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Montag, 11.7.1994<br />

28. Kalenderwoche, 5. Jahrgang<br />

Wie unsere Sparkassenzinsen zu politischer Macht und Abhängigkeit verhelfen<br />

„Die Stadt- und Kreissparkasse, das<br />

habt Ihr falsch berichtet, steht nicht im<br />

Eigentum der Stadt Darmstadt, auch<br />

nicht teilweise“, meinte ein Leser aus<br />

Kreisen der Grünen. Doch er liegt<br />

falsch, denn die Stadt Darmstadt teilt<br />

sich mit dem Landkreis Darmstadt-Dieburg<br />

in eine sogenannte Gewährsträgerschaft.<br />

Was wiederum nichts anderes<br />

bedeutet, als daß sich Stadt- und Landkreis<br />

das Eigentum der Bank teilen.<br />

Nach dem Hessischen Sparkassengesetz<br />

können die Gemeinden „neue Sparkassen<br />

errichten“ (§1) und „haben die Aufgabe,<br />

als dem gemeinen Nutzen dienende<br />

Wirtschaftsunternehmen geld- und<br />

kreditwirtschaftliche Leistungen zu<br />

erbringen“ (§2). Nur so wird auch verständlich,<br />

weshalb die Stadt in ihrem<br />

Haushalt Gewinne aus der Sparkasse<br />

verbucht, die grundsätzlich nur Eignern<br />

zustehen; die Sparkasse kann den<br />

Jahresüberschuß an den Gewährsträger<br />

abführen (§16). Kurzum: Die Stadt<br />

macht mit diesem Bankhaus gute<br />

Geschäfte und finanziert ihren Filz. Wie<br />

solches Geldverschenken nicht nur in<br />

(für die Partei) guter Absicht vor sich<br />

geht, sondern zum Druckmittel auch für<br />

die Beseitigung politischer Gegner wird,<br />

zeigt der folgende Bericht.<br />

Geld für Arbeitnehmer<br />

Wo in Frankfurt beispielsweise riesige<br />

Glas-Stahl-Bauten in den Himmel ragen<br />

und dokumentieren, daß heutzutage in<br />

unserem Land mit dem Geldverleih<br />

sicherste und höchste Gewinne erzielt<br />

werden, und in Darmstadt das mollermaßige<br />

Sparkassengebäude am Luisenplatz<br />

die erste Adresse am Ort mit Glas<br />

und Stahl verschandelt, mag die Politik<br />

nicht beiseite stehen und mischt im<br />

lukrativen Zinseinnehmen mit. Als<br />

„Eigenbetriebe“ oder „Versorgungsunternehmen“<br />

werden im Behördendeutsch<br />

solche Unternehmen der öffentlichen<br />

Hand bezeich<strong>net</strong>. Wer nicht das<br />

Gesetz kennt, das hinter einem solchen<br />

Bankhaus steht, merkt nichts davon, daß<br />

unsere PolitikerInnen die eigentlichen<br />

Verantwortlichen sind, denn die Bank<br />

bietet uns keine besonders günstigen<br />

Zinssätze, steht Schuldnern keineswegs<br />

hilfreich beiseite, kurz, es ist eine Bank<br />

wie jede andere, obwohl „den Sparkassen<br />

… die Befriedigung des örtlichen<br />

Kreditbedarfs unter besonderer Berücksichtigung<br />

der Arbeitnehmer, des Mittelstandes,<br />

der gewerblichen Wirtschaft<br />

…“ (§2) obliegt. Diese Aufgabe nahm<br />

die Stadt- u. Kreissparkasse zumindest<br />

in Bezug auf Wohnraum-Spekulanten<br />

sehr ernst.<br />

Zugriff der Politiker<br />

Doch es gibt Unterschiede zu anderen<br />

Geldverleihern: In dem Aufsichtsrat finden<br />

sich die Namen unserer Politiker<br />

Sie lesen<br />

3 Jahrmarkt der Eloquenzen<br />

4 Sicherheit bei Röhm?<br />

5 Wehe dem Schwarzen,<br />

der ein neues Fahrrad hat<br />

7 „Für meine Vaterstadt“<br />

8 Der General und sein Freund<br />

9/10 Friede den Hütten…<br />

11 Parteien-Filzokratie<br />

12 Dani Dackel: Wohin denn nur?<br />

14 Täter Opfer weiblicher Reize<br />

15 Jugendstil: Utopie und Praxis<br />

17 Presse imZensur-Käfig<br />

19 ff Briefe zur ZD<br />

Fine<br />

wieder, auch auf den Personallisten und<br />

gar ein eigens für einen SPD-Politiker<br />

eingerichteter „Assistenten“-Posten ist<br />

öffentlich bekannt. In den Bilanzen tauchen<br />

Konten auf, die in anderen Bankhäusern<br />

vielleicht zwar auch bestehen,<br />

aber nicht dem Zugriff Dritter – beispielsweise<br />

Oberbürgermeistern und<br />

anderen – freigegeben sind.<br />

Zu unkontrollierter Verfügung<br />

Bei der Stadt- und Kreissparkasse trägt<br />

solch ein Konto den Namen „Jubiläumsstiftung“.<br />

Irgendwann einmal ist es mit<br />

Anteilen aus den Gewinnen des Bankhauses<br />

aufgefüllt worden und alljährlich<br />

fließt ein prozentual festgelegter Anteil<br />

des Gewinnes der Bank auf dieses Konto;<br />

1993 allein 400.000 Mark, womit der<br />

Stand heute 1,8 Millionen beträgt. Die<br />

Zinsen daraus und neue Einlagen<br />

(600.000 Mark, 130.271,17 Mark,<br />

111.055,85 Mark) laufen auf zwei weitere<br />

Konten: Eines für den Eigner Stadt<br />

Darmstadt und eines für den Eigner<br />

Landkreis.<br />

So kann Oberbürgermeister Peter Benz<br />

(SPD) in diesem Jahr über 427.296,21<br />

Mark verfügen und der Landrat über<br />

414.030,81 Mark. Diese Zahlen liegen<br />

der ZD schriftlich vor, jedoch sind alle<br />

weiteren Auskünfte gesperrt worden.<br />

Intrigen gehören zum Alltag, wie die<br />

Borniertheiten zur Kleinbürgerseele: Da<br />

kursieren tatsächlich schwarze Listen in<br />

diesem Darmstadt über die LeserInnen<br />

der ZD – wer immer diese Daten zu<br />

sammeln versucht, von der ZD geht<br />

nichts raus. Wie ehrenhaft, liebe Leser-<br />

Innen für sie, wir werden ernst genommen,<br />

sind wichtig; wer die ZD liest, ist<br />

wer. Leider kommen solche Informationen<br />

immer nur teilweise, bruchstückhaft,<br />

so können wir auch nicht melden,<br />

wer das sinnlose Unterfangen gestartet<br />

hat und mit welchem Ziel.<br />

Die Chance<br />

Das ist die Vormeldung des Chronisten,<br />

der dieses Mal drucken muß: Die Zeitung<br />

für Darmstadt ist gezwungen, ihr<br />

Erscheinen einstellen. Im März 1990<br />

erschien die ZD zum ersten Mal, vor<br />

viereinhalb Jahren. Niemand, auch nicht<br />

wir, die HerausgeberInnen, hatten dem<br />

Projekt reelle Chancen eingeräumt.<br />

Kein Bankhaus war bereit, zu finanzieren,<br />

und ob unser Geld reichen würde,<br />

die Zeitung zu etablieren, war mit<br />

großen Fragezeichen versehen. Auf<br />

mehr als 1000 Ankündigungsanschreiben<br />

an PolitikerInnen, Behörden, Parteien,<br />

Gewerkschaften und viele andere<br />

kam keine Resonanz. Jahrelang hatten<br />

DarmstädterInnen gestöhnt, eine zweite<br />

Zeitung müßte her – jetzt lag die Chance<br />

zum Greifen nahe. Doch wie allem Neuen<br />

stand auch die damals konservativ,<br />

rückschrittlich (un-)gebildete sogenannte<br />

große Gesellschaft skeptisch beiseite.<br />

Wer sind die ZeitungsmacherInnen?<br />

Wessen Interessen werden sie vertreten?<br />

Sind das Linke oder vielleicht Grüne?<br />

Mit Hilfe der Gerichte<br />

Das Abwarten zeigte sich in weiter<br />

Distanz und Informationen wurden kurzerhand<br />

vorenthalten. Erst als eine<br />

gerichtliche Anordnung der (angeblich)<br />

sozial-liberal-demokratischen Stadtregierung<br />

unter Metzger den gesetzlich<br />

vorgeschriebenen Weg wies (Herbst<br />

1991), wurde die Informationssperre<br />

gelockert. Auch in den oberen Etagen<br />

hatten die Politiker erkannt: Die Zeitung<br />

lebt länger als erwartet. Mehr als ein<br />

Jahr war dem Experiment nicht gegeben<br />

worden. Das von allen Institutionen –<br />

damals auch von Bürgerinitiativen –<br />

Einzelpreis 5,50 DM<br />

Die letzte Nummer: 73 D 11485 D<br />

Postfach 10 11 01, 64211 Darmstadt, Telefon 0 6151/71 98 96<br />

Am Hahn des goldenen Geldsegens<br />

Sparkassen-Direktor Güde verweigerte<br />

die Annahme eines Telefoninterviews<br />

und OB Benz verhängte Pressesprecher<br />

Rinnert einen Maulkorb: „Keine Stellungnahme“.<br />

Trotzdem war herauszubekommen: Die<br />

Gelder reichen nicht, für die vielen offenen<br />

Hände. Eine der Höhe nach nicht<br />

bezifferte, mindestens aber ebenso hohe<br />

Summe steht bei der städtischen Sparkasse<br />

ebenfalls für freizügig unkontrollierte<br />

Vergabe bereit, der Werbeetat. So<br />

kann Eike Ebert (SPD) beispielsweise –<br />

obwohl nicht mehr Direktor der Spaka –<br />

Werbegelder zusagen.<br />

Orden, Pokale, Geld…<br />

Eigentlich müßten die Gewinne aus dem<br />

Eigenbetrieb Sparkasse ungeschmälert<br />

in den städtischen Haushalt fließen, so<br />

will es das hessische Sparkassengesetz,<br />

nur dann könnten Kämmerer und Parlament<br />

über die Verwendung der Gelder<br />

entscheiden. Doch das ist in Darmstadt<br />

nicht so gewollt, denn ein Stiftungskonto<br />

in der Stadt- und Kreissparkasse hat<br />

den entscheidenden Vorteil: Bis auf<br />

einige wenige weiß niemand, was mit<br />

dem Geld passiert. Da ist beispielsweise<br />

„OB Benz, dessen Lieblings-, Hauptund<br />

Überhauptbeschäftigung darin<br />

besteht, die Gelder des Jubiläumsfonds<br />

mißtrauisch beäugte und belächelte<br />

Blatt hielt sich nicht nur, es gewann<br />

immer mehr AbonnentInnen – allein<br />

1991 wanderten über achthundert vom<br />

Echo ab, mehr als die Hälfte abonnierten<br />

die ZD. Grund genug, die Zeitung weiter<br />

erscheinen zu lassen. Das schmeckte<br />

weder dem SPD-Filz noch den frei- und<br />

sonstwie demokratischen Parteien, denn<br />

daß es weder ein Grünen-, noch ein<br />

sonst wie einzuordnendes Blatt war, hatten<br />

bis dahin alle politisch Tätigen<br />

erkannt.<br />

Druck auf Anzeigenkundinnen<br />

Also wurde die Zensur-Schere wieder<br />

angesetzt, trotz beständigen Hoffens:<br />

Denen muß doch endlich einmal das<br />

Geld ausgehen. Aber es kam nicht<br />

soweit. Viele kleine und mittlere Unternehmen,<br />

vor allem aber eine rapide und<br />

beständig wachsende Zahl von regelmäßigen<br />

LeserInnen durchkreuzte die<br />

parteipolitischen Hoffnungen auf ein<br />

schnelles Ende. Da setzte die SPD zum<br />

nächsten Gegenzug an: OB Metzger<br />

drohte AnzeigenkundInnen der ZD mit<br />

dem Entzug städtischer Aufträge – das<br />

hat zwar einige abgeschreckt, aber es<br />

gab noch genug AnzeigenkundInnen<br />

mit Rückgrat und die LeserInnen wurden<br />

immer mehr. Da der beständige<br />

Kampf um die tägliche Nachricht auch<br />

Machthaber zermürbt, stellte sich<br />

schleichende Gewohnheit ein – die Zensur<br />

lockerte sich. Auch alle Versuche,<br />

das Blatt würde sich einkaufen lassen,<br />

durch die Ehre persönlicher Einladungen<br />

und gelegentlich gestreuter Informationen,<br />

wurden enttäuscht, als die<br />

ersten breiteren Recherchen zeigten:<br />

Käuflich, bestechbar, korrumpierbar ist<br />

dort – außer einem Autoren – niemand.<br />

Im Sommer 93 erschien der erste<br />

zu verschenken“ – meinen Spötter; vielleicht<br />

ist ja was dran.<br />

Da bekommt mal ein Karnevalsverein<br />

eine Stiftungseinlage für einen Orden,<br />

mal ein Sportverein das Geld für den<br />

doch so prächtigen Pokal, ein andermal<br />

die Karnickelzüchter ihre Saalmiete für<br />

ihre Jahresabschlußfeier u.s.w. – eine<br />

Voraussetzung jedoch muß immer gegeben<br />

sein: Wer aus diesem Topf Geld<br />

haben will, braucht entweder das Parteibuch<br />

(SPD/FDP), muß sonst in irgendeiner<br />

Art willfährig und botsam sein, oder<br />

als künftige/r WählerIn in Betracht<br />

kommen, sonst gibt’s nichts.<br />

Das ist eine gute Einrichtung, denn<br />

frau/man stelle sich einmal vor, das Parlament<br />

müsse jedes Mal über die Bittstellereien<br />

der vielen Vereine entscheiden<br />

– nichts wirklich Wichtiges könnte<br />

mehr erledigt werden. Da unsere Oberbürgermeister<br />

sich gern als generös<br />

erweisen, darf dies auch kein Verwaltungsangestellter<br />

abarbeiten, denn dann<br />

käme ihm der Dank zu, und auch und<br />

gerade heute ist immer derjenige König,<br />

der zu vergeben, zu verschenken hat<br />

gleich ob es sein ist …<br />

☛ Fortsetzung Seite 2<br />

Intrigen und das Ende einer Zeitung<br />

Eine Stadt schweigt, weil sie nichts hören, lesen und wissen will<br />

gründlich fundierte Bericht über den<br />

Darmstädter Filz, in den Ebert, Netuschil<br />

und andere eingebunden waren.<br />

Justiz eingeschaltet<br />

Darauf hagelte es Strafanzeigen, die<br />

Justiz schaltete sich ein. Zu dieser Zeit<br />

durchaus noch wohlwollend und gesetzestreu.<br />

Die Angst unter den Genossen,<br />

die fast ausnahmslos irgendwelche Vorteile<br />

aus ihrer Parteizugehörigkeit gezogen<br />

hatten, wuchs. Die betroffenen<br />

Schmidt und Ebert reagierten mit Strafanzeigen<br />

und Zivilklagen, denn irgendwie<br />

mußte das Blatt disziplinierbar sein.<br />

Es beginnt ein ganz mieses Kapitel<br />

Darmstädter Zeitungsgeschichte: Zwischen<br />

Justiz und Politik werden Fäden<br />

geknüpft, um die ökonomische Grundlage<br />

der Zeitung für Darmstadt über Einflußnahme<br />

auf das ehemalige Geschäft<br />

(eine Spedition) des Herausgebers zu<br />

zerstören.<br />

☛ Fortsetzung Seite 3


☛ Fortsetzung von Seite 1<br />

Am Hahn des goldenen Geldsegens<br />

Darmstädter Kulturbegriff<br />

Ob es sich bei dieser Art von Generosität<br />

immer um die angestrebte Kulturförderung<br />

handelt, ist eine Frage der<br />

Auslegung: In Darmstadt jedenfalls ist<br />

der Kulturbegriff unserer Oberbürgermeister<br />

entgrenzt, ganz nach der modernen<br />

Auffassung, daß Kunst alles sei,<br />

was den Anspruch darauf erhebt. So<br />

stand einer Neufassung nichts im Weg.<br />

Kunst-/Kultur-Definition in Darmstadt<br />

lautet: Je SPD/FDP-loyaler, desto künstlerischer.<br />

Wer diese Kriterien erfüllt, ist<br />

Kulturträger und somit unbedingt förderungswürdig.<br />

Zum Ärger und Leidwesen unseres heutigen<br />

Oberbürgermeisters hatte sein<br />

Vorgänger soviel Kunst-/Kulturbeflissene<br />

in Darmstadt zu finden vermocht<br />

(„Stadt der Künste“), daß er bei Übernahme<br />

(1993) seines Ich-Gebe-Gern-<br />

An-Auserwählte-Postens zunächst leere<br />

Kassen vorfand und arbeitslos war.<br />

Doch das hat sich geändert, die<br />

Jubiläumsstiftung verfügt wieder über<br />

entsprechende Mittel und das Dankeschön-Ich-Wähl-Dich-Gern-Lächeln<br />

begeg<strong>net</strong> unserem Stadtoberhaupt auf<br />

Schritt und Tritt.<br />

Verfilztes<br />

Nun ist unser OB ohnehin nicht gerade<br />

ein Freund der Arbeit, klagen städtische<br />

Sachbearbeiter, dafür hat er sich eine<br />

Vielzahl von Referenten zugelegt, doch<br />

sie können ihm nicht die Teilnahmepflicht<br />

an Sitzungen irgendwelcher Vorstände,<br />

oder wie in diesem Fall einer<br />

Jubiläumsstiftung, abnehmen – er müßte<br />

höchstpersönlich erscheinen. Deshalb<br />

hat er diesen Posten lieber seinem<br />

Parteifreund Eike Ebert (Parteivorsitzender,<br />

Bundestagsabgeord<strong>net</strong>er, Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher,Aufsichtsratsvorsitz<br />

in der Stadt– u. Kreissparkasse<br />

u.v.a.) überlassen. Der, als ehemaliger<br />

Sparkassendirektor ohnehin besser<br />

bewandert in Finanzdingen, führt den<br />

Vorsitz über die Sympathisanten-Werbe-Stiftung.<br />

Mit ihm teilen sich ein<br />

Impressum<br />

Verleger und Herausgeber:<br />

Michael Grimm<br />

Unser Team :<br />

Uta Schmitt<br />

Eva Bredow<br />

Sanne Borghia<br />

Nicole Schneider<br />

Peter J. Hoffmann<br />

Ludwig v. Sinnen<br />

und freie AutorInnen<br />

Anzeigen:<br />

verantwortlich<br />

Heiner Schäfer<br />

Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 5<br />

Postanschrift:<br />

Zeitung für Darmstadt<br />

Postfach 10 11 01, 64211 Darmstadt<br />

Telefon 06151/719896<br />

Telefax 06151/719897<br />

Bankverbindungen:<br />

Volksbank Darmstadt<br />

BLZ 508 900 00, Konto 14 111301<br />

Spendenkonto:<br />

Postgiroamt Frankfurt<br />

BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601<br />

Druck:<br />

Caro Druck<br />

Kasseler Straße 1a, 60486 Frankfurt<br />

Durchschnittliche Auflage:<br />

10.000<br />

Abonnement:<br />

jährlich DM 90,00 incl. 7% MWSt.<br />

Nachdruck und Vervielfältigungen sind nur mit<br />

Genehmigung des Verlages gestattet.<br />

Für namentlich gekennzeich<strong>net</strong>e Artikel oder<br />

Presseberichte von Parteien, Verbänden und<br />

Vereinen übernehmen die jeweiligen AutorInnen<br />

die presserechtliche Verantwortung. Sie sind kein<br />

Spiegel für die Meinung der Redaktion.<br />

Personenbezogene Daten werden<br />

elektronisch gespeichert, ausschließlich intern<br />

für die Verwaltung eingesetzt und nach Ende<br />

des Zeitungsbezugs umgehend gelöscht.<br />

InformantInnen bleiben gemäß gesetzlicher<br />

Grundlage auf Wunsch anonym.<br />

Text und Bild sind mit „QuarkXPress“<br />

auf Apple Macintosh gesetzt und unter Omnis 5 -<br />

Verlagverwaltung organisiert.<br />

(LeserInnen der ZD wohl bekannter)<br />

Freund, Peter Netuschil (FDP) – das löst<br />

das Rätsel, wie die Saalbaugalerie so<br />

prächtig gedeihen konnte, denn die Brüder<br />

Netuschil sind Kunstliebhaber –<br />

sowie ein in Sachen Filz weniger erfahrener<br />

Grüner (Zeitzinger) aus dem<br />

Landkreis und mehrere ohnehin abhängige<br />

Sparkassenangestellte den Job.<br />

Eigentlich hätten sie über die Vergabe<br />

der Gelder zu befinden – aber das ist ein<br />

Ding der Unmöglichkeit, denn selbstverständlich<br />

wollen bittende Parteigänger<br />

nicht ein Jahr oder länger darauf<br />

warten, bis die Gelder fließen, denn der<br />

Jubiläumsstiftungs-Beirat (so der offizielle<br />

Titel) tritt „höchstens einmal jährlich“<br />

zusammen, weiß wiederum ein<br />

ausgeschiedenes Beiratsmitglied. Deshalb<br />

werden in dem Beirat die längst<br />

vergebenen Gelder im Nachhinein abgeseg<strong>net</strong>.<br />

Wille zur Macht<br />

Auch Eike Ebert, selbst Pensionär der<br />

Sparkasse, verfügt über die Mittel dieses<br />

goldenen Topfes nach Belieben, und da<br />

wird die Sache gefährlich. Frau/man<br />

stelle sich vor: Ein Politiker mit dem<br />

ungebeugt strebsamem Willen zur<br />

Macht fördert diesen oder jenen Verein,<br />

eben solange als er ihm genehm. Wehe<br />

dem, der darauf baut und sich die Feindschaft<br />

(gar wegen einer anstehenden<br />

Wahl in den Bundestag) zuzieht, er hat<br />

nichts mehr zu erwarten. So werden die<br />

generösen Geschenke zum Bumerang,<br />

zum Druckmittel, zur gefährlichen Waffe<br />

im Machtkampf, wenn und weil eine<br />

parlamentarische Kontrolle fehlt.<br />

Noch ein Rätsel löst sich auf: Es war der<br />

unbedingte Wille einiger SPD-ler unter,<br />

hinter oder mit Ebert im Verbund, den<br />

neuen Kämmererposten mit einem<br />

getreuen Genossen zu besetzen, der wieder<br />

schweigsam den Geldverschenk-<br />

Praktiken zusehen wird. Was lag da<br />

näher, als einen dienstbeflissenen<br />

Parteifreund aus der Sparkasse zu favorisieren,<br />

der als Eidgenosse seine Loyalität<br />

bereits erwiesen hat? So kamen die<br />

Namen Wolfgang Glenz und Hans-Werner<br />

Erb für den Kämmerer-Posten ins<br />

Spiel.<br />

Unnützes Bauernopfer<br />

Wieso steht unser Geld, aus teuren Krediten<br />

stammend, unter dem Einfluß der<br />

Partei(en) und nicht des Parlamentes?<br />

Sollte wieder jemand meinen, der<br />

Bericht sei nicht objektiv genug, stelle<br />

nur Spekulation dar, so irren sie/er<br />

gewaltig: Gelegentlich ist es sinnvoll,<br />

Postenfilzerei<br />

auch der interessierten Öffentlichkeit<br />

bestimmte (detaillierte und schriftlich<br />

vorliegende) Informationen vorzuenthalten,<br />

denn die unbegrenzte Machtfülle<br />

einiger unserer sozialdemokratischer<br />

Herren könnte für weniger Machtbesessene<br />

und weniger Korrupte das Aus<br />

bedeuten – ihre Arbeit von Jahrzehnten<br />

vernichten. So zügeln wir denn im Interesse<br />

der Kultur und in dem unserer<br />

wenigen Idealisten die Neugier und beugen<br />

uns der Macht der Leute, die von<br />

uninteressierten und unüberlegten<br />

Mehrheiten immer wieder gewählt worden<br />

sind und werden. Dies schützt zwar<br />

den Drahtzieher hinter den Kulissen, der<br />

bedenkenlos und machtversessen seine<br />

Peitsche der Abhängigkeit schwingt,<br />

„die Schweinerei wird so gedeckt“<br />

(Zitat eines Informanten), doch nützen<br />

Bauernopfer niemandem – außer der allgemeinen<br />

Neugier.<br />

Nur – und auch das muß festgehalten<br />

sein: Wer sich aus einem solchen Topf<br />

bedienen läßt, statt die parlamentarische<br />

Kontrolle einzufordern, begibt sich<br />

selbst auf den gefährlichen Weg der<br />

Abhängigkeit, wird zum Helfer in<br />

Sachen Filz – selbst, wenn es noch so<br />

verführerisch ist, einfach zur Bank zu<br />

gehen, das Geld einzusacken und auf<br />

eine gute Zukunft zu hoffen.<br />

Dahinter steckt im übrigen Methode.<br />

Viele kleine Kulturgruppen müssen<br />

immer wieder, für jede Veranstaltung<br />

erneut, Gelder beantragen, bekommen<br />

dann meist weniger als beantragt und<br />

sind zu BittstellerInnen degradiert:<br />

Gleich, ob das Geld aus dem Kulturetat<br />

der Stadt kommt oder aus dem ominösen<br />

Jubiläumsfonds (interner Jargon:<br />

Reptilienfonds). Statt daß den kontinuierlich<br />

arbeitenden Gruppen ein fester<br />

Betrag im Jahr zugesagt wird, mit dem<br />

sie kalkulieren können (wie das Staatstheater<br />

mit seinem 45-Millionen-Etat)<br />

bleiben sie in der steten Abhängigkeit.<br />

Über weitere Seid-Ja-freundlich-Töpfe<br />

ähnlicher Art verfügen auch die städtischen<br />

Unternehmen HEAG und Südhessische<br />

– auch dort handelt es sich um<br />

öffentliche Gelder, mit denen freigiebig<br />

und fördernd oder zensierend umgegangen<br />

wird.<br />

Und die Moral der Geschicht?<br />

Wer am Hahn des gold’nen Geldsegens<br />

sitzt und selbstherrlich auf- und zudreht,<br />

bestimmt das Auf nach dem Ja und das<br />

Zu nach dem Nein geforderter Unterwürfigkeit<br />

– mit dem Ja von uns, solange<br />

wir immer wieder Mehrheit geben.<br />

M. Grimm<br />

Viel steht in den Tageszeitungen derzeit geschrieben über die Suche nach einem<br />

neuen Kämmerer; Ausschreibungen laufen – und doch scheint dies unendlich<br />

schwierig. Der amtierende Kämmerer Otto Blöcker (SPD) verschiebt seine Pensionierung<br />

bis zum Jahresende, obwohl ganze Stapel von Zuschriften von Bewerbern<br />

im Stadtverord<strong>net</strong>enbüro des Eike Ebert (SPD) gesammelt sind. Alle Nachfragen,<br />

was denn mit den Bewerbungen sei, bleiben unbeantwortet. Was ist das<br />

für ein Vorgehen, Posten auszuschreiben und dann die Bewerbungen ungeöff<strong>net</strong><br />

über Monate liegen zu lassen?<br />

Derweil benennt Ebert Bewerber aus eigenen Reihen, deren Namen (besser:<br />

Qualifikation) nicht nur aus Oppositionsprinzip zu öffentlichem Widerspruch<br />

führen; ein anderer SPDler sieht sich gar zum Selbstvorschlag ermutigt und blamiert<br />

sich bis auf die Knochen (daß der überhaupt noch in der Stadt bleibt); und<br />

Oberbürgermeister Peter Benz (SPD) insistiert weiter auf einem auswärtigen<br />

Kandidaten. Doch die Bewerbungsstapel sind da, bleiben weiter ungeöff<strong>net</strong> liegen.<br />

Ärger auch bei Darmstadts Grünen. Dort hat die Fraktion gleich zweimal<br />

beschlossen: Am 7.7. in der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung soll – unabhängig<br />

von der Kämmerer-Wahl – ihre Magistratskandidatin Daniela Wagner endlich<br />

zur Stadträtin aufgestellt werden – doch obgleich der Fraktionsbeschluß mit der<br />

Koalitionsvereinbarung übereinstimmt – auch ihre Wahl wird vertagt. Zugeständnis<br />

der Spitzengrünen an die SPD, die Fraktion wird undemokratisch übergangen.<br />

Für SPD-Partei-und-Posten-Taktiker ein bravouröser Erfolg: Wagners Wahl ist<br />

weiterhin Faustpfand im Erpressungsspiel: Wenn-ihr-nicht-tut-was-wir-wollendann…<br />

In Sachen Ebert-Wahl: Wenn ihr unseren Kandidaten nicht wählt,<br />

bekommt ihr auch keine Stadträtin.<br />

Warum der unwürdige Verschiebe-Zirkus? Schon wieder Eike Ebert. Verliert er<br />

seine Bundestagswahl am 16.10. und zieht nicht wieder in den Bundestag ein<br />

(sein CDU-Gegenkandidat Storm hat gute Chancen), dann – so war jetzt zu<br />

erfahren – will der ehrgeizige Machtpolitiker selbst Kämmerer werden, weshalb<br />

der Wahltermin vorerst auf den 27.10. festgelegt wurde. Da die SPD ein festzusammengefügter,<br />

monolithischer Block von abhängigen Ja-SagerInnen ist,<br />

erfährt die Presse nichts aus der Genossenreihe und so bleibt es Spekulation, ob<br />

die oben beschriebenen Abläufe Methode von Beginn an waren – zuzutrauen ist<br />

es Ebert.<br />

Frech lancierte Spiegelfechterei? Ebert verbreitet in der Halb-Öffentlichkeit über<br />

den Echo-Schreiber Bert Hensel – so ein Informant – er wolle gern wieder Sparkassen-Direktor<br />

werden. Heute sitzt Güde auf dem Stuhl. So hält Mann sich fortwährend<br />

in öffentlicher Diskussion – ungebrochener Wille zur Macht. sb<br />

Es kam, wie erwartet: Der Grüne Politiker<br />

Jürgen Barth ist vom Darmstädter<br />

Amtsgericht unter Vorsitz von Richter<br />

Conrad Eckhard wegen „Geheimnisverrats“<br />

zu einer Geldstrafe von 7.200 Mark<br />

verurteilt worden. Als Schöffe hatte er<br />

der Verteidigung mitgeteilt, daß seine<br />

MIT-Richter hinter verschlossenen<br />

Türen vor Abschluß eines Verfahrens<br />

bereits geurteilt hatten.<br />

Der Richter, der am 27.6. über Bart zu<br />

richten hatte, wies in seiner Urteilsbegründung<br />

weit von sich: „Politische<br />

Gründe für das Verfahren lagen nicht<br />

zugrunde“. Was versteht der Richter<br />

unter „Politik“? Der berechtigte Verdacht<br />

war aufgekommen, weil der SPD-Politiker<br />

Eike Ebert am 1.6. bereits vor dem<br />

Angeklagten von dem Verhandlungstermin<br />

Kenntnis besaß und das SPD-<br />

Berichterstattungsblatt „Darmstädter<br />

Echo“ aus der Anklageschrift am 11.5.<br />

vor Eröffnung berichtet hatte. Wie dem<br />

auch sei, Eckhard begründete: „Das<br />

Gericht hält es für eine absolute<br />

Anmaßung“, wenn das Beratungsgeheimnis<br />

durchbrochen wird. Der Richter<br />

erkannte deshalb und „weil ich der<br />

Erklärung des Richters Pranz Glauben<br />

schenke“ auf die o.a. Strafe an. Das Urteil<br />

wird nicht rechtskräftig, da die Verteidiger<br />

Rechtsmittel einlegen. sb<br />

Das letzte Wort hat der Angeklagte: „Das<br />

Schöffenamt verlangt in aller erster Linie<br />

Unparteilichkeit. So habe ich auch ca. 6<br />

Jahre mein Amt angesehen und ausgeübt.<br />

In diesem hier anstehenden Prozeß …<br />

geht es um die Frage: Wer war parteilich<br />

und befangen; für wen war Parteilichkeit<br />

und Unbefangenheit oberstes Prinzip?<br />

Unbestritten und Ergebnis dieser Verhandlung<br />

ist, daß die Mitschöffin mit<br />

ihrer Äußerung, ,ich könnte den Angeklagten<br />

glatt ermorden’, gezeigt hat, daß<br />

sie befangen und in der weiteren Verhandlung<br />

nicht mehr unparteilich war.<br />

Wahr ist – vom vorsitzenden Richter<br />

Pranz aber bestritten – die Äußerung von<br />

ihm, ,nur über meine Leiche bekommen<br />

die Angeklagten Bewährung’. Diese ist<br />

in seinem Dienstzimmer gefallen und ich<br />

versichere Ihnen, daß ich erschüttert bin,<br />

daß ein Richter – wegen dieser vergleichsweise<br />

harmlosen Äußerung –<br />

Zuflucht zu einer offensichtlichen<br />

Unwahrheit nimmt und sie bestreitet.<br />

Unparteilichkeit und Unbefangenheit<br />

war bei Pranz nicht mehr gewährleistet.<br />

Von meiner Seite gibt es keine Äußerung,<br />

die Anlaß gibt, an meiner Unparteilichkeit<br />

zu zweifeln. Wenn ich verurteilt würde<br />

wegen parteilicher Äußerungen von<br />

anderen Mitgliedern der<br />

Kammer, hieße das, die Dinge auf den<br />

Kopf zu stellen. Meine Verurteilung<br />

anstelle einer Zurechtweisung der anderen<br />

Kammermitglieder, hieße die<br />

Umkehrung der Rechtslage. Was wird<br />

Ausgabe 73 11.7.1994 · Seite 2<br />

„Wo Wahrheit<br />

zur Unwahrheit wird…“<br />

Barth für schuldig befunden<br />

Richter: Keine politischen Gründe<br />

mir vorgeworfen: Zweimal das Beratungsgeheimnis<br />

verletzt zu haben. Auch<br />

hier haben sich die Vorwürfe in Luft aufgehoben.<br />

Der Vorwurf, ich hätte das<br />

Strafmaß von 26 und 38 Monaten ausgeplaudert,<br />

mußte fallengelassen werden,<br />

da der Vorsitzende Pranz ausgesagt hat,<br />

wir hätten nie definitiv über das Strafmaß<br />

gesprochen. Der zweite Vorwurf, ich hätte<br />

die Mordäußerung der Mitschöffin<br />

nach außen getragen, wird von mir so<br />

weit richtig gestellt, daß sie dies nach der<br />

Beratung, bei offener Tür und für jedermann<br />

hörbar, gesagt hat. Auch hier<br />

bekräftige ich, nie das Beratungsgeheimnis,<br />

wie es gesetzlich definiert ist, gebrochen<br />

zu haben. So sehr ich mich an dieses<br />

Prinzip gehalten habe, so sehr scheint es<br />

dem Vorsitzenden Pranz erlaubt zu sein,<br />

sich darüber hinwegzusetzen und hier in<br />

der Verhandlung Dinge aus dem Beratungszimmer<br />

nach draußen zu tragen, wie<br />

z. B. nicht über das Strafmaß gesprochen<br />

zu haben und die Mordäußerung der Mitschöffin<br />

zu bestätigen.<br />

Auch in diesem Fall bestehe ich darauf,<br />

am Beratungsgeheimnis festgehalten zu<br />

haben, während andere das nicht von sich<br />

behaupten können.<br />

Letztlich wird mir Verleumdung des Vorsitzenden<br />

Pranz vorgeworfen mit seiner<br />

Äußerung ,Nur über meine Leiche<br />

bekommen die Angeklagten eine<br />

Bewährung’. Ich bleibe dabei, diese<br />

Äußerung ist gefallen, warum soll ich sie<br />

erfinden; ich habe es nicht nötig, die<br />

Unwahrheit aufzutischen. Eine Verleumdung<br />

kann ich darin nicht erblicken. …<br />

Und lassen Sie mich noch etwas thematisieren,<br />

selbst wenn mir, der Rechtslage<br />

weniger kundig, im Recht nicht so<br />

bewandert, Fehler unterlaufen sind, so<br />

kann es nicht wahr sein, daß ich als<br />

Schöffe verurteilt werde, während<br />

Berufsrichter unzählige Male befangen<br />

und fehlerhaft frei und unbelangt bleiben.<br />

Wenn hier in diesem Prozeß ein Urteil<br />

rechtlich nicht haltbar ist, so verdichtet<br />

sich für mich der Eindruck, daß hier eine<br />

Tendenz für die Rolle des Schöffen festgelegt<br />

werden soll nach dem Motto: Der<br />

Schöffe soll zustimmen, sich im übrigen<br />

aber heraushalten!<br />

Lassen Sie es mich darum so zusammenfassen:<br />

Nach den Ereignissen und nach<br />

diesen Äußerungen konnte ich nicht<br />

schweigend zur Tagesordnung übergehen;<br />

dabei habe ich weder meine Pflicht<br />

zur Unparteilichkeit noch das Beratungsgeheimnis<br />

verletzt.<br />

Und noch eine letzte Anmerkung. Wenn<br />

es zu meiner Verurteilung kommt, bitte<br />

ich den Vorsitzenden dafür Sorge zu tragen,<br />

daß mein Schöffenamt ausläuft.<br />

Denn in einer Justiz, in der die Dinge auf<br />

den Kopf gestellt werden, wo Wahrheit<br />

zur Unwahrheit wird, habe ich nichts<br />

mehr verloren“. Jürgen Barth


☛ Fortsetzung von Seite 1<br />

Intrigen und das Ende einer Zeitung<br />

Dokumentarische Einzelheiten solcher<br />

Intrigen werden zwar nie beweisbar an<br />

das Licht der Öffentlichkeit geraten,<br />

doch die PolitikerInnen plaudern ihre<br />

Infamitäten in Andeutungen selbst aus.<br />

P.J. Netuschil: „Den werden wir fertig<br />

machen.“ E. Ebert gibt bekannt, daß er<br />

sich mit der Inhaberin des Geschäftes<br />

trifft und versucht damit, den Koalitionspartner<br />

zu beeinflussen. Wie der<br />

Täter an den Ort seiner Tat zurückkehrt,<br />

brüsten sich Politiker gern ihrer intriganten<br />

Verdienste um die Partei – eine<br />

nach vier Jahren nicht mehr kleine Zeitung,<br />

erfolgreich auf hinterhältige Art<br />

bekriegt zu haben. Solche Geschäfte<br />

hinwieder können nur erfolgreich sein<br />

unter tätiger Mithilfe willfähriger Juristen<br />

auch über gesetzliche Grenzen hinaus.<br />

Wie könnte es anders sein in einer<br />

Filzokratie? Sonst wäre sie keine.<br />

Verfressener Zeitgeist<br />

Die Einzelinformationen über Ausländerfeindlichkeiten<br />

verdichten sich 1993<br />

und 1994 immer mehr zu einem<br />

geschlossenen Bild, einer sich schrittweise<br />

an den Abgrund fremdenfeindlichen<br />

Rassismusses bewegenden Gesellschaft:<br />

Die Zeitung als Berichterstatterin<br />

gerät in den Sog des alles fressenden<br />

Zeitgeistes, der Fronten bildet und<br />

Obrigkeitshörigkeit zur Bedingung<br />

macht. Folglich wird unter der rot-grünen<br />

Koalition ab 1993 entgegen aller<br />

anderslautenden Absichtserklärungen<br />

ihres Oberbürgermeisters die Informationsvergabe<br />

immer schmaler, das Hofblatt<br />

Echo offener gefördert.<br />

Zeitgleich gewinnen die infamen Drähtezieher<br />

im finanziellen Untergrund<br />

Boden. Nicht nur, daß der Zeitung<br />

während des gesamten Erscheinungszeitraumes<br />

keine einzige Anzeige der<br />

Stadt in Auftrag gegeben wurde, was<br />

gegen Gesetz verstößt, jetzt kommen die<br />

Hintergrund-Intrigen der Parteimächtigen<br />

zum Zuge: Die Zeitung muß die<br />

ehemalige Spedition des Herausgebers<br />

teilweise mitfinanzieren und alle<br />

Rechtsmittel versagen. Das wie und wer<br />

der wechselseitigen Einflußnahmen<br />

sind wieder nicht beweisbar – es würde<br />

ohnehin nicht nützen, da die Gesetze<br />

nichts gelten.<br />

Der Mißerfolg<br />

So wird denn die Pressefreiheit<br />

stückchenweise beschnitten, verhindert,<br />

auf dem kalten Wege demontiert, liquidiert.<br />

Übrig bleibt das öffentliche Kapi-<br />

talistenlied von der Erfolglosigkeit eines<br />

zum Mißerfolg verdammten Unterfangens<br />

– eine Sprechweise, eine Wirklichkeit.<br />

Die andere: Wer seine Geschäfte zu<br />

Lasten und Kosten der öffentlichen<br />

Hand machen will, kann keine kontrollierende<br />

Presse brauchen – Namen spielen<br />

hier keine Rolle, höchstens, die<br />

wenigen derjenigen (meist Grünen), die<br />

(bislang) keine Vorteile gezogen haben.<br />

Dies wäre nichts mehr und nichts weniger<br />

als die Geschichte einer Zeitung, die<br />

allerdings mehr ist als die miese Intrigenschieberei<br />

vorteilnehmender ParteigängerInnen:<br />

Gleichzeitig mit dem Versuch,<br />

eine unliebsame Presse zu beseitigen,<br />

vollzieht sich ein fortschreitender<br />

Rechtsruck.<br />

Das saubere Einkaufsparadies<br />

In Darmstadt brennen zwar keine<br />

Flüchtlingsheime, aber hier ist es die<br />

rassistisch motivierte Mißhandlung<br />

Schwarzer durch staatliche Ordnungskräfte.<br />

Die Übergriffe häufen sich,<br />

gedeckt durch schweigende (Aufsichts-)<br />

Behörden, PolitikerInnen und die auch<br />

hierzustadt üblich neugierigen<br />

ZuschauerInnen, die sich ausschweigen<br />

über alles, was sie beobachten. Das ist<br />

heutiger Alltag begleitet von täglichem<br />

Geldverdienen und -ausgeben – was<br />

interessiert wen unserer gewählten VertreterInnen<br />

der erfrorene Obdachlose,<br />

der verletzte mit ihrer schweigenden<br />

Duldung zusammengeschlagene Flüchtling?<br />

Nicht mehr, als daß Ordnung und<br />

Sauberkeit in und auf unserem Einkaufsparadies<br />

herrschen.<br />

Der Zeit den Spiegel vorhalten<br />

So gerät die Zensur, das Intrigantentum<br />

gegen eine Zeitung, die schonungslos<br />

und deutlich der Zeit den Spiegel, der<br />

gleichgültigen Unmenschlichkeit vorhält,<br />

in einen Topf: Mit dem Rechtsruck<br />

der bürgerlichen Gesellschaft wird auch<br />

die Pressefreiheit zu Grabe getragen.<br />

Sind sich Justiz und Politik einig und<br />

kontrollieren nach Ausschalten der dritten<br />

Gewalt (Trennung von Politik und<br />

Justiz) auch die vierte, die Presse durch<br />

Mißachtung der Gesetze, dann ist das<br />

vierte Reich nicht fern – nicht, daß sich<br />

genau dasselbe wiederholen würde, nur<br />

neugierig, auf neue und andere Formen<br />

eines bürgerlichen Faschismus’ sind<br />

wir, die HerausgeberInnen der ZD, keineswegs.<br />

Der Niedergang einer freien unabhängigen<br />

Presse und Fremdenfeindlichkeit<br />

gehen Hand in Hand, die Verbindung ist<br />

ebenso banal einfach wie plausibel: Soll<br />

völkische Ordnung und rassische Sauberkeit<br />

via Polizeigewalt Einzug halten,<br />

dann müssen die Ordnungskräfte und<br />

die sie deckenden Behörden unkontrolliert,<br />

unbeobachtet von kritischer<br />

Öffentlichkeit freie Hand behalten. Was<br />

nicht gedruckt ist, was nicht bekannt<br />

wird, was in verschlossenen Amtsstuben<br />

abläuft, wenn Rechtsradikale im öffentlichen<br />

Dienst durch ihre vorgesetzten<br />

Dienstherren gedeckt werden – wo liegen<br />

dann die Unterschiede zwischen<br />

1926 bis 1933 und 1994 bis… ?<br />

Meldung: 90 jüdische Friedhöfe sind<br />

allein 1992 geschändet worden, ebenso<br />

viele wie in der Zeit von 1926 – 1930.<br />

Einen letzten Versuch hatten wir gestartet<br />

mit der Unterschriftenaktion (1455<br />

sind bis zum 7.7. eingegangen darunter<br />

keine eines Politikers) und einem breitgestreuten<br />

Rundschreiben an mehr als<br />

1000 politisch aktive DarmstädterInnen.<br />

Die wenigen Antworten sind bezeichnend.<br />

Kein Stadtverord<strong>net</strong>er, gleich<br />

welcher Partei, hat ein Solidaritätsanschreiben<br />

verfaßt, ein Oberstaatsanwalt<br />

droht gar mit Strafmitteln. Literaten,<br />

Journalisten, Galeristen – kurz die ganze<br />

bürgerliche Mitte schweigt. Künftig<br />

können sie wenigstens, was den Rechtsruck<br />

betrifft, berechtigt sagen: „Wir<br />

haben von nichts gewußt!“ Verschweigen<br />

werden sie den Zusatz: „Weil wir<br />

davon nichts wissen wollten.“<br />

Die Fraktionsvorsitzenden aller Parteien<br />

hatten wir angeschrieben, mit der Bitte,<br />

einen Antrag einzubringen, damit die<br />

ZD künftig die öffentlichen Bekanntma-<br />

Parlament: Jahrmarkt der Arroganzen und Eloquenzen<br />

Lehrer, Rechtsanwälte, Richter, Unternehmer,<br />

Beamte – unsere Stadtverord<strong>net</strong>en<br />

im Debattierklub über „Tafelsilber“,„Nettoquadratmeterverkaufsflächen“<br />

und dem, „Alle wollen dabei<br />

gewesen sein, das Wohl der Stadt vorangetrieben<br />

zu haben“ (OB Peter Benz).<br />

Vier Tage hatten wir das Erscheinen<br />

dieser Ausgabe verschoben, um über die<br />

Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung vom 7.7.<br />

berichten zu können. Gelohnt hat es sich<br />

nicht. Das einzig Interessante war wieder<br />

einmal das, was nicht gesagt wurde.<br />

Aus Sicht des „Darmstädter Echo“<br />

(6.7.): „Vor den Ferien noch einmal<br />

Schwerarbeit“.<br />

Papiertheater -Papiertiger<br />

Und was sollte da so schwer bearbeitet<br />

werden? 19 Fragen, 15 Verwaltungsvorlagen,<br />

23 Anträge der Parteien und drei<br />

große Anfragen – ein wahres Mammutprogramm,<br />

gemessen an der Menge.<br />

Bliebe die Frage nach den Inhalten. Zum<br />

ungezählt wiederholten Mal HEAG-<br />

Hallen, eine Alt-Planung (1987) des<br />

Marktplatzes und zum X-ten Mal die<br />

Eissporthallen-Peinlichkeit. Dies waren<br />

schon die Highlights, denn der „sehr<br />

verehrte Herr Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher“<br />

(Einleitungsformel für Gesprächsbeiträge),<br />

der die Arbeitsliste auf Antrag<br />

der Parteien zusammenstellt, hatte<br />

nichts Interessanteres auf die Tagesordnung<br />

zu setzen (hätte er auch nicht<br />

gewollt) als: Warum eine Wasserspielanlage<br />

nicht in Betrieb sei? (sie ist es seit<br />

5.7.); „Wann der Straßenbelag für den<br />

Heimstättenweg endlich kommt“? (ab<br />

1995). „Was gegen nächtliche Parties<br />

auf einem Schwimmbad-Parkplatz<br />

unternommen werden kann?“ (Ruf nach<br />

Polizei). „Getrenntmüllsammlung“ (der<br />

dann doch wieder zusammengekippt in<br />

der Müllverbrennung landet).<br />

„Papiertheater“. „Ausbau des Taunusplatzes“,<br />

„Ferienkarte in Schwimmbädern<br />

für Kinder“ (gratis wäre selbstverständlich)<br />

– u.s.w..<br />

Vorrang der Ästhetik<br />

Dieser Kurzausschnitt vermittelt einen<br />

Eindruck von der ach so schwer abzuarbeitenden<br />

Wichtigkeiten. Dabei gehen<br />

die wirklich brennenden und wichtigen<br />

Themen an unseren VolksvertreterInnen<br />

schlicht vorbei: Rassismus unter Darmstädter<br />

Polizisten (Dienstherr: der OB)<br />

ist kein diskussionswertes Thema. In<br />

dem hohen Haus wird über den Blick<br />

auf das Schloß gestritten – wegen<br />

geplanter Fahrgast-Überdachungen (siehe<br />

Foto-Montage), während auf dem<br />

Polizeirevier im Schloß, das worauf<br />

frau/man den gefälligen Blick wünscht,<br />

Schwarze mißhandelt werden. Der schöne<br />

Schein verschönt menschenfeindliches<br />

Sein. Das erregt niemanden, alles<br />

schweigt; Vortritt der Ästethik gegenüber<br />

der Menschlichkeit – auch bei<br />

Darmstadt’s Grünen, bei den anderen<br />

wunderts ohnehin niemanden mehr.<br />

Auch Diskussions-Veranstaltungen in<br />

(klein-)bürgerlich begrenztem Rahmen<br />

der selbsternannten „Gegner der Ausländerfeindlichkeit“<br />

des Parlamentes<br />

finden im gerade renovierten Mollerbau<br />

statt, einem schlicht-luxuriösem Bau, –<br />

hinter dem Polizisten im Oberbürgermeister-Auftrag<br />

des „Kampfes gegen<br />

Drogen- und Straßenkriminalität“ Hatz<br />

auf Schwarze machen.<br />

Bezeichnend auch die CDU-Nachfrage<br />

(Klein) nach der „Verwendungsnutzung<br />

der Ernst-Ludwig-Kaserne“, so die<br />

Amerikaner (ab 1996) abgezogen sind.<br />

Hintergrund: Da soll sich doch bitteschön<br />

die Verwaltung dafür einsetzen,<br />

daß da ja keine Asylbewerber hineinkommen.<br />

Die Verwaltung namens Grünewaldt,<br />

Stadtrat, sichert selbstverständlich<br />

eine dort Ausländer ablehnende<br />

Haltung der Stadtregierung zu, das<br />

Problem habe sich durch die sinkende<br />

Zahl der Asylbewerber aber erübrigt –<br />

welch ein Glück (für wen?).<br />

Keine Opposition<br />

Verschwiegen auch: Dem Oberbürgermeister<br />

samt Gehilfen und Beamten ist<br />

es gelungen, die einzige Opposition in<br />

dieser Stadt finanziell und gesetzeswidrig<br />

zu strangulieren – eben dieses Blatt.<br />

Jede/r Stadtverod<strong>net</strong>e/r war in Kenntnis<br />

gesetzt – doch niemand diskutierte.<br />

„Weil kein Antrag vorlag“, würden sie<br />

begründen wollen – doch, einen Antrag<br />

zu stellen, wäre Sache aller, jeder oder<br />

jedes einzelnen gewesen. Mit der Pressefreiheit<br />

haben sie es so wenig wie mit<br />

der Kritik an ihrer Geldrechnerei, ihren<br />

Zahlenspielen, ihren Spiegelfechtereien<br />

um Parkplätze, um Oberzentren, Einzelhandel<br />

etc. Kritik ist schädlich, dem<br />

Ansehen abträglich. Die Öffentlichkeit<br />

soll glauben: Dort wird viel geleistet,<br />

„verantwortungsbewußt für unsere<br />

Stadt“. In Zukunft kann die Öffentlichkeit<br />

nichts anderes mehr erfahren.<br />

Ja-Sager unter sich<br />

Die parlamentarische Opposition steckt<br />

in Darmstädter Problemen: Da die regierende<br />

rot-grüne Koalition ohnehin die<br />

Ziele einer christ- und freidemokratischen<br />

Opposition verfolgt, müssen<br />

Papiertiger her, Argumente gesucht und<br />

gefunden werden. Wie sagt der Ja-Sager<br />

den Ja-Sagern, daß er eigentlich die Rolle<br />

des Nein-Sagers spielt?<br />

Ganz einfach: Alle Themen, die Nein-<br />

Sagen hießen, die Widerpart erforderten,<br />

fallen unter den Tisch: Gähnende<br />

Langeweile.<br />

Und wie sagt der Ja-Sager (Grüne), dem<br />

Ja-Sager (SPD), daß er/sie die Methoden<br />

des Ja-Sagers (SPD) nicht schätzt?<br />

Durch Schweigen. Noch nicht einmal<br />

eine öffentliche Diskussion darüber,<br />

weshalb noch immer keine Stadträtin<br />

Daniela Wagner (Grüne) gewählt wird.<br />

Keine Diskussion auch über die hinterrücks<br />

justitiable Erledigung eines<br />

grünen Gegen-(SPD)Kandidaten (siehe<br />

Barth-Urteil).<br />

Lobenswert, doch wenig brisant, eine<br />

grüne „Erklärung zu den Eintrittspreisen<br />

des Landesmuseums für Kinder“. Die<br />

Liste aller nicht gestellten, nicht diskutierten<br />

Themen wird mit fortdauernder<br />

Koalition immer länger.<br />

„Das ist in Kommunalparlamenten nun<br />

mal so“, meint Daniela Wagner (Grüne)<br />

– muß es denn so sein? Kaum, es ist die<br />

Entscheidung aller, die da mit-machen.<br />

Teurer Spatenstich<br />

Bonmot: Fortschrittlich gesonnene<br />

Stadtverord<strong>net</strong>e diskutieren am liebsten<br />

über Baugebiete und Bauten, in der<br />

bezeichnenden Reihenfolge: 1. Rathäuser,<br />

2. Gewerbegebiete, 3. Straßenbauten,<br />

4. Wohn- und 5. Sozialwohnbauten,<br />

6. Spatenstiche – letzterer soll Anfang<br />

September für den HEAG-Umbau mit<br />

einem 50.000-Mark-Fest begangen werden.<br />

In einer angeblich so armen Stadt<br />

ein teurer Stich. Worüber die vermeintliche<br />

Opposition und die Regierungsbank<br />

ohnehin nicht diskutieren: Zwar<br />

chungen gegen Bezahlung erhält wie<br />

auch das „Echo“ und weiter erscheinen<br />

kann. Die CDU verweist auf den Klageweg<br />

(und sagt damit, daß der Anspruch<br />

gerechtfertigt ist), die FDP meint, wir<br />

sollten mehr Abonnenten werben (was<br />

soviel wie nein bedeutet), die Grünen<br />

bereiteten einen Antrag vor, der scheiterte<br />

jedoch am Einspruch des Koalitionspartners<br />

SPD, der sich gegenüber der<br />

ZD ausschwieg – weshalb es keine<br />

öffentliche Diskussion gab.<br />

Wir, das Team der Zeitung für Darmstadt,<br />

bedanken uns bei unseren AbonnentInnen<br />

und Anzeigeninserenten für<br />

die Unterstützung und ihr aufmerksam<br />

waches Interesse.<br />

Gute Nacht Darmstadt, die Redaktion<br />

gibt es eine Vorlage „Einsparungen im<br />

Haushalt“, doch daß gerade ein Zwei-<br />

Millionen-Geschenk abgelehnt wurde,<br />

vom OB, ist keiner Diskussion wert (siehe<br />

auch: „Für meine Vaterstadt – ein<br />

Millionengeschenk“).<br />

Ein Parlament ohne Opposition ist ein<br />

gediegen langweiliger Jahrmarkt der<br />

Eitelkeiten, der Arroganzen, Eloquenzen,<br />

der Aufgeblasenheiten…<br />

Eine Stadt ohne Opposition? Ein kleiner<br />

Haufen ungestört vorteilnehmender<br />

Mächtiger. Naheliegend: Wenn Ja-<br />

Sager mit Ja-Sagern über das Ja-Sagen<br />

debattieren und schließlich doch Ja<br />

sagen (auch, wenn sie es Nein nennen),<br />

bleibt immer nur das Ja. In diesem Sinne<br />

sei allen Ja-SagerInnen empfohlen,<br />

gleich ja zu sagen, dann wird die ach so<br />

„schwere Arbeit“ leicht, die StaVo kurz,<br />

so kurz wie es ihren Inhalten gebührt.<br />

M. Grimm<br />

Politischer Mord<br />

Jurema Batista, ZD-LeserInnen als<br />

Initiatorin des Kinderprojektes<br />

„Favela do Andarai“ bekannt, ist<br />

Ende Juni in Rio de Janeiro ermordet<br />

worden – getötet wurden auch drei<br />

ihrer Berater, die ebenfalls Mitglieder<br />

linksgerichteter Parteien waren.<br />

Die Stadt Darmstadt hatte ihr Projekt<br />

im Januar mit einem Scheck in Höhe<br />

von 6.400 Mark unterstützt. red.


CHRONIK<br />

23.06.94 DA GROSSFEUER IN ARHEILGEN: Ein Brand in einem<br />

Lager der Firma „Hartmann AG“ verursacht einen Schaden<br />

von 30 Millionen Mark. Giftstoffe sollen nicht freigesetzt<br />

worden sein.<br />

DA-DI BÜRGERENTSCHEID ÜBER DEPONIE? Die erste<br />

Hürde ist genommen: 1.111 Unterschriften, 800 hätten<br />

ausgereicht, für ein Bürgerbegehren gegen der Verkauf<br />

des Gemeindewalds an den Kreis zur Errichtung einer<br />

Haldendeponie.<br />

HERBERT GÜNTHER (SPD) kündigt aus gesundheitlichen<br />

Gründen seinen Rücktritt als Hessischer Innenminister<br />

für den 12.7. an. Nachfolger wird der 47 Jahre alte Gerhard<br />

Bökel, Landrat des Lahn-Dill-Kreises und Präsident<br />

des hessischen Landkreistags.<br />

OZONVERSUCH IN HEILBRONN: vier Tage lang dürfen in<br />

Heilbronn und Neckarsulm nur abgasarme Autos rollen,<br />

die Industrie muß ihre Produktion drosseln. Der badenwürttembergische<br />

Umweltminister will beweisen, daß<br />

Sommersmog-Verordnungen sinnvoll sind. Am Ende des<br />

Tests heißt es: es seien „sensationell niedrige“ Werte des<br />

krebsverursachenden Benzols gemessen worden, die<br />

Schadstoffe gingen insgesamt um 40 Prozent zurück.<br />

EINIGKEIT ÜBER VERFASSUNGSÄNDERUNGEN:„Niemand<br />

darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“,<br />

soll es im neuen Grundgesetz heißen, der Umweltschutz<br />

soll als Staatsziel hinein, das Gleichberechtigungsgebot<br />

für Frauen gestärkt werden.<br />

FRANZÖSISCHE SOLDATEN IN RUANDA: unterstützt von<br />

Fremdenlegionären. Sie haben mit ihrem offiziell<br />

bezeich<strong>net</strong>en (und von der UNO gutgeheißenen) Rettungseinsatz<br />

allerdings so lange gewartet, bis fast alle zu<br />

rettenden Menschen umgekommen waren – mehr als um<br />

Humanitäres geht es Paris wohl darum, seinen Einfluß in<br />

der Region zu retten.<br />

24.06.94 SCHIESSEREI AUF DER ZEIL: Ein 24jähriger Kosovo-Albaner<br />

erschießt in der Frankfurter Innenstadt einen Landsmann,<br />

drei Passanten werden verletzt. Er wird festgenommen.<br />

VERGIFTETES TRINKWASSER: Die EU-Landwirtschaftsminister<br />

beschließen mit einer neuen Pestizidverordnung<br />

die weitere Vergiftung des Trinkwassers – Pestizide wie<br />

Atrazin, Lindan und DDT dürfen nun ins Grundwasser<br />

gelangen. Für einzelne Gifte könnte die Belastung bis zu<br />

2.000 mal höher liegen als bisher erlaubt.<br />

25.06.94 KURDINNEN DEMONSTRIEREN: 50.000 bis 80.000 KurdInnen<br />

ziehen friedlich durch Frankfurt, um gegen die Politik<br />

der Türkei zu demonstrieren.<br />

26.06.94 LANDTAGSWAHL IN SACHSEN-ANHALT: Die CDU<br />

erreicht 34,7 %, SPD 34,1 %, FDP 3,5 %, PDS 19,6 %,<br />

Grüne 5,0%. Die SPD will mit den Grünen eine Minderheitsregierung<br />

bilden, die PDS sagt zu, den SPD-Mann<br />

Höppner zum Regierungschef zu wählen.<br />

ZEITBOMBEN IN DER UKRAINE: Mit einer Milliarde Mark<br />

will die EU einige ukrainische Atomreaktoren, z. B.<br />

Tschernobyl, stillegen und dafür neue bauen.<br />

27.06.94 DA BEITRITT ZUM RMV: Die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

votiert einstimmig für einen Beitritt zum „Rhein-<br />

Main-Verkehrsverbund“.<br />

ABSCHIEBUNG TROTZ GERICHTSSCHUTZ: Die Stadt<br />

Kleve läßt einen zairischen Asylbewerber abschieben,<br />

obwohl das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen<br />

in Münster dies ausdrücklich untersagt<br />

hatte. Bela W. ist aidskrank.<br />

GOLFKRIEGSSYNDROM: Eineinhalb Jahre nach Ende des<br />

Golfkriegs findet eine Studie heraus, daß 32,4 % der<br />

zurückgekehrten US-amerikanischen Soldaten unter<br />

unerklärlichen Krankheitserscheinungen wie Müdigkeit,<br />

Kopfschmerzen, Gleichgewichtsverlust sowie Seh- und<br />

Atemprobleme litten. Jetzt hat das Pentagon Teile daraus<br />

veröffentlicht.<br />

28.06.94 AB 240 MIKROGRAMM OZON pro Kubikmeter Luft in drei<br />

der 33 hessischen Meßstationen will die Hessische Landesregierung<br />

diesen Sommer Ozonalarm ausrufen. Dann<br />

gilt Tempo 90 auf Autobahnen, Tempo 80 auf Landstraßen.<br />

29.06.94 BUNDESTAG VERABSCHIEDET POSTREFORM: Der SPDdominierte<br />

Bundesrat kann sie allerdings noch stoppen.<br />

30.06.94 POLIZIST ERSCHIEßT JUNGEN KURDEN: In Hannover<br />

erschießt ein Polizist aus nächster Nähe einen 16jährigen<br />

Kurden, der Plakate geklebt hatte. Offiziell heißt es, der<br />

Schuß habe sich aus Versehen gelöst, Augenzeugen wollen<br />

gesehen haben, daß es ein gezielter war.<br />

VERJÄHRUNGSFRIST BEI KINDESMIßBRAUCH: .Galt<br />

bisher eine Verjährungsfrist von zehn Jahren, kann das<br />

Opfer jetzt seinen Täter bis zum 18. Lebensjahr anklagen.<br />

Daß diese Regelung doch noch den Bundestag passiert<br />

hat, ist dem fraktionsübergreifenden Abstimmungsverhalten<br />

der Politikerinnen zu verdanken.<br />

01.07.94 ROMAN HERZOG tritt sein Amt als Bundespräsident an.<br />

03.07.94 GERHARD ZWERENZ tritt in Hessen auf Platz 1 der PDS-Liste<br />

für den Bundestag an.<br />

LI PENG BEI KANZLER KOHL: Mit allen Staatsehren wird<br />

der chinesische Ministerpräsident – verantwortlich für<br />

das militärische Niederknüppeln der chinesischen Demokratiebewegung<br />

vor fünf Jahren auf dem „Platz des<br />

Himmlischen Friedens – in Bonn begrüßt. Auf das Thema<br />

Menschenrechte werde hingewiesen, hieß es offiziell.<br />

Ergebnis seiner Reise ist: Peng kann 40 Verträge in Milliardenhöhe<br />

mit in sein Land nehmen.<br />

05.07.94 NEUES ASYLRECHT: Die Zahl der Asylsuchenden ist um 66<br />

Prozent gesunken, gestiegen ist die der Abschiebungen<br />

um mehr als das Dreifache (36.358 Fälle 1993).<br />

KEIN ASYLGRUND: Das Bundesverwaltungsgericht hebt eine<br />

Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichts auf,<br />

wonach Kosovo-Albaner asylberechtigt waren, weil sie<br />

in ihrer Heimat politisch verfolgt werden. Die Entscheidung<br />

betrifft etliche tausende Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik<br />

Asyl beantragt haben.<br />

Die Firma Röhm GmbH plant im Südwest-Bereich<br />

ihres Firmengeländes in<br />

Darmstadt ein neues Faßlager in dem ca.<br />

370 Tonnen sehr giftige, giftige, leichtentzündliche,<br />

ätzende und brandfördernde<br />

Stoffe gelagert werden sollen.<br />

Sie hat dazu beim Regierungspräsidium<br />

einen Antrag auf Genehmigung<br />

eingereicht. Noch bis zum 13.7.94<br />

besteht für jedermann die Möglichkeit,<br />

hiergegen eine Einwendung einzulegen.<br />

In dem neuen Lager sollen Gefahrstoffe<br />

in Fässern und Gebinden von 1 m3<br />

Größe eingelagert werden. Hierzu werden<br />

Regalboxen aus Stahl aufgestellt,<br />

die nach einer Seite offen sind. In diesen<br />

Boxen sollen die Fässer in mehreren<br />

Ebenen auf Metallgitterrosten abgestellt<br />

werden. Aus den Boxen werden drei<br />

Gassen gebildet, in der sich je Seite drei<br />

Regalboxen gegenüberstehen. Eine<br />

Gruppe aus sechs derartigen Boxen soll<br />

dabei von den anderen durch eine<br />

Brandwand abgetrennt werden. Ansonsten<br />

werden die Gassen mit den Boxen<br />

an beiden Enden durch Tore verschlossen<br />

und nach oben durch transparente<br />

Kunststoffplatten abgedeckt. Die Einund<br />

Auslagerung der Gefahrstoffe soll<br />

mit normalen Gabelstaplern erfolgen.<br />

Es sollen 16 Tonnen sehr giftiger Stoffe<br />

eingelagert werden. Darunter auch<br />

Wenige Menschen weltweit werden<br />

immer reicher, immer mehr Menschen<br />

dafür immer ärmer. Wir Industrienationen<br />

leben auf Kosten der sogenannten<br />

Dritten Welt. Nur wenige Nutznießer dieser<br />

Ausbeutung tangiert dies. Aber es gibt<br />

Ausnahmen: Menschen, die für eine<br />

gerechtere Verteilung des Reichtums und<br />

Wohlstands eintreten. Wie zum Beispiel<br />

jene rund 400 Mitglieder der „Aktion<br />

Selbstbesteuerung e.V. – Friede und<br />

Gerechtigkeit für die Eine Welt“ („asb“).<br />

Sie zahlen 2 bis 3 Prozent ihres Nettoeinkommens<br />

als „freiwillige Entwicklungssteuer“<br />

zunächst an den Verein. Jedes<br />

Jahr beschließen die Mitglieder wie und<br />

wofür das Geld verwendet werden soll.<br />

Es fließt zum einen etwa hälftig in den<br />

Ländern der sogenannten Dritten Welt in<br />

Projekte, die „einen Beitrag zur Selbstbefreiung<br />

und verstärkter Unabhängigkeit<br />

leisten können“ und zum anderen werden<br />

in der Bundesrepublik Kampagnen, Kongresse,<br />

Aktionen und Veröffentlichungen<br />

finanziell unterstützt, „die auf ein verändertes<br />

Denken und Handeln der Menschen<br />

hinwirken sollen … Weil wir davon<br />

überzeugt sind, daß nationaler Egoismus,<br />

Ausländerfeindlichkeit und Rassismus im<br />

Endergebnis allen, also auch den Urhebern<br />

selbst, schadet, vertrauen wir darauf,<br />

daß ein verändertes Denken erreichbar ist,<br />

das nicht nur sehr giftige, sondern<br />

auch krebserzeugende Dimethylsulfat.<br />

Insgesamt sollen 80 Tonnen giftige<br />

Stoffe gelagert werden, die zusätzlich<br />

z.T. leichtentzündlich, reizend<br />

und/oder krebserzeugend sind.<br />

Bei den zusätzlich 270 Tonnen wassergefährdender<br />

Stoffe, die z.T. noch<br />

ätzend und reizend sind, will sich die<br />

Firma Röhm nicht genau festlegen, welche<br />

Stoffe sie eigentlich lagern will. Sie<br />

gibt nur Beispiele in einer nicht abschließenden<br />

Liste an.<br />

Die Art und Menge der eingelagerten<br />

Stoffe macht deutlich, daß ein erhebliches<br />

chemisches Gefahrenpotenial<br />

auf dem Werksgelände der Firma<br />

Röhm an der Kirschenallee vorhanden<br />

ist, das nun teilweise in dem<br />

Faßlager konzentriert wird. Auch nur<br />

eine teilweise Freisetzung der in dem<br />

Lager enthaltenen Stoffe könnte zu einer<br />

akuten Gefährdung der Menschen<br />

führen, die in der Nähe der Kirschenallee<br />

arbeiten oder gar wohnen.<br />

Eine kursorische Prüfung der Technik<br />

des Lagers zeigt, daß hier erheblich<br />

gespart wurde. Die geplante Sicherheitstechnik<br />

entspricht nicht dem<br />

Stand der Technik, der laut Gesetz<br />

eingehalten werden müßte. Bei den<br />

Regalboxen für die Lagerung der brennbaren<br />

Flüssigkeiten wurde die billigste<br />

wenn nur genügend Menschen beharrlich<br />

genug dafür arbeiten.“<br />

1993 konnten die Mitglieder insgesamt<br />

112.970,50 Mark an einzelne Projekte<br />

verteilen – so etwa 15.000 Mark an die<br />

Bauernbewegung in Guatemala, 4.800<br />

Mark zur Bildung für die Landbevölkerung<br />

in der Dominikanischen Republik<br />

oder 1.500 Mark zur „Koordination<br />

gegen Bayer-Gefahren: Kampagne gegen<br />

Repressionen in Uruguay/Brasilien“<br />

sowie 6.000 Mark Zuschuß für den Hauskauf<br />

eines Dritte-Welt-Ladens ins Losheim.<br />

Jene geförderten Projekte, so<br />

erzählt die zweite Vorsitzende und Darmstädterin<br />

Waltraud Rexroth, berichten<br />

dem Verein jährlich darüber, wie sie das<br />

Geld verwendet haben. Der Geschäftsführer<br />

der „asb“ mit seiner Drittelstelle sei<br />

der einzige, der Lohn für seine Arbeit<br />

erhält – alle anderen arbeiteten ehrenamtlich.<br />

In der Bilanz 93 ist sein Gehalt mit<br />

12.623,72 Mark ausgewiesen.<br />

Dieses Jahr feierte die „asb“ 25jähriges<br />

Jubiläum in Darmstadt, mit einer Podiumsdiskussion<br />

am 25.6. in der Kreuzkirche<br />

Darmstadt-Arheilgen. vro<br />

Wer sich für die „asb“ interessiert, kann<br />

sich an Waltraud Rexroth wenden: Soderstraße<br />

100, 64287 Darmstadt, Telefon<br />

46790.<br />

Ausgabe 73 11.7.1994 · Seite 4<br />

Sicherheit der Darmstädter<br />

ist Röhm keine Mark wert<br />

Bei einem neuen Faßlager für Gefahrstoffe<br />

soll nach dem Willen des Pharmariesen gespart werden<br />

Stromausfall bei Röhm?<br />

28.6.1994 – 0.20 Uhr: Gerade ist eines<br />

der sommerlichen Gewitter vorbei, da<br />

taucht ein merkwürdiges Geräusch auf –<br />

hört sich fast an, wie ein städtisches<br />

Straßenreinigungsfahrzeug; es hält drei<br />

bis vier Minuten an, dann kommt es<br />

wieder. Undsoweiter – mehr als eine<br />

halbe Stunde. Dann stinkt es auch schon<br />

im Bahnhofsviertel. Methylmetacrylat<br />

signalisiert die Nase, wer des Gestankes<br />

erfahren ist. Ein Blick auf das Werksgelände<br />

von Röhm bestätigt: eine riesige<br />

Abluftwolke von 100 bis 200 Metern<br />

Durchmesser schwebt über der Chemieküche.<br />

Jedes Mal, wenn das<br />

Geräusch wieder auftaucht, vergrößert<br />

sich die Wolke – und dann ist auch das<br />

Geräusch klar: So, nur leiser pfeift auch<br />

das Überdruckventil des Dampfdrucktopfes.<br />

Ein Anruf bei der Polizei führt zu der<br />

beruhigenden Auskunft: „Wir kümmern<br />

uns darum“. Irgendwer bei Röhm am<br />

Telefon meint: „Wir haben Stromaus-<br />

fall“ und die direkt benachbarte Feuerwehr<br />

gibt Auskunft: „Wir riechen<br />

nichts, wir haben eine Klimaanlage“.<br />

Und außerdem: „Was sollen wir denn<br />

machen?“<br />

Keine fünf Minuten nach dem Anruf bei<br />

Röhm ist Ruhe. Die Wolken ziehen in<br />

Richtung Waldkolonie ab. Die Überdruckventile<br />

wurden geöff<strong>net</strong> mit einsetzendem<br />

Wind, sonst hätte die Wolke<br />

über der Stadt gestanden – Zufall oder<br />

Absicht?<br />

Wir erinnern an die Serie von Chemie-<br />

Unfällen bei der Firma Hoechst im Jahr<br />

1993. Danach hatte Hessens Umweltminister<br />

Fischer (Grüne) erklärt, alle Chemiefirmen<br />

würden überprüft und sogenannte<br />

„offene Systeme“ seien nicht<br />

mehr zulässig, müßten in geschlossene<br />

umgebaut werden. Die ZD fragte mehrmals<br />

an und bat um Bekanntgabe der<br />

Prüfungstermine – das Ministerium<br />

schweig sich aus. mg<br />

Gerechtigkeit für die Eine Welt<br />

„Aktion Selbstbesteuerung“: Seit 25 Jahren<br />

gibt es Menschen, die freiwillig mehr zahlen<br />

Ausführung gewählt. Von der gleichen<br />

Herstellerfirma werden weitaus bessere<br />

Boxen angeboten, die kleiner sind und<br />

auch nach vorne durch eine feuerfeste<br />

Tür verschlossen sind. Aus derart verschlossenen<br />

Boxen können bei einem<br />

Brand Schadstoffe nur in geringem<br />

Maße nach außen dringen, was gerade in<br />

der Kirschenallee besonders wichtig<br />

wäre. Für die Lagerung der Stoffe, die<br />

unter Hitzeeinwirkung polymerisieren<br />

können (d.h. unter Energieabgabe mit<br />

sich selbst reagieren), könnten Regalboxen<br />

aus Beton statt Stahl verwendet<br />

werden. Geräte ein Teil des Lagers in<br />

Brand, so würden sich die Fässer in den<br />

benachbarten Boxen langsamer erhitzen,<br />

als bei Stahlboxen. Die zur<br />

Abdeckung der Lagergassen gewählte<br />

Kunststoffabdeckung soll zwar nicht<br />

brennbar sein, würde jedoch bei einem<br />

Brand schmelzen und herabtropfen.<br />

Die nachts immerhin sechs Mann starke<br />

Werksfeuerwehr der Fa. Röhm wird<br />

deshalb wohl keine Brandbekämpfung<br />

im Lager selbst durchführen können,<br />

wenn sie sich nicht einem Regen aus<br />

geschmolzenem Kunststoff aussetzen<br />

will. Sie wird sich wegen der Dachkonstruktion<br />

auf einen Löschangriff von<br />

außen beschränken müssen. Auch<br />

gehört es zur Eigenart von Bränden in<br />

Faßlagern, daß einzelne Fässer mit<br />

leichtentzündlichen Stoffen durch Hitzeeinwirkung<br />

explodieren und dann untzer<br />

Umständen mehrere hundert Meter<br />

durch die Luft geschleudert werden. Die<br />

immerhin doppelwandigen Kunststoffplatten,<br />

die wohl von Röhm selbst stammen<br />

dürften, werden kaum in der Lage<br />

sein, derartige Fässer zurückzuhalten.<br />

Wenn ein derartiges Lager an dieser<br />

Stelle (Nähe zur Wohnbebauung)<br />

tatsächlich erforderlich sein sollte, so<br />

muß es auch tatsächlich der besten verfügbaren<br />

Sicherheitstechnik entsprechen.<br />

Hierzu gehört grundsätzlich eine<br />

möglichst weitreichende räumliche und<br />

bauliche Trennung der Stoffe. Also die<br />

Aufstellung von kleineren und geschlossenen<br />

Regalboxen, die zusätzlich durch<br />

Betonwände voneinander getrennt und<br />

zur Straße hin abgeschirmt sind. Die<br />

verschiedenen Stoffe müssen in diesen<br />

Boxen getrennt gelagert werden. Hierbei<br />

muß nicht nur den sehr giftigen und<br />

giftigen Stoffen Beachtung geschenkt<br />

werden, sondern auch denen, die ätzend,<br />

krebserzeugend oder reizend sind, sowie<br />

den Stoffen, die polymerisieren können.<br />

So darf z.B. nicht die Möglichkeit bestehen,<br />

daß die zur Einlagerung vorgesehene<br />

Chlorbleichlauge bei einem Unfall<br />

mit Säuren in Kontakt kommen kann, da<br />

sich dann giftiges Chlorgas bildet. Sie<br />

darf ebenfalls nicht mit einem polymerisationsfähigen<br />

Stoff in Kontakt treten,<br />

da dieser dann zu reagieren beginnen<br />

könnte und die freiwerdende Wärme die<br />

Fässer möglicherweise zum explodieren<br />

bringt.<br />

Wenn Ihnen die Gefahren durch dieses<br />

neue Lager nicht gleichgültig sind,<br />

so haben Sie bis zum Mittwoch den<br />

13.7.94 Gelegenheit, eine Eingabe<br />

beim Regierungspräsidium zu<br />

machen. Eine derartige Einwendung<br />

kostet Sie nichts (außer dem Papier) und<br />

verpflichtet Sie zu nichts. Sie ermöglicht<br />

Ihnen nur die Beteiligung an dem<br />

weiteren Genehmigungsverfahren, von<br />

dem Sie bei Fristversäumung ansonsten<br />

ausgeschlossen sind. Unterlassen Sie die<br />

Einwendung, so sind spätere Rechtsmittel<br />

gegen das Lager für alle Zeit ausgeschlossen.<br />

Für den Erörterungstermin, auf dem die<br />

Einwendungen zwischen den Einwendern,<br />

der Firma Röhm und dem Regierungspräsidium<br />

diskutiert werden, wurde<br />

der 1.9.94 bestimmt. Er beginnt um 9<br />

Uhr beim Regierungspräsidium, Wilhelminenstr.<br />

1-3, Zi. 2419.<br />

Achtung: Einwendungsende ist der<br />

13.7.1994. Es gilt nicht das Datum des<br />

Poststempels, sondern die Einwendung<br />

muß bis 24 Uhr dieses Tages beim<br />

Regierungspräsidium vorliegen (Das<br />

Regierungspräsidium, Luisenplatz 2,<br />

hat einen Fristbriefkasten, in den man<br />

die Einwendung einwerfen kann).<br />

Peter Küppers, Koordinationsstelle<br />

Genehmigungsverfahren, Öko-Institut<br />

Darmstadt


Marktplatz<br />

ohne Grün?<br />

Mit alten „Ingenieurszeichnungen“ und<br />

einem Vorentwurf des Architekten Udo<br />

Nieper wartete Oberbürgermeister Peter<br />

Benz (SPD) in einer Pressekonferenz<br />

auf: Der Marktplatz soll neu gestaltet<br />

werden. Die Ingenieurspläne sind für<br />

die Straßenbahnschienen entworfen und<br />

Nieper (hat auch die Zeil gestaltet) soll<br />

den Marktplatz mit „urbanem Flair“ versehen.<br />

Doch darum gab’s schon Streit:<br />

Der Architekt hatte für Wartende eine<br />

Überdachung vorgesehen, die den Blick<br />

vom Rathaus auf das Schloß verschandelt<br />

hätte. Da sich alle Beteiligten der<br />

Pressekonferenz des Kaffeesatzes vergangener<br />

Tage (1988) darüber einig<br />

waren, dies nicht mehr so zu wollen, sollen<br />

neue Pläne (ohne Zeitvorgabe) in<br />

Auftrag gegeben werden.<br />

Stolz erwähnte Benz, daß die Planung in<br />

Angriff genommen werden könne,<br />

nachdem die Marktplatz-Tiefgarage<br />

vom Tisch sei. Einstmals von der<br />

SPD/FDP-Koalition vehement verfochten<br />

und fast realisiert, konnten die Grünen<br />

eine wachsende Autoflut bremsen:<br />

Es war unter anderem eine ihrer Bedingungen<br />

für die heutige Koalition.<br />

Nichts wird am Marktplatz passieren,<br />

wenn nicht Landesmittel für den Umbau<br />

der Straßenbahnschienen bereit gestellt<br />

werden. Tröstlich für die AnliegerInnen,<br />

Lärm, Staub und neues Pflaster lassen<br />

auf sich warten. In dem Vorentwurf des<br />

Architekten Nieper von 1988 war kein<br />

bißchen Grün, kein Baum, kein Strauch<br />

– hoffen wir auf vielleicht gewandelte<br />

Einsicht. Auf der Zeil jedenfalls gibt es<br />

Blumenkastenbäume.<br />

Die CDU begrüßt, „daß Bewegung in<br />

die Planungen kommt“, da der „Ostbereich<br />

der Innenstadt wirtschaftlich<br />

zurückgefallen ist“, begründet Dr.<br />

Rüdiger Moog. Kritik hat auch Eva Ludwig:<br />

„In der Magistratsvorlage für den<br />

Ausbau steht nichts über die Finanzierung“.<br />

Von einer Million Mark und<br />

mehr ist die Rede, „soviel kostet nur das<br />

Pflastern“. Die Christdemokraten meinen<br />

, „ein Lattengerüst sollte anstelle der<br />

sieben Meter hohen geplanten Überdachung<br />

der Haltestellen vor dem Schloß<br />

aufgebaut werden, damit man sich vorstellen<br />

kann, wie sehr das den Blick auf<br />

das Schloß stört.“ Sie wenden sich auch<br />

dagegen, „den Platz um eine Haltestelle<br />

herm zu konzipieren“ – vielleicht, weil<br />

ihnen der geplante Nahverkehrsknotenpunkt<br />

nicht schmeckt?<br />

Die Foto-Montage soll einen Eindruck<br />

von der bestehenden Planung des<br />

Marktplatzes geben. Heiner Schäfer hat<br />

nach Vorlage der Architektenpläne eine<br />

fast gleiche Überdachung gesucht<br />

gefunden und vor das Schloß montiert.<br />

sb<br />

Rechtsradikale sind<br />

keine Terroristen<br />

„Keine terroristische Vereinigung“<br />

vermochte das Bundeskriminalamt<br />

hinter den rechtsradikalen Verfassern,<br />

der Liste „Einblick“ zu erkennen.<br />

Im November 93 sorgten sie für<br />

Aufruhr nicht nur unter Linken, sondern<br />

auch im Bürgertum: Richter,<br />

Professoren, Anwälte und viele<br />

andere fanden ihre Namen, Adressen,<br />

zum Teil auch Kfz-Kennzeichen<br />

darin wieder. In der Liste soll zu<br />

Straftaten aufgefordert worden sein,<br />

weshalb die Darmstädter Staatsanwaltschaft<br />

die Ermittlungen aufgenommen<br />

hat; 35 private Strafanträge<br />

liegen vor. Eile ist geboten, denn<br />

nach Presserecht gilt die Verjährungsfrist<br />

von sechs Monaten.<br />

Von 500 Drucken beschlagnahmte<br />

das BKA 299. An die Darmstädter<br />

Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren<br />

abgegeben, weil eine der<br />

Beteiligten (19) in Rüsselsheim<br />

wohnte. Ein Wiesbadener (26), ein<br />

Mainzer (22) und ein Verleger aus<br />

Bayern (63) werden vor Gericht<br />

gestellt wegen Aufforderung zu<br />

Straftaten, Beleidigung und versuchter<br />

Nötigung. Gegen vier weitere<br />

Beschuldigte wurden die Ermittlungen<br />

eingestellt, wegen Mangels an<br />

Beweisen. mg<br />

Wehe dem Schwarzen,<br />

der ein neues Fahrrad hat<br />

Ausgabe 73 11.7.1994 · Seite 5<br />

Wieder Übergriffe der Polizei gegen Ausländer! Wieder Schweigen in der Öffentlichkeit?<br />

Wie fremdenfeindlich ist Darmstadt?<br />

Diese Frage hatten wir in<br />

der letzten Ausgabe gestellt, jetzt<br />

wird sich die Landesregierung<br />

damit befassen.<br />

Eine Anfrage wegen des fremdenfeindlichen<br />

Vorgehens von Polizei und Justiz<br />

gegen den Ghanaer Osman Seidu * (siehe<br />

ZD Ausgaben 50, 71, 72) will die<br />

Grüne Landtagsabgeord<strong>net</strong>e Daniela<br />

Wagner im Landtag einbringen. Dies<br />

war neben einer Leserin, die wegen des<br />

Sammelns von Spenden für die Prozeßkosten<br />

Osman Seidus bei der ZD angerufen<br />

hatte, die einzige öffentliche<br />

Reaktion auf die Berichterstattung über<br />

den Prozeß gegen ein Opfer der Polizei.<br />

Finanzielle Unterstützung für Seidu hat<br />

auch Jörg Schader von der „AGAR“<br />

zugesagt.<br />

Unser Oberbürgermeister Peter Benz<br />

(SPD) ist nach dem Hessischen Gesetz<br />

für Sicherheit und Ordnung § 57 der<br />

Vorgesetzte der Polizisten; er schweigt,<br />

ebenso die Aufsichtsbehörde, vertreten<br />

durch Regierungspräsident Horst Daum<br />

(SPD), ebenso alle Parteien und PolitikerInnen.<br />

Die Beamten hatten öffentlich im Verfahren<br />

zugegeben, ihr Opfer geschlagen,<br />

als „Scheiß Neger“ beschimpft und auf<br />

den gefesselten, in einer Zelle eingesperrten<br />

Mann, einen Hund losgelassen<br />

zu haben.<br />

Frankfurter Reaktionen<br />

Nachdem in Frankfurt am 1.7. ein Ugander<br />

von Neo-Nazis zusammengeschlagen<br />

worden war, hat der dortige Oberbürgermeister<br />

Schoeler eine Belohnung<br />

von 10.000 Mark für Hinweise ausgesetzt,<br />

die zur Ergreifung der Täter<br />

führen; die Staatsanwaltschaft hat weitere<br />

5.000 Mark Belohnung bereitgestellt.<br />

In Darmstadt sind die Täter<br />

bekannt, die Staatsanwaltschaft hat die<br />

Ermittlungen gegen sie eingestellt – und<br />

alle anderen? Siehe oben.<br />

Der neue Bundespräsident Herzog in<br />

seiner Amtsrede:<br />

„Wer selbst nicht weiß, daß man<br />

lebendige Menschen nicht in Brand<br />

steckt, daß man sie nicht zusammenschlägt<br />

oder durch Städte jagt, dem<br />

muß das eben auch mit den Machtmitteln<br />

des Rechtsstaates klar<br />

gemacht werden“.<br />

Derweil mehren sich die Meldungen<br />

über Schlägereien zwischen Polizeibeamten<br />

und Ausländern. Die Meldung<br />

über den folgenden, jüngsten Fall hat die<br />

Pressestelle der Polizei selbst verbreitet.<br />

Im Wortlaut:<br />

„Polizeiaktion mit Schwierigkeiten:<br />

Beamte der Verwendungseinheit der<br />

Darmstädter Polizei führten am Dienstag<br />

(28.6.) am Luisenplatz und im<br />

Herrngarten eine Aktion zur Bekämpfung<br />

der Drogenszene und der Straßenkriminalität<br />

durch. Dabei kam es am<br />

frühen Abend zu erheblichen Schwierigkeiten,<br />

als eine Gruppe von Schwarzafrikanern<br />

die Beamten angriffen und<br />

beleidigten. Drei Männer wurden festgenommen,<br />

drei Polizisten verletzt.<br />

Begonnen hatte die spätere Auseinandersetzung<br />

gegen 19.30 Uhr, als im<br />

Herrngarten ein 25 Jahre alter Mann<br />

aus Ghana kontrolliert werden sollte,<br />

der ein neues Mountain-Bike mitführte.<br />

Da er den Beamten gegenüber eine drohende<br />

Haltung einnahm und sich gegen<br />

eine daraufhin geplante Durchsuchung<br />

(Eigensicherung) wehrte, wurde er auf<br />

den Boden gelegt und durchsucht.<br />

Dabei verletzte sich der Mann leicht an<br />

der linken Hand (Schürfwunde). Nachdem<br />

die Herkunft des Rades geklärt<br />

werden konnte und gegen den 25jährigen<br />

nichts vorlag, wurde er entlassen.<br />

Er ging zu ca. 8 Landsleuten, die kurze<br />

Zeit später die Beamten beleidigten.<br />

Einer der Ghanesen warf eine Flasche<br />

auf den Weg, worauf sich Passanten bei<br />

den Beamten beschwerten. Die Feststellung<br />

der Personalien des Werfers scheiterte<br />

zuerst. Daraufhin wurden weitere<br />

vier Beamte in den Herrngarten beordert.<br />

Als der Mann nun festgenommen<br />

werden sollte, zerbiß er eine Glasscherbe<br />

und spuckte die Splitter gegen die<br />

Beamten. Es gelang schließlich, ihn zu<br />

einem in der Schleiermacherstraße<br />

abgestellten Funkwagen zu bringen. Auf<br />

dem Weg dorthin wurden die Beamten<br />

von den Landsleuten des Festgenommenen<br />

und ihm selbst bedroht und beleidigt.<br />

Einer der Männer, er ist 27 Jahre<br />

alt, trommelte auf dem Streifenwagendach<br />

herum, brach die Antenne eines<br />

dort parkenden Pkw ab und biß einen<br />

der Polizisten kräftig in den Oberschenkel.<br />

Der ,Flaschenwerfer‘, der ,Beißer’<br />

und ein 31 Jahre alter Mann, gegen den<br />

ein Haftbefehl der Staatsanwaltschaft<br />

Osnabrück wegen Widerstandes und<br />

Betrug vorlag, wurden zum Polizeipräsidium<br />

gebracht, dort wurden die Personalien<br />

überprüft. Zwei der Festgenommenen<br />

wurden noch am Abend entlassen.<br />

Der 31jährige konnte am Mittwoch<br />

morgen nach Hause gehen, nachdem er<br />

930 Mark Geldstrafe gezahlt hatte. Die<br />

drei Kameraden werden wegen Widerstandes<br />

gegen Vollstreckungsbeamte,<br />

Körperverletzung, Sachbeschädigung<br />

und Beleidigung angezeigt. Wie sich bei<br />

der Überprüfung herausstellte, waren<br />

die Asylanträge von zwei Männern<br />

abgelehnt worden, zur Zeit haben sie<br />

eine Duldung. Der 3. Festgenommene<br />

und der kontrollierte Radfahrer haben<br />

vor kurzem deutsche Frauen geheiratet.“<br />

Werner Rühl, Polizeipressestelle<br />

Wer ein neues Fahrrad hat…<br />

Aus der Sicht der Betroffenen stellt sich<br />

der Vorgang so dar: Joseph Oppong,<br />

1968 in Ghana geboren, lebt seit zwei<br />

Jahren in der Bundesrepublik. Am 17.<br />

Juni bekam er zu seiner Hochzeit Geld<br />

geschenkt, davon kaufte sich am 25.6.<br />

das lang ersehnte Mountain-Bike.<br />

Freunde warnten ihn: „Wenn Du mit<br />

Deinem neuen Rad fährst, kriegst Du<br />

Ärger mit der Polizei“. Aus Sicherheitsgründen<br />

machte er sich eine Kopie<br />

des Kaufvertrages, um jederzeit belegen<br />

zu können, daß dies sein Fahrrad ist.<br />

Nackte Polizei-Gewalt<br />

Es dauerte tatsächlich nur drei Tage, bis<br />

er sich am 28.6. erstmals mit der Polizei<br />

konfrontiert sah. Auf dem Weg vom<br />

Luisenplatz zum Herrngarten wurde er<br />

am 28.6. (siehe Polizeimeldung oben)<br />

von einem Zivilpolizisten angehalten:<br />

„Show your passport!“ und „Who ist the<br />

owner of this bycicle?“ Bereitwillig zog<br />

Oppong seinen Pass, doch das genügte<br />

dem Beamten nicht, er wollte ihn durchsuchen,<br />

forderte ihn auf, die Hände aus<br />

den Taschen zu nehmen und fing an, ihn<br />

abzutasten. Zimperlich war der Beamte<br />

dabei nicht, trat Oppong ans Bein, drehte<br />

ihm den Arm auf den Rücken und<br />

zwang ihn in die Knie, auf das Pflaster.<br />

Zwischenzeitlich waren zwei weitere<br />

Beamte hinzugekommen und sie bearbeiteten<br />

Oppong zu dritt. Der erste<br />

kniete auf dem Kopf von Oppong, der<br />

sich im Gesicht verletzte, weil er auf<br />

dem Pflaster lag; eine anderer Beamter<br />

hielt seinen Arm im Polizeigriff<br />

auf dem Rücken. Sie zogen Oppong<br />

schließlich wieder hoch, öff<strong>net</strong>en Gürtel<br />

und Hose, zogen ihm Schuhe und<br />

Socken aus und durchsuchten seine<br />

Taschen. Dabei fiel ihnen das Portemonnaie<br />

Oppongs in die Hände mit dem<br />

Kaufbeleg für das Fahrrad.<br />

Endlich ließen sie Oppong laufen. Er hat<br />

Strafanzeige gegen die Beamten<br />

gestellt, denn er sieht sich unschuldig<br />

verfolgt und von einem Beamten in<br />

Ausübung seiner Tätigkeit verletzt.<br />

Den Vorgang hatte ein Darmstädter<br />

beobachtet und war zu mehreren<br />

Freunden Oppongs gelaufen, die mit<br />

ihm im Herrngarten verabredet waren –<br />

unter ihnen auch Osman Seidu, der gerade<br />

erst (siehe oben) wegen angeblichen<br />

Widerstands gegen die Staatsgewalt<br />

verurteilt worden war. Seidu bekam<br />

einen Schrecken, erzählt er: „Meinem<br />

Freund ist dasselbe passiert wie mir!“<br />

Sofort lief er ihm entgegen, sah, daß er<br />

Verletzungen an der Hand hatte, ging<br />

mit ihm zu den Zivilbeamten zurück und<br />

stellte sie zur Rede: „Wenn mein Freund<br />

ein Deutscher wäre, hättest Du das dann<br />

auch gemacht?“ fragte Seidu und forderte<br />

die Polizisten auf, Oppong ins Hospital<br />

zur Behandlung bringen zu lassen.<br />

Doch er erhielt – von wem ist nicht klar,<br />

da weitere Zivilbeamte plötzlich dazu<br />

gestoßen waren – die Antwort:<br />

„Go back to africa !“<br />

Seidu und sein Freund Oppong sind<br />

stolz und lassen sich nicht gern was<br />

gefallen. Seidu hatte die ZD mit seinem<br />

Prozeßbericht dabei und hielt sie den<br />

Beamten vor, doch die griffen nur<br />

danach und einer zerriß sie mit den<br />

Worten, „Das ist doch scheißegal!“<br />

Nach schlichtendem Eingreifen von<br />

Passanten (unter ihnen ein Autor der<br />

ZD, der zufällig vorbeikam) und ohne<br />

weitere Auseinandersetzungen ließen<br />

die Ghanaer die Beamten stehen und<br />

gingen zu ihren Freunden im Herrngarten<br />

(siehe Augenzeugenbericht).<br />

Glaskauen aus kalter Wut<br />

Seidu war wütend und außerordentlich<br />

aufgeregt, er nahm eine Fanta-Flasche,<br />

zerschlug sie, warf den Flaschenhals<br />

weg und kaute die Glasscherben. Glaskauen?<br />

„Das mache ich immer, wenn<br />

ich mich abregen will“, erklärt er. Die<br />

Ghanaer, auch sein Freund Oppong, versichern,<br />

daß das nichts Unübliches in<br />

Ghana ist. „Wir lecken Feuer oder essen<br />

Glas“. Das Erstaunliche dabei: Sie verletzen<br />

sich nicht, obwohl sie das Glas so<br />

lange klein kauen, bis sie es schlucken<br />

können. Genau dabei war Seidu, als die<br />

Polizisten wiederkamen – inzwischen<br />

auf acht angewachsen – und seinen Pass<br />

sehen wollten.<br />

Da Seidu einen Rucksack trug, wollte er<br />

seinen Ausweis rausholen, kam aber<br />

nicht mehr dazu, da die Polizisten ihm<br />

den Hals zudrückten und ihn auf den<br />

Boden zwangen. Die Beamten würgten<br />

ihn, bis die Zunge heraushing und „mir<br />

das Glas aus dem Mund fiel“.<br />

☛ Fortsetzung Seite 6


☛ Fortsetzung von Seite 5<br />

Wehe dem Schwarzen, der…<br />

Einer seiner Freunde, Yaw Owsu,<br />

bekam es mit der Angst zu tun und wollte<br />

Seidu helfen, den Pass aus dem Rucksack<br />

holen. Doch die Beamten nahmen<br />

auch ihn sofort in den Würgegriff und<br />

legten Handschellen an. Die Festnahme<br />

beobachteten immer mehr PassantInnen,<br />

an die fünfzig bis sechzig. Darunter<br />

ein alter Mann, der Yaw Owsu einen<br />

Zettel mit seiner Anschrift zusteckte,<br />

weil er, empört über das Vorgehen der<br />

Beamten, als Zeuge aussagen will.<br />

Kein Verhör, keine Fragen<br />

Ohne einen Grund zu nennen, brachten<br />

die Beamten drei der Ghanaer erst ins<br />

Schloßrevier und später ins Polizeipräsidium,<br />

wo sie inhaftiert wurden. Kein<br />

Verhör, keine Fragen, keine Begründung.<br />

Gegen 22.30 Uhr wurden Seidu<br />

und Yaw Owsu wieder freigelassen, dieses<br />

Mal ohne Mißhandlungen im Polizeigewahrsam.<br />

Ein dritter Ghanaer, der<br />

ebenfalls festgenommen worden war,<br />

mußte bis zum nächsten Tag in der Zelle<br />

bleiben, er hatte eine Geldstrafe nicht<br />

bezahlt.<br />

Bei dem Polizeiwagen soll einer der<br />

Ghanaer einen Polizisten gebissen<br />

haben, wer, das ist den Ghanaern nicht<br />

klar, auch nicht, ob der Biß bei der Festnahme<br />

erfolgte, ärztlich ist jedoch ein<br />

blauer Fleck des Beamten attestiert.<br />

Da gegen die drei Ghanaer wieder strafrechtlich<br />

ermittelt wird, suchen sie dringend<br />

nach weiteren ZeugInnen, die den<br />

Vorgang beobachtet haben – sonst werden<br />

womöglich wieder die Opfer verurteilt.<br />

Anrufe zur Weiterleitung nimmt<br />

die ZD unter der 719896 entgegen.<br />

Gesetzliche Verhältnismäßigkeit<br />

Die Polizei ist zwar berechtigt, die Identität<br />

von Personen festzustellen, (§16<br />

Hessisches Gesetz für Sicherheit und<br />

Ordnung), die Beamten müssen jedoch<br />

den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“<br />

(§5) wahren; und der hat Verfassungsrang.<br />

Er wird auch bezeich<strong>net</strong> als<br />

der „Grundsatz des geringstmöglichen<br />

Einsatzes“. Das Gesetz schreibt vor,<br />

„Maßnahmen … anzuwenden, die die<br />

Allgemeinheit und den einzelnen am<br />

wenigsten beeinträchtigen. Ein durch<br />

eine solche Maßnahme zu erwartender<br />

Schaden darf nicht in offenbarem<br />

Mißverhältnis zu dem beabsichtigten<br />

Erfolg stehen“. Dies ist von Polizeibeamten,<br />

der Darmstädter Staatsanwaltschaft<br />

und dem Richter im Fall Seidu<br />

vor einem Jahr schon nicht berücksichtigt<br />

worden und führt ohne Vorwegnahme<br />

des tatsächlichen Ablaufes auch in<br />

diesem Fall wieder zu berechtigten<br />

Zweifeln an dem Vorgehen der Beamten.<br />

Da sich die Ghanaer nicht geweigert<br />

haben, ihre Ausweise vorzuzeigen,<br />

bestand nach dem Gesetz kein Grund,<br />

sie in Handschellen zu legen und in Haft<br />

zu nehmen. Woher nahm der erste Zivilpolizist<br />

die Berechtigung, Hand an<br />

Oppong zu legen, um zu überprüfen,<br />

ober er eine Waffe oder ähnliches hat, da<br />

Oppong seinen Ausweis vorgezeigt hatte?<br />

Wozu die Brutalität?<br />

„Die Polizeivollzugsbeamten haben die<br />

Voraussetzungen und Grenzen unmittelbaren<br />

Zwanges, wie sie durch Gesetz<br />

und diese Verwaltungsvorschrift<br />

bestimmt sind, genau zu beachten“,<br />

Ein Augenzeugenbericht<br />

Dienstag, der 28. Juni, ist ein heißer<br />

Tag. Unter den Linden der Allee, die<br />

den Herrngarten von Westen nach<br />

Osten quert, ist es angenehm laufen.<br />

Wir kommen aus dem „französischen“<br />

Park und gehen Richtung Frankfurter<br />

Straße. Es ist nach halb acht Uhr. In privates<br />

Gespräch vertieft, bemerken wir<br />

plötzlich zwei Schwarze, die – wohl<br />

vom Teich her kommend – über die<br />

neugepflanzte Buchenhecke springen<br />

und auf ein uns entgegenkommendes<br />

Pärchen zustürzen.<br />

Sie schreien es an, fuchteln vor den<br />

Gesichtern herum. Wir haben null<br />

Bock auf trouble und es geht uns nichts<br />

an. Aber, weil es ein ärgerliches Gefühl<br />

ist, sich einzugestehen, feige zu sein –<br />

und weil wir genug Phantasie haben,<br />

uns vorzustellen, dreißig Meter weiter<br />

wären wir, statt des Pärchens angemacht<br />

worden, gehen wir hin. Das Pärchen,<br />

er um die dreißig, sie etwas jünger,<br />

beide in Shorts wie wir, ist schrittweise<br />

auf dem Rückzug. Wir wollen<br />

wissen, was los ist. Sofort wenden sich<br />

schreibt der Hessische Minister des<br />

Innern vor (VV UZwG Pol) und bezieht<br />

sich auch ausdrücklich auf den Grundsatz<br />

der Verhältnismäßigkeit: „Vor der<br />

Anwendung unmittelbaren Zwanges ist<br />

stets zu prüfen, ob das polizeiliche Ziel<br />

auf dem Wege der Androhung von<br />

Zwangsgeld … erreicht werden kann“.<br />

Doch welches Ziel wollten die Beamten<br />

mit dem brutal gewaltsamem Vorgehen<br />

erreichen? Eine Straftat mußte nicht aufgeklärt<br />

oder einer denkbaren vorgebeugt<br />

werden – ihre Ausweise zu zeigen,<br />

waren die Ghanaer bereit.<br />

„Die Verpflichtung, Verletzten Beistand<br />

zu leisten und ärztliche Hilfe zu verschaffen<br />

… geht vor“, verord<strong>net</strong> der<br />

Innenminister und die Polizisten, statt<br />

dem verletzten Oppong zu helfen, geben<br />

ihrer Ausländerfeindlichkeit offen Ausdruck:<br />

„Go back to africa“.<br />

Schutz vor der Öffentlichkeit<br />

Der Redaktion liegen die Namen der<br />

Beamten zum Teil vor und wir hätten sie<br />

abgedruckt. Doch Oppong und Seidu<br />

wollten nicht, daß sie veröffentlicht<br />

werden, weil Oppongs Rechtsanwalt<br />

Hans Walter Mohrmann, „Nachteile<br />

durch Frontenverhärtung“ fürchtet. In<br />

Juristenkreisen wird von „Hochspielen“<br />

gesprochen, weil in der ZD die Fremdenfeindlichkeit<br />

beim Wort genannt<br />

wurde. Dort denkt man noch immer an<br />

das Aushandeln hinter den Kulissen.<br />

Doch wie sieht das aus? Oppongs Strafantrag<br />

gegen die Beamten geht zur<br />

Staatsanwaltschaft, dort wird eine Stellungnahme<br />

der beteiligten Polizisten<br />

angefordert – bislang gingen solche<br />

Verfahren mit der Einstellung der<br />

Ermittlungen aus. Bislang wurden auch<br />

keine Namen beteiligter Beamter in der<br />

Öffentlichkeit genannt, außer, sie traten<br />

als Zeugen bei Strafverfahren gegen die<br />

Schwarzen auf. Sollen deshalb keine<br />

Namen genannt werden, damit Beamteneifer<br />

möglichst ohne Öffentlichkeit<br />

durch leise Einstellung der Ermittlungen<br />

honoriert werden kann?<br />

Und wir?<br />

Ob auch dieses Mal wieder alle Partei-<br />

PolitikerInnen, der Oberbürgermeister,<br />

der Polizeipräsident, der Regierungspräsident<br />

schweigen werden? Die Staatsanwaltschaft<br />

ihre Ermittlungen einstellt<br />

und Richter aburteilen? Wie lange wollen<br />

wir uns das noch ansehen?<br />

High Noon<br />

Daß unsere PolitikerInnen schweigen,<br />

daß Behörden Akten ablegen, daß<br />

Beamte die Vorhut der Reaktion sind,<br />

daß Schwarze und andere Fremdlinge<br />

Untermenschen sind, daß Menschenrechte<br />

nur für weiße Götter gelten, daß<br />

Mitleiden nicht unsere Sache ist: Bundesrepublik<br />

Deutschland, Darmstadt<br />

heute. Ausländerfeindlichkeit hat in<br />

Darmstadt nichts mit Skins oder<br />

Glatzenträgern zu tun.<br />

Leider kann die ZD über den Prozeß und<br />

die Reaktion der Landesregierung nicht<br />

mehr berichten, auch nicht mehr über<br />

künftige fremdenfeindliche Gesetzesüberschreitungen<br />

Darmstädter Polizisten.<br />

M. Grimm<br />

* Verurteilt hat das Darmstädter Amtsgericht<br />

„Osman Seido“, tatsächlich<br />

heißt er Seidu.<br />

die beiden Farbigen uns zu. Sie sind<br />

aufgeregt und besonders der eine mit<br />

einem Stück Papier in der Hand ist<br />

wütend. Sie ringen mit Worten, gestikulieren.<br />

Wir hören etwas von „überfallen“,<br />

„auf den Boden geworfen“ und<br />

„Polizei“.<br />

Wir glauben, die Situation erkannt zu<br />

haben und bieten an, zur Notrufsäule<br />

zurückzugehen und die Polizei zu<br />

rufen. „Polizei ist da“, sagt einer der<br />

Farbigen und deutet auf das Pärchen.<br />

Richtig, der Mann hat ein Walkie-Talkie<br />

in der Hand und bestätigt auf unsere<br />

Frage, er gehöre zu einer Zivilstreife.<br />

Mittlerweile ist ein dritter Farbiger mit<br />

Fahrrad hinzugekommen. „Look“,<br />

zeigt man uns, daß der junge Mann mit<br />

dem Fahrrad an seiner Hand Verletzungen<br />

hat. Das sei die Polizei gewesen.<br />

Der Mann mit Walkie-Talkie teilt mit,<br />

es habe eine Routinekontrolle gegeben,<br />

der Farbige mit dem Fahrrad habe sich<br />

widersetzt, man habe ihn deshalb gegen<br />

seinen Widerstand durchsuchen müssen.<br />

Das Pärchen hat jetzt Verstärkung<br />

durch drei weitere Kollegen in Zivil<br />

erhalten.<br />

Ausgabe 73 11.7.1994 · Seite 6<br />

Denk-Mal Er soll wieder mehr in das öffentliche Blickfeld rücken, der Reiter vor dem Schloß. Einstmals zurückversetzt, kam<br />

seine Prächtigkeit nicht mehr zu gebührender Geltung. Dem Übel wird abgeholfen – so will es der Magistrat, so wollte es einstmals<br />

der Großherzog. Weiß wer, wer das ist, der da hoch zu Roß in Bronce thront? Großherzog Ludwig IV.<br />

Das Denkmal „zeigt den Fürsten als Kommandeur der hessischen Division im Krieg gegen Frankreich (1870/71)“ – so belehrt<br />

uns das Buch „Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland – Stadt Darmstadt“. Ursprünglich stand es auf einem mit Bäumen,<br />

Beeten und einem Treppenaufgang gestalteten kleinen Platz. sb<br />

„Nicht sparen bei den Armen<br />

– streichen bei den Reichen!“<br />

„PSAG“ über Armut in Darmstadt– Kritik an Parteien<br />

Um Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und<br />

Sozialabbau ging es am dritten Abend<br />

(22.6.) der von der „Psychosozialen<br />

Arbeitsgemeinschaft“ (PSAG) veranstalteten<br />

Diskussionsreihe zum Thema<br />

„Wachsende Armut – auch in Darmstadt?“<br />

In einer Vorankündigung hieß<br />

es, die PSAG wolle herausfinden, „welche<br />

kreativen und phantasievollen Ideen<br />

es bei den hierfür Verantwortlichen gibt,<br />

um zunehmenden sozialen Problemen<br />

mit all ihren oft beklagten Folgewirkungen<br />

angemessen zu begegnen“. Doch<br />

weder Walburga Jung (CDU), Theo<br />

Ludwig (FDP), Ulrich Pakleppa (Grüne),<br />

Harry Neß (SPD) noch Darmstadts<br />

Sozialdezernent Gerd Grünewaldt<br />

(SPD) scheinen über solche zu verfügen.<br />

Da hatte Stefan Gillich von der „Teestube<br />

– Anlaufstelle für alleinstehende<br />

Wohnungslose“ gefordert, die Stadt solle<br />

das „Selbsthilfe-Potential“ von<br />

Obdachlosen „voll ausschöpfen“, da<br />

„der jährliche Verlust von preiswertem<br />

Wohnraum 450 Wohnungen umfaßt“,<br />

sie solle „Grundstücke erwerben, sicherstellen<br />

und Konzepte entwickeln, um<br />

Wohnungslosigkeit zu vermeiden und<br />

Arbeitslosigkeit zu bekämpfen“. Gil-<br />

Allmählich erfahren wir, daß das Fahrrad<br />

Anlaß der Routinekontrolle war.<br />

Der Farbige mit dem Rad zeigt uns mit<br />

zitternden Händen eine Quittung von<br />

„Fahrrad-Brunner“ über 998 Mark. Das<br />

Papier in der Hand des einen Schwarzen<br />

ist eine „Zeitung für Darmstadt“ mit<br />

dem Artikel über den Ghanaer in der<br />

Straßenbahn. Er will, daß die Polizisten<br />

den Artikel lesen. Die wollen oder dürfen<br />

aber nicht. „Ich bin das“, brüllt er.<br />

Wir gehen wieder und wieder dazwischen,<br />

versuchen, die Afrikaner zu<br />

beruhigen und bitten die Polizisten zu<br />

gehen. Natürlich haben die keine Lust,<br />

sich beschimpfen zu lassen, aber können<br />

sie die Aufregung und Empörumg<br />

nicht verstehen? Endlich geht die Polizeigruppe<br />

betont langsam in Richtung<br />

Osten davon, die etwas beruhigten und<br />

leiser schimpfenden Farbigen am Teich<br />

entlang in Richtung Pavillon. Gedauert<br />

haben mag das eine Viertelstunde. Es<br />

ist ja gut, daß die Polizei im Herrngarten<br />

Zivilstreifen einsetzt – aber ob ich,<br />

als Weißer, mit einem neuen Fahrrad<br />

kontrolliert worden wäre?<br />

P.J.Hoffmann<br />

lichs Fazit: „Wir brauchen einen runden<br />

Tisch zur Wohnraumversorung für Einkommensschwache<br />

und normalverdienende<br />

Bevölkerungsgruppen – das heißt<br />

eine ämter- und institutionenübergreifende<br />

Ver<strong>net</strong>zung und Zusammenarbeit<br />

unter Federführung der Stadt“ – denn<br />

Armut und Wohnungslosigkeit sei<br />

immer weniger nur ein Problem der<br />

Randgruppen, sondern immer mehr<br />

erwerbslose Alleinerziehende, Kinder<br />

und Jugendliche seien davon betroffen.<br />

Zwei seiner Forderungen, ein jährlicher<br />

Armutsbericht und die Einrichtung einer<br />

zentralen Wohnungssicherungsstelle,<br />

seit Jahren (u.a. von PSAG und Teestube)<br />

eingeklagt und (von der Stadt)<br />

angekündigt – stellte Grünewaldt in<br />

nahe Aussicht. Zu den anderen Punkten<br />

schwiegen sich die PolitikerInnen aber<br />

aus.<br />

Die „Rasenmäher-Methode“<br />

„Nicht sparen bei den Armen, streichen<br />

bei den Reichen“, empfahl ein Kranichsteiner<br />

Sozialarbeiter und meinte, daß es<br />

diesmal nicht um eine „kurzfristige<br />

Sparfrist“ ginge, sondern um „ganz<br />

grundlegende gesellschaftliche Veränderungen<br />

und Umschichtungsprozesse“,<br />

die die vielzitierte „Zwei-Drittel-Gesellschaft“<br />

immer weiter vorantreiben würde.<br />

Die „Rasenmäher-Methode“, bei der<br />

bei allen etwas gespart würde, sei kein<br />

erfolgversprechendes Konzept, richtete<br />

er an die Adresse des Kämmerers. Jetzt<br />

sei vielmehr eine „grundlegende Korrektur“<br />

der Ausgaben von Nöten, klagte<br />

er eine Suche nach „effektiven und verantwortungsvollen<br />

Sparkonzepten“ ein.<br />

Verständlich, daß auch dazu die PolitikerInnen<br />

schwiegen.<br />

„Rangliste Professionalität“<br />

Harry Neß, der sich an jenem Abend<br />

vorab als Kämmerer präsentieren wollte,<br />

widersprach der „Entsolidarisierung“,<br />

vielmehr leisteten die Kommunen<br />

ein „Solidarisierungs-Projekt“ mit<br />

dem Aufbau der neuen fünf Länder, „wo<br />

wir viel Geld reinzahlen müssen“. Dies<br />

sei eine „Gefahr für die kommunale<br />

Selbstverwaltung. Wir werden Mühe<br />

haben, die Pflichtaufgaben zu lösen“.<br />

Überhaupt gebe es in Darmstadt „ja eine<br />

gute Sozialstruktur“, meinte Neß. „Wir<br />

müssen eine Politik machen, die<br />

bedarfsorientiert, nicht angebotsorientiert<br />

ist“ und „was wir der Sozialverwaltung<br />

aufbürden, werden wir auch anderen<br />

freien Trägern aufbürden müssen“.<br />

Sein Sparkonzept:„Wegstreichen von<br />

Doppelaufgaben“. Wo er streiche, würde<br />

er denn Kämmerer? Da fällt ihm zum<br />

Beispiel „Wildwasser“ ein, jene Gruppe,<br />

die sich um sexuell mißbrauchte Frauen<br />

und Mädchen kümmert, denn „da gibt es<br />

ja schon fünf andere, die dafür Geld kriegen“<br />

– da staunte das Publikum. Auf<br />

Nachfrage fielen ihm denn auch nur zwei<br />

ein, die da seien: „Pro Familia“ und<br />

„Kinderschutzbund“. Auch daß sich fünf<br />

Frauengruppen derzeit in Darmstadt<br />

gemeinsam bemühen, ein Konzept für<br />

eine „Mädchenzuflucht“ aufzustellen, ist<br />

ihm ein Dorn im Auge – da sei eine<br />

„stärkere Ver<strong>net</strong>zung“ gefordert. Er<br />

wünscht sich eine „Rangliste der Professionalität“<br />

freier Träger, nur die besten<br />

soll die Stadt unterstützen.<br />

Auch Grünewaldt ist der Ansicht, daß<br />

bei der „Mädchenzuflucht“ eine „Bündelung<br />

notwendig ist“. Die Wohnungssicherungsstelle<br />

werde „unter dem Dach<br />

der Sozialverwaltung eingerichtet“, kündigte<br />

er an und warb für sich und seine<br />

Stadt, „wir vermeiden heute schon Wohnungslosigkeit<br />

wo es geht“.<br />

„Dumme Arbeitsmarktpolitik“<br />

Die „aktive kommunale Beschäftigungspolitik“<br />

griff DGB-Chef Walter<br />

Hoffmann auf, „die muß politisch<br />

gewollt sein … doch starke politische<br />

Kräfte haben daran kein Interesse“.<br />

Bleibe dies und eine Umverteilung aus,<br />

seien „große Teile der Bevölkerung von<br />

Beschäftigung abgeschnitten – dann ist<br />

diese Gruppe weg vom Fenster“. Zur<br />

Zeit habe das Arbeitsamt Darmstadt,<br />

zuständig für den Kreis Starkenburg, 9<br />

Millionen Mark Bundesmittel für Fortund<br />

Weiterbildung zur Verfügung, die<br />

es aber nicht unterbringen könne, „weil<br />

die Träger kaputt sind“. Dies sei das<br />

„Ergebnis skandalöser Kürzungen,<br />

destruktiver und dummer Arbeitsmarktpolitik“.<br />

Auch dazu schwiegen die PolitikerInnen.<br />

„Wir brauchen eine soziale Friedensbewegung“,<br />

schlug Dekan Kimmel vor,<br />

„die Acht hat, was in der Gesellschaft<br />

geschieht“, und die das Thema Armut<br />

aus der Tabuzone holt.<br />

Allen ein menschenwürdiges Leben<br />

sicherzustellen, vor dieser Aufgabe<br />

kapitulieren die PolitikerInnen. Nicht<br />

nur in Darmstadt, aber auch hier. Offenen<br />

Auges marschiert unsere Gesellschaft<br />

so weiter in Richtung Zwei-Drittel-Gesellschaft<br />

und schließt immer<br />

mehr Menschen aus … Eva Bredow


Wer (PolitikerIn)<br />

wo (bei welchen Unternehmen<br />

der Stadt)<br />

das Sagen hat<br />

Nicht zu Ende führen konnten wir eine langfristig angelegte Recherche über die Vergütungen<br />

der Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder-Posten der städtischen Eigenbetriebe.<br />

Zwar sind uns deren Namen bekannt, doch daraus allein lassen sich keine<br />

Rückschlüsse ziehen. In Köln, wo Professor Scheuch an die gesamten Unterlagen<br />

gekommen war, hatten sich die Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzenden jährliche<br />

Gehälter ab 250.000 Mark (für ein bis drei Sitzungen) bezahlen lassen, in Darmstadt<br />

soll dies angeblich nicht so sein. Da uns ein Einblick in die Buchhaltung und Bilanzen<br />

nicht möglich war, konnten wir das bis heute nicht überprüfen. Lediglich Sitzungsgelder<br />

(bei der HEAG um 300 Mark und zusätzlich einmal 4.000 Mark/Jahr)<br />

und Sitzungsgelder von 200 Mark beim Bauverein, sowie bezahlte Essen und gelegentliche<br />

Reisen, sollen einzige Entgelte sein. Daneben ist bekannt geworden, daß<br />

das Büro unseres ehemaligen Oberbürgermeisters immer wieder mit Notarverträgen<br />

von der Stadt bedacht wurde – letztmals mit der Beurkundung des 70 Millionen-Verkaufs<br />

der HEAG-Hallen, die auch sechsstellige Summen abgeworfen hat.<br />

Die Namen geben Aufschluß über die konzentrierte Machtfülle einiger Herren. Da<br />

die städtischen Töchter – wie bereits mehrfach berichtet – alle ihre Preise ständig in<br />

die Höhe treiben (u.a. durch Verwaltungs-Protzbauten) wissen wir wenigstens, wer<br />

die Verantwortung dafür mitträgt.<br />

Heag-Holding (Beteiligung Stadt, 90,04%):<br />

Aufsichtsrat:<br />

Otto Blöcker (Peter Benz als Nachfolger), Vorsitzender (SPD); Harald Fiedler,<br />

stellv. Vors.;<br />

Herman Blank, Heinz-Peter Gläser, Wolfgang Helfesrieder, Doris Pokorny-Boger;<br />

Walter Schmidt, Stv., (SPD); Hans-Jörg Stein, Stv., (SPD); Heino Swyter, Str.,<br />

(FDP); Eva Ludwig, Str‘in, (CDU); Kurt Reukauf, Waltraud Bornheimer, (Grüne).<br />

HEAG Versorgung, Strom<br />

Aufsichtsrat:<br />

Peter Benz, Vorsitzender, Oberbürgermeister, (SPD); Harald Fiedler, Stellv., N. N.<br />

(Nachfolge Sälzer, CDU), Hermann Blank, Hans-Peter Gläser, Wolfgang Helfesrieder,<br />

Matthias Hohmann, (Grüne); Alfred Jakubek, Bgm.; Roßdorf, Joachim Jüttner;<br />

Monika Lehr, Stve., (SPD); Theodor Ludwig, Stv., (FDP); Dr. Harry Neß, Stv.,<br />

(SPD).<br />

HEAG, Verkehr<br />

Aufsichtsrat:<br />

Horst Knechtel, Vorsitzender, Stv., (SPD);<br />

Harald Fiedler, Stellv.; Georg Röder, Stellv., Stv., (CDU), Ralf Arnemann, Stv.,<br />

(FDP); Rosemarie Glowinka, Stve., (SPD); Richard Lichtenstein, (Grüne); Eva Ludwig,<br />

Str‘in, (CDU); Gert Müller, Stv., (SPD); Norbert Thomas; Reinhold Trautmann;<br />

Klaus Wieland, Stv., (SPD); Manfred Bopp.<br />

Vorstand:<br />

Dr. Siegfried Bittner, Horst Blechschmidt (SPD).<br />

Bauverein AG (Beteiligung Stadt, 100%)<br />

Aufsichtsrat:<br />

Peter Benz, Vorsitzender, Oberbürgermeister, (SPD); Bernd Ellwanger, (CDU);<br />

Gerd Grünewaldt, (SPD); Hans-Werner Erb, Stv., (SPD); Dieter Hübner, Stv.<br />

(SPD); Günter Mayer, Stv., (Grüne); Hans Amend, (CDU); Dieter Balzer, Stv.,<br />

(FDP); Werner Bellinger; Werner Klinger; Peter Jung; Frau Marklowski<br />

Vorstand:<br />

Dr. Wolfgang Rösch, (CDU); Franz Volkers, Stv., (SPD); Daniela Wagner, Stve.,<br />

(Grüne).<br />

Stadt- und Kreissparkasse Darmstadt<br />

(3/5 Gewährsträgerschaft Stadt, 2/5 Landkreis Da-Di)<br />

Verwaltungsrat:<br />

Peter Benz, Vorsitzender, Oberbürgermeister, (SPD); Dr. Hans-Joachim Klein,<br />

Landrat, Stellv., (SPD); Otto Blöcker, Kämmerer, (SPD); Gert Blumenstock, (Grüne);<br />

Eike Ebert, Stv., (SPD); Peter J. Netuschil, (FDP); Bernd Hartmann, Bgm.,<br />

Ober-Ramstadt; Karin Wolff, Stv., (CDU); Gerhard Zeizinger, (Grüne); Günter<br />

Kaupmann; Petra Klink; Hartmut Meretz; Helmut Diebitsch; Renate Rothermel.<br />

Vorstand:<br />

Jürgen Güde, Vorsitzender; Johann Haberhauer; Otfried Uhl.<br />

Südhessische Gas und Wasser AG<br />

(Beteiligung Stadt, 66,45%):<br />

Aufsichtsrat:<br />

Eike Ebert, Vorsitzender Stv., (SPD);<br />

Peter Kalischer, 1. Stellv.,<br />

Horst Herbert, 2. Stellv.;<br />

Gerhard 0. Pfeffermann, 3. Stellv., Stv., (CDU);<br />

Peter Dengler; Claudia Husek; Dr. Hans-Joachim Klein, Landrat, (SPD); Horst<br />

Knechtel, Stv., (SPD); Ilse Lücker, Prof. Dr. Peter Marcus; Dr. Dierk Molter, Stv.,<br />

(FDP); Michael Siebert, Bgm., (Grüne).<br />

Sachverständige und Auskunftspersonen:<br />

Otto Blöcker, Kämmerer, (SPD); Fritz Glenz, Str., (SPD); Eva Ludwig, Str’in.,<br />

(CDU); Peter J. Netuschil, (FDP); Herbert Reißer, (CDU), Dr. Horst Seffrin; Ernst<br />

Graner.<br />

Vorstand:<br />

Heinz Kern, Vorsitzender; Rainer Gengelbach, Hans-Georg Schimpf.<br />

Die Liste ist nicht vollständig, denn es gibt noch mehr Unternehmen, in denen die<br />

Damen und Herren der Politik bestimmen, was wie zu geschehen hat. Die Liste der<br />

anderen Eigenbetriebe: Gernsheimer Hafenbetriebs GmbH (16%); HEGEMAG,<br />

Wohnungsbaugesellschaft (10,18%); Nassauisches Heim (0,53%); Nassauische<br />

Heimstätte (0,833%); Betriebsgesellschaft GmbH (100%); Deutsche Städtereklame<br />

(2%); Institut Wohnen und Umwelt (40%); Orgabo GmbH (74%); Gesellschaft für<br />

City-Entwicklung (25%).<br />

Was an weiteren Posten und Einnahmequellen bei Verbänden wie der ZAS, des<br />

RMV beispielsweise besteht, darüber liegen uns keine Informationen vor. mg<br />

Zum Ärger vieler FußgängerInnen parken (wie hier in der Goebelstraße am Hauptbahnhof)<br />

Autos auch noch so auf Gehwegen, daß daran nur schwer vorbeizukommen<br />

ist. Gerade an dieser Stelle beobachtet ein Leser seit mehr als zwei Jahren die<br />

immer gleichen Fahrzeuge, klemmte erst bittende Aufforderungen hinter die Scheibenwischer,<br />

dann die Fuße des „Bundes der Fußgänger“ und das kontinuierlich und<br />

erfolglos. Keiner schert sich daran, der Abstellplatz für die Blechkarosse geht vor.<br />

Der Leser meint, da helfen dann wohl nur Absperrungen wie Metallstäbe oder<br />

Betonklötze. Tip der Redaktion: Über die Autos drüber laufen. (sb, Foto HS)<br />

Ein Kontaktladen fehlt<br />

Sozialausschuß hört Fachleute<br />

zum Thema „Drogen in Darmstadt“<br />

Ein Jahr ist die Koalitionsvereinbarung<br />

zwischen SPD und Grünen alt. Darin ist<br />

festgeschrieben, einen Kontaktladen für<br />

Süchtige in Darmstadt einzurichten.<br />

Derzeit beschäftigt sich ein Arbeitskreis<br />

damit, ein Konzept zu erarbeiten. Als<br />

ein „Pilotprojekt: Befragung der Fachkompetenz“<br />

wollte Harry Neß (SPD) die<br />

Sozialausschuß-Sitzung am 28. 6. verstanden<br />

wissen, dem er vorsitzt. Geladen<br />

waren VertreterInnen der Drogenberatungsstelle,<br />

des Gesundheitsamtes,<br />

der Aids-Hilfe, der Suchtberatungsstelle<br />

der Caritas, des Staatlichen Schulamtes,<br />

des Stadtelternbeirates, des Drogenkommissariats<br />

und zwei Ärzte.<br />

Die Forderungen unterschieden sich nur<br />

unwesentlich voneinander: Alle stellten<br />

fest, daß in Darmstadt ein Kontaktladen<br />

dringend erforderlich ist, in dem Süchtige<br />

Spritzen und Kondome bekommen,<br />

ärztliche und juristische Betreuung, wo<br />

sie duschen und Wäsche waschen können,<br />

kurz einen Ort aufsuchen können,<br />

ohne daß sie eine Verpflichtung eingehen.<br />

Gedacht als reines Hilfsangebot:<br />

Ohne Therapie-Auflage oder der Pflicht,<br />

zu Ersatzdrogen wie Methadon oder<br />

Polamidon zu greifen.<br />

Dieser Kontaktladen, so propagiert vor<br />

allem die Aids-Hilfe, müsse auch Zimmer<br />

für aidskranke, obdachlose Süchtige<br />

bereitstellen. Im Jahr erhält die Aids-<br />

Hilfe Darmstadt 20 bis 30 Anfragen von<br />

Krankenhäusern, die obdachlose, an<br />

Aids erkrankte Drogensüchtige entlassen<br />

wollen, aber nicht wissen wohin.<br />

„Wir haben auch schon 24-Stunden-<br />

Pflege in Hotels gewährleistet“, erzählte<br />

eine Mitarbeiterin.<br />

Für Drogenabhängige (auch Alkoholiker)<br />

gibt es keine Arbeitsprojekte, keine<br />

Notschlafstellen, keine Nachsorge-<br />

Wohngemeinschaften und in Darmstadt<br />

fehlen Therapiemöglichkeiten. Einzig<br />

im Elisabethen-Stift stehen ein paar Betten<br />

zum sogenannten kalten Entzug<br />

bereit – d.h. die Patienten werden medikamentös<br />

behandelt und dann entlassen.<br />

Einzige Ausweiche ist das Krankenhaus<br />

in Heppenheim, doch dort sind drei- bis<br />

sechsmonatige Wartezeiten auf ein freies<br />

Bett in Kauf zu nehmen. Diese Zeit,<br />

so die Fachleute, ist für aussteigewillige<br />

Drogensüchtige viel zu lang.<br />

Dr. Johannes Raida ist einer der wenigen<br />

Ärzte in Darmstadt, die Heroinsüchtige<br />

mit Ersatzstoffen substituieren –<br />

200 Patienten versorgt er nach eigenen<br />

Angaben, täglich würden zwei bis drei<br />

bei ihm anrufen, die er aber ablehnen<br />

müßte. Er sprach von 800 bis 1.000<br />

Süchtigen in Darmstadt. Frankfurt habe<br />

etwa 8.000 Süchtige und biete 16 Kontaktläden<br />

an, so daß es für Darmstadt<br />

höchste Zeit wäre, wenigstens einen zu<br />

eröffnen.<br />

Sozialamtsleiterin Dr. Wilma Mohr<br />

wollte von Raida wissen, warum es in<br />

Darmstadt so schwierig sei, Ärzte zu<br />

finden, die bereit sind, zu substituieren.<br />

Seine Antwort: „Wir werden von allen<br />

Strukturen geprügelt, von Patienten,<br />

anfänglich auch von der Polizei, und<br />

ohne Rückendeckung von den Politiker-<br />

Innen“. Seine Forderung: „Alle gesellschaftlich<br />

relevanten Kräfte müssen<br />

zusammenarbeiten zum Wohle der Patienten.“<br />

Er und sein Kollege Dr. Prinz regten an,<br />

ähnlich wie in Frankfurt, einen Zusammenschluß<br />

der Ärzte in einer Ambulanz<br />

zu erreichen. Doch heute, so Prinz, sind<br />

die „Ärzte in Darmstadt wenig konsensfähig“.<br />

Er spricht davon, daß derzeit erst die<br />

Spitze des Eisberges zu sehen sei. Seine<br />

jüngste Patientin sei 14. Sie habe ihm<br />

erzählt, sie wolle nur mit Heroin aufhören,<br />

LSD, Kokain und Amphetamine<br />

aber weiter einnehmen. „Heute konsumieren<br />

die jungen Leute wahllos alle<br />

Drogen, je nach Gelegenheit und Laune.“<br />

Ein FH-Professor für Sozialpädagogik<br />

will herausgefunden haben,<br />

daß 5 Prozent der elf- bis zwanzigjährigen<br />

Kokain und Amphetamine (vor<br />

allem Speed) einnehmen.<br />

Sozialdezernent Gerd Grünewaldt<br />

(SPD) resümmierte: „Mit zwei bis drei<br />

Räumen ist es nicht getan … Die Koalitionsvereinbarung<br />

wird mit einem<br />

erheblichen finanziellen Aufwand verbunden<br />

sein.“ vro<br />

Anzeige<br />

Was bringt die<br />

neue Pflegeversicherung?<br />

Leeren Wohnraum<br />

melden<br />

Das Darmstädter Frauenbüro bittet alle<br />

BürgerInnen um aktive Unterstützung<br />

bei der Suche nach leerstehenden Häusern<br />

und Wohnungen. Wer von nicht<br />

genutzten Quadratmetern Kenntnis hat,<br />

sollte schnellstmöglich an das Frauenbüro<br />

in der Luisenstraße 12 unter der<br />

Telefonnummer 132340 Nachricht<br />

geben. red.<br />

Ausgabe 73 11.7.1994 · Seite 7<br />

„Für meine<br />

Vaterstadt“<br />

OB schlägt Millionen-<br />

Geschenk aus (wir habens ja)<br />

Jede/r in Darmstadt kennt es, das häßliche<br />

Hochhaus Ecke Heidelberger-<br />

/Eschollbrückerstraße. Manche fürchteten<br />

den Gang dorthin, war darin unter<br />

anderen doch bis zum Neubau des<br />

Finanzamtes die Steuerfahndungsstelle<br />

untergebracht. Der Eigentümer, Christian<br />

Erich Nold (Kohlen- und Heizöl-<br />

Handlung), ist bekannt und gefürchtet<br />

vor allem bei Aktionärsversammlungen<br />

in vielen Groß-Unternehmen der<br />

Bundesrepublik (Siemens, BMW,<br />

BASF, um nur einige zu nennen), gilt<br />

er doch als streitbarer Mann, wenn es<br />

um die Interessen von Kleinaktionären<br />

geht.<br />

Sein Hochhaus will Nold schon lange<br />

veräußern, doch bislang fand sich kein<br />

Interessent. Vor einem Jahr ist die<br />

Steuerfahndung ausgezogen und der<br />

Bau steht leer.<br />

Normalerweise würde dies die Öffentlichkeit<br />

nicht interessieren, doch Nold<br />

brachte einen interessanten Vorschlag<br />

ein: Er hat der Stadt offeriert, ihre<br />

Ämter aus der Luisenstraße (wg<br />

HEAG-Hallen Baubeginn im September)<br />

für zwei Jahre kostenlos unterzubringen,<br />

wollte darüber hinaus eine<br />

Stiftung gründen, die einen vermögensrechtlichen<br />

Übertrag des Hochhauses<br />

zum Inhalt haben sollte – auf<br />

deutsch: Ein Geschenk.<br />

Die Behörden sahen sich das Hochhaus<br />

an und was jahrelang unbeanstandet<br />

genutzt wurde und noch wird, hatte auf<br />

einmal brandschutzbedingte Mängel.<br />

Eine Liste der Bauaufsicht wurde Nold<br />

mit der Aufforderung zugestellt, die<br />

Mängel beseitigen zu lassen und sein<br />

großzügiges Geschenk zeitgleich abgelehnt.<br />

Das öffentliche Lamentieren der<br />

Politiker über leere Kassen steht in<br />

krassem Widerspruch, denn hier geht<br />

es um Millionen. Warum lehnen sie ein<br />

solches Angebot ab?<br />

Die Zeit war zu kurz, um zu recherchieren,<br />

ob und wer welche Interesse verfolgt.<br />

Es wäre beispielsweise denkbar,<br />

daß der Vermieter der Havelstraße 16,<br />

wo ein Teil der Ämter gegen Miete<br />

untergebracht wird, irgendwem irgendetwas<br />

versprochen hat – doch das ist<br />

nur Spekulation.<br />

Auch persönliche Gründe wechselseitiger<br />

Ablehnungen könnten im Spiel<br />

sein. Nold kann Ebert nicht ab – „der<br />

hat mal einen meiner Schecks platzen<br />

lassen“ und nimmt auch kein Blatt vor<br />

den Mund, wenn es um den Ärger geht,<br />

der ihm seitens der Behörden bereitet<br />

wird. Ob es mal Friedhofsgebühren<br />

sind, um die er streitet, weil sein Familiengrab<br />

unter Denkmalschutz gestellt<br />

und für ihn nicht nutzbar ist oder ob es<br />

Bauanträge für seine Anwesen in der<br />

Landgraf-Philipps-Anlage sind –<br />

„immer nur Ärger mit den Behörden“<br />

(Nold). Doch das will er nicht: „Ich<br />

möchte im guten Einvernehmen<br />

leben“, erklärt er und will die Vergangenheit<br />

zudecken: „Das ist meine<br />

Vaterstadt“.<br />

Nold ein Wohltäter für die Stadt? Eine<br />

Gegenleistung fordert er dafür von der<br />

Stadt, im Sinne friedlicher Übereinkunft:<br />

„Daß sie dafür sorgen, daß ich<br />

nicht mehr mit sog. Auflagen Ihrer<br />

städt. Bauverwaltung, die m. E. fast<br />

hundertprozentig entweder schildbürgerstreichhaften<br />

oder gar schikanösen<br />

Charakter beinhalten, belastet werde“.<br />

Auch darüber diskutierten die Stadtverord<strong>net</strong>en<br />

am 7.7. nicht; die Verwaltung<br />

behält sich solche Entscheidungen<br />

vor – mit welchem Recht? Nold wurde<br />

stattdessen im „Echo“, dem SPD-<br />

Sprachrohr, angegriffen: Das Hochhaus<br />

sei mit Asbest belastet. „Das ist<br />

eine Verleumdung, eine geschäftsschädigende<br />

Äußerung. Mein Anwalt ist<br />

beauftragt, dagegen vorzugehen“, kündigt<br />

Nold an. Kommentar des Echo-<br />

Lokalchefs Staat: „Von dem würde ich<br />

keinen Knopf geschenkt nehmen“.<br />

Nold sieht sich öffentlich verleumdet<br />

und verunglimpft, und da im Zusammenhang<br />

mit seinem Haus auch<br />

Begriffe wie verlottert und ähnliches<br />

fielen, stellt er Überlegungen an, das<br />

Haus zu verschönern: „Ein Hundertwasser<br />

müßte es bemalen“, sinniert er<br />

laut und sucht nach weiteren Ideen. mg


Der General (Seubert)<br />

wälte beklagen, daß ihnen die Informationen<br />

fehlen. Somit liegt es an der Bevölkerung,<br />

ob sie auch weiterhin die Täter deckt<br />

oder ihnen endlich das schmutzige Handwerk<br />

legt.<br />

Ein Polizist protokolliert nichts<br />

Im Februar und März zählten wir mehr als<br />

40 Anrufe, die bestätigten, die Täter sitzen<br />

sehr wohl in der Stadt und den umliegenden<br />

Gemeinden. Wann immer wir jedoch<br />

Genaueres wissen wollten, wie Vor- und<br />

Nachnamen, Straße u.s.w., herrschte<br />

Schweigen. Nur Jugendliche waren bereit,<br />

mehr zu erzählen, denn sie kennen die<br />

Rechtsradikalen, die es laut Seubert und<br />

seiner besseren Gesellschaft nicht gibt:<br />

Wen wunderts, sitzt doch im Parlament die<br />

Mutter eines der Rädelsführer, ein anderer<br />

rechtsorientierter Verwandter ist gar Stadtverord<strong>net</strong>er<br />

und ein dritter in der Stadtverwaltung<br />

beschäftigt (die Namen sind der<br />

Redaktion und den Behörden bekannt).<br />

Das Rätsel, warum von der Polizei in Groß-<br />

Bieberau nichts gegen die allgemein<br />

bekannten Rechtsradikalen unternommen<br />

wurde, löste sich sehr schnell: Der ermittelnde<br />

Polizist, Mitglied eines Roßdörfer<br />

Schäferhundevereins, dem der Ruf vorausgeht,<br />

rechte Mitglieder zu sammeln, versäumte,<br />

Protokolle über seine Vernehmungen<br />

zu führen.<br />

Eine heiße Spur<br />

Das hatte mehrerlei Folgen: Der Polizei war<br />

der Tip für eine heiße Spur gegeben worden.<br />

In dem Nachbarort Reinheim, in der<br />

Wilhelmstraße – war dem Beamten mitgeteilt<br />

worden – seien in einem Keller, neben<br />

Orden aus der NS-Zeit und Hitlerbildern,<br />

auch nicht registrierte Schußwaffen zu finden.<br />

Nicht nur, daß in den Polizei-Akten<br />

kein Vermerk darüber steht, wurde die<br />

und sein<br />

Freund (Schieck)<br />

Groß-Bieberaus Bürgermeister und Polizei wollen keine Kenntnis<br />

über Rechtsradikale haben –<br />

Filz: Kommunalaufsicht bestätigt Gesetzesbruch<br />

Die Freunde Werner Seubert (der General) und sein Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher Anton Weiher (beide CDU) kennen<br />

keine Hemmungen, wenn es darum geht, ihre Geschäfte in die eigenen Taschen vor dem Parlament zu verbergen.<br />

Weiher nutzt sein Amt, um parlamentarische Initiativen abzublocken, das wundert nicht, denn seiner Familie konnte<br />

er ein billiges Grundstück , noch dazu in bester Lage und in Nähe seines Generals, zuschanzen. Alle Proteste der<br />

Stadtverord<strong>net</strong>en prallten an ihm ab, Falschauskünfte waren an der Tagesordnung. Der andere Freund des Generals,<br />

„Echo“-Redakteur Schieck, sorgt für Verunglimpfung der Stadtverord<strong>net</strong>en und führt der Öffentlichkeit (siehe<br />

Bild) die heile Welt vor, liegt ihm doch an Sympathie-Werbung. Das Foto ist dem „Echo“ entnommen, um auch<br />

einen bildhaften Eindruck von der PR-Berichterstattung zu geben. mg<br />

Viel Aufsehen hatte unsere Berichterstattung<br />

im Januar und Februar über CDU-<br />

Filz und Rechtsextremismus in der Odenwaldgemeinde<br />

Groß-Bieberau erregt. Im<br />

Zuge der Recherchen wegen mehrfacher<br />

Mordversuche, Schüsse auf Container und<br />

Schulen, in denen Flüchtlinge untergebracht<br />

waren, stießen wir auf die vorteilnehmenden<br />

Geschäfte des CDU-Bürgermeisters<br />

Werner Seubert und konnten folgenlos<br />

(ohne Gegendarstellungs- oder<br />

Widerrufbegehren, auch ohne Strafanzeigen)<br />

berichten, daß und wie der „General“ ,<br />

so sein Spitzname, in die eigene Tasche<br />

wirtschaftete – bis hin zum Griff in die<br />

Gemeindekasse.<br />

Noch mehr Mordanschläge<br />

Dieses Recherche-Ergebnis war aber mehr<br />

Nebenprodukt, denn wir wollten eigentlich<br />

wissen, wieso können in dem 4.000-Seelen-Nest<br />

immer wieder und ungehindert<br />

Anschläge auf Flüchtlinge ausgeführt werden<br />

– eigentlich müßte doch jede/r in der<br />

Stadt wissen, wer hinter den Anschlägen<br />

steckt. Im Zuge der Recherchen stießen wir<br />

darauf, daß nicht etwa nur auf die Container,<br />

in denen Flüchtlinge eingepfercht sind,<br />

geschossen worden war (31.8.92), sondern<br />

im Sommer des Jahres zuvor bereits<br />

zweimal auf Schulen, einmal knapp an dem<br />

Kopf einer Jugoslawin vorbei – beim Treffen<br />

eines Asylarbeitskreises mehrerer Frauen,<br />

die sich um die Flüchtlinge kümmern.<br />

Der oder die Täter mußten Orts- und Zeitkenntnisse<br />

besitzen. Bürgermeister Seubert<br />

hingegen behauptete immer wieder,<br />

die Täter stammten nicht aus seiner<br />

Gemeinde. Dort Ansässige wußten wiederum<br />

anderes. Die Darmstädter Staatsanwaltschaft<br />

hat erklärt, Anklage wegen Mordversuches<br />

zu erheben, sowie eindeutige Hinweise<br />

auf die Täter eingehen. Die Staatsan-<br />

Schülerin, die die Informationen gegeben<br />

hatte, in der Folge bedroht, verprügelt und<br />

massiv eingeschüchtert – heute sagt sie<br />

nichts mehr. Woher wußten die Rechten<br />

von ihrer Aussage?<br />

Sieg-Heil-Gebrüll<br />

Die Angst grassiert überall, die meisten, vor<br />

allem Jüngeren, trauen sich nicht, etwas zu<br />

sagen. InformantInnen möchten namentlich<br />

nicht in Erscheinung treten, weil sie<br />

wohl berechtigt fürchten, selbst Opfer der<br />

rechten Gewalttäter zu werden – ihr Vertrauen<br />

in die Polizei ist erschüttert. Daran<br />

ändern auch regelmäßige Patrouillen der<br />

Ordnungshüter nichts, die auf Anweisung<br />

der Darmstädter Staatsanwaltschaft beobachten<br />

sollen. Die Rechten stören sich nicht<br />

daran: Am 1. Mai ziehen in Rodau das<br />

Horst-Wessel-Lied singende Rechte durch<br />

den Ort, Sieg-Heil-Geschrei gehört auch<br />

dazu. Selbstverständlich weiß niemand der<br />

400 EinwohnerInnen etwas darüber und<br />

Bürgermeister Seubert, so er gefragt würde,<br />

hätte nur die Antwort parat: Die sind<br />

nicht aus unserer Stadt. Sein „Echo“-<br />

Freund Schieck meldet solche Vorkommnisse<br />

nicht.<br />

Die bürgerliche Mitte<br />

„Das ist doch nur von der Presse hoch<br />

gespielt“, begeg<strong>net</strong>en viele, vor allem Ältere,<br />

den Berichten der ZD über die rechten<br />

Aktivitäten, verkennend, daß wir lediglich<br />

berichteten, was sich abspielt. Wo verläuft<br />

die Grenze zwischen Bequemlichkeit,<br />

Untätigkeit und Sympathie? Nicht nur, daß<br />

die Zahl der rechtsextremen Anschläge<br />

immer mehr zunimmt, läßt sich auch der<br />

Nachweis führen: die Täter finden Deckung<br />

und Unterstützung in der sogenannten bürgerlichen<br />

Mitte. Rechtes Gedankengut<br />

zeugt rechtsextreme Täter, sie sind keine<br />

Außenseiter, sie sind Kinder und haben<br />

Eltern, die eine „saubere und ordentliche“<br />

Stadt haben wollen, hinter ihrem privaten<br />

Vermögen her sind und die Saat für rechte<br />

Gewalt legen. Dabei handelt es sich jedoch<br />

keineswegs um eine breite Mehrheit, im<br />

Gegenteil: Die rechtsextremen Jugendlichen<br />

lassen sich ebenso wie die vorteilnehmenden<br />

PolitikerInnen noch an den Fingern<br />

abzählen – acht sind uns namentlich von<br />

mehreren InformantInnen genannt worden<br />

(auch die Behörden sind informiert). Es<br />

werden Verbindungen zwischen den<br />

rechtsradikalen Aktivitäten in Groß-Bieberau<br />

und Seeheim-Jugenheim, wo auch<br />

schon mehrere Anschläge zu verzeichnen<br />

waren, hergestellt – nicht von der Polizei,<br />

von Jugendlichen – auch nicht von „Echo“-<br />

Redakteur Schieck: Er recherchiert nicht<br />

und verschweigt, schreibend wird er dann<br />

tätig, wenn es gilt, für seinen Freund Seubert<br />

in der Öffentlichkeit eine Lanze zu brechen.<br />

NSDAP-Parteibuch unter 100<br />

Namen von Älteren, Rechts-Aktiven, werden<br />

nicht genannt, lediglich, daß sich der<br />

ehemalige Inhaber der Brauerei Schönberger<br />

öffentlich damit rühmte, ein NSDAP-<br />

Parteibuch unter der Nummer 100 gehabt<br />

zu haben. Über alle anderen breitet sich das<br />

Schweigen aus. Interessant dabei ist, daß<br />

General Seubert beste Beziehungen zu dem<br />

Erben pflegt, der durch seines, des Generals<br />

Gnaden, enorme Gelder einsparen darf,<br />

weil er trotz hoher Belastung der Abwässer<br />

keine höheren Gebühren (sogenannte<br />

Schwerverschmutzer-Abgabe) zu entrichten<br />

braucht – von mehreren Hunderttausend<br />

Mark ist die Rede – das zu überprüfen,<br />

ist jedoch Sache der Kontrollbehörden.<br />

Bereits 1991 hatte die Kommunalaufsicht<br />

die Begünstigung festgestellt und die<br />

Gemeinde aufgefordert, künftig für Überprüfung<br />

und korrekte Abrechnung zu sorgen<br />

– doch geändert hat sich nichts. Beste<br />

Freundschaft soll „Echo“-Redakteur<br />

Schieck und Seubert verbinden: Der Schreiber<br />

wider bessere Er- und ohne Kenntnis<br />

der Groß-Bieberauer Vorgänge und Reserveoffizier<br />

Seubert treffen sich zu privatem<br />

Austausch des öfteren, was viele parteiische<br />

Falschberichte des „Echo“ plausibel<br />

macht. Die Tatsache, daß auch Chefredakteur<br />

Roland Hof („Echo“) Reserveoffizier<br />

ist, könnte auf weitere Verbindungslinien<br />

schließen lassen.<br />

Viele InformantInnen<br />

Nachdem wir die Verbindung zwischen den<br />

vorteilnehmenden Politikern und den Rechten<br />

angedeutet hatten, war vielen im Ort ein<br />

Licht aufgegangen – sie stellten selbst<br />

immer neue Verbindungen her. Die Informationen<br />

wurden schließlich so dicht, daß<br />

wir längst nicht mehr über alles berichten<br />

können. Während noch die Politiker über<br />

eine „Rufmordkampagne“ lamentierten<br />

(vom „Echo“ öffentlich unterstützt), riefen<br />

Ärzte, Juristen, Professoren, Architekten,<br />

städtische Bedienstete und Parteimitglieder<br />

aller Fraktionen (außer der CDU) an, gaben<br />

ihre Beobachtungen und Kenntnisse weiter.<br />

Das Bild über die Rechte setzte sich wie ein<br />

Puzzlespiel Stück für Stück immer weiter<br />

zusammen – doch damit war es schlagartig<br />

vorbei, als Bürgermeister Seubert nach<br />

einem Kur-Aufenthalt im April zurückkam.<br />

Gleich, bei wem wir anriefen, niemand wollte<br />

überhaupt noch irgendetwas wissen. Vor<br />

allem die SPDler schwiegen, zugesagte<br />

Auskünfte wurden nicht mehr erteilt, nachdem<br />

Seubert öffentlich Andeutungen darüber<br />

gemacht hatte, daß ein SPD-Mitglied<br />

selber Vorteile aus den Grundstücksschiebereien<br />

gezogen hätte – etwas scheint daran<br />

zu sein, wie das Schweigen zeigt.<br />

Kommunal-Aufsicht:<br />

Gesetzesverstoß<br />

Da mit der ZD-Berichterstattung Steine ins<br />

Rollen gekommen waren, ließ Seubert<br />

sogar einen (beschränkten) Akteneinsichtsausschuß<br />

am 21.3. zu, doch nur, um seinen<br />

Freund Schieck im „Echo“ hernach verbreiten<br />

zu lassen, „Der Bürgermeister ist …<br />

entlastet“. Den Stadtverord<strong>net</strong>en untersagte<br />

Seubert, Notizen zu machen, denn die<br />

Bewerberlisten für die Grundstücke – Filz-<br />

Zentrale in dem Nest – lagen auch vor und<br />

hätten genauere Beweise erbringen können.<br />

Ebenso verhinderte der General ein<br />

Protokoll.<br />

Nach vielen Anfragen bei der Kommunalaufsicht<br />

im Landratsamt und einer förmlichen<br />

Beschwerde am 25.3.94 unter Berufung<br />

auf die ZD-Berichte, ging am 21.6.<br />

endlich eine Antwort ein: Bei der Grundstücksvergabe<br />

und den parlamentarischen<br />

Entscheidungen im Baugebiet Ober-Ramstädter-Weg<br />

(in dem Seubert selbst gebaut<br />

hat) stellt die Behörde fest, ist gegen die<br />

Hessische Gemeindeordnung verstoßen<br />

worden – Schieck enthält dies seiner Leserschaft<br />

wieder vor. Darin wird bestätigt,<br />

worüber in der ZD Ausgabe 62 berichtet<br />

worden war: Der General hatte selbstherrlich<br />

zu seinen eigenen Gunsten (und nicht<br />

nur er, auch seine CDU-Magistratsmitglieder)<br />

mitentschieden. Da die Kommunalaufsicht<br />

den General lediglich „bittet“, künftig<br />

„der Beachtung des“ Gesetzes „die notwendige<br />

Aufmerksamkeit zu widmen“, ist jetzt<br />

die nächste Behörde mit dem Vorgang<br />

befaßt, der Regierungspräsident nach Auskunft<br />

des Pressesprechers Ohl.<br />

Für Seubert und seine Parteifreunde<br />

bestimmen neue Schiebegeschäfte den Alltag,<br />

das hat er von seinem Vorbild Franz-<br />

Josef-Strauß gelernt, dessen Bild sein<br />

Arbeitszimmer schmückt, und es geht wie<br />

immer um Grundstücke, Grundstückspreise<br />

und Bauaufträge (von und für Freunde).<br />

Währenddessen werden die rechten Täter<br />

immer dreister. Von der Polizei stammte<br />

eine Meldung, die merkwürdigerweise später<br />

nicht mehr bestätigt und jede weitere<br />

Auskunft verweigert wurde.<br />

Mißglücktes Lynchen<br />

„Der Strick war schon geknüpft und die<br />

Schlinge um den Baum gelegt“, begann der<br />

Polizeibericht, „ein Mann auf der Flucht,<br />

zahlreiche Bürger hinter ihm her, schließlich<br />

Rettung durch die Polizei.“ Dieses<br />

Szenario stammt nicht aus einem Film.<br />

Drehbuch war die Realität – in Groß-Bieberau.<br />

Am 27.4. bemerkte eine Frau, wie ein<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 8<br />

Streifenwagen der Polizei durch die Weinbergstraße<br />

fuhr und sich gleichzeitig ein<br />

Mann hinter einem Papiercontainer versteckte.<br />

Als die Streife außer Sicht war, kam<br />

er wieder hervor, schaute sich ängstlich<br />

nach allen Seiten um und lief schnell weg.<br />

Dies berichtete sie der Polizei, die mit zwei<br />

Streifenwagen den Unbekannten suchten<br />

und ihn aufgrund der Beschreibung auch<br />

schnell fand. „Es stellte sich Überraschendes<br />

heraus“, berichtet die Polizei. Der<br />

Mann, 25 Jahre alt, aus Rodau „war auf der<br />

Flucht vor zahlreichen aufgebrachten Bürgern,<br />

von denen er annahm, daß sie ihn lynchen<br />

wollten. Die Schlinge war bereits an<br />

einen Baum geknüpft“ – „Nach Wild-West-<br />

Manier“ kommentierte der Polizeisprecher.<br />

Wütende Menge<br />

Nach den ersten Recherchen der Polizei<br />

hatte sich der Verfolgte als Versicherungsvertreter<br />

ausgegeben und zahlreiche Bürger<br />

mit Verträgen zu prellen versucht – so die<br />

Auskunft der Lynch-Wütigen. Außerdem<br />

habe er in betrügerischer Absicht auf fremde<br />

Namen Waren auf Rechnung bestellt.<br />

„Zu seinem Schutz wurde der 25jährige<br />

zunächst einmal zur Polizeistation<br />

gebracht. Nach einiger Zeit konnte er dann<br />

seines Weges gehen, was ihm offensichtlich<br />

schwer fiel, da er panische Angst vor<br />

seinen Mitbürgern hatte. Minuten später<br />

erschien dann auch wieder die wütende<br />

Menge. Der Polizei gelang es, die aufgebrachten<br />

Leute zu beruhigen und zur<br />

Besonnenheit zu ermahnen. Die Ermittlungen<br />

sind noch nicht abgeschlossen“, endet<br />

die Polizeimeldung. Danach war nur noch<br />

zu erfahren, es ist keine Strafanzeige eingegangen<br />

von jemandem, der betrogen worden<br />

ist. In Groß-Bieberau wollte niemand<br />

mehr etwas von einem Lynchversuch<br />

gehört haben und die Polizei dementierte<br />

die eigene Meldung. Allerdings bestätigte<br />

die Frau, von der die Polizei informiert worden<br />

war, den Hergang, schränkte aber ein:<br />

„Spielen sie das ja nicht so hoch, es ist<br />

doch eigentlich gar nichts passiert“. Eine<br />

ältere Groß-Bieberauerin meinte gar: „Bei<br />

uns ist es noch nicht so lange her, mit der<br />

Lynchjustiz“ – genaueres mochte sie nicht<br />

erzählen. Wer bei dem Lynchtrupp dabei<br />

war, mal war von 8, mal von 30 Beteiligten<br />

die Rede – darüber schweigen sich alle aus,<br />

Namen fallen selbstverständlich auch nicht.<br />

Der General regiert<br />

Mit harter Hand regiert Seubert, gerade<br />

gegenüber Frauen legt er obwohl wie er<br />

selbst ironisch anmerkte, er die Frauenbeauftragte<br />

sei, ein chauvinistisches und<br />

rücksichtsloses Verhalten an den Tag. Dies<br />

nicht nur im Parlament, wo verdeckte und<br />

offene Diskriminierungen an der Tagesordnung<br />

sind, auch außerhalb. Da haben sich<br />

zwei Frauen, eine 20 Jahre und eine andere<br />

15 Jahre in einer Privatinitiative um behinderte<br />

Kinder gekümmert. Heute gibt es keine<br />

Behinderten und die Frauen hatten sich<br />

als ErzieherInnen Freundschaften erworben,<br />

nicht nur bei Eltern, auch bei den von<br />

ihnen betreuten Kindern. Eine neue Erzieherin<br />

wurde von Seubert bestellt, warum,<br />

weiß niemand zu sagen. Das führte zum<br />

Aufruhr der Eltern in der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

(20.6.), da sie die zwei Frauen<br />

weiter behalten wollen. Seubert schützt<br />

Formalien vor und will nicht nachgeben. Die<br />

Öffentlichkeit glaubt er wieder einmal hinter<br />

sich, da Schieck obrigkeitstreu Wirklichkeiten<br />

verändert. Das bringt die Eltern derart<br />

auf die Palme, daß sie beschlossen haben:<br />

Sie melden ihre Kinder bei der Gemeinde<br />

ab, gründen einen eigenen Verein und<br />

beschäftigen die zwei Frauen selbst weiter.<br />

Der Ärger über Seubert-Adlatus Schieck<br />

sitzt derart tief, daß alle 20 beschlossen<br />

haben, das „Echo“ abzubestellen. Obwohl<br />

gelegentlich bis selten „Echo“-Autor Jörs<br />

das Bild zurechtrückt – dieses Mal hatte er<br />

wohl nicht rechtzeitig genug geschrieben.<br />

Das Fernsehen kommt<br />

Nebenbei: Einen kleinen Erfolg hatte die<br />

Berichterstattung über die Rechtsaktivitäten<br />

zu verzeichnen: Ein Arzt, der mehrfach<br />

bedroht worden war und bei dem es auch<br />

schon gebrannt hatte (ZD Ausgabe 64),<br />

wird seitdem in Ruhe gelassen und er nahm<br />

Solidaritätsbekundungen der Einwohner<br />

seines neuen in der Nähe liegenden Wohnortes<br />

Steinau entgegen.<br />

Die Berichterstattung der ZD über Groß-<br />

Bieberau hat bundesweit Aufsehen erregt<br />

und ein Fernsehsender plant derzeit, im<br />

Herbst einen Film über die Vorgänge zu<br />

senden.<br />

M. Grimm


Im<br />

Jahre 1834 siehet<br />

es aus, als würde<br />

die Bibel Lügen<br />

gestraft. Es sieht<br />

aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker<br />

am fünften Tage und die Fürsten<br />

und Vornehmen am sechsten gemacht, und<br />

als hätte der Herr zu diesen gesagt: „Herrschet<br />

über alles Getier, das auf Erden<br />

kriecht“, und hätte die Bauern und Bürger<br />

zum Gewürm gezählt. Das Leben der Vornehmen<br />

ist ein langer Sonntag: Sie wohnen<br />

in schönen Häusern, sie tragen zierliche<br />

Kleider, sie haben feiste Gesichter und<br />

reden eine eigne Sprache; das Volk aber<br />

liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker.<br />

Der Bauer geht hinter dem Pflug, der Vornehme<br />

aber geht hinter ihm und dem Pflug<br />

und treibt ihn mit den Ochsen am Pflug, er<br />

nimmt das Korn und läßt ihm die Stoppeln.<br />

Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag;<br />

Fremde verzehren seine Äcker vor seinen<br />

Augen, sein Leib ist seine Schwiele,<br />

sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische<br />

des Vornehmen.<br />

Im Großherzogtum Hessen sind 718.373<br />

Einwohner, die geben an den Staat jährlich<br />

an 6.363.436 Gulden, als<br />

1. Direkte Steuern.......2.128.131 Fl.<br />

2. Indirekte Steuern ....2.478.264 „<br />

3. Domänen ................ 1.547.394 „<br />

4. Regalien .................... 46.938 „<br />

5. Geldstrafen ..................98.511 „<br />

6. Verschiedene Quellen ....64.198 „<br />

6.363.436 Fl.<br />

Dies Geld ist der Blutzehnte, der von dem<br />

Leib des Volkes genommen wird. An die<br />

700.000 Menschen schwitzen, stöhnen und<br />

hungern dafür. Im Namen des Staates wird<br />

es erpreßt, die Presser berufen sich auf die<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 9<br />

Friede den Hütten!<br />

Regierung, und die Regierung sagt, das sei<br />

nötig, die Ordnung im Staat zu erhalten.<br />

Was ist denn nun das für gewaltiges Ding:<br />

der Staat? Wohnt eine Anzahl Menschen in<br />

einem Land, und es sind Verordnungen<br />

oder Gesetze vorhanden, nach denen jeder<br />

sich richten muß, so sagt man, sie bilden<br />

einen Staat. Der Staat also sind alle; die<br />

Order im Staate sind die Gesetze, durch<br />

welche das Wohl aller gesichert wird und<br />

die aus dem Wohl aller hervorgehen sollen.<br />

– Seht nun, was man in dem Großherzogtum<br />

aus dem Staat gemacht hat; seht, was<br />

es heißt: die Ordnung im Staate erhalten!<br />

700.000 Menschen bezahlen dafür 6 Millionen,<br />

das heißt sie werden zu Ackergäulen<br />

und Pflugstieren gemacht, damit sie in Ordnung<br />

leben. In Ordnung leben heißt hungern<br />

und geschunden werden. Wer sind<br />

denn die, welche diese Ordnung gemacht<br />

haben und die wachen, diese Ordnung zu<br />

erhalten? Das ist die Großherzogliche<br />

Regierung. Die Regierung wird gebildet von<br />

dem Großherzog und seinen obersten<br />

Beamten. Die andern Beamten sind Männer,<br />

die von der Regierung berufen werden,<br />

um jene Ordnung in Kraft zu erhalten. Ihre<br />

Anzahl ist Legion: Staatsräte und Regierungsräte,<br />

Landräte und Kreisräte, geistliche<br />

Räte und Schulräte, Finanzräte und<br />

Forsträte usw. mit allem ihrem Heer von<br />

Sekretären usw. Das Volk ist ihre Herde, sie<br />

sind seine Hirten, Melker und Schinder; sie<br />

haben die Häute der Bauern an, der Raub<br />

der Armen ist in ihrem Hause; die Tränen<br />

der Witwen und Waisen sind das Schmalz<br />

auf ihren Gesichtern; sie herrschen frei und<br />

ermahnen das Volk zur Knechtschaft. Ihnen<br />

gebt ihr 6.000.000 Fl. Abgaben; sie haben<br />

dafür die Mühe, euch zu regieren; das heißt<br />

sich von euch füttern zu lassen und euch<br />

eure Menschen- und Bürgerrechte zu rauben.<br />

Sehet, was die Ernte eures Schweißes<br />

ist!<br />

Für das Ministerium des Innern und der<br />

Dieses Blatt soll dem hessischen<br />

Lande die Wahrheit melden,<br />

aber wer die Wahrheit sagt,<br />

wird gehenkt; ja sogar der,<br />

welcher die Wahrheit liest,<br />

wird durch meineidige Richter<br />

vielleicht gestraft. Darum haben die,<br />

welchen dies Blatt zukommt,<br />

folgendes zu beachten:<br />

1. Sie müssen das Blatt sorgfältig<br />

außer Ihres Hauses vor der Polizei<br />

verwahren;<br />

2. sie dürfen es nur an treue<br />

Freunde mitteilen;<br />

3. denen, welche sie nicht trauen<br />

wie sich selbst, dürfen sie es nur<br />

heimlich hinlegen;<br />

4. würde das Blatt dennoch bei<br />

einem gefunden, der es gelesen hat,<br />

so muß er gestehen, daß er es eben<br />

dem Kreisrat habe bringen wollen;<br />

5. wer das Blatt nicht gelesen hat,<br />

wenn man es bei ihm findet, der ist<br />

natürlich ohne Schuld.<br />

Darmstadt, im Juli 1834.<br />

Gerechtigkeitspflege werden bezahlt<br />

1.110.607 Gulden. Dafür habt ihr einen<br />

Wust von Gesetzen, zusammengehäuft aus<br />

willkürlichen Verordnungen aller Jahrhunderte,<br />

meist geschrieben in einer fremden<br />

Sprache. Der Unsinn aller vorigen Geschlechter<br />

hat sich darin auf euch ererbt,<br />

der Druck, unter dem sie erlagen, sich auf<br />

euch fortgewälzt. Das Gesetz ist das Eigentum<br />

einer unbedeutenden Klasse von Vornehmen<br />

und Gelehrten, die sich durch ihr<br />

eignes Machwerk die Herrschaft zuspricht.<br />

Diese Gerechtigkeit ist nur ein Mittel, euch<br />

in Ordnung zu halten, damit man euch<br />

bequemer schinde; sie spricht nach Gesetzen,<br />

die ihr nicht versteht, nach Grundsätzen,<br />

von denen ihr nichts wißt, Urteile, von<br />

denen ihr nichts begreift. Unbestechlich ist<br />

sie, weil sie sich gerade teuer genug bezahlen<br />

läßt, um keine Bestechung zu brauchen.<br />

Aber die meisten ihrer Diener sind der Regierung<br />

mit Haut und Haar verkauft, Ihre<br />

Ruhestühle stehen auf einem Geldhaufen<br />

von 461.373 Gulden (so viel betragen die<br />

Ausgaben für die Gerichtshöfe und die Kriminalkosten).<br />

Die Fräcke, Stöcke und Säbel<br />

ihrer unverletzlichen Diener sind mit dem<br />

Silber von 197.502 Gulden beschlagen (so<br />

viel kostet die Polizei überhaupt, die Gendarmerie<br />

usw.). Die Justiz ist in Deutschland<br />

seit Jahrhunderten die Hure der deutschen<br />

Fürsten. Jeden Schritt zu ihr müßt ihr<br />

mit Silber pflastern, und mit Armut und<br />

Erniedrigung erkauft ihr ihre Sprüche.<br />

Denkt an das Stempelpapier, denkt an euer<br />

Bücken in den Amtsstuben und euer<br />

Wachestehen vor denselben. Denkt an die<br />

Sporteln für Schreiber und Gerichtsdiener.<br />

Ihr dürft euern Nachbar verklagen, der euch<br />

eine Kartoffel stiehlt; aber klagt einmal über<br />

den Diebstahl, der von Staats wegen unter<br />

dem Namen von Abgabe und Steuern jeden<br />

Tag an eurem Eigentum begangen wird,<br />

damit eine Legion unnützer Beamter sich<br />

von eurem Schweiße mästen; klagt einmal,<br />

daß ihr der Willkür einiger Fettwänste überlassen<br />

seid und daß diese Willkür Gesetz<br />

heißt, klagt, daß ihr die Ackergäule des<br />

Staates seid, klagt über eure verlorne Menschenrechte:<br />

Wo sind die Gerichtshöfe, die<br />

eure Klage annehmen, wo die Richter, die<br />

Recht sprächen? – Die Ketten eurer Vogelsberger<br />

Mitbürger, die man nach Rockenburg<br />

schleppte, werden euch Antwort<br />

geben.<br />

Und will endlich ein Richter oder ein andrer<br />

Beamte von den wenigen, welchen das<br />

Recht und das gemeine Wohl lieber ist als<br />

ihr Bauch und der Mammon, ein Volksrat<br />

und kein Volksschinder sein, so wird er von<br />

den obersten Räten des Fürsten selber<br />

geschunden.<br />

Für das Ministerium<br />

der Finanzen 1.551.502 Fl.<br />

Damit werden die Finanzräte, Obereinnehmer,<br />

Steuerboten, die Untererheber besoldet.<br />

Dafür wird der Ertrag eurer Äcker<br />

berech<strong>net</strong> und eure Köpfe gezählt. Der<br />

Boden unter euren Füßen, der Bissen zwischen<br />

euren Zähnen ist besteuert. Dafür sitzen<br />

die Herren in Fräcken beisammen, und<br />

das Volk steht nackt und gebückt vor ihnen;<br />

sie legen die Hände an seine Lenden und<br />

Schultern und rechnen aus, wie viel es noch<br />

tragen kann, und wenn sie barmherzig sind,<br />

so geschieht es nur, wie man ein Vieh<br />

schont, das man nicht so sehr angreifen<br />

will.<br />

Für das Militär wird bezahlt<br />

914.820 Gulden.<br />

Dafür kriegen eure Söhne einen bunten<br />

Rock auf den Leib, ein Gewehr oder eine<br />

Trommel auf die Schulter und dürfen jeden<br />

Herbst einmal blind schießen und erzählen,<br />

wie die Herren vom Hof und die ungeratenen<br />

Buben vom Adel allen Kindern ehrlicher<br />

Leute vorgehen und mit ihnen in den breiten<br />

Straßen der Städte herumziehen mit<br />

Trommeln und Trompeten. Für jene<br />

900.000 Gulden müssen eure Söhne den<br />

Tyrannen schwören und Wache halten an<br />

ihren Palästen. Mit ihren Trommeln übertäuben<br />

sie eure Seufzer, mit ihren Kolben<br />

zerschmettern sie euch den Schädel, wenn<br />

ihr zu denken wagt, daß ihr freie Menschen<br />

seid. Sie sind die gesetzlichen Mörder, welche<br />

die gesetzlichen Räuber schützen;<br />

denkt an Södel! Eure Brüder, eure Kinder<br />

waren dort Bruder- und Vatermörder.<br />

Für die Pension<br />

480.000 Gulden.<br />

Dafür werden die Beamten aufs Polster<br />

gelegt, wenn sie eine gewisse Zeit dem<br />

Staate treu gedient haben, das heißt wenn<br />

sie eifrige Handlanger bei der regelmäßig<br />

eingerichteten Schinderei gewesen, die<br />

man Ordnung und Gesetz heißt.<br />

Für das Staatsministerium und den Staatsrat<br />

174.600 Gulden. Die größten Schurken<br />

stehen wohl jetzt allerwärts in Deutschland<br />

den Fürsten am nächsten, wenigstens im<br />

Großherzogtum. Kommt ja ein ehrlicher<br />

Mann in einen Staatsrat, so wird er ausgestoßen.<br />

Könnte aber auch ein ehrlicher<br />

Mann jetzo Minister sein oder bleiben, so<br />

wäre er, wie die Sachen stehn in Deutschland,<br />

nur eine Drahtpuppe, an der die fürstliche<br />

Puppe zieht; und an dem fürstlichen<br />

Popanz zieht wieder ein Kammerdiener<br />

oder ein Kutscher oder seine Frau und ihr<br />

Günstling oder sein Halbbruder – oder alle<br />

zusammen.<br />

In Deutschland steht es jetzt, wie der Prophet<br />

Micha schreibt, Kap. 7, V. 3 und 4:<br />

„Die Gewaltigen raten nach ihrem Mutwillen,<br />

Schaden zu tun, und drehen es, wie sie<br />

es wollen. Der Beste unter ihnen ist wie ein<br />

Dorn, und der Redlichste wie eine Hecke.“<br />

Ihr müßt die Dörner und Hecken teuer<br />

bezahlen; denn ihr müßt ferner für das<br />

großherzogliche Haus und den Hofstaat<br />

827.772 Gulden bezahlen.<br />

Die Anstalten, die Leute, von denen ich bis<br />

jetzt gesprochen, sind nur Werkzeuge, sind<br />

nur Diener. Sie tun nichts in ihrem Namen,<br />

unter der Ernennung zu ihrem Amt steht ein<br />

L., das bedeutet Ludwig von Gottes Gnaden,<br />

und sie sprechen mit Ehrfurcht: „Im<br />

Namen des Großherzogs.“ Dies ist ihr Feldgeschrei,<br />

wenn sie euer Gerät versteigern,<br />

euer Vieh wegtreiben, euch in den Kerker<br />

werfen. Im Namen des Großherzogs sagen<br />

sie, und der Mensch, den sie so nennen,<br />

heißt: unverletzlich, heilig, souverän,<br />

Königliche Hoheit. Aber tretet zu dem Menschenkinde<br />

und blickt durch seinen Fürstenmantel.<br />

Es ißt, wenn es hungert, und<br />

schläft, wenn sein Auge dunkel wird. Sehet,<br />

es kroch so nackt und weich in die Welt wie<br />

ihr und wird so hart und steif hinausgetragen<br />

wie ihr, und doch hat es seinen Fuß auf<br />

eurem Nacken, hat 700.000 Menschen an<br />

seinem Pflug, hat Minister, die verantwortlich<br />

sind für das, was es tut, hat Gewalt über<br />

euer Eigentum durch die Steuern, die es<br />

ausschreibt, über euer Leben durch die<br />

Gesetze, die es macht, es hat adlige Herrn<br />

und Damen um sich, die man Hofstaat<br />

heißt, und seine göttliche Gewalt vererbt<br />

sich auf seine Kinder mit Weibern, welche<br />

aus ebenso übermenschlichen Geschlechtern<br />

sind .<br />

Wehe über euch Götzendiener! – Ihr seid<br />

wie die Heiden, die das Krokodil anbeten;<br />

von dem sie zerrissen werden. Ihr setzt ihm<br />

eine Krone auf, aber es ist eine Dornenkrone,<br />

die ihr euch selbst in den Kopf drückt;<br />

ihr gebt ihm ein Zepter in die Hand, aber es<br />

ist eine Rute, womit ihr gezüchtigt werdet!<br />

ihr setzt ihn auf euern Thron, aber es ist ein<br />

Marterstuhl für euch und eure Kinder. Der<br />

Fürst ist der Kopf des Blutegels, der über<br />

euch hinkriecht, die Minister sind seine<br />

Zähne, und die Beamten sein Schwanz. Die<br />

hungrigen Mägen aller vornehmen Herren,<br />

denen er die hohe Stellen verteilt, sind<br />

Schröpfköpfe, die er dem Lande setzt. Das<br />

L., was unter seinen Verordnungen steht,<br />

ist das Malzeichen des Tieres, das die Götzendiener<br />

unserer Zeit anbeten. Der Fürstenmantel<br />

ist der Teppich, auf dem sich<br />

die Herren und Damen vom Adel und Hofe<br />

in ihrer Geilheit übereinander wälzen – mit<br />

Orden und Bändern decken sie ihre<br />

Geschwüre, und mit kostbaren Gewändern<br />

bekleiden sie ihre aussätzigen Leiber. Die<br />

Töchter des Volks sind ihre Mägde und<br />

Huren, die Söhne des Volks ihre Lakaien<br />

und Soldaten. Geht einmal nach Darmstadt<br />

und seht, wie die Herren sich für euer Geld<br />

dort lustig machen, und erzählt dann euern<br />

hungernden Weibern und Kindern, daß ihr<br />

Brot an fremden Bäuchen herrlich angeschlagen<br />

sei, erzählt ihnen von den schö-<br />

☛ Fortsetzung auf folgender Seite


Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 10<br />

Krieg den Palästen!<br />

nen Kleidern, die in ihrem Schweiß gefärbt,<br />

und von den zierlichen Bändern, die aus<br />

den Schwielen ihrer Hände geschnitten<br />

sind, erzählt von den stattlichen Häusern,<br />

die aus den Knochen des Volks gebaut sind;<br />

und dann kriecht in eure rauchigen Hütten<br />

und bückt euch auf euren steinichten<br />

Äckern, damit eure Kinder auch einmal hingehen<br />

können, wenn ein Erbprinz mit einer<br />

Erbprinzessin für einen andern Erbprinzen<br />

Rat schaffen will, und durch die geöff<strong>net</strong>en<br />

Glastüren das Tischtuch sehen, wovon die<br />

Herren speisen, und die Lampen riechen,<br />

aus denen man mit dem Fett der Bauern<br />

illuminiert.<br />

Das alles duldet ihr, weil euch Schurken<br />

sagen, diese Regierung sei von Gott. Diese<br />

Regierung ist nicht von Gott, sondern vom<br />

Vater der Lügen. Diese deutschen Fürsten<br />

sind keine rechtmäßige Obrigkeit, sondern<br />

die rechtmäßige Obrigkeit, den deutschen<br />

Kaiser, der vormals vom Volke frei gewählt<br />

wurde, haben sie seit Jahrhunderten verachtet<br />

und endlich gar verraten. Aus Verrat<br />

und Meineid, und nicht aus der Wahl des<br />

Volkes, ist die Gewalt der deutschen Fürsten<br />

hervorgegangen, und darum ist ihr<br />

Wesen und Tun von Gott verflucht; ihre<br />

Weisheit ist Trug, ihre Gerechtigkeit ist<br />

Schinderei. Sie zertreten das Land und<br />

schlagen die Person des Elenden. Ihr lästert<br />

Gott, wenn ihr einen dieser Fürsten einen<br />

Gesalbten des Herrn nennt, das heißt Gott<br />

habe die Teufel gesalbt und zu Fürsten über<br />

die deutsche Erde gesetzt. Deutschland,<br />

unser liebes Vaterland, haben die Fürsten<br />

zerrissen, den Kaiser, den unsere freien<br />

Voreltern wählten, haben diese Fürsten verraten,<br />

und nun fordern diese Verräter und<br />

Menschenquäler Treue von euch! – Doch<br />

das Reich der Finsternis neiget sich zum<br />

Ende. Über ein kleines, und Deutschland,<br />

das jetzt die Fürsten schinden, wird als ein<br />

Freistaat mit einer vom Volk gewählten<br />

Obrigkeit wieder auferstehn. Die Heilige<br />

Schrift sagt: „Gebet dem Kaiser, was des<br />

Kaisers ist.“ Was ist aber dieser Fürst, der<br />

Verräter? – Das Teil von Judas!<br />

Für die Landstände<br />

16.000 Gulden.<br />

Im Jahr 1789 war das Volk in Frankreich<br />

müde, länger die Schindmähre seines<br />

Königs zu sein. Es erhob sich und berief<br />

Männer, denen es vertraute, und die Männer<br />

traten zusammen und sagten, ein König<br />

sei ein Mensch wie ein anderer auch, er sei<br />

nur der erste Diener im Staat, er müsse sich<br />

vor dem Volk verantworten, und wenn er<br />

sein Amt schlecht verwalte, könne er zur<br />

Strafe gezogen werden. Dann erklärten sie<br />

die Rechte des Menschen: „Keiner erbt vor<br />

dem andern mit der Geburt ein Recht oder<br />

einen Titel, keiner erwirbt mit dem Eigentum<br />

ein Recht vor dem andern. Die höchste<br />

Gewalt ist in dem Willen aller oder der<br />

Mehrzahl. Dieser Wille ist das Gesetz, er tut<br />

sich kund durch die Landstände oder die<br />

Vertreter des Volks, sie werden von allen<br />

gewählt, und jeder kann gewählt werden;<br />

diese Gewählten sprechen den Willen ihrer<br />

Wähler aus, und so entspricht der Wille der<br />

Mehrzahl unter ihnen dem Willen der Mehrzahl<br />

unter dem Volke; der König hat nur für<br />

die Ausübung der von ihnen erlassenen<br />

Gesetze zu sorgen.“ Der König schwor, dieser<br />

Verfassung treu zu sein; er wurde aber<br />

meineidig an dem Volke, und das Volk richtete<br />

ihn, wie es einem Verräter geziemt.<br />

Dann schafften die Franzosen die erbliche<br />

Königswürde ab und wählten frei eine neue<br />

Obrigkeit, wozu jedes Volk nach der Vernunft<br />

und der Heiligen Schrift das Recht<br />

hat. Die Männer, die über die Vollziehung<br />

der Gesetze wachen sollten, wurden von<br />

der Versammlung der Volksvertreter<br />

ernannt, sie bildeten die neue Obrigkeit. Sie<br />

waren Regierung und Gesetzgeber, vom<br />

Volk gewählt, und Frankreich war ein Freistaat.<br />

Die übrigen Könige aber entsetzten sich vor<br />

der Gewalt des französischen Volkes; sie<br />

dachten, sie könnten alle über der ersten<br />

Königsleiche den Hals brechen und ihre<br />

mißhandelten Untertanen möchten bei dem<br />

Freiheitsruf der Franken erwachen. Mit<br />

gewaltigem Kriegsgerät und riesigem Zeug<br />

stürzten sie von allen Seiten auf Frankreich,<br />

und ein großer Teil der Adligen und Vornehmen<br />

im Lande stand auf und schlug sich zu<br />

dem Feind. Da ergrimmte das Volk und<br />

erhob sich in seiner Kraft. Es erdrückte die<br />

Verräter und zerschmetterte die Söldner<br />

der Könige. Die junge Freiheit wuchs im<br />

Blut der Tyrannen, und vor ihrer Stimme<br />

bebten die Throne und jauchzten die Völker.<br />

Aber die Franzosen verkauften selbst ihre<br />

junge Freiheit für den Ruhm, den ihnen<br />

Napoleon darbot, und erhoben ihn auf den<br />

Kaiserthron. – Da ließ der Allmächtige das<br />

Heer des Kaisers in Rußland erfrieren und<br />

züchtigte Frankreich durch die Knute der<br />

Kosaken und gab den Franzosen die dickwanstigen<br />

Bourbonen wieder zu Königen,<br />

damit Frankreich sich bekehre vom Götzendienst<br />

der erblichen Königsherrschaft und<br />

dem Gotte diene, der die Menschen frei und<br />

gleich geschaffen. Aber als die Zeit seiner<br />

Strafe verflossen war und tapfere Männer<br />

im Julius 1830 den meineidigen König Karl<br />

den Zehnten aus dem Lande jagten, da<br />

wendete dennoch das befreite Frankreich<br />

sich abermals zur halberblichen Königsherrschaft<br />

und band sich in dem Heuchler<br />

Louis Philipp eine neue Zuchtrute auf. In<br />

Deutschland und ganz Europa war die<br />

große Freude, als der zehnte Karl vom<br />

Trohn gestürzt ward, und die unterdrückten<br />

deutschen Länder rüsteten sich zum Kampf<br />

für die Freiheit. Da ratschlagten die Fürsten,<br />

wie sie dem Grimm des Volkes entgehen<br />

sollten, und die listigen unter ihnen sagten:<br />

Laßt uns einen Teil unserer Gewalt abgeben,<br />

daß wir das übrige behalten. Und sie<br />

traten vor das Volk und sprachen: Wir wollen<br />

euch die Freiheit schenken, um die ihr<br />

kämpfen wollt. Und zitternd vor Furcht warfen<br />

sie einige Brocken hin und sprachen<br />

von ihrer Gnade. Das Volk traute ihnen leider<br />

und legte sich zur Ruhe. – Und so ward<br />

Deutschland betrogen wie Frankreich.<br />

Denn was sind diese Verfassungen in<br />

Deutschland? Nichts als leeres Stroh, woraus<br />

die Fürsten die Körner für sich herausgeklopft<br />

haben. Was sind unsere Landtage?<br />

Nichts als langsame Fuhrwerke, die man<br />

einmal oder zweimal wohl der Raubgier der<br />

Fürsten und ihrer Minister in den Weg<br />

schieben, woraus man aber nimmermehr<br />

eine feste Burg für deutsche Freiheit bauen<br />

kann. Was sind unsere Wahlgesetze?<br />

Nichts als Verletzungen der Bürger- und<br />

Menschenrechte der meisten Deutschen.<br />

Denkt an das Wahlgesetz im Großherzogtum,<br />

wonach keiner gewählt werden kann,<br />

der nicht hochbegütert ist, wie rechtschaffen<br />

und gutgesinnt er auch sei, wohl aber<br />

der Grolmann, der euch um die zwei Millionen<br />

bestehlen wollte. Denkt an die Verfassung<br />

des Großherzogtums. – Nach den<br />

Artikeln derselben ist der Großherzog<br />

unverletzlich, heilig und unverantwortlich.<br />

Seine Würde ist erblich in seiner Familie, er<br />

hat das Recht, Krieg zu führen, und ausschließliche<br />

Verfügung über das Militär. Er<br />

beruft die Landstände, vertagt sie oder löst<br />

sie auf. Die Stände dürfen keinen Gesetzesvorschlag<br />

machen, sondern sie müssen um<br />

das Gesetz bitten, und dem Gutdünken des<br />

Fürsten bleibt es unbedingt überlassen, es<br />

zu geben oder zu verweigern. Er bleibt im<br />

Besitz einer fast unumschränkten Gewalt,<br />

nur darf er keine neuen Gesetze machen<br />

und keine neuen Steuern ausschreiben<br />

ohne Zustimmung der Stände. Aber teils<br />

kehrt er sich nicht an diese Zustimmung,<br />

teils genügen ihm die alten Gesetze, die das<br />

Werk der Fürstengewalt sind, und er bedarf<br />

darum keiner neuen Gesetze. Eine solche<br />

Verfassung ist ein elend jämmerlich Ding.<br />

Was ist von den Ständen zu erwarten, die<br />

an eine solche Verfassung gebunden sind?<br />

Wenn unter den Gewählten auch keine<br />

Volksvertreter und feige Memmen wären,<br />

wenn sie aus lauter entschlossenen Volksfreunden<br />

bestünden?! Was ist von Ständen<br />

zu erwarten, die kaum die elenden Fetzen<br />

einer armseligen Verfassung zu verteidigen<br />

vermögen! – Der einzige Widerstand, den<br />

sie zu leisten vermochten, war die Verweigerung<br />

der zwei Millionen Gulden, die sich<br />

der Großherzog von dem überschuldeten<br />

Volke wollte schenken lassen zur Bezahlung<br />

seiner Schulden. Hätten aber auch die<br />

Landstände des Großherzogtums genügende<br />

Rechte, und hätte das Großherzogtum,<br />

aber nur das Großherzogtum allein, eine<br />

wahrhafte Verfassung, so würde die Herrlichkeit<br />

doch bald zu Ende sein. Die Raubgier<br />

in Wien und Berlin würde ihre Henkerskrallen<br />

ausstrecken und die kleine Freiheit<br />

mit Rumpf und Stumpf ausrotten. Das<br />

ganze deutsche Volk muß sich die Freiheit<br />

erringen. Und diese Zeit, geliebte Mitbürger,<br />

ist nicht ferne. – Der Herr hat das schöne<br />

deutsche Land, das viele Jahrhunderte<br />

das herrlichste Reich der Erde war, in die<br />

Hände der fremden und einheimischen<br />

Schinder gegeben, weil das Herz des deutschen<br />

Volkes von der Freiheit und Gleichheit<br />

seiner Voreltern und von der Furcht des<br />

Herrn abgefallen war, weil ihr dem Götzendienste<br />

der vielen Herrlein, Kleinherzoge<br />

und Däumlings-Könige euch ergeben hattet.<br />

Der Herr, der den Stecken des fremden<br />

Treibers Napoleon zerbrochen bat, wird<br />

auch die Götzenbilder unserer einheimischen<br />

Tyrannen zerbrechen durch die Hände<br />

des Volks. Wohl glänzen diese Götzenbilder<br />

von Gold und Edelsteinen, von Orden<br />

und Ehrenzeichen, aber in ihrem Innern<br />

stirbt der Wurm nicht, und ihre Füße sind<br />

von Lehm. – Gott wird euch Kraft geben,<br />

ihre Füße zu zerschmeißen, sobald ihr euch<br />

bekehrt von dem Irrtum eures Wandels und<br />

die Wahrheit erken<strong>net</strong>: daß nur ein Gott ist<br />

und keine Götter neben ihm, die sich Hoheiten<br />

und Allerhöchste, heilig und unverantwortlich<br />

nennen lassen, daß Gott alle Menschen<br />

frei und gleich in ihren Rechten schuf<br />

und daß keine Obrigkeit von Gott zum<br />

Segen verord<strong>net</strong> ist als die, welche auf das<br />

Vertrauen des Volkes sich gründet und vom<br />

Volk ausdrücklich oder stillschweigend<br />

erwählt ist; daß dagegen die Obrigkeit, die<br />

Gewalt, aber kein Recht über ein Volk hat,<br />

nur also von Gott ist, und daß der Gehorsam<br />

gegen eine solche Teufelsobrigkeit nur<br />

so lange gilt, bis ihre Teufelsgewalt gebrochen<br />

werden kann; – daß der Gott, der ein<br />

Volk durch eine Sprache zu einem Leibe<br />

vereinigte, die Gewaltigen die es zerfleischen<br />

und vierteilen oder gar in dreißig<br />

Stücke zerreißen, als Volksmörder und Tyrannen<br />

hier zeitlich und dort ewiglich strafen<br />

wird, denn die Schrift sagt: Was Gott<br />

vereinigt hat, soll der Mensch nicht trennen;<br />

und daß der Allmächtige, der aus der<br />

Einöde ein Paradies schaffen kann, auch ein<br />

Land des Jammers und des Elends wieder<br />

in ein Paradies umschaffen kann wie unser<br />

teuerwertes Deutschland war, bis seine<br />

Fürsten es zerfleischten und schunden.<br />

Weil das deutsche Reich morsch und faul<br />

war und die Deutschen von Gott und von<br />

der Freiheit abgefallen waren, hat Gott das<br />

Reich zu Trümmern gehen lassen, um es zu<br />

einem Freistaat zu verjüngen. Er hat eine<br />

Zeitlang den Satansengeln Gewalt gegeben,<br />

daß sie Deutschland mit Fäusten schlügen,<br />

er hat den Gewaltigen und Fürsten, die in<br />

der Finsternis herrschen, den bösen Geistern<br />

unter dem Himmel (Ephes. 6), Gewalt<br />

gegeben, daß sie Bürger und Bauern peinigten<br />

und ihr Blut aussaugten und ihren<br />

Mutwillen trieben mit allen, die Recht und<br />

Freiheit mehr lieben als Unrecht und<br />

Knechtschaft. – Aber ihr Maß ist voll!<br />

Sehet an das von Gott gezeich<strong>net</strong>e Scheusal,<br />

den König Ludwig von Bayern, den Gotteslästerer,<br />

der redliche Männer vor seinem<br />

Bilde niederzuknien zwingt und die, welche<br />

die Wahrheit bezeugen, durch meineidige<br />

Richter zum Kerker verurteilen läßt; das<br />

Schwein, das sich in allen Lasterpfützen<br />

von Italien wälzte, den Wolf, der sich für<br />

seinen Baals-Hofstaat für immer jährlich<br />

fünf Millionen durch meineidige Landstände<br />

bewilligen läßt, und fragt dann: „Ist das<br />

eine Obrigkeit von Gott, zum Segen verord<strong>net</strong>?“<br />

Ha! du wärst Obrigkeit von Gott?<br />

Gott spendet Segen aus;<br />

Du raubst, du schindest, kerkerst ein,<br />

Du nicht von Gott, Tyrann!<br />

Ich sage euch: Sein und seiner Mitfürsten<br />

Maß ist voll. Gott, der Deutschland um seiner<br />

Sünden willen geschlagen hat durch<br />

diese Fürsten, wird es wieder heilen. „Er<br />

wird die Hecken und Dörner niederreißen<br />

und auf einem Haufen verbrennen.“ Jesaias<br />

27, 4. So wenig der Höcker noch wächset,<br />

womit Gott diesen König Ludwig gezeich<strong>net</strong><br />

hat, so wenig werden die Schandtaten<br />

dieser Fürsten noch wachsen können. Ihr<br />

Maß ist voll. Der Herr wird ihre Körper zerschmeißen,<br />

und in Deutschland wird dann<br />

Leben und Kraft als Segen der Freiheit wieder<br />

erblühen. Zu einem großen Leichenfelde<br />

haben die Fürsten die deutsche Erde gemacht,<br />

wie Ezechiel im 37. Kapitel beschreibt:<br />

„Der Herr führte mich auf ein weites<br />

Feld, das voller Gebeine lag, und siehe,<br />

sie waren sehr verdorrt.“ Aber wie lautet<br />

des Herrn Wort zu den verdorrten Gebeinen:<br />

„Siehe, ich will euch Adern geben und<br />

Fleisch lassen über euch wachsen, und<br />

euch mit Haut überziehen, und will euch<br />

Odem geben, daß ihr wieder lebendig werdet,<br />

und sollt erfahren, daß ich der Herr<br />

bin.“ Und des Herrn Wort wird auch an<br />

Deutschland sich wahrhaftig beweisen, wie<br />

der Prophet spricht: „Siehe, es rauschte<br />

und regte sich, und die Gebeine kamen wie-<br />

der zusammen, ein jegliches zu seinem Gebein.<br />

– Da kam Odem in sie, und sie wurden<br />

wieder lebendig und richteten sich auf ihre<br />

Füße, und ihrer war ein sehr groß Heer.“<br />

Wie der Prophet schreibet, also stand es<br />

bisher in Deutschland: Eure Gebeine sind<br />

verdorrt, denn die Ordnung, in der ihr lebt,<br />

ist eitel Schinderei. Sechs Millionen bezahlt<br />

ihr im Großherzogtum einer Handvoll Leute,<br />

deren Willkür euer Leben und Eigentum<br />

überlassen ist, und die anderen in dem zerrissenen<br />

Deutschland gleich also. Ihr seid<br />

nichts, ihr habt nichts! Ihr seid rechtlos. Ihr<br />

müsset geben, was eure unersättlichen<br />

Presser fordern, und tragen, was sie euch<br />

aufbürden. So weit ein Tyrann blicket – und<br />

Deutschland hat deren wohl dreißig –, verdorret<br />

Land und Volk. Aber wie der Prophet<br />

schreibet, so wird es bald stehen in<br />

Deutschland: Der Tag der Auferstehung<br />

wird nicht säumen. In dem Leichenfelde<br />

wird sich’s regen und wird rauschen, und<br />

der Neubelebten wird ein großes Heer sein.<br />

Hebt die Augen auf und zählt das Häuflein<br />

eurer Presser, die nur stark sind durch das<br />

Blut, das sie euch aussaugen, und durch<br />

eure Arme, die ihr ihnen willenlos leihet.<br />

Ihrer sind vielleicht 10.000 im Großherzogtum<br />

und eurer sind es 700.000, und also<br />

verhält sich die Zahl des Volkes zu seinen<br />

Pressern auch im übrigen Deutschland.<br />

Wohl drohen sie mit dem Rüstzeug und den<br />

Reisigen der Könige, aber ich sage euch:<br />

Wer das Schwert erhebt gegen das Volk,<br />

der wird durch das Schwert des Volkes<br />

umkommen. Deutschland ist jetzt ein Leichenfeld,<br />

bald wird es ein Paradies sein.<br />

Das deutsche Volk ist ein Leib, ihr seid ein<br />

Glied dieses Leibes. Es ist einerlei, wo die<br />

Scheinleiche zu zucken anfängt. Wann der<br />

Herr euch seine Zeichen gibt durch die<br />

Männer, durch welche er die Völker aus der<br />

Dienstbarkeit zur Freiheit führt, dann erhebet<br />

euch, und der ganze Leib wird mit euch<br />

aufstehen. Ihr bücktet euch lange Jahre in<br />

den Dornäckern der Knechtschaft, dann<br />

schwitzt ihr einen Sommer im Weinberge<br />

der Freiheit und werdet frei sein bis ins tausendste<br />

Glied.<br />

Ihr wühltet ein langes Leben die Erde auf,<br />

dann wühlt ihr euren Tyrannen ein Grab. Ihr<br />

bautet die Zwingburgen, dann stürzt ihr sie<br />

und bauet der Freiheit Haus. Dann könnt ihr<br />

eure Kinder frei taufen mit dem Wasser des<br />

Lebens. Und bis der Herr euch ruft durch<br />

seine Boten und Zeichen, wachet und rüstet<br />

euch im Geiste und betet ihr selbst und<br />

lehrt eure Kinder beten: „Herr, zerbrich den<br />

Stecken unserer Treiber und laß dein Reich<br />

zu uns kommen – das Reich der Gerechtigkeit.<br />

Amen.“


Unsere<br />

Parteien-Filzokratie<br />

Wie demokratisch,<br />

wie liberal,<br />

wie tolerant,<br />

wie kritikfähig<br />

oder<br />

wie schweigend,<br />

wie gleichgültig<br />

und<br />

wie rechts<br />

ist Darmstadt heute?<br />

Mit unseren Fragen nach dem politischen<br />

Standort einer Stadt durch mehr als<br />

1.000 Briefe an DarmstädterInnen, die mehr<br />

oder weniger aktiv im Rampenlicht der<br />

Öffentlichkeit stehen, hatten wir die öffentlichen<br />

Antworten gesucht. Doch sie kamen<br />

nicht, weshalb wir uns selbst an einer<br />

Beschreibung unseres schönen Darmstadts<br />

und seiner heute so häßlichen Parteien-Ordnung<br />

versuchen, wenn auch die Zeit zu kurz<br />

war und wir eigentlich lieber gründlicher und<br />

länger beobachtet und ausgearbeitet hätten.<br />

Die Mehrheit der DarmstädterInnen will keine<br />

zweite Zeitung, zumindest keine, die ihnen<br />

zeigt, daß Ausländerfeindlichkeit (Menschenrechtsverletzungen),<br />

Parteien-Filz<br />

(Vorteilnahmen und Absprachen), Umweltzerstörung<br />

(durch wachsenden Verkehr und<br />

Luftverschmutzung) und die schleichende<br />

Zersetzung der Gewaltenteilung, ständige<br />

Gesetzesverletzungen der Behörden, auch<br />

ihrer Kontrolleure, nicht zuletzt eine nachhaltige<br />

Pressezensur, die Stadt langsam und<br />

unmerklich in undemokratische Machtverhältnisse<br />

abgleiten läßt.<br />

Das Ende der Zeitung für Darmstadt hat<br />

neben der gesetzwidrigen Verweigerung<br />

bezahlter Anzeigen durch den Oberbürgermeister,<br />

eine auch allzu bereitwillige Justiz<br />

herbeigeführt, die, statt eine freie Presse zu<br />

schützen, die Berichterstatter verfolgt und<br />

die Täter laufen läßt, die weiter ihre Geschäfte<br />

noch dazu aus öffentlichen Kassen<br />

machen dürfen.<br />

Pressezensur<br />

Die Zensur einer unabhängigen Presse ist<br />

immer der erste Schritt, einer unbeobachtet,<br />

unkritisiert, vor der Öffentlichkeit verborgen,<br />

ihre Macht ausübenden Gesellschaft. Die<br />

Macht wird genutzt zu Vorteilnahmen und<br />

Postenschiebereien, zu kleinen und großen<br />

Diebereien an der Allgemeinheit. Die Öffentlichkeit<br />

darf nichts davon erfahren, damit sie<br />

ja allen Versprechungen und Zusicherungen<br />

der Rechtschaffenheit ihrer Machthaber<br />

glaubt, Vertrauen bewahrt und sie ungehindert<br />

weitermachen läßt.<br />

Warum wir 160 Jahre später den „Hessischen<br />

Landboten“ nachdrucken? Die politischen<br />

Uhren sind nicht nur stehengeblieben,<br />

sie laufen rückwärts. Was einmal hart<br />

erkämpft und in die Verfassung eingegangen<br />

war als Menschenrecht, wird heute wieder<br />

abgebaut: Wer eine andere Hautfarbe trägt,<br />

Fremder ist, hier wird er geprügelt, mißhandelt,<br />

obendrein verurteilt. Wer dies schreibt<br />

und an die Geschichte erinnert, gerät seinerseits<br />

ins Blickfeld der Justiz, allein des historisch<br />

angedeuteten Vergleichs halber mit<br />

dem Ende der Weimarer Republik, in der eine<br />

ähnliche Entwicklung die Presse vereinheitlichte<br />

und zum Schweigen brachte.<br />

Lesen und glauben wollen das hier nur allzu<br />

wenige in dieser fortschrittsbesessenen Zeit,<br />

die schon morgen nicht mehr hören will, was<br />

heute ist, ihre Alltäglichkeit zu monströser<br />

Wichtigkeit aufplustert und darüber vergißt,<br />

was gestern und vorgestern war.<br />

Immer weniger Arbeitsplätze<br />

Zugleich werden die Konsumpaläste immer<br />

größer, immer teurer, immer mehr – für<br />

wen? Denn die Arbeitsplätze werden immer<br />

weniger, das soziale Netz demontiert; die<br />

Zeche zahlen nicht die da oben, sondern wir<br />

da unten. Mietpreise explodieren, die Habenden<br />

zahlen immer weniger Steuern, wir<br />

dagegen immer mehr. Im Namen des Staates<br />

werden sie erhoben, einbehalten,<br />

erzwungen, eingesackt: Bei uns da unten einfach<br />

vom Lohn abgezogen – bei denen da<br />

oben nach Jahren und nach eigener<br />

Erklärung der Höhe der Steuern, die sie meinen<br />

zahlen zu wollen oder zu müssen. Ein<br />

Weltkonzern in Darmstadt, Merck, berappt<br />

nur 3,5 Millionen im Jahr – vom Milliarden-<br />

Umsatz.<br />

„Die schaffen unsere Arbeitsplätze“, lautet<br />

das beliebte Politiker-Argument, das Gegenteil<br />

ist der Fall: Die Unternehmen rationalisieren<br />

heute unsere Arbeitsplätze weg. Wieder<br />

am Beispiel Merck: Ganze Unternehmen werden<br />

in anderen Ländern gekauft, die Umsätze<br />

und Gewinne steigen, und in Darmstadt sollen<br />

10 Prozent der Beschäftigten ihre Arbeit<br />

verlieren. „Die großen Unternehmen leisten<br />

durch ihre Steuern Beiträge für die Entwicklung<br />

der Stadt“, das nächste Politiker-Argument.<br />

Auch das kennt eine andere Wirklichkeit:<br />

Die neue B3-West-Umgehung bekommt<br />

einen Zubringer, die Virchowstraße – erforderlich<br />

für Mercks Firmenerweiterung, doch<br />

die Kosten tragen wir. Die Bürgerinitiativen,<br />

in den vergangenen zwei Jahrzehnten die<br />

Speerspitzen auch der Darmstädtischen<br />

Gesellschaft, stecken immer weiter zurück:<br />

Die IGAB wollte ursprünglich eine Erweiterung<br />

Merck’s verhindern – davon spricht<br />

heute niemand mehr, dafür vom Konsens.<br />

Keine Initiativen mehr<br />

Bürgerinitiativen, soweit sie nicht in den Grünen<br />

aufgegangen sind, treten immer weniger<br />

öffentlich in Erscheinung. Besonders auffällig<br />

ist dies beim BUND, der heute sogar die<br />

sehr aktiven Jugendlichen diszipliniert oder<br />

weggrault, um ja nicht des kämpferischen<br />

Eintretens gegen den Umweltzerstörer Nummer<br />

eins, das Auto, in Erscheinung zu treten.<br />

Auch von der Bürgerinitiative gegen den Bau<br />

der Nord-Ost-Umgehung ist nichts mehr zu<br />

hören und gegen den wachsenden Verkehr<br />

infolge der HEAG-Hallen-Tiefgaragen trat<br />

erst gar keine Bürgerinitiative an. Solange<br />

sich StudentInnen im Verkehrsforum einsetzen<br />

für den Bau von Umgehungsstraßen,<br />

sind sie erwünscht, willkommen, gefördert,<br />

wenn sie für Drogenfreigabe demonstrieren,<br />

sind sie Kriminelle.<br />

Peinlich auch die geringe Anzahl aktiver Mitglieder<br />

der AGAR, eines Bündnisses gegen<br />

Fremdenfeindlichkeit, das noch nicht einmal<br />

in der Lage ist, den Opfern notwendige Hilfe<br />

zu leisten.<br />

Sind wir selbst schuld?<br />

Derweil verseuchen mehr als zweihundert<br />

Altlast-Deponien, vor allem ehemalige Chemiemüllkippen,<br />

unser Grundwasser – doch,<br />

wenn saniert wird, zahlen wir. Unkontrollierte<br />

Mengen von Industrieabgasen verschmutzen<br />

unsere Luft, versauern die Böden der<br />

Wälder – doch die Folgen zahlen wir.<br />

Uns wird erzählt, daran seid ihr selbst<br />

schuld, denn Eure Autos sind die größten<br />

Luftverschmutzer. Und wer baut unsere<br />

Autos? Warum sind nicht längst die Dinosaurier-Karossen,<br />

die soviel Benzin fressen<br />

wie Lastwagen, verboten und durch kleinmotorisierte,<br />

umweltfreundliche Fortbewegungsmittel<br />

ersetzt? Weil wir das wollen,<br />

besser nicht wollten? Die Technik gibt es<br />

längst.<br />

Wir haben nichts zu sagen, wenn unsere<br />

gewählten VertreterInnen mit den Industrie-<br />

Magnaten verhandeln, zugestehen, vertuschen<br />

und dafür sorgen, daß Produktionsanlagen<br />

aus Vorväter-Zeit (Röhm-Anlagen von<br />

1942) weiterbetrieben werden dürfen – und<br />

das noch unkontrolliert. Passiert einmal<br />

einer der sogenannten „Zwischenfälle“, dann<br />

wird uns erzählt, das habe doch niemanden<br />

gefährdet, sogar wenn eine ganze Stadt wie<br />

1993 nach den HOECHST-Unfällen vergiftet<br />

war.<br />

Für unsere Arbeitsplätze soll das alles sein?<br />

Die werden dennoch weniger und immer<br />

weniger, nicht wir haben den Vorteil, die da<br />

oben.<br />

Wir wollen…?<br />

Wir haben nichts zu sagen, wenn unsere<br />

Stadtverord<strong>net</strong>en beschließen: Noch mehr<br />

Einzelhandel, noch mehr Parkplätze in der<br />

Stadt, noch mehr Straßen, noch mehr Verkehr,<br />

noch mehr Gewerbe, noch größere<br />

Flugplätze und noch mehr Fluglärm. Sie tun<br />

es mit unseren Stimmen, angeblich in unserem<br />

Auftrag: Wollten wir die Startbahn<br />

West? Wollen wir mehr Geschäfte? Gibt es<br />

nicht längst genug zu kaufen? Wollen wir die<br />

Tiefgaragen unter den HEAG-Hallen? Wollen<br />

wir noch mehr Gewerbebetriebe?<br />

Wenn wir zur Urne gehen sollen (häufig<br />

genug), dann zeigen sie uns schöne Bildchen<br />

mit lächelnden Gesichtern – was sie für uns<br />

tun wollen, kleiden sie in Leerformeln: „Freiheit,<br />

die wir meinen“. Gleich, ob wir wählen<br />

oder nicht, ihnen reicht weniger als die Hälfte<br />

unserer Stimmen. Hauptsache sie haben ihre<br />

relativen Mehrheiten. Dann lasten sie uns<br />

weitere Kosten auf: Die Verwaltungsbauten<br />

werden immer größer, protziger, fürstlicher:<br />

die HEAG-Residenz, das Verwaltungsgebäude<br />

der Südhessischen, das neue Polizeipräsidium,<br />

das neue Finanzamt, das neue Postamt,<br />

die Bankenpaläste, jetzt noch ein neues<br />

Rathaus … die Zeche zahlen wir, über: höhere<br />

Wasser-, Strom-, Straßenbahnpreise,<br />

höhere Zinsen, teurere Post-, höhere Telefongebühren<br />

und noch mehr Steuern. Werden<br />

wir gefragt, ob wir das wollen?<br />

Obdachlose im Staatstheater?<br />

Wer sind sie eigentlich, die wir gewählt<br />

haben? Das Parteibuch in der Hand, die<br />

Wählerstimmen in der Urne, die Karriere fest<br />

im Blick, so ziehen sie in die Gremien und<br />

Ämter ein, wo sie binnen kürzester Zeit vergessen,<br />

welchen Auftrag ihrer WählerInnen<br />

sie zu erfüllen haben. Ihr letzter anständig<br />

eigenständiger Rest an Zweifeln fällt dem<br />

Fraktionszwang, dem Parteiwillen zum<br />

Opfer. Ihre Parteiprogramme sind Makulatur,<br />

ihre Versprechen nichts wert. Um ihrer<br />

Posten, Mehrheiten und Geschäfte halber<br />

vergessen sie ihre Ideale und die anderer,<br />

schließen sich mit ihrem angeblich politischen<br />

Gegner zu Koalitionen zusammen,<br />

gleich, warum wir sie gewählt haben. Ihre<br />

höchsten Posten richten sie ohnehin so ein,<br />

daß sie ja lange genug an der Macht bleiben<br />

und gleichzeitig schaffen sie sich auf unsere<br />

Kosten neben hohen Altersrenten auch noch<br />

lukrative Versorgungsjobs. Die Sozialdemokratie<br />

hat ihre sozialen Ziele selbst veräußert<br />

– in Darmstadt gehen die meisten Steuergelder<br />

in den Staatstheater-Palast, während<br />

Obdachlose keine Wohnungen bekommen<br />

und Arbeitslose Schuldnerberatungen um<br />

letzte Hilfen bitten müssen. Der stadteigene<br />

Bauverein räumt ebenso gnadenlos zahlungsunfähige<br />

MieterInnen wie jeder Immobilienspekulant.<br />

Dabei ist unsere Wohnungsbaugesellschaft<br />

unermeßlich reich, könnte<br />

helfen, wenn es politischer Wille wäre.<br />

Gefährliche Sonne<br />

Christ- und Freidemokraten sonnen sich in<br />

ihrem Reichtum, fordern mehr Gewerbe,<br />

mehr Straßen, mehr Einzelhandel, und die<br />

Sozialdemokraten rechten mit ihnen, wer<br />

zuerst die Forderungen aufgestellt hat: Sie<br />

alle ziehen am gleichen Strang. Seit einem<br />

Jahr auch die Grünen. Deren Programm, der<br />

Umweltschutz verkommt und verfällt mit der<br />

Regierungskoalition. Jetzt sind auch sie für<br />

mehr Gewerbe, für mehr Tiefgaragen, für<br />

(Umgehungs-)Straßen, für Rheinwasserversickerungsanlagen<br />

– und die fallenden Wälder,<br />

das sinkende Grundwasser, die verpestete<br />

Luft? Um Zivilisationskranke kümmern<br />

sich Ärzte und Psychotherapeuten –<br />

Gesundheit und Lebensdauer sind keine<br />

kapitalbringenden Größen.<br />

Der Sonnenschein, einstmals ersehnt, herbeigehofft<br />

und immer schon Symbol für die<br />

Schönheit des Lebens, er wird gefährlich.<br />

Haben wir schönes Wetter, müssen wir<br />

Ozon-Werte beobachten, um wenigstens zu<br />

wissen, warum wir Kopfschmerzen bekommen<br />

und müde werden. Doch alles nimmt<br />

seinen gewohnten Gang: Der Fortschritt (als<br />

Wille der Parteien) wird weiter propagiert.<br />

Dabei verdeutlicht gerade das Beispiel Sonnenschein:<br />

Es gibt keine Natur außerhalb von<br />

uns, wir leben von und mit ihr. Ohne Wasser,<br />

ohne Luft, ohne Wälder können wir nicht<br />

leben, wenn auch so mancher unter uns<br />

glauben mag, das alles brauche ihn nicht zu<br />

interessieren, weil er in seiner unüberbietbaren<br />

Naivität, in seinem begrenzten Bewegungsraum,<br />

in der Stadt, glaubt, das alles sei<br />

nur entbehrlicher Öko-Kram.<br />

Die Parteigänger<br />

Wer sind sie eigentlich, die wir wählen? Die<br />

angeblich in unserem Namen für solch eine<br />

Ordnung sorgen, die Verantwortung dafür<br />

tragen wollen?<br />

Es sind die Lehrer unserer Kinder, Richter,<br />

Rechtsanwälte, es sind Beamte und Einzelhändler.<br />

Eines ist ihnen allen gemein: Sie<br />

sind in einer der gleichgeschalteten Parteien,<br />

und alle mit der gleichen Betriebsblindheit<br />

geschlagen – sie wollen die Garanten des<br />

Fortschritts sein, mehr nicht.<br />

Wie kann ein Aufsichtsbeamter parteipolitisch<br />

unabhängig prüfen, was seine Parteifreunde<br />

an Selbstbereicherung treiben? Wie<br />

kann ein Journalist unabhängig schreiben,<br />

wenn er seinen Parteifreunden getreu dienen<br />

will? Korrupt soll das sein? Nein, sie nehmen<br />

es als selbstverständlich: „Wir sind objektiv“.<br />

Doch halten wir uns nicht an ihrer Weltsicht<br />

auf, sie kennt keine Kritik, das Ja-<br />

Schreiben nur, das Belobigen, das Partei-<br />

Nehmen. Da sind alle Ideale abgetakelt und<br />

Bücklinge, im Dienste der Parteilichkeit<br />

schöpfen sie ihre scheinbar wahrheitsgetreuen<br />

Phrasen aus dem unerschöpflichen<br />

Trog des Glaubens an eine noch bessere<br />

andere Wirklichkeit, an die Zukunft.<br />

Die Parteien wissen ihre MitläuferInnen sehr<br />

zu schätzen, zu belohnen, zu knechten, sie in<br />

Abhängigkeit zu bringen, sie heucheln, verleumden<br />

zu lassen. So spinnen die Parteien<br />

ihre Netze, an denen ihre Mitglieder kleben<br />

wie ausgesogene Fliegen, nur noch in sterblicher<br />

Hülle, ohne einen Funken geistiger<br />

Regung, in politischer Leichenstarre.<br />

Unsere öffentliche Ordnung ist heute die<br />

Ordnung der Parteien ohne Ideale, nur der<br />

Posten- und der Machtinteressen. In Darmstadt<br />

ein Heer von mehr als 3.000 Beamten,<br />

die, meist in der SPD, jeweils das tun, was im<br />

Interesse ihrer Partei liegt.<br />

Der Gesellschaftsvertrag<br />

Wir haben einen Vertrag – sagten unsere<br />

Väter, einen Gesellschaftsvertrag, den wir<br />

alle geschlossen haben, weshalb wir für ihn<br />

eintreten müssen. Doch, wer hat das Grund-<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 11<br />

gesetz verfaßt und wer bestimmt über das<br />

neue? Wir nicht, die Parteien. Jeder ist vor<br />

dem Gesetz gleich, so erzählte man uns: das<br />

Gesetz als die Gerechtigkeit einem Engel<br />

gleich über allem schwebend – wie in fernen<br />

Zeiten der Gott über seinen lieben und frommen<br />

Schäfchen. Hinter verschlossenen<br />

Richtertüren aber fallen die gesetzwidrigen<br />

Töne. Dort wird vorverurteilt, das Gesetz<br />

mißachtet, gar von der Todesstrafe<br />

geträumt. Wie kann ein Richter unabhängig<br />

urteilen, wenn er in der Partei ist, deren<br />

Interessen er vertritt? Wie kann ein Staatsanwalt<br />

unabhängig anklagen, wenn er parteiisch<br />

denkt? Wozu dann noch Gesetze, wenn<br />

die Partei das oberste aller Gesetze ist und<br />

öffentliche Moral verkommt?<br />

Denn Gesetze sind nichts Ewiges und ihre<br />

Hüter treue Diener der herrschenden Moral.<br />

Sie ist im beständigen Wandel, und passen<br />

wir nicht auf, wendet sie sich frei nach dem<br />

Willen der Parteien mit aller Härte staatlicher<br />

Übermacht gegen uns.<br />

Deutsche Eichen<br />

Ebensowenig wie wir die Flut der Gesetze<br />

und ihre ständigen Änderungen kennen,<br />

ebenso sind unsere PolitikerInnen überfordert.<br />

Darunter sind alte Zöpfe, neue rückständige<br />

Regelungen, Menschenrechtsverletzungen<br />

(Asyl-Paragraph) – Gesetze und<br />

Paragraphen, die mit unseren Wirklichkeiten<br />

nichts zu tun haben, vielmehr die Partei-Mitglieder<br />

und deren Interessengeber schützen.<br />

In Hessen und Darmstadt ist Voraussetzung<br />

für einen Staatsanwalts- oder Richterposten<br />

das richtige Parteibuch und die höchsten<br />

Gerichte sind mit ParteigängerInnen (entsprechend<br />

den Wahlergebnissen) besetzt –<br />

„die Justiz ist die Hure…“ – so Büchner, und<br />

Heinrich Heine: „Man baut aus deutschen<br />

Eichen keine Galgen für die Reichen“.<br />

Doppelte Opfer<br />

Der bürgerliche Staat der Aufklärung – so<br />

verstehen sie sich noch heute – hat die wichtigste<br />

Sicherheitsgarantie aufgehoben: Die<br />

Gewaltenteilung. Wenn Staatsanwälte Politiker<br />

nicht anklagen (weil in derselben Partei),<br />

wenn Richter Politiker nicht verurteilen (weil<br />

in derselben Partei), dann ist es um diesen<br />

Staat schlecht bestellt, noch schlechter,<br />

wenn Staatsanwälte und Richter politische<br />

Gegner zu Fall bringen und Presse zensieren,<br />

gar wenn sie Opfer verurteilen – ihrer eigenen<br />

Verfassung, ihren einstigen Idealen zum<br />

Hohn.<br />

Wir begreifen nicht, wie Urteile zustande<br />

kommen, wir müssen für unser Recht nur<br />

teuer bezahlen, gleich ob wir Opfer sind oder<br />

den Kohlhaas spielen – die Wirklichkeiten<br />

der Juristen haben mit unseren nichts<br />

gemein. Auch suchen diese Herren immer<br />

noch nach der einen Wahrheit, dem verstaubten<br />

Begriff aus der Klamottenkiste vergangener<br />

Jahrhunderte. Nicht das Warum<br />

der Tat, nur das Daß zählt für sie, verblaßte<br />

Ideale sind ersetzt durch bürokratisches<br />

Reglement namens Recht (gleichbedeutend<br />

mit Anspruch). Unter den verstaubten Roben<br />

hochherrlicher Richterschaft wird dies Wort<br />

zum Strafbefehl gegen uns .<br />

Cui bono?<br />

Wem dient diese Ordnung? Unseren gewählten<br />

VertreterInnen. Sie machen sich einen<br />

schönen Lenz, sacken hohe und viele Gehälter,<br />

Vorruhestandsgelder ein, betätigen sich<br />

selbst als Geschäftsleute, mischen im Geldverleihgeschäft<br />

(Stadt- u. Kreissparkasse)<br />

mit, treiben Immobilienpreise in die Höhe,<br />

fördern Geldhaie (Spekulanten), sind gar<br />

selbst welche und verdienen und verdienen<br />

noch mehr. Ein schäbiges Spiel um Macht<br />

und Geld. Ihr trefft Eure PolitikerInnen auf<br />

Eure Kosten speisend in den nobelsten<br />

Restaurants der Stadt. Sie und ihre Parteifreunde<br />

bekommen von ihren Genossen die<br />

billigen Grundstücke, die zinsgünstigen Kredite,<br />

die preiswerten Mietswohnungen, die<br />

gutbezahlten Jobs, gar extra eingerichtete<br />

Sekretärsposten – Zuschüsse aus Spendenfonds,<br />

Werbemitteln u.a.. Was einstmals der<br />

Großherzog herausgesogen und abgeschröpft<br />

hat, zocken heute die vielen PolitikerInnen<br />

ab.<br />

Trotz ihrer Vielzahl hungern wir heute nicht,<br />

können darüber hinwegsehen und sagen:<br />

Was soll’s?<br />

Doch ein Blick über den lokalen Tellerrand<br />

zeigt, wer heute für unseren Reichtum hungert<br />

(im Gegensatz zu 1834), da wir es nicht<br />

müssen: Die Millionen von Menschen in den<br />

unterentwickelten Ländern der dritten und<br />

vierten Welt. Sie erbringen die Zölle für unseren<br />

heutigen Wohlstand, leiden zudem unter<br />

unseren Waffensystemen, zahlen unsere<br />

Wucherzinsen, sterben für unsere Ordnung.<br />

Und was sagen wir dazu?<br />

M. Grimm


Montag, 11. Juli 2000 DARMSTADT<br />

Oazapft is<br />

Als Pfarrer<br />

Z- Hänger-Watzblöder<br />

nach<br />

Ecke dem Sonntagsgottesdienst<br />

den eingesabberten<br />

Kelch in die Sakristei trägt,<br />

hat er eine Stinklaune. Gottverdammte<br />

Scheiße denkt er,<br />

ich pack die Quote nicht.<br />

Nicht mal schlappe zwei Prozent<br />

der Gemeindeschäfchen<br />

krieg ich in die Kirche. Das<br />

muß anders werden. Ich hol<br />

mir Promis als Laienprediger,<br />

die ziehen Leute. Der OB<br />

wäre nicht schlecht, unser Intendant,<br />

der kann mit Menschen<br />

umgehen, auf alle Fälle<br />

der Chefredakteur des Lokalblattes,<br />

der spricht dann über<br />

Toleranz. Doch wie begründe<br />

ich das? Weil es der Kleintierbeauftrage<br />

der EKHN empfiehlt?<br />

Als ein Betreuungsprojekt<br />

der Motorradseelsorge?<br />

Nein – weil die Kirchgänger<br />

zwischen Gottesdienst<br />

und Alltag unterscheiden!<br />

Das ist ein so genialer<br />

dreister Dumpfsinn, den<br />

könnte ein mittelschwerer<br />

Getränkeunfall ins Hirn gebrannt<br />

haben. Und nächsten<br />

Karfreitag bauen wir vor der<br />

Kirche ein Festzelt auf. Unter<br />

dem Motto „oazapft is“.<br />

Gottlieb B a c h b e u t e l<br />

„Ein bißchen<br />

Wehmut“<br />

(ZD). In dieser Woche hat die<br />

Grüne Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion<br />

beschlossen, ihren<br />

Namen dem der Partei anzupassen<br />

und sich in Zukunft<br />

Fraktion Bündnis 90/Die<br />

Grünen zu nennen.<br />

„Ein bißchen Wehmut ist<br />

schon dabei“, sagt Günter<br />

Mayer, der Fraktionsvorsitzende,<br />

„denn Grüne Darmstadt<br />

ist schon ein Markenzeichen.“<br />

Aber andererseits<br />

bringt der neue Namen nun<br />

auch zum Ausdruck, daß die<br />

Grünen Darmstadt Teil einer<br />

Bewegung sind, zu der auch<br />

Bürger- und Basisinitiativen,<br />

Umwelt- und Naturschutzverbände<br />

und Friedensgruppen<br />

gehören.<br />

Die Verbindung mit außerparlamentarischen<br />

Gruppen<br />

steht ausdrücklich in der<br />

Präambel der Satzung des<br />

Kreisverbandes. Außerdem<br />

ist dort festgeschrieben, was<br />

andere Parteien in letzter Zeit<br />

als neuen Weg verkaufen, um<br />

mehr Menschen für die Politik<br />

zu interessieren: Die<br />

Möglichkeit, auch für Nichtmitglieder<br />

in Parteigremien<br />

mitzuarbeiten. Das ist für<br />

Grüne ein alter Hut. Nichtmitglieder<br />

haben seit je her<br />

Rede- und Antragsrecht, alle<br />

Sitzungen sind öffentlich.<br />

Dieses Prinzip ist auch<br />

kein bloßes Lippenbekenntnis,<br />

denn die Listen zur Kommunalwahl<br />

waren immer für<br />

Nichtmitglieder offen, um<br />

die nahestehenden Organisationen<br />

in die parlamentarische<br />

Arbeit miteinzubeziehen.<br />

Von den aktuellen 18<br />

Stadtverord<strong>net</strong>en sind vier<br />

parteilos.<br />

Durch die Namensänderung<br />

der Fraktion wird der<br />

Anspruch unterstrichen, offene<br />

Politik in Darmstadt zu<br />

machen.<br />

UND JETZT WIRD WIEDER IN DIE HÄNDE GESPUCKT: OB Benz (rechts) und<br />

Rotary-Vorsitzender Dr. Landzettel (2.v.l.) schippen Steine beim Spatenstich für das<br />

neue Stadtmuseum. (Zum Bericht „Heimat, deine Steine“.) (Foto: hs)<br />

Heimat, deine Steine<br />

Das Darmstädter Stadtmuseum entsteht in historischer Altstadt<br />

Samstag morgen um halb<br />

zehn. Heinerfestsamstagmorgen<br />

genaugenommen – und<br />

das ist wichtig. Der Himmel<br />

ist blau, die Luft schwül, die<br />

Sonne brennt. Von der Fußball-WM<br />

in den USA wissen<br />

wir, daß diese klimatischen<br />

Bedingungen oft zu scheinbar<br />

unerklärlichen Ausfallerscheinungen<br />

und Leistungsdefiziten<br />

im Arbeitsverhalten<br />

von Menschen führen, denen<br />

wir das eigentlich nicht zugetraut<br />

hatten.<br />

Eine kleine Schar leger<br />

gekleideter Herren mittleren<br />

Alters steht mit diskreten<br />

Schweißperlen auf den gepflegten<br />

Gesichtern und Spaten<br />

in den Händen zwischen<br />

zwei Mauern auf einem Haufen<br />

Bauschutt und stochert<br />

darin herum. Sogar ein leibhaftiger<br />

Oberbürgermeister<br />

ist dabei. Der Hinkelsturm<br />

mit Resten der alten Stadtmauer<br />

zwischen Zentralbad<br />

und Stadtbibliothek ist ein<br />

symbolbeladener Ort. Die<br />

lebhaft photographierten<br />

Spatenstiche für das Darmstädter<br />

Heimatmuseum sind<br />

symbolische Spatenstiche.<br />

Symbolisch zu deuten ist also<br />

auch das Peterbenzwort, dies<br />

sei „ein Stück Heiner-<br />

Dasein“.<br />

Der Archetypus des sinnlos<br />

in einem Haufen Schotter<br />

stochernden Heiners, der<br />

wähnt, das Gemeinwohl zu<br />

mehren, scheint in dieser<br />

Stadt allerdings weit verbreitet<br />

zu sein. Der Stadtmauerrest<br />

führt einem deutlich vor<br />

Augen, wie klein diese Stadt<br />

einmal gewesen sein muß.<br />

Die engen Grenzen der Men-<br />

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Von Peter Jörg H o f f m a n n<br />

talität seiner Bewohner sollen<br />

jedenfalls nicht ausgestellt<br />

werden – sonst dürfte<br />

abwechselnd einer der gemeinnützigen<br />

Rotarier in die<br />

Vitrine.<br />

Aber Tore, die zur Zeit<br />

noch beim Bauhof lagern,<br />

sollen zu besichtigen sein.<br />

Tore sind sicherlich genauso<br />

interessant wie die Bodenplatten.<br />

Darmstädter Tore<br />

und Darmstädter Bodenplatten<br />

wohlgemerkt, denn die<br />

Relevanz der Exponate<br />

besteht ja nicht darin, daß<br />

ihre Zurschaustellung auf ein<br />

allgemeines Interesse stieße,<br />

sondern daß sie aus Darmstadt<br />

sind. Von diesem wahrhaft<br />

urbanen Geist geprägt ist<br />

auch das Vorhaben, ein nachgebildetes<br />

Stück Fachwerk<br />

auszustellen. Fachwerk in<br />

Darmstadt ist für sich natürlich<br />

eine Sensation. Da werden<br />

die Darmstädterinnen<br />

und Darmstädter strömen,<br />

um endlich einmal ein Stück<br />

Darmstädter Fachwerk –<br />

wenn auch nur nachgebildet<br />

– besichtigen zu können.<br />

Fachwerk, das sonst nur hunderte<br />

von Kilometern entfernt<br />

unter großen Mühen zu sehen<br />

ist, bald endlich auch in<br />

Darmstadt, da wird unsere<br />

Heinerseele im Bierzelt<br />

feuchte Augen kriegen.<br />

Es ist zu überlegen, ob das<br />

bislang bescheidene Konzept<br />

nicht ausgeweitet werden<br />

sollte: nach Euro- nun Heinerdisney.Kutschenrundfahrten<br />

in der Altstadt, endlich<br />

ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal<br />

oder wenigstens ein Heinerfreigehege<br />

im Vivarium<br />

böten sich als erste Schritte<br />

an. Das Darmstädter Heimatmuseum<br />

soll allein aus Spendengeldern<br />

finanziert werden.<br />

Selbstverständlich können<br />

in unserer Gesellschaft<br />

Leute, die offensichtlich zu<br />

viel Geld haben, damit<br />

machen, was sie wollen. Sie<br />

müssen ja nicht – wie beispielsweise<br />

der Lionsclub für<br />

die Obdachlosenhilfe in der<br />

Teestube spenden. Die<br />

Rechtfertigung der wohltätigen<br />

Herren, das Projekt Heimatmuseum<br />

sei „etwas, was<br />

wirklich konsensfähig ist“,<br />

gilt in diesen Tagen für vieles<br />

andere auch: kalt duschen<br />

zum Beispiel. Die Stadt und<br />

ihr Repräsentant Peter Benz<br />

sollten sich genau überlegen,<br />

was für ein Zeichen mit dieser<br />

symbolischen Unterstützung<br />

gesetzt wird. Nach Sironi<br />

und Cannabiswochenende<br />

bleiben die BürgerInnen<br />

natürlich noch viel lieber in<br />

dieser Stadt.<br />

Wer erklärt außerhalb<br />

schon gerne, er käme aus<br />

Darmstadt? Biedermeierliche<br />

Rückwärtsgewandtheit und<br />

tranige Selbstbeweihräucherung<br />

als kulturelles und bürgerschaftliches<br />

Engagement<br />

zu verkaufen – den Köpfen<br />

der selbsternannten Gemeinnützer<br />

muß mehr als nur<br />

die Sonne zugesetzt haben.<br />

Wie sie munter darüber fachsimpeln,<br />

ob die Mauer den<br />

Efeu oder der Efeu die Mauer<br />

hält, verabreden sie sich<br />

schließlich: „nächstes Jahr<br />

9.30 Uhr, Heinerfestsamstag.“<br />

Da meint einer ganz<br />

vergnügt „das ist ja wie beim<br />

Schwejk“. Ach ja?<br />

Jörg Bussmann ausgezeich<strong>net</strong><br />

Er erhält den Preis der Sezession 1994<br />

(ZD). Die Darmstädter Sezession<br />

hat die beiden Förderpreise<br />

für junge Künstler vergeben.<br />

Die Jury entschied sich<br />

mit Mehrheit für den in Bremen<br />

lebenden 34jährigen<br />

Bildhauer Jörg Bussmann für<br />

den mit 8.000 Mark dotierten<br />

Sezessionspreis. Der mit<br />

2.000 Mark dotierte Förderpreis<br />

wurde der Bildhauerin<br />

Bärbel Dieckmann (33) aus<br />

Kaiserslautern zugesprochen.<br />

Die Preise werden am 14. 8.<br />

1994, um 17 Uhr, in der Ausstellung<br />

auf dem Ziegelhüttengelände<br />

in der Kranichsteiner<br />

Straße 108 überreicht.<br />

ZEITUNG FÜR DARMSTADT Seite 12<br />

wieso weshalb warum Notiert von Herta Benzel<br />

▲ Christel Thorbecke (45),<br />

ist eine der ganz Umtriebigen<br />

in Darmstadt – wo sie auftaucht,<br />

da wird sie auch registriert.<br />

Und das war in unserer<br />

Stadt in den letzten Jahren<br />

häufig der Fall: sitzt sie doch<br />

seit sechs Jahren als Grüne<br />

im Stadtparlament und vertritt<br />

ihre Partei öffentlich<br />

allüberall. Schade, daß die<br />

Heiner auf dieses allzu vertraute<br />

Bild (Privat) nun werden<br />

verzichten müssen: Denn<br />

Wie ist die Zeitung<br />

interessant …<br />

Wettlauf mit Enten<br />

Hermine und ich treffen uns ersteinmal am<br />

Steinbrücker Teich, zum morgendlichen<br />

Entenjagen. Was eine Gaudi: fünf Runden<br />

und wir sind fit für den Tag.<br />

Promis schauen<br />

Nach erfolgreicher Jagd werden wir in<br />

bester Laune zum Metzger Schmidt in die<br />

Arheilger Straße dackeln, um stadtbekannten<br />

Promis beim Einkauf zwischen die<br />

Waden zu schauen und ein belegtes Lungenbrötchen<br />

zu schnappen.<br />

Alles im Blick<br />

Um die Mittagszeit plagt Hermine immer<br />

die Blase, deshalb gehen wir zum Marktplatz,<br />

zum neuen Hundeklo. Wenn sie<br />

nicht muß, ist es auch gut – vielleicht finden<br />

wir ja auch noch Würstchenreste vom<br />

Heinerfeste.<br />

die Lehrerin zieht es nach<br />

Brüssel, genauer, Brüssel war<br />

es, die sie rief, an eine<br />

europäische Schule nämlich,<br />

um künftig dort zu unterrichten.<br />

Und ihr Mann? Jan<br />

Peter Thorbecke ist auch<br />

einer derjenigen, der zum<br />

Stadtbild gehört. Er war der<br />

erste Museumspädagoge<br />

Darmstadts beim Dienstherren<br />

Hessisches Landesmuseum.<br />

Aber auch er wird seiner<br />

Heimatstadt den Rücken zudrehen<br />

und mit seiner Frau<br />

Christel von dannen ziehen.<br />

Den Heinern gibt er auf den<br />

Weg: Beuys nicht zu vergessen,<br />

denn „der hat mir stets<br />

Energie gespendet“. Und<br />

eines Nachts, wer weiß, sind<br />

sie wieder da.<br />

Peter Benz (51), ganz<br />

oben in der Stadt, registriert<br />

vergnügt, daß er nie auf die<br />

schiefe Bahn gerät und auch<br />

nicht mehr in den Keller<br />

kommt: weil der Weg zum<br />

Marktplatz weder treppauf<br />

noch treppab führt. Was will<br />

Wie ist doch die Zeitung interessant<br />

Für unser liebes Vaterland!<br />

Was haben wir heute nicht alles vernommen!<br />

Die Fürstin ist gestern niedergekommen,<br />

Und morgen wird der Herzog kommen,<br />

Hier ist der König heimgekommen,<br />

Dort ist der Kaiser durchgekommen,<br />

Bald werden sie alle zusammenkommen<br />

Wie interessant? Wie interessant!<br />

Gott segne das liebe Vaterland!<br />

Wie ist doch die Zeitung interessant<br />

Für unser liebes Vaterland!<br />

Was ist uns nicht alles berichtet worden!<br />

Ein Portepeefähnrich ist Leutnant geworden,<br />

Ein Oberhofprediger erhielt einen Orden,<br />

Die Lakaien erhielten silberne Borden,<br />

Die höchsten Herrschaften gehen nach Norden,<br />

Und zeitig ist es Frühling geworden –<br />

Wie interessant? Wie interessant!<br />

Gott segne das liebe Vaterland!<br />

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben<br />

(2.4.1798-19.1.1874), Dichter<br />

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er denn dort? Dort lädt ihn die<br />

neue Toilette zum Verweilen<br />

ein. Es ist zwar kein magischer<br />

Tempel, aber die Musi<br />

hat sie von ihm. „Und jetzt<br />

stehen Sie einmal auf …“,<br />

schier unmöglich. Der Ort ist<br />

gar zu lauschig. Unsere Fotografin<br />

konnte ihn selbstverständlich<br />

nicht ablichten.<br />

Rudi Hammel (61), ist<br />

zehn Jahre älter als unser OB,<br />

sein Stammbaum in der Heinergastro<br />

hat Tradition, 180<br />

Jahre zurück. Und er sieht nur<br />

nach vorn. Er will Kämmerer<br />

werden. Er will sein Erbe der<br />

Stadt schenken. Wunderbare<br />

Sinnverwirrungen bietet sein<br />

Zelt (Frontlänge 3.500 Heinerfreunde)<br />

– wie eine empfindungswabberndeWandelhalle.<br />

Hammel hält’s da nicht<br />

mit seinem Vorgänger Otto<br />

Blöcker (62), der traurig früh<br />

in Pension gehen will. Das<br />

glorreiche Motto unseres<br />

neuen Zahlmeisters: „Selbst<br />

denken! Nicht denken lassen<br />

…“.<br />

Wohin denn nur?<br />

Ausgewählt von<br />

Dani Dackel<br />

Kein Wassernotstand<br />

(kn). Die Feststellung eines<br />

flächenhaften Wasserversorgungsnotstandes<br />

im Regierungsbezirk<br />

Darmstadt wird<br />

es in diesem Jahr nicht geben.<br />

Die Entscheidung soll im<br />

August anhand der aktuellen<br />

Grundwasserstände noch einmal<br />

überprüft werden.<br />

Nach Mitteilung des Regierungspräsidiums<br />

(RP) haben<br />

sich die Grundwasserverhältnisse<br />

im Regierungsbezirk<br />

durch die teilweise sehr<br />

ergiebigen Niederschläge<br />

während der Wintermonate<br />

und zusätzliche wasserwirtschaftliche<br />

Maßnahmen entspannt.<br />

Die Situation sei aber<br />

insgesamt gesehen nach wie<br />

vor kritisch und die Notwendigkeit,<br />

mit Wasser äußerst<br />

sparsam und umsichtig umzugehen,<br />

unumgänglich.<br />

In diesem Zusammenhang<br />

macht das RP noch auf das<br />

vom Hessischen Umweltministerium<br />

eingerichtete<br />

„Wassertelefon“ aufmerksam.<br />

Dort gibt es unter der<br />

Nummer 06151/815757<br />

Informationen über wassersparende<br />

Armaturen und<br />

Geräte.<br />

Wau, das gibt ein heißes Wochenende, ein richtiges Hundetraumwetter sozusagen. Was<br />

macht man nur, um sich abzukühlen? Für die, die nicht zu Hause bleiben wollen, sei die<br />

folgende Auswahl empfohlen:<br />

Brautschau<br />

Nachmittags, wenn ich Hermine im Herrngarten<br />

bei ihren Freundinnen abgesetzt<br />

habe, mach ich mich davon. Wohin? Ich<br />

gehe auf Brautschau – ins Tierheim natürlich.<br />

Und wie kommt man da am besten<br />

hin? Mit der schnellen Sechs, die unsere<br />

liebe HEAG fahren läßt.<br />

Kultur pur<br />

Der kulturelle Höhepunkt des Tages: ein<br />

Besuch bei der Vernissage des weltberühmten<br />

Malers Mario Belloni. Den<br />

Hundekuchen verspeisen wir bei schönem<br />

Wetter im Freien auf der Mathildenhöhe.<br />

Hunde im Film<br />

Wer immer noch nicht genug hat, und den<br />

Tag noch nicht ins Bett legen will, dem<br />

empfehlen wir, sich uns anzuschließen: wir<br />

gehen ins Kino, denn da läuft „Susi und<br />

Strolch“.


Aus der „Initiative frauengerechte Stadt“<br />

hat sich ein Verein gegründet –<br />

Pilotprojekt in Kranichstein<br />

Die Initiative gibt es in Darmstadt schon<br />

lange, genauso wie das (am 26.9.1991)<br />

von den Stadtverord<strong>net</strong>en beschlossene<br />

„Grundsatzpapier frauengerechte Stadt“,<br />

das einen Kriterienkatalog enthält, wie frauengerecht<br />

gebaut und geplant werden sollte.<br />

Fachfrauen und Bürgerinnen haben nun<br />

aus der Initiative einen (noch nicht eingetragenen)<br />

Verein gegründet, „um längerfristig<br />

Druck machen zu können, damit unsere<br />

Anliegen bei zukünftigen Vorhaben mehr<br />

Gewicht finden“, begründet Vorsitzende<br />

Rita Weirich. Helfen soll dabei auch der eine<br />

Sitz im 16köpfigen Stadtentwicklungsbeirat;<br />

in den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen<br />

steht überdies drin, daß in Darmstadt<br />

ein Frauenplanungsbeirat installiert<br />

werden soll.<br />

Männer-Maßstäbe<br />

Ab den 60er Jahren wuchs die Kritik am<br />

bestehenden sozialen Wohnungsbau. Vor<br />

allem Frauen bemängelten die Grundrisse<br />

im öffentlich geförderten Wohnungsbau,<br />

dabei vor allem die großen repräsentativen<br />

sen (durch verschiebbare Wände, red.).<br />

Jeder Person im Haushalt wird ein eigener<br />

Individualraum zugesprochen, es soll die<br />

Möglichkeit bestehen, daß jeweils zwei<br />

Räume zusammengeschaltet und bei<br />

Bedarf wieder geteilt werden können.“ (aus:<br />

„Alternativen im Sozialen Wohnungsbau“,<br />

Hessisches Ministerium für Landesentwicklung<br />

und Wohnen). Erst seitdem hat<br />

eine Ein-Kind-Ein-Eltern-Familie Anspruch<br />

auf eine Drei-Zimmer-Wohnung.<br />

Der Realisierungswettbewerb<br />

Die Landesregierung hat im vergangenen<br />

Jahr in Zusammenarbeit mit der Wohnungsbaugesellschaft<br />

„Nassauische Heimstätte“,<br />

Tochterfirma „Gesellschaft für<br />

innovative Projekte im Wohnungsbau<br />

mbH“ (gip) Architektinnen und Städteplanerinnen<br />

für einen „Realisierungswettbewerb:<br />

Frauengerechtes Bauen und Wohnen“<br />

eingeladen. Den 1. Preis gewannen<br />

Klaudia Hornung und Michael Spieß aus<br />

Frankfurt, den zweiten Ramona Buxbaum<br />

und Peter Karle aus Darmstadt. Im Frühjahr<br />

West-Modellwohnung (Konzept Rojan-Sandvoss)<br />

Abb.: Broschüre „Alternativen im Sozialen Wohnungsbau“<br />

„Ältere Männer sind nicht gerade<br />

Kranichstein K6, Marktplatzumgestaltung,<br />

der HEAG-Hallen-Komplex und<br />

das Bahnhofsgebiet – vier Stadtteile, bei<br />

denen in naher Zukunft Veränderungen<br />

anstehen. Nicht nur Darmstadts Frauenbeauftragte<br />

Trautel Baur ist gespannt, inwieweit<br />

dort die Kriterien „frauengerechte<br />

Stadt“ verwirklicht werden. „Viele sagen,<br />

was soll das? und meinen, Architektur und<br />

Städteplanung seien geschlechtsneutral.<br />

Doch Frauen sagen: wir werden vergessen,<br />

benachteiligt, weil sich die sogenannte<br />

menschengerechte Planung ausschließlich<br />

an männlichen Maßstäben orientiert. Der<br />

Stadtverord<strong>net</strong>enbeschluß von 1991 bedarf<br />

der grundsätzlichen Umsetzung, bedarf des<br />

politischen Willens“. Mit diesen Worten<br />

eröff<strong>net</strong>e Baur eine Podiumsdiskussion zur<br />

Ausstellung„Frauengerechtes Bauen und<br />

Wohnen“ in der Orangerie (29.6.).<br />

Auf dem Podium saßen: Wiebke Schindel,<br />

Frauenreferentin des Hessischen Wohnungsbauministeriums,<br />

Rita Weirich von<br />

der Darmstädter „Initiative frauengerechte<br />

Stadt“, Antje Flade vom „Institut Wohnen<br />

die Speerspitze der Innovation“ (Zitat: Daniela Wagner)<br />

Wohnzimmer und die kleinen Kinderzimmer,<br />

die abgetrennten Küchen. Bis Anfang<br />

1993 waren in Hessen für den öffentlichen<br />

Wohnungsbau Richtlinien gültig, die solche<br />

Raumaufteilungen verord<strong>net</strong>en.<br />

Da Frauen stärker als Männer an Hausarbeit<br />

gebunden sind – so ist nun mal die Realität<br />

– sie mehr als Männer mit dem Problem<br />

konfrontiert sind, Familien- und Erwerbsarbeit<br />

zu verknüpfen, da sie häufiger zu den<br />

Einkommensschwachen zählen, die auf den<br />

sozialen Wohnungsbau angewiesen sind,<br />

und weil sie seltener Autos besitzen und<br />

damit stärker als Männer auf den öffentlichen<br />

Nahverkehr (ÖPNV) angewiesen sind,<br />

haben viele Frauen in vielen Städten<br />

beschlossen, daß Wohnbauplanung nicht<br />

allein Männern überlassen bleiben darf.<br />

Was heißt frauengerecht?<br />

Ausgehend von diesen Benachteiligungen<br />

haben Architektinnen, Städteplanerinnen<br />

und Bürgerinnen in den vergangenen Jahren<br />

Kriterien erarbeitet, von denen die wichtigste<br />

lautet: Frauengerechtes Bauen und<br />

Wohnen darf keinesfalls die geschlechtsspezifische<br />

Arbeitsteilung zwischen Mann<br />

und Frau weiter verfestigen oder die Arbeitskraft<br />

der Frauen noch mehr ausbeuten.<br />

Um Frauen in ihrem Alltag zu entlasten,<br />

müssen folgende Punkte erfüllt werden:<br />

• Nähe von Wohnen und Arbeiten.<br />

• Sozialer Wohnungsbau muß im ÖPNV eingebunden<br />

sein. Der Weg zu den Haltestellen<br />

der Nahverkehrsmittel sollte nicht mehr<br />

als 700 m betragen und öffentliche Verkehrsmittel<br />

mindestens im 20 Minuten-Takt<br />

fahren.<br />

• Kindergärten, Schulen, Geschäfte sollen<br />

per Pedes erreichbar sein.<br />

• Das Wohnumfeld muß ausreichende<br />

Möglichkeiten für Kinder bieten, gefahrlos<br />

zu spielen.<br />

• Die Wohngebiete sollen Wohnungen<br />

unterschiedlicher Größe und Preisklasse<br />

anbieten (soziale Mischung).<br />

• Die Wohngebiete sollen ohne dunkle<br />

Angst- und Gefahrecken geplant werden.<br />

In den Wohnungen sollte es:<br />

• Rückzugsmöglichkeiten geben, sogenannte<br />

„nutzungsoffene Räume“.<br />

• möglich sein, Küchenarbeit partnerschaftlich<br />

zu verrichten.<br />

• möglich sein, die Kinder bei der Hausarbeit<br />

auch zu beaufsichtigen.<br />

Neue Wohnungsbaurichtlinien<br />

Diese Kriterien hat die Hessische Landesregierung<br />

1993 in den neuen „Technischen<br />

Wohnungsbaurichtlinien“ einfließen lassen.<br />

Danach sollen neue mit öffentlichen Geldern<br />

finanzierte Wohnungen sich „wandelnden<br />

Wohnbedürfnissen anpassen las-<br />

95 soll im Baugebiet Wiesbaden Mainz-<br />

Kastell gebaut werden – auch mit dem Ziel,<br />

zu zeigen, daß frauengerechter Wohnungsbau<br />

nicht teurer sein muß. Die Ergebnisse<br />

waren bis zum 8.7. in einer Ausstellung im<br />

Kundenzentrum der HEAG zu begutachten.<br />

Demnächst soll in Darmstadt in Zusammenarbeit<br />

mit der „gip“ ein solches Bauvorhaben<br />

realisiert werden: im Vilbeler Weg in<br />

Kranichstein. Dennoch: die Frauen sind<br />

sicher, daß sie noch viele Männer-Widerstände<br />

zu überwinden haben, bis Darmstadt<br />

eines Tages vielleicht wirklich einmal<br />

frauengerechter sein wird. Dazu müßten<br />

Frauen vermehrt in der Wohnungswirtschaft<br />

und -politik verantwortungsvolle<br />

Positionen übernehmen. Denn nach wie vor<br />

sind Aufsichtsräte, Gesellschafterversammlungen<br />

wie auch kommunalpolitische<br />

Ausschüsse und Kommissionen zu Wohnungsfragen<br />

in männlicher Hand. Ein Hoffnungsschimmer<br />

ist da vielleicht Daniela<br />

Wagner (Grüne), die seit ein paar Wochen<br />

im Aufsichtsrat des „Bauvereins für Arbeiterwohnungen“<br />

sitzt: „Da wird über jeden<br />

noch so kleinen Scheiß gebabbelt“. Und<br />

vielleicht ändert sich die patriarchale Realität<br />

ja langsam – dank Hessischem Gleichberechtigungsgesetz<br />

(s. ZD-Ausgabe 69).<br />

Eva Bredow<br />

Der Verein will für alle Frauen offen sein. Welche interessiert<br />

ist, kann jeweils am dritten Mittwoch im Monat<br />

um 20 Uhr ins Frauenzentrum in der Kyritzschule kommen,<br />

wo sich die Vereinsfrauen treffen.<br />

Trautel Baur + 6<br />

Zugestimmt hat der Magistrat der Bestellung<br />

der seitherigen Frauenbeauftragten Edeltraut<br />

Baur zur Frauenbeauftragten der Stadtverwaltung<br />

Darmstadt im Sinne des Hessischen<br />

Gleichberechtigungsgesetzes. Außerdem bekommen<br />

jetzt auch die Berufsfeuerwehr und<br />

die vier Eigenbetriebe nebenamtliche Frauenbeauftragte,<br />

die wiederum Stellvertreterinnen.<br />

Dem bestehenden Frauenbüro werden<br />

die Aufgaben der Frauenbeauftragten nach<br />

dem Hessischen Gleichberechtigungsgesetz<br />

übertragen und, so Oberbürgermeister Peter<br />

Benz, dieses personell aufgestockt: „Neben<br />

der vorhandenen Ganztagsstelle hat der Magistrat<br />

eine weitere Vollzeitstelle bewilligt. Alle<br />

zusätzlichen Stellen werden aus dem sogenannten<br />

Stellenpool, also aus dem städtischen<br />

Personalbestand, gewonnen“, so meldet<br />

das städtische Presseamt.<br />

„Frauenförderpläne sollen für die Berufsfeuerwehr<br />

und die vier Eigenbetriebe erstellt werden.<br />

Das Frauenbüro wird durch eine Sozialpädagogin<br />

oder -arbeiterin aufgestockt, auch<br />

für die Schreibkraft gibt es jetzt eine Vollzeitstelle.<br />

„Mit diesen Entscheidungen ist der<br />

2. Preis im Wettbewerb „Frauengerechtes<br />

Bauen und Wohnen“:<br />

Ramona Buxbaum und Peter<br />

Karle. Die Jury beurteilt wie folgt:<br />

„Die einfache, klare städtebauliche<br />

Lösung integriert sich in eine heterogene<br />

Umgebung und stellt einen<br />

sehr guten Beitrag zum Thema<br />

Kommunikation und Privatheit in<br />

einer gemeinschaftlichen Grundkonzeption<br />

dar und bringt wertvolle<br />

Beispiele für differenzierte<br />

Wohnangebote zum Thema:<br />

‚Frauengerechtes Bauen und<br />

Wohnen‘“ (Abb.: Realisierungswettbewerb<br />

Frauengerechtes<br />

Bauen und Wohnen im Sozialen<br />

Wohnungsbau, Hessisches<br />

Ministerium für Landesentwicklung,<br />

Wohnen, Landwirtschaft,<br />

Forsten und Naturschutz)<br />

Darmstädter Magistrat den Bestimmungen<br />

des Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes<br />

vom Dezember letzten Jahres nachgekommen“,<br />

schreibt: Volker Rinnert, Presseamt<br />

Frauenpartei<br />

in Darmstadt?<br />

Am 14. Juli 1994 findet im Sefo, Wienerstr.<br />

78, um 20 Uhr eine Diskussion statt mit der<br />

Referentin Monika Simmel zum Thema<br />

„Frauenpartei“. Alle interessierten Darmstädter<br />

Frauen sind dazu eingeladen.<br />

Dr. Monika Simmel ist Professorin an der<br />

Fachhochschule Wiesbaden und hat sich in<br />

ihren Forschungen ganz besonders mit der<br />

Frauenbewegung der zwanziger Jahre<br />

beschäftigt. Schon damals haben Frauen<br />

überlegt, eine Frauenpartei bzw. Frauenliste<br />

zu gründen. Diese Frage beschäftigt die<br />

Darmstädter Frauen auch heute. Gerade im<br />

„Superwahljahr“ 1994 fühlen sich viele Frauen<br />

von der offiziellen Politik nicht vertreten.<br />

„Uns reicht’s!“ hatten die Darmstädter Frauen<br />

am 8. März – dem internationalen Frauentag<br />

– auf ihren Plakaten und Transparenten<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 13<br />

Siebert: „Da ändert sich nichts“ –<br />

Flade: „frauengerecht“ – Nein –<br />

Mohr: „frauengerecht“ – Ja ???<br />

1. Preis im Wettbewerb<br />

„Frauengerechtes Bauen und<br />

Wohnen“: Klaudia Hornung<br />

und Michael Spies. Die Jury<br />

beurteilt wie folgt: „Das<br />

städtebauliche Ensemble<br />

aus vier zueinander gruppierten<br />

Baukörpern schafft<br />

eine äußert kommunikative<br />

Mitte, ohne wichtige Bezüge<br />

zur Umgebung zu negieren<br />

… Ein optimiertes Grundrißraster<br />

ermöglicht Raumbereiche<br />

mit weitgehender<br />

Nutzungsneutraliät und<br />

hoher Flexibilität. Ein<br />

Zusammenschalten von<br />

Wohnräumen ist ebenso<br />

möglich wie das Zusammenfügen<br />

von Wohnungen …“<br />

stehen. Was die Frauen ändern wollen und<br />

wie, das soll Gegenstand der Diskussionen<br />

am Informationsabend im Sefo sein. In<br />

Darmstadt existiert seit fast einem Jahr das<br />

„Komitee zur Vorbereitung des Frauenstreiktages<br />

8. März 1994“ (Streikkomitee). Eine<br />

Gruppe engagierter Frauen, die auch über<br />

den 8. März dieses Jahres hinaus in regelmäßigen<br />

Zusammenkünften das Thema<br />

„Frauenpartei“ für Darmstadt und das<br />

Umfeld der Stadt diskutieren. red.<br />

Orientierung für<br />

Frauen<br />

Im „Frauenselbsthilfe- und Fortbildungszentrum“<br />

(Sefo) beginnt der 21. Orientierungskurs<br />

für erwerbslose Frauen, die nach einer<br />

längeren Berufsunterbrechung wieder in das<br />

Erwerbsleben zurückkehren wollen/zurückkehren<br />

müssen. Ein beruflicher Neuanfang<br />

ist mit vielfältigen Entscheidungen verbunden,<br />

sowohl der neue Berufsweg als auch die<br />

Neuorganisation der Familie muß durchdacht<br />

und geplant werden. Häufig sind die<br />

früher erworbenen beruflichen Qualifikatio-<br />

und Umwelt“, Hans Fürst, Geschäftsführer<br />

der „gip“, An<strong>net</strong>te Laute, Frauenbeauftragte<br />

und wissenschaftliche Mitarbeiterin des<br />

TH-Fachbereichs Architektur, Landtagsabgeord<strong>net</strong>e<br />

Daniela Wagner (Grüne), die im<br />

Aufsichtsrat des „Bauvereins“ sitzt, sowie<br />

Planungsdezernent und Bürgermeister<br />

Michael Siebert (Grüne).<br />

Mit den Männern<br />

„Frauengerecht“ – Antje Flade will den<br />

Begriff am liebsten über Bord werfen, denn<br />

vor allem bei Männern stößt er auf Mißtrauen,<br />

Unverständnis und Ablehnung, meint<br />

sie. „Er gilt nicht für Arme, Alte, Alleinerziehende,<br />

sondern für alle Frauen, die einen<br />

komplexeren Lebensalltag als Männer<br />

haben, da sie Erwerbs- und Familienarbeit,<br />

die meist räumlich voneinander getrennt<br />

sind, miteinander verbinden müssen. Die<br />

Zielgruppe für frauengerechte Bauten sind<br />

Erwerbstätige, die Kinder aber meist kein<br />

Auto haben“. Ohne den Begriff frauengerecht<br />

– „kämen wir viel weiter“.<br />

Das sieht Sozialamtsleiterin Wilma Mohr<br />

(SPD) entschieden anders: sie hatte Anfang<br />

90, damals noch als Frauenbeauftragte, den<br />

Stadtverord<strong>net</strong>enbeschluß durchgeboxt.<br />

Doch ihr ganzer Stolz („Frauengerecht“)<br />

stieß beim Bauverein auf keine Gegenliebe,<br />

dort mißachtete Mann das Papier gänzlich –<br />

noch nicht einmal den Eingang wollte Mann<br />

bestätigen. Heute ist sie, Wilma Mohr,<br />

zuversichtlich, daß sich da mit Daniela<br />

Wagner was ändere. Die empfindet den<br />

Bauvereins-Vorstand aber „als sehr zäh“<br />

und attestiert ihm, einen Sack „voller Vorurteile“<br />

– „ältere Herren sind nun mal nicht<br />

gerade die Speerspitze der Innovation“, so<br />

Wagner. Wer sich da wohl angesprochen<br />

fühlt?<br />

„Das ist halt nicht zu ändern“<br />

Mann Siebert preist die Planungen für das<br />

Neubaugebiet Kranichstein K6 an: „Da ist<br />

alles frauengerecht“. Was? Der Siebert war<br />

an dem Abend nicht so gut drauf, so war<br />

denn auch nicht allzuviel zu hören, was er<br />

dazu meint, außer: „Es treten alle möglichen<br />

Gruppen an mich heran“, mit dem<br />

Wunsch, ihre Vorstellungen seien hier oder<br />

dort zu berücksichtigen und zu verwirklichen.<br />

Die Planungskultur in Darmstadt seit<br />

dem Stadtverord<strong>net</strong>enbeschluß von 91 ist<br />

immer noch dieselbe, meint er, das sei halt<br />

nicht zu ändern. Aus einer Bauausschußsitzung<br />

vom Nachmittag plaudert er, daß beinahe<br />

der Abschnitt „Neue Wohnformen“<br />

aus den Anforderungen des städtebaulichen<br />

Wettbewerbs K6 rausgefallen wäre:<br />

„für die ist das zu provokant, beängstigend<br />

neu, sie sind verunsichert“. Hans Fürst<br />

widerspricht Siebert: „Das kann man der<br />

Planungskultur nicht gnädig nachsehen.<br />

Die Kriterien zum frauengerechten Wohnen<br />

und Bauen müssen jetzt durchgesetzt werden,<br />

denn die Strukturen, die jetzt geschaffen<br />

werden, stehen 200 Jahre“.<br />

Nicht nur Siebert, auch den anderen PodiumsteilnehmerInnen<br />

war es wohl zu heiß,<br />

ebenso wie dem Publikum, das lieber zu<br />

Hause geblieben war. vro<br />

nen für den heutigen Arbeitsmarkt nicht<br />

mehr ausreichend. Hinzu kommt noch, daß<br />

die neuen Technologien viele Arbeitsplätze<br />

völlig verändert haben. Innerhalb des Kurses<br />

werden vielfältige Informationen zur Erwerbsarbeit<br />

gegeben: Fortbildungs- und<br />

Umschulungsangebote, Berufsbilder, Bewerbung,<br />

Renten, neue Technologien,<br />

Arbeitszeitmodelle, Arbeitsrecht, Firmenbesuche<br />

und vieles mehr sind Themen im Kurs.<br />

Ziel des Kurses ist es, jeder Frau durch<br />

umfassende Informationen zur Erwerbsarbeit,<br />

unter Einbeziehung ihrer persönlichen<br />

Lebenssituation, zu einer fundierten Entscheidung<br />

bezüglich der Berufsrückkehr zu<br />

verhelfen. Die Teilnahme an dem Kurs ist<br />

kostenlos. In diesem Jahr können wir nur<br />

noch einen dreimonatigen Kurs durchführen.<br />

Von daher findet innerhalb des Kurses nur<br />

eine einwöchige EDV-Einführung und ein<br />

zweiwöchiges Praktikum statt. Kursbeginn:<br />

26.9.1994. Informationen und Anmeldung<br />

ab sofort, telefonisch oder persönlich im<br />

Sefo bei den Kursleiterinnen Ulla Kurz und<br />

Maria Späh. Bürozeiten: Montag und Dienstag<br />

10 bis 16 Uhr, Donnerstag 10 bis 18 Uhr.<br />

Frauenselbsthilfe- u. Fortbildungszentrum<br />

(Sefo)


Vergewaltigung:<br />

Der Täter Opfer weiblicher Reize<br />

Der Schutz der Familie – eine allzu nützliche männliche Ideologie –<br />

Studientag „Gewalt gegen Frauen und Mädchen“<br />

„Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter“ – so nennt sich eine<br />

Kampagne der Bundesfrauenministerin Angela Merkel (CDU),<br />

an der das Frauenbüro Darmstadt und das Kreisfrauenbüro<br />

Darmstadt-Dieburg mit einem Studientag zum Thema teilnahmen.<br />

Am 24.6. sprachen eine Rechtsanwältin, eine Staatsanwältin,<br />

eine Juristin und eine Kriminaloberrätin über ihre Erfahrungen.<br />

Tags darauf wurde in einzelnen Gruppen ein Forderungskatalog<br />

an Justiz und Polizei erstellt; er soll im Herbst<br />

öffentlich übergeben werden.<br />

chon lange gibt es die Idee, den Kon-<br />

„Stakt mit Justiz und Polizei aufzunehmen.<br />

Doch wir hatten die Angst, in gegenseitiger<br />

Überzeugungsarbeit stecken zu bleiben.<br />

Deshalb haben wir uns überlegt, einen Forderungskatalog<br />

zu erstellen, damit sich die<br />

Situation für Frauen verändert.“ Darmstadts<br />

Frauenbeauftragte Trautel Baur spricht von<br />

„längst fälligen, notwendigen Änderungen“.<br />

Alle Fraueninstitutionen stoßen immer wieder<br />

an „Grenzen von Justiz und Polizei“, „fast<br />

täglich hören wir Aussagen, daß Frauen und<br />

Mädchen vor einer Mauer stehen, nachdem<br />

sie bedroht, mißhandelt und geschlagen<br />

worden sind. Frauen fühlen sich nicht ernstgenommen.<br />

Sie erzählen, daß der Ton<br />

extrem unterschiedlich ist, zu dem Ton<br />

gegenüber Männern, Ehemännern oder dem<br />

Freund. Wenn eine weinende Frau um Hilfe<br />

ruft, spricht die Polizei mit dem Mißhandler.<br />

Da fallen Sätze wie, ,Na, wenn das meine<br />

Frau getan hätte, wer weiß, was ich dann<br />

getan hätte‘“, weiß Trautel Baur. Sie fordert,<br />

daß Alkohol bei sexuellen Gewalttaten kein<br />

strafmindernder Grund mehr sein darf, wie<br />

es erst kürzlich vor einem Darmstädter<br />

Das Patriarchat hält Frauen in Angst<br />

Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ist das (rechtsextreme) Gewaltpotential<br />

in unserer Gesellschaft erschreckend sichtbar geworden, sind Rassismus und<br />

Ausländerfeindlichkeit beängstigend angewachsen. Seit eh und je leben wir mit dem alltäglichen<br />

Skandal des Sexismus und der (insbesondere sexuellen) Gewalt gegen<br />

Mädchen und Frauen. Doch diese ist ein akzeptierter Bestandteil unserer Gesellschaft.<br />

In dem Regierungsbericht der Gewaltkommission von 1990 heißt es, Gewalt finde vorwiegend<br />

im Schoße der trauten Familie statt, der Keimzelle des deutschen Staates – also<br />

gegen Frauen, Mädchen und Jungen.<br />

Gerade der private Raum, der angeblich dem Schutz von Frauen und Mädchen dienen<br />

soll, ist für sie der gefährlichste. Statistiken entlarven diese Schutzvorstellung als<br />

Mißverständnis und Ideologie, als Absicherung männlicher Verfügungsrechte.<br />

Vor Gewalt sind Mädchen und Frauen nirgendwo geschützt: weder in der Öffentlichkeit,<br />

auf Straßen, in Wohnungen, in Schulen, Gaststätten, in Institutionen noch und gerade<br />

am Arbeitsplatz (so gaben 70 Prozent aller befragten Frauen in einer Studie des Bundesministerium<br />

für Frauen und Jugend an, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz im engeren<br />

und weiteren Sinne erfahren zu haben) und schon gar nicht in Beziehungen oder in<br />

Familien. Auch die Anwesenheit anderer schützt sie nicht vor sexuellem Mißbrauch,<br />

Vergewaltigung und Mord. Oft beteiligen sich andere an der Gewalt, schauen gar zu.<br />

In den wenigen Fällen, in denen die Täter vor Gericht kommen, werden sie zumeist entlastet,<br />

entschuldigt, den Opfern wird die Verantwortung an der ihnen zugefügten Gewalt<br />

zugeschrieben. Ein Grundrecht des Mannes, seine sexuellen und aggressiven Bedürfnisse<br />

zu befriedigen?! Und umgekehrt gesteht das allgemeine – gleich männliche –<br />

Bewußtsein Mädchen und Frauen kein Recht zu, sich sexuell zu verweigern.<br />

Die Vorstellung von der ehelichen Pflicht zum Geschlechtsverkehr ist eine allzu nützliche<br />

Definition – und findet sich im geltenden Bürgerlichen (Ehe-) Gesetzbuch, wo es in<br />

§ 1353 heißt: „Ein Ehegatte ist nicht verpflichtet, dem Verlangen des anderen … nach<br />

Herstellung der Gemeinschaft Folge zu leisten, wenn sich das Verlangen als Mißbrauch<br />

seines Rechtes darstellt oder wenn die Ehe gescheitert ist“. Was im geschrobenen Juristen-Deutsch<br />

so unverständlich daherkommt, heißt nichts anderes als: Dem männlichen<br />

Recht auf Beischlaf hat die Frau Folge zu leisten, es sei denn er hätte sie mit einer<br />

anderen Frau (Mann?) betrogen. Straffreie, heißt legitimierte Vergewaltigung der Ehefrau.<br />

Und dies diszipliniert Frauen. Die Verfügungsgewalt des Mannes über den Körper<br />

der Frau manifestiert sich auch in der Weigerung des (noch männlichen) Gesetzgebers,<br />

Vergewaltigungen in der Ehe als Straftatbestand anzuerkennen und zu verfolgen. Und<br />

das ist patriarchale Realität unserer Gesellschaft.<br />

Die sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen kennt viele Formen – Vergewaltigung<br />

und Sexualmord sind die brutalsten, gefolgt vom sexuellen Mißbrauch, körperlichen<br />

Übergriffen, Androhung sexueller Gewalt sowie anzügliche und herabwürdigende<br />

Bemerkungen.<br />

Die alltägliche Ausübung von Gewalt und ihre Androhung wird ergänzt und gestützt<br />

durch Darstellungen der Verfügbarkeit über den weiblichen Körper in Medien,<br />

Werbung, Filmen, Literatur und Pornographie, wodurch die rechtmäßige Verfügungsgewalt<br />

des Mannes über das weibliche Geschlecht als Norm vermittelt wird – und<br />

Gewaltausübung damit zur legitimen Handlung wird. Die Medien sind dabei nicht nur<br />

Spiegel der männlichen Herr-Schaftsverhältnisse, sondern darüber hinaus „Instrument<br />

zu ihrer Manipulation und Aufrechterhaltung“, wie schon die Soziologin Ursula Scheu<br />

feststellte.<br />

Wie ist diese Gewalt zu erklären? Warum wird sie geduldet? Den Boden für diese Gewalt<br />

bereitet männliche Übermacht. Interviews mit Tätern haben gezeigt, daß Vergewaltigungen<br />

nicht Resultat eines Triebstaus sind, sondern aus dem Bedürfnis entspringen,<br />

Macht zu demonstrieren und zu unterwerfen. Resultat der alltäglichen Gewalt ist: die<br />

permanente Einschüchterung aller Frauen, die durch Männer in permanenter Angst<br />

gehalten werden.<br />

Sexuelle Gewalt ist Machtpraxis patriarchaler Kulturen – wie der Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

Gewalt in der Schule, Gewalt gegen Andersfarbige und Ausländer, Gewalt gegen<br />

Mädchen und Frauen: Die Erziehung versagt, die aus Unmenschen Menschen macht.<br />

Eva Bredow<br />

Parkhaus-Gewalt<br />

Es ist nach 22 Uhr, außer mir hat keine<br />

der Frauen, die an der Diskussion teilgenommen<br />

haben, in der Tiefgarage des<br />

Luisencenters geparkt. Ich laufe ins<br />

Erdgeschoß und will mit der Rolltreppe<br />

ins Basement fahren, wo die Kassenautomaten<br />

sind, doch die Rolltreppe ist<br />

mit rot-weißen Bändern abgesperrt. Ich<br />

treffe einen Mann, der damit wohl was<br />

zu tun hat, der mir rät: „Krabbeln se<br />

drunter durch“. Unten sehe ich in spärlichem<br />

Licht einen anderen Mann stehen,<br />

als ich ankomme, ist er verschwunden.<br />

Wohin? Ich fühle mich unsicher, schaue<br />

um mich, schmeiße mein Geld in den<br />

Automaten und warte. Allein. Wo ist er<br />

hin? Auch der Aufzug läßt auf sich warten,<br />

lange, beängstigend lange Minuten.<br />

Er hält und da ist diese Angst, drinnen<br />

könnte er auf mich warten, mich packen<br />

– und keiner würde mich hören …<br />

Gericht wieder der Fall war, wo ein Mann eine<br />

Frau über viele Jahre sexuell mißbraucht hat,<br />

da er die Tat aber gestand, mit Bewährung<br />

davon kam.<br />

Für Baur Grund genug, sich an der Kampagne,<br />

„Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter“,<br />

zu beteiligen. Etwa vierzig Frauen waren<br />

in den Raum Graz ins Neue Rathaus gekommen.<br />

Herrschaftsarchitektur im<br />

Gericht<br />

Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller aus<br />

Wiesbaden hat 17 Jahre Erfahrung als Zeuginnenbeistand<br />

und als Rechtsbeistand in<br />

Nebenklagen. Sie spricht lieber von den<br />

„Verletzten“ als von „Opfern“. Denn dieser<br />

Begriff habe immer den „Ruch des passiv<br />

Leidenden, Duldenden“. Sie fordert, daß sich<br />

die Justiz an „die Bedürfnisse der Mädchen<br />

und Frauen anzupassen“ habe, daß Gerichtsprozesse<br />

als „Verarbeitungsstrategie“ zu<br />

verstehen seien. Es gehe um eine Verantwortungsübernahme<br />

des Täters, darum, den<br />

Verletzten zuzugestehen, daß sie nicht gelogen<br />

haben, und darum, angemessene Sanktionen<br />

zu verhängen. Burgsmüller konstatiert<br />

„unwürdige äußerliche Bedingungen vor<br />

Gericht“ und nennt die „Herrschaftsarchitektur“<br />

im Saal und die „einschüchternde Wirkung<br />

der Roben“, denen mit eigenen neuen<br />

Zeuginnen-Warteräumen, pädagogischer<br />

Betreuung und Spielmaterial entgegengetreten<br />

werden könne. Rechtsanwältinnen müßten<br />

möglichst früh bei Gewalttaten eingeschaltet<br />

werden, und zwar kostenlos, unabhängig<br />

von den Vermögensverhältnissen der<br />

Kinder und Frauen. Denn: „Die Prozeßkostenhilfe<br />

ist heute sehr kleinlich“. Außerdem<br />

müßten die Rechte der Nebenklage wesentlich<br />

verbessert werden.<br />

Täter sind nicht abnormal<br />

„Es gibt das Klischee, der Täter sei abnormal“,<br />

erzählt Staatsanwältin Iris Weingardt<br />

(Kaiserslautern), „dabei ist der Täter der<br />

Nachbar, der Mann, der Freund, der Kollege“.<br />

5.500 Frauen sind 1991 in den alten<br />

Bundesländern und Berlin vergewaltigt worden,<br />

ExpertInnen schätzen die Dunkelziffer<br />

auf das Zehn- bis Zwanzigfache. Vergewaltigung,<br />

die schlimmste Form der sexuellen<br />

Gewalt, sei ein „massiver Angriff auf die Psyche<br />

der Frau“, die „Schrecken, Panik, Erniedrigung,<br />

Hilflosigkeit, Ekel und Wut“ erleide.<br />

Bei zwei Dritteln der Opfer blieben Angst vor<br />

und Mißtrauen gegen Männer zurück.<br />

Aus ihrer täglichen Praxis weiß sie, daß Frauen<br />

oft als Verführerinnen vorverurteilt werden.<br />

Polizei und Justiz würden Tätern Fragen<br />

stellen, die bewußt auf ihre Entlastung abzielen.<br />

Beispiele: „Wie war das Opfer gekleidet?“,<br />

„War es alkoholisiert?“, „Hat es sich<br />

die Tat nur eingebildet?“, sowie Fragen danach,<br />

ob das Opfer etwa den späteren Täter<br />

zu sich in die Wohnung gebeten habe? Hat<br />

es sich genügend gewehrt? Hatte es eine intime<br />

Beziehung zu dem Täter? undsoweiter<br />

undsofort … „Jeder Verteidiger wird versuchen,<br />

einen maroden Lebenswandel der Frau<br />

nachzuweisen, und somit die Vergewaltigung<br />

zu einem minder schweren Fall zu machen“,<br />

weiß Weingardt: „Dies ist eine untragbare<br />

Situation.“<br />

Täter wird zum Opfer<br />

Der Täter wird zu einem Opfer weiblicher<br />

Reize, das Opfer zum Täter – öffentliches<br />

Vorurteil: „50 Prozent der befragten Männer<br />

und Frauen gaben kürzlich an, wenn eine<br />

Frau einen Mann zum Essen einlade, könne<br />

er davon ausgehen, daß sie sexuellen Kontakt<br />

zu ihm will, 75 Prozent gar, daß auffällige<br />

Kleidung Männer zur Vergewaltigung provoziert.“<br />

Dahinter steht das (für Männer) allzu<br />

nützliche Vorurteil, „eine anständige Frau<br />

könne nicht vergewaltigt werden“, so die<br />

Staatsanwältin.<br />

Vor Gericht muß das Opfer beweisen, daß die<br />

Tat stattgefunden hat. Die Täter hätten in der<br />

Regel kein Unrechtsbewußtsein und würden<br />

verharmlosen. Vergewaltigungen sind in den<br />

meisten Fällen „Beziehungstaten“ und die-<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 14<br />

nen der „Demonstration von Macht und<br />

Überlegenheit“, sagt Weingardt und ergänzt,<br />

„oft sind sie mit körperlicher und psychischer<br />

Gewalt verbunden. Das Selbstbewußtsein<br />

wird systematisch zerstört“. Sie fordert<br />

„dringend eine Reform“ des § 177 Strafgesetzbuch,<br />

der unter Vergewaltigungen nur<br />

außerehelichen Geschlechtsverkehr versteht.<br />

Die hohe Dunkelziffer erklärt die Referentin<br />

mit Angst, Scheu und Scham und mit<br />

der vielfach sozialen und finanziellen Abhängigkeit<br />

vom Täter. Doch nur mit Anzeigen<br />

läßt sich ein Umdenkprozeß bei den Tätern<br />

(und damit Männern) erreichen, so ihr<br />

Appell. Ihr Tip: die Tat sofort anzeigen, dies<br />

spare lästige Fragen wegen Beweisen. In<br />

Hessen haben Frauen übrigens das Recht,<br />

sich von Polizistinnen befragen zu lassen.<br />

Männliche Ratschläge<br />

Noch vor ein paar Jahren hat die Polizei Frauen<br />

geraten, sich bei Vergewaltigungen nicht<br />

WM-Sei dank<br />

25.6. In Israel, stellte die dortige Polizei<br />

fest, werden in diesen Tagen nur noch<br />

halb so viele Frauen von ihren Ehemännern<br />

geschlagen und vergewaltigt. Warum?<br />

Die Männer sitzen abends und<br />

nächtens vor dem Flimmerkasten und<br />

glotzen Fußballweltmeisterschaft …<br />

zu wehren – „das sind Ratschläge von Männern<br />

für Frauen“, sagt Elke Matthäi, Kriminaloberrätin<br />

in Groß-Gerau, die der Realität<br />

nicht standhalten: „Neue Studien haben<br />

ergeben, daß sie bei Gegenwehr im öffentlichen<br />

Raum öfter nicht vollzogen werden“.<br />

„Wer hat Frauen beigebracht, sich zu wehren?“,<br />

fragt sie provokant und setzt hinzu:<br />

„Ist die Familie eine Brutstätte der Gewalt?“<br />

Wenn eine Frau ihren Mann nicht anzeigt,<br />

dann sei die Polizei machtlos, selbst wenn<br />

die Frau die Tat zugegeben und den Täter<br />

beim Namen genannt hat.<br />

Die Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

der Uni Mainz, Sabine Platt, ist der<br />

Ansicht, der Abtreibungsparagraph 218<br />

gehöre zum Thema, weil Frauen nach Vergewaltigungen<br />

schwanger werden. Und zweitens<br />

218 „Ausdruck einer gegenüber Frauen<br />

gewalttätigen Gesellschaft“ sei. Ihrer Forderung:<br />

„Männer sollen sich mit diesem Thema<br />

nicht befassen“, schloß sich auch der „Feministische<br />

Juristinnentag“ 1993 kurz vor dem<br />

Urteil des Bundesverfassungsgerichts an.<br />

„Das Gericht konstatiert ein Recht des<br />

Embryos, zu leben und leitet daraus einen<br />

Schutz ab und spricht von einer Zweiheit in<br />

einer Einheit und nicht vom Selbstbestimmungsrecht<br />

der Frau.“ Daß Frauen zu Beratungsgesprächen<br />

gezwungen werden und<br />

Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch<br />

angeben müssen, das habe mit „Schutz des<br />

Lebens nichts mehr zu tun“, sondern sei<br />

„eine sadistische Quälerei“ – der Frau. Der<br />

Schutz des Lebens ist allerdings nur für ChristInnen<br />

ein solcher, bei denen das Leben<br />

bereits vor seinem Beginn begonnen hat.<br />

Eva Bredow


Darmstädter Jugendstil:<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 15<br />

„Alles von demselben Geist beherrscht“ J. M. Olbrich<br />

II. Darmstadt, eine Stadt wie manche andere<br />

in jener Zeit: Das neue Jahrhundert beginnt<br />

(laut „Darmstädter Zeitung“ vom 2. Januar<br />

1900) in der Haupt- und Residenzstadt des<br />

Großherzogtums Hessens mit der Neujahrs-<br />

Gratulation der Diplomaten, Hochwürdenträger<br />

und Minister bei Großherzog und<br />

Großherzogin, mit Militärgottesdiensten und<br />

Wachparade der Garnison, deren Ehrenbatterie<br />

101 Salutschüsse feuert, und mit einer<br />

abendlichen Neujahrs-Galatafel im Residenzschloß.<br />

Auf einem gleichzeitig von Offizieren,<br />

Beamten und Bürgern der Stadt veranstalteten<br />

Neujahrs-Essen im Hotel „Zur Traube“ feiert<br />

Oberbürgermeister Morneweg, der an diesem<br />

Tag das Ritterkreuz 1. Klasse des Verdienstordens<br />

Philipps des Großmütigen erhalten hat,<br />

das abgelaufene Jahrhundert mit stolzem<br />

Rückblick auf die „herrliche Entwicklung<br />

Deutschlands zu einem einigen kraftvollen<br />

Deutschen Reiche“.<br />

Teil an der überall sichtbaren Umwälzung und<br />

Entwicklung habe auch Darmstadt selbst, dessen<br />

Bevölkerung es verstanden habe, „die bewegenden<br />

Kräfte des geistigen und des Wirtschaftlebens,<br />

der Industrie und des Handels<br />

sich dienstbar zu machen“. Die Stadt-Werke<br />

blühen; der Hauptbahnhof (1912) krönt den<br />

Aufstieg der Residenz-, Behörden und Beamtenstadt<br />

zum Verkehrs- und Handelsplatz.<br />

Aber Leben ist mehr. Per spera ad astra! Und<br />

ist es auch nur ein leichter Anstieg zur Mathildenhöhe;<br />

„droben“ soll sich – neben dem Reservoir<br />

der neuen Wasserleitung, das Realitätsprinzip<br />

lokalisierend – die erhöhte wie<br />

erhöhende Kunst niederlassen.<br />

Joseph Maria Olbrich, dem die Gestaltung der<br />

Künstlerkolonie übertragen war, schreibt in<br />

„Deutscher Kunst und Dekor“ (1900):<br />

„Oben am höchsten Streif soll das Haus der<br />

Arbeit sich erheben; dort gilt, gleichsam in einem<br />

Tempel, die Arbeit als heiliger Gottesdienst.<br />

Acht große Ateliers mit kleinen Meister-Stuben,<br />

ein kleines Theater, Turn- und<br />

Fechtsäle, gastliche Räume, Douchen und<br />

Bäder sind in einem Langbau aufgenommen.<br />

Im abgefallenen Gelände die Wohnhäuser der<br />

Künstler, gleich einem friedlichen Ort, zu dem<br />

nach des Tages emsiger Arbeit von dem Tempel<br />

des Fleißes herabgestiegen wird, um den<br />

Künstler mit dem Menschen einzutauschen.<br />

All die Häuschen, um ein Forum gruppiert, mit<br />

eigenartig angelegten Wegen, Gärten,<br />

Beleuchtungskörpern, Brunnen und Blumenbeeten<br />

zur Einheit verbunden.“<br />

Man beklagt die Trennung zwischen dem<br />

schöpferischen Künstler und ausführenden<br />

Handwerker; man will unter ganzheitlichem<br />

Aspekt eine Verbindung von Kunst und Leben<br />

herstellen. Die Kunst spielt eine normative<br />

Rolle: der Künstler läßt sich, wenn er das<br />

Reich des interessenlosen Anschauens der<br />

Idee verläßt und sich ins Leben einmischt,<br />

„herab“. Der Handwerker wiederum blickt von<br />

unten nach oben, wenn ihm künstlerische Erziehung<br />

und künstlerische Vorbilder zuteil<br />

werden. Die Utopie der Lebensgestaltung ist<br />

hierarchisch strukturiert. Von oben, vom<br />

Berg, sendet die normative Ästhetik ihre Signale<br />

ins Flachland hinab; dessen Bewohner<br />

müssen sich bemühen, nach oben zu gelangen,<br />

wenn sie am Heilsgeschehen der Kunst<br />

teilnehmen wollen. Im Psychodrom des Kapitalismus<br />

und der industriellen Welt treibt man<br />

drunten in der Tiefe, parterre, dahin. Dem<br />

Minderbegabten bleibe ohnehin kein anderer<br />

Ausweg als in die Fabrik zu gehen, meint der<br />

Verleger Alexander Koch, der durch die Herausgabe<br />

verschiedener kunstgewerblicher<br />

Zeitschriften in Darmstadt ein Forum schuf,<br />

welches sich die Förderung der neuen Kunstgewerbebewegung<br />

zum Ziele gesetzt hatte.<br />

Der Berg ruft; um ein paar „Per-aspera-adastra“-Phänomene<br />

zu beleuchten: er ruft bei<br />

Nietzsche im „Zarathustra“, der sich in die<br />

Niederungen nur dann begibt, wenn er Gefolgschaft<br />

für seine hehren Verkündungen benötigt;<br />

diese sind Eingebung in azurner Höhe,<br />

nicht diskursiv entwickelt. Der Berg ruft bei<br />

der weitverbreiteten Zeitschrift „Alpine Majestäten“,<br />

die heroische, elitäre Einsamkeitserlebnisse<br />

mit Gipfelblick zu niedrigen Ladenpreisen<br />

zu vermitteln trachtete; übrigens dem<br />

Schrebergärtner auch gotische Ruinen zusammen<br />

mit Gartenhäuschen und Gartenzwergen<br />

anbietet. (Gartenzwerge wohin man<br />

blickt, freilich unterschiedlich kostümiert!)<br />

Der Berg ruft bei Karl May: In einem seiner trivial-philosophisch<br />

wichtigsten Romane („Von<br />

Ardistan nach Dschinnistan“) zerfällt der sym-<br />

Jahrhundertwende – Utopien und Praxis der Lebensgestaltung 1900<br />

bolisch für die Erde stehende Pla<strong>net</strong> Sitara<br />

(Stern) in zwei Bereiche in das Tiefland Ardistan<br />

(Ard = Erde, niedriger Stoff), von den Gewaltmenschen<br />

bewohnt, und das Bergland<br />

Dschinnistan (Dschinn – Geist), in dem die<br />

„Edelmenschen“ leben.<br />

Ein realer Ort ästhetisch sakraler Topographie<br />

war der Monte Verita, der Berg der Wahrheit,<br />

bei Ascona, einem aus der langen Kette der<br />

„Wahrheitsberge“, auf den seelensüchtige, reformorientierte<br />

Lebensart abwanderte. Das<br />

landschaftliche und klimatische Mikroparadies<br />

des oberen Lago Maggiore wurde zur<br />

umfassenden Reformkulturlandschaft, deren<br />

Bewohner sich gegen Industrialisierung, Urbanisierung,<br />

Technisierung wandten und den<br />

Gegenentwurf einer „Naturkultur“ wagten. Die<br />

lebensgestalterischen Utopien der damaligen<br />

Zeit erwachsen dem antizivilisatorischen Protest<br />

(wie Dürer-Bund, Heimatschutzbund und<br />

Gartenstadt-Bewegung). Diese Protestbewegungen,<br />

so Janos Frecot, dem wesentliche<br />

Einsichten in die ästhetischen Fluchtbewegungen<br />

der Jahrhundertwende zu danken sind,<br />

„für die um 1900 der Sammelbegriff ‚Lebensreform‘<br />

eingeführt wurde, bezogen ihr stärkstes<br />

Potential aus dem Widerspruch zwischen<br />

einer sich mehr und mehr technisch-naturwissenschaftlicher<br />

Methoden bedienenden Medizin<br />

und einer den Menschen als leibseelische<br />

Einheit begreifenden Heilkunst.“<br />

Die auf dem Berg angesiedelte Lebensreform,<br />

die mit Verachtung auf das Flachland zurückblickt,<br />

und sich zum Tempeltanz der deutschen<br />

Seele formiert, versucht anstelle der<br />

Industrielandschaft eine Parklandschaft zu<br />

etablieren. Hatte schon Friedrich Schiller festgestellt,<br />

daß wir nicht mehr in der Lage seien,<br />

naiv zu empfinden, wohl aber das Naive zu<br />

schätzen wüßten, so sind erst recht diejenigen,<br />

die sich am Ende des 19. Jahrhunderts<br />

inmitten der industriellen und kapitalistischen<br />

Gründerzeit zur Konstituierung einer Gegenwelt<br />

zusammenfinden, darauf angewiesen,<br />

dies mit artifiziellem Raffinement zu tun.<br />

Die etwa bei Hugo Höppener, genannt Fidus,<br />

anzutreffende konstante Verzückung, die sich<br />

als Morgenwunder und Abendgebet, Hornungssturm<br />

und Wintergroll, Gnadennacht<br />

und Weiheschritt, Königstraum und Brautkleidmystik,<br />

Quellsymphonie und Spatenwacht<br />

emblematisch präsentiert, gipfelt in<br />

ideologisch-mentaler „Dauerkose“, so übersetzte<br />

Fidus „Karezza“ (den Koitus ohne<br />

Samenerguß).<br />

In grauer Städte Mauern entstand die Jugendbewegung,<br />

die mit dem Gipfelerlebnis des Hohen<br />

Meißner ihren psychotopographischen<br />

Höhepunkt erreichte. Im Oktober 1913 versammelten<br />

sich auf dieser höchsten Erhebung<br />

des nordhessischen Berglandes große Teile<br />

der Jugendbewegung, rund zweitausend ihrer<br />

Mitglieder, um den ersten Freideutschen Jugendtag<br />

zu begehen. Man tanzte, die „Iphige-<br />

Ein Essay von Hermann Glaser<br />

„Darmstädter Zimmer“ auf der Weltausstellung in Paris 1900 (Alle Abbildungen sind dem Ausstellungskatalog des Museum Künstlerkolonie Darmstadt entnommen)<br />

nie“ wurde aufgeführt und Gustav Wyneken,<br />

der Schulreformer, sprach. Das hundertjährige<br />

Jubiläum der Völkerschlacht von Leipzig<br />

sollte nicht in chauvinistischem Bierdunst,<br />

sondern inmitten der Natur, auf Bergeshöhe,<br />

als ein Fest der Verbrüderung gefeiert werden.<br />

In der Einladung zum Meißner-Fest hieß es:<br />

„Die deutsche Jugend steht an einem entscheidenden<br />

Wendepunkt. Die Jugend, bisher<br />

nur ein Anhängsel der älteren Generation, aus<br />

dem öffentlichen Leben ausgeschaltet und auf<br />

eine passive Rolle verwiesen, beginnt sich auf<br />

sich selbst zu besinnen. Sie versucht, unabhängig<br />

von den Geboten der Konvention,<br />

selbst ihr Leben zu gestalten. Sie strebt nach<br />

einer Lebensführung, die jugendlichem Wesen<br />

entspricht, die es ihr aber zugleich auch<br />

ermöglicht, sich selbst und ihr Tun ernst zu<br />

nehmen und sich als einen besonderen Faktor<br />

in die allgemeine Kulturarbeit einzugliedern.<br />

Sie möchte das, was in ihr an reiner Begeisterung<br />

für höchste Menschheitsaufgaben, an<br />

ungebrochenem Glauben und Mut zu einem<br />

adligen Dasein lebt, also einen erfrischenden,<br />

verjüngenden Strom dem Geistesleben des<br />

Volkes zuführen.“<br />

Der Berg ruft: Da begibt sich einer aus dem<br />

Flachland nach oben. Die Ortsveränderung hat<br />

zunächst medizinische Gründe. Ein einfacher<br />

junger Mann reist im Hochsommer von Hamburg,<br />

seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im<br />

Graubündischen. Er fährt auf Besuch für drei<br />

Wochen. Hans Castorp besucht seinen lungenkranken<br />

Vetter Jochim Ziemßen.<br />

„Zwei Reisetage entfernen den Menschen –<br />

und gar den jungen, im Leben noch wenig fest<br />

wurzelnden Menschen – einer Alltagswelt, all<br />

dem, was er seine Pflichten, Interessen, Sorgen,<br />

Aussichten nannte.“<br />

Hans Castorp (in Thomas Manns Roman „Der<br />

Zauberberg“) nimmt die Reise nicht sonderlich<br />

wichtig; seine Gedanken weilen mehr bei<br />

dem, was ihn auf der Rennstrecke des Lebens<br />

erwartet. Nach abgeschlossenem Ingenieursexamen<br />

steht sein Eintritt in die Praxis bei<br />

Tunder & Wilms (Schiffswerft, Maschinenfabrik<br />

und Kesselschmiede) unmittelbar bevor.<br />

Allerdings fängt dieses „Emporgehobenwerden<br />

in Regionen, wo er noch nie geatmet und<br />

wo, wie er wußte, völlig ungewohnte, eigentümlich<br />

dünne und spärliche Lebensbedingungen<br />

herrschten“ an, ihn zu erregen, ihn mit<br />

einer gewissen Ängstlichkeit zu erfüllen. Heimat<br />

und Ordnung liegen nicht nur weit zurück,<br />

sie liegen auch klaftertief unter er ihm; und<br />

noch immer steigt er darüber hinaus. Schwebend<br />

zwischen ihnen und dem Unbekannten,<br />

fragt er sich, wie es ihm dort oben ergehen<br />

werde.<br />

„Vielleicht war es unklug und unzuträglich,<br />

daß er, geboren und gewohnt, nur ein paar<br />

Meter über dem Meeresspiegel zu atmen, sich<br />

plötzlich in diese extremen Gegenden befördern<br />

ließ, ohne wenigstens einige Tage an<br />

einem Platze von mittlerer Lage verweilt zu<br />

haben.“<br />

Es ist gegen acht Uhr abends, als er ankommt.<br />

Und bald danach hat er, auf steiler, schleifenförmiger<br />

Anfahrt, das Internationale Sanatorium<br />

„Berghof“ erreicht. Er betritt den „Zauberberg“.<br />

Bald hat der hermetische Ort den Flachlandbewohner<br />

in seinen Bann geschlagen. Er<br />

erkrankt selbst und bleibt über die Besuchszeit<br />

hinaus sieben Jahre lang in der Heilstätte.<br />

Aber vom enthobenen Gipfel reißt ihn die Realität<br />

herunter. Der Weltkrieg zwingt ihn – der<br />

auf dem „Zauberberg“ die Moribunden der<br />

europäischen Zivilisation (makaber, orgiastisch)<br />

erlebt hat –, der Weltkrieg zwingt ihn<br />

ins Flachland zurück. Sein Weg verliert sich in<br />

der Industrielandschaft des Krieges.<br />

„Sie werfen sich nieder vor anheulenden Projektilen,<br />

um wieder aufzuspringen und weiterzuhasten,<br />

mit jungsprödem Mutgeschrei, weil<br />

es sie nicht getroffen hat. Sie werden getroffen,<br />

sie fallen, mit den Armen fechtend, in die<br />

Stirn, in das Herz, ins Gedärm geschossen.<br />

Sie liegen, die Gesichter im Kot, und rühren<br />

sich nicht mehr. Sie liegen, den Rücken vom<br />

Tornister gehoben, den Hinterkopf in den<br />

Grund gebohrt, und greifen krallend mit ihren<br />

Händen hinten in die Luft. Aber der Wald sendet<br />

neue, die sich hinwerfen und springen und<br />

schreiend oder stumm wischen den Ausgefallenen<br />

vorwärtsstolpern.“<br />

III. Das war dann das unschöne Ende eines<br />

Kunst-Höhenflugs, den Joseph Maria Olbrich,<br />

noch in seiner Wiener Zeit, mit folgenden programmatischen<br />

Leitsätzen formuliert hatte:<br />

„Eine Stadt müssen wir erbauen, eine ganze<br />

Stadt! Alles Andere ist nichts … Das heißt<br />

doch nichts, wenn Einer bloß ein Haus baut.<br />

Wie kann das schön sein, wenn daneben ein<br />

häßliches ist. Was nützten drei, fünf, zehn<br />

schöne Häuser, wenn die Anlage der Straße<br />

keine schöne ist? Was nützt die schöne Straße<br />

mit schönen Häusern, wenn darin die Sessel<br />

nicht schön sind, oder die Teller nicht schön<br />

sind? Nein – ein Feld; anders ist es nicht zu<br />

machen. Ein leeres weites Feld; und da wollen<br />

wir dann zeigen, was wir können; in der<br />

ganzen Anlage und bis ins letzte Detail. Alles<br />

von demselben Geist beherrscht, die Straßen<br />

und die Gärten und die Paläste und die Hütten<br />

und die Tische und die Sessel, und die Leuchter<br />

und die Löffel Ausdrücke derselben Empfindung.<br />

In der Mitte aber, wie ein Tempel in<br />

einem heiligen Haine, ein Haus der Arbeit,<br />

zugleich Atelier der Künstler und Werkstätte<br />

der Handwerker, wo nun der Künstler immer<br />

das beruhigende und ordnende Handwerk, der<br />

Handwerker immer die befreiende und reinigende<br />

Kunst neben sich hätte, bis die beiden<br />

gleichsam zu einer einzigen Person verwachsen<br />

würden.“<br />

Das Leben mit Kunstformen zu durchdringen<br />

und Kunst zur Lebensgestaltung heranzuziehen<br />

(manchmal auch herbeizukommandieren)<br />

ist insofern neu, als die idealistische Hoffnung<br />

auf die ästhetische Erziehung des Menschen<br />

(wie sie Friedrich Schiller in Nachfolge Kants<br />

formulierte) vom Kopf auf die Füße gestellt,<br />

aus dem Ideenhimmel in die Werkstatt versetzt<br />

wurde.<br />

In den Zauberbann des Schönen geraten Buch<br />

und Bild, Haus und Garten, quasi alles – vom<br />

Sofakissen bis zur Stadtplanung. Alle Gegenstände<br />

(Möbel, Geschirr, Besteck, Kleider, und<br />

alle Fähigkeiten wie Tätigkeiten, von der Liebe<br />

bis zum Exitus) werden dekorativ erfaßt und<br />

gestaltet – ein eindrucksvoll erhabener Lebensentwurf,<br />

der freilich (noch dazu innerhalb<br />

kapitalistischer Produktions- und Verwertungsinteressen)<br />

nie Realität werden konnte,<br />

sondern Realität suggerierte. Allerdings gab<br />

es gewisse Erfolge beim durch lange Erziehung<br />

ästhetisch konditionierte, beflissene Bildungsbürger,<br />

Besitz und Bildung in sich vereinend,<br />

der zwar kein kunstliebender Klosterbruder<br />

sein wollte, wohl aber zeitweilig einen<br />

klosterliebenden Kunstbruder zu spielen<br />

bereit war – was ihm einige Exerzitien abverlangte.<br />

Adolf Loos hat dies in seiner Geschichte<br />

vom armen reichen Manne (1900) glossiert:<br />

„Der architekt hatte es gut mit ihm gemeint.<br />

An alles hatte er gedacht. Für das kleinste<br />

schächtelchen gab es einen platz, der gerade<br />

dafür gemacht war. Bequem war die wohnung,<br />

aber den kopf strengte sie sehr an. Der<br />

architekt überwachte daher in den ersten<br />

wochen das wohnen, damit sich kein fehler<br />

einschleiche. Der reiche mann gab sich alle<br />

mühe. Aber es geschah doch, daß er ein buch<br />

aus der hand legte und es in gedanken in ein<br />

fach schob, das für zeitungen angefertigt war.<br />

Oder daß er die asche seiner zigarre in jener<br />

vertiefung des tisches abstrich, die bestimmt<br />

war, den leuchter aufzunehmen. Hatte man<br />

einmal einen gegenstand in die hand genommen,<br />

so war des ratens und suchens nach<br />

dem richtigen platz kein ende, und manchmal<br />

mußte der architekt die detailzeichnungen aufrollen,<br />

um den platz für eine zündholzschachtel<br />

wieder zu entdecken.“<br />

Unverkennbar ist, daß der Jugendstil mit seinen<br />

floralen, farbig beschwingten oder dunkel-verschlungenen<br />

Arabesken einen Kontrast<br />

zur viktorianisch-spießbürgerlichen Systemhierarchie<br />

setzt – zum Delirium des Größenwahns,<br />

zum Schaucharakter der Bildungsfassade,<br />

zum Einander-Anprotzen (wie es Jost<br />

Hermand in seiner wegweisenden Studie zum<br />

Jugendstil und dessen Mentalitätsmuster<br />

nennt). Nur: den Snob benützen, um allmählich<br />

zum Volk zu kommen (wie es Friedrich<br />

Ahlers-Hestermann formulierte) war zumindest<br />

ein gewagtes, frag-würdiges Unterfangen<br />

und konnte leicht in Restauration umschlagen.<br />

Am Ende war man von der Verzauberung so<br />

verzaubert, daß man den Weckruf der Notdurft<br />

gar nicht mehr vernahm, nicht mehr<br />

wahr-nahm. Die Darmstädter Künstler setzten,<br />

den Eskapismus zur Programmformel<br />

machend, in das Portalfeld ihres Werkstätten-<br />

Gebäudes – immerhin ihres Werkstättengebäudes<br />

– den Spruch von Hermann Bahr:<br />

„Seine Welt zeige der Künstler, die niemals<br />

war, noch jemals sein wird.“<br />

Vom heutigen Standpunkt aus neigen wir<br />

dazu, solche die reale Handlungsenergie<br />

anästhetisierenden ästhetischen Utopien als<br />

regressiv einzustufen; sie romantisieren die<br />

Hütten, verkennen das Elend der proletarischen<br />

Massen in dieser Zeit; sie glauben daran,<br />

daß Paläste durch angenehmes Dekor humanisiert<br />

werden können. Solche Häuser der<br />

Arbeit reüssieren vor allem, wenn ihre Produkte<br />

in elitären Circles zirkulieren und entsprechend<br />

goutiert (und, z.B. in Boutiquen,<br />

honoriert) werden. Als Orte für die Hebung<br />

des Geschmacks der Massen verlören sie<br />

ihren eigentlichen Charakter: nämlich Werkstatt<br />

zu sein – sie müßten Fabrik werden.<br />

Das Dritte Reich hat mit der Ästhetisierung der<br />

Barbarei zudem deutlich gemacht, daß Kunst<br />

nicht allein schon deshalb moralische Qualität<br />

in Anspruch nehmen kann, weil sie schön ist.<br />

Faszination und Gewalt gingen stattdessen<br />

eine höchst wirksame und verderbliche Verbindung<br />

ein; das Schöne konnte verhältnismäßig<br />

leicht aus der Trias des „Schönen, Guten<br />

und Wahren“ herausgebrochen und isoliert<br />

werden. So mutig der von den künstlerischen<br />

Lebensreformern eingenommene Standpunkt<br />

☛ Fortsetzung auf folgender Seite<br />

INTERNAT. TAPETEN<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ


Darmstädter Jugendstil: „Alles von demselben Geist“<br />

auch war, daß über das Schöne nämlich eine<br />

bessere Welt zu schaffen sei (man müsse nur<br />

die „wahre“ Ästhetik finden) – die ästhetische<br />

Erziehung als normativer Vorgang, gewissermaßen<br />

als Teil des Exerzier-Regiements von<br />

Schöneform-Rittern hat inzwischen ausgedient.<br />

Schon 1898 hatte der Architekt Adolf Loos in<br />

„Ver Sacrum“, der Zeitschrift der Wiener<br />

Secession, das Ringstraßen-Wien als „potemkinsche<br />

Stadt“ verspottet. Eine solche Architektur<br />

sei innen wie außen Pseudobefriedigung<br />

mit der Formel „Ornament und Verbrechen“<br />

denunziert er den Schönheitskult als<br />

Instrument der Entmündigung. Das verkündete<br />

irdische Paradies sei eine Vorhölle. Verfälsche<br />

man den Alltag durch kunsthandwerkliches<br />

Ritual (nachfolgend bezieht sich Loos<br />

auf seinen Kollegen Joseph Maria Olbrich),<br />

enthumanisiere man das Leben auf<br />

erschreckende Weise.<br />

„Schildert einmal, wie sich geburt und tod, wie<br />

sich die schmerzensschreie eines verunglückten<br />

sohnes, das todesröcheln einer sterbenden<br />

mutter, die letzten gedanken einer tochter,<br />

die in den tod gehen will, in einem Olbrichschen<br />

schlafzimmer abspielen und ausnehmen.“<br />

Das Gesamtkunstwerk sei, wenn in Dekor,<br />

Ornament, Komfort abgesunken, diesen „letzten<br />

Dingen“ nicht gewachsen. Im Sinne des<br />

allgemeinen sozialen Fortschritts sei es angebracht,<br />

aufs Ornamental-Überflüssige zu verzichten,<br />

das Ornamental-Entmündigende zu<br />

verdammen. Das durchs Ornament beschworene<br />

Reich der Freiheit, in dem der Funktionalismus<br />

ästhetisch vernichtet werde, gaukle lediglich<br />

Entmaterialisation vor. So entstehe<br />

scheinhafte Identität. Die Ornamente seien<br />

dem Menschen im 19. Jahrhundert zum Fetisch<br />

geworden; es gehe um funktionalistische<br />

Befreiung.<br />

Wie Loos geht es auch anderen Gegnern des<br />

Gesamtkunstwerkes (etwa Karl Kraus, Oskar<br />

Kokoschka, Egon Schiele, Arnold Schönberg)<br />

um die „nackte Wahrheit“; radikal und kompromißlos,<br />

wodurch die Kampfansage selbst<br />

die Gestalt eines Erlösungsauftrags annimmt,<br />

werden schroffe Askese (Schmerz, Verzicht,<br />

Dissonanz) schwelgerisch-raffiniertem Hedonismus<br />

entgegengestellt.<br />

„Der Künstler, der diese tragische Botschaft<br />

auf sich nimmt, ist nicht mehr der souveräne<br />

Schönheitspriester, sondern ein Leidender,<br />

der sich als Märtyrer versteht. Er verlangt von<br />

einem Partner, dem Publikum, mehr als ‚interessenloses<br />

Wohlgefallen‘: Gefordert wird<br />

Umkehr und Läuterung. Das Gesamtkunstwerk<br />

der Secessionisten und Stilkünstler beschwor<br />

den Garten Eden, seine Kritiker zerstören<br />

diese behagliche Fluchtwelt, indem sie<br />

deren Bewohnern die schönen Hüllen verweigern<br />

und ihnen bewußt machen, was schon<br />

das erste Menschenpaar erfahren mußte, als<br />

es seiner Nacktheit gewahr wurde. Die Metapher,<br />

in der diese Kreatürlichkeit ihre Gefährdungen<br />

erkennt, ist Eros thanatos, der todbringende<br />

Eros.“ (Werner Hofmann)<br />

Wenn Adolf Loos Ornament mit Verbrechen<br />

gleichsetzte, als Versuch, harter Tatsächlichkeit<br />

auszuweichen, so blieb er mit seiner Kritik<br />

freilich innerhalb ästhetischer Kategorien. Das<br />

Schmucklose als Schmuck bedeutete keinen<br />

qualitativen Unterschied zum „geschmückten<br />

Schmuck“. Dekor durch die Reduktion von<br />

Dekor, eine Form postulierend, die der Funktion<br />

folgt, mag als sublimer sich erweisen; doch<br />

wußten die Nationalsozialisten auch den Funktionalismus<br />

ihrer Abgründikeit zu integrieren.<br />

Mit Design kann man weder das Sein noch<br />

das Sosein definieren. Die Verpackung ist nie<br />

die Botschaft.<br />

Was wir von den Lebensreformbemühungen<br />

und den ästhetischen Utopien der Jahrhundertwende<br />

jedoch lernen können, ist der Stel-<br />

J. M. Olbrich, Speisezimmer im Hofpredigerhaus<br />

lenwert, den man der Gestaltung und Form<br />

einräumte. Ist das Schöne auch an sich nicht<br />

gut, so kann es doch bessere Konditionen für<br />

das Gute schaffen. Man kann mit einer Wohnung<br />

den Menschen erschlagen, oder – wie<br />

die Plüsch-Etablissements es gezeigt haben –<br />

das Humane ersticken. Eine Wohnung sollte<br />

dem Menschen helfen, sich einzurichten, sich<br />

einzubergen und eine Nische für Kommunikation,<br />

Sozialisation und Kreativität zu finden.<br />

Nach den gehetzten Geschäften des Tages<br />

solle der Mensch – so das Ziel der Mathildenhöher<br />

Wohnästhetik – in seinem Hause Ruhe<br />

finden für Herz und Geist; sein Haus solle ihm<br />

„von dem veräußerlichten Leben der Straße<br />

… zu dem innerlichen, stillen, aber so viel reicheren<br />

der Familie … zurückführen.“<br />

Wir müssen heute die ästhetische Erziehung<br />

des Menschen ernster denn je nehmen, aber<br />

anders ernst nehmen. Die Ästhetik des Produkts<br />

ist zwar anzustreben, aber nicht oktroyierbar.<br />

Ästhetik ist in den Diskurs zu verlagern,<br />

in die Fähigkeit des Individuums, sich mit<br />

Form und Inhalt auseinanderzusetzen. Es geht<br />

nicht darum festzulegen, für was man sich<br />

entscheidet, sondern daß man sich entscheidet.<br />

Die diskursive Ästhetik akzeptiert nicht<br />

Vor-bilder, sondern setzt sich mit ihnen auseinander.<br />

Hochwertiges Halbzeug wird zum<br />

Endprodukt durch die Verarbeitung, die individuelle<br />

Ichstärke vornimmt. Die Verbrauchsund<br />

Gebrauchsprozesse werden zu ästhetischen<br />

durch Pfleglichkeit. Diese ist immer<br />

auch verbunden mit Entschleunigung, einem<br />

wesentlichen Element des kulturellen Umgangs<br />

mit den Dingen, der kommunikativen<br />

Begegnung mit dem anderen und den anderen.<br />

Das Schöne geschieht im Verweilen. Wir<br />

drehen den Wasserhahn auf; unbedacht lassen<br />

wir Wasser abfließen. Dabei ist etwas<br />

wesentliches in Sekundenschnelle geschehen:<br />

Das nicht gebrauchte reine Wasser ist, nur<br />

weil es abfloß, zum verbrauchten Wasser<br />

geworden. Beschleunigung hat Reflexion<br />

ersetzt. Zufall ohne Einfall wird zum Abfall.<br />

Diskursive Ästhetik will uns nicht belehren,<br />

sondern kommunikativ-lernfähig machen. In<br />

einem strukturellen Sinne kann Goethes „Wilhelm<br />

Meisters Wanderjahre“ Denkhilfe für<br />

eine moderne Werkstatt-Idee leisten, eine<br />

Werkstatt auf allen Ebenen, die eine diskursive<br />

Verbindung von Kunst und Handwerk anstrebt.<br />

Was der Mensch auch ergreife und<br />

handhabe, heißt es dort, der einzelne sei sich<br />

nicht hinreichend.<br />

„Alle brauchbaren Menschen sollen in Bezug<br />

untereinander stehen, wie sich der Bauherr<br />

nach dem Architekten, und dieser nach Maurer<br />

und Zimmermann umsieht. Und so ist<br />

denn allen bekannt, wie und auf welche Weise<br />

unser Bund geschlossen und gegründet sei;<br />

niemand sehen wir unter uns, der nicht<br />

zweckmäßig seine Tätigkeit jeden Augenblick<br />

üben könnte, der nicht versichert wäre, daß er<br />

überall, wohin Zufall, Neigung, ja Leidenschaft<br />

ihn führen könnte, sich immer wohl empfohlen,<br />

aufgenommen und gefördert, ja von Unglücksfällen<br />

möglichst wieder hergestellt finden<br />

werde.“<br />

Diese „Fortwanderungsrede“ Lenardos korrespondiert<br />

mit Odoards „Beharrungsrede“,<br />

wobei zu bedenken ist, daß es sich bei den<br />

Figuren der „Wanderjahre“ um Träger bestimmter<br />

Ideen handelt. Lenardos Auswanderergesellschaft,<br />

mit dem Ziel eines Kolonisationsprojekts<br />

in Amerika, spiegelt gewissermaßen<br />

einen transzendierenden, der Handwerkerbund<br />

Odoards mit dem Ziel eines<br />

Kolonisationsprojekts in einer europäischen<br />

Provinz einen immanenten Mobilismus; sie<br />

sind beide, je auf ihre Weise, im Aufbruch, um<br />

eine neue Synthese von Erwerbstätigkeit und<br />

Tätigkeitsarbeit zu finden, lebendige Arbeit im<br />

Reich der Freiheit zu „bewerkstelligen“.<br />

Ein Diktum von Ralf Dahrendorf kann die bildhafte<br />

Utopie des „Wilhelm Meister“ sozusagen<br />

Friedrich Nietzsche: „Zarathustra“, Buchausstattung<br />

von Peter Behrens, 1902<br />

auf den Begriff bringen und als Leitidee einer<br />

Ästhetik begriffen werden, die normative<br />

Überheblichkeit endgültig hinter sich läßt:<br />

„Wer irgendeinem Lebensbereich die Unfreiheit<br />

als unvermeidlich zugesteht, kann sich, ja<br />

wird sich bald in einer Welt finden, in der diese<br />

Unfreiheit alles beherrscht. Die Forderung der<br />

Freiheit ist immer absolut … Das heißt, daß<br />

die Forderung, die sein muß, alle Arbeit in<br />

Tätigkeit, alles heteronome Tun vom Menschen<br />

in autonomes Tun zu verwandeln. Noch<br />

der letzte Rest von Arbeit steht unter dem<br />

Anspruch der Verwandlung in Tätigkeit.“<br />

Die Utopien um die Jahrhundertwende waren<br />

solchen Ideen noch nicht verpflichtet; sie<br />

haben aber, da sie die Wiedergewinnung des<br />

Ästhetischen betrieben, deren Überholung<br />

ermöglicht: „Fortwanderung“ von der normativen<br />

hin zur diskursiven Ästhetik – im Tätigsein<br />

den Wert des Anderen fürs Eigene erfahrend.<br />

Um es anders zu formulieren: Die Utopien und<br />

Lebensgestaltungskonzepte um die Jahrhundertwende<br />

hatten – und da treffen sich die<br />

restaurativen mit den reformerischen Kräften<br />

– das Miteinander in der pädagogischen Provinz,<br />

im Sinne der Gelassenheit Goethes,<br />

zugunsten des präzeptorialen Gestus vergessen.<br />

Sie ahnten allerdings, auf vorindustrielle<br />

Vorbilder rekurrierend, die Notwendigkeit von<br />

Werk-statt. Sie konnten freilich inmitten einer<br />

zerrissenen Kulturlandschaft – zwischen<br />

Laboratorium und Atelier, Fabrik und Salon,<br />

Großstadt-Dschungel und einfachem Leben –<br />

Modernität nicht bewältigen, sondern sie nur<br />

hinwegprojizieren, verdrängen oder vor ihr<br />

flüchten.<br />

Ihre Ästhetik ist ein gewaltiger, auch gewaltsamer<br />

Entwurf ins Ungewisse, wohin man sich,<br />

die Versatzstücke der Tradition mitführend<br />

und nur formal sie verändernd, enthusiastisch<br />

wie von dunkler Vision bedrückt, begibt:<br />

Unruhevoll, gequält, besessen, verkannt,<br />

großartig, fragwürdig, vieldeutig, faszinierend<br />

– um Thomas Hanns Charakteristik Richard<br />

Wagners als Repräsentant des ausklingenden<br />

19. Jahrhunderts nochmals aufzugreifen.<br />

Indem wir diese Zeit „aufheben“ – bewahren,<br />

überwinden, und mit ihr sublim auseinandersetzen<br />

–, halten wir auch Vorschau auf das Fin<br />

de millénaire, das eine ganz neue ästhetische<br />

Herausforderung bereit hält: noch einmal den<br />

Versuch zu unternehmen, im Umgang mit den<br />

Menschen, Dingen, Kulturen und der Natur die<br />

Rettung des Guten, Schönen und Wahren (als<br />

ver<strong>net</strong>zter Trias) zu versuchen.<br />

Man mag das die Totalität des gelungenen<br />

Lebens nennen: mit Hilfe einer Ästhetik, die<br />

nicht postmodern die Anästhetisierung des<br />

Schönen betreibt, sondern ihre irritierende,<br />

sperrige, aleatorische Kraft ausübt (Singt die<br />

Lieder, die man aus eurem Munde nicht<br />

erwartet!), die nicht die Entzauberung der<br />

Welt mit Hilfe künstlerischer Farbigkeitsbedarfsdeckung<br />

kompensiert, sondern dieser<br />

Welt wieder ein Stück ihres Zaubers als ökologische,<br />

soziale und interkulturelle Gerechtigkeit<br />

zurückgibt – Terre des Hommes; die also<br />

in ihrer Fortwanderung aus den Systemzwängen<br />

zum humanen Tätigsein gelangt und so<br />

das unvollende Projekt der Aufklärung, auch<br />

einer fröhlichen Aufklärung, weiter und mit<br />

neuem Mut betreibt. Ob das gelingt?<br />

Prof. Dr. H. Glaser ist Kulturwissenschaftler, Publizist<br />

und Vorsitzender des Deutschen Werkbundes<br />

Teil I des Essays ist in der ZD-Ausgabe 72<br />

unter dem Titel „Die Spitzen und Stützen der<br />

Gesellschaft richten sich im Plüsch ein“<br />

erschienen.<br />

Die Stadt Darmstadt unterstützt das<br />

neue „Laboratorium der Zivilisation.<br />

Akademie Deutscher Werkbund“ (DWB)<br />

mit einem Zuschuß und durch die kostenlose<br />

Nutzung eines Büroraums im Haus Deiters<br />

auf der Mathildenhöhe. Am 23. Juni<br />

feierte die Akademie die offizielle Gründung<br />

des Laboratoriums in den Ausstellungshallen<br />

der Mathildenhöhe. Sie „ist eine Institution,<br />

die sich als internationaler Arbeitsverbund<br />

mit den Fragen der Gestaltung unserer<br />

Lebenswelt auseinandersetzt“ – heißt es<br />

in einer Ankündigung.<br />

Bereits 1984 beschloß der Werkbundrat die<br />

Einrichtung einer Akademie, „um Fragen<br />

des Designs zu diskutieren und zu entwickeln“,<br />

so DWB-Geschäftsführerin Regine<br />

Halter. Doch zu einer Gründung kam es<br />

zunächst nicht.<br />

Worum geht es? „Um einen interdisziplinär<br />

zu erarbeitenden Begriff Gestaltung, der<br />

einer grundsätzlichen Revision bedarf“, so<br />

Halter – dafür soll die Akademie „kontinuierliche<br />

Grundlagenarbeit“ betreiben, in<br />

einer Zeit, einer Zivilisation, die heute einen<br />

Umbruch erlebt, der „ähnlich radikal ist wie<br />

die Wandlung zur Industriegesellschaft in<br />

der Mitte des 19. Jahrhunderts“.<br />

Dabei will die Akademie keine Ausbildungsstätte<br />

sein, keine Arbeitsplätze auf Lebenszeit<br />

bieten, sondern in kleinen Gruppen<br />

arbeiten und mit Symposien, Publikationen<br />

und Ausstellungen an die Öffentlichkeit treten.<br />

Zweimal hat sie dies schon getan: bei<br />

einer ersten internationalen Konferenz in<br />

Darmstadt 1991, bei der es um Fragen dieser<br />

Einrichtung ging, und ebenfalls in<br />

Darmstadt, 1992, mit einer Tagung zum<br />

Thema „Die Zukunft des Raums“. Die dritte<br />

Konferenz soll vom 16. bis 19. September<br />

1994 in Bonn stattfinden. Thema: „Revision<br />

des Gebrauchs“.<br />

Geleitet wird die Akademie von Regine Halter<br />

und dem Darmstädter FH-Professor<br />

Bernd Meurer. Er sprach u.a. in seinem<br />

Vortrag voller aneinandergereihter Fremdwörterkolonnen,<br />

deren Sinn manchmal verlorenging:<br />

„Die zivilisatorischen Herausforderungen<br />

stellen das tradierte Verständnis<br />

von Wissenschaft, Technik und Gestaltung<br />

in Frage … Noch scheint die Umbruchsituation<br />

nach allen Seiten hin offen zu sein,<br />

aber es fehlt an Handlungsentwürfen, mit<br />

denen sich die ökologische und zivilisatorische<br />

Krise ohne Gefährdung der Demokratie,<br />

der Menschenrechte und der physikalischen<br />

Lebensgrundlagen beantworten<br />

ließe“.<br />

Der britische Architekturkritiker Martin<br />

Pawley äußerte die Vermutung, „daß die<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 16<br />

Die Krise der<br />

Zivilisation<br />

„Laboratorium der Zivilisation.<br />

Akademie Deutscher Werkbund“ –<br />

ein internationaler Arbeitsverbund<br />

mit Sitz in Darmstadt<br />

übliche Wahrnehmung der städtischen<br />

Umwelt am Ende des 20. Jahrhunderts<br />

möglicherweise auf einem gravierenden Irrtum<br />

beruht“. Seine These: „… was wir als<br />

Ausbreitung und Ausweitung des städtischen<br />

Raums wahrnehmen, (ist) vielleicht<br />

gar kein Wachstumsprozeß, sondern das<br />

Endstadium eines Verfallsprozesses“. Daß<br />

der öffentliche Raum heute „nichts positiv<br />

Besetztes“ mehr ist, wertet er als Indiz. Die<br />

Architektur („das Medium der Verherrlichung<br />

von Wirklichkeit“) unserer Städte<br />

nennt er „Ersatzteil-Bauten“: „Die aus verschiedenen<br />

Bestandteilen und Epochen zu<br />

einem homogenen, enthistorisierten Stadtbild<br />

verschmolzen sind“. Die Folgen, so<br />

Pawley: „der Verlust historischer Identität<br />

und das Verschwinden von Sein“.<br />

Heute bräuchte man nur ein Terminal, um<br />

scheinbar am Leben, an der Kommunikation<br />

teilhaben zu können, deshalb seien<br />

„städtische Form und städtischer Raum<br />

überflüssig geworden“. „Bürokomplexe<br />

und Einkaufszentren außerhalb der Städte<br />

…, sind urtümliche, unbewußte Vorläufer<br />

der städtischen Entwicklung von der Wirklichkeit<br />

zur Unwirklichkeit. In ähnlicher<br />

Weise gewöhnen wir uns durch die elektronische<br />

Aufhebung von Distanzen an den<br />

Tod des städtischen Raums und damit der<br />

Stadt, wie wir sie kennen. Die neue elektronisch-imaginäre<br />

Umwelt hat die Aufgabe<br />

übernommen, die der öffentliche Raum bisher<br />

innehatte. Der städtische Raum für Verkehr,<br />

Klatsch, Aufstand, Demonstration,<br />

Zurschaustellung, Parade und Spektakel,<br />

wird nicht mehr gebraucht. Er ist im Begriff,<br />

seinen Wert zu verlieren.“<br />

Pawley war auch Gastredner des Akademie-Symposiums<br />

1992 in Darmstadt – seine<br />

Rede ist exemplarisch für die abstrakte<br />

Kommunikationsebene, auf der sich dieser<br />

Arbeitsverband bewegen will. Bleibt abzuwarten,<br />

ob daraus irgendwann einmal wirklich<br />

konkrete, praktische – „gesellschaftsverbessernde“<br />

– Handlungsanleitungen<br />

erwachsen, oder ob er auf der abgehoben,<br />

auch verquasten Luftblasenebene stecken<br />

bleibt, die am „Otto Normalverbraucher“<br />

gänzlich vorbeigeht … vro<br />

Der Deutsche Werkbund e.V. (DWB) wurde 1907<br />

gegründet, bis 1986 hatte er seinen Sitz in Darmstadt,<br />

ab 87 in Frankfurt. Seine (ca. 1.700) Mitglieder kommen<br />

aus allen gestalterischen Berufen, vor allem aus<br />

Architektur und Design, aber auch aus der Literatur,<br />

dem Journalismus, aus Fotografie, Handwerk und aus<br />

der Industrie. Wichtigstes Motiv der Gründung war<br />

„eine technisch und funktional geprägte Ästhetik, die<br />

Chance der Massenproduktion für ein neues, demokratisches<br />

Zeitalter durchzusetzen“. Heute setzt sich<br />

der Werkbund „zunehmend mit den zerstörerischen<br />

Folgen der neuen technischen Kapazität auseinander.“<br />

Im Haus Deiters auf der<br />

Mathildenhöhe, dem Sitz der<br />

Galerie 19. Jahrhundert, kann<br />

die Akademie des Deutschen<br />

Werkbundes kostenlos einen<br />

Büroraum nutzen.<br />

(Foto: Heiner Schäfer)


E<br />

ine Ausstellung über Drogen also.<br />

Doch wer dabei nur an Heroin, Kokain<br />

und Haschisch denkt, der irrt. Unter der<br />

Regie von Frankfurts Gesundheitsdezernentin<br />

Margarethe Nimsch (Grüne) zeigt<br />

das städtische Drogenreferat im Volksbildungheim<br />

(an der Eschenheimer Anlage),<br />

daß in Frankfurt seit 1200 Jahren getrunken,<br />

geraucht, geschnüffelt und geschluckt<br />

wird. Drogen, das sind auch Heilkräuter,<br />

Alkohol, Tabak und Kaffee. Die Ausstellung<br />

zum Stadtjubiläum zeigt, daß Drogen-Verbote<br />

noch nie etwas genutzt haben und<br />

stets nur eine vorübergehende Erscheinung<br />

waren – „langfristig gesehen, bestimmen<br />

die gesellschaftliche Akzeptanz und nicht<br />

von oben eingesetzte Verbote den<br />

Gebrauch einer Droge“, so Nimsch. Und die<br />

Drogen-Schau ist ein Appell, Drogenhilfe<br />

und Drogenabhängigkeit vom Joch des<br />

Strafrechts zu befreien.<br />

Doch so weit ist unsere bundesdeutsche<br />

Drogenpolitik noch nicht, bis jetzt gilt das<br />

Motto: „Keine Macht den Drogen“ (woraus<br />

Keine Nacht<br />

ohne Drogen<br />

„Im Rausch der Zeit – 1200 Jahre Drogen in Frankfurt“:<br />

eine Ausstellung im Volksbildungsheim<br />

Drogenfreunde den Slogan, „Keine Nacht<br />

ohne Drogen“, gemacht haben) und „Kein<br />

Recht auf Rausch“, so das Bundesverfassungsgericht<br />

in seinem jüngsten Urteil über<br />

Cannabis.<br />

Im ersten Stock des Volksbildungsheims<br />

erheischen als erstes acht großformatige,<br />

farbige Portraits das Augenmerk. Marek<br />

Vogel zeigt acht Frankfurter Drogenabhängige<br />

als ganz „normale“ Menschen – und<br />

nicht als verwahrloste Junkies, die sich in<br />

der Taunusanlage Spritzen setzen. Auch<br />

diese Fotos räumen, wie die ganze Ausstellung,<br />

mit gängigen Klischees auf.<br />

Auf den mit vielen Texten und Abbildungen<br />

gefüllten Schautafeln läßt sich etwa eine<br />

Apothekerrechnung Goethes finden, aus<br />

der hervorgeht, daß der große deutsche<br />

Dichter im März 1805, im April 1806 und<br />

auch noch am 7. April 1818 Opium bezog.<br />

Zu seiner Zeit war diese Droge legal, relativ<br />

teuer und in den Kreisen von Literaten und<br />

Künstlern als Rauschmittel bekannt.<br />

1803 entdeckte der deutsche Apotheker<br />

Friedrich Wilhelm Sertürner Morphium.<br />

Einen Durchbruch schaffte diese Droge<br />

aber erst durch den Darmstädter Apotheker<br />

Heinrich Emanuel Merck, der 1827 begann,<br />

das Morphium in seiner eigens dafür<br />

gegründeten Fabrik in großen Mengen herzustellen,<br />

später auch Kokain als Lokalanästhetikum.<br />

Auch das Heroin ist ab 1898<br />

„Drogenabhängig“ (Foto: Katalog, Fred Prase)<br />

von einer deutschen Firma hergestellt worden:<br />

von Bayer. Zunächst galt es als nicht<br />

suchtbildendes Allheilmittel gegen Erkrankungen<br />

der Atemwege und wurde vor allem<br />

für Kinder angepriesen.<br />

Zu jeder Zeit, auch das macht die Ausstellung<br />

klar, hat der Staat kräftig an dem Drogengebrauch<br />

verdient: Im 14. Jahrhundert<br />

machten die verschiedenen Alkoholsteuern<br />

fast 75 Prozent der städtischen Einnahmen<br />

aus. Heute kassiert die Bundesregierung<br />

mehr als 6 Milliarden Mark aus der Branntund<br />

Schaumweinsteuer, beim Tabak sind<br />

es mehr als 19 Milliarden Mark.<br />

Und immer wieder kam es zu Ausschreitungen<br />

der Drogenkonsumenten, wenn die<br />

Stadtherren eine Preiserhöhung beschlossen:<br />

etwa bei den Frankfurter Bierkrawallen<br />

1873, bei denen 20 Menschen starben.<br />

Ergänzt werden diese Tafeln, die von der<br />

Flugsalbe der Hexen bis zum Heroin alles<br />

zeigen, mit allerlei Utensilien wie Destillen,<br />

Heilkräuter, Fixerbestecke …<br />

Presse im Zensur-Käfig<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 17<br />

So interessant, wichtig und notwendig die<br />

Drogenschau ist, sie läßt sich aufgrund der<br />

Fülle der Texte und Dokumente nicht innerhalb<br />

eines kurzen Ausstellungsbesuchs<br />

erfassen. Frau/Mann erstehe den Katalog,<br />

in dem sich die kommunale Drogengeschichte<br />

in Ruhe zu Hause nachlesen läßt:<br />

eine Fundstätte, die enthüllt, daß Drogenkonsumenten<br />

selten so an den Rand der<br />

Gesellschaft gedrängt worden sind, wie<br />

heute.<br />

Eva Bredow<br />

Die Ausstellung ist noch bis zum 12. August zu sehen.<br />

Der Katalog kostet 10 Mark. Abb. oben links und<br />

rechts: Jean Cocteau, aus dem Katalog zur<br />

Ausstellung: „Im Rausch der Zeit – 1200 Jahre<br />

Drogen in Frankfurt“, Hrsg.: Margarete Nimsch,<br />

Dezernentin für Frauen und Gesundheit der Stadt<br />

Frankfurt/Main, Drogenreferat<br />

„Als die Post noch Zeitung machte“ – eine Ausstellung im Deutschen Postmuseum<br />

„Die ‚gute‘ Presse“, Lithographie um 1847<br />

or allen andern aber kommet der<br />

„V Zeitungen Ursprung aus denen<br />

Postheusern her: und eben darum sind<br />

auch zugleich die Keyserl. Postmeister mit<br />

so vielen stattlichen Freyheiten und Gerechtigkeiten<br />

begabet/daß von ihnen der Lauf<br />

der Welt entleh<strong>net</strong> … Und schei<strong>net</strong> dieses<br />

Postwerk wol der wahre und eingendliche<br />

Anfang der Zeitungen zu seyn …“<br />

So schrieb Kaspar Stieler in „Zeitungs Lust<br />

und Nutz“ 1695. Das Frankfurter Postmuseum<br />

zeigt derzeit die Ausstellung „Als die<br />

Post noch Zeitung machte“ – aus Anlaß der<br />

1200-Jahr-Feier der Stadt – mit fast 350<br />

Originalexponaten.<br />

Das Konzept erschließt sich flüchtigen AusstellungsbesucherInnen<br />

nicht unbedingt,<br />

der Verantwortliche Klaus Beyrer erstellte<br />

deshalb ein Rundgang-Faltblatt, das Interessierte<br />

durch die Räume leiten soll.<br />

Das Konzept ist gut durchdacht: Im nach<br />

oben offenen Tiefgeschoß steht eine alte<br />

Druckpresse, aus der sich eine Stoffahne<br />

an die Decke windet, auf ihr die Namen der<br />

Frankfurter Postzeitungsverleger. Der<br />

erste: Johann von den Birghden, dessen<br />

Zeitung ab 1621 als „Unvergreifliche continuierende<br />

Post Zeitungen wie solche bey<br />

den Ordinari Posten einkommen“ bereits<br />

wöchentlich<br />

erschien – und<br />

später unter dem<br />

Titel „Frankfurter<br />

Postzeitung“ noch<br />

bis zum Jahr 1866.<br />

Eine Zeit, in der<br />

diese Zeitung 25<br />

Mal ihren Titel und<br />

ihr Format änderte.<br />

Zeitung, darunter<br />

verstand man<br />

zunächst mal nur<br />

Nachrichten, Neuigkeiten<br />

– die die<br />

Postbeamten, als Nachrichtenträger und<br />

-übermittler, immer als erste erreichten. Da<br />

lag es wohl nah, daß mit Erfindung des<br />

Buchdrucks bald Postmeister darangingen,<br />

diese Nachrichten zu sammeln, zusammenzufassen,<br />

in eigener Regie zu drucken und<br />

schließlich auch noch auf den eigenen<br />

Postwegen zu vertreiben – gegen Entgelt<br />

natürlich.<br />

Die erste handgeschriebene Zeitung ist aus<br />

dem Jahr 1536 bekannt, damals korrespondierten<br />

Kaufleute; es entstanden Schreibbüros,<br />

die die Blätter mit einer Auflage von<br />

30 Stück verbreiteten. Im 17. Jahrhundert,<br />

so Schätzungen, sollen 15 Prozent aller Zeitungen<br />

von Postmeistern herausgegeben<br />

worden sein. Bereits im 18. Jahrhundert<br />

erschienen viele dreimal wöchentlich, ab<br />

1790 gab es die geschätzten Blätter auch<br />

samstags, mit Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

kamen die Feuilletons hinzu. Durch die<br />

Feuilletons wurden Zeitungen von der<br />

schlichten Nachrichtenwieder- und -weitergabe<br />

zu einem Medium der Meinungsbildung.<br />

Die erste nachgewiesene Tageszeitung<br />

erschien in Leipzig allerdings schon<br />

1650.<br />

Im ersten Stock hängt eine große Tafel, mit<br />

der seit dem 16. Jahrhundert wichtigsten<br />

Handelsroute von Antwerpen bis nach<br />

Venedig. Neben den Städten ist jeweils die<br />

erste dort (nachgewiesene) Zeitung abgebildet.<br />

Die ältesten Titelblätter stammen aus<br />

„Frankfurter Postzeitung“, 23. Februar 1853, 31x22 cm (Alle Abbildungen sind dem Katalog entnommen)<br />

„Reitender und hinkender Bote“, Kupferstich von Johann Martin Will. Um 1750, 19x24<br />

dem Jahr 1609 und sind in den Städten<br />

Straßbourg und Wolfenbüttel erschienen.<br />

Von dort aus führt der Gang durch die Jahrhunderte,<br />

bis 1866, jenem Jahr, als die<br />

„Frankfurter Postzeitung“ ihr Erscheinen<br />

einstellte.<br />

„Das Postmuseum“, so Beyrer, „sammelt<br />

Exponate seit 120<br />

Jahren“. In einem<br />

Raum hängen Originale<br />

der ersten<br />

25 Zeitungen, die<br />

regelmäßig, aktuell<br />

und überparteilich<br />

einmal<br />

wöchentlich erschienen<br />

sind. Da<br />

findet sich etwa<br />

der Holzschnitt<br />

aus dem Jahr<br />

1679 mit dem<br />

Titel: „Die verwan-<br />

delte Krieges-Last in höchst erwünschte<br />

Friedens-Lust“.<br />

Mit Originalen reich bebildert sind auch die<br />

Themen Zeitungsvertrieb, Nachrichtenwege<br />

und die Zeitungslesesitten. Einen Raum<br />

hat Beyrer als „Zensur-Käfig“ eingerichtet,<br />

von der Decke hängen viele Scheren mit<br />

Augen herab. Sie entstammen einer Lithographie<br />

aus dem Jahr 1847 mit dem Titel:<br />

„Die ,gute’ Presse“ (siehe Abbildung). Im<br />

Käfig auch die Titelseite der „Kölnischen<br />

Zeitung“ vom 27. Mai 1817. Unter dem Zeitungskopf<br />

dieser Ausgabe steht nur ein<br />

Wort: „Deutschland“, darunter, daneben ist<br />

alles weiß – Zeichen eines stummen Zensurprotests.<br />

Eva Bredow<br />

Die Ausstellung läuft noch bis zum 4. September.<br />

Ein die Ausstellung begleitendes Buch unter dem<br />

selben Titel ist im Anabas-Verlag erschienen, (Hrsg.):<br />

Klaus Beyrer und Martin Dallmeier. Im Postmuseum<br />

kostet es 28 Mark, im Buchhandel 48. Es enthält<br />

Abbildungen von rund 90 Exponaten und rund 15<br />

Beiträge zu Post, Presse, Zensur, Nachrichtenwegen,<br />

Druck, Papier, Öffentlichkeit u.a.<br />

RAUMGESTALTUNG<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ


Das Leben als flüchtiger Traum<br />

Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ im Staatstheater<br />

Sebastian Hufschmidt als Kasimir und Leonore Endreß als Karoline in Horváths gleichnamigen Stück (Foto: B. Aumüller)<br />

Die große Liebe ist es nicht, scheint es<br />

nie gewesen. Man hat diese Beziehung<br />

mit Bequemlichkeit, Konventionen<br />

und Vagheit zusammengeleimt. Wenn die<br />

Beziehung auseinandergeht, liegt es eigentlich<br />

nur daran, daß sie ein Eis essen möchte.<br />

Das überrascht niemanden; Kasimir<br />

nicht, Karoline nicht. Die Geschichte der<br />

beiden ist mager, ihr Schicksal so interessant<br />

wie die Zahnschmerzen des Bademeisters<br />

im Hallenbad oder der Fleck auf der<br />

Hose der Straßenbahnfahrerin der Linie 8.<br />

In Ödön von Horváths 1932 uraufgeführtem<br />

Volksstück „Kasimir und Karoline“ bildet<br />

eine Nacht auf dem Münchener Okto-<br />

t’s more than music – it’s environ-<br />

„Iment!“ Das ist einer der kernigen Werbesprüche<br />

des weltweit operierenden<br />

MUZAK-Konzerns. MUZAK sorgt international<br />

für mehr als Musik, nämlich tatsächlich<br />

für „environment“, also Umgebung, Atmosphäre,<br />

Lebensgefühl. Wie macht MUZAK<br />

(Konzernsitz: Brüssel) das? Mit der allgegenwärtigen<br />

Klangtapete in Restaurants,<br />

Schnell-Imbissen, Aufzügen, Supermärkten<br />

oder Linien-Jets. Die ganze Welt wird mit<br />

Tonkonserven beliefert – Kunst als sanft<br />

beruhigender, synthetischer Dauerlutscher<br />

fürs Ohr mit pervertiertem Nutzcharakter.<br />

„Kürzlich haben wir“, heißt es in einem firmeninternen<br />

Bulletin, „einen Schlachthof<br />

besichtigt. Anscheinend gab es da Probleme<br />

mit der Blutgerinnung beim Schlachtvieh.<br />

Das abgespielte MUZAK-Programm entspannt<br />

die Tiere, während sie zur Schlachtbank<br />

geführt werden …<br />

Selbst bei Ausbruch eines Atomkrieges verfügt<br />

die MUZAK-Corporation über eigene<br />

Stromgeneratoren, um einen Ausfall des<br />

Basic-Programms auszuschließen und zu<br />

gewährleisten, daß die noch funktionierenden<br />

Einrichtungen weiterhin unser Programm<br />

empfangen“. Da sind wir ja nun groß<br />

erleichtert, wenn schon verstrahlt, dann<br />

wenigstens „entspannt“.<br />

Der Exkurs in Sachen MUZAK ist geboten,<br />

weil die MUZAK-Karriere-Story symbolischen<br />

Charakter trägt, weil auch die demokratischen<br />

Gesellschaften und deren Medien der Kunst<br />

wieder eindeutige Funktionen zuweisen und<br />

sie mehr und mehr in MUZAK-Manier bestellen,<br />

gebrauchen, fördern und bezahlen. Dabei<br />

ist eine Sichtweise durchaus legitim, denn<br />

Künstler sind tatsächlich Dienstleister in einer<br />

allseits proklamierten „Dienstleistungsgesellschaft“.<br />

Sie sorgen für einen ganzen Katalog<br />

unentbehrlicher Über-Lebensmittel, als da<br />

wären Reflexion, Transzendenz, Hinterfragung,<br />

auch Dekoration, Unterhaltung, Ästhetik.<br />

Nur sollte dies ausschließlich die offensive<br />

Selbstbeschreibung künstlerischer Aktivität<br />

sein. Der Künstler als moderner Dienstleister<br />

ist kein Anbieter, der auf Bestellung hin kreativen<br />

Vollzug meldet, womöglich samt geordertem<br />

Wunschergebnis.<br />

berfest den Rahmen, in dem hinter der Trivialität<br />

der Vergnügungen der Ziellosigkeit<br />

der handelnden Figuren und der Alltäglichkeit<br />

der Dialoge die strukturelle Gewalt<br />

einer patriarchalen Gesellschaft sichtbar<br />

wird.<br />

Der Chauffeur Kasimir ist arbeitslos geworden.<br />

Sebastian Hufschmidt zeigt ihn als ein<br />

verunsichertes Männlein, das nicht nur den<br />

Arbeitsplatz, sondern auch seine Rolle als<br />

nützliches Mitglied der Gesellschaft und<br />

potentieller Ernährer einer Frau verloren<br />

hat. Zwischen Selbstmitleid, unterschwelliger<br />

Aggression und bemühtem Zynismus,<br />

der Überlegenheit vortäuschen soll, stol-<br />

Was hat dies nun wieder mit Bitterfeld zu<br />

tun? Überhaupt Bitterfeld – ist das nicht diese<br />

arme, von Umweltsünden gezeich<strong>net</strong>e Chemie-Stadt<br />

in der ehemaligen DDR? Richtig.<br />

Aber nicht nur. Für die SED hatte Bitterfeld<br />

noch eine ganz andere Bedeutung und Wichtigkeit.<br />

Die 1. und 2. „Bitterfelder Konferenz“<br />

bemühte sich um sozialistisch-parteitreue<br />

Regularien für die „Kulturschaffenden“ des<br />

Arbeiter- und Bauernstaates, das war 1959<br />

und 1964. „Bitterfeld“ als SED-Projekt war<br />

der irrige, von hoch oben verord<strong>net</strong>e Versuch,<br />

die Teilung der Gesellschaft in sogenannte<br />

„einfache Menschen“ und sogenannte<br />

„Intellektuelle“ zu überbrücken – eine<br />

politisch-ideologisch hochbornierte, lebensfremde<br />

„kleine Kulturrevolution“ Marke DDR.<br />

Die 3. „Bitterfelder Konferenz“ fand unter<br />

gänzlich anderen Vorzeichen Anfang Mai<br />

1992 statt. Zwar nach der deutschen Vereinigung,<br />

aber im gleichen „Kulturpalast“ wie<br />

1959 und 1964. Geladen hatten 1992 die<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung, die Aktion für mehr<br />

Demokratie (AMD) sowie die Evangelische<br />

Akademie Sachsen-Anhalt. Titel des personell<br />

schillernd zusammengesetzten Diskurses:<br />

„Kunst – Was soll das?“<br />

Das nun vorliegende Buch zum Diskurs ist<br />

ein großes, faszinierend authentisch belassenes<br />

Protokoll einer Konferenz, die sich<br />

hochintellektuell mit sich selbst und der Rolle<br />

ihrer Teilnehmer befaßt. Kulturkritiker,<br />

Medienköpfe und Künstler aller Sparten<br />

debattieren über eine uralte Frage (Was soll,<br />

darf, muß die Kunst?) mit ewigjungem Elan<br />

und tradierter Ergebnislosigkeit. Was Freimut<br />

Duve, Friedrich Schorlemmer, A. R.<br />

Penck, Klaus Staeck, Christoph Hein oder<br />

Hans-Jürgen Rosenbauer sagen, sich einreden,<br />

sich an den Kopf werfen – es hat direkt<br />

mit der deutschen Realität zu tun, indirekt<br />

aber mit dem grundsätzlichen Disput, wie<br />

„gesellschaftlich“ die Kunst gegen Ende des<br />

medialen 20. Jahrhunderts nun eben sein<br />

sollte oder müßte.<br />

Bei einer auf weite Strecken als Gesprächsprotokoll<br />

angelegten Dokumentation echot<br />

manche definitorische Unschärfe den nachlässigen<br />

Umgang mit Sprache in der Öffentlichkeit<br />

ganz allgemein. Künstler sind eben<br />

pert das arme Schwein über den Rummelplatz.<br />

Seine Verunsicherung macht ihn<br />

eifersüchtig – und Eifersucht macht klein.<br />

Kleiner und kleiner werden Karolines Worte<br />

auf der Goldwaage gewogen, gewendet,<br />

gedeutet, gedreht: warum sie dies sagt,<br />

was dabei betont, nicht sagt und wie sie<br />

verschweigt, dabei meint und behauptet<br />

und eigentlich doch, wenn sie nur ehrlich<br />

wäre – was aber Frauen natürlich nie sind.<br />

Mit so einem hat Frau es schwer, mit sich<br />

hat es Karoline leichter. Leonore Endreß’<br />

Karoline ist ein gutmütiges Geschöpf, ein<br />

bißchen unreflektiert, ein wenig naiv, nicht<br />

zu empfindlich, lebenshungrig. Das Leben,<br />

das ist Eis essen und noch ein Eis essen,<br />

Achterbahnfahren und noch einmal Achterbahnfahren,<br />

auf einem Pferd reiten und<br />

noch einmal auf einem Pferd reiten. Das<br />

Leben sind die kleinen Vergnügungen – nur<br />

öfter. „Wenn’s mir schlecht geht“, sagt sie<br />

und schaut zum Himmel, „dann denke ich<br />

mir immer: was ist ein Mensch gegen einen<br />

Stern.“<br />

Und das ist der schmollende Proletarierchauvi<br />

Kasimir gegen Karolines Jahrmarktalternative<br />

Eugen Schürzinger: harmlos.<br />

Helmut Zhubers Schauspielleistung macht<br />

den schleimenden Buckler Schürzinger zur<br />

heimlichen Hauptrolle des Stücks. Stets<br />

devot und angepaßt leise ist der in kotbraune<br />

Hose und taubenschißgraues Jackett<br />

gewandete Widerling (Kostüme: Kristine<br />

Upesleja), der Prototyp des unpolitischen<br />

Untertanen. Der eislutschende Helmut Zhuber<br />

garantiert beim bloßen Zusehen verklebte<br />

Hände.<br />

Karoline geht also mit dem aus allen Lefzen<br />

triefenden Kinderkonfektionszuschneider<br />

Schürzinger Achterbahnfahren, Kasimir<br />

begeg<strong>net</strong> dem Merkl Franz und seiner Erna.<br />

Hat Schürzinger gelernt, geduckt auszuharren,<br />

einzustecken und darauf zu warten,<br />

einen Schwächeren zu treffen, hat der Merkl<br />

Franz das kriminelle Fach gewählt. „Der<br />

Merkl Franz prügelt seine Erna, obwohl sie<br />

ihm pariert“, sagt Karoline. Der Merkl Franz<br />

steckt seine Finger auch schon mal in seiner<br />

Erna Bier und ärgert sie damit. Das<br />

braucht der Merklfranz, daß er sich gut<br />

fühlt. Timo Berndt spielt das männliche<br />

Wrack mit Knasterfahrung und Tuberkulose<br />

in einem bordeauxroten Siebzigerjahreanzug.<br />

Und seine Erna? Elisabeth Degen als mürrisch-mäkelnde<br />

Watschenfrau hat das<br />

patriarchale System verinnerlicht, es ist ihr<br />

Kunstpraxis – pure Selbstbefriedigung<br />

Ein kritisches Plädoyer über Tonkonserven hin zur Kulturkritik<br />

nicht mit Intellektuellen in eins zu setzen, Politik<br />

nicht mit Ideologie und schon gar nicht die<br />

BRD mit dem Kapitalismus. Oder ist es etwa<br />

die Lieblingsbeschäftigung der Intellektuellen,<br />

Protest zu erklären und Kritik zu üben? Nein,<br />

nicht alle, sondern nur wenige, avancierte<br />

Köpfe, die sich als Kind ihrer Zeit fühlen und<br />

dies zur Verpflichtung nehmen, mit an der<br />

Ausgestaltung ihrer Zeit teilzuhaben, sind am<br />

magischen Kunst-Dreieck Verweigern –<br />

Widerstehen – Mitgestalten beteiligt.<br />

Protest und politisch substantielle Kritik scheinen<br />

den Künstlern seit gut einem Dutzend Jahren<br />

in der BRD eher Fremdworte, denn Lieblingsvokabeln.<br />

Und so hat denn Autor Heleno<br />

Saña (Darmstadt) exakt recht, wenn er die<br />

Kunst in deutschen Landen – gerade auch die<br />

Literatur und die bildende Kunst – als „weitgehend<br />

entsozialisiert“ maßregelt, weil vornehmlich<br />

„mit dem eigenen Ich“ beschäftigt, „dem<br />

armselig gewordenen abendländischen Ich“.<br />

René Descartes, einer der Stifter der Moderne,<br />

sprach da noch vom Gesetz, das verpflichte,<br />

das allgemeine Wohl im Auge zu behalten.<br />

Heute hat das Gros der Kunst-„Produzenten“<br />

im wesentlichen die Introspektion im Auge,<br />

gespickt mit selbsttherapeutischen Imperativen.<br />

Der heutige Künstler – sofern ein Intellektueller<br />

und mit dem Fundus der Aufklärung<br />

hantierend – hat sein kritisches Potential sträflich<br />

privatisiert. Es ist zum rein subjektiven<br />

Ereignis verkümmert, kommt als versteckte<br />

Rechthaberei im Schmollwinkel daher. Da diese<br />

real existierende Selbstverliebtheit einem<br />

Megatrend der gesellschaftlichen Wirklichkeit<br />

entspricht, muß sie selbst wieder zum Thema<br />

werden. Wie in Bitterfeld.<br />

Sicher, Künstler gelten als „größte Egoisten“<br />

und sind keine „geschichtliche Veränderungsagentur“<br />

(Oskar Negt), aber die Frage,<br />

ob es so sinnreich ist, angesichts Sarajevo<br />

und Kigali ausschließlich entzückend egophile<br />

Avantgarde-Aquarelle zu malen, große<br />

monochrome Farbwände in hehren Kulturtempeln<br />

einem maßlos gelangweilten Publikum<br />

zu „verkaufen“ oder Ich-Trübsal blasende<br />

Lyrismen im sozialen Abseits zu verfassen,<br />

diese Frage muß erlaubt sein.<br />

„Widerstand hat keinen Markt“, konstatiert<br />

A. R. Penck. Das wäre ja auch das allererste<br />

Mal, das sich kritikwürdige Zustände Kritik<br />

und Widerstand herbeisehnten. Nein, der<br />

Marktgedanke paßt nicht, wenn es um den<br />

Prozeß der Aufklärung geht, der ständig<br />

befeuert werden muß. Öffentlich gemachte<br />

Vernunft ist fast immer quertreibender<br />

Natur, ethisch fundierte Opposition ist eine<br />

Lebensform praktizierter Verantwortung.<br />

Und: Analyse ist Arbeit, weil mit dem Aufbau<br />

konkreter eigener Positionen und Maximen<br />

verknüpft, von denen aus Kritik erst Sinn<br />

macht. Für den kritischen Künstler ist ein an<br />

Sozialiät ausgerichteter innerer Kompaß des<br />

Denkens und Fühlens eine Voraussetzung.<br />

Bequem macht es sich der pointiert Mahnende<br />

gerade nicht. Mitschwimmer brauchen<br />

andererseits keine Belobigung. Und da die<br />

ehemalige Staatsführung der DDR eben<br />

jenen intellektuellen – besser: moralisch<br />

amputierten scheinintellektuellen – Mit-dem-<br />

Strom-Schwimmern eine Inflation an Orden<br />

in die Brust gepiekst hatte (und die „Nestbeschmutzer“<br />

ins Gefängnis warf, wie Angelika<br />

Mechtel angemessen ungeschminkt in Erinnerung<br />

rief), deshalb ist dieser Bitterfelder<br />

Diskurs auch weiterhin nötig. Die 4. Konferenz<br />

ist projektiert.<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 18<br />

eingebleut worden: „Wenn ich ein Mann<br />

wär’, dann tät ich keine Frau anrühren. Ich<br />

ertrag’ den Geruch nicht.“ Wenn der Merkl<br />

Franz nach dem nächsten Autoeinbruch<br />

wieder eingelocht worden ist, wird sich der<br />

Kasimir um seine Erna kümmern. Bis dahin<br />

jedoch muß Karoline erst noch dem Kommerzienrat<br />

Rauch und dem Landgerichtsdirektor<br />

Speer begegnen. Roman Silberstein<br />

als Rauch und Siegfried Heinrichsohn als<br />

Speer zelebrieren die in die Jahre gekommene<br />

Männerfreundschaft, in der Alkohol<br />

eine tragende Rolle spielt. Wie sich die alten<br />

geilen Böcke an Karolines junges Fleisch<br />

herantatschen, was im Hippodrom geschieht,<br />

wieso Schürzinger seinem Chef<br />

Rauch die Braut überläßt, ob der seinen<br />

Herzanfall überlebt und wie der Landgerichtsdirektor<br />

ein paar Zähne verliert, das<br />

und noch mehr erleben die ZuschauerInnen<br />

in zwei kurzweiligen Stunden.<br />

Es ist viel los auf der Bühne, denn neben<br />

Maryam El-Ghussein, Claudia Fenner, Aart<br />

Veder, Eduardo Bender und Peter Hackenberger<br />

in kleineren Rollen, sind ein Haufen<br />

Leute als Statisterie aufgeboten. Regisseur<br />

Tobias Lenel – wirkungsvoll unterstützt von<br />

Bühnenbildner Bernd Damovsky – bietet<br />

zum einen den Jahrmarkt als opulenten<br />

Augenschmaus, denunziert zum anderen<br />

die voyeuristische Schaulust des Publikums.<br />

Die Drehbühne leistet gute Dienste<br />

dabei, zum Beispiel wenn wir bei der Zurschaustellung<br />

mißgebildeter Menschen<br />

nach der Drehung einen Blick auf das Publikum<br />

werfen dürfen. Lemurenhaft hetzen die<br />

Oktoberfestgäste hin und her, ab und an<br />

erscheint der Zeppelin als ein schönes<br />

Wunder der Technik – unerreichbar. „Es<br />

geht immer besser“, übt Eugen Schürzinger<br />

am Schluß mit seiner Liebsten Karoline das<br />

Motto der Kleinbürger.<br />

Für das Schauspiel des Staatstheaters mag<br />

dieser Satz gelten. Ensemble, Stück und<br />

Regie haben zu einer sehenswerten Symbiose<br />

gefunden. Die nächsten Aufführungen<br />

sind am 15. und 16. Juli.<br />

P. J. Hoffmann<br />

Kunst – Was soll das? Mit Erich Kästner zu<br />

antworten: „Ja die Bösen und Beschränkten<br />

sind die Meisten und Stärkeren, aber spiel<br />

nicht den Gekränkten, bleib am Leben, sie zu<br />

ärgern.“ Aber es geht selbstverständlich um<br />

viel mehr als bloßes Ärgern. Kunst als Technik,<br />

Ästhetik oder lärmendes Entertainment<br />

allein ist zuwenig. Der intellektuelle Künstler<br />

als mental privilegierter Außenseiter ist ideell<br />

gefordert. Fehlen gänzlich Wille oder Fähigkeit<br />

zu einem überindividuellen Reflexionsniveau,<br />

regiert ein dröges L’art pour l’art oder<br />

eben der kleine, private Exhibitionismus im<br />

Elfenbeinturm. Der mag ganz lustig sein und<br />

begrenzt unterhaltungsfähig, ist aber irrelevant.<br />

Kunstpraxis muß über die pure künstlerische<br />

Selbstbefriedigung hinausreichen.<br />

Kunst ist Politik mit anderen Mitteln und eben<br />

nicht MUZAK. Ergreifen die „gesellschaftlich“<br />

denkenden Künstler und Intellektuellen doch<br />

klar und offensiv die Rolle des Buhmanns.<br />

Sie sorgen für ein Denken in Alternativen und<br />

die visionäre Option: Viel Feind, viel Ehr.<br />

Paul-Hermann Gruner<br />

Klaus Staeck, Eugen Blume, Christoph Tannert<br />

(Hrsg.), „Kunst – Was soll das? Die Dritte Bitterfelder<br />

Konferenz“, Steidl-Verlag, Göttingen, 240 Seiten, viele<br />

S/W-Abb., 28 Mark<br />

Intendant Girth will gehen<br />

(Foto: hs)<br />

Peter Girth will gehen, wenn sein Vertrag<br />

als Intendant am Staatstheater<br />

Darmstadt 1996 ausläuft. Darüber habe, so<br />

meldet das Hessische Ministerium für Wissenschaft<br />

und Kunst mit der Ministerin Evelies<br />

Mayer (SPD) und dem Oberbürgermeister<br />

Peter Benz (SPD) bei einem Gespräch<br />

am 4. 7. „Einvernehmen“ bestanden.<br />

Aus der „FAZ“ (vom 6.7.) zitieren wir: „Der<br />

Intendant beklagte eine ,Diktatur der Verantwortungslosigkeit‘<br />

in Darmstadt. Leute<br />

ohne Sachverstand meldeten sich in seinem<br />

Haus und in der Stadt zu Wort.“ Dem<br />

ist wohl nichts mehr hinzuzufügen …<br />

Außer: Monatelang hatte Darmstadt einen<br />

Nachfolger für Intendant Brenner gesucht,<br />

bevor Girth gefunden werden konnte. Wie<br />

lange wird es wohl diesmal dauern? Ob<br />

überhaupt noch einer (oder eine?) in diese<br />

Provinzstadt kommen mag? L.v.S.


ZD IM WÜRGEGRIFF<br />

Die veröffentlichte Meinung beeinflußt entscheidend die öffentliche Meinung.<br />

Sage mir, was du liest, und ich sage dir, was du denkst.<br />

Wer das bezweifelt, braucht nicht mehr weiterzulesen. – Seit viereinhalb<br />

Jahren gibt es nun die „Zeitung für Darmstadt“, eine erfrischende, wohltuende<br />

und notwendige Ergänzung zum „Darmstädter Echo“, dem mit der<br />

Liquidation des „Darmstädter Tagblatts“ das lokale Meinungsmonopol in<br />

den Schoß gefallen war. Eine mediale Konkurrenz zum „DE“ ist die ZD nie<br />

gewesen, kann sie auch nicht sein, denn eine Tageszeitung und eine Zweiwochenzeitung<br />

sind völlig verschiedene Dinge. Wohl aber gibt es eine<br />

inhaltliche Konkurrenz. Die Tageszeitung arbeitet insgesamt oberflächlicher,<br />

sie schöpft die meist über Agenturen kommenden aktuellen Informationen<br />

einfach ab und präsentiert sie. Eine Zweiwochenzeitung bietet keine<br />

Tagesaktualität, dafür aber bringt sie Exemplarisches, liefert Erklärungen,<br />

Hintergründe, Zusammenhänge, sie bohrt tiefer und baggert Dinge aus, die<br />

dem Leser normalerweise verborgen bleiben.<br />

Die inhaltliche Konkurrenz zwischen dem großen „DE“ und der kleinen<br />

ZD hat aber noch einen anderen Grund. Während das „Echo“, bei allen<br />

Unterschieden innerhalb der Redaktion, sich insgesamt regierungsfromm<br />

verhält, sich manchmal schwerhörig oder gar taub stellt, weil es verwachsen<br />

ist in die verfilzten, von einer einzigen Partei beherrschten lokalen<br />

Strukturen, zeigte sich die ZD von Anfang an alternativ und respektlos, ein<br />

unbestechliches Forum für basisdemokratische Initiativen, und ihre Kritik<br />

an den Etablierten war weitgehend, keine Partei konnte sich vor der spitzen<br />

Feder sicher fühlen. Politische Positionen kamen hier zu Wort, die beim<br />

gutbürgerlichen lokalen Meinungsmonopolisten keine Chance gehabt hätten.<br />

Die ZD hat gezeigt, was eine „unabhängige und überparteiliche“ Zeitung<br />

wirklich ist.<br />

Von Anfang an aber hat man von verschiedenen Seiten der ZD Knüppel<br />

zwischen die Beine geworfen, ihre Tätigkeit mit vielfältigen Mitteln und<br />

Methoden behindert: Informationsblockade, Anzeigenboykott, Druck auf<br />

Anzeigenkunden, Verweigerung von Krediten, Verweigerung öffentlicher<br />

(bezahlter) Bekanntmachungen, Mitarbeiter-Abwerbung, Gerichtsprozesse<br />

– ein Lehrstück für den Mißbrauch politischer Macht. Seit geraumer Zeit<br />

setzt man nun (dieser Eindruck verdichtet sich immer mehr) auf „Beleidigungsklagen“,<br />

ein todsicheres Mittel, um eine kleine, finanzschwache Zeitung<br />

zu strangulieren. Jetzt, wo die ZD die versteinerten Darmstädter Verhältnisse<br />

(ein bißchen) zum Tanzen gebracht und unsere Amigos, zumal im<br />

Wahljahr, in eine gewisse Unruhe versetzt hat, soll sie zum Schweigen<br />

gebracht werden.<br />

Und die Reaktion auf diese Bedrohung der ZD? Beim Sammeln von<br />

Unterstützungsunterschriften konnte ich viel Hilfsbereitschaft feststellen.<br />

Viele (auch solche, die von der Existenz der ZD bisher gar nichts wußten)<br />

zeigten sich erschrocken angesichts der Gefahr, daß es diese Zeitung nicht<br />

mehr geben könnte. Andere fühlten sich animiert, die ZD zu abonnieren<br />

oder selber Unterschriften zu sammeln. Leider bekam ich aber auch Stimmen<br />

zu hören, die ihre Unterstützungsunterschrift nicht geben wollten; die<br />

Begründungen waren voller Blauäugigkeit oder kleinkarierter Provinzialität,<br />

verschrobene Meinungen, Irrungen und Wirrungen auch ansonsten fortschrittlich<br />

Denkender. Manche(r) Linke(r) hat noch nicht die alte Weisheit<br />

begriffen, daß die herrschende Meinung die Meinung der Herrschenden ist<br />

und daß deshalb die Existenz der ZD eine politische Machtfrage darstellt,<br />

weil in diesem Blatt die linksparlamentarischen Kräfte und die außerparlamentarische<br />

Bewegung unzensiert und undiffamiert zu Wort kommen.<br />

Und wenn die ZD kaputt wäre? Dann kann das „Echo“ ungestört seinen<br />

Fest-und-Jubel-Journalismus weiter betreiben und so viel Kritik üben, wie<br />

man es ihm erlaubt. Kritische Leserbriefe hätten keine Chance mehr, wenn<br />

überhaupt, unverstümmelt zu erscheinen. Antikriegspositionen, antifaschistische<br />

und antirassistische Positionen, sofern sie nicht nur der Imagepflege<br />

dienen, und konsequentes ökologisches Denken hätten kein Forum<br />

mehr. Unsere Darmstädter Amigos könnten, mit Blick auf ihre ungestörten<br />

Pfründe, sich beruhigt zurücklehnen und im Glanz der öffentlichen Beliebtheit<br />

sonnen. Niemand würde ihre Schweinereien ausbaggern. Und das für<br />

lange. Denn ein so fähiges Team wie das der ZD (das sich seit Jahren freiwillig<br />

selber ausbeutet), gibt es hier erst wieder in vielleicht zwanzig Jahren.<br />

Und so lange möchte ich nicht warten.<br />

Dr. Artur Rümmler<br />

Sehr geehrter Michael Grimm,<br />

ich bitte Dich hiermit, weiter die Zeitung für Darmstadt herauszugeben,<br />

deren Erscheinung nicht einzustellen.<br />

Ich halte eine zweite Pressestimme in Darmstadt nicht nur für erforderlich,<br />

ja bei der einseitigen, pro Stadtregierung gerichteten Berichterstattung und<br />

der ständigen Zensur und Themenbeschneidung der Leserbriefe des<br />

„Darmstädter Echos“, für zwingend erforderlich.<br />

Ich möchte bemerken, ich stehe inhaltlich nicht zu jedem Artikel in Deiner<br />

Zeitung, bin nicht mit allem einverstanden. Manchmal ist mir das Vokabular<br />

etwas zu extrem gewählt, die Wortwahl etwas hart, aber die Berichte<br />

machen im allgemeinen einen gut recherchierten Eindruck.<br />

Eine zweite Zeitung, wie die ZD, bereichert die Berichterstattung einer<br />

Stadt/Region und ist oft wichtig für die Meinungsbildung, da ein zweiter<br />

Journalist oft ein Thema von einer anderen Seite sieht, beurteilt und aufrollt.<br />

Auch gefallen mir an der ZD, das Recherchieren vom Filz und Komplott<br />

in der Darmstädter Stadtregierung inkl. Heag … Diese Seite fehlt (verständlicherweise)<br />

bei dem „DE“ komplett. Daher möchte ich mich allen<br />

Forderungen der ZD anschließen und wünsche viel Erfolg für die 10.000<br />

Unterschriften.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Michael Steidel<br />

Stellungnahme zu meiner Unterschrift:<br />

Ich bin grundsätzlich ein Vertreter der Meinungsfreiheit, trotzdem habe ich<br />

einige Bedenken, Ihren Forderungskatalog zu unterschreiben. Das Eintreten<br />

gegen rechtswidrige Übergriffe der Staatsorgane und für die wirtschaftliche<br />

Gleichbehandlung der ortsansässigen Zeitungen durch die<br />

Stadtverwaltung ist eine Selbstverständlichkeit. Andererseits sind mir einige<br />

Berichterstattungen über politische und religiöse Minderheiten in Ihrer<br />

Zeitung sehr unangenehm in Erinnerung, die die Abgabe einer Solidaritätserklärung<br />

nur mit sehr gemischten Gefühlen erlauben.<br />

BRIEFE ZUR ZD …<br />

Einmal war es ein Artikel von Peter Horn „Aids-Infizierte internieren – eine<br />

unwahre Behauptung?“, in dem über den Bund gegen Anpassung berichtet<br />

wurde. Ich war Augenzeuge der Eskalation der Gewalt gegen den Bund<br />

gegen Anpassung in Mainz. Den Höhepunkt bildete die gewaltsame Verhinderung<br />

einer Veranstaltung des Bundes gegen Anpassung durch eine<br />

angetrunkene Menschenmenge (kostenloser Glühweinausschank!) unter<br />

den Scheinwerfern eines Kamerateams von „Sat 1“. Kurz zuvor fand eine<br />

Studentenversammlung mit dem einzigen Tagesordnungspunkt „Wer ist<br />

der Bund gegen Anpassung?“ statt. Eine Vertreterin des Bundes gegen<br />

Anpassung versuchte zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Ihr wurden<br />

gerade zwei Minuten Redezeit zugestanden. Daraufhin verließen die Mitglieder<br />

des Bundes gegen Anpassung unter dem Gejohle der Menge „Auf<br />

Wiedersehen, auf Wiedersehen …“ und Fußgetrampel den Saal.<br />

Ähnliches konnte in Darmstadt beobachtet werden. Aber für Sie bestand<br />

keine Notwendigkeit beide Seiten zu hören, obwohl schon Tage vor der<br />

angekündigten Veranstaltung Steckbriefe („Wanted“) plakatiert wurden<br />

und die Plakate des Bundes gegen Anpassung entweder abgerissen oder<br />

mit dem Aufkleber „Fällt aus“ überklebt wurden.<br />

Nichts gesehen? Nichts gehört? Und nur eine Seite befragt! Ich zitiere<br />

ihren Autor Peter Horn:<br />

„Der BgA … ist Mitte der achtziger Jahre unter anderem in Göttingen und<br />

1989 in Mainz aufgefallen – die dortige ASten sollten darüber Bescheid<br />

wissen. Jedenfalls scheint es immer rabiat zuzugehen bei den Veranstaltungen<br />

des ‚Bundes’. Was im einzelnen dort gelaufen ist (oder nicht), das<br />

wollen wir lieber nicht zitieren.“<br />

Zur zweiten unangenehmen Berichterstattung habe ich mich schon in<br />

einem Leserbrief geäußert (ZD 71). Ich gebe äußerst ungern eine Solidaritätserklärung<br />

für eine Zeitung ab, die Hofberichterstattung für die Gegner<br />

der Meinungsfreiheit betreibt.<br />

Warum dann doch? Einerseits wegen der Einmaligkeit (eigentlich Selbstverständlichkeit)<br />

in der deutschen Presselandschaft, daß Ihr Leserbriefe<br />

nicht zensiert. Andererseits wegen den seltenen Fällen, in denen Ihr auch<br />

mal einem Angegriffenem ein Forum bietet. Als positives Beispiel sei die<br />

Veröffentlichung der Bilder des italienischen Malers Mario Sironi genannt.<br />

Peter Betscher<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

mit Bestürzung habe ich in der Ausgabe 71 der ZD gelesen, daß dieser Zeitung<br />

das Ende droht; zu mächtig scheint die Allianz der Widerstände, von<br />

denen allerdings oft genug berichtet wurde – nur mit diesen Konsequenzen<br />

rech<strong>net</strong>e ich doch nicht.<br />

So ist das in der Welt – man hört und liest von allerlei Schlechtigkeiten,<br />

und wenn dann im engeren Lebensumfeld etwas passiert, ist man doch<br />

ziemlich berührt. So fühle ich mich persönlich betroffen – eigentlich auch<br />

getroffen, denn was nach Ihren Schilderungen da abläuft, ist ein eklatanter<br />

Eingriff in die Pressefreiheit, mithin eine gröbliche Mißachtung der Grundwerte<br />

unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Wer das duldet, ist<br />

selbst schuld; und doch: Bleibt uns anderes übrig? Die Stimme zu erheben<br />

mag ja heilige (oder erste) Bürgerpflicht sein – allein, was nutzt es? Politischer<br />

und/oder finanzieller Einfluß ist allemal wirksamer als hehre Solidaritätsbekundungen,<br />

doch solche Einflußmöglichkeiten stehen offensichtlich<br />

denen näher, die freie Meinungsäußerungen und Meinungsvielfalt in<br />

den Medien mit kritischer Berichterstattung nur dann dulden, wenn es<br />

ihnen nicht schadet – also offenbar nie.<br />

Wie auch immer, ich werde – wie hoffentlich auch viele andere kritische<br />

Leser(innen) der ZD, die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen und<br />

fordere diejenigen, die der ZD andauernd Knüppel zwischen die Beine werfen,<br />

öffentlich auf, Stellung zu nehmen, warum sie das tun und was sie zu<br />

den Vorwürfen bzw. der Berichterstattung zu sagen haben.<br />

Ob es um Beleidigungen geht (an „Ehrenrührigem“ gibt es weit Schlimmeres)<br />

oder um gravierendere Dinge – wenn die öffentlichen Belange betroffen<br />

sind, scheint mir die Gerichtsbarkeit der falsche Verhandlungsplatz zu<br />

sein. Das gute alte Forum ist ein geeig<strong>net</strong>eres Feld zur Gegenüberstellung<br />

von gegensätzlichen, die Allgemeinheit betreffenden Meinungen; und wer<br />

setzte sich für so ein Forum ein, wenn nicht die ZD?<br />

Mit freundlichem Gruß<br />

Dieter Wolf<br />

Lieber Michael Grimm,<br />

ein blaublütiger, britischer Geldsack hat m. E. die zutreffende Charakterisierung<br />

von Pressetätigkeit unter den Bedingungen des real existierenden<br />

Kapitalismus gegeben. In zynischer Offenheit (man befand sich unter Seinesgleichen)<br />

meinte er sinngemäß, Pressefreiheit bedeute die Freiheit der<br />

200 reichsten Männer, Ihre Meinung gedruckt zu sehen.<br />

Den Zustand der etablierten und bequemen HOFberichterstattung kennt in<br />

Darmstadt und Umgebung jeder, der das „DE“ liest – publizistische<br />

Gegen„macht“ ist daher möglich und nötig; um so mehr, da es heute nicht<br />

unbedingt einen offiziellen Zensor (obwohl auch das immer häufiger vorkommt)<br />

braucht, um eine mißliebige Stimme im „Zeitungswald“ zum<br />

Schweigen zu bringen.<br />

In diesem Sinne,<br />

mit freundlichen Grüßen,<br />

Roland Vogel, Antifa-Archiv Georg Fröba<br />

Liebe ZD’ler<br />

leider ist es mir bis heute nicht gelungen, Menschen von der Wichtigkeit<br />

einer ZD zu überzeugen. „Lieber nicht“, war die Reaktion, wenn ich um<br />

Unterschrift bat.<br />

Ich hoffe für Euch! Bin begeisterte Abo-Empfängerin und fände eine Einstellung<br />

dieser Zeitung in vielerlei Hinsicht bezeichnend.<br />

Seid herzlich gegrüßt<br />

Diana Birkenfeld<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 19<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

Ihre Ankündigung, die ZD einzustellen, ist für Darmstadt eine Katastrophe.<br />

Ich habe die Zeitung von drei Seiten erlebt, als Abonnent, als Autor und als<br />

Ziel ihrer Recherchen. Abonnent bin ich von Anfang an und ich habe mir<br />

eine „Lobby für den Sozialbereich“ erhofft. Autor war ich leider nur sehr<br />

kurz, und ich habe eine kritische, sehr anspruchsvolle aber sehr kooperative<br />

Redaktion erlebt. Bei Recherchen in der Institution, in der mein Arbeitsauftrag<br />

liegt, und die ihrerseits Lobby ist für Randgruppen, hat die Zeitung<br />

Sensibilität und detailgetreue Wiedergabe der Realität bewiesen. Insgesamt<br />

das, was Darmstadt braucht und man/frau von Presse erwartet. Die<br />

Aggressivität, mit der Sie manchmal berichten, trifft nicht immer meinen<br />

Stil. Dies darf aber nicht zu Zensur führen, denn das ist der Zerfall der<br />

Demokratie. Der Appell geht an alle Darmstädter. Kaufen oder Nicht-Kaufen<br />

soll das Überleben der Zeitung bestimmen, nicht Zensur oder Opportunismus.<br />

Karl-Heinz Schön<br />

Wenn ich halbmonatlich aus der provinziellen, noch nicht ganz gleichgeschalteten<br />

Zeitungslandschaft Berlins in die provinzielle, fast gleichgeschaltete<br />

Zeitungslandschaft Ostthüringens zurückkehrte, fand ich regelmäßig<br />

die „Zeitung für Darmstadt“ im Briefkasten. Jedesmal hob sich<br />

sogleich meine Stimmung: siehe da; es gibt noch Flecken im Lande dampfender<br />

Dumpfheit, wo sich aufmüpfige Blätter und deren Macher halten<br />

können. Da packt einen doch gleich der Optimismus, und man hält die<br />

deutsche Menschheit nicht nur für bieder, ausländerfeindlich, lesefaul,<br />

braunfleckig und lernschwach. Nun soll, wie man lesen und hören muß, die<br />

„Zeitung für Darmstadt“ exekutiert werden. Muß ich jetzt meinen – lebensnotwendigen<br />

– Optimismus gänzlich aus dem eigenen, notwendigerweise<br />

wachsenden, Bauch nehmen?<br />

Matthias Biskupek, freier Schriftsteller, Rudolstadt<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

der Aufruf zur Unterstützung der ZD ist für mich der Anlaß, anstelle des<br />

vorformulierten Protestes einen (eigenen) Brief zu (unter)schreiben.<br />

Ich unterstütze die Forderung nach einer zweiten (Tages)-Zeitung für<br />

Darmstadt.<br />

• In der Zeitung für Darmstadt sehe ich den Versuch, ein Stück Öffentlichkeit<br />

in der Stadt wiederzubeleben. Da die Wiedergabe von Ereignissen<br />

immer den (subjektiven) Blickwinkel der JournalistInnen beinhaltet und<br />

nicht alle Aspekte der (objektiven) Wirklichkeit einbeziehen kann, ist ein<br />

breites Spektrum der Berichterstattung aus unterschiedlicher Perspektive<br />

über die vielfältigen Ereignisse in der Stadt wünschenswert.<br />

• Weiterhin kann eine zweite Zeitung in Darmstadt durch die Veröffentlichung<br />

von Leserbriefen, die manchmal auch „länger als 30 Zeilen à 60<br />

Anschläge“ sein können, einen größeren Kreis von Bürgerinnen und Bürgern<br />

in einen lebendigen Diskussionsprozeß einbeziehen.<br />

• Auch unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs in einer Marktwirtschaft<br />

ist eine zweite lokale Zeitung notwendig, vor allem wenn mit dem so schillernden<br />

Gut „Information“ gehandelt wird.<br />

Ich lese seit Herbst vergangenen Jahres als Neu-Darmstädter die Zeitung<br />

für Darmstadt und habe sie als Informationsquelle schätzen gelernt. Längere<br />

Berichte, welche auch Hintergründe beleuchten, ermöglichen den<br />

LeserInnen im Zusammenhang mit anderen Presseerzeugnissen und der<br />

eigenen Wahrnehmung eine selbständige Urteilsbildung. Erwähnen möchte<br />

ich die Beiträge über die Frauenbeauftragte der Stadt Darmstadt (ZD Nr.<br />

56), den Artikel über den Ausländerbeirat (ZD Nr. 60) und die Fotodokumentation<br />

über das Heag-Hallen-Vorhaben (ZD Nr. 70).<br />

Eine kritische Anmerkung möchte ich zur Zeichnung auf der Titelseite der<br />

Ausgabe Nr. 71 vom 10.6.94 machen. Ich halte eine derartige bildliche Darstellung<br />

für gefährlich, in der Hinsicht, daß auf diese Art und Weise Feind-<br />

BILDer aufgebaut und verfestigt werden. Außerdem klangen in der Vergangenheit<br />

manche Beiträge in der ZD eher verzweifelt, anklagend, als daß sie<br />

zur Mitarbeit und zum Engagement in der Stadt ermutigt hätten. Ermutigende,<br />

Möglichkeiten aufzeigende Beiträge sollten in der Zeitung für Darmstadt<br />

ihren Platz finden.<br />

Ich hoffe, daß dieses einzelne Votum für eine zweite Zeitung in Darmstadt<br />

mit zu deren Erhalt beitragen kann.<br />

Freundliche Grüße,<br />

T. Schumann<br />

Lieber Michael,<br />

in den letzten Monaten habe ich die politischen Geschehnisse in Darmstadt<br />

nicht näher verfolgen können, da mich andere Probleme beschäftigt haben.<br />

Immerhin habe ich bei meinen Arbeitskollegen bzw. -kolleginnen einige<br />

Unterschriften für die ZD sammeln können. Dabei habe ich festgestellt, daß<br />

kaum jemand die ZD kannte.<br />

Übrigens bezweifle ich, ob die Erhöhung des Einzelverkaufspreises auf<br />

5,50 Mark der ZD nutzen wird. Meines Erachtens ist damit ein Schwellenwert<br />

überschritten, der manche Interessenten vielleicht vom Kauf abhalten<br />

wird. Ich hätte einen Preis von unter 5 Mark für besser befunden.<br />

Nichtsdestotrotz bleibt die ZD für mich die wichtigste Informationsquelle<br />

über das Geschehen in Darmstadt. Ich würde es als einen großen Verlust<br />

empfinden, wenn die ZD ihr Erscheinen einstellen müßte. Für die nächste<br />

Ausgabe wünsche ich mir eine kritische Berichterstattung zum Heinerfest<br />

und dem ganzen bierseeligen Drum und Dran.<br />

Mit den besten Wünschen<br />

Karl-Heinz Dehner<br />

Hallo Herr Grimm,<br />

für diesen Text waren nicht mehr Unterschriften zu bekommen. Insbesondere<br />

der letzte Absatz hat viele abgeschreckt. Wenn Sie die Unterschriften-<br />

☛ Fortsetzung auf folgender Seite<br />

DESIGNERTEPPICHE<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ


sammlung fortsetzen wollen, sollten Sie über einen moderateren Vorspann<br />

nachdenken, der das Ziel, eine zweite Zeitung für DA, mehr in den Vordergrund<br />

stellt. Dennoch viel Erfolg.<br />

Christian Fleischmann<br />

Sehr geehrter Michael Grimm,<br />

ich muß zugeben, ich weiß nun gar nicht, ob Sie gerade an der letzten Ausgabe<br />

der ZD arbeiten – ich hoffe doch nicht. Wie ich in meinem gesamten<br />

Umfeld jedenfalls vernehme, ist die Einsicht in die Notwendigkeit eines<br />

zweiten Print-Presse-Organs für Darmstadt unumstritten.<br />

Verbunden mit den besten Grüßen<br />

Paul-Hermann Gruner<br />

Lieber Michael Grimm,<br />

gerade in letzter Zeit hat sich ja wieder die Notwendigkeit einer unzensierten<br />

Berichterstattung gezeigt. Wer hätte ohne die ZD mitbekommen, daß<br />

die Darmstädter Polizei wieder gegen Andersaussehende und ihre Befehlsgeber<br />

gegen Andersdenkende (Hanf-Aktionen) vorgehen?<br />

Niemand hätte gemerkt, daß die Pressefreiheit in Darmstadt nur „pro forma“<br />

existiert, hättet Ihr sie nicht gesucht. Wer hätte Termine und Standpunkte<br />

von politischen Basisinitiativen in Darmstadt veröffentlicht, wenn<br />

nicht die ZD?<br />

Eine Gegenöffentlichkeit in Darmstadt aufzubauen, war sicher schwer, der<br />

Kampf gegen den Filz raubte Euch sicher einige Kräfte. Die politische Wirkung<br />

der ZD war nicht so hoch, wie es viele angenommen hatten. Schade,<br />

aber Darmstadt braucht die ZD. Ich wünsche Euch die nötige Energie und<br />

das Geld, die ZD doch noch weiter erscheinen zu lassen.<br />

Gute Nacht, schlafende Beamtenstadt!<br />

Tilman Heller<br />

„Oh Herr, schenk’ uns das Fünfte Reich, das Vierte ist dem Dritten gleich!“<br />

Leider bin ich nicht in der Lage zu werben, da ich 80 Prozent schwerstbehindert<br />

bin, u. a. Arthrose (unheilbar) in Rücken, Händen, Füßen; am 11.7.<br />

nun 43. Kopfhöhlenoperation; bin 68 Jahre alt! – Wir brauchen eine echte<br />

Demokratie – statt einer Maulkorbdemokratie! Volksabstimmung wie in<br />

der Schweiz, 50.000 Mark für Abgeord<strong>net</strong>e im Jahr ohne Pension!<br />

Viel Erfolg!<br />

Ihre Gertrud Scheuermann<br />

Lieber Michael Grimm,<br />

es wäre schlimm für Darmstadt, wenn die Zeitung für Darmstadt gezwungen<br />

sein wird, ihr Erscheinen einzustellen. Ich kann mir Darmstadt ohne<br />

diese Zeitung nicht mehr vorstellen; nur noch das „Darmstädter Echo“, das<br />

über viele Sachen in der Vergangenheit falsch oder unwahr berichtet hat,<br />

als einzige häufig erscheinende Zeitung in Darmstadt zu haben, das ist für<br />

mich beängstigend.<br />

Die „Zeitung für Darmstadt“ muß weiter erscheinen. Es darf keine Zensur<br />

der Stadt- und Landesregierung geben. Die Politiker müssen die Finger von<br />

dem Presserecht lassen. Es darf kein Presserecht geben, das nur für regierungsfreundliche<br />

und einseitige Zeitungen, wie das „Darmstädter Echo“,<br />

gilt, nicht aber für kritische und vielfältige Zeitungen, wie die Zeitung für<br />

Darmstadt.<br />

Ich habe Angst vor einer Stadt Darmstadt, wo sich eine Regierungspartei<br />

alles leisten kann, ohne Widerstand zu spüren und in der es ein Pressemonopol<br />

gibt, deren Besitzer Informationen zensieren können, wie sie wollen<br />

und eng mit Politik verstrickt und verfilzt sind, ich habe Angst vor Darmstadt<br />

ohne zweite Zeitung.<br />

Ich wünsche mir, daß Ihr irgendeine Möglichkeit seht, die Zeitung für<br />

Darmstadt weiterzumachen.<br />

In dieser Hoffnung,<br />

Christian Mierse<br />

Sehr geehrter Herr Grimm,<br />

anbei übersende ich Ihnen eine fast volle und eine fast leere Unterschriftenliste<br />

für die ZD und zwei neue Abos. Ich hoffe, diese Unterstützung hilft,<br />

damit die ZD weiter erscheinen kann!!!!<br />

Mit freundlichem Gruß<br />

J. Hehner-Anders<br />

Dies ist also die letzte Ausgabe der einzigen politischen, kritischen Zeitung<br />

in Darmstadt, die mit so großen Zielen vor mehr als vier Jahren als Alternative<br />

zum dumpfen Politfilzlokalblättchen gestartet war. Ab morgen gibt es<br />

sie nicht mehr, das „Echo“ erscheint wieder in absolutistischem Sonnenglanz,<br />

das Parteienkartell, das inzwischen auch die Grünen scheinbar<br />

mühelos in sich aufgesogen hat, ist wieder ungestört.<br />

Und warum? Wieso hat die ZD keine Zukunft? Sicher, kein Geld für die Veröffentlichung<br />

von Bekanntmachungen der Stadt und ihrer Unternehmen, ja<br />

auch Zensur, sublim und verdeckt, und die dünne Auftragslage für Anzeigen<br />

in der Zeitung – all das sind gute Gründe, die einer kleinen Zeitung<br />

leicht das Genick brechen können, doch all diese Gründe müßten noch<br />

nicht das Aus für die ZD bedeuten, wenn es in Darmstadt noch eine kritische<br />

Öffentlichkeit gäbe, die an einer Alternative zur Hofberichterstattung<br />

des „Echos“ wirklich interessiert wäre. Nur ein Bruchteil der 9.000 Leser<br />

(oder soll man sie besser Käufer nennen) ist bereit auch nur eine Unterschrift<br />

zu leisten, die lediglich die Solidarität mit dem Projekt ZD zum Ausdruck<br />

gebracht hätte, geschweige denn zu entschiedeneren Aktionen,<br />

öffentlichem Protest in irgendeiner Form.<br />

BRIEFE ZUR ZD …<br />

Da müssen sich die Leute von der ZD natürlich fragen, wofür mach’ ich das<br />

hier eigentlich, wen interessiert das noch, wenn nicht einmal der feste Käuferkreis<br />

wirklich am Fortbestand der Zeitung interessiert ist.<br />

Ein Signal ist das allemal, ein Signal auch, das weit über die ZD hinausweist<br />

auf die politische Stimmung im Land. Ich will gar nicht einmal so<br />

weit gehen, wie der Herausgeber der ZD, der die heutige politische Situation<br />

immer wieder mit dem Ende der Weimarer Republik vergleicht, aber die<br />

Lethargie, die bleierne Lethargie, die über dem ganzen Land liegt, die ist<br />

tatsächlich unverkennbar und das stille, gleichgültig hingenommene Aus<br />

der Zeitung für Darmstadt liegt unter anderem in dieser dumpfen Leere<br />

begründet. Kritische Öffentlichkeit wird fast ausschließlich als Konsum<br />

gelebt in diesem Land, durch den Erwerb von „Spiegel“, „taz“ und ZD hat<br />

man seinen Beitrag geleistet, ich lese „Taz“, bin kritisch, links, was wollt ihr<br />

mehr? War das mal anders?<br />

Gab’s die breite kritische Öffentlichkeit, in einer Zeit, bevor Kohl die geistig<br />

moralische Wende verkündete (und so erfolgreich durchsetzte), in einer<br />

Zeit vor dem Mauerfall, als es noch nicht Konsens war, daß das westliche<br />

Regierungssystem ohnehin ohne Alternative ist? (Das ist ja heute Konsens,<br />

obgleich kein ernstzunehmender Linker die DDR jemals als Alternative zur<br />

Alt-BRD pries), ach und so weiter, ich schweife ja ab, weiß ja auch nicht,<br />

wie anders es mal wirklich war, nur daß die Zeitung für Darmstadt einfach<br />

so sang- und klanglos verschwinden soll, von ihren Lesern, Käufern und<br />

Abonnenten mit einem kurzen Achselzucken verabschiedet, das ist verdammt<br />

schade.<br />

Und daß Darmstadt in unabsehbare Zukunft hinein von diesem spießig,<br />

dumpfen Parteien- und Medienkartell regiert wird, ist eine Schande.<br />

Volker Weidermann<br />

Sehr geehrter Herr Grimm,<br />

Sie haben mit einem allgemeinen Rundschreiben unter dem 18. Juni 1994<br />

um Unterstützung für die Herausgabe der „Zeitung für Darmstadt“ gebeten.<br />

Wir können Sie uneingeschränkt unterstützen, wo es darum geht, daß<br />

Sie von öffentlichen Stellen die Informationen bekommen, die auch anderen<br />

Zeitungen und Medien regelmäßig zur Verfügung gestellt werden. Sie<br />

werden es zu schätzen wissen, daß die IHK Darmstadt Ihnen ihre Presseinformationen<br />

regelmäßig liefert.<br />

Ihren anderen Forderungen können wir uns jedoch nicht anschließen, da<br />

hier Fragen der rationellen Verwendung öffentlicher Mittel angesprochen<br />

sind, die sehr sorgfältig mit anderen Gesichtspunkten abzuwägen sind.<br />

Mit freundlichen Grüßen,<br />

Dr. Volker Merx,<br />

Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Darmstadt<br />

Armutszeugnis für Darmstadt<br />

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten<br />

protestiert entschieden gegen die offensichtlichen Absichten aller im Stadtparlament<br />

vertretenen Parteien, der Zeitung für Darmstadt die wirtschaftliche<br />

Basis zu entziehen. Die Weigerung, sie gleichberechtigt mit anderen<br />

Zeitungen zu behandeln und amtliche Anzeigen und Pressemitteilungen ihr<br />

vorzuenthalten, verstößt gegen die Pressefreiheit und die demokratischen<br />

Prinzipien.<br />

Gerade die Zeitung für Darmstadt veröffentlichte in der Vergangenheit<br />

Berichte und Kommentare unabhängig von Parteizugehörigkeit und wirtschafltichen<br />

Interessen und trug wesentlich zur Meinungsvielfalt in Darmstadt<br />

bei. Umfassend und engagiert hat sie über Rassismus und Neofaschismus<br />

berichtet und die wachsenden rassistischen Tendenzen in Darmstadt<br />

sowie die Übergriffe der Darmstädter Polizei gegen Menschen anderer<br />

Hautfarbe angeprangert.<br />

Sollte die Zeitung für Darmstadt ihr Erscheinen einstellen müssen, bedeutet<br />

diese Tatsache für unsere Heimatstadt ein Armutszeugnis, für das auch<br />

die Magistratsmehrheit die Verantwortung übernehmen muß.<br />

Philipp Benz, VVN/BdA Kreisverband Darmstadt-Dieburg<br />

Sehr geehrter Herr Grimm!<br />

Ihren Brief erhielt ich am 15.6.94. Vielen Dank!<br />

Es ist ein bißchen schwierig, Ihrem Anliegen, dessen sich kein Anwalt<br />

annehmen wollte, gerecht zu werden. Die Schwierigkeit besteht unter anderem<br />

darin, daß alle gewünschten Rechte und Einnahmen auch den Stadtteilblättern,<br />

dem „Wochenblatt“ etc. zur Verfügung gestellt werden müßten –<br />

denn alle diese Blätter erscheinen nicht täglich, wohl aber periodisch.<br />

Wir sind leider nach wie vor in dem Dilemma, daß es keine zweite Darmstädter<br />

Tageszeitung gibt.<br />

Die CDU-Fraktion hat das Ihre getan, um Gleichberechtigung zu wahren.<br />

Alle unsere Pressemeldungen gehen Ihnen zu; zu unseren Pressegesprächen<br />

erhalten Sie gleichermaßen eine Einladung.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Karin Wolff, CDU-Fraktionsvorsitzende<br />

Lieber Herr Grimm,<br />

in den vergangenen Tagen haben Sie die FDP-Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion<br />

sowie alle unsere Fraktionsmitglieder angeschrieben mit der Bitte, in den<br />

zuständigen Gremien dafür einzutreten, daß die Hauptsatzung für die Vergabe<br />

der Bekanntmachungen der Stadt Darmstadt dahingehend geändert<br />

wird, daß die öffentlichen Bekanntmachungen nicht nur an das „Darmstädter<br />

Echo“, sondern auch an die „Zeitung für Darmstadt“ gegen Entgelt vergeben<br />

werden.<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 20<br />

Wir haben in unserer Fraktion ausführlich über Ihr Anliegen diskutiert,<br />

zumal uns seit jeher an der Pressefreiheit und Pressevielfalt gelegen ist.<br />

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an unser Eintreten für die Aufrechterhaltung<br />

des „Darmstädter Tagblatts“, das leider keinen Erfolg hatte. Wir<br />

schätzen es auch sehr, daß Sie die Pressemeldungen der Darmstädter Parteien<br />

und Fraktionen unzensiert in Ihrer Zeitung abdrucken.<br />

Wir geben jedoch zu bedenken, daß bei einer wirklichen Gleichbehandlung<br />

aller in Darmstadt erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften außer Ihrer<br />

zweiwöchentlich erscheinenden „Zeitung für Darmstadt“ noch weitere Zeitungen<br />

bei der Vergabe der öffentlichen Bekanntmachungen berücksichtigt<br />

werden müßten. Dies würde beispielsweise dann auch für das „Darmstädter<br />

Wochenblatt“, die „Arheilger Post“, den „Blickpunkt Eberstadt“, den<br />

„Eberstädter Lokalanzeiger“, die „Bessunger Nachrichten“ u. a. m. gelten.<br />

Eine Vergabe der öffentlichen Bekanntmachungen gegen Entgelt an all diese<br />

wöchentlich/zweiwöchentlich/monatlich erscheinenden Zeitungen wäre<br />

mit erheblichen Mehrkosten für die Stadt und damit letzten Endes für uns<br />

Steuerzahler verbunden. Bei der derzeitigen Haushaltslage unserer Stadt<br />

hält meine Fraktion eine solche Mehrausgabe für nicht vertretbar.<br />

Deshalb bitte ich Sie um Verständnis, daß die FDP-Fraktion den von Ihnen<br />

gewünschten Antrag auf Änderung der Hauptsatzung nicht in die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

einbringen wird.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Ihr Dr. Dierk Molter, Fraktionsvorsitzender<br />

Dringlichkeitsantrag<br />

Die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung möge beschließen:<br />

Der § 7, Absatz 1, der Hauptsatzung der Stadt Darmstadt wird wie folgt<br />

ergänzt: … und der „Zeitung für Darmstadt“.<br />

Begründung:<br />

Die Öffentlichen Bekanntmachungen der Stadt sollten möglichst viele Bürgerinnen<br />

und Bürger Darmstadts erreichen. Darmstädter Echo und Zeitung<br />

für Darmstadt werden von unterschiedlichen Gruppen der Darmstädter<br />

Bürgerschaft gelesen. Deshalb sollten die Bekanntmachungen der Stadt in<br />

beiden Zeitungen veröffentlicht werden, um eine größere Verbreitung dieser<br />

Information sicherzustellen.<br />

Nach dem §7 Der Hessischen Gemeindeordnung erfolgen Öffentliche<br />

Bekanntmachungen in einer (…) mindestens einmal wöchentlich erscheindenen<br />

Zeitung. Der Herausgeber der Zeitung für Darmstadt hat zugesagt,<br />

diese Voraussetzung zu erfüllen.<br />

Helmut Dreßler, Stv., Daniela Wagner, Stve., Doris Fröhlich<br />

Der Antrag ist nicht eingereicht worden red.<br />

Sehr geehrter Herr Grimm,<br />

Ihr oben angegebenes Schreiben nebst anhängendem Unterschriftenblatt<br />

ist für mich eine Zumutung. Ich gebe beide unkommentiert zurück.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Gerd Grünewaldt, Stadtrat<br />

Die Zeitung für Darmstadt wird nicht mehr erscheinen.<br />

Der letzten Aufforderung des Herausgebers an die Stadt Darmstadt, den<br />

Boykott dieses kritischen Blattes zu beenden und die ihr dringend notwendigen<br />

Finanzen durch die Vergabe der öffentlichen Bekanntmachungen der<br />

Stadt, die bisher nur das Darmstädter BenzEcho erhält, zukommen zu lassen,<br />

wurde nicht nachgegeben.<br />

Ganz zu schweigen von der alles (vor allem das „Darmstädter Echo“ und<br />

Die Grünen) beherrschenden SPD, war noch nicht einmal die Regierungspartei<br />

Die Grünen bereit, sich für den Erhalt der Zeitung einzusetzen.<br />

Obwohl sie noch vor kurzem ankündigten, alles zu unternehmen, um die<br />

Stadt, die sie regieren, dazu zu bewegen, auch (und wenigstens) eine<br />

regierungskritische Zeitung zu unterstützen, hielten sie ihr Versprechen<br />

nicht. Sie waren nicht willens, auf der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung am<br />

letzten Donnerstag einen Antrag zu stellen, daß die Freiheit der Presse auch<br />

endlich mal wieder in Darmstadt nicht mehr nur auf dem Papier (einer Zeitung)<br />

zu stehen habe. Schließlich habe man zum Darmstädter BenzEcho<br />

endlich ein „ganz gutes Verhältnis“ (Günter Mayer), das man nicht auf’s<br />

Spiel setzen wollte.<br />

So begründeten Die Grünen, nicht an der Demonstration gegen das „Darmstädter<br />

Echo“ teilnehmen zu wollen. Anzunehmen ist, daß sie wieder einmal<br />

Krach mit ihrem Koalitionspartner befürchteten. Schade, denn auch<br />

hier hätten Die Grünen erneut Gelegenheit gehabt, ihre Haltung zum<br />

Grundgesetz zu verdeutlichen, wie ihr Koalitionspartner dies ja vor kurzem<br />

forderte. Diesmal dazu, wie sie zur Pressefreiheit stehen. Anscheinend stehen<br />

sie wieder einmal nicht so ganz hinter ihren einstigen Forderungen und<br />

Wünschen, in der Zeitung für Darmstadt eine zweite und eine unabhängige<br />

Zeitung in Darmstadt unterstützen und etablieren helfen zu wollen.<br />

Schließlich will man ja in Darmstadt Reformpolitik betreiben, und wenn Die<br />

Grünen ständig Ärger mit der SPD riskieren, könnte ja die ach so reformfreudige<br />

Regierungskoalition kippen, und dann wäre keine Reformpolitik<br />

mehr möglich.<br />

Bis auf die Zeitung für Darmstadt können sich alle also noch einmal glücklich<br />

schätzen. Die Stadt behält ihre mit reformerischem Potential nur so<br />

beglückte Regierung, als kleines Übel verliert sie nun eine kritische Informationsquelle.<br />

Aber das ist offensichtlich der Preis für Reformpolitik.<br />

Presseerklärung der PDS/LL Hessen Süd


Autofreier Sonntag<br />

gegen Sommersmog<br />

DER VERKEHRSCLUB DEUTSCHLAND WERTET DEN OZON-<br />

VERSUCH IN HEILBRONN ALS ERFOLG UND FORDERT:<br />

„OPFER SCHÜTZEN, NICHT TÄTER“<br />

Die Wiedereinführung des „Autofreien Sonntags“ in Deutschland fordert<br />

der Verkehrsclub Deutschland (VCD). Dies ist nach Ansicht des umweltbewußten<br />

Verkehrsclubs die am meisten geeig<strong>net</strong>e, um gegen die hohen<br />

Ozonbelastungen vorzugehen. Nicht die Täter sollten geschützt werden,<br />

sondern die Opfer.<br />

Ein durchschlagender Erfolg war der Ozon-Großversuch in der Region Heilbronn/Neckarsulm:<br />

Nicht nur die Ozon-Konzentration sank deutlich, auch<br />

der Verkehrslärm und die Benzolbelastungen gingen deutlich zurück. Von<br />

den Bürgern wurden diese positiven Auswirkungen begrüßt. Das Umsteigen<br />

auf das Fahrrad war problemlos möglich. Sogar begeisterte Autofans<br />

bekannten, Berichten von Nachrichtenmagazinen zufolge, daß es doch<br />

möglich sei, Bus zu fahren.<br />

Negative Auswirkungen auf die Mobilität der Bevölkerung kann der VCD<br />

nicht erkennen: Gerade in der Freizeit ist ein Umsteigen auf Rad, Bahn und<br />

Bus viel problemloser als unter der Woche, weil das Ziel im Gegensatz zum<br />

Berufsverkehr meist selbstbestimmt ist. Von seiten der Politik ist dennoch<br />

ein Ausbau des Nahverkehrs gerade am Wochenende notwendig, wie er bei<br />

der Odenwaldbahn in den letzten Jahren erfolgt ist.<br />

Dem VCD zufolge soll mit Hilfe des autofreien Sonntags gegen den Hauptverursacher<br />

des Sommersmogs vorgegangen werden: In den Ballungsräumen<br />

gehen unbestritten 60 bis 80 Prozent der Ozonbelastung auf den Autoverkehr<br />

zurück. Er emittiert Stickoxide und leichtflüchtige organische Kohlenwasserstoffe,<br />

aus denen sich unter Lichteinwirkung, also an besonders<br />

schönen Sommertagen, Ozon bildet. Gerade an Sonntagen werden so nicht<br />

die Täter (also die Autofahrer) in ihrer Bewegungsmöglichkeit eingeschränkt,<br />

sondern die Opfer (Wanderer, Radfahrer, Kinder). Dieser Ungerechtigkeit<br />

soll mit dem autofreien Sonntag entgegengetreten werden.<br />

Verkehrsclub Deutschland, Kreisverband Darmstadt-Dieburg<br />

Mehr als ein Silberstreif<br />

am Horizont<br />

DER FAHRGASTVERBAND „PRO BAHN“ FREUT SICH ÜBER<br />

DIE GRÜNDUNG DES „RHEIN-MAIN-VERKEHRSVERBUNDES“<br />

Ein in jeder Hinsicht freudiges<br />

Ereignis stellt die Geburt des<br />

Rhein-Main-Verkehrsverbundes<br />

(RMV) für die Mitglieder<br />

des Fahrgastverbandes Pro<br />

Bahn dar. Die Gründung, so Pro Bahn-Vorsitzender Joachim Elbing, sei<br />

weit mehr als der berühmte Silberstreif am Horizont des immer noch überwiegend<br />

bewölkten Nahverkehrshimmels.<br />

Schon über zehn Jahre kämpft der Verband in zahllosen Einzelinitiativen für<br />

bessere Fahrpläne, verschönte Bahnhöfe und mehr Dienst am Kunden.<br />

Dabei wühlten sich die engagierten Fahrgäste bislang stets durch ein<br />

Dickicht von Verwaltungen, Behörden und Verkehrsunternehmern. Den einzelnen<br />

Beteiligten war es stets ein Leichtes, die Verantwortung für die Mißstände<br />

auf die nächste Ebene zu schieben. „Jetzt“, freut sich Elbing, „haben<br />

wir endlich einen kompetenten Ansprechpartner auf einer vernünftig<br />

großen Ebene“.<br />

Bereits mit der Vorbereitungsgesellschaft für den RMV gab es zahlreiche<br />

Kontakte. So machte man sich z.B. gemeinsam Gedanken über einen möglichst<br />

fahrgastfreundlichen Tarif und erarbeitete Grundzüge eines integralen<br />

Taktfahrplans. Nicht selten diskutieren die Pro Bahn-Vertreter dabei hart an<br />

der Sache und freuen sich dennoch in erster Linie darüber, daß es erstmals<br />

dafür einen Partner gibt.<br />

Pro Bahn empfiehlt dem RMV, besonders in den ländlichen Kreisen am<br />

Rande des Verbundgebietes, eine überzeugende Arbeit zu leisten. Oft sei<br />

man dort nur in Ermangelung einer Alternative und ohne rechte Überzeugung<br />

dem Verbund beigetreten. Einige „Ewiggestrige des Nahverkehrs in<br />

den Kreistagen“, so Elbing, „schielen bereits auf die Austrittsklausel“.<br />

Von Anfang an wird die Arbeit des RMV übrigens von einem Fahrgastbeirat<br />

begleitet. Auch darin ist Pro Bahn vertreten. Man wünscht sich hier noch<br />

eine Ausdehnung auf die lokale Ebene, denn die praxisnahesten Vorschläge<br />

kämen naturgemäß von betroffenen Fahrgästen selbst.<br />

Pro Bahn, Hessen<br />

CDU: Faß’ Dich an der<br />

eigenen Nase!<br />

EIN LESER KOMMENTIERT DIE FRAGE DER REGIERUNGSBIL-<br />

DUNG IN SACHSEN-ANHALT AUS SEINER SICHT:<br />

Der amtierende Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Bergner (CDU) wirft<br />

der SPD vor, sich in die Abhängigkeit der PDS zu begeben, wenn sie auf die<br />

Stimmen der PDS zugunsten einer rot-grünen Minderheitsregierung setzt.<br />

Gerade die CDU Sachsen-Anhalts verfügt über ein starkes rechtsradikales<br />

Treiben. Kein Wunder, daß bei der überdurchschnittlichen hohen Anzahl<br />

von Anschlägen gegen Ausländer, Asylanten und Asylbewerber in Sachsen-<br />

Anhalt gegenüber anderen Bundesländern auch der Rechtsradikalismus in<br />

der CDU Einzug findet. Die CDU-Mitglieder wählen 1990 ihren Bundestagskandidaten<br />

Dr. Rudolf Krause, der seinen Rechtsradikalismus offenbart.<br />

Der ehemalige Ministerpräsident Prof. Dr. Münch, der später selbst wegen<br />

eines Finanzskandales in seinem Regierungskabi<strong>net</strong>t seinen Hut nehmen<br />

muß, erduldet Äußerungen Krauses, wie, einen großen Teil Mitschuld der<br />

(Juden-) Vernichtung hätten andere Staaten als das Deutsche Reich getragen,<br />

da sie den Juden, Kommunisten, Gewerkschaftern, u.a. kein Asyl<br />

gewährt hätten. Gleichzeitig will der inzwischen für die Republikaner im<br />

Bundestag sitzende Dr. Krause das Asylrecht in der BRD abschaffen. Ganz<br />

offen spricht er das nach meiner Kenntnis (noch) nicht aus – aber, studiert<br />

man seine Schriften, wird dies deutlich.<br />

BRIEFE AN DIE REDAKTION I<br />

Der Bundestagsgruppe der PDS, die sich im Bundestag am stärksten macht<br />

für die Aufdeckung der Sympathisierung von Teilen der CDU/CSU mit<br />

Rechtsradikalismus, soll jetzt nicht mitbestimmen dürfen im Lande Sachsen-Anhalts,<br />

weil sie die Nachfolgepartei der SED sei.<br />

Man könnte angesichts der Tatsache, daß die CDU in einem Parteiausschlußverfahren<br />

gegen Ex-Kreisrat Dr. Manfred Dreher (CDU) wegen dessen<br />

Einladung des Geschichtsrevisionisten und Judenvernichtungsleugners<br />

David Irving zu einer CDU-Veranstaltung in Dritter Instanz auf rechtskräftigen<br />

Verbleib dessen Mitgliedschaft in der CDU und der Offenbarung<br />

der CDU, daß 25,4 Prozent der ersten 1.000 Mitglieder der CDU Hamburgs<br />

ehemalige NSDAP-Mitglieder waren, auch die Frage stellen: Ist die CDU die<br />

Nachfolgepartei der NSDAP? Letztere wurde vom Kontrollrat der Alliierten<br />

aufgelöst und nun integriert man nationalistisches Denken in der sogenannten<br />

demokratischen Partei CDU.<br />

Marcus Braum<br />

Fünfzig Jahre danach<br />

EINEN NEUEN D-DAY WIRD ES IN ABSEHBARER ZEIT NICHT<br />

GEBEN, MEINT EIN LESER. SEINER ANSICHT NACH BESTEHT<br />

KEIN UNTERSCHIED, OB MAN FÜR HITLERS LEBENSRAUM-<br />

ERWEITERUNG IM OSTEN ODER FÜR „FREEDOM AND<br />

DEMOCRACY“ ÀLAUSA INS FELD ZIEHT:<br />

Beim Bundesverfassungsgericht (BVG) wird zur Zeit über die Zulässigkeit<br />

der Auslandseinsätze der Bundeswehr verhandelt. Bei der Anhörung vor<br />

dem BVG nannten die Bundesminister Kinkel (FDP) und Rühe (CDU) internationale<br />

Einsätze unverzichtbar.<br />

Kinkels Partei ist, zusammen mit der SPD, Kläger gegen die Auslandseinsätze<br />

der Bundeswehr. Für die SPD führte Anke Fuchs aus, daß auch die<br />

SPD exteritoriale Kampfeinsätze nicht mehr prinzipiell für ausgeschlossen<br />

hält. Vielmehr will die Opposition in Karlsruhe erreichen, daß Beteiligungen<br />

an UN-Einsätzen in Zukunft durchs Parlament gehen müssen.<br />

Somit stehen zwei Optionen für die weitere Entwicklung offen: Entweder der<br />

inflationäre Grundgesetzabbau in der letzten Zeit wird durch das Parlament<br />

fortgesetzt oder die Rotroben bearbeiten die Artikel 87a, 26 und 24 GG, die<br />

der Bundeswehr einen reinen Verteidigungsauftrag zuweisen, mit der<br />

Brechstange, z.B. bei einer globalen Betrachtung die militärischen Ziele der<br />

UN der Herstellung des Weltfriedens und letztendlich der Verteidigung der<br />

BRD dienen.<br />

Getreu dem Motto: „Getrennt marschieren, vereint zuschlagen“. Dieser<br />

Vorgang wird landesüblich als Gewaltenteilung bezeich<strong>net</strong>. Die wünschenswerte<br />

dritte Option, nämlich Beibehaltung der oben genannten Artikel in<br />

ihrem vollen Gehalt und Verurteilung der inzwischen unrechtmäßig<br />

durchgeführten Auslandseinsätze der Bundeswehr, halte ich nach den<br />

Erfahrungen der letzten fünfzig Jahre für ausgeschlossen.<br />

Deutschland wird zwar nicht im Alleingang in einen Raubkrieg stürzen, sondern<br />

im Troß der internationalen Staatengemeinschaft für einen „ungehinderten<br />

Zugang zu den Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ (Verteidigungspolitische<br />

Richtlinien der Bundeswehr vom 26.11.1992) sorgen.<br />

Deshalb wird es einen neuen D-Day in nächster Zukunft nicht geben, weil im<br />

Moment keine Nation und kein Bündnis dem neuen Weltherrscher USA und<br />

seiner Verbündeten (sprich: internationale Staatengemeinschaft) Paroli bieten<br />

kann. Meiner Ansicht nach besteht kein Unterschied, ob man für Hitlers<br />

Lebensraumerweiterung im Osten oder für „freedom and democracy“ à la<br />

USA ins Feld zieht.<br />

Wem das übertrieben erscheint, der sei auf die Geschichte der USA zumindest<br />

in den letzten hundert Jahren verwiesen. Erinnert sei an die zahlreichen<br />

Interventionen in Latein- und Mittelamerika, Korea, Vietnam, Grenada und<br />

in neuester Zeit das Massaker an der irakischen Bevölkerung und die Menschenrechtsverletzungen<br />

in Somalia. Daß dabei noch nie Humanität, Menschenrechte<br />

oder Gerechtigkeit das Programm waren, steht außer Zweifel.<br />

Bezeichnenderweise dürfen in der „internationalen Staatengemeinschaft“<br />

nur die USA und ihre Verbündeten (z.B. die Türkei) ungestraft Völkermord<br />

und Menschenrechtsverletzungen begehen.<br />

Wir sind an den Einsätzen der UN seit einiger Zeit nicht nur finanziell, sondern<br />

auch mit unseren Soldaten grundgesetzwidrig beteiligt. In absehbarer<br />

Zeit werden diese „humanitären“ Feldzüge und Strafaktionen für unsere<br />

Soldaten und die Bevölkerung zur Normalität werden.<br />

Eine erfreuliche Nachricht kam am 12.6.94 aus der Schweiz. Die Mehrheit<br />

der Bevölkerung votierte gegen die Beteiligung von Schweizer Soldaten an<br />

Blauhelmeinsätzen der Vereinten Nationen. Erfreulich vor allem deshalb,<br />

weil sich die Schweizer Bevölkerung von den Humanitätsparolen nicht<br />

beeindrucken ließ.<br />

Geradezu gespenstig wirkt dagegen die Grabesstille, die sich über die Diskussion<br />

der Blauhelmeinsätze in Deutschland gelegt hat. Nach fünfzig Jahren<br />

wird es auch endlich wieder Zeit!<br />

P.S.: Anmerkung zu meinem letzten Leserbrief (ZD 71). Die vier Leserbriefe<br />

zu dem Artikel „Jesulein contra Gabi“ waren im Inhaltsverzeichnis der ZD<br />

als „Religiöse Proteste“ angekündigt und alle vier Leserbriefe waren mit<br />

einem Zeichen (vermutlich des Universellen Lebens) markiert. So kann man<br />

natürlich auch Meinungen machen, indem man suggeriert, daß alle Proteste<br />

aus der angegriffenen Ecke kommen und somit in den Verdacht einer<br />

verengten Weltsicht gebracht werden. Ich bin Atheist und außer Frau<br />

Lorenz hat sich keiner der anderen Leserbriefschreiber zum Universellen<br />

Leben oder zu einer anderen Religionsgemeinschaft bekannt.<br />

Inzwischen fand übrigens ein neuer Kreuzzug in Darmstadt statt und zwar<br />

eine Veranstaltung mit dem Titel „Geschäfte mit der Seele – Dia<strong>net</strong>ik und<br />

Scientology – eine neue Form von Religion?“ im Katholischen Bildungszentrum.<br />

Zu Beginn kommentierte der Sektenbeauftragte des Bistum Mainz die Glaubensinhalte<br />

der Scientology Church (S.C.). Danach stellte sich eine Frau<br />

Schweitzer als ehemaliges Mitglied der S.C. vor. Stolz berichtete sie, daß<br />

sie der Treuhand beim Aufspüren von Firmen hilft, die von Mitgliedern der<br />

S.C. betrieben werden und denen ein Vertragsabschluß mit der Treuhand<br />

unmöglich gemacht wird. Das ist ein Verstoß der Treuhand gegen Art. 3 GG.<br />

Im Gegensatz dazu werden den beiden Großkirchen jährlich 10 Milliarden<br />

Mark aus allgemeinen Steuergeldern vom Staat geschenkt (siehe: Leserbrief<br />

von Walter Decker, ZD 60).<br />

Der erste Teil ihres Vortrages bestand dann auch aus der visuellen Vorführung<br />

von Firmenanzeigen, die von Mitgliedern der S.C. inseriert wurden.<br />

Danach erläuterte sie den Aufbau und die verschiedenen Untergruppierungen<br />

der S.C.. Unter anderem sollen die Künstler in einer Sektion zusam-<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 21<br />

mengefaßt sein, die ausschließlich zu Werbezwecken eingesetzt wird. Dabei<br />

fiel unter anderen auch der Name des Malers Gottfried Helnwein. Zufällig<br />

hatte ich vor kurzem ein Interview mit G. Helnwein gelesen, in dem er sich<br />

zu dem Propagandafeldzug gegen seine Person wegen seiner angeblichen<br />

Mitgliedschaft in der S.C. äußert: „In dieser Zeit hörte ich auch durch einen<br />

anderen Künstler zum ersten Mal von Scientology, belegte einige ihrer Kurse<br />

und las die Bücher, so wie ich mich mit vielen anderen Sachen befaßt<br />

habe. Aber weder damals, noch zu einem anderen Zeitpunkt, seit ich in der<br />

Lage bin, selbst zu entscheiden, und seit ich mich vom Diktat des Katholizismus<br />

befreit habe, folgte ich irgendeinem Guru, irgend jemanden, dem<br />

ich mich unterwerfe. Im Gegenteil, ich habe seither immer versucht, allein<br />

dem Prinzip Vernunft zu gehorchen und meinen eigenen analytischen Verstand<br />

zu benützen. Also, ich betone: Ich gehöre zu keiner Religionsgemeinschaft<br />

…“<br />

In dem Interview schildert G. Helnwein die Diffamierungskampagne gegen<br />

seine Person, die bis zum Versuch der wirtschaftlichen Existenzvernichtung<br />

geführt wird (Ketzerbriefe 43/Okt. 1993). Die Aussagen von G. Helnwein<br />

wurden auch von Frau Schweitzer an diesem Abend bestätigt: Sie wirkte auf<br />

einen Auftraggeber des Malers ein, einen bereits erteilten Auftrag rückgängig<br />

zu machen. Nach meiner Reklamation wurde behauptet, daß G. Helnwein<br />

Mitglied in einer Unterorganisation der S.C. sein könnte und das er<br />

zumindest Werbung für die S.C. betreibt.<br />

Danach erzählte Frau Schweitzer ihre Leidensgeschichte bei der S.C. und<br />

über Erpressung, Freiheitsberaubung und Straflager wurde nichts aus dem<br />

düsteren Sektenalltag ausgelassen. Jetzt kann sich der unbefangene<br />

Betrachter zwar vorstellen, daß ein Mensch in psychische Abhängigkeit<br />

gebracht werden kann. Aber nachdem er den Absprung unter angeblicher<br />

Bedrohung geschafft hat, ist der normale Gang in einem bürgerlichen Staat,<br />

daß man Strafanzeige stellt. Das hätte sie auch getan, antwortete Frau<br />

Schweitzer, aber von den Prozessen würde noch kein Urteil vorliegen.<br />

Außerdem wären die Hauptverantwortlichen geflohen und im übrigen würden<br />

immer nur die kleinen Fische geschnappt.<br />

Dieser anrüchige Abend bestand größtenteils aus Denunziation Andersdenkender<br />

und nicht überprüfbaren Anschuldigungen. Entsprechend gestalteten<br />

sich auch die Fragen aus dem Publikum: „Woran man denn einen Scientologen<br />

erkennen könne?“ Die Antwort des Sektenbeauftragten beginnt mit<br />

dem Satz: „Bestimmt nicht an der Nase.“ Gelächter von ihm und im Publikum.<br />

Was war denn an der Judenverfolgung im 3. Reich so witzig? Fragen Sie<br />

einfach mal nach: Ref. f. Weltanschauungs- und Sektenfragen, Grebenstr.<br />

24-26, 55116 Mainz, Telefon 06131/253284.<br />

Bei der gleichen Dienststelle können Sie auch zweckdienliche Hinweise zur<br />

Verfolgung religiöser Minderheiten entgegen nehmen.<br />

Peter Betscher<br />

Ideenschmiede für die<br />

Stadt<br />

DIE ÖKUMENISCHE WOHNHILFE DARMSTADT STELLT IHR<br />

KONZEPT VOR: MIT BANKDARLEHEN WILL SIE LEERSTEHEN-<br />

DE WOHNUNGEN KAUFEN ODER BAUEN – FÜR SCHWER VER-<br />

MITTELBARE WOHNUNGSSUCHENDE<br />

„Handeln statt reden!“ Nach diesem Motto wollte die Martinsgemeinde mit<br />

der Aufnahme einer Flüchtlingsfamilie ein Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit.<br />

Aus dieser anfänglich noch vagen Idee entstand nach vielen<br />

Gesprächen mit ähnlichen Initiativen, mit Kirchengemeinden und Behörden,<br />

das Projekt der Ökumenischen Wohnhilfe Darmstadt als gemeinnütziger<br />

GmbH.<br />

Neben den beiden Hauptgesellschaftern, dem ev. Dekanat Darmstadt und<br />

der ev. Martinsgemeinde, wird die GmbH von einer breiten Basis aus Kirchengemeinden<br />

und Einzelpersonen getragen. Die inhaltliche Konzeption<br />

wurde von den Arbeitskreisen Flüchtlingshilfe aus der Martinsgemeinde<br />

und aus Eberstadt erarbeitet, die auch die zwei ehrenamtlichen Geschäftsführer<br />

stellen. Der Name der GmbH spiegelt ihr Programm wider:<br />

Wohnhilfe: Es wäre überflüssig, hier noch etwas über den Mangel an billigem<br />

Wohnraum zu schreiben. Wem aber soll unsere Wohnhilfe zugute<br />

kommen? Wir waren uns der Brisanz dieser Frage sehr wohl bewußt und<br />

haben uns deshalb nicht nur auf ausländische Flüchtlinge beschränkt. Wir<br />

wollten auf jeden Fall vermeiden, daß bei der Wohnraumbeschaffung<br />

Obdachlose gegen Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge gegen Sozialhilfeempfänger,<br />

kurz die Ärmsten gegen die Allerärmsten ausgespielt würden.<br />

Unser allererstes Ziel ist es daher, Wohnungsnot insgesamt zu lindern und<br />

damit einen wichtigen Beitrag zum sozialen Frieden zu leisten. Denn die<br />

Konkurrenz um billige Wohnungen ist eine der Ursachen für Fremdenhaß.<br />

Wir wollten auch zeigen, daß man mit den vorhandenen staatlichen Geldern<br />

für die Unterbringung von Asylbewerbern sinnvoller umgehen kann, als<br />

dies in der Vergangenheit geschah, wo Städte und Landkreise für ihre<br />

Unterbringung 20 bis 30, zum Teil sogar über 50 Mark pro Tag an skrupellose<br />

Immobilienbesitzer bezahlten. Die Flüchtlinge werden dabei nicht selten<br />

in miserablen Wohnungen und Containern zusammengepfercht (Mindeststandard<br />

sind 6 m2 /Person).<br />

Unser primäre Strategie heißt daher, mit Bankdarlehen leerstehende Wohnungen<br />

zu kaufen oder zu bauen. Der Kapitaldienst wird durch die relativ<br />

hohen Tagessätze für die Unterbringung von Asylbewerbern gedeckt. Dieser<br />

Wohnraum kann dann aber langfristig allen schwer vermittelbaren<br />

Wohnungssuchenden (z.B. Obdachlose, Bürgerkriegsflüchtlinge, alleinerziehende<br />

Frauen etc.) zur Verfügung gestellt werden. Wir wollen auch darauf<br />

achten, daß durch eine angemessene Belegung der Wohnungen und<br />

soziale Betreuung der Flüchtlinge eine menschenwürdige Aufnahme gesichert<br />

ist. Dieses Projekt soll ja nicht nur ein Immobiliengeschäft werden,<br />

sondern ein ständiger Anstoß sein für die Beschäftigung mit den Themen<br />

Wohnungsnot und Fremdenfeindlichkeit.<br />

Parallel dazu werden wir in einem zweiten Ansatz über den sozialen Wohnungsbau<br />

Modelle zur kostengünstigen Bereitstellung von Wohnraum für<br />

schwer vermittelbare Mieter entwickeln. Ein erstes Projekt mit etwa zehn<br />

Wohneinheiten wird zur Zeit mit der Neuen Wohnraumhilfe GmbH am<br />

Nordbahnhof geplant. Auch eine Beteiligung bei der Nutzung des alten Polizeipräsidiums<br />

sowie die Bebauung von kircheneigenen Grundstücken sind<br />

im Gespräch.<br />

☛ Fortsetzung auf folgender Seite<br />

NEPAL-TEPPICHE<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ


Ökumenisch: Hinter diesem Namensteil stecken zwei wichtige Aussagen:<br />

1. Es handelt sich um eine Initiative, bei der christliche Ideale unabhängig<br />

von konfessionellen Grenzen und kirchlichen Verwaltungsstrukturen verwirklicht<br />

werden sollen. Wir sehen uns in der spirituellen Tradition unzähliger<br />

biblischer Flüchtlingsgeschichten, angefangen vom „Wirtschaftsflüchtling“<br />

Abraham bis zum politischen Flüchtlingskind Jesus in Bethlehem.<br />

2. Ökumene soll aber auch heißen, daß wir mit unseren Projekten und einer<br />

behutsamen Öffentlichkeitsarbeit Toleranz gegenüber allem Fremden fördern<br />

wollen, als Voraussetzung für ein friedliches Miteinander. Das ist nicht<br />

einfach, aber es fällt uns sicher leichter, wenn das Fremde nicht anonyme<br />

Statistik bleibt, sondern Namen und Gesichter bekommt.<br />

Kirche und Idealismus als profane GmbH? Wir glauben, daß man gerade<br />

auch dann professionell und effizient wirtschaften kann und sollte, wenn<br />

der Gewinn gemeinnützigen Zwecken zur Verfügung steht. Ja, wir wollen<br />

sogar Kapital ansammeln, nämlich in Form von möglichst viel Wohnungen,<br />

und dafür erschien uns die Form der GmbH am zweckmäßigsten. Außerdem<br />

haben andere Initiativen, wie z.B. die christlichen Flüchtlingshilfen in<br />

Walldorf-Mörfelden, Erzhausen/Egelsbach und Pfungstadt damit gute<br />

Erfahrungen gemacht.<br />

Das größte „Kapital“ unserer GmbH wird jedoch das Engagement und die<br />

Kreativität der Initiatoren sein, mit denen wir zu einer Ideenschmiede für die<br />

Stadt und die großen Bauträger werden wollen. Wir werden dabei natürlich<br />

angewiesen sein auf die Zusammenarbeit mit der Stadt und die Unterstützung<br />

durch möglichst viele Institutionen und Privatpersonen, sei es durch<br />

Beteiligungen und Darlehen, Bereitstellung von Wohnungen oder Mitarbeit<br />

in der GmbH. In unserer GmbH befinden Sie sich in einer guten Gesellschaft.<br />

Kontaktadressen in 64289 Darmstadt: Bernd Haberkern, Kittler-Str. 36,<br />

Telefon 710300. Pfr. Knut Trobitius, Heinheimer-Str. 41, Telefon 75898.<br />

Und das ist unser Konto: Ev. Martinsgemeinde, Flüchtlingsarbeit,<br />

Kto. 11004733, Sparkasse Darmstadt, BLZ 50850150<br />

Ökumenische Wohnhilfe Darmstadt<br />

Zeichen setzen –<br />

gegen rechts<br />

IN EINEM OFFENEN BRIEF FORDERT DAS „AUTONOME<br />

AKTIONSKOMITEE DARMSTADT“ ALLE BUSUNTERNEH-<br />

MERINNEN IM RAUM DARMSTADT AUF, KEINE NEOFA-<br />

SCHISTINNEN ZUM „RUDOLF-HESS-GEDENKMARSCH“ AM<br />

14.8.94 ZU TRANSPORTIEREN:<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

NeofaschistInnen aus dem gesamten Bundesgebiet und Europa werden<br />

auch in diesem Jahr am 14. August 1994 den sogenannten „Rudolf-Heß-<br />

Gedenkmarsch“ veranstalten. Rudolf Heß war der Stellvertreter von Adolf<br />

Hitler – er wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zu lebenslanger<br />

Haft verurteilt und erhängte sich am 14.8.87 in seiner Zelle im<br />

Gefängnis von Berlin.<br />

Für die NeofaschistInnen ist diese Veranstaltung ein wichtiges Datum zur<br />

Mobilisierung ihrer AnhängerInnen und zur Verbreitung ihres menschenverachtenden<br />

Gedankengutes. Wie in den Jahren zuvor werden die<br />

NeofaschistInnen wieder gemeinsam mit angemieteten Bussen anreisen.<br />

Leider gab es Busunternehmen, die in den vergangenen Jahren die NeofaschistInnen<br />

zu dem „Gedenkmarsch“ befördert haben.<br />

Daraufhin beschlossen einige Körperschaften diesen Busunternehmen keine<br />

Aufträge mehr zu erteilen. Außerdem haben Unbekannte mehrere Busse<br />

dieser Firmen beschädigt. Aus allen genannten Gründen möchten wir Sie<br />

auffordern, NeofaschistInnen nicht dadurch Hilfestellung zu geben, indem<br />

Sie sie befördern.<br />

Insbesondere möchten wir Ihnen empfehlen, sich bei Busbestellungen in<br />

den Tagen vom 12.8. bis 22.8. (möglichst schriftlich) von den KundInnen<br />

bestätigen zu lassen, daß es sich beim Fahrtziel nicht um eine neofaschistische<br />

Veranstaltung handelt. Bei einer arglistigen Täuschung haben Sie<br />

jederzeit die Möglichkeit, von dem Vertrag zurückzutreten und gegebenenfalls<br />

straf- und zivilrechtliche Schritte gegen die betreffende/n Person/en<br />

einzuleiten. Weiter bitten wir Sie, uns die Namen der Person/en zu nennen,<br />

die bei Ihnen Busse zwecks einer neofaschistischen Veranstaltung angemietet<br />

hat/haben. Sie würden so einen nicht unerheblichen Beitrag gegen<br />

die Normalisierung und das Voranschreiten des Neofaschismus in der Bundesrepublik<br />

leisten.<br />

Dieser Brief ist Teil einer bundesweiten Initiative zur Verhinderung des<br />

„Rudolf-Heß-Gedenkmarsches“.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Autonomes Aktionskomitee Darmstadt<br />

Ein Ohr für kritische<br />

Kinder<br />

DAS KINDERBÜRO ÖFFNET SEINE TÜREN IM JOHANNES-<br />

VIERTEL:<br />

Am Sonntag, den 3.7.94 wurde, trotz hochsommerlicher Temperaturen und<br />

dem Heinerfest, das erste Kinderbüro des Internationalen Bundes, Projekt<br />

„Offene Kinderarbeit Johannesviertel“ in der Frankfurter Str. 10, Hinterhaus,<br />

eingeweiht.<br />

Nachdem Stadtrat Gerd Grünewaldt das Büro feierlich eröff<strong>net</strong> hatte, standen<br />

Schmink-, Mal- und Spielaktionen für die Kinder auf dem Programm.<br />

Als besonderen Höhepunkt führte Alwin der Zauberclown, die Kinder, aber<br />

auch die Erwachsenen, in die Welt der Zauberkünste und Clownerien ein.<br />

Das Kinderbüro ist nun also eröff<strong>net</strong>, bis zu den Sommerferien wird es<br />

dienstags zwischen 15 und 18 Uhr besetzt sein, nach den Ferien wird die<br />

Öffnungszeit verlängert, um den Kindern verstärkt die Möglichkeit zu bieten,<br />

ihre Wünsche, Vorstellungen, aber auch Kritik, am Johannesviertel und<br />

ihre Lebenssituation in Darmstadt zu artikulieren und umzusetzen.<br />

J. Hehner-Anders, Internationaler Bund für Sozialarbeit<br />

BRIEFE AN DIE REDAKTION II Nummer 73· 11.7.1994 · Seite 22<br />

RP stimmt<br />

Müllexport zu<br />

IN EINEM OFFENEN BRIEF AN DEN SÄCHSISCHEN UMWELT-<br />

MINISTER STELLT DER ZUSTÄNDIGE HESSISCHE STAATS-<br />

SEKRETÄR KLAR, DAß ER VON DER ENTSCHEIDUNG DES<br />

DARMSTÄDTER REGIERUNGSPRÄSIDENTEN NICHTS HÄLT<br />

UND SIE DESHALB ZURÜCKNEHMEN MUß:<br />

Sehr geehrter Herr Kollege Vaatz,<br />

Ihr Schreiben vom 17. Juni 1994 habe ich dankend erhalten. Die Bestrebungen<br />

einzelner hessischer Gebietskörperschaften, ihre Entsorgungsprobleme<br />

durch die Verbringung von Siedlungsabfällen zu Entsorgungsanlagen in<br />

anderen Bundesländern zu lösen, stehen nicht im Einklang mit den abfallwirtschaftlichen<br />

Zielen der Hessischen Landesregierung. Der für das Ansehen<br />

des Landes Hessen schädliche Mülltourismus, insbesondere in die<br />

neuen Bundesländer, widerspricht den Grundsätzen einer ortsnahen und<br />

gebietsbezogenen Entsorgung.<br />

Ich habe daher die Regierungspräsidien in Hessen als zuständige obere<br />

Abfallbehörden angewiesen, diesen Bestrebungen einzelner hessischer<br />

Gebietskörperschaften mit allen gebotenen Mitteln entgegenzuwirken. Den<br />

entsprechenden Erlaß füge ich zu Ihrer Kenntnisnahme bei.<br />

Die Zustimmung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Müllexport<br />

des Main-Kinzig-Kreises ist ohne meine und ohne die Kenntnis meines<br />

Ministeriums erfolgt. Ich habe die Regierungspräsidien angewiesen, Anträge<br />

auf Zustimmung zur Entsorgung von Siedlungsabfällen in andere Bundesländer<br />

mit sofortiger Wirkung zurückzuweisen. Ausnahmen sind nur in<br />

besonders begründeten Einzelfällen möglich. Voraussetzung ist u.a. das<br />

Einverständnis des Umweltministeriums des betroffenen Bundeslandes.<br />

Entscheidungen über solche Anträge habe ich mir persönlich vorbehalten.<br />

Sie sehen, auch ich lege auf diese Art von „Aufbauhilfe Ost“ keinerlei Wert.<br />

Im Gegenteil, ich beabsichtige, die gute Zusammenarbeit zwischen unseren<br />

Bundesländern in abfallwirtschaftlichen Fragen fortzusetzen. Dies schließt<br />

ein, daß wir uns in begründeten Notsituationen helfen, wie Hessen dies<br />

zuletzt mit der Entsorgung von illegal von Sachsen nach Rumänien verbrachtem<br />

Sondermüll getan hat.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

In Vertretung Rainer Baake, Staatssekretär<br />

„Linker Gesinnungs-<br />

Narzismus“?<br />

AN DIE ZD<br />

Nach reiflicher Überlegung bestelle ich hiermit die ZD ab. Grund: das subjektivistische,<br />

engstirnige Regime des Herausgebers, der verdreht, verschweigt<br />

oder anpinkelt, was nicht in seine trostlose Festungsmentalität<br />

paßt. Dazu aus eigener Erfahrung:<br />

Beispiel 1: Über die Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ gab es in der ZD in über<br />

sechs Monaten außer drei Leserbriefen keinen einzigen redaktionellen Artikel,<br />

obwohl die Zeitung seit Dezember 93 durch persönliche Gespräche, per<br />

Telefon, Fax und Post intensiv bedient wurde. Eine alternative Zeitung, die<br />

Angebote zur Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung (wenn’s<br />

sein muß, gerne in kritischer Diskussion) derart ignoriert, entzieht sich<br />

selbst den Boden. Sie vergiftet ihn geradezu mit paranoiden Verdächtigungen<br />

wie in der ZD Nr. 72 (nach dem Fahrradfest auf dem Karolinenplatz) –<br />

die ZD habe keinen Anzeigenauftrag erhalten, weil dies von der Sparkasse<br />

(als Sponsor) der Initiative zur Auflage gemacht worden sei. Daß die ZD erst<br />

hinterher ihren ätzenden Senf dazugibt, beweist Verachtung für Aktionen,<br />

die durch Beteiligung Vieler öffentliches Interesse wecken und die Chance<br />

bieten, erfolgreich Druck, z.B. für den Ausbau des Radverkehrs<strong>net</strong>zes, zu<br />

machen.<br />

Beispiel 2: „Rassisten in Trautheim“. Als sich vor einem Jahr Bürgerprotest<br />

in Trautheim gegen ein geplantes Asylbewerberheim erhob, war für die ZD<br />

klar: Rassisten, Bürger und Bürgerinitiative, letztere, weil sie zwischen<br />

Faschisten und um ihre Wohnruhe besorgten Eigenheimlern zu differenzieren<br />

wußte – gehören in denselben Sack und festedruff mit der Moralinkeule.<br />

Pauschale Publikumsbeschimpfung ohne Recherche und Rücksicht auf die<br />

Aktivitäten einer Bürgerinitiative – hier zeigte sich eine Art kontraproduktiver<br />

„Antirassismus“, der die Masse der Menschen bereits dort sieht, wo die<br />

Faschisten sie hinhaben wollen.<br />

Linker Gesinnungs-Narzißmus reicht nicht für die Existenz einer zweiten<br />

Zeitung. Er bewirkt auf die Dauer nur Frust und Resignation. Das muß man<br />

nicht noch extra abonnieren.<br />

K.-H. Goll<br />

Sehr geehrter K.-H. Goll,<br />

Ihre Kritik in allen Unehren mitsamt Beschimpfungen und Verleumdungen.<br />

Dazu möchten wir nur anmerken: Die ZD veröffentlicht Leserzuschriften<br />

ungekürzt und unverändert. Die Berichterstattung selbst ist Sache der ZD.<br />

Wer meint, daß etwas falsch, einseitig, unvollständig oder sonst wie unzufriedenstellend<br />

geschrieben sei, hat immer die Möglichkeit, selbst schreibend<br />

tätig zu werden – das gilt auch für einen K.H. Goll. Doch da fehlt offensichtlich<br />

das Interesse an der Öffentlichkeit.<br />

Eine wesentliche Antwort ist Goll schuldig geblieben: Die Sparkasse hat kein<br />

einziges Mal seit Erscheinen der ZD eine Anzeige geschaltet. Dann tauchen<br />

Anzeigen im „DE“ auf für Golls-Radaktion ( bei der ZD wird nicht einmal angefragt,<br />

ob sie gratis publiziert) finanziert von der Sparkasse. Offensichtlich ist<br />

niemand bereit, zuzugeben, daß Mauscheleien hinter verschlossenen Türen<br />

geführt werden – auch kein Goll. Für geldwerte Förderung lassen sich offensichtlich<br />

die meisten einkaufen.<br />

Für unsere LeserInnen: Die Veranstaltung für das Radfest am 18./19.6. konnten<br />

wir nicht vorankündigen, da die Termine (Uhrzeiten, Programm) nach der<br />

Spaka-Anzeige nicht mehr eingingen.<br />

Übrigens: ZD-LeserInnen wissen, daß der unterstellte „linke Gesinnungs-Narzißmus“<br />

in die Klamottenkiste des Schubladendenkens gehört und außer dem<br />

Polemischen eines verärgerten Alt-Linken Goll nichts mit der Wirklichkeit der<br />

ZD zu tun hat. Goll wünschen wir ruhigere Zeiten mit dem „DE“.<br />

Der Herausgeber<br />

Ein neuer Anstoß<br />

IN EINEM OFFENEN BRIEF APPELLIERT DER „PEN“ -<br />

DEUTSCHLAND AN BUNDESKANZLER HELMUT KOHL<br />

(CDU), AUF DEM GIPFELTREFFEN DER G-7-STAATEN IN<br />

NEAPEL, VOM IRAN DIE AUFHEBUNG DES FATWA GEGEN<br />

SALMAN RUSHDIE ZU FORDERN:<br />

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,<br />

das anstehende Gipfeltreffen der G-7-Staaten in Neapel würde – gerade im<br />

Hinblick auf die kürzlich erfolgte Umschuldung der immensen Verbindlichkeiten<br />

des Iran bei seinen Handelspartner in Japan und Europa – eine einzigartige<br />

Gelegenheit bieten, der Kampagne zur Verteidigung Salman Rushdies<br />

einen neuen, entscheidenden Anstoß zu geben. Bereits auf dem Gipfel<br />

in Tokio im vergangenen Jahr wurde eine politische Erklärung verabschiedet,<br />

die ausdrücklich die Besorgnis der G-7-Mitgliedsstaaten über verschiedene<br />

„Aspekte“ der iranischen Vorgehensweise unterstrich und die iranische<br />

Regierung aufforderte, sich „konstruktiv an den internationalen<br />

Bemühungen um Frieden und Stabilität zu beteiligen und Handlungen zu<br />

unterlassen, die diesen Zielen zuwiderlaufen“. Im März dieses Jahres erst<br />

bezog sich auch die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in<br />

ihrer Resolution zur Lage der Menschenrechte in der Islamisch Iranischen<br />

Republik speziell auf den Fall Salman Rushdie und wies ihre Beobachter<br />

erneut an, die Situation im Iran zu überwachen. Diese Entscheidung spiegelt<br />

deutlich wider, welche Gefahren eine Anzahl von Regierungen in dem<br />

Versuch des Irans sieht, ein auf interner Rechtsauffassung basierendes<br />

Urteil extraterritorial in Anwendung zu bringen.<br />

Wir bitten Sie daher in aller Eindringlichkeit, auf dem Gipfeltreffen in Neapel<br />

– vor jeglicher neuerlicher Diskussion über weitere Hilfeleistungen an den<br />

und Handelsbeziehungen mit dem Iran – die Regierung des Landes aufzufordern,<br />

die Fatwa gegen Salman Rushdie und alle, die mit seinem Roman<br />

in Verbindung stehen, aufzuheben sowie die Aussetzung des Kopfgeldes<br />

von zwei Millionen Dollar für die Ermordung des Autors zu widerrufen.<br />

Ursula Setzer und Jochen Laabs für das PEN-Zentrum Deutschland,<br />

Sabine Herholz, Verband Deutscher Schriftsteller<br />

Tempo 30 auf der<br />

Heinheimer Straße! –<br />

UND NUN?<br />

Vor zwei Wochen machte im Martinsviertel eine Nachricht die Runde: „Auf<br />

dem unteren Teil der Heinheimer Straße ist Tempo 30 eingeführt“. Manche<br />

dachten, daß dies nie kommen würde, immerhin ist es eine qualifizierte<br />

Bundesstraße. Aber eben auch eine reine Wohnstraße. Ich hab’s geglaubt<br />

und mußte es doch sofort auch sehen. Knapp vier Jahre sind seit dem Beginn<br />

unserer Aktivitäten vergangen, um ein höchst legitimes Begehren der<br />

Bevölkerung zu realisieren, das Aufstellen von zwölf Tempo-30-Schildern.<br />

Am 14. September 1990 war der vierjährige Attila auf dem Kopernikusplatz<br />

verunglückt; sein Tod ist unser Auftrag!<br />

Wir wollen uns bedanken (oder ist das auch schon wieder ironisch?) bei<br />

unserem grünen Bürgermeister (mit 42 Prozent im Martinsviertel gewählt),<br />

der Ev. Martinsgemeinde für ihr hartnäckiges Nachhaken und der oberen<br />

Verkehrsbehörde. Und nun?… Ruhe im Viertel?… Keineswegs. Wir<br />

schöpfen Kraft, Mut und Hoffnung, die noch viel weitergehenden Forderungen<br />

zu wiederholen: Tempo 30 für die ganze Stadt. Das ist das Ziel! Und wir<br />

erwarten an dieser Stelle von unseren gewählten Vertretern Unterstützung.<br />

Laßt uns dabei mit schnellen Schritten vorgehen: Sofort Tempo 30, auch<br />

auf dem oberen Teil der Heinheimer Straße (Dieburger Straße bis Kopernikusplatz).<br />

Dringend ist auch die Verkehrsberuhigung in der Dieburger<br />

Straße, wo sich am 29. 6. ein Unfall ereig<strong>net</strong>e, der weit tragischere Folgen<br />

hätte haben können, als der vom 14.9. am Kopernikusplatz. Dort ist die für<br />

Fußgänger vielleicht am gefährlichsten zu überquerende Straße Darmstadts,<br />

warum wird dort keine Fußgängerampel gebaut? Ständige<br />

Geschwindigkeitskontrollen wären zwingend notwendig. Verkehrsberuhigung<br />

und eine abgeschlossene Tempo-30-Zone im ganzen Martinsviertel<br />

sind seitens der Stadt seit drei Jahren versprochen. Warum muß die Erledigung<br />

solcher Hausaufgaben ständig eingeklagt werden?– Gibt es doch viel<br />

Wichtigeres, wofür es zu kämpfen gilt!<br />

Holger Haupt, AFD UmKehr, Aktionsforum Darmstadt für Umwelt und Verkehr<br />

Internationale<br />

Solidaritäts-Karawane<br />

DIE „PASTORS FOR PEACE“ ORGANISIEREN FREUND-<br />

SCHAFTS-KARAWANEN FÜR KUBA, UM DIE BLOCKADEGE-<br />

SETZE DER USA ZU DURCHBRECHEN.<br />

Seit 1992 – nach der Verschärfung der US-amerikanischen Blockadegesetze<br />

– werden in den USA jährlich Freundschafts-Karawanen für Cuba organisiert.<br />

Die Organisatoren setzen dieses Jahr auch auf internationale Unterstützung.<br />

In der Bundesrepublik wird ab jetzt gesammelt und die Waren<br />

werden gegen Ende September mit Fahrzeugkolonnen, der Freundschafts-<br />

Karawane, von den Sammelstellen an den Hafen gefahren. In einer<br />

Abschlußkundgebung soll eine breitere Öffentlichkeit erreicht werden.<br />

Die Blockadegesetze begreifen neben Medikamenten auch Lebensmittel mit<br />

ein. In den USA hatten erstmals die „Pastors for peace“ beschlossen, eine<br />

Freundschafts-Karawane nach Kuba zu organisieren. Auf mehreren Routen<br />

quer durch die USA schafften sie im Jahr 1992 etwa 20 Tonnen Medikamente,<br />

Milchpulver, Rollstühle, Computer und Bibeln an die mexikanische<br />

Grenze. Sie durchbrachen die staatlich verhängte Blockade mit dem Grenzüberschritt<br />

nach Mexiko und verletzten so die Gesetze. In den USA ist der<br />

„Handel mit dem Feind“ verboten. Mit mexikanischen Solidaritätsgruppen<br />

ging’s weiter zum Hafen und die Waren wurden nach Cuba verschifft. Zeitgleich<br />

im November 1992 verurteilte die UNO die Blockadegesetze in einer<br />

Resolution, die USA haben die Blockade dennoch bis heute aufrechterhalten.<br />

Im Jahr 1993 protestierte auch das Europaparlament gegen die Blockadegesetze,<br />

da von den US-Bestimmungen auch alle Tochterfirmen der US-Industrie<br />

im Ausland betroffen sind.<br />

Taller de la Solidaridad, Michael Bühne


Gewaltenteilung<br />

aufgehoben?<br />

Ist in Darmstadt die<br />

Gewaltenteilung aufgehoben und ordnen<br />

sich die Grünen dieser rechtsstaatswidrigen<br />

Ordnung unter?<br />

Der Direktkandidat von Bündnis90/Die Grünen,<br />

Jürgen Barth, wurde in einem aus unserer<br />

Sicht rein politischen Prozeß verurteilt.<br />

Darin sehen wir, wie bereits in der ZD dargestellt,<br />

eine bewußte Kampagne der Darmstädter<br />

SPD, die fürchtet, im Oktober ihren<br />

Kandidaten Eike Ebert nicht mehr in den<br />

Bundestag zu bringen, da Jürgen Barth zu<br />

viele Stimmen auf sich vereinigen wird. Zum<br />

wiederholten Mal erleben wir somit, wie autokratisch<br />

die Darmstädter SPD mit ihrem<br />

Koalitionspartner umspringt, nämlich, als<br />

regierte sie alleine. Allzu offensichtlich wird<br />

kritischen Beobachtern der Zusammenhang<br />

zwischen der Darmstädter Sozialdemokratie<br />

und der Darmstädter Staatsanwaltschaft, die,<br />

ausgestattet mit SPD-Parteibüchern, die von<br />

oben kommenden Anweisungen befolgt. Hier<br />

ging sie der Eike Eberts nach, seinen Konkurrenten<br />

zu diskreditieren. Das ist ein Skandal,<br />

der Konsequenzen nach sich ziehen muß!<br />

Wie werden die Grünen reagieren? Gar<br />

nicht, um den Koalitionsfrieden nicht zu<br />

stören? Mit leisem Protest, der jedoch der<br />

„guten Zusammenarbeit“ wegen, bald zu<br />

verebben hat? Oder werden sie endlich einmal<br />

eine klare Position beziehen und, gemäß<br />

ihren 25% Stimmenanteil, die schwache<br />

Darmstädter SPD unter Druck setzen?<br />

Innerhalb von acht Wochen ist die Verurteilung<br />

Barths ein zweiter dicker – diesmal verschleierter<br />

Affront gegen die Grünen in<br />

Darmstadt. Für uns unverständlich wäre es,<br />

wenn die Grünen nach diesem politischen<br />

Prozeß wieder zur Tagesordnung übergingen.<br />

Die Grünen, die bisher nur sehr wenige<br />

Reformvorstellungen in die Regierungsarbeit<br />

einfließen lassen konnten, müssen endlich<br />

mehr Profil zeigen. Wir vermissen das<br />

Reformbestreben und sehen es immer häufiger<br />

dem Argument geopfert, daß bei einem<br />

strikteren Reformkurs die Gefahr eines<br />

Koalitionsbruchs bestünde. Dann, so die<br />

Grünen, wäre gar keine Reformpolitik mehr<br />

möglich. Dies ist ein nur schwaches Argument,<br />

besonders, da es eben bisher nur<br />

dazu diente, für einen SPD-treuen Kurs entschuldigend<br />

herzuhalten.<br />

Wir fordern eine klare Aussage der Grünen<br />

zu diesem Prozeß und eine öffentliche Stellungnahme<br />

zu den Zusammenhängen zwischen<br />

der Darmstädter SPD und der hiesigen<br />

Justiz. Hierbei müßte erkennbar werden,<br />

ob die Grünen hinter Jürgen Barth stehen<br />

und die Machenschaften Eike Eberts erkannt<br />

haben. Sollte dies der Fall sein, müssen<br />

Konsequenzen gezogen werden! Für die<br />

Grünen bietet sich hier im übrigen an, ihr<br />

Verhältnis zum Rechtsstaat darzulegen, wie<br />

OB Benz dies bekanntlich nach dem Cannabis-Weekend<br />

forderte, denn wenn die Politik<br />

der Justiz Anweisungen zu geben hat, ist<br />

rechtsstaatlich einiges faul!<br />

Wir kennen uns da aus, eure SED-Nachfolgepartei!<br />

Poststalinistischer<br />

Gemischtwarenladen<br />

Die Darmstädter<br />

Landtagsabgeord<strong>net</strong>e Daniela Wagner<br />

(Bündnis 90/Die Grünen) zur „Presseerklärung“<br />

der PDS:<br />

BÜNDNIS ’90<br />

DIE GRÜNEN<br />

STADTVERORDNETENFRAKTION<br />

PARTEIEN - STANDPUNKTE I<br />

Die Gruppe, die bisher weder landes- noch<br />

kommunalpolitisch mit nennenswerten Vorschlägen<br />

in Erscheinung getreten sei, versuche<br />

offensichtlich, aus kommunalen Randereignissen<br />

politisches Kapital zu ziehen.<br />

Schon das Instrumentalisieren des „Cannabis-Weekends“<br />

zu einer „PDS gegen Rechts<br />

Demo“ habe gezeigt, daß nicht Problemlösungen<br />

angestrebt werden, sondern öffentlichkeitswirksam<br />

eine vermeintliche Klientel<br />

unter „linken“ Jugendlichen bedient werden<br />

soll. „Dieses Verhalten hat die notwendige<br />

Information und Diskussion über Haschisch<br />

als Nutzpflanze im speziellen sowie gesellschaftliche<br />

Drogen- und Suchtproblematik<br />

im allgemeinen nicht einen Schritt weiter<br />

gebracht“, so Frau Wagner. „Im Gegenteil:<br />

Die Vermittlungsbemühungen zwischen<br />

beteiligten Jugendlichen, Bündnisgrünen,<br />

Kommunalpolitikern, dem Magistrat der<br />

Stadt und der Polizei, wurden teilweise nur<br />

noch unter dem Aspekt der ‚PDS-Demo’<br />

betrachtet und diskreditiert.“<br />

In der (oben veröffentlichten, red.) Erklärung<br />

spekuliere die Gruppe jetzt über Zusammenhänge<br />

zwischen einem nicht rechtskräftigen<br />

Urteil und Interessen der Darmstädter SPD,<br />

die über direkte oder informelle Wege – „von<br />

oben kommenden Anweisungen“ – durch<br />

die Justiz umgesetzt würden. Die Gruppe<br />

nutze so „spekulative Verdächtigungen“, um<br />

Bündnis 90/Die Grünen in Darmstadt dazu<br />

zu bewegen, „endlich einmal eine klare Position“<br />

und „strikteren Reformkurs“, so die<br />

PDS-Erklärung, zu beziehen. Was darunter<br />

zu verstehen sei, bleibe allerdings im trüben.<br />

Die Landtagsabgeord<strong>net</strong>e und Stadtverord<strong>net</strong>e<br />

stellt zusammenfassend fest:<br />

„1. Auch wenn das angeführte Urteil in vieler<br />

Hinsicht zu kritisieren ist, auch wenn es einige<br />

Ungereimtheiten im Verlauf des Prozesses<br />

gegeben hat, so berechtigt das noch<br />

nicht vorschnell von ‚Aufhebung der Gewaltenteilung’<br />

(!) zu sprechen. Nachhilfe in<br />

Sachen Rechtsstaat und dessen demokratischer<br />

Gestaltung haben Bündnis 90/Die Grü-<br />

Ludwigshöhstraße 55 · 64285 Darmstadt · Tel. 0 6151/6 1430 oder 614 90 · Fax 614 01<br />

en…Bündnis ’90/Die Grünen informieren…Bündnis ’90/Die Grünen informi<br />

In die hier aufgeführten Anträge und Kleinen Anfragen der Fraktion DIE GRÜNEN sowie<br />

in die kleine Auswahl von Magistratsvorlagen kann im Grünen-Büro Einsicht genommen werden.<br />

Anträge zu:<br />

– Getrenntmüllsammlung für Glas, Papier,<br />

Grüner-Punkt-Müll und Restmüll bei der Erneuerung von<br />

Abfallbehältern auf öffentlichen Plätzen<br />

– Energiesanierungskonzept und Wärmedirektservice<br />

bzw. Nutzlichtvertrag für städtische Gebäude<br />

– Umgestaltung des Wilhelminenplatzes und des Platzes<br />

vor der St. Ludwigs-Kirche<br />

– Pachtvertrag mit dem Verein „Kinder- und Jugendfarm“<br />

für ein geeig<strong>net</strong>es Gelände an der Maulbeerallee oder<br />

an anderer Stelle (gem. mit der SPD)<br />

– Eintrittsgelder Landesmuseum<br />

– Verbesserung der Fahrgastinformation über alle am Ostbahnhof<br />

verkehrenden Linien (gem. mit SPD)<br />

– Flughafen Egelsbach (gem. mit SPD)<br />

– Aufwertung der Straßenbahnlinie 1 (gem. mit SPD)<br />

Kleine Anfragen zu:<br />

– Leerfahrten am Betriebsende mit Heag-Bussen zum<br />

Depot<br />

– Gehaborner Hof<br />

– Verlängerung der Straßenbahnlinie 6 bis<br />

Arheilgen-Hofgasse<br />

– Bebauung der ehemaligen Lederfabrik Pfeiffer in der<br />

Eberstädter Mühltalstraße<br />

– Parkplatzsituation am Biergarten im Bürgerpark Nord<br />

– Sendeanlage der Telekom in der Heinrich-Delp-Straße<br />

– Restgelände der Deutschen Bundesbahn an der<br />

Michaelisstraße<br />

Magistratsvorlagen:<br />

0487 Altstadtmuseum an der Stadtmauer<br />

Hinkelsturm<br />

Beschlußdatum: 1.6.94<br />

0489 Papiertheatersammlung Röhler<br />

Beschlußdatum: 1.6.94<br />

0491 Lichtenbergschule; hier: PCB-Sanierung<br />

Beschlußdatum: 1.6.94<br />

0496 Verbesserung des Schienenpersonennahverkehrs<br />

in Hessen S-O<br />

Beschlußdatum: 1.6.94<br />

0497 Freikartenregelung für Kinder und<br />

Jugendliche von Sozialhilfeempfängern<br />

und Langzeitarbeitslose<br />

Beschlußdatum: 1.6.94<br />

0503 Verwendung des Sozialen Verfügungsfonds<br />

Beschlußdatum: 8.6.94<br />

0504 Erzielen von Einnahmen bei der Stadtbibliothek<br />

Beschlußdatum: 8.6.94<br />

0513 Untersuchungsergebnisse zur<br />

CO2-Reduzierung auf der Basis von<br />

Erfolgshonorarverträgen<br />

Beschlußdatum: 8.6.94<br />

0517 Haus der Literatur<br />

Beschlußdatum: 8.6.94<br />

0521 Darmstädter Skateboard- und BMX-Verein<br />

Beschlußdatum: 8.6.94<br />

0523 Geruchsimmissionsbegehung im Umfeld<br />

der Kompostierungsanlage im März 1994<br />

Beschlußdatum: 15.6.94<br />

0533 Instandsetzung Marktplatz und ÖPNV-<br />

Haltestellen in der Stadtmitte<br />

Beschlußdatum: 15.6.94<br />

0534 „Pfungstadt-Ost“/Kooperation<br />

Darmstadt - Pfungstadt<br />

Beschlußdatum: 15.6.94<br />

0538 Baugebiet K6 – Städtebaulicher Wettbewerb<br />

Beschlußdatum: 15.6.94<br />

0545 Innenstadt Block Heag-Hallen mit<br />

Neugestaltung der Luisenstraße<br />

Beschlußdatum: 15.6.94<br />

0549 Änderung der Bebauungspläne A25<br />

und A24 sowie Aufstellung eines<br />

Beb. Planes A29<br />

Beschlußdatum: 15.6.94<br />

0564 Verkehrssicherheit im Straßenverkehr;<br />

Hier: Fortschreibung 1993<br />

Beschlußdatum: 22.6.94<br />

0566 Kunstmarkt<br />

Beschlußdatum: 22.6.94<br />

0570 Anpassung der Bushaltestellen<br />

verschiedener Linien an Niederflurfahrzeuge<br />

Beschlußdatum: 22.6.94<br />

0572 Ferienkarte für Darmstädter Kinder<br />

und Jugendliche<br />

Beschlußdatum: 22.6.94<br />

Der Magistrat soll mit Südhessischer und Heag verhandeln, damit diese ein Energiesanierungskonzept<br />

für städtische Gebäude erstellen und auf dieser Grundlage der Stadt<br />

ein Angebot für einen Wärmedirektservicevertrag bzw. Nutzlichtkonzeptvertrag vorlegen.<br />

(Auszug aus einem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur nächsten Stavo)<br />

nen nicht nötig, schon gar nicht von der<br />

PDS. Zu Prozeß und Hintergründen sollte<br />

bei solch starkem Tobak, gelinde gesagt,<br />

etwas genauer recherchiert werden.<br />

2. Die geforderten ‚klaren Positionen’ sind<br />

im Unterschied zur PDS im kommunalpolitischen<br />

Programm und in der täglichen Praxis<br />

auf Kommunal- und Landesebene deutlich<br />

und für die BürgerInnen überprüfbar.<br />

3. Bündnis 90/Die Grünen steuern keinen<br />

‚SPD-treuen Kurs’, wie behauptet. Sie<br />

machen allerdings koalitionsorientierte und<br />

verantwortungsbewußte Realpolitik, wozu<br />

auch Kompromißbereitschaft unabdingbar<br />

zählt. Die Zeiten, in denen eine Partei allein<br />

die Wahrheit gepachtet hat, sind in Darmstadt<br />

und seit einigen Jahren auch in östlicheren<br />

Gefilden, dank der BürgerInnenbewegungen<br />

und nicht der PDS, vorbei. Wir,<br />

Bündnis 90/Die Grünen, werden das Unsrige<br />

dazutun, daß das so bleibt.<br />

4. Absolut anmaßend ist der wohl witzig<br />

gemeinte Schluß der PDS-Erklärung, wo<br />

nach dem Beklagen von rechtsstaatlicher<br />

Fäulnis steht: ‚Wir kennen uns da aus, Eure<br />

SED-Nachfolgepartei!’ Darmstädter ‚Junglinke’<br />

wollen offensichtlich nicht realisieren,<br />

daß diese Bezeichnung für die PDS nicht nur<br />

antikommunistischer Reflex notorischer<br />

Wessies ist, sondern aus der Entstehungsgeschichte<br />

der PDS herrührt. Nur durch die<br />

auch juristische Nachfolge wurden große<br />

Teile des SED-Parteivermögens für die PDS<br />

gerettet. Die PDS ist eben keine ‚Neugründung’<br />

und bezieht sich finanziell, personell<br />

und strukturell weitestgehend auf die Reste<br />

der SED. Die inhaltlichen Positionen sind<br />

demgegenüber nur selten originär. Hier<br />

klaut die PDS sich aus sozialdemokratischen<br />

und Bündnisgrünen Programmen zusammen,<br />

was gerade so in den poststalinistischen<br />

Gemischtwarenladen paßt.<br />

Unsere gleichzeitige Kritik an der wohlfeilen<br />

Übernahme der entsprechenden Blockparteien<br />

durch CDU und FDP sei hier – der Klarheit<br />

wegen – nur erwähnt, nicht ausgeführt.<br />

Unhistorisch und zynisch ist es allerdings,<br />

wie leicht – bei dem hohen moralischen Entrüstungspotential<br />

der ‚SED-Nachfolgepartei’<br />

– die Opfer des Stalinismus und der spätstalinistischen<br />

Systeme des realexistierenden<br />

Sozialismus übergangen werden. Vergeßlichkeit<br />

in dieser Hinsicht werden Bündnis<br />

90/Die Grünen, ebenso wie der Verdrängung<br />

der Nazi-Vergangenheit – ohne falsche<br />

Gleichsetzungen zu betreiben –, entschieden<br />

entgegentreten!<br />

Die gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen<br />

sind zu ernst, um sie Leuten<br />

zu überlassen, deren hanebüchene Selbstinszenierung<br />

als verfolgter Unschuld,<br />

gepaart mit Selbstgerechtigkeit und -gefälligkeit,<br />

nur noch von schlichter Geschichtslosigkeit<br />

und ureigener Sozialismusromantik<br />

übertroffen wird.“<br />

Die bündnisgrüne Abgeord<strong>net</strong>e schließt ihre<br />

Mitteilung mit einer deutlichen Aufforderung:<br />

„PDSlerInnen in Darmstadt, erspart<br />

uns in Zukunft solche ‚aufklärerischen‘ Pamphlete,<br />

die, falls Ihr dem nicht nachkommen<br />

könnt, womit ich rechne, zumindest von<br />

dem/der VerfasserIn unterzeich<strong>net</strong> sein sollten,<br />

und freut Euch auf die nächste Gysi-<br />

Talkshow.“<br />

Groß-Bieberau: laut<br />

HGO Vorteilsnahme<br />

Die Kommunalaufsicht teilte<br />

uns am 21.6.1994 mit, daß bei den Beschlüssen<br />

über den Bebauungsplan Ober-Ramstädter-Weg<br />

sowie der 1. und 2. Änderung CDU-<br />

Stadtverord<strong>net</strong>e mit abgestimmt haben, die<br />

ein persönliches Interesse nach § 25 HGO<br />

hatten. Sie oder ihre Familienangehörigen<br />

wollten dort bauen. Auch Bürgermeister Seubert<br />

und ein Stadtrat hätten bei den Abstimmungen<br />

den Raum verlassen müssen.<br />

Das Ziel von Bürgermeister Seubert und seiner<br />

CDU-Fraktion war es von Anfang an, dieses<br />

Baugebiet in exponierter Lage zu<br />

erschließen, um dort zu bauen. Da die Oppositionsfraktionen<br />

gegen dieses Baugebiet<br />

waren, fragen wir uns, wie die Abstimmung<br />

ausgegangen wäre, wenn die CDU-Bauplatzbewerber<br />

nicht mitgestimmt hätten, wie es<br />

die Hessische Gemeindeordnung (HGO) in §<br />

25 vorschreibt.<br />

Da Bürgermeister Seubert kategorisch die<br />

Einsicht in die Bewerberliste verweigerte,<br />

konnte die Opposition den Widerstreit der<br />

Interessen nicht erkennen.<br />

Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 23<br />

Den Kommentaren zur HGO entnehmen wir,<br />

daß dies Vorteilsnahme im Amt darstellt.<br />

Die Rolle von Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher<br />

Anton Weiher ist völlig undurchsichtig. Sollte<br />

er nicht gewußt haben, daß über das<br />

zukünftige Grundstück Seubert abgestimmt<br />

wurde?, daß Stadtverord<strong>net</strong>er Michael Herrmanns<br />

selbst und Familienangehörige der<br />

Stadtverord<strong>net</strong>en Heribert Lorenz und Werner<br />

Mattusch und Stadtrat Rudi Lorenz dort<br />

bauen wollen?<br />

Die Feststellung der Kommunalaufsicht<br />

bestätigte, daß die Behandlung des Baugebietes<br />

Ober-Ramstädter-Weg von Bürgermeister<br />

Seubert und Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher<br />

Anton Weiher im Parlament nicht korrekt<br />

war. Nach bekannter Manier war der<br />

Bürgermeister auf die kritischen Äußerungen<br />

der Grünen hin zum Angriff übergegangen<br />

und hatte uns beschuldigt, „Psychoterror<br />

und Rufmord“ zu begehen („DE“<br />

31.1.94). Der Zeitung für Darmstadt warf er<br />

im „DE“ vom 2.2.94 vor, „psychologische<br />

Kriegsführung mit dem Ziel, Volksverhetzung<br />

zu betreiben und einzelne Personen<br />

fertig zu machen“.<br />

Zeit für Profis<br />

„Einen Offenbarungseid“<br />

nennt die FDP-Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion das<br />

Ergebnis der sozialdemokratischen Kämmerer-Findungskommission.<br />

Für die Liberalen<br />

ist die Diskussion um die bisher genannten<br />

Kandidaten für die Nachfolge Otto Blöckers<br />

auch eine Folge der „ebenso vagen wie<br />

unterkarätigen“ Anforderungen im Text der<br />

Ausschreibung. Dieser Text, in dem lediglich<br />

von juristischem und betriebswirtschaftlichem<br />

„Hintergrund“ die Rede war, sei<br />

bereits bei der Formulierung von den Liberalen<br />

scharf kritisiert worden, erklärt Fraktionsvorsitzender<br />

Dr. Dierk Molter in einer<br />

Pressemitteilung. Die neue Ausschreibung<br />

der Position des Stadtkämmerers sollte deshalb<br />

ein abgeschlossenes Hochschulstudium,<br />

Verwaltungserfahrung und Know-how<br />

im Umgang mit städtischen Finanzen zur<br />

Bedingung machen.<br />

Einen fähigen und geeig<strong>net</strong>en Kandidaten<br />

würden die Liberalen durchaus mit unterstützen,<br />

betont Dr. Molter für seine Fraktion.<br />

Mit der Verschiebung der Stadtratswahlen<br />

auf den September sei zwar der nächste<br />

Koalitionskrach vorprogrammiert, man hoffe<br />

aber, daß sich bis dahin vielleicht auch bei<br />

den Grünen ein geeig<strong>net</strong>erer Bewerber als<br />

die „gelernte Landtagsabgeord<strong>net</strong>e“ Daniela<br />

Wagner finden lasse. Auf der Bühne des<br />

Darmstädter Sommertheaters seien bisher<br />

nur Laienschauspieler aufgetreten. „Nun“,<br />

so Dr. Molter, „werde es Zeit für Profis“.<br />

Kämmerei ist von<br />

großer Bedeutung<br />

In der Koalitionsrunde am<br />

22.6. sprachen die Koalitionspartner u. a.<br />

auch über die Wahlen für den hauptamtlichen<br />

Magistrat. Die SPD teilte mit, daß die<br />

Stelle für die Kämmerei neu ausgeschrieben<br />

werden soll, um dieses Dezernat mit einer<br />

Bewerberin oder einem Bewerber von außen<br />

zu besetzen. Vereinbart werden sollte deshalb<br />

auch, daß beide anstehende Wahlen auf<br />

den Herbst verschoben werden.<br />

Die Verhandlungsgruppe der Grünen<br />

begrüßt die Entscheidung der SPD: „Angesichts<br />

der wirtschaftlich schwierigen Zeiten,<br />

in denen alle Kommunen Finanzprobleme<br />

haben, ist die Kämmerei von großer Bedeutung.<br />

Es ist deshalb wichtig, die Stelle mit<br />

einer Person zu besetzen, die neben Fachwissen<br />

und Erfahrung auch neue Ideen mitbringt<br />

und die in der Lage ist, festgefahrene<br />

Strukturen aufzulösen.“<br />

Diese Personalentscheidung kann nicht von<br />

heute auf morgen getroffen werden. Um die<br />

Entscheidung, die Stelle neu auszuschreiben,<br />

zu unterstützen, haben die Grünen<br />

zugestimmt, beide Wahlen auf den Herbst zu<br />

verschieben. Das Einverständnis der Grünen<br />

wurde dadurch erleichtert, daß die Kandidatin<br />

der Grünen für den hauptamtlichen Magistrat,<br />

Daniela Wagner, sich mit dieser<br />

Lösung einverstanden erklärt hat und sie ihr<br />

☛ Fortsetzung auf folgender Seite<br />

SONNENSCHUTZ<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ


Amt ohnehin frühestens zum 1. September<br />

übernehmen könnte.<br />

Nach Ansicht der Grünen Verhandlungsgruppe<br />

hat sich gestern gezeigt, daß SPD<br />

und Grüne mittlerweile ein gutes Arbeitsklima<br />

gefunden haben. Das wird auch dadurch<br />

deutlich, daß in wichtigen Punkten Übereinstimmung<br />

erzielt wurde, wie z. B. bei der B3-<br />

Westumgehung, den Heag-Hallen oder der<br />

Neugestaltung des Marktplatzes.<br />

Hastiger Aktionismus<br />

im Magistrat<br />

Als „skandalös“, bezeich<strong>net</strong><br />

die CDU-Fraktionsvorsitzende Karin Wolff<br />

die „Blitzentscheidungen“, die auf der letzten<br />

Magistratssitzung gefallen sind. Umfangreiche<br />

Vorlagen zu wichtigen Zukunftsentscheidungen<br />

für Darmstadt wie das Projekt<br />

„Heag-Hallen“, die B3-Westumgehung oder<br />

die Marktplatz-Umgestaltung wurden in<br />

erster Sitzung regelrecht „durchgepaukt“.<br />

Auf die Forderung der ehrenamtlichen CDU-<br />

Magistratsmitglieder nach Bedenkzeit zum<br />

Studium der neuen Vorlagen sei die rot-grüne<br />

Koalition nicht eingegangen.<br />

„Das war noch nie da“, empört sich Karin<br />

Wolff. Nur bei wichtigsten Terminsachen<br />

seien Vorlagen bis jetzt im D-Zug-Tempo<br />

beschlossen worden. Dies gelte aber auch<br />

nicht für den Fall, daß eine Gruppe, wie jetzt<br />

die CDU, Beratungsbedarf bekundet habe.<br />

Um so unerklärlicher ist für Karin Wolff der<br />

plötzliche „hastige Aktionismus“, da die Probleme<br />

schon jahrelang auf dem Tisch gelegen<br />

hätten.<br />

„Magistrat und Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

müssen in die Lage versetzt werden,<br />

intensiv zu diskutieren, Gespräche zu führen<br />

und den Rat der Ausschüsse einzuholen“,<br />

beschrieb die CDU-Fraktionsvorsitzende ihre<br />

Kriterien für eine seriöse Politik. Als Negativbeispiel<br />

hierfür nannte Karin Wolff die<br />

„Informationspolitik“ der rot-grünen Koalition<br />

bezüglich des Heag-Hallen-Projekts. Bis<br />

jetzt fehlten den Stadtverord<strong>net</strong>en wesentliche<br />

Unterlagen. „Und die Zahlen, die uns<br />

vorliegen, entpuppten sich als schlampige<br />

Rechnungen“, stellte sie fest.<br />

Die CDU-Fraktion verlange offene Informationen<br />

und eine solide Beratungszeit. Vor<br />

allem müßten die getroffenen Entscheidungen<br />

anschließend auch tatsächlich umgesetzt<br />

werden, so Karin Wolff.<br />

Stadt kann Fahrpreiserhöhungen<br />

nicht verhindern<br />

Die HEAG hat angekündigt,<br />

nach dem Heinerfest ihre Fahrpreise zu<br />

erhöhen. „Man muß dieses Entscheidung<br />

akzeptieren“, meint die Grüne Fraktion.<br />

Unter den gegebenen Umständen – allgemeine<br />

Preisentwicklung, kommende Tarife<br />

im RMV – kann die Stadt diese Maßnahme<br />

der HEAG nicht verhindern.<br />

Die HEAG reagiert auch auf die Tarifgestaltung<br />

im RMV, die für Darmstadt aber problematisch<br />

ist. Pendler aus der Umgebung<br />

Darmstadts, die bisher den DDV-Tarif in<br />

Höhe von 69 Mark für die Monatskarte zahlen,<br />

werden durch die RMV-Preise benachteiligt,<br />

da sie dann mit 93 Mark zur Kasse<br />

gebeten werden. Der Pendlerverkehr müßte<br />

aber gefördert werden, um die Belastungen<br />

durch den Individualverkehr zu verringern.<br />

Die Zeitkarten müßten deshalb deutlich billiger<br />

angeboten werden. Im Gegensatz dazu<br />

ist nach RMV-Vorgaben die Zeitkarte für die<br />

Darmstädter City billiger als bisher, wodurch<br />

erhebliche Einnahmeverluste in diesem stark<br />

frequentierten Bereich entstehen, die durch<br />

höhere Tarife anderswo kompensiert werden<br />

müssen.<br />

Die Tarifgestaltung im öffentlichen Personennahverkehr<br />

ist recht schwierig, weil<br />

Wirtschaftlichkeit und verbraucherfreundliche<br />

Preisgestaltung nur schwer zu verbinden<br />

sind. Die Diskussion über die Kosten<br />

des ÖPNVs muß deshalb ehrlich geführt<br />

werden. Den Blick nur auf steigende Preise<br />

für Fahrscheine zu richten, ist nicht ausreichend.<br />

Man muß auch sehen, daß die HEAG-Verkaufsgesellschaft<br />

mit den Einnahmen aus<br />

dem Fahrscheinverkauf und anderen Positionen<br />

nur 51 Prozent der Aufwendungen<br />

bestreiten kann – dennoch eine im Vergleich<br />

mit anderen Verkehrsbetrieben gute Quote.<br />

Für 1993 weist die HEAG Umsatzerlöse in<br />

Höhe von 45 Millionen Mark aus (ca. 30 Millionen<br />

Mark aus dem Fahrscheinverkauf).<br />

Dem stehen Aufwendungen von 88 Millionen<br />

gegenüber.<br />

Die Differenz muß vom Land, der Stadt und<br />

den Stromkunden ausgeglichen werden.<br />

Das ist im Sinne der Allgemeinheit, weil<br />

öffentliche Verkehrsmittel umweltfreundlich<br />

sind. Die Übernahme eines Verlusts des Verkehrsbetriebs<br />

durch die HEAG-Versorgung<br />

(aus dem Stromgeschäft) ist mit 25 Millionen<br />

Mark festgeschrieben. Dadurch mindert<br />

sich der Gewinn. Aber auch die Steuerforderungen<br />

des Finanzamtes sind geringer. Hier<br />

ist zu überlegen, ob dieser Betrag in Zukunft<br />

nicht an die Stromtarife gekoppelt werden<br />

sollte. Wenn die Stromtarife steigen, würde<br />

auch der Verlustausgleich größer. Berücksichtigt<br />

man die immensen öffentlichen<br />

Zuschüsse für Investitionen (Busse,<br />

Straßenbahnen, neue Strecken) dann ist das<br />

Verhältnis von Einnahmen zu Ausgaben<br />

noch um einiges ungünstiger. Preissteigerungen<br />

für Fahrscheine lassen sich deshalb<br />

nicht vermeiden, wenn das ÖPNV-Angebot<br />

verbessert werden soll.<br />

Unehrlich ist die Diskussion, wenn gestiegene<br />

ÖPNV-Tarife mit den Kosten fürs<br />

Autofahren verglichen werden. Denn Autofahren<br />

ist viel zu billig. Der Individualverkehr<br />

verursacht soziale und volkswirtschaftliche<br />

Folgekosten in Höhe von 220 Milliarden<br />

Mark im Jahr aufgrund von Umweltzerstörung,<br />

Verkehrsunfällen, Krankheiten und<br />

durch Autoschadstoffe oder Lärm. Diese<br />

Zahl nennt das Umwelt- und Prognoseinstitut<br />

in Heidelberg.<br />

Diese Kosten zahlt die Allgemeinheit und<br />

nicht der einzelne Autofahrer. Wenn die Ausgaben<br />

fürs Autofahren die ökologisch und<br />

soziale Wahrheit sagen würden, müßte fürs<br />

Autofahren wesentlich mehr bezahlt werden.<br />

Sogar der von der Bundesregierung beauftrage<br />

Sachverständigenrat für Umweltfragen<br />

hält eine schrittweise Erhöhung der Kraftstoffpreise<br />

auf 5 Mark pro Liter für notwendig.<br />

Gemessen an der Kaufkraft ist der heutige<br />

Benzinpreis viel niedriger als in den 50er<br />

Jahren.<br />

Es steht fest, daß der Individualverkehr viel<br />

stärker subventioniert wird als der öffentliche<br />

Nahverkehr. Diese Fehlentwicklung kann<br />

eine Kommune allein aber kaum korrigieren<br />

(möglich wäre z. B. die Erhöhung der Parkgebühren).<br />

Dazu wäre eine Wende in der<br />

Bonner Verkehrspolitik nötig.<br />

Die Anzeige ist da!<br />

Nach dem bundesweit mit<br />

Spannung erwarteten Cannabis-Weekend,<br />

das von OB Benz verboten wurde und demnach<br />

nicht in der geplanten Form stattfinden<br />

konnte, erreichte gestern die PDS-Hessen-<br />

Süd eine Anzeige wegen Verdachts des Verstoßes<br />

gegen das Versammlungsgesetz.<br />

Aus dem Schreiben der Darmstädter Polizei<br />

geht nicht hervor, von wessen Seite aus die<br />

Anzeige erstattet wurde. Mit ziemlicher<br />

Sicherheit, so glauben wir, wird sie allerdings<br />

von der Stadt Darmstadt erstattet worden<br />

sein, die kurz nach dem Wochenende<br />

damit drohte, uns mit einer Klage zu überziehen.<br />

In der Person des OB’s dürfte der<br />

Drahtzieher dieser Machenschaft zu finden<br />

sein, denn, so sein Originalton, „was von<br />

Seiten der Stadt noch auf Euch zu kommt,<br />

das werdet ihr schon noch sehen.“ Wobei<br />

seine letzten Worte ein fieses Lachen begleitete.<br />

Diese Prophezeiung eröff<strong>net</strong>e er uns bei<br />

einem „persönlichen Gespräch“ in einer seiner<br />

Bürgersprechstunden. Weiterhin, so<br />

beklagte er sich bei dieser Unterhaltung,<br />

„vergesse ich Euch niemals, daß Ihr das<br />

Cannabis-Weekend doch gemacht habt“,<br />

was allerdings völliger Blödsinn ist.<br />

Ursprünglich wollte uns die Stadt auch<br />

wegen „der Durchführung einer verbotenen<br />

Ersatzveranstaltung“ anklagen, so faxte sie<br />

an die Zeitung für Darmstadt. Diese Vorwürfe<br />

werden gegen uns erhoben, da wir am<br />

Tage des Weekends eine Demonstration<br />

gegen Rechtsextremismus veranstalteten,<br />

zu der sich viele Menschen gesellten, von<br />

denen die Polizei annahm, sie seien<br />

ursprünglich wegen des verbotenen Cannabis-Weekends<br />

nach Darmstadt gekommen.<br />

Wir sehen in dem „vorliegenden Ermitt-<br />

PARTEIEN - STANDPUNKTE II Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 24<br />

lungsverfahren“ einen Racheakt der SPD<br />

und des eitlen Oberbürgermeisters gegen<br />

uns. Zum anderen vermuten wir hinter diesem<br />

Vorgang den erneuten Versuch, in<br />

Darmstadt gerichtlich gegen mißliebige,<br />

politisch engagierte Menschen vorzugehen.<br />

Nach dem politischen Prozeß gegen Jürgen<br />

Barth, in dem offen zutage trat, wie eng die<br />

Darmstädter SPD mit der hiesigen Justiz<br />

verknüpft ist und daß die Gewaltenteilung<br />

fast aufgehoben zu sein scheint, soll nun der<br />

nächste politische Prozeß eröff<strong>net</strong> werden,<br />

der im Wahl(kampf)jahr ‘94 nur dazu dient,<br />

mit der SPD konkurrierende Parteien und<br />

Kandidaten einzuschüchtern und zu diskreditieren.<br />

Dagegen protestieren wir und wir<br />

fordern OB Benz und die Stadt Darmstadt<br />

auf, diese Anzeige zurückzuziehen.<br />

Die Zeitung für Darmstadt druckt Parteienmeldungen<br />

grundsätzlich unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und<br />

Grammatikfehler sowie Wiederholungen. Inhaltliche auch<br />

politische Änderungen werden nicht angebracht und auch<br />

nichts hinzugefügt. Die Briefe geben nicht die Meinung der<br />

Redaktion wieder.<br />

Agrarrat beugt sich<br />

der Chemie-<br />

Industrie<br />

Zur Verabschiedung von<br />

Anhang VI der Richtlinie über das Inverkehrbringen<br />

von Pflanzenschutzmitteln durch<br />

den Agrarrat erklärt die Europaabgeord<strong>net</strong>e<br />

von Bündnis 90/Die Grünen, Hiltrud Breyer,<br />

MdEP:<br />

Die Entscheidung der EU-Agrarminister ist<br />

ein umweltpolitisches Desaster. Sie legitimiert<br />

einen Angriff auf die Gesundheit der<br />

340 Millionen Bürgerinnen und Bürger in der<br />

Europäischen Union. Die schon über jedes<br />

Maß strapazierte Natur darf künftig noch<br />

stärker maltretiert werden. Die Landwirtschaftsminister<br />

beugen sich dem Diktat der<br />

Chemie- und Agrarindustrie und wischen in<br />

unerträglicher Manier die eindringlichen<br />

Warnungen der besorgten Öffentlichkeit<br />

vom Tisch.<br />

Anstatt Umweltschonung und Gesundheitsschutz<br />

zum primären Gebot für eine einheitliche<br />

Vermarktung von Pestiziden in der EU<br />

zu machen, wird die heute schon massenhafte<br />

Anwendung der Pflanzengifte weiter<br />

ansteigen. Die nun beschlossene Zulassung<br />

markiert damit einen schwerwiegenden<br />

Rückschritt in der EU-Umweltpolitik. Für<br />

eines der wenigen wirklich am Verbraucherund<br />

Naturschutz gemessenen Gesetze sind<br />

die Tage gezählt. Denn das Votum der Minister<br />

am 23.6. ist zweifellos der erste Schritt<br />

auf dem Weg, die von der Industrie seit langem<br />

attackierten Reinheitsvorschriften für<br />

Trinkwasser aus der Welt zu schaffen. Der<br />

dort festgelegte Pestizid-Grenzwert von 0,1<br />

Mikrogramm je Liter soll nur für jenes<br />

Grundwasser gelten, das zur Trinkwassergewinnung<br />

dient. Für alle anderen Grundwassergebiete<br />

gibt es nahezu keinen Schutz.<br />

Und die Eingrenzung dieser Trinkwasser-<br />

Ressourcen unterliegt allein nationalen Entscheidungen.<br />

Außerdem darf auch dort die<br />

Pflanzengift-Dosierung für fünf Jahre und<br />

länger überschritten werden. Die Hersteller<br />

sind nicht gezwungen, die Umweltverträglichkeit<br />

ihrer Produkte nachzuweisen.<br />

Bundeslandwirtschaftsminister Borchert hat<br />

mit seinen Äußerungen in den vergangenen<br />

Tagen die Öffentlichkeit bewußt irregeführt.<br />

Seine Versicherung, das deutsche Schutzniveau<br />

werde mit dieser Entscheidung nicht<br />

angetastet, kann nur als wahlkampfpraktische<br />

Heuchelei bezeich<strong>net</strong> werden. Deutschland<br />

wird letztlich weder nationale Produktverbote<br />

aufrecht erhalten, noch die Vermarktung<br />

in der Bundesrepublik verbotener<br />

Wirkstoffe aus anderen EU-Ländern untersagen<br />

können. Die Bundesregierung beweist<br />

damit erneut ihre Mißachtung von VerbraucherInneninteressen<br />

und Umweltschutz.<br />

Das Europäische Parlament hatte bereits im<br />

vergangenen Dezember in einer Entscheidung<br />

dagegen protestiert, daß der Rat eine<br />

derartige Entscheidung ohne Konsultation<br />

des EP treffen kann. Zudem ist es völlig<br />

unakzeptabel, daß ein umweltpolitisch so<br />

brisantes Thema vom Agrarrat verabschiedet<br />

wird.<br />

Die Europa-Grünen werden rechtliche<br />

Schritte des EP gegen die Pestizid-Zulassung<br />

initiieren. Sie fordern eine Änderung<br />

der Rechtsgrundlage, um das Paket in den<br />

Umweltrat zu bringen und dem EP die Möglichkeit<br />

zu geben, mit absoluter Mehrheit<br />

eine Ratsentscheidung verhindern zu können.<br />

Die Euro-Grünen treten nach wie vor dafür<br />

ein, daß<br />

– eine Pestizid-Zulassung nur auf der<br />

Grundlage des Trinkwasser-Grenzwertes<br />

erfolgen darf, und dieser auszudehnen ist<br />

auf den gesamten Gewässerschutz.<br />

– Hersteller keine Vermarktungsgenehmigung<br />

für ihre Produkte ohne Umweltverträglichkeitsnachweis<br />

erhalten.<br />

Eine Jugendfarm in<br />

Darmstadt?<br />

Die Fraktionen Bündnis<br />

90/Die Grünen und SPD finden das Projekt<br />

des Vereins Kinder- und Jugendfarm Darmstadt,<br />

der sich vor etwas über einem Jahr<br />

gegründet hat, unterstützenswert. Deshalb<br />

fordern sie mit einem Prüfantrag den Magistrat<br />

auf, einen Pachtvertrag mit dem Verein<br />

für ein Gelände an der Maulbeerallee oder an<br />

einem anderen geeig<strong>net</strong>en Standort abzuschließen.<br />

In hessischen Kommunen sind Kinder- und<br />

Jugendfarmen noch wenig bekannt. Im<br />

Stuttgarter Raum hingegen sind etwa zwanzig<br />

solcher alternativer Spielplätze seit vielen<br />

Jahren erfolgreich in Betrieb. Kinder und<br />

Jugendliche von sieben bis vierzehn verbringen<br />

ihre freie Zeit auf dem Farmgelände.<br />

Dort wird mit natürlichen Stoffen wie Holz<br />

und Wasser gebaut und gebastelt. Und vor<br />

allem werden Tiere gehalten: Schafe, Ziegen,<br />

Hühner, Enten, Gänse, Ponys und Pferde.<br />

Kinder pflegen und füttern die Tiere regelmäßig.<br />

Die Kinder lernen so, verantwortlich<br />

mit der Natur, den Tieren und Pflanzen<br />

umzugehen und sich mit ihren Fähigkeiten<br />

aktiv und verantwortlich am Aufbau und<br />

dem Erhalt der Anlage zu beteiligen. Durch<br />

die hohe Verkehrsbelastung in der Stadt<br />

sind gerade Stadtkinder auf einen Ausgleich<br />

für den zunehmenden Verlust von freien<br />

Spielflächen in ihrer Wohnumgebung angewiesen.<br />

Die Grünen und die SPD sind der Ansicht,<br />

daß der Standort für eine Kinder- und<br />

Jugendfarm in der Nähe der großen Wohngebiete<br />

zu Kranichstein oder Arheilgen liegen<br />

sollte. Ob es das Gelände an der Maulbeerallee<br />

ist oder ein anderes, ebenfalls<br />

geeig<strong>net</strong>es Gelände, das sich für die Kinderund<br />

Jugendfarm am besten anbietet – dies<br />

sollte der Magistrat auf ihre gemeinsame<br />

Initiative hin herausfinden.<br />

Bei der Fernwärme<br />

tut sich nichts<br />

In einer kleinen Anfrage hat<br />

sich der Kranichsteiner CDU-Stadtverord<strong>net</strong>e<br />

Georg Röder beim Magistrat nach dem<br />

Stand der Maßnahmen zur Sicherstellung<br />

der Fernwärmeversorgung von Kranichstein<br />

erkundigt.<br />

Seit April 1992 stehe fest, daß die Wärmeversorgung<br />

Kranichsteins in kälteren Wintern<br />

von dem bestehenden Fernheizwerk<br />

nicht mehr sichergestellt werden kann.<br />

Nachdem zunächst ein neuer Heizkessel mit<br />

ausreichender Wärmeleistung für 1,2 Millionen<br />

Mark geplant war, entschied sich der<br />

Magistrat dann für eine Kombination des<br />

Fernheizkraftwerkes Kranichstein mit dem<br />

Fernheizwerk Arheilgen, das in ein Blockheizkraftwerk<br />

umgebaut werden soll;<br />

Kostenpunkt ca. 20,2 Millionen Mark. Die<br />

Fernheizwerke sollen an die Südhessische<br />

verkauft werden, die dann die Maßnahmen<br />

auf ihre Kosten durchführen will. Eine Verbindungsleitung<br />

zwischen den beiden Heizwerken<br />

soll die benötigte Wärmemenge von<br />

Arheilgen nach Kranichstein bringen. Der<br />

unterschriftsreife Vertrag zwischen der Stadt<br />

und der Südhessischen Gas- und Wasser<br />

AG wurde von dem neugewählten grünen<br />

Planungsdezernenten Michael Siebert seit<br />

Sommer 1993 mit zusätzlichen Forderungen,<br />

u. a. nach einem Konkurrenzangebot<br />

der Blockheizkraftwerk GmbH gestoppt. Die<br />

Südhessische stellte daraufhin den Weiterbau<br />

der begonnen Verbindungsleitung ein.<br />

Die CDU forderte im November und Dezem-<br />

ber 1993 sowie im März 1994 den Magistrat<br />

auf, umgehend die Verbindungsleitung bauen<br />

zu lassen und dadurch die Wärmeversorgung<br />

Kranichsteins sicherzustellen. Vergeblich<br />

– am 17. Februar 1994 zog Oberbürgermeister<br />

Benz auf Drängen seines Koalitionspartners<br />

die betreffende Magistratsvorlage<br />

zurück. Der CDU gab er zur Antwort, die<br />

Wärmeversorgung Kranichsteins sei nicht in<br />

Gefahr, obwohl die Südhessische ihm<br />

schriftlich mitgeteilt hatte, daß die Leistung<br />

des Heizwerks Kranichstein bei Temperaturen<br />

unter Null Grad nicht mehr zur Versorgung<br />

der Wohnungen ausreiche.<br />

Seitdem habe sich nichts getan, so Röder.<br />

Die Blockheizkraftwerk-GmbH habe mitgeteilt,<br />

daß sie kein günstigeres Angebot abgeben<br />

könne als die Südhessische. Diese hatte<br />

vom Magistrat bis April 1994 den Vertragsabschluß<br />

oder eine schriftliche Kostenzusage<br />

für die Fertigstellung der Verbindungsleitung<br />

verlangt. Geschehen sei nichts. Die<br />

Verbindungsleitung werde demnach auch<br />

für den kommenden Winter nicht zur Verfügung<br />

stehen. Als Zwischenlösung schlug die<br />

Südhessische die Reparatur des defekten<br />

Kessels im Heizwerk Kranichstein oder die<br />

Aufstellung einer mobilen Heizzentrale vor,<br />

die bis Anfang Juli in Auftrag gegeben werden<br />

müßte. Auch hierfür liege noch kein<br />

Magistratsbeschluß vor. „Die Kranichsteiner<br />

müssen damit rechnen, daß die Dickköpfigkeit<br />

des grünen Bürgermeisters Michael Siebert<br />

ihnen einen weiteren Winter mit dem<br />

Risiko beschert, bei Temperaturen um den<br />

Gefrierpunkt in ihren Wohnungen frieren zu<br />

müssen“, warnte Röder.<br />

Eva Ludwig will in<br />

den Landtag<br />

Eva Ludwig heißt die<br />

Kandidatin der Darmstädter CDU für den<br />

Landtagswahlkreis 49 „Darmstadt Nord“.<br />

Auf einer Delegiertenversammlung erhielt<br />

Darmstadts CDU-Kreisvorsitzende 35 von<br />

38 Stimmen. Eine Gegenkandidatur gab es<br />

nicht. In ihrer Vorstellungsrede zog Eva Ludwig<br />

Parallelen zwischen der SPD-Politik in<br />

Darmstadt und in Hessen. In Darmstadt wie<br />

in Wiesbaden sei die CDU „die einzige Oppositionspartei“<br />

und „die Alternative gegen<br />

Genossenfilz“. Die CDU stelle die Partei für<br />

all diejenigen dar, die die „rot-grüne Bevormundung“<br />

satt hätten. „Kungelei“ und<br />

„Schlitzohrigkeit“ der SPD seien nicht zur<br />

Nachahmung empfohlen. Die Aufgabe der<br />

CDU sei es, für „politische Hygiene“ zu sorgen.<br />

Als ein „Lernbeispiel für erfolgreiche Arbeit“,<br />

bezeich<strong>net</strong>e Eva Ludwig die CDU-Landtagsfraktion.<br />

Hier hob sie die Drogenpolitik der<br />

hessischen CDU heraus: „Die CDU bleibt bei<br />

einem „konsequenten Nein“ zu weichen Drogen.<br />

„Hier besteht kein Nachholbedarf an<br />

Liberalisierung.“ An die Adresse der rot-grünen<br />

Landesregierung richtete Eva Ludwig<br />

die Aufforderung, statt über eine Liberalisierung<br />

der Drogenpolitik zu diskutieren, erst<br />

einmal ausreichend Therapieplätze für Drogenabhängige<br />

zu schaffen.<br />

Angesichts der „Pleiten, Pech- und Pannenregierung<br />

von Hans Eichel, deren Spektrum<br />

von der Dienstvilla- bis zur Lotto-Affäre reiche,<br />

rech<strong>net</strong> sich Eva Ludwig gute Chancen<br />

für einen Wahlsieg der hessischen CDU im<br />

nächsten Jahr aus. „Einen Hans Eichel hat<br />

Hessen nicht verdient“, stellte sie fest. Der<br />

SPD-Ministerpräsident hinterlasse keine<br />

Spuren im Land. Und die Genossen stünden<br />

schon mit „gezückter Säge“ hinter seinem<br />

Sessel. Für die CDU-Kreisvorsitzende gibt es<br />

keinen Zweifel: „Die CDU ist mit Manfred<br />

Kanther an der Spitze die personell klar bessere<br />

Alternative für Hessen.“<br />

Ein neues<br />

Bürgerbüro<br />

Die letzten Wahlergebnisse,<br />

aber auch das selbstverursachte schlechte<br />

Bild der SPD in Darmstadt, haben uns veranlaßt,<br />

über neue Wege der direkten Kommunikation<br />

der Partei mit Bürgerinnen und Bürgern<br />

nachzudenken. Die Partei muß wieder<br />

glaubhaft und ehrlich werden und neue For-<br />

☛ Fortsetzung auf folgender Seite


men der Zusammenarbeit mit der Bevölkerung<br />

finden. Politik muß aus den Hinterzimmern<br />

heraus und transparent Entscheidungen<br />

nachvollziehbar werden.<br />

Ein erster Schritt wird von dem SPD Ortsverein<br />

Bessungen und der Europaabgeord<strong>net</strong>en<br />

Barbara Schmidbauer getan, durch die<br />

Einrichtung eines gemeinsamen Bürgerbüros<br />

mit festen Öffnungs- und Sprechzeiten<br />

in den Räumen des Hauses Bessunger<br />

Straße 48.<br />

Dort wird ab sofort jeden Montag der eigens<br />

für diese Aufgabe engagierte Mitarbeiter<br />

Helmut Gerhardt den Bürgerinnen und Bürgern<br />

in der Zeit von 9 Uhr bis 11 Uhr persönlich<br />

und auch telefonisch unter der Nummer<br />

663092 zur Verfügung stehen. Darüber hinaus<br />

können hier Direkttermine mit dem Ortsvereinsvorsitzenden<br />

Michael Blechschmitt<br />

und anderen Politikern vereinbart werden.<br />

„Nur durch gegenseitiges Vertrauen und<br />

Verständnis, kann die arg gebeutelte Darmstädter<br />

SPD verlorengegangene Glaubhaftigkeit<br />

und politisches Profil zurückgewinnen.<br />

Dies muß in erster Linie in Gesprächen mit<br />

Bürgerinnen und Bürgern, aber auch durch<br />

aktive Mitarbeit in Vereinen und Gruppen<br />

erfolgen“, so der Ortsvereinsvorsitzende<br />

Michael Blechschmitt.<br />

Sieberts<br />

Wettbewerbswahn<br />

Unnötige Warteschleifen im<br />

Baugebiet Kranichstein K6: „Die Planer hoffen<br />

und die Stadt blockiert“, erklärt die<br />

Darmstädter CDU-Fraktion in Bezug auf das<br />

Baugebiet K6 in Kranichstein. Wenn man<br />

sich auf Anraten der CDU zum Wohnungsbau<br />

in K6 entschlossen habe und jetzt erst<br />

einen städtebaulichen Ideenwettbewerb ausschreibe,<br />

heiße dies: Auch 1995 ist dort kein<br />

Spatenstich zu erwarten. Die Auswertung<br />

der Wettbewerbsergebnisse sei für März<br />

1995 vorgesehen. Danach erst könne man<br />

Umlegung betreiben und in die konkrete Planung<br />

einsteigen. Bis zu einem rechtskräftigen<br />

Bebauungsplan vergingen weitere Jahre.<br />

„Dieser Wettbewerb ist so überflüssig wie<br />

ein Kropf, weil man ja weiß, daß dort Wohnungen<br />

hinkommen sollen. Er bewirkt nur,<br />

daß ein weiteres Jahr ins Land geht, bevor<br />

etwas geschieht“, stellt die Kranichsteiner<br />

CDU-Stadtverord<strong>net</strong>e Walburga Jung fest.<br />

„Inzwischen warten die Leute auf Wohnungen<br />

und den Bauwilligen laufen die Preise<br />

davon“, warnt sie. Sogar provisorische<br />

Erschließungskosten für die Heag-Garage<br />

seien erforderlich wegen dieser Planungsverzögerung.<br />

Das koste die Stadt zusätzlich<br />

100.000 Mark. „Das sind vermeidbare Folgekosten,<br />

die nur durch Michael Sieberts<br />

Wettbewerbsidee entstehen“, erklärt die<br />

CDU-Stadtverord<strong>net</strong>e.<br />

Elternprotest<br />

verständlich<br />

Der Elternbeirat der<br />

Friedrich-Ebert-Schule beschwert sich in<br />

einem Offenen Brief über das Vorhaben der<br />

Stadt, in Räumen der Schule städtische<br />

Ämter unterzubringen. Insbesondere<br />

mißfällt der Elternschaft, daß die Schulkonferenz<br />

nicht gehört worden ist, wie es das<br />

neue Hessische Schulgesetz eigentlich vorschreibt.<br />

„Den Groll der Eltern können wir verstehen“,<br />

sagen Doris Fröhlich und Christel Thorbecke<br />

von der Grünen Fraktion. „Die Schule hat ja<br />

in den letzten Jahren bereits einige Räume,<br />

u. a. an den Adventkindergarten und die Herderschule<br />

abgegeben.“ Die Kommunalpolitikerinnen<br />

haben sich deshalb mit der Bitte an<br />

den Magistrat gewandt, vor einer endgültigen<br />

Entscheidung, die Meinung der Schulkonferenz<br />

einzuholen und auf die besondere<br />

Situation an der Schule Rücksicht zu nehmen.<br />

Die Maßnahme der Stadt darf nämlich<br />

auf keinen Fall den laufenden Unterricht oder<br />

die Betreuung beeinträchtigen.<br />

Das Vorhaben der Stadt, in der Friedrich-<br />

Ebert-Schule Teile der Verwaltung zeitweise<br />

unterzubringen, ist eine Folge der geplanten<br />

Baumaßnahmen im Heag-Hallen-Block.<br />

Doris Fröhlich und Christel Thorbecke sprechen<br />

sich deshalb dafür aus, daß die Stadt<br />

sich bemühen sollte, auftretende Probleme<br />

beim Heag-Hallen-Projekt mit Betroffenen<br />

einvernehmlich zu lösen.<br />

Keine Nord-Ost-<br />

Umgehung mit den<br />

Grünen<br />

„Die Grünen fallen<br />

Darmstadt in den Rücken“, diese Feststellung<br />

traf der ehrenamtliche CDU-Stadtrat<br />

Willi Franz angesichts des Abstimmungsverhaltens<br />

der Grünen bei der Regionalen Planungsversammlung<br />

(RPV). Dort hatten die<br />

Grünen, an deren Spitze Bürgermeister<br />

Michael Siebert, entgegen einem Beschluß<br />

der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung, eine<br />

Wiederaufnahme der Darmstädter Nord-Ost-<br />

Umgehung in den Regionalen Raumordnungsplan<br />

abgelehnt.<br />

Der CDU-Stadtrat erinnert daran, daß sich<br />

Siebert in der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

mit „Windungen“ für eine Wiederaufnahme<br />

der Umgehungsstraße in den Regionalen<br />

Raumordnungsplan ausgesprochen<br />

habe. Doch angesichts des umgekehrten<br />

Abstimmungsverhaltens in der RPV sei wieder<br />

einmal deutlich geworden, daß die Grünen<br />

eine Nord-Ost-Umgehung ablehnten.<br />

Dieser Dissens sei schon in der rot-grünen<br />

Koalitionsvereinbarung festgeschrieben.<br />

„Die Ankündigung von Planungsdezernent<br />

Siebert, die Umgehungsstraße werde frühestens<br />

2001 gebaut, war also die freundliche<br />

Umschreibung des St. Nimmerleinstages“,<br />

so Willi Franz.<br />

Hilflose Geste<br />

Sehr geehrter Herr<br />

Oberbürgermeister,<br />

die Stadt Darmstadt hat dankenswerterweise<br />

das Kinderprojekt „Favela do Andarai“ in Rio<br />

de Janeiro mit Mitteln aus dem Dritte-Welt-<br />

Fonds unterstützt. Die Initiatorin, Frau Batista,<br />

war auch in Darmstadt und hat Kontakt<br />

zu Parlamentarierinnen und Frauengruppen<br />

aufgenommen. Ich habe Frau Batista, die<br />

auch Präsidentin der Arbeiterpartei (PT) ist,<br />

als engagierten Menschen kennengelernt,<br />

der wichtige Arbeit, insbesondere für Kinder<br />

in Rio leistet.<br />

Die Meldung, daß ihre engsten Mitarbeiter –<br />

Hermogenes da Silva Almeida und Reinaldo<br />

Gueden Miranda – brutal ermordet wurden,<br />

hat mich erschüttert. Auch Frau Batista hat<br />

Morddrohungen erhalten. Es ist offensichtlich,<br />

daß diese Gewalt politische Hintergründe<br />

hat. Die Ermordeten kämpften gegen die<br />

Ermordung von Straßenkindern in Rio und<br />

waren in der Kommission zur Verteidigung<br />

der Menschenrechte im Stadtparlament<br />

aktiv.<br />

Ich denke, daß Magistrat und Stadtverord<strong>net</strong>e<br />

in Darmstadt dazu nicht schweigen dürfen.<br />

Ich wende mich deshalb mit der herzlichen<br />

Bitte an Sie, sich als Oberbürgermeister<br />

der Stadt Darmstadt beim Bürgermeister<br />

von Rio de Janeiro dafür einzusetzen,<br />

gegen die Morde Stellung zu beziehen und<br />

die Kinderarbeit von Frau Batista zu würdigen.<br />

Ich weiß, daß das nur eine hilflose<br />

Geste sein kann, die aber dennoch zeigt, daß<br />

uns das Schicksal von Menschen, die sich<br />

sozial engagieren, nicht gleichgültig ist.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

gez. Doris Fröhlich<br />

Hände weg von der<br />

PDS<br />

Die CDU verlangt von den<br />

Sozialdemokraten „Hände weg von der SED-<br />

Nachfolgepartei PDS“.<br />

Die CDU-Kreisvorsitzende Eva Ludwig hat<br />

die SPD aufgefordert, umgehend und<br />

unmißverständlich zu erklären, daß eine<br />

PARTEIEN - STANDPUNKTE III Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 25<br />

Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgepartei<br />

PDS nicht in Betracht kommt. „Wir sind<br />

entsetzt darüber, daß es in der SPD allen<br />

Ernstes eine Diskussion über mögliche<br />

Koalitionen mit der PDS gibt“, erklärte die<br />

CDU-Kreisvorsitzende Eva Ludwig. „Die<br />

demokratische Zuverlässigkeit der SPD<br />

steht auf dem Spiel.“ Eva Ludwig fordert die<br />

SPD-Politiker dazu auf, das „gemeinsame<br />

Interesse der Demokraten“ im SPD-Präsidium<br />

zu vertreten und Koalitionen mit der PDS<br />

eine Absage zu erteilen.<br />

Die CDU-Kreisvorsitzende bezeich<strong>net</strong>e es als<br />

„erschreckend“, daß Teile der SPD offenbar<br />

vergessen hätten, welches Leid die SED über<br />

Millionen von Deutschen gebracht hat, und<br />

daß die Nachfolgepartei PDS eine andere,<br />

eine sozialistische Gesellschaftsordnung<br />

will. Alle Demokraten hätten die Verpflichtung,<br />

einen eindeutigen Trennungsstrich zu<br />

radikalen Kräften zu ziehen. Was für die<br />

Republikaner gelte, habe auch für die Nachfolgepartei<br />

der SED seine Gültigkeit: „Hände<br />

weg von der PDS.“<br />

Wenn die SPD gewillt sein sollte, auf der<br />

Suche nach einem Strohhalm zur Wiederherstellung<br />

ihrer Mehrheitsfähigkeit vor der<br />

PDS nicht zurückzuschrecken, werde die<br />

CDU einen solchen Kurs massiv bekämpfen,<br />

kündigte Eva Ludwig an.<br />

Der Müll, die Tonne<br />

und die Stadt<br />

Partei für Bürger, die sich<br />

durch die Stadt bei der Festsetzung von<br />

Müllabfuhrgebühren „gelinkt“ fühlen,<br />

ergreift der Vorsitzende der SPD-Fraktion<br />

Horst Knechtel.<br />

Hintergrund: Im November 1993 hatte die<br />

Stadtverwaltung allen Müll-spar-willigen<br />

Bürgern den kostenlosen Umtausch der<br />

großen 120 l Tonnen in kleinere 80 l Tonnen<br />

mit längeren Leerzeiten angeboten, wenn die<br />

Antragsteller bis zum 1. Dezember d. J.<br />

erfolgt. Die Antragsfrist war später im Gefolge<br />

der damaligen Müllgebührendiskussion<br />

bis zum 1. Januar 1994 verlängert worden.<br />

Viele, wohl allzuviele Darmstädterinnen und<br />

Darmstädter wollten von diesem vermeintlich<br />

doppelten Sparangebot Gebrauch<br />

machen und stellten unverzüglich und fristgerecht<br />

die entsprechenden Tauschanträge.<br />

Ihre Verwunderung darüber, daß danach<br />

lange nichts geschah – bis dann irgendwann<br />

im ersten Jahresdrittel 1994 die Austauschmaßnahmen<br />

erfolgten, wuchs, als sie<br />

anstatt des versprochenen Erlasses der Austauschgebühren<br />

diese doch bezahlen sollten.<br />

Empört wandten sie sich an die Stadt und<br />

reklamierten die versprochene Kostenfreiheit.<br />

Vom Steueramt, so Knechtel, seien sie<br />

mit „dürren Hinweisen“ auf die inzwischen,<br />

nämlich seit 1.1.1994 gültige Gebührensatzung,<br />

„abgespeist“ worden.<br />

Außerdem heiße es in den Schreiben: „Ihr<br />

Hinweis auf die rechtzeitige Antragstellung<br />

vermag daran nichts zu ändern. Vor allem<br />

liegt keine bewußt herbeigeführte Verzögerung<br />

von seiten der Stadt vor. Der Umtausch<br />

der Mülltonnen war nämlich wegen der Vielzahl<br />

der Anträge nicht früher möglich“.<br />

„Das darf doch nicht wahr sein“, so der<br />

SPD-Politiker, daß die Stadt erst großzügigen<br />

kostenlosen Austausch verspricht, die<br />

Antragstellung dazu sogar an eine Frist bindet,<br />

sich dann unfähig zeigt, ihr eigenes<br />

großspuriges Versprechen einzulösen, um<br />

dann die betroffenen Bürger erst recht zur<br />

Kasse zu bitten.<br />

Auf die Erledigung einer „Vielzahl von Anträgen“<br />

hätte die Stadt eben eingestellt sein<br />

müssen, wenn sie schon so etwas in die<br />

Öffentlichkeit setze. Daß sie es nicht war,<br />

könne doch nicht zu Lasten der Antragsteller<br />

gehen.<br />

Inzwischen seien diese mit ihrem berechtigten<br />

Beharren auf Gebührenfreiheit bis auf ein<br />

Muster-Schieds-Verfahren im August vertröstet<br />

worden. Von Bürgernähe und Bürgerservice<br />

könne man da wohl nicht sprechen.<br />

Er fordere den zuständigen Stadtrat Heino<br />

Swyter (FDP) auf, unverzüglich für die<br />

Gebührenfreistellung Sorge zu tragen, das<br />

Versprechen der Stadt somit einzulösen und<br />

so auch dieses für die Stadt nur peinliche<br />

Schiedsgerichtsverfahren erst gar nicht<br />

stattfinden zu lassen.<br />

Jugendaustausch<br />

USA<br />

Als ein „Kernstück der<br />

deutsch-amerikanischen Freundschaft“ findet<br />

auch im nächsten Jahr wieder der parlamentarische<br />

Jugendaustausch mit den USA<br />

statt. Im Rahmen des 12. Parlamentarischen<br />

Patenschaftsprogramms können junge Leute<br />

1995/1996 ein Jahr in die USA gehen.<br />

Darauf weist die Darmstädter CDU-Bundestagsabgeord<strong>net</strong>e<br />

Dr. Sissy Geiger hin.<br />

Das Angebot richtet sich an Jugendliche, die<br />

als Schüler oder Auszubildende für ein Jahr<br />

in einer amerikanischen Familie leben und<br />

dort die Schule besuchen oder ihrem Beruf<br />

nachgehen wollen. Von den Bewerbern werden<br />

im Alltag brauchbare Englischkenntnisse<br />

erwartet. Außer dem Taschengeld entstehen<br />

den Teilnehmern keine Kosten für Reise<br />

und Aufenthalt. Die Reise beginnt am 31.<br />

Juli 1995, bis dahin müssen die Teilnehmer<br />

die 10. Klasse abgeschlossen haben und<br />

müssen nach dem 31. Juli 1977 geboren<br />

sein. Für junge Berufstätige gilt ein Höchstalter<br />

von 21 Jahren. „Der Deutsche Bundestag<br />

erwartet, daß die Stipendiaten als junge<br />

Botschafter ihres Landes einen dauerhaften<br />

Beitrag zur besseren Verständigung leisten“,<br />

heißt es im Informationsblatt. Darin enthalten<br />

ist auch die Teilnahmekarte, die die<br />

Bewerber ausfüllen müssen. Die Unterlagen<br />

sind bei der CDU-Geschäftsstelle, Emilstr.<br />

21, Telefon 26613 erhältlich.<br />

Setzrisse:<br />

Wasserversorger<br />

sind gefragt<br />

Anstatt immer wieder zu versuchen,<br />

allein das Land in die Verantwortung<br />

zu nehmen, fordert der umweltpolitische<br />

Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen<br />

im Landtag, Horst Burghardt, die SPD- und<br />

CDU-Abgeord<strong>net</strong>en im Ried auf, endlich den<br />

Wasserversorgern Druck zu machen, damit<br />

diese ihr Scherflein zur Beseitigung der<br />

Setzrisse beitragen.<br />

„Das Land ist bereit, zwei Millionen Mark<br />

zuzuschießen. Der Fond für die Setzrißgeschädigten<br />

scheitert aber immer noch daran,<br />

daß die Wasserwerke nicht bereit sind,<br />

ihren finanziell angemessenen Beitrag zu leisten.<br />

Die Verhältnisse dürfen nicht auf den<br />

Kopf gestellt werden, so daß diejenigen, die<br />

für die Setzrisse verantwortlich sind, sich<br />

möglichst billig aus der Affäre ziehen. Wer<br />

jahrzehntelang das Ried leergepumpt und<br />

damit gutes Geld verdient hat, muß sich jetzt<br />

auch den Kosten stellen“, so Horst Burghardt.<br />

Er lehnt es weiterhin aus rechtlichen<br />

Gründen ab, die Einnahmen aus der Grundwasserabgabe<br />

für die Sanierung der Setzrisse<br />

heranzuziehen. „Aus der Grundwasserabgabe<br />

müssen Wassersparprojekte finanziert<br />

werden und nicht die Sünden der Vergangenheit.“<br />

Sind Faschisten<br />

wählbar?<br />

Gedanken zum Besuch des<br />

italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi<br />

in Bonn:<br />

Regierungssprecher Vogel äußerte sich, von<br />

Journalisten auf den zu erwartenden<br />

Umgang mit Berlusconi von Seiten der Bundesregierung<br />

angesprochen, wie folgt: „Wir<br />

können ja wohl nicht sagen, mit denen reden<br />

wir nicht.“ Man müsse diese Leute eben „mit<br />

einer gewissen Vorsicht betrachten“, sie<br />

„geschäftsmäßig behandeln“ und im übrigen<br />

mal sehen, „was die da so treiben“ (nachzulesen<br />

in „FR“ vom 21.6.).<br />

(Wenn es nach „denen da“ ginge, „trieben<br />

sie im übrigen“ als erstes die Homosexuellen<br />

in ein KZ; so äußerte sich vor kurzem ein<br />

Abgeord<strong>net</strong>er der faschistischen Fraktion im<br />

italienischen Parlament.)<br />

Die Leute, so sagt Vogel fast entschuldigend,<br />

seien „ja schließlich gewählt worden“.<br />

Wir fragen uns nun, ob die Republikaner in<br />

den Augen der CDU/CSU wohl die schlimmeren,<br />

die gefährlicheren Faschisten sind<br />

als die italienischen Neofaschisten und diejenigen,<br />

die diese in die Regierungsverantwortung<br />

holten. Schließlich gilt es in<br />

Deutschland, die Republikaner und andere<br />

rechtsradikale Parteien entschieden und mit<br />

allen demokratischen Mitteln zu bekämpfen.<br />

Die Republikaner, die DVU und die NPD sind<br />

„schließlich“ auch „gewählt worden“, jene<br />

behandelt man aber nicht „geschäftsmäßig“,<br />

bei jenen kann man durchaus sagen, „mit<br />

denen reden wir nicht.“ Sind diese Parteien<br />

denn nun gefährlicher und bekämpfenswerter<br />

als Neofaschisten in einer Regierung?<br />

Geht es nach dem neuesten Verfassungsschutzbericht<br />

sind sie es nämlich nicht.<br />

Hierin werden die Republikaner noch nicht<br />

einmal unter den extremen Parteien aufgelistet.<br />

Dies scheint uns ein interessanter Widerspruch,<br />

der vermuten läßt, daß es der<br />

CDU/CSU bei der Bekämpfung von rechten,<br />

rechtsradikalen, rechtsextremen (oder wie<br />

auch immer) Parteien nicht etwa um die<br />

Bekämpfung des zugrundeliegenden Gedankenguts<br />

geht, sondern ausschließlich um<br />

Wählerstimmen, die bei einem „geschäftsmäßigen“<br />

Umgang mit jenen Parteien verloren<br />

gingen, da signalisiert würde, daß diese<br />

durchaus wählbar, weil dialogfähig seien.<br />

Das verwirrende und nicht ganz einfache<br />

Spagat zwischen Bekämpfen und gleichzeitigem<br />

Verharmlosen ist in unseren Augen<br />

notwendiger Wahlkampfstil der CDU/CSU,<br />

einerseits eine Unwählbarkeit zu attestieren,<br />

andererseits diejenigen, die sie trotzdem<br />

wählten, nicht auszugrenzen und als rechtsextrem<br />

zu diffamieren. Schließlich handelt<br />

es sich bei diesen Menschen auch und vornehmlich<br />

um potentielle Wähler der „christlich-demokratischen“<br />

Volksparteien.<br />

Das Signal der Wählbarkeit wird aber nichtsdestotrotz<br />

durch den geschäftsmäßigen<br />

Umgang mit Berlusconi gesetzt. Wählbar<br />

sind die mit ihm regierenden Neofaschisten,<br />

nur bitte nicht in Deutschland. Denn hier<br />

schädigen sie unser Image im Ausland und,<br />

was viel schwerer wiegt, hier klauen sie den<br />

„demokratischen“ Volksparteien die Stimmen<br />

am rechten Rand.<br />

Wählbar sind Faschisten im übrigen auch<br />

nicht in Rußland, denn hier bedrohen sie<br />

eine gerade erst erkämpfte Demokratie, die<br />

den Kommunismus besiegte. Hier bedrohen<br />

sie, die Faschisten der Marke Schirinowski,<br />

auch die demokratieliebenden Staaten des<br />

ehemaligen Warschauer Paktes, sie bedrohen<br />

Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien<br />

und nicht zuletzt auch den inneren Frieden in<br />

Deutschland, den zu schützen sich besonders<br />

die christlich-demokratischen Volksparteien<br />

auf die Fahnen geschrieben haben.<br />

Solch eine Bedrohung geht von italienischen<br />

Neofaschisten sicherlich nicht aus, man<br />

erinnere sich nur an die gute (wirtschaftliche)<br />

Zusammenarbeit mit Italien, die seit<br />

1933 anhält!<br />

Weitere<br />

Baugrundstücke<br />

Der Schutz des städtebaulich<br />

sehr sensiblen Bereiches rechts und links<br />

der Dieburger Straße, von der Odenwaldbrücke<br />

bis zur Fasanerie, ist Gegenstand<br />

einer gemeinsamen dringlichen Antrags-<br />

Initiative der Fraktionen von SPD und Grünen<br />

für die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

am Donnerstag (7.).<br />

Wie der Vorsitzende der SPD-Fraktion Horst<br />

Knechtel dazu mitteilt, sei das Bekanntwerden<br />

eines großvolumigen Bauvorhabens auf<br />

einem der dort befindlichen Grundstücke der<br />

Anlaß für dieses Vorgehen. Es sei zu<br />

befürchten, daß weitere solche Bauten folgen<br />

werden, weil es in diesem Bereich einerseits<br />

keine Bebauungspläne gebe, andererseits<br />

jedoch großzügig zugeschnittene<br />

Grundstücke. Diese machten sicherlich an<br />

vielen Stellen eine bauliche Nachverdichtung<br />

durch den Bau von Wohnungen möglich. Die<br />

entsprechende Bautätigkeit solle jedoch<br />

durch Bebauungspläne, die dem Grüncharakter<br />

des Straßenzuges Rechnung tragen,<br />

gesteuert werden.<br />

Bis diese Pläne erstellt seien, so Knechtel,<br />

solle der Magistrat nach Möglichkeit eine<br />

Bauveränderungssperre z. B. durch die Vorlage<br />

einer Erhaltungssatzung für das Gebiet<br />

prüfen.<br />

POLSTERSTOFFE<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ

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