04.04.1990 zum Hessischen<br />

Naturschutzgesetz mit einer entsprechenden<br />

Handlungsermächtigung für die<br />

Kommunen habe lösen wollen. Eile sei<br />

geboten; denn diese Handlungsermächtigung<br />

gelte nur noch bis Ende 1992. „Auch<br />

hier“, so Michael Bergmann, „werde erneut<br />

die Handlungsunfähigkeit der verantwortlichen<br />

Dezernenten Metzger und Swyter, die<br />

auf eine sachgerechte Abstimmung der<br />

Belange von Naturschutz, Landschaftspflege<br />

und den berechtigen Interessen der<br />

Betroffenen sowie der Bürgerschaft keine<br />

Rücksicht nehmen, deutlich. Ihnen mangelt<br />

es, wie auch andernorts, an gestaltender<br />

Kreativität.“<br />

Michael Bergmann, CDU-Eberstadt<br />

Erbbauverträge<br />

laufen aus<br />

Wenn, wie demnächst in der<br />

Heimstättensiedlung, Erbbauverträge<br />

auslaufen, ist es<br />

wichtig, die betroffenen Bürger<br />

frühzeitig zu informieren,<br />

damit sie sich auf die neue Situation einstellen<br />

können.<br />

Deshalb fordert die CDU den Magistrat in<br />

einem Antrag auf, zehn Jahre vor dem Auslaufen<br />

des Vertrags die Erbbauberechtigten<br />

zu benachrichtigen und ihnen die unterschiedlichen<br />

Möglichkeiten deutlich zu<br />

machen, die in jedem Fall weitreichende<br />

finanzielle Auswirkungen haben können.<br />

Der bisherige Besitzer kann das Grundstück<br />

von der Stadt kaufen, dabei <strong>werden</strong> dem<br />

Preis die derzeit gültigen Richtwerte<br />

zugrunde gelegt. Einen Preisnachlaß von<br />

20% gibt es für die Erbbauberechtigten, die<br />

seit mehr als 15 Jahren Inhaber des Erbbaurechtes<br />

sind oder deren <strong>Kinder</strong> und<br />

Enkel. Wer nicht kaufen will, kann ein neues<br />

Erbbaurecht bestellen lassen, allerdings zu<br />

geänderten Bedingungen: Der Erbbauzins<br />

beträgt jetzt 4% des Grundstückwertes,<br />

wobei ebenfalls 20% Abschlag für den<br />

beschriebenen Personenkreis gewährt<br />

wird. Rudi Klein (CDU) weist darauf hin,<br />

daß es in Einzelfällen durchaus zu handfesten<br />

Erhöhungen des Erbbauzinses kommen<br />

kann und daß sich die Leute auf veränderte<br />

finanzielle Rahmenbedingungen einstellen<br />

müssen, oder im Falle des Kaufes<br />

die Finanzierung sicherstellen müssen. Die<br />

CDU will auch erreichen, daß für einkommensschwächere<br />

Erbbauberechtigte Wege<br />

gefunden <strong>werden</strong>, damit sie ohne Angst vor<br />

der Zukunft ihre Erbbaurechte wahrnehmen<br />

können. Niemand kann bei der gegenwärtigen<br />

Situation auf dem Wohnungsmarkt ein<br />

Interesse daran haben, daß hier aufgrund<br />

unzureichender Information Familien in<br />

Wohnungsschwierigkeiten kommen. Bis<br />

zum Jahr 2000 laufen in der Heimstättensiedlung<br />

noch rund ein Dutzend Verträge<br />

aus.


PARTEIEN - STANDPUNKTE II<br />

Wann kommen mehr Studentenwohnungen?<br />

Die FDP-Landtagsabgeord<strong>net</strong>e<br />

und Stadtverord<strong>net</strong>e<br />

Ruth Wagner hatte mit einer<br />

Kleinen Anfrage im Hessischen<br />

Landtag erneut die<br />

Situation der Studentenwohnungen in<br />

Darmstadt zum Thema gemacht. In der<br />

Antwort der Ministerin für Wissenschaft<br />

und Kunst, Prof. Evelies Mayer, wird deutlich,<br />

daß nur für das Projekt Neckarstraße<br />

15 - 17 mit 146 Plätzen ein Fortschritt zu<br />

erkennen ist. Alle anderen Projekte, die<br />

bereits von der Vorgängerregierung auf den<br />

Weg gebracht wurden, hängen in der Verwaltung<br />

des Landes Hessen bzw. auch in<br />

der Abstimmung mit der Stadt Darmstadt.<br />

So ist das Wohnheim auf dem Gelände der<br />

Fachhochschule Darmstadt offensichtlich<br />

im Gerangel zwischen den Abstimmungen<br />

bezüglich von Parkplätzen und Gestaltung<br />

der Stadt und dem Land Hessen. Hier sei<br />

auch der neue Wohnungsbaudezernent<br />

Gerd Grünewaldt gefordert, für Beschleunigung<br />

zu sorgen.<br />

Die Projekte Nieder-Ramstädter Straße /<br />

Ecke Lichtwiesenweg mit 250 Plätzen<br />

sowie das Projekt am Kantplatz mit 76 Plätzen<br />

und das Gebäude des Polizeipräsidiums<br />

mit über 100 Plätzen sind alle erst in<br />

der Planung für 1993.<br />

Ruth Wagner forderte die Landesregierung<br />

auf, nun auch in der Öffentlichkeit deutlich<br />

zu machen, daß sie dem Votum des Haushaltsgesetzgebers<br />

folgen werde, die Landesbezuschussung<br />

über 20.000 DM pro<br />

Wohneinheit tatsächlich auch zu vergeben,<br />

weil nur so eine Studentenwohnung noch<br />

finanziert <strong>werden</strong> könne. Die Landesregierung<br />

habe die Mittel für den studentischen<br />

Wohnheimbau deshalb drastisch gekürzt,<br />

weil sie behauptete, daß die Mittel nicht<br />

abflössen. Jetzt stelle sich heraus, daß bei<br />

höheren Bezuschussungen die Gelder sehr<br />

wohl gebraucht würden. Frau Mayer sei<br />

nun gefordert, den Willen des Haushaltgesetzgebers<br />

zu vollziehen.<br />

Seit einem Jahr<br />

Sendepause<br />

an der B3<br />

„Die B3-Umgehung Arheilgens<br />

muß mit allen Mitteln<br />

beschleunigt <strong>werden</strong>, sonst<br />

droht ihr ein gleiches Schicksal<br />

wie der Nord-Ost-Umgehung<br />

Darmstadts“ warnt der CDU-Fraktionsvorsitzende<br />

Dr. Rüdiger Moog.<br />

Vom Bund aus sei die Finanzierung noch in<br />

der höchsten Prioritätsstufe gesichert, aber<br />

seit mehr als einem Jahr denke die rot/grüne<br />

Landesregierung über eine stillschweigende<br />

Beerdigung nach. Wegen der dringend<br />

erforderlichen Entlastung des Arheilger<br />

Ortskerns will die CDU-Fraktion mit<br />

einer großen Anfrage Druck machen, damit<br />

die B3 nicht an der „Darmstädter Krankheit“<br />

des Verzögerns und Verschleppens stirbt.<br />

Nachbohren will die CDU zunächst in Wiesbaden,<br />

wo man über Umplanungen nachdenkt,<br />

ohne daß der zuständige Verkehrsminister<br />

Auskunft geben kann, was konkret<br />

geprüft wird. „Der Eichel-Stau soll zementiert<br />

<strong>werden</strong>“, fürchtet die CDU-Fraktion,<br />

weil die Landesregierung bis heute kein<br />

Ergebnis ihres Nachdenkens vorgelegt hat.<br />

Den zweiten Ansatzpunkt für eine Beschleunigung<br />

sieht die CDU-Fraktion beim Magistrat.<br />

„Der Oberbürgermeister muß die Karten<br />

auf den Tisch legen, wie er den Einspruch<br />

der Gemeinde Weiterstadt gegen<br />

die B3 vom Tisch bekommen will“, fordert<br />

Dr. Moog. Vielleicht ließe sich bei der<br />

Anbindung der B3 an die Gräfenhäuser<br />

Straße eine Lösung finden, die die Bedenken<br />

der Weiterstädter ausräumt. Nur müsse<br />

bald eine Einigung gefunden <strong>werden</strong>, denn<br />

an der B3 „warten mehr Leute sehnsüchtig<br />

auf den ‚ersten Spatenstich’ als bei der<br />

Heaghalle in der Innenstadt“, weiß Alfred<br />

Aldenhoff, Arheilger CDU-Politiker.<br />

Die CDU will jede Chance für einen Kompromiß,<br />

auch mit den Interessenten an der<br />

Virchowstraße, nutzen, um in der Sache<br />

voranzukommen, einzige Bedingung: es<br />

darf keine neue Planung geben, „denn das<br />

wäre der endgültige Ausstieg aus der Verkehrsentlastung<br />

für Arheilgen“, weiß Dr.<br />

Rüdiger Moog.<br />

Antwort der Ministerin Dr. Evelies Mayer<br />

…auf die Kleine Anfrage der Abgeord<strong>net</strong>en.<br />

Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) betreffend<br />

Studentenwohnungen in Darmstadt<br />

Frage: Wann und mit welchen Beträgen<br />

wird die Landesregierung die baureifen Planungen<br />

für Studentenwohnungen in Darmstadt<br />

im Jahr 1992 bezuschussen und<br />

damit den Baubeginn ermöglichen:<br />

1. Wohnheimprojekt Neckarstraße 15 - 17<br />

Der Bau dieses Studentenwohnhauses mit<br />

146 Plätzen hat begonnen. Am 20. Februar<br />

1992 fand die Grundsteinlegung statt. Der<br />

Zuschuß aus dem Bund-Länder-Programm<br />

beträgt 5.840 Mio DM. Die Mittel <strong>werden</strong><br />

entsprechend dem Baufortschritt abgerufen.<br />

2. Projekt Schöfferstraße (Gelände FHD)<br />

Auf dem Gelände der Fachhochschule<br />

Darmstadt soll ein Studentenwohnhaus mit<br />

145 Plätzen durch einen privaten Bauherrn<br />

errichtet <strong>werden</strong>. Der hierzu erforderliche<br />

Erbbaurechtsvertrag wird z.Z geprüft.<br />

Wegen der Einpassung in die Ausbauplanung<br />

der Fachhochschule Darmstadt sind<br />

noch Abstimmungen erforderlich. Es ist<br />

damit zu rechnen, daß nach erfolgter Bezuschussung<br />

noch im laufenden Jahr 1992<br />

mit dem Bau begonnen <strong>werden</strong> kann.<br />

3. Nieder-Ramstädter Straße / Ecke Lichtwiesenweg<br />

Verhunztes Stadtbild korrigieren<br />

FDP-Ortsverbände fordern Gesamtkonzept für Eschollbrücker Straße<br />

Ein städtebauliches Gesamtkonzept<br />

für die Südseite der<br />

Eschollbrücker Straße fordern<br />

die FDP-Ortsverbände<br />

Mitte/West und Bessungen<br />

nach einer Ortsbesichtigung.<br />

In den nächsten Jahren biete sich die Möglichkeit,<br />

an dieser Hauptverkehrsachse im<br />

Südwesten der Stadt das verhunzte Stadtbild<br />

endlich in Ordnung zu bringen: Nach<br />

dem Abriß einer großen Autowerkstatt Ecke<br />

Kathreinstraße, dem Abriß der Tankstelle<br />

Ecke Groß-Gerauer Weg und dem bevorstehenden<br />

Umzug der Brief- und Paketverteilzentrale<br />

in den Postneubau am Bahnhof<br />

seien drei größere Grundstücke an der<br />

Eschollbrücker Straße neu zu bebauen. Hinzu<br />

kämen <strong>weiter</strong>e für den Gebrauchtwagenhandel<br />

genutzte oder mit minderwertiger<br />

Bausubstanz belegte Flächen, die in eine<br />

Gesamtplanung einbezogen <strong>werden</strong> könnten.<br />

Das Darmstädter Theaterpublikum<br />

schimpft. Es wünscht<br />

sich mehr ästhetisches und<br />

weniger provokantes Theater,<br />

mehr traditionelle Opernaufführungen<br />

und klassisches Schauspiel in<br />

gepflegter deutscher Sprache. Die<br />

Wunschliste ließe sich noch verlängern,<br />

weiß die Kulturpolitikerin Dr. Sissy Geiger<br />

zu berichten. „Bei einer Bürgerbefragung<br />

auf dem Luisenplatz und während meiner<br />

Sprechstunde beklagten sich Bürgerinnen<br />

und Bürger darüber, daß der Spielplan an<br />

den Zuschauern vorbei gemacht wird. Viele<br />

kündigten die Rückgabe des Abonnements<br />

unter Protest an.“<br />

Die CDU-Politikerin will nun den Ursachen<br />

solcher Unmutsäußerungen nachgehen:<br />

Sie hat für die CDU-Fraktion eine große<br />

Anfrage an den Magistrat entwickelt, in der<br />

nach der offenbar rückläufigen Platzausnutzung,<br />

ihren Gründen und nach Möglichkeiten<br />

der Abhilfe gefragt wird. Schließlich<br />

bezahlt die Stadt Darmstadt rund 20 Mio.<br />

DM an Zuschüssen an das Theater, deshalb<br />

müßte es für den Kulturdezernenten<br />

Günther Metzger Chefsache sein, nicht nur<br />

für ein leistungsfähiges Theater zu sorgen,<br />

sondern ihm auch die Gunst des Darmstädter<br />

Publikums zu erhalten. Es müßte dem<br />

Dezernenten ein Anliegen sein, der Theaterleitung<br />

ein Gespür für die Wünsche des<br />

Publikums zu vermitteln. Ein geeig<strong>net</strong>es<br />

Mittel sieht die CDU-Kulturexpertin in der<br />

Bestellung eines Ombudsmannes, der dem<br />

Publikum als Ansprechpartner und Vermittler<br />

zur Verfügung stünde. „Die Darm-<br />

Zur Vorbereitung eines Architektenwettbewerbes<br />

wurden bereits Planungsmittel für<br />

dieses Projekt bewilligt. Nach dessen<br />

Abschluß und nach vorangegangener Baugenehmigung<br />

kann dem Bauträger ein entsprechender<br />

Zuschuß gewährt <strong>werden</strong>.<br />

Dies wird jedoch aller Voraussicht nach<br />

erst Anfang 1993 sein.<br />

4. Wohnheimprojekt Kantplatz<br />

Die Vorbereitungen für die Errichtung dieses<br />

Wohnhauses mit ca. 70 Wohnplätzen<br />

laufen an. Ein in Auftrag gegebenes städtebauliches<br />

Gutachten liegt bereits vor. Derzeit<br />

<strong>werden</strong> Gespräche mit möglichen Bauherren<br />

geführt. Sobald diese abgeschlossen<br />

sind, kann ein entsprechender<br />

Zuschuß gewährt <strong>werden</strong>. Dies wird jedoch<br />

nicht vor 1993 sein.<br />

5. Gebäude des Polizeipräsidiums<br />

Die landesinterne Prüfung hat ergeben, daß<br />

das Gebäude für Studentenwohnraumzwecke<br />

zur Verfügung gestellt <strong>werden</strong><br />

kann. Gegenwärtig wird geprüft, welchem<br />

Träger die Ausführungen dieses Projekts<br />

angeboten wird. Da die Planungen noch<br />

nicht abgeschlossen sind, kann ein<br />

Zuschuß noch nicht gewährt <strong>werden</strong>.<br />

Wiesbaden, den 10. April 1992<br />

Prof. Dr. E. Mayer<br />

Auch der nach dem Abriß mehrerer Wohnhäuser<br />

an der Ecke Artilleriestraße vor kurzem<br />

fertiggestellte große Autoparkplatz für<br />

das Fernmeldeamt sei als Dauerlösung keinesfalls<br />

akzeptabel. Daß die Stadt überhaupt<br />

derartige bauliche Veränderungen<br />

widerspruchslos hinnehme, ist nach Auffassung<br />

des Mitte/West-Vorsitzenden Damerau<br />

nur schwer zu begreifen, aber leider<br />

symptomatisch. Nach Ansicht Dameraus<br />

darf die Stadt nicht zulassen, daß in der<br />

Eschollbrücker Straße an die Stelle der alten<br />

Häßlichkeiten – entstanden durch zusammenhanglose<br />

Einzelgenehmigungen –<br />

ein neues städtebauliches Chaos entsteht.<br />

Deshalb fordern die FDP-Ortsverbände eine<br />

im Rahmen einer Bebauungsplanung zu<br />

entwickelnde Gesamtperspektive dafür, wie<br />

man der Eschollbrücker Straße in einem<br />

Zeitraum von etwa zehn Jahren zu einem<br />

ansehnlichen Gesicht verhelfen könne.<br />

Thomas Damerau<br />

Unzufriedenheit mit dem Staatsheater<br />

CDU fragt nach Verantwortung des Magistrats<br />

städter gehörten einmal zu den eifrigsten<br />

Theaterbesuchern der Republik, und das ist<br />

noch gar nicht solange her“, erinnert Dr.<br />

Sissy Geiger.<br />

Ähnlich wie im Fall der Herderschule<br />

stehen auch bei<br />

den Gymnasien eine Reihe<br />

von Schülern aus dem Landkreis<br />

vor verschlossener Tür.<br />

Diesen <strong>Kinder</strong>n und ihren Eltern will die<br />

CDU mit einem dringlichen Antrag helfen.<br />

Noch im kommenden Schuljahr könnten<br />

die Schüler in Darmstadt aufgenommen<br />

<strong>werden</strong>, weil es nicht am Platz mangelt und<br />

einige Gymnasien gern bereit wären, eine<br />

<strong>weiter</strong>e 5. Klasse zu eröffnen.<br />

Das entscheidende Hindernis besteht darin,<br />

daß Schulen Geld kosten und die Stadt nur<br />

ihre eigenen Gymnasiasten versorgen will.<br />

Der Landkreis selbst bietet keine 5. Gymnasialklassen<br />

an, sondern nur die Förderstufe.<br />

Zahlreiche Eltern ziehen aber die gegliederte<br />

Schule vor und so entsteht der „run“<br />

auf die Darmstädter Gymnasien. „Es ist<br />

Eltern schwer zu erklären, wenn sie direkt<br />

vor den Toren Darmstadts wohnen, daß<br />

ihre <strong>Kinder</strong> hier nicht in die Schule gehen<br />

dürfen“, begründet Karin Wolff, schulpolitische<br />

Sprecherin der CDU, die Initiative ihrer<br />

Fraktion. Etwa 80 <strong>Kinder</strong> seien nach Aussage<br />

des Staatlichen Schulamtes betroffen,<br />

sie und ihre Eltern seien in ihrem Recht auf<br />

freie Schulwahl beschnitten und fühlten<br />

sich als Opfer der Gesamtschulpolitik.<br />

Die CDU macht gleichzeitig deutlich, daß es<br />

sich hier nur um eine Übergangslösung<br />

handeln kann. „Wir sind nicht die Sponsoren<br />

des Landkreises“, sagt Karin Wolff,„wir<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 21<br />

Begehrte Darmstädter Schulen<br />

Jetzt kocht der<br />

Chef<br />

Zum dritten Mal ist in Darmstadt die<br />

Stelle einer Frauenbeauftragten zu<br />

besetzen. Beim ersten Mal hat eine<br />

Kommission aus Vertreterinnen der<br />

Frauenverbände, der autonomen<br />

Gruppen und der Fraktionen die Stellenbesetzung<br />

vorbereitet. Dem lag die<br />

richtige Erkenntnis zugrunde, daß<br />

diese Position, die als Interessenvertretung<br />

der Darmstädterinnen arbeiten<br />

soll, nicht ohne gute Zusammenarbeit<br />

mit den aktiven Frauen in der<br />

Stadt besetzt <strong>werden</strong> sollte. Beim<br />

zweiten Mal, nach dem Ausscheiden<br />

von Kai Fölster hatten immerhin noch<br />

die Parlamentarierinnen aus allen<br />

Fraktionen die Chance, in das Auswahlverfahren<br />

einbezogen zu <strong>werden</strong>.<br />

Diesmal aber hat der Oberbürgermeister<br />

verraten, bleibt alles im<br />

Schoße des Magistrats, denn nach<br />

seiner Meinung ist die Position der<br />

Frauenbeauftragten eine Stelle wie<br />

jede andere auch in der Stadtverwaltung.<br />

Hatten nicht einst die Initiatorinnen<br />

gemeinsam von einem Stück<br />

Autonomie für die Frauenbeauftragte<br />

geträumt? Sie dürfen<br />

sich jetzt trösten:<br />

Metzger weiß, was<br />

Frauen wünschen.<br />

CDU empört über Hochhuths Äußerungen<br />

Einstimmig hat die CDU in<br />

ihrer letzten Fraktionssitzung<br />

beschlossen, an die „Deutsche<br />

Akademie für Sprache und<br />

Dichtung“ und das PEN-Zentrum<br />

heranzutreten und die beiden Institutionen,<br />

die ihren Sitz in Darmstadt haben, aufzufordern,<br />

sich von den skandalösen Äußerungen<br />

Rolf Hochhuths zu distanzieren.<br />

Hochhuth hatte bei einem Interview mehrfach<br />

den Mord an Carsten Rohwedder als<br />

verständlich, wenn nicht gar als berechtigt<br />

bezeich<strong>net</strong> und ihn damit nachträglich legitimiert.<br />

Zitat Hochhuth: „Wer so etwas wie<br />

Rohwedder tut, gegen eine wehrlose Bevölkerung,<br />

soll sich nicht wundern, wenn er<br />

erschossen wird.“<br />

CDU-Fraktionsvorsitzender Dr. Rüdiger<br />

Moog weist in seinem Schreiben auf die<br />

Macht der Sprache hin und auf die besondere<br />

Verantwortung der Literaturschaffenden.<br />

Moog: „Dem Mord geht regelmäßig der Rufmord<br />

voraus, das war bei allen Terroranschlägen<br />

so, von Schleyer über Herrhausen<br />

bis Rohwedder.“ Es sei nur ein kleiner Schritt<br />

von der „klammheimlichen Freude“ der<br />

Attentäter über einen gelungenen Anschlag<br />

und der nachträglichen Legitimation des<br />

Mordes durch den Dramatiker Hochhuth.<br />

Hochhuth müsse sich fragen lassen, ob er<br />

mit seinem Bekenntnis zur Gewalt als Mittel<br />

der Konfliktbewältigung nicht zum Schreibtischmörder<br />

werde.<br />

Die CDU-Fraktion fürchte, daß durch solche<br />

PEN-Zentrum Bundesrepublik Deutschland<br />

Sandstr. 10<br />

6100 Darmstadt<br />

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Generalsekretär,<br />

dürfen auch den SPD–Schuldezernenten<br />

des Landkreises nicht aus der Verantwortung<br />

entlassen.“ Den <strong>Kinder</strong>n, die jetzt<br />

umgeschult <strong>werden</strong>, muß rasch geholfen<br />

<strong>werden</strong>, deshalb der Vorschlag der CDU:<br />

wo Platz ist, die Griesheimer und Roßdörfer<br />

Schüler aufnehmen. „Wie sollen wir sonst<br />

den Bürgern erklären, daß zwar Darmstädter<br />

Schüler, die von der Grundschule für<br />

nicht geeig<strong>net</strong> gehalten <strong>werden</strong>, trotzdem<br />

ins Gymnasium gehen dürfen, andere, begabte<br />

<strong>Kinder</strong> aber nicht, weil sie fünf Kilometer<br />

<strong>weiter</strong> wohnen?“ fragt Karin Wolff.<br />

Kanalprobleme<br />

und Erbbaurecht<br />

Seit Jahren haben die Häuser<br />

in der Heimstättensiedlung<br />

die Keller unter Wasser stehen,<br />

wenns kräftig reg<strong>net</strong>.<br />

„Die Lösung des Problems<br />

kann nicht der Einbau von Rückstauventilen<br />

sein“, stellt Dr. Rüdiger Moog bei einer<br />

öffentlichen Fraktionssitzung der CDU in<br />

der Siedlung fest und weist darauf hin, daß<br />

jährlich zweistellige Millionenbeträge im<br />

Kanalbau deswegen nicht ausgegeben <strong>werden</strong><br />

können, weil die entsprechende Tiefbauplanung<br />

nicht vorankommt.<br />

Kritisch angemahnt wurde auch die Einführung<br />

von „Tempo 30“. Eine Mutter wies<br />

darauf hin, daß die Heimstättensiedlung<br />

das einzige Wohngebiet in Darmstadt sei, in<br />

dem es keine Geschwindigkeitsbegrenzung<br />

gebe.<br />

Wichtig für die Bürgerschaft seien die in<br />

den nächsten Jahren auslaufenden Erbpachtverträge.<br />

Stadtrat Bernd Ellwanger<br />

(CDU) versprach die rechtzeitige, sachkundige<br />

Information der Bürger über die CDU-<br />

Heimstätte sicherzustellen, damit die<br />

Betroffenen frühzeitig planen könnten, ob<br />

sie ihr Grundstück günstig kaufen wollten<br />

oder ob eine Erneuerung des Erbbaurechts<br />

gewünscht sei. Der Magistrat habe bisher<br />

versäumt, die Bürger ausreichend zu informieren.<br />

Das brennendste Thema in der Heimstättensiedlung<br />

ist die Zukunft der Ernst-Ludwig-Kaserne.<br />

Das wurde bei der CDU-Veranstaltung<br />

in der Siedlung deutlich. Die<br />

Bürger beklagten, daß vom Magistrat so<br />

widersprüchliche Aussagen kämen. „Wir<br />

fühlen uns verschaukelt, wenn Gerd Grünewaldt<br />

am 2. Mai in der Zeitung kundtut, die<br />

Kasernen würden im Frühjahr 1993<br />

geräumt, aber der Oberbürgermeister noch<br />

immer das Jahr 1995 nennt“, monierte ein<br />

Anwohner. „Uns will man Sand in die<br />

Augen streuen bis nach der Kommunalwahl“.<br />

Hunderte von Bürgerinnen und Bürger<br />

haben sich auf Unterschriftenlisten für<br />

Wohnungsbau auf dem Kasernengelände<br />

ausgesprochen. „Die Unterschriften bringen<br />

wir dem Magistrat, damit er endlich<br />

weiß, was die Leute denken und das auch<br />

der Landesregierung deutlich machen<br />

kann,“ verspricht Dr. Rüdiger Moog.<br />

Äußerungen dem nächsten Mord der Boden<br />

bereitet werde. Sie erwartet von den beiden<br />

literarischen Institutionen, daß sie im Rahmen<br />

ihrer Möglichkeiten auf eine gewaltlose<br />

Gesellschaft hinwirken.<br />

Sprache kann vielfach Waffe sein. Sie soll es vielfach auch sein. Aber Sprache sollte nicht Morde<br />

legitimieren.<br />

Der Dramatiker Rolf Hochhuth hat in der Juniausgabe des Managermagazins folgendes erklärt:<br />

„Wer so etwas wie Rohwedder tut, gegen eine wehrlose Bevölkerung, soll sich nicht wundern,<br />

wenn er erschossen wird.“<br />

Diese Aussage von Rolf Hochhuth bereitet den Boden für das nächste Attentat. Dem Mord geht<br />

regelmäßig der Rufmord voraus. Dies war bei Hans (sic!)-Martin Schleyer so, bei Alfred Herrhausen,<br />

bei Carsten Rohwedder.<br />

Die CDU-Fraktion in Darmstadt ist entsetzt über diese Äußerung von Rolf Hochhuth. Dieses Interview<br />

ist die Fortsetzung des infamen Spiels mit Worten, welches Morden zu rechtfertigen sucht.<br />

Literaten wissen um die Macht der Sprache. Auch das PEN-Zentrum hat insoweit besondere Verantwortung.<br />

Wir fordern Sie als CDU-Fraktion auf, sich von den Äußerungen Rolf Hochhuths zu distanzieren<br />

und bitten Sie, in Ihrer Mitgliedschaft verstärkt darauf hinzuarbeiten, daß verbale Legitimationsversuche<br />

gemeiner Morde unterbleiben. Wir sollten alle auf eine gewaltlose Gesellschaft hinwirken<br />

und nicht den Boden für Gewalt vorbereiten.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Dr. Rüdiger Moog, Fraktionsvorsitzender.


CDU-Kranichstein besucht Jagdschloß<br />

Über den Fortgang der<br />

Restaurierungsarbeiten am<br />

Jagdschloß Kranichstein<br />

informierte sich die Kranichsteiner<br />

CDU unter der sachkundigen<br />

Führung des Architekten Jürgen<br />

Rittmannsperger. Das Jagdschloß sei mit<br />

dem umgebenden Park- und Waldanlagen<br />

in seiner Geschlossenheit ein Juwel unter<br />

den südhessischen Baudenkmälern, dessen<br />

ursprünglichen Charakter man bei den<br />

Renovierungarbeiten wiedergewinnen<br />

wollte. Da alle Unterlagen durch den Krieg<br />

vernichtet worden seien, habe man sich auf<br />

die „Auskünfte“, die das Bauwerk selbst<br />

den kundigen Restauratoren gibt sowie auf<br />

bildliche Darstellungen stützen müssen.<br />

Hotel und Restaurant entstehen im früheren<br />

Ökonomiegebäude sowie im Kavaliershaus<br />

– der historischen Küche. Die Terrasse<br />

wird sich nun ohne einengende Mauer<br />

mit bequemen Barockstufen als Restaurantgarten<br />

dem Besucher öffnen. Der historische<br />

Charakter bleibt von außen auch am<br />

Jägersaalflügel gewahrt.<br />

Wo früher große Tordurchfahrten für<br />

Wagen waren, ist das geschlossene Mauerwerk<br />

(wie bei Scheunen) durch großzügige<br />

<strong>Kinder</strong>betreuung:<br />

Für die 3jährigen keine Lösung<br />

Um der Misere im <strong>Kinder</strong>gartenbereich<br />

speziell in Eberstadt<br />

entgegenzuwirken,<br />

schlägt die Fraktion Die Grünen<br />

ein Bündel von Maßnahmen<br />

vor. In Eberstadt fehlten nach ihrer Information<br />

zur Zeit etwa 150 <strong>Kinder</strong>gartenplätze.<br />

Die Grünen wissen, daß der Mangel an <strong>Kinder</strong>gartenplätzen<br />

ein weit verbreitetes Problem<br />

ist. Dabei gehen sie davon aus, daß<br />

jede/r 3jährige ein Anspruch auf ein Gruppenleben<br />

unter Gleichaltrigen und damit<br />

auf einen <strong>Kinder</strong>gartenplatz habe. Es könne<br />

nicht angehen, daß sich Familienstrukturen<br />

ändern und z.B. die Berufstätigkeit von<br />

Müttern zunimmt, während das Maß an<br />

entsprechenden <strong>Kinder</strong>betreuungsangeboten<br />

stagniert.<br />

Was die Situation in Eberstadt betrifft, so<br />

erwarten die Grünen, daß im Zuge der begrüßenswerten<br />

Nachverdichtung im vorhandenen<br />

Ortskern auch die Infrastruktur –<br />

und dazu gehört auch die Bereitstellung<br />

von Betreuungsplätzen – in genügendem<br />

Umfang mitwächst.<br />

Als einen ersten Schritt schlagen die Grünen<br />

vor, mit dem Ausbau des Horts Heidelberger<br />

Landstraße 271 unverzüglich zu beginnen.<br />

In ihrem zur nächsten Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

eingebrachten Antrag<br />

fordern die Grünen unter anderem, daß die<br />

Mittel für die 1. Baurate als Ergänzung zu<br />

den zugebilligten Landesmitteln im Nachtragshaushalt<br />

1992 eingesetzt <strong>werden</strong>. Es<br />

müßte ihrer Meinung nach möglich sein,<br />

dort zusätzlich zu den geplanten Hortgruppen<br />

auch eine Gruppe für Vorschulkinder<br />

einzurichten.<br />

Mit einfachen Mitteln und durch Mitnutzung<br />

bereits vorhandener Einrichtungen<br />

könnten nach Ansicht der Grünen auch<br />

kurzfristige Lösungen geschaffen <strong>werden</strong>.<br />

So könnte z. B. im Eberstädter <strong>Kinder</strong>- und<br />

Kulturzentrum und hier in den Räumen der<br />

Familienbildungsstätte eine zusätzliche<br />

Nutzung für <strong>Kinder</strong>gruppen arrangiert <strong>werden</strong>.<br />

Dasselbe gelte auch für die <strong>Kinder</strong>insel<br />

in Eberstadt Süd III in Verbindung mit den<br />

dortigen Räumen der Familienbildungsstätte.<br />

Auch Schulen dürften nicht<br />

unberücksichtigt bleiben: So schließe die<br />

Umwandlung der Mühltalschule in Mutterund<br />

Kind-Cafe mit <strong>Kinder</strong>haus auch die<br />

Möglichkeit einer festen <strong>Kinder</strong>tagesstätten-Gruppe<br />

mit ein.<br />

Wenn die Leiterinnen und Leiter aller städtischer,<br />

freien und privaten Einrichtungen<br />

in Eberstadt einen frühzeitigen Abgleich der<br />

Anmeldungen rechtzeitig vor Beginn des<br />

neuen <strong>Kinder</strong>gartenjahres vornehmen würden,<br />

so könnten Doppelmeldungen erkannt<br />

und der genaue Bedarf an <strong>Kinder</strong>betreuungsplätzen<br />

rechtzeitig ermittelt und aufgefangen<br />

<strong>werden</strong>.<br />

Für solche Koordinierungsmaßnahmen bei<br />

der Vergabe von <strong>Kinder</strong>gartenplätzen – vergleichbar<br />

mit dem Modell der ZVS, der zentralen<br />

Studienplatz-Vergabestelle – sind jedoch<br />

Geldmittel aus dem Nachtragshaushalt<br />

erforderlich, die die Grünen in einem<br />

<strong>weiter</strong>en Antrag fordern. Diese Koordinierungsgespräche<br />

sollten in allen Stadtteilen<br />

durchgeführt <strong>werden</strong>, denn sie seien unabdingbare<br />

Voraussetzung dafür, daß eine<br />

optimale Belegung aller vorhandener Plätze<br />

erfolge und der Fehlbedarf auch frühzeitig<br />

erkennbar werde.<br />

Das IWU arbeite zur Zeit an einer Fortschreibung<br />

des Bedarfsplans, doch die<br />

Studie werde noch einige Zeit in Anspruch<br />

nehmen. Für die heute 3jährigen sei dies<br />

jedoch keine Lösung.<br />

Nach Ansicht der Grünen ist eine Fülle von<br />

kurzfristigen Maßnahmen und Zwischenlösungen<br />

unbedingt erforderlich.<br />

PARTEIEN - STANDPUNKTE III<br />

Glasportale durchbrochen, die zugleich<br />

Lichtquellen für die dahinterliegenden<br />

Räumlichkeiten darstellen. Die Hoffnung,<br />

das Jagdzeughaus für die Er<strong>weiter</strong>ung der<br />

Hotelkapazität nutzen zu können, hat sich<br />

zerschlagen, weil es aus Denkmalschutzgründen<br />

in seiner jetzigen Form erhalten<br />

bleiben soll.<br />

Die Sanierung des Jagdschlosses war mit<br />

20 Mio. DM veranschlagt, die sich das Land<br />

Hessen und die Stadt Darmstadt teilen, da<br />

der Eigentümer, die Stiftung Hessischer<br />

Jägerhof, solche Mittel natürlich nicht aufbringen<br />

kann. In der Zwischenzeit sind die<br />

Baukosten gestiegen, so daß <strong>weiter</strong>e Mittel<br />

für den Fortgang der Arbeiten am Jagdmuseum<br />

erforderlich sind. Die Schäden am<br />

Gebäude waren erheblich, insbesondere<br />

das Dach war einsturzgefährdet. Da war<br />

auch die Wiederherstellung der Dachfläche<br />

der erste Schritt zur Sanierung. 2 Prozent<br />

der Bausumme müßte eigentlich jetzt jährlich<br />

bereitgestellt <strong>werden</strong> für die Instandhaltung,<br />

damit es nicht wieder zu gravierenden<br />

Schäden kommt. Der besondere<br />

Charme des Schlosses sei auch darin zu<br />

erblicken, meinte Jürgen Rittmannsperger,<br />

daß man mit verhältnismäßig geringen Mitteln<br />

eine große Wirkung erzielen wollte.<br />

Überall sei zu erkennen, daß das Darmstädter<br />

Fürstenhaus nicht zu den Begüterten<br />

gehört habe. In den Gasträumen des alten<br />

Hotels sei seinerzeit die CDU-Kranichstein<br />

gegründet worden, sagte Stv. Georg Röder,<br />

man freue sich darauf, daß man in wenigen<br />

Jahren am gleichen Platz das 25jährige<br />

Jubiläum feiern könne. Für einen auf dem<br />

Reißbrett entstandenen Stadtteil sei dieser<br />

historische Bezugspunkt besonders wichtig.<br />

Georg Röder dankte Herrn Rittmanns-<br />

<strong>Kinder</strong>gartenplätze fehlen<br />

CDU: Handlungsbedarf in Eberstadt<br />

In Darmstadt ist längst keine<br />

Rede mehr davon, daß alle<br />

4jährigen und die Hälfte der<br />

3jährigen einen <strong>Kinder</strong>gartenplatz<br />

bekommen, wie es<br />

die Sozialplanung vorsieht. In Eberstadt ist<br />

die Situation besonders schwierig. Eine<br />

Elterninitiative hat ermittelt, daß mit den<br />

unversorgten 4jährigen <strong>Kinder</strong>n zwei Gruppen<br />

zu füllen wären.<br />

Die CDU-Fraktion fordert deshalb, daß der<br />

Ausbau des Anwesens Heidelberger Landstraße<br />

271 unverzüglich in Angriff genommen<br />

wird. Dort ist ein <strong>Kinder</strong>hort für drei<br />

Gruppen, sowie ein zusätzlicher Raum für<br />

offene <strong>Kinder</strong>arbeit geplant. „Hier könnte<br />

relativ bald ein Ausweg aus der Sackgasse<br />

gefunden <strong>werden</strong>“, schlägt die sozialpolitische<br />

Sprecherin der CDU, Eva Ludwig vor.<br />

In Eberstadt fehlten natürlich auch Hortplätze,<br />

aber mindestens übergangsweise<br />

könnte man dort durchaus eine <strong>Kinder</strong>gartengruppe<br />

unterbringen und so die angespannte<br />

Situation entschärfen. Für die CDU<br />

sei es nicht hinnehmbar, daß Eltern bei der<br />

Nachfrage nach einem <strong>Kinder</strong>gartenplatz zu<br />

hören bekämen, sie hätten „null Chance“,<br />

weil die Plätze gerade nur für Sozialfälle<br />

und Alleinerziehende ausreichten.<br />

Die Finanzierung kann über das Stadterneuerungsprogramm<br />

laufen, so daß die Stadt<br />

nur etwas mehr als ein Drittel der Kosten zu<br />

übernehmen hätte. Anfang Mai sind 2,5 Mio<br />

aus dem Programm „einfache Stadterneuerung“<br />

für Darmstadt zugesagt worden. Deshalb<br />

wird die CDU Oberbürgermeister<br />

Metzger kritisch fragen, ob diese Mittel für<br />

Radwege in Arheilgen ver<strong>net</strong>zen<br />

Nummer 31 · 19.6.1992 · Seite 22<br />

Heinrichstraße –<br />

außer Spesen, nichts gewesen<br />

CDU fragt nach dem nachweisbaren Nutzen<br />

Erstaunlich widersprüchlich<br />

stellt sich die Beurteilung der<br />

Verkehrssituation in der<br />

Heinrichstraße dar. Der Oberbürgermeister<br />

spricht in der<br />

Öffentlichkeit von einem Erfolg des Rückbaus.<br />

Die CDU-Fraktion hatte in einer<br />

Großen Anfrage nach dem „nachweisbaren<br />

Nutzen für die Luftreinhaltung“ gefragt. Als<br />

CDU und ADFC erstellen Mängelliste<br />

„Die Radwege in Arheilgen<br />

sind Stückwerk, es gibt weder<br />

eine durchgängige Ost-<br />

West-Verbindung noch einen<br />

gefahrlosen Weg vom Süden<br />

ins Zentrum“, stellt Dr. Horst Wenzelburger<br />

(CDU) fest. Die Arheilger CDU hat zusammen<br />

mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub<br />

(ADFC) die Radwege im Stadtteil<br />

Vollständig<br />

„Das ist aber ein ausgewogenes Verhältnis<br />

auf den Parteienseiten“, kommentiert<br />

Volker Rinnert vom Presseamt<br />

der Stadt Darmstadt die letzte<br />

Ausgabe der ZD. „Da stehen 15 mal<br />

die CDU, 2 mal die Grünen und einmal<br />

die FDP. Warum druckt Ihr nichts<br />

von der SPD?“ Der Herausgeber: „Da<br />

müssen Sie die SPD fragen, von dort<br />

kommt nichts“. Rinnert dreht sich um<br />

und fragt den anwesenden SPD-Pressesprecher<br />

Yves Humeau, „Stimmt<br />

das? Warum schickt Ihr denn keine<br />

Pressemeldungen?“ Humeau reagiert:<br />

„Ich weiß nicht, ob wir darin<br />

überhaupt erscheinen wollen“<br />

Auf den Parteienseiten veröffentlicht<br />

die ZD alle eingehenden Pressemeldungen<br />

der Parteien. In der letzten<br />

Ausgabe waren bis auf eine Meldung<br />

der CDU alle vom 22.4. bis zum 19.5.<br />

eingegangenen Meldungen abgedruckt.<br />

Sie sollen einen unveränderten<br />

Einblick in den Umfang und die<br />

politische Stellung der Parteien<br />

geben.<br />

Der Herausgeber<br />

den <strong>Kinder</strong>garten bzw. -hort verwendet<br />

<strong>werden</strong> und ob im Nachtrag die Restfinanzierung<br />

sichergestellt wird.<br />

Eberstadt sei nur die Spitze des Eisberges,<br />

auch andernorts fehlten Plätze. Diese Entwicklung<br />

sei vorhersehbar gewesen, weil<br />

die starken Jahrgänge um 1960 herum jetzt<br />

in der Familiengründungsphase seien und<br />

die Nachfrage noch steige. „Die Glaubwürdigkeit<br />

der Sozialpolitik wird nicht an Plänen<br />

gemessen, die eine Vollversorgung für<br />

alle 4jährigen und die Hälfte der 3jährigen<br />

vorgaukeln“, betont Eva Ludwig. „Die Eltern<br />

wissen, daß die Wirklichkeit weit dahinter<br />

zurückbleibt.“ Die CDU wird sich um die<br />

<strong>Kinder</strong>gartenversorgung verstärkt kümmern<br />

und konkrete Vorschläge dazu machen.<br />

Haltestelle Grundstraße<br />

Die Baupreise laufen davon.<br />

So auch bei dem ursprünglich<br />

unbestrittenen Umbau<br />

der Haltestelle Grundstraße/<br />

Kesselhuthweg. Mehrausgaben<br />

von 11.000 DM waren der Grund, warum<br />

SPD/FDP die Maßnahme jetzt scheitern<br />

ließen.<br />

Dazu meint Georg Röder, CDU–Stadtverord<strong>net</strong>er<br />

aus Kranichstein: „Jede <strong>weiter</strong>e<br />

Verzögerung kann den Umbau nur noch<br />

teurer machen.“ Er weist mit Recht darauf<br />

hin, daß aus Gründen der Verkehrssicherheit<br />

die Baumaßnahme ohnehin dringend<br />

erforderlich ist. Die Verkehrsverhältnisse<br />

hätten sich verschlechtert. Das Einfädeln in<br />

unter die Lupe genommen und festgestellt,<br />

daß es nicht nur einen „Flickenteppich“ unverbundener<br />

Teilstücke gibt, sondern auch<br />

ausgesprochene Fallen, wo Radfahrer<br />

gefährdet sind.<br />

Deshalb fordert die CDU-Fraktion in einem<br />

Antrag einen markierten Radweg entlang<br />

der Frankfurter Straße bis über die Einmündung<br />

der Unteren Mühlstraße hinaus. „Radfahrer<br />

sind im Bereich der Kurve wegen der<br />

unübersichtlichen Situation dort hochgefährdet“,<br />

haben die Fahrrad-Experten festgestellt.<br />

Weiterhin will die CDU eine durchgängige<br />

Querverbindung von Kranichstein bis ins<br />

Zentrum Arheilgens mit Anschluß nach<br />

Norden, Richtung Wixhausen, und zum<br />

Bahnhof Arheilgen hergestellt haben. Sie<br />

soll die Radfahrer abseits der Hauptverkehrsstraßen<br />

führen und damit die Unfallgefahr<br />

mindern.<br />

Auf einen neuralgischen Punkt habe die Arheilger<br />

CDU schon oft hingewiesen, ohne<br />

daß bisher etwas geschehen sei: der Fußund<br />

Radweg entlang der Arheilger Woogstraße.<br />

Wie auch der Fahrradclub bestätigen<br />

konnte, ist diese Verbindung zum<br />

Mühlchen „eine Zitterpartie“ für <strong>Kinder</strong> und<br />

Eltern, weil Autofahrer nicht genug Rücksicht<br />

auf Radler und Fußgänger nehmen.<br />

Einig waren sich die CDU-Kommunalpolitiker<br />

und der ADFC darüber, daß an alle Umsteigeplätze<br />

in Arheilgen neuzeitliche Fahrradständer<br />

hingehören. Sie sollten nicht<br />

nur überdacht, sondern vor allem diebstahlsicher<br />

sein. Der ADFC hat solche Anlagen<br />

getestet. „Immer mehr Leute nutzen<br />

‚bike & ride‘, aber sie wollen sicher sein,<br />

daß ihr Rad nicht inzwischen geklaut wird“,<br />

weiß Dr. Wenzelburger.<br />

den starken Verkehrsstrom auf der Kranichsteiner<br />

Straße sei bei dem derzeitigen<br />

Zustand der Haltestelle fast unmöglich und<br />

beschwöre immer wieder gefährliche Situationen<br />

herauf.<br />

Georg Röder und seine Kranichsteiner Kollegen<br />

fordern in einem Antrag, den Ausbau<br />

der Bushaltestelle im Nachtrag zu finanzieren<br />

und „umgehend den Auftrag zur Durchführung<br />

zu erteilen.“<br />

Die CDU-Kommunalpolitiker haben auch<br />

einen Deckungsvorschlag: Beim Ausbau<br />

des Seitersweges ist Geld gespart worden,<br />

damit könnte die Bushaltestelle in Kranichstein<br />

bezahlt <strong>werden</strong>.<br />

Antwort auf diese präzise Frage gibt es<br />

beim Oberbürgermeister nur betretenes<br />

Schweigen. Weder vorher noch nachher<br />

seien Messungen durchgeführt worden,<br />

räumt Metzger ein, deshalb sei man auf<br />

fremde Untersuchungen angewiesen. Unter<br />

der Voraussetzung, daß man gleichmäßig<br />

fahre, könne man davon ausgehen, daß die<br />

Luftbelastung sinkt. Die stellvertretende<br />

Fraktionsvorsitzende der CDU, Eva Ludwig:<br />

„Das ist kalter Kaffee, der ständige stopand-go-Verkehr<br />

auf der Heinrichstraße<br />

macht eine gleichmäßige Fahrweise völlig<br />

unmöglich. Es ist absurd, daß Metzger<br />

angeblich hektischen Fahrern die Schuld<br />

dafür zuweist, daß die Verkehrsberuhigung<br />

keinen Nutzen gebracht hat.“<br />

Kritisch sieht die CDU auch die Frage der<br />

Verkehrssicherheit. Radfahrer seien beispielsweise<br />

mehr gefährdet, weil es nur ein<br />

Radweg-Fragment gebe an einer besonders<br />

engen Stelle. Wenn der Oberbürgermeister<br />

schon einen Erfolg darin sieht, daß „keine<br />

neuen Gefahrenpotentiale aufgebaut wurden“,<br />

dann sei dies mehr als eine magere<br />

Bilanz. Allein das Zubauen einer Straße,<br />

ohne verkehrslenkende und verkehrsreduzierende<br />

Maßnahmen sei „ein Schuß in den<br />

Ofen“. Heinrichstraße und Landgraf-Georg-<br />

Straße seien typische Beispiele für das<br />

Scheitern der Darmstädter Verkehrspolitik.<br />

FDP: Grillhütte<br />

Die Standortfrage für eine<br />

Grillhütte in Arheilgen ist<br />

nach Ansicht der FDP-Arheilgen<br />

gelöst. Der Ortsverbandsvorsitzende<br />

Dieter Balzer<br />

erklärte, der Vorschlag von Stadtrat<br />

Heino Swyter trage sowohl den Interessen<br />

der Arheilger als auch des Landschaftsund<br />

Naturschutzes Rechnung. Eine Grillhütte<br />

aus dem städtischen Grundstück<br />

nördlich des Geländes der Privilegierten<br />

Schützengemeinschaft und des Kleintierzüchtervereins<br />

an der Weiterstädter Straße<br />

schone insbesondere das an der Waldbucht<br />

angrenzende Landschaftschutzgebiet sowie<br />

das Naturschutzgebiet „Kleewoog“.<br />

Balzer begrüßte es, daß vom ursprünglich<br />

vorgesehenen Standort im Grünzug Arheilgen-Südost<br />

Abstand genommen wurde, da<br />

er zu nahe an Wohngebieten gelegen hätte.<br />

Balzer hofft nun auf eine schnelle Realisierung<br />

des Vorhabens Grillhütte.<br />

Betr.: Umweltkonferenz in Rio<br />

„Umweltschutz beginnt zu<br />

Hause“ erklären die Darmstädter<br />

Grünen zum Beginn<br />

der Umweltkonferenz in Rio.<br />

Es ist widersinnig, über den<br />

Atlantik zu jetten und über den Schutz der<br />

Umwelt hohle Phrasen zu dreschen, wenn<br />

vor Ort die ökologischen Belange vernachlässigt<br />

<strong>werden</strong>.<br />

Bei der Erneuerung der Anlagen des Fernheizwerkes<br />

in Kranichstein zum Beispiel<br />

<strong>werden</strong> in der Magistratsvorlage zwei Varianten<br />

vorgestellt, von denen eine zwar teurer,<br />

aber vom umweltpolitischen Standpunkt<br />

aus unverzichtbar ist. Es handelt sich<br />

dabei um eine Gasturbine mit Abhitzekessel,<br />

die die kombinierte Produktion von<br />

Strom und Wärme gestattet, und so durch<br />

bessere Ausnutzung der Primärenergie<br />

dazu beiträgt, die Emissionen zu senken.<br />

„Haben nicht auch prominente Sozialdemokraten<br />

im Vorfeld der Umweltkonferenz<br />

mit drastischen Worten gefordert, den<br />

CO2-Ausstoß in den Industriestaaten zu<br />

senken“, fragen die Grünen. Hier in Darmstadt<br />

haben die Genossen die Möglichkeit,<br />

ihren Beitrag zu leisten und die Vorgaben<br />

ihrer Partei umzusetzen.<br />

Beim Austausch der Anlagen im Fernheizwerk<br />

Kranichstein, der aufgrund der Vorschriften<br />

der TA Luft erforderlich ist, dürfen<br />

deshalb nicht lediglich die vorhandenen<br />

Kessel erneuert <strong>werden</strong>, wie es die andere,<br />

billigere Variante in der Magistratsvorlage<br />

vorsieht, sondern es muß dann auch die<br />

fortschrittlichste Heizkraftwerkstechnik<br />

angewandt <strong>werden</strong>.<br />

„Angesichts der globalen Umweltprobleme<br />

ist es heutzutage nicht mehr zu rechtfertigen,<br />

vor Ort nur Wärme zu erzeugen, Strom<br />

aber von außerhalb zu beziehen, weil die<br />

Energieverluste durch den Transport<br />

erheblich sind.“ Auch wenn Blockheizkraftwerke<br />

auf den ersten Blick teurer sind,<br />

rechnen sich unter dem Strich die Investitionen<br />

in diese Technologie, da die bei der<br />

Stromerzeugung entstehende Motor- und<br />

Abgaswärme nicht einfach ungenutzt verlorengeht,<br />

sondern mittels Wärmetauscher<br />

in Wärmeenergie für die Haushalte umgewandelt<br />

wird.<br />

Die Grünen sind gespannt, ob sie nicht nur<br />

in Rio, sondern auch in Darmstadt das<br />

„Dr.-Jekill-and-Mister-Hyde-Syndrom“ der<br />

verantwortlichen Umweltpolitiker beobachten<br />

müssen: Zwei Seelen in einer Brust, mit<br />

Worten immer das Gute wollen, aber unabhängig<br />

davon in den allermeisten Fällen<br />

zum Nachteil der Umwelt handeln.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!