„Wer würde denn den Hochzeitsturm schleifen ... - Zfd-online.net
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S 1/2/3 A 51 24.07.1995 14:01 Uhr Seite 1<br />
satirisch<br />
justizhörig<br />
experimentell<br />
wahrheitenliebend<br />
frei-volksherrschaftlich<br />
Freitag, 25.6.1993<br />
25. Kalenderwoche, 4. Jahrgang<br />
Ein mächtiges Tauziehen zwischen<br />
verschie<strong>den</strong>sten Interessengruppenum<br />
<strong>den</strong> „August Euler Flugplatz“<br />
am Darmstädter Autobahnkreuz<br />
dauert an, seit die Amerikaner<br />
Deutschlands ältesten Flughafen<br />
geräumt haben. TH Darmstadt und<br />
Akaflieg, Gemein<strong>den</strong>, Privat- und<br />
Geschäftsflieger, Industrie- und<br />
Handelskammer und Naturschützer<br />
treten an die Öffentlichkeit, um ihre<br />
jeweiligen Wünsche durchzusetzen.<br />
Immerhin 70 Hektar groß ist das<br />
Gelände und bietet somit viel Platz<br />
für Wohnhäuser – so sehen es die<br />
Stadtregierungen Darmstadt und<br />
Griesheim und stoßen auf <strong>den</strong> erbitterten<br />
und gut organisierten Widerstand<br />
der Flieger, die in Pflanzenund<br />
Vogelfreun<strong>den</strong> seltene Verbündete<br />
gefun<strong>den</strong> haben. Darmstadts<br />
Grüne geraten unter scharfe Kritik<br />
aus eigenen Reihen von Umweltschützergruppen<br />
und Bürgerinitiativen<br />
gegen Fluglärm. Ein Überblick<br />
über die Geschichte und Bedeutung<br />
des kleinen Flughafens und die differieren<strong>den</strong><br />
Interessen soll der folgende<br />
Bericht geben.<br />
Sie lesen<br />
3 Eine loyale Zensorin<br />
4 Verärgerter<br />
Regierungspräsi<strong>den</strong>t<br />
5 Eichels Spagat<br />
vor Arbeitgebern<br />
6 Darmstädter zu Obdachlosen<br />
7 Rassisten<br />
hinter geschlossenen Türen<br />
8 Eine Südafrikanerin berichtet<br />
9 Bücher brannten<br />
vor 60 Jahren in Darmstadt<br />
10 Ein Stifter, ein Literaturpreis<br />
und die Antichristen<br />
11 Saña: Ein Intimus<br />
der germanischen Psyche<br />
13 Bekennerschreiben<br />
14 Briefe an die Redaktion<br />
und passende Antworten<br />
15 Was die Parteien meinen<br />
Nächste Ausgabe:<br />
Freitag, 9.7. 93<br />
Finanzprobleme hinterlassen der schei<strong>den</strong>de<br />
Oberbürgermeister Günther Metzger<br />
und sein Kämmerer Otto Blöcker<br />
ihren Nachfolgern. Terminlich geschickt<br />
verzögert, brachten sie die Haushaltsmisere<br />
erst nach der Kommunal- und<br />
OB-Wahl an die Öffentlichkeit: 25 Millionen<br />
fehlen. Die Lücke wäre sicher<br />
noch um zahlreiche Millionen höher<br />
gewesen, hätte nicht der OB in einer<br />
Blitzaktion im Dezember noch schnell<br />
die Verträge für <strong>den</strong> Verkauf des HEAG-<br />
Fina-Blocks gezeich<strong>net</strong>.<br />
Die Gründe dafür, auch wenn einige sie<br />
gern außerhalb suchen und fin<strong>den</strong> (im<br />
Fond für die „Deutsche Einheit“ etwa),<br />
lassen sich bei sorgfältigem Hinschauen<br />
unter anderem in unkontrollierten städtischen<br />
Ausgaben, in sinken<strong>den</strong> Gewerbesteuereinnahmen<br />
(11 Millionen weniger<br />
als geplant) und in gekürzten Landesmitteln<br />
(1,4 Millionen) entdecken.<br />
Die Einnahmen sinken so drastisch, daß<br />
die Stadt mit ihren Finanzen nur noch<br />
klarkommt, wenn sie Grundstücke und<br />
stadteigene Betriebe veräußert. Dies ist<br />
Finanzpolitik seit einigen Jahren, und<br />
erste Folgen bekommen die DarmstädterInnen<br />
schon zu spüren: Drastisch<br />
steigende Wassergebühren beispielsweise.<br />
Gleichzeitig mit dem Eingeständnis<br />
städtischer Mißwirtschaft, wurde ihre<br />
Erhöhung um 50 Prozent (dies ist kein<br />
alle 14 TageT<br />
Nummer 51<br />
„Wer würde <strong><strong>den</strong>n</strong><br />
<strong>den</strong> <strong>Hochzeitsturm</strong> <strong>schleifen</strong> lassen?“<br />
Griesheim: Deutschlands ältester Flughafen vor dem Aus<br />
Wer sich als Wochenend-Spaziergänger<br />
im Wald um Darmstadt über <strong>den</strong> lästigen<br />
Lärm der kleinen Sportflugzeuge<br />
ärgert, sollte wissen, derzeit steigen die<br />
Krachmacher nicht vom „August-Euler-<br />
Flugplatz“ auf. Mit Erlaß vom<br />
25.1.1993 hat der Bundesverkehrsmini-<br />
ster <strong>den</strong> Flugplatz geschlossen. Lediglich<br />
eine befristete Nutzung des Darmstädter<br />
Magistrats vom 20.8.92 gestattet<br />
der TH heute übergangsweise <strong>den</strong> Flugbetrieb<br />
für vier Segelflugzeuge und<br />
einen Motorsegler.<br />
☛ Fortsetzung Seite 2<br />
Die erste Flugpost<br />
der Welt:<br />
14 Tage flog<br />
der „Gelbe Hund“<br />
als Postflugzeug<br />
im Jahr 1912<br />
von Niederrad<br />
über Darmstadt und Worms<br />
nach Mainz.<br />
Die Begeisterung<br />
war damals groß:<br />
Mit Militärmusik<br />
und Galapostillionen<br />
wur<strong>den</strong> die Flieger<br />
festlich empfangen.<br />
Fotos aus „Der tolle Euler“<br />
CDU wird Vorlage des Kämmerers nicht zustimmen<br />
Druckfehler!) angekündigt. Der Kämmerer<br />
jammerte unter anderem vor, daß die<br />
Kosten für das Unterbringen von<br />
Obdachlosen mindestens 3,2 Millionen<br />
betragen. Kein Wunder, <strong><strong>den</strong>n</strong> wenn städtische<br />
Gelder für Mietwucher weggeworfen<br />
wer<strong>den</strong>, statt in sozialen Wohnungsbau<br />
gelenkt zu wer<strong>den</strong>, sind hohe<br />
Kosten unumgehbare Folge.<br />
Über die gigantisch teuren Heimkosten<br />
für das Unterbringen älterer Menschen<br />
von 5,2 Millionen klagt der Kämmerer –<br />
auch das darf nicht wundern, wenn die<br />
lächerlich geringen Kosten für private<br />
Pflegehilfe von wenigen hundert Mark<br />
gegen eine unwillige Politik und eine<br />
gleichziehende Verwaltung erkämpft<br />
sein wollen. Gutachten wie für das Bürgerhaus<br />
Martinsviertel (auch „Eikodrom“<br />
genannt) sollen bereits die Millionenhöhe<br />
erreicht haben, ohne daß auch<br />
nur ein Handschlag getan wor<strong>den</strong> ist,<br />
geschweige <strong><strong>den</strong>n</strong> der Bau beschlossen<br />
wor<strong>den</strong> war. Auch der Verwaltungshaushalt,<br />
aus dem laufende Kosten wie Löhne,<br />
Gehälter, Mieten und ähnliches beglichen<br />
wer<strong>den</strong> müssen, ist inzwischen<br />
so hoch, daß die Stadt zum Verkauf von<br />
Grundstücken gezwungen ist. Den zweiten<br />
Part bildet der Vermögenshaushalt,<br />
und da hat die Stadt nicht mehr viel Möglichkeiten:<br />
Der Marienplatz ist noch<br />
nicht bezahlt, für das geplante Gewerbegebiet<br />
Gehaborn beispielsweise liegen<br />
Abgesang<br />
Einzelpreis 2,70 DM<br />
Postfach 10 11 01, 64211 Darmstadt, Telefon 0 6151/71 98 96<br />
Wer will was haben gegen diesen<br />
Mann? Gar Leichenfledderei vollziehen,<br />
statt trauernd laut zu klagen?<br />
Der Abschied sollte doch so glänzend<br />
sein. Der Dank, war er sich<br />
wohl gewiß, kommt mit der Zeit.<br />
Gekrönt von Muse(e)n ewig zeitlos<br />
Sinn für Kunst und Offenheit für alle<br />
Welt, da Schwesternstädte, mehr<br />
als seiner Füße Zehen, zu Darmstadts<br />
Metzgerungenschaften zählen.<br />
Drum wollt’ er alle Übel dieser<br />
Welt mit Schleiern der Kultur verschönen.<br />
Auch war er überzeugt<br />
von seines Geistes Waffenkraft, die<br />
eine Stadt und mehr noch Demokraten<br />
nach seinem Ebenbilde<br />
schafft.<br />
Welch großes Schicksal harret dessen,<br />
der, von des Vaters Genius zu<br />
Höherem verpflichtet, fortwährend<br />
höher kreist, bis er im Gipfel sich<br />
verstiegen, <strong>den</strong> Blick nurmehr nach<br />
unten senken kann? Berufen zu des<br />
Herzogs geist’ger Folgschaft,<br />
schwor er <strong>den</strong> Ahnen seiner Wünsche,<br />
die Bürde auf sich selbst zu<br />
nehmen und Adelsblute bürgerlich<br />
zu frönen.<br />
Er schritt voran und sagte nicht<br />
wohin, er hatte immer recht und<br />
fragte nicht worin. Hightech-Zeiten<br />
ahnte er im Kommen, und Cyber-<br />
Space war seines Faustus Unterpfand.<br />
Entrückt von unserer tumben<br />
Welt, sah er sich schon in virtuellen<br />
Wirklichkeiten. Doch leben<br />
wir im Jetzt und Heut.<br />
Wer Sozi ist und obendrein <strong>den</strong><br />
A<strong>den</strong>auer liebt? Im Krämerla<strong>den</strong><br />
gibt es alle Güter, was zählt, das ist<br />
doch nur das Gold. An solchen<br />
Plätzen rech<strong>net</strong> Schacher mehr<br />
<strong><strong>den</strong>n</strong> Treu und Glauben, das Ideal<br />
verkommt zu Inhalt fremder Welten.<br />
Der Kaufmannsgeist und Walter<br />
unserer Immobilien, er machte<br />
1000-Jahres-Schlußverkauf. Doch<br />
La<strong>den</strong>hüter blieben ihm gar viele:<br />
Ob Schlachthof, Gehaborn, Marienplatz<br />
– die wohlfeil angebot’nen<br />
Leckerbissen, sie fan<strong>den</strong> ihre Käufer<br />
nicht. Das ist des Krämers Alptraum<br />
allemal, die La<strong>den</strong>hüter, viele<br />
an der Zahl, sie fressen Löcher in<br />
die Kassen. Allein sein Spezi Mengler,<br />
auf ihn war Verlaß, der stopft<br />
die ärgste Lücke heut mit<br />
Mißwirtschaft:<br />
25 Millionen -Lücke im Haushalt<br />
die für einen Verkauf erforderlichen<br />
Genehmigungen nicht vor – übrigens<br />
auch hier sind schon teure Planungskosten<br />
investiert. Fortschritt, vor allem<br />
schnell gewollter, kostet seinen Preis.<br />
Eine genaue Analyse der Kosten – man<br />
höre und staune – ist nicht möglich. Beispielsweise<br />
ist die Stadt nicht in der<br />
Lage, zu beantworten, wieviel Geld<br />
einschließlich der anteiligen Lohnkosten<br />
in die Städtepartnerschaften fließt. Es<br />
fehlt eine sogenannte Kostenstellenrechnung,<br />
die solche Zahlen ausspuckt. Bei<br />
solch offen eingestan<strong>den</strong>er Pleite kommen<br />
<strong><strong>den</strong>n</strong> auch erstaunliche Zahlen an<br />
die Öffentlichkeit, neben 2.800 städtischen<br />
Angestellten und weiteren 1.000<br />
für die Kliniken wer<strong>den</strong> „mehrere hundert<br />
Personalstellen von Vereinen und<br />
Verbän<strong>den</strong> mitfinanziert“, kritisiert die<br />
CDU. Wieso aus öffentlichen Mitteln?<br />
Sind das alles gemeinnützige Organisationen<br />
oder gar parteinützige?<br />
Die fehlen<strong>den</strong> Gelder sollen eingespart<br />
wer<strong>den</strong>, „durch eine verschärfte Stellenbesetzungssperre,<br />
durch Privatisierung<br />
städtischer Dienstleistungen, durch<br />
Zusammenlegung von Ämtern und die<br />
Neuordnung von Zuständigkeiten und<br />
durch Streichung städtischer Dienstleistungen<br />
und Entbürokratisierung“.<br />
Eine Krämerseele<br />
☛ Fortsetzung Seite 3<br />
offen<br />
bissig<br />
kritisch<br />
unabhängig<br />
überparteilich<br />
D 11485 D<br />
Heag-Hallen-Fina-Block. Doch<br />
uns’re Fürsten sind sich ihrer<br />
eig’nen Pfründe wohl gewiß, die<br />
Sorgen tragen solche dann, die<br />
ohnehin schon Federn lassen.<br />
Was einem Herzog Erbe ist, der<br />
Demokraten-Kaufmann steht in<br />
and’rer Pflicht. Er muß sich seiner<br />
Herrschaft selbst versichern, von<br />
Gottes Gna<strong>den</strong> kommt sie nicht.<br />
Die Mittel und die Wege heißen:<br />
Erdienen, schachern, Wechsel nehmen,<br />
Posten geben und in Ängsten<br />
sein. Wer seines Herren Stimme<br />
hörig, dem geht es wohl. Wer Folgschaft<br />
weigert, muß die Pfründe<br />
lassen und wird verbannt aus Krämers<br />
Näh’.<br />
Wo sich der Kaufmannsgeist mit<br />
fürstlichem Gehabe paart, bleibt<br />
doch nicht mehr als nur des bloßen<br />
Geldes Knistern. Und stimmt die<br />
Kasse nicht, so laß’ er’s lieber sein.<br />
Was er vererbt? Soziale Not, von<br />
Roma-Sinti reine Gassen, geplündert<br />
leere städt’sche Kassen.<br />
Ungastlich Gastlichkeit inmitten<br />
von Gewerbebrachen, <strong>den</strong> kalten<br />
Mißdunst Korruption und zahllos<br />
zahlreich Posten für des Hofes<br />
Schranzen – wer mag, der findet<br />
drin sozialen Zug: 4000 Köpfe zählt<br />
heut’ die Verwaltung städt’scher<br />
Belange. Was muß das für ein<br />
Paradiese sein, wo so viel Menschen<br />
tätig sich um and’re kümmern?<br />
Wer das Soziale um des lieben<br />
Mammon Willen ausverkauft,<br />
schafft Elend um <strong>den</strong> eig’nen<br />
Altersthron, champagnertrunk’ne<br />
Augenbinde nur bewahrt ihn vor<br />
Gewissenspein.<br />
Für Krämerseelen ist das Auto<br />
Lieblingskind (bei Freund Mengler<br />
jedeR seine Parke find’t) und<br />
Straßen ziehen Käufer an, damit<br />
die Stadt gewinnen kann. Auch<br />
heute gilt wie anno dazumal für<br />
Krämer-Kirchen-Seelenfänger –<br />
sobald das Geld im Kasten klingt,<br />
des Machers Seel’ in Himmelshöhen<br />
schwingt. Gewandelt haben<br />
sich nur Nam’ und Ziel, das Internationale<br />
gilt <strong>den</strong> Herren, und auch<br />
der Tisch, an dem die Reichen sitzen,<br />
viel. Dort möchten sie in trauter<br />
Runde tafeln und hoffen wie die<br />
arme Hundeseel’ auf Knochen von<br />
Magnaten Gna<strong>den</strong>.<br />
Doch kennt des Fürsten Heil’genschein<br />
auch and’re Niederungen<br />
einer Krämer-Existenz. Nicht ungestraft<br />
soll heute wer – sei er auch<br />
noch so Fürst – die Bäche zur Kloake<br />
wandeln; zwar ist das Urteil noch<br />
in Sicht, doch einfach Gülle, Blut<br />
und eklig’ Exkremente per hoheitlich<br />
Dekret in Bäche und in Landschaft<br />
gießen, das geht so einfach<br />
nicht. Und wär’s ein Freispruch<br />
<strong><strong>den</strong>n</strong>, wir <strong>den</strong>ken uns <strong>den</strong> Teil, der<br />
ihm und seinem Umweltschützer zu<br />
Gesichte steht.<br />
Verdecken wollt’ der Krämer seine<br />
Taten, dazu war ihm und seinem<br />
Hof der Wortlaut des Gesetzes einerlei,<br />
und wen sein Bannstrahl traf,<br />
der hatt’ nichts mehr zu sagen. So<br />
ist Gesetzestreue ihm zu eines Fürsten<br />
würdiger Zensur geraten.<br />
Nachtragen ist die hohe Kunst der<br />
kleinen Geister. Die Sozis seien<br />
ihrem Fürsten treu und mögen ihm<br />
die Ehr’ nicht schuldig bleiben. Der<br />
Eike steht zu <strong>den</strong>ken, schmiedet<br />
weiterhin in rechter Trautheit Ketten<br />
für der Flüchtling’ hohe Zahl.<br />
Für nahe Zukunft prophezeien wir,<br />
daß seine Hilfsgesellen ihres Meisters<br />
Erbe wahren: Ein Heino wird<br />
auch weiterhin <strong>den</strong> Müll vor aller<br />
Sicht verstecken, und leere Kassen<br />
unser Otto wohl verdecken; das<br />
Haus, das waltet Gerd, der es versteht,<br />
Genossen einzudecken.<br />
Ein Krämer wird nie Fürst, und<br />
wollte einer redlich unsere Güter<br />
walten, so sei er weder Großherzog<br />
noch Schachergeist. Wie uns betrogen<br />
einst die Fürsten, so wahren<br />
wir uns heut’ vor ihrer treuen Folgschaft<br />
großer Zahl. Sanne Borghia
S 1/2/3 A 51 24.07.1995 14:02 Uhr Seite 2<br />
Ausgabe 51 25.6.1993 · Seite 2<br />
☛ Fortsetzung von Seite 1<br />
„Wer würde <strong><strong>den</strong>n</strong> <strong>den</strong> <strong>Hochzeitsturm</strong> …“<br />
Vor 85 Jahren, 1907, gründete August<br />
Euler die erste deutsche Flugzeugfabrik<br />
mitsamt dem ersten Flugplatz und der<br />
ersten Flugschule auf dem „Griesheimer<br />
Sand“, der bis dahin als Truppenübungsplatz<br />
dem Schießen der 1. Artillerie-Brigade<br />
des Großherzogs vorbehalten<br />
war. August Euler war Sportsmann,<br />
Techniker und erfolgreicher<br />
Geschäftsmann. Ein Gründertyp der<br />
technischen Frühzeit, der Symbolfigur<br />
für ein Jahrhundert hätte wer<strong>den</strong> können.<br />
Der ehemalige Dragoner hatte sich<br />
erste sportliche Meriten im Radrennfahren<br />
erworben, führte keine fünf Jahre<br />
später, 1898, in Nischninowgorod das<br />
erste Fahrrad in Rußland vor, und weil<br />
auch russische Akrobaten letzte Zweifel<br />
des Gouverneurs zerstreuen konnten,<br />
kam es zum Tauschhandel, Pelze gegen<br />
Fahrräder. Euler wurde daraufhin<br />
Alleinbevollmächtigter der „Dresdner<br />
AG Seidel und Naumann“ für <strong>den</strong> Verkauf<br />
von Fahrrädern in Europa. Von<br />
1904 bis 1908 widmete er sich dem<br />
gerade aufkommen<strong>den</strong> Bau von Autos<br />
in Frankfurt, kooperierte unter anderem<br />
mit Robert Bosch und konstruierte mehrere<br />
Prototypen. Der Sportsmann<br />
gewann unter anderem ein Automobilrennen<br />
in Monza bevor er sich schließlich<br />
der Fliegerei zuwandte.<br />
Der erste deutsche Pilot<br />
Am 20.8.1909 meldete die „Frankfurter<br />
Zeitung“, daß es Euler als erstem Deutschen<br />
mit einer Eigenentwicklung<br />
gelungen war, einen erfolgreichen Flug<br />
zu bestehen. So erwarb er <strong><strong>den</strong>n</strong> die erste<br />
deutsche Fluglizenz am 1.2.1910. Zahlreiche<br />
Rekorde, auch mit selbst konstruierten<br />
Flugzeugen, folgten. Es ist eine<br />
Zeit der sich jagen<strong>den</strong> Erfolge in Sachen<br />
Flugdauer, Strecken- und Geschwindigkeitsrekor<strong>den</strong>.<br />
Doch davor stand Pionierarbeit:<br />
Mit 30 Angestellten baute<br />
Euler anfangs französiche Maschinen in<br />
Lizenz nach und startete zu „Konstruktionsversuchen“,<br />
wie sie es nannten, <strong><strong>den</strong>n</strong><br />
Impressum<br />
Verleger und Herausgeber:<br />
Michael Grimm<br />
Unser Team :<br />
Uta Schmitt<br />
Eva Bredow<br />
Sanne Borghia<br />
Astrid Nungeßer<br />
Nicole Schneider<br />
Peter J. Hoffmann<br />
Gerhard Kölsch<br />
Ludwig v. Sinnen<br />
und freie AutorInnen<br />
Anzeigen:<br />
verantwortlich Peter Horn,<br />
Heiner Schäfer<br />
Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 5<br />
Postanschrift:<br />
Zeitung für Darmstadt<br />
Postfach 10 11 01, 6100 Darmstadt<br />
Telefon 06151/719896<br />
Telefax 06151/719897<br />
Bankverbindungen:<br />
Volksbank Darmstadt<br />
BLZ 508 900 00, Konto 14 111301<br />
Spen<strong>den</strong>konto:<br />
Postgiroamt Frankfurt<br />
BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601<br />
Druck:<br />
Caro Druck<br />
Kasseler Straße 1a, 6000 Frankfurt 1<br />
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10.000<br />
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jährlich DM 60,00 incl. 7% MWSt.<br />
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Presseberichte von Parteien, Verbän<strong>den</strong> und<br />
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auf Wunsch anonym.<br />
Text und Bild sind mit „QuarkXPress“<br />
auf Apple Macintosh gesetzt und unter Omnis 5 -<br />
Verlagverwaltung organisiert.<br />
Redaktionsschluß<br />
für die nächste Ausgabe: 3.7.93<br />
von Fliegen konnte kaum die Rede sein.<br />
Bruchlandungen in Bäumen und auf<br />
Dächern begleiteten die Entwicklungen<br />
in Griesheim. Zu Übungszwecken war<br />
ein 30 Meter hoher Hügel aufgeschaufelt<br />
wor<strong>den</strong>, von dem, „Chimborasso“<br />
genannt, Euler erste Gleitflugversuche<br />
startete, die er so beschrieb: „Man läuft<br />
mit Hilfe von zwei oder drei Mann flott<br />
gegen <strong>den</strong> Wind an und schwebt bis zu<br />
50 Meter weit“. Euler selbst überlebte<br />
42 Abstürze.<br />
Das Interesse von Adel, Militär und<br />
großer Gesellschaft an Euler wuchs, und<br />
zahlreiche Flugschüler kamen nach<br />
Darmstadt, darunter auch Prinz Heinrich<br />
von Preußen, der Bruder von Kaiser<br />
Wilhelm II. Ihm verdankte Euler späterhin<br />
Protegé und vor allem Militäraufträge<br />
für <strong>den</strong> 1. Weltkrieg. Allerdings<br />
stand auch davor eine Entwicklung, das<br />
Reichspatent Nummer 248 von 1910.<br />
Damit wird der Nachbau eines Maschinengewehres<br />
geschützt, das starr mit<br />
dem Flugzeug verbun<strong>den</strong> ist und mit<br />
einem weiteren Patent durch <strong>den</strong> rotieren<strong>den</strong><br />
Propeller schießen kann.<br />
Begeisterung für Flieger<br />
Die Begeisterung und Anteilnahme der<br />
Öffentlichkeit an der Fliegerei war so<br />
groß, daß Euler 1912 eine Lizenz für<br />
eine Woche Flugpost von Niederrad<br />
über Darmstadt nach Worms und Mainz<br />
beantragte und erhielt. Euler erzählte<br />
selbst, „als Pilot Hidessen nach 13<br />
Minuten und 27 Sekun<strong>den</strong> wieder in <strong>den</strong><br />
Luftraum Darmstadt zurückkam und die<br />
riesige Zuschauermenge sah, flog er<br />
gleich noch ein paar Ehrenrun<strong>den</strong> und<br />
landete dann ohne Zwischenfälle. Viele<br />
tausend Zuschauer, darunter auch die<br />
Großherzogin und die städtischen<br />
Honoratioren klatschten und riefen bravo!<br />
Die Ovationen wur<strong>den</strong> nur noch von<br />
<strong>den</strong> Militärmusikern und einer Kapelle<br />
hornblasender Galapostillione übertönt.“<br />
Die Versailler Verträge<br />
Um Griesheim wurde es ab 1912 ruhiger,<br />
<strong><strong>den</strong>n</strong> Euler hatte in Frankfurt bereits<br />
ein weiteres, wesentlich größeres Werk<br />
gebaut und beschäftigte mehr als 3.000<br />
Angestellte. Umfangreiche Aufträge für<br />
Militärmaschinen im 1. Weltkrieg<br />
ließen einen weiteren Aufschwung zu,<br />
der erst durch <strong>den</strong> verlorenen Krieg ein<br />
vorübergehendes Ende fand. Euler verhandelte<br />
als Unterstaatssekretär des<br />
Reichsamtes für das Luftfahrtwesen die<br />
Bedingungen des Versailler Vertrages<br />
in Sachen Fliegerei aus.<br />
Über die Aktivitäten Eulers in der NS-<br />
Zeit schweigt sein Biograph Egon Kronenwerth.<br />
Aus dessem Buch „Der tolle<br />
Euler“ stammen die o.a. Beschreibungen<br />
und Daten. Lediglich Anekdotisches<br />
über Hermann Göring, dem<br />
Reichminister der Luftfahrt unter Hitler,<br />
der ein Gemälde von Euler haben wollte,<br />
es aber nicht bekam, über Treffen mit<br />
Udet und anderen Größen der Wirtschaft<br />
und des Militärs, lassen Rückschlüsse<br />
auf höchste Verbindungen zu.<br />
Euler ist 1957 in Frankfurt gestorben.<br />
Segelflug im Aufwind<br />
Die Versailler Verträge zielten darauf<br />
ab, die deutsche militärische Luftfahrtindustrie<br />
zu zerstören. Nach Artikel 198<br />
durfte Deutschland „Luftstreitkräfte<br />
weder zu Lande noch zu Wasser als Teil<br />
seines Heerwesens unterhalten“, und<br />
Artikel 202 besagte, „Mit Inkrafttreten<br />
des gegenwärtigen Vertrages ist das<br />
ganze militärische Luft- und Marineluftfahrzeugmaterial<br />
… auszuliefern“.<br />
In der Folge nahm der Segelsportflug<br />
seinen Aufschwung. Zwar hatte die<br />
„Flug-Sport-Vereinigung“ in Darmstadt<br />
schon 1909 schon mit dem Bau von<br />
Doppeldeckern begonnen und war sogar<br />
838 Meter weit geflogen, mußte aber<br />
während des 1. Weltkriegs die Aktivitäten<br />
unterbrechen. Der Verein fungierte<br />
gewissermaßen als Vorgängerin der<br />
„Akademischen Fliegergruppe Darmstadt“,<br />
kurz Akaflieg genannt, die im<br />
Jahr 1921 gegründet wor<strong>den</strong> war.<br />
Weltweiter Ruhm<br />
Nach anfänglichen Mißerfolgen gelang<br />
<strong>den</strong> Akafliegern im Jahr 1922 ein erster<br />
Durchbruch. Mit D4 „Edith“, benannt<br />
nach der Tänzerin Edith Bielefeld, die<br />
um Geld für die Akaflieg getanzt hatte,<br />
startete Pilot Botsch für <strong>den</strong> „Opel-Ziellandepreis“.<br />
Die Darmstädter Segelflieger<br />
wur<strong>den</strong> prompt weltbekannt. So<br />
flossen <strong><strong>den</strong>n</strong> schließlich auch Gelder der<br />
Hessischen Landesregierung. Der Bau<br />
des D9 „Konsul“ führte zu dem besten<br />
Segelflugzeug im Jahr 1923. Der Prototyp<br />
wurde weltweit zum Vorbild.<br />
Ein Prinzip der Akaflieg trieb <strong>den</strong><br />
Segelflugzeugbau voran: 800 Arbeitsstun<strong>den</strong><br />
im Flugzeugbau mußte ein Stu<strong>den</strong>t<br />
erstmal hinter sich gebracht haben,<br />
bis er in die Luft gehen durfte. Der Austausch<br />
zwischen handwerklich und fliegerisch<br />
versierten Stu<strong>den</strong>ten und unterstützen<strong>den</strong><br />
Professoren sowie das Ziel,<br />
jedes Jahr ein noch leistungsfähigeres<br />
Flugzeug in eigener Fertigung zu bauen,<br />
trieben Forschung und Praxis kräftig<br />
voran. Aufschwung erhielt die Darmstädter<br />
Fliegerei auch durch <strong>den</strong> Flughafen<br />
auf der Lichtwiese (1924) und die<br />
Gründung der „Deutschen Forschungsanstalt<br />
für Segelflug“ (DFS) im Jahr<br />
1926. Für die Akaflieg beginnt in <strong>den</strong><br />
zwanziger Jahren eine Serie von Rekor<strong>den</strong><br />
und Weltrekor<strong>den</strong>, die erst 1939<br />
durch <strong>den</strong> zweiten Weltkrieg unterbrochen<br />
wird, kriegstechnische Entwicklungen<br />
haben Vorrang. Aber bis dahin<br />
hat die Aka-flieg unter anderem durch<br />
die Entwicklung des Flugzeugschlepps<br />
(1931), der Thermik- und Wolkenwindforschung<br />
ermöglichte, die weltweite<br />
Führung im Segelflug übernommen.<br />
Das Luftfahrtzentrum<br />
Nach Kriegsbeginn wer<strong>den</strong> in Griesheim<br />
Lastensegler entwickelt und Piloten<br />
für Einsätze auf der Krim, in Kreta<br />
und in Belgien geschult. Der Griesheimer<br />
Flughafen wird wegen seiner<br />
Bedeutung in der Forschung erst von<br />
<strong>den</strong> vordringen<strong>den</strong> Aliierten im Jahr<br />
1943 und 44 zerstört und dann von <strong>den</strong><br />
abrücken<strong>den</strong> deutschen Truppen. Dennoch<br />
blieben der Windkanal aus dem<br />
Jahr 1935, ein Hangar und eine Werkstatthalle<br />
der DFS erhalten. Sie stehen<br />
heute unter Denkmalschutz. Eine<br />
Geschichte der Darmstädter Luftfahrt ist<br />
in Vorbereitung und soll im Herbst diesen<br />
Jahres erscheinen, kündigt Denkmalschützer<br />
Nikolaus Heiss an.<br />
In der Nachkriegszeit haben die Amerikaner<br />
<strong>den</strong> Flughafen genutzt, und die<br />
Hessenflieger, eine Motorsport-Fliegergruppe,<br />
durfte mit sechs Maschinen<br />
starten.<br />
Daß Akaflieg und TH <strong>den</strong> Griesheimer<br />
Flugplatz weiter betreiben möchten, ist<br />
verständlich: Sie haben kurze Anfahrzeiten,<br />
ihre Werkstätten stehen dort und<br />
ihre Flugzeuge verursachen nach ihren<br />
Angaben keinen, da sie ohnehin nicht<br />
mehr als 15 bis 20 Starts und Landungen<br />
pro Woche machen. Ehrgeizige Ziele<br />
verfolgt die TH: Eine Verbesserung der<br />
Laminarflügeltechnik.<br />
Der Griesheimer Flughafen grenzt im Osten an das Autobahnkreuz Darmstadt, im<br />
Nor<strong>den</strong> an Griesheim und im Sü<strong>den</strong> und Westen an Spargeläcker. Rund 70 Hektar<br />
umfaßt die Fläche und die Startbahn ist mit 1,5 Kilometern länger als die Egelsbacher<br />
Landebahnen.<br />
Klaus Bauer, der erste Vorsitzende der Akaflieg, und Martin Däumigen bei der<br />
Arbeit an ihrem neuen Segelflugzeug D 41. Zwischen 7 und 9 Jahren brauchen die<br />
Stu<strong>den</strong>ten für <strong>den</strong> Bau eines neuen Flugzeugs. Von diesem Doppelsitzer erhoffen sie<br />
sich wieder Weltruhm.<br />
Foto Schäfer<br />
Die Akaflieg erhofft sich durch Neuentwicklungen<br />
einen besseren Auftrieb, der<br />
der gesamten Luftfahrt zugute kommen<br />
und bis zu 30 Prozent Flugbenzin einsparen<br />
helfen soll. Forschung für Flugzeuge<br />
mit Solartechnik und Katalysator-<br />
Motoren stehen auf dem Programm, um<br />
einerseits Fluglärm zu mindern und andrerseits<br />
die Umwelt zu schützen.<br />
TH sitzt auf vielen Stühlen<br />
Die Akaflieg findet in der „August-<br />
Euler Flugbetriebs GbR“ (gegründet<br />
2.1992) einen Verbündeten, zumal Professor<br />
Ewald von der TH neben Akaflieg<br />
und TH-Interessen auch die der<br />
GbR für Privat- und Geschäftsfliegerei<br />
vertritt. Ihr Ziel ist klar, der Erhalt des<br />
Flughafens, und dafür setzen sich die<br />
Mitglieder engagiert ein, unter anderem<br />
unterstützt von der Industrie- und Handelskammer.<br />
Von 54 Firmen in der<br />
Region, die Interesse an einem Flugplatz<br />
hätten, weiß der Geschäftsführer<br />
der Flugbetriebs GbR, Gernot Köhler,<br />
zu berichten, und Graf Schweinitz von<br />
der Industrie- und Handelskammer<br />
meint, „Lärm kann man ja auch gestalten“,<br />
<strong><strong>den</strong>n</strong> über Zahlen für Starts und<br />
Landungen verfüge er „noch nicht“.<br />
Von der Attraktivität des Industriestandorts<br />
spricht Graf Schweinitz und von<br />
Arbeitsplätzen, die erhalten sein wollen<br />
- doch am Abend des 15.6. mag ihm so<br />
recht niemand glauben, seine Freunde in<br />
Sachen Industrie-Interessen und Fortschritt,<br />
die Behör<strong>den</strong> setzen dieses Mal<br />
andere Akzente. Zu einer offenen und<br />
kontroversen Diskussion über <strong>den</strong><br />
August-Euler-Flugplatz hatten Darmstadts<br />
Grüne ins Mollerhaus gela<strong>den</strong>.<br />
Kleinod der Natur<br />
Unter anderem waren auch Naturschützer<br />
gefolgt. Der Griesheimer Flugplatz,<br />
als seit acht Jahren militärisch abgeriegeltes<br />
Gelände, stellt ein „naturwissenschaftliches<br />
und naturhistorisches<br />
Kleinod“ dar, begründet Professor<br />
Große-Brauckmann von der TH die<br />
Interessen der Botaniker. „Es geht um<br />
ein bemerkenswertes Mosaik vielfältiger<br />
Ökosysteme, das in seiner Art einmalig<br />
ist.“ Seltene und bedrohte Pflanzen-<br />
und Vogel- und Tierarten kommen<br />
darin vor, die angeblich nur noch an vier<br />
anderen Stellen in Hessen zu fin<strong>den</strong><br />
sind. Über „Millionen der seltenen<br />
Sandgrasnelken“ bis hin zu Wiedehopf,<br />
Brachpieper, Steinschmätzer konnten<br />
Naturfreunde auch seltenen Insekten<br />
wie die Kreiselwespe, „die wir nur noch<br />
an zwei Standorten in der Bundesrepublik<br />
haben“, beobachten, auch die italienische<br />
Schönschrecke und Steppenbienen<br />
zählen sie auf. „Hier können Sie<br />
noch einmal <strong>den</strong> ursprünglichen Charakter<br />
dieser Landschaft erleben“. Im<br />
Regierungspräsi<strong>den</strong>ten fin<strong>den</strong> sie eine<br />
verbündete Behörde.<br />
Dort will man <strong>den</strong> Flughafen als Naturschutzgebiet<br />
ausweisen, das Gelände<br />
verriegeln und keine Nutzung mehr<br />
zulassen.<br />
Naturschutz und Fliegen?<br />
Dennoch geht Bastian Brinkmann,<br />
Naturschutzbeauftragter des BUND,<br />
einen Kompromiß ein: „Eine…Nutzung,<br />
z. B. durch Forschungsprojekte<br />
der TH wäre durchus <strong>den</strong>kbar und mit<br />
<strong>den</strong> Interessen des Naturschutzes vereinbar“.<br />
Bedingung für Brinkmann:<br />
„Eine Sondernutzungsgenehmigung für<br />
die TH” und, „um jede Bebauung zu<br />
verhindern, sind wir bereit, ein Konzept<br />
zu vertreten, das ihre (der Privatflieger<br />
red) Interessen berücksichtigt, wenn das<br />
Fliegen an Sonn- und Feiertagen unterlassen<br />
und begrenzte Flugzahlen kontrolliert<br />
wer<strong>den</strong>“. Da geht Brinkmann<br />
sogar über die Zugeständnisse der<br />
Darmstädter Grünen hinaus: Doris<br />
Fröhlich verbreitete am 18.3., „eine eingeschränkte<br />
fliegerische Nutzung (für<br />
die TH) soll auf je<strong>den</strong> Fall erhalten bleiben“,<br />
der „Geschäftsfliegerei“ erteilt sie<br />
aber „eine klare Absage“. Damit setzte<br />
sie sich scharfer Kritik wiederum des<br />
BUND (Arbeitskreis für Fluglärm) aus,<br />
am 2.4. schrieb Volker Nothnagel aus<br />
Weiterstadt: „Wenn Ihr diesen Kuhhandel<br />
im Griesheimer Sand eingeht…<br />
kommt zur Vernunft. Flugverkehr, egal<br />
in welcher Form, ist nicht natur- und<br />
umweltverträglich. Verhindert einen<br />
Flugplatz bei Griesheim“. An seinem<br />
BUND-Naturschutzbeauftragten hatte<br />
er keine Kritik.<br />
Wohnungen und Gewerbe:<br />
Stadt ist Herr des Verfahrens<br />
Darmstadts Grüne aber sitzen zwischen<br />
<strong>den</strong> Stühlen, <strong><strong>den</strong>n</strong> ihr möglicher Koalitionspartner,<br />
die SPD, ließ durch Liegenschaftsdezernent<br />
Gerd Grünewaldt<br />
unmißverständlich erklären: „Das Bundesvermögensamt<br />
ist bereit, der Stadt<br />
Darmstadt das Gelände zu verkaufen …<br />
die Stadt wird Herr des Verfahrens“. Er<br />
weiß sich mit seinem Magistrat und der<br />
Gemeinde Griesheim „einig über eine<br />
gemeinsame Nutzung für 5 Hektar<br />
Wohnungsbau und Gewerbeansiedlung,<br />
die sich mit TH-Forschung verträgt und<br />
wir müssen Ausgleichsflächen ausweisen<br />
und aufforsten“. Dagegen spottet<br />
Professor Ewald: „Ausgleichsmaßnahmen?<br />
Das ist doch ein Witz, ein Biotop<br />
zu opfern, um Aufforstung zu betreiben“.<br />
Aber Grünewaldt ist sich seiner Sache<br />
sicher: „Es geht hier nur um die Ränder,<br />
das Biotop bleibt erhalten“. Allerdings<br />
bleibt er die Antwort darauf schuldig,<br />
was für ein Gewerbe <strong><strong>den</strong>n</strong> angesiedelt<br />
wer<strong>den</strong> soll, das dem Biotop nicht schadet.<br />
☛ Fortsetzung auf Seite 3
S 1/2/3 A 51 24.07.1995 14:02 Uhr Seite 3<br />
MELDUNGEN<br />
Ausgabe 51 · 25.6.1993 · Seite 3<br />
Eine loyale Zensorin<br />
In einer alten Broschüre hatten wir<br />
Bilder von Günther & Günther am<br />
Kochtopf entdeckt (rechts OB Metzger<br />
und links Schauspieler<br />
Strack). Da der Druck sehr<br />
schlecht war, riefen wir bei dem<br />
Fotografen an, um die Original-Vorlage<br />
anzukaufen. Doch er verwies<br />
uns an das Presseamt, da dort seine<br />
letzten Abzüge seien, gegen eine<br />
Nachveröffentlichung hatte er<br />
nichts einzuwen<strong>den</strong>, „das können<br />
Sie ja notfalls auch aus der neuen<br />
Broschüre entnehmen“. Bei der<br />
Druckerei wurde uns bestätigt,<br />
daß eine Broschüre in Auftrag<br />
gegeben wor<strong>den</strong> sei, die Bilder<br />
befän<strong>den</strong> sich jedoch schon wieder<br />
beim Presseamt. Daraufhin<br />
schickten wir unseren Praktikanten<br />
zu der Presseamts-Mitarbeiterin<br />
Lisette Nichtweiss, um die Fotos<br />
abzuholen. Doch er stieß auf<br />
unvermuteten Widerstand. Ohne<br />
Begründung verweigerte sie die<br />
Herausgabe. Unser Praktikant<br />
bekam aber die Diskussion hinter<br />
<strong>den</strong> dünnen Wän<strong>den</strong> mit: „Woher<br />
weiß <strong><strong>den</strong>n</strong> der Grimm, daß die<br />
Fotos hier sind? Das ist doch Spionage!“<br />
hörte er Frau Nichtweiss<br />
☛ Fortsetzung von Seite 2<br />
„Wer würde <strong>den</strong><br />
<strong>Hochzeitsturm</strong>…<br />
Die Gegner<br />
„Ich bitte Sie alle, auch die Flugplatzgegner,<br />
uns zu unterstützen“, versucht<br />
Hessenflieger Gilb um Sympathie zu<br />
werben, doch da hat er schlechte Karten.<br />
Zu sehr sind die Reihen der Gegner<br />
geschlossen: Von Anliegern, die über<br />
Lärm von der Autobahn und dem Flugplatz<br />
klagen („Wir haben <strong>den</strong> Krach“)<br />
und über die Behör<strong>den</strong> sind die Reihen<br />
dicht geschlossen.<br />
Der Vertreter der verbündeten Bürgerinitiativen<br />
gegen Fluglärm, Kessel,<br />
äußert sein Unverständnis darüber, „daß<br />
Darmstadts Grüne für <strong>den</strong> Erhalt eines<br />
Flugplatzes votieren, um ein Biotop zu<br />
schützen, wo zum ersten Mal ein Flugplatz<br />
erfolgreich geschlossen wor<strong>den</strong><br />
ist“. Er kündigt an, „wir wer<strong>den</strong> vehement<br />
die Position der Darmstädter Grünen<br />
bekämpfen“ und warnt davor,<br />
„wenn Griesheim wieder aktiviert wird,<br />
dann kann keiner mehr kontrollieren,<br />
wer dort fliegt. Es gilt, schon <strong>den</strong> kleinsten<br />
Schritt zu verhindern.“<br />
Seine Befürchtungen sind nicht von der<br />
Hand zu weisen: „Die Luftsportbegeisterung<br />
nimmt immer mehr zu“, meldete<br />
der Regierungspräsi<strong>den</strong>t am 18.3.93 und<br />
gab Zahlen bekannt: Allein 1992 wur<strong>den</strong><br />
367 Luftfahrtscheine neu erteilt, so<br />
daß allein im Regierungsbezirk 6.700<br />
Privatflieger zugelassen sind, davon<br />
2.575 Motor-, 1.525 Motorsegel- und<br />
2.011 Segelflieger. Wenn alle Motorflugzeugpiloten<br />
nur dreimal im Jahr am<br />
Wochenende fliegen wollten, sind das<br />
allein 150 Flugzeuge über Darmstadt<br />
und Umgebung. Fliegen muß unbezahlbar<br />
teuer wer<strong>den</strong>… M. Grimm<br />
Eine Verabschiedung, die keine war: Seine offizielle Verabschiedungsfeier aus dem<br />
Amt des Oberbürgermeisters, die für <strong>den</strong> 24.6. in der Orangerie angekündigt war,<br />
hatte Günther Metzger verärgert abgesagt. In einer zweiseitigen Echo-Anzeige<br />
(18.6.) stand dann zu lesen, der Alt-OB werde auf dem Champagnerfest in der Orangerie<br />
am Sonntagvormittag (20.) während des Frühschoppens verabschiedet. Zwei<br />
Tage später hieß es wiederum im DE, sein Abschied werde auf dem Grenzgang mit<br />
<strong>den</strong> Darmstädter BürgerInnen am 19. begangen. Ein gelungenes Verwirrspiel: Metzger<br />
tauchte zwar am Sonntag auf, Gastwirt Dimitri Droukas überreichte ihm eine<br />
Champagner-Kiste (im Bild-Hintergrund Droukas-Sohn Jorgo), es wur<strong>den</strong> Hände<br />
geschüttelt – doch dann war auch schon Schluß der Vorstellung. Der OB a.D. ging in<br />
der Meute unter, schon ganz Privatmann im lässig-hellbeigen Freizeit-Look. Klangund<br />
glanzlos war der Abschied des jüngsten Darmstädter Großherzogs, wie scharfe<br />
Zungen ihn so gern betitelten. Das einzig Prickelnde am 7. Darmstädter Champagnerfest,<br />
„das sich einen guten Ruf bei all <strong>den</strong>en erworben hat, die edle Feste zu feiern<br />
verstehen“ (Werbe-O-Ton OB), war das Anzeigen-Logo, unkten ewige Miesmacher.<br />
„Das ist nur was für Betuchterte“, schimpfte ein älterer Bessunger über die<br />
Preise: Das 0,1 Liter-Glas Sekt war für acht, der Schampus für 12 Mark zu haben,<br />
plus 3 Mark Pfand, versteht sich.<br />
L.v.Sinnen ./ Foto Heiner Schäfer<br />
laut und deutlich. Dann telefonierte<br />
sie mit dem Fotografen und sagte<br />
ihm, „Ich schicke Dir die Bilder<br />
dann zu, du hast ja das Urheberrecht“.<br />
Unserem Praktikanten<br />
erklärte Frau Nichtweiss, „die Bilder<br />
kann ich Ihnen nicht geben,<br />
die sind auf dem Weg zu dem Fotografen.<br />
Ich kann jetzt nichts mehr<br />
machen“ – Er zog unverrichteter<br />
Dinge ab.<br />
Frau Nichtweiss war die regelmäßige<br />
Reisebegleiterin des OB bei<br />
<strong>den</strong> Besuchen der Schwesternstädte.<br />
Normalerweise ist sie<br />
zuständig für das „Kulturannual“<br />
und die Termine im „Lebendigen<br />
Darmstadt“. Ihre Öffentlichkeitsarbeit<br />
gegenüber der ZD zeich<strong>net</strong><br />
sich dadurch aus, daß diese Termine<br />
seit drei Jahren entweder gar<br />
nicht, zu spät auf je<strong>den</strong> Fall aber<br />
unregelmäßig eingehen, weshalb<br />
☛ Fortsetzung von Seite 1<br />
So will es der Kämmerer. Er hatte sich<br />
in der letzten Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
zu rechtfertigen und auf die<br />
Rechnungsprüfung angesprochen, verteidigte<br />
er sein Amt: „Wir prüfen routinemäßig,<br />
ob da zehn Mark fehlen oder<br />
dort“, da wundert es auch wenig, wenn<br />
seine Verwaltung Anträge auf Zuschüsse<br />
genehmigt, in <strong>den</strong>en der Stadt (in<br />
einem von uns nachweisbaren Fall,<br />
sicherlich auch in zahlreichen anderen)<br />
mehr als 100.000 Mark zuviel ausgezahlt<br />
hat. Keine Beanstandungen vermag<br />
auch der Regierungspräsi<strong>den</strong>t<br />
anzumel<strong>den</strong>: Er hat die Wirtschaftspläne<br />
zu prüfen und zu genehmigen – auch<br />
das ist Routine, auch dort findet niemand<br />
etwas zu Beanstan<strong>den</strong>des, seit<br />
Jahren nicht.<br />
Der Einblick in die Aufstellung des<br />
städtischen Haushalts ist höchst kompliziert<br />
und bedürfte laufender Kontrolle.<br />
Oft fällt auf, daß größere öffentliche<br />
Aufträge nicht ausgeschrieben wer<strong>den</strong>,<br />
und so manches Darmstädter Unternehmen<br />
wundert sich darüber, daß die Aufträge<br />
nach außerhalb vergeben wor<strong>den</strong><br />
sind – das Warum dringt nicht an die<br />
Öffentlichkeit.<br />
Doch mit dem Ende der Ära Metzger<br />
dürfte diese Ausgabenpolitik ihr Ende<br />
gefun<strong>den</strong> haben, <strong><strong>den</strong>n</strong> die städtischen<br />
Kassen sind leer, und seinem Nachfolger<br />
und dem neuen Parlament wird das<br />
Sparen sogar vom Regierungspräsi<strong>den</strong>ten<br />
anempfohlen.<br />
Bei der derzeitigen Opposition, der<br />
CDU, lösen diese Zahlen „Entsetzen“<br />
aus, und Rüdiger Moog kündigt an:<br />
„Wir wer<strong>den</strong> diesen Nachtragshaushalt<br />
ablehnen. Darmstadt verkauft nicht nur<br />
Vermögenswerte, um die Investitionen<br />
zu finanzieren, sondern macht auch<br />
noch Schul<strong>den</strong>, um <strong>den</strong> Verwaltungshaushalt<br />
auszugleichen. Das ist, als ob<br />
der Kultur- und Wochenkalender<br />
immer wieder Lücken aufweist.<br />
Beste Kontakte zum „Darmstädter<br />
Echo“, lassen tief blicken.<br />
Trotz Hinweises auf das Hessische<br />
Pressegesetz und in der Vergangenheit<br />
geführte Beschwer<strong>den</strong> bei OB<br />
Metzger und der Kommunalaufsicht,<br />
dem Regierungspräsi<strong>den</strong>ten,<br />
hat sich daran bis heute nichts<br />
geändert. Es scheint, als ob diese<br />
Presseamtsmitarbeiterin nur über<br />
juristische Umwege zu einer gesetzestreuen<br />
Öffentlichkeitsarbeit zu<br />
bringen ist. Darüber wird letztlich<br />
ihr neuer Dienstherr, Oberbürgermeister<br />
Peter Benz, entschei<strong>den</strong>.<br />
Jetzt wird OB Metzger ja endlich<br />
genug Zeit haben, seinem Hobby<br />
zu frönen, in seinem Rezeptbuch<br />
klagte er über „leider viel zu geringe<br />
Freizeit“.<br />
M. Grimm<br />
Mißwirtschaft…<br />
jemand sein Haus verkauft, um davon zu<br />
leben, und nimmt noch einen Kredit auf,<br />
um die Putzfrau zu bezahlen“. Moog<br />
zitiert sich selbst aus dem Jahr 1990, in<br />
dem er diese Entwicklung vorausgesagt<br />
hat, <strong><strong>den</strong>n</strong>och „ist die Stadt vollkommen<br />
unvorbereitet in ihre größte Finanzkrise<br />
seit 1945 geschlittert. Der politische<br />
Wille fehlte.“ Abhilfe sieht er „in einem<br />
Haushaltsausschuß, der jede Woche<br />
Vorschläge unterbreitet, wie gespart<br />
wer<strong>den</strong> kann, <strong><strong>den</strong>n</strong> sparen geht nur über<br />
Hunderte von Einzelmaßnahmen“. Am<br />
Personal kann „nicht nur durch Wiederbesetzungssperre,<br />
sondern auch durch<br />
Umbesetzungen gespart wer<strong>den</strong>“. Und<br />
er stellt die Frage: „Wozu brauchen wir<br />
<strong><strong>den</strong>n</strong> beispielsweise einen Sportberater?“<br />
Vor einer weiteren Privatisierung<br />
warnt er, <strong><strong>den</strong>n</strong> „da gibt es Negativ-Beispiele,<br />
wie die Kläranlage der Südhessischen<br />
mit ihren Kostensteigerungen.<br />
Das löst nicht das Problem, <strong><strong>den</strong>n</strong> Private<br />
wollen ja auch ihren Gewinn abschöpfen“.<br />
Als Beispiel für sparsame Wirtschaftskonzepte<br />
verweist Moog auf die Stadt<br />
Offenbach, dort sind aufgrund des schon<br />
länger bestehen<strong>den</strong> schmalen städtischen<br />
Säckels „Erfahrungen gesammelt<br />
und gute Erfolge erzielt wor<strong>den</strong>“. Bangen<br />
müssen Vereine und Verbände um<br />
ihre städtischen Zuschüsse auch vor der<br />
CDU, „dies ist für uns künftig kein Tabu<br />
mehr.” Kritik auch an der städtischen<br />
Einnahmepolitik: So sei mancher<br />
Gewerbesteuerzahler, weil er nicht<br />
erweitern konnte, wie die Firma<br />
„Da<strong>net</strong>“, ins Umland gezogen, allerdings<br />
hält er die Einkommensteuer „für<br />
die stabilere Einnahmequelle“ und<br />
ärgert sich, daß „die SPD das Baugebiet<br />
Wolfhartsweg quasi gekippt hat als<br />
Zugeständnis an die Grünen“.<br />
M. Grimm<br />
„Stadt bekämpft Mietwucher“:<br />
PR und Wirklichkeit<br />
„Stadt bekämpft Mietwucher“, heißt es vollmundig in der „Mieter Zeitung“<br />
des Deutschen Mieterbundes (Heft 5/93) unter der Rubrik „Nachrichten<br />
aus dem Mieterverein Darmstadt“. „Das Wohnungsamt der<br />
Stadt Darmstadt ist je<strong>den</strong>falls entschlossen, … Anträge auf Mietpreisüberprüfung<br />
nicht nur ernsthaft zu verfolgen, sondern auch selbst zu<br />
ermitteln. … Nur so kann verhindert wer<strong>den</strong>, daß die Wuchermiete von<br />
heute zur Normalmiete von morgen wird.“ Wie sich das mit der städtischen<br />
Praxis verträgt, Obdachlose in Unterkunftslöcher mit horren<strong>den</strong><br />
Mieten einzuweisen, an <strong>den</strong>en sich Darmstädter SpekulantInnen gol<strong>den</strong>e<br />
Nasen verdienen (ZD Ausgabe 50), dazu schweigt der PR-Text.<br />
Weiter steht dort: „Gemäß §5 Wirtschaftsgesetz stellt die unzulässige<br />
Mietpreisüberhöhung sogar eine Ordnungswidrigkeit dar, muß also<br />
von <strong>den</strong> Ordnungsbehör<strong>den</strong> verfolgt und notfalls mit einem Bußgeld<br />
geahndet wer<strong>den</strong>.“ Ob die meinen, eine städtische Behörde ermittle<br />
gegen die andere ? „… im Jahr 1992 wur<strong>den</strong> 60 Fälle bearbeitet –<br />
sicherlich nur die Spitze des Eisbergs. … in zwanzig Fällen (wurde)<br />
eine gütliche Einigung erzielt, mit dem Ergebnis, daß insgesamt 30.000<br />
Mark an die betroffenen Mieter zurückgezahlt wer<strong>den</strong> mußten. … Das<br />
Wohnungsamt der Stadt Darmstadt ist je<strong>den</strong>falls entschlossen, diesen<br />
Dingen künftig in erheblich größerem Ausmaße auf <strong>den</strong> Grund zu<br />
gehen und Anträge auf Mietpreisüberprüfung nicht nur ernsthaft zu<br />
verfolgen, sondern auch selbst zu ermitteln.“ Da wartet viel Arbeit –<br />
Frohes Schaffen! L.v.Sinnen.<br />
Naturschutz administrativ<br />
Im Darmstädter Regierungspräsidium gibt es seit 16.6. eine eigenständige<br />
Naturschutzabteilung: „Durch die Trennung der seitherigen Abteilung<br />
Forsten und Naturschutz wurde der gewachsenen Bedeutung des<br />
Natur- und Landschaftsschutzes im Regierungsbezirk Darmstadt auch<br />
administrativ Rechnung getragen“, teilt das Amt mit. In sechs Dezernaten<br />
sollen zunächst 44 MitarbeiterInnen (1994: 86) die öffentlich-rechtlichen<br />
Planungen naturschutzrechtlich und landschaftspflegerisch<br />
beurteilen, Natur- und Landschaftsgebiete ausweisen und die Einhaltung<br />
nationaler wie internationaler Artenschutzbestimmungen überwachen.<br />
Pressestelle Regierungspräsidium<br />
Rechte Presse in Darmstadt<br />
„Kritik – Die Stimme des Volkes“, der Verlag, dessen Programm aus<br />
Titeln wie „Die Auschwitz-Lüge“, „Rasse<strong>net</strong>hik“ und das Video „Zeugen<br />
wider die Gaskammern“ besteht, hat auch in Darmstadt Unterstützer.<br />
In <strong>den</strong> städtischen Kliniken lagen (am 30. Mai) Hefte der Folge 79<br />
(vom Januar 1993) frei aus, wovon uns ein aufmerksamer Leser unterrichtete.<br />
Helmut Grimms „Der Staatssumpf<br />
der Bundesrepublik. Steuer-Boykott“ besteht<br />
aus Kapiteln wie: „Nachteile und Gefahren<br />
der Überfremdung, rassische Zerstörung<br />
(Assimilation)“ und „Einzelne Fehlleistungen<br />
der jüdischen Lobby“. Ein Fall für <strong>den</strong> Verfassungsschutz.<br />
vro<br />
Duales System an der Pleite<br />
Die taz meldete am 16.Juni: „Duales System<br />
ist der Pleite nah“. Die Organisation habe die<br />
Kosten für Kunststoffe zu niedrig kalkuliert<br />
und müsse jetzt Finanzlöcher stopfen; dazu sei<br />
eine Eigenkapitalaufstockung von 500 Millionen<br />
Mark notwendig. Der Engpaß werde<br />
durch die deutsche Sammelwut noch verschärft<br />
– statt der erwarteten 100.000 wür<strong>den</strong><br />
dieses Jahr 400.000 Tonnen anfallen.<br />
Das Hessische Umweltministerium hat dem<br />
DSD erneut mit einem Zwangsgeld von<br />
50.000 Mark gedroht, falls es nicht bis spätestens<br />
1.Juli überzeugend nachweisen könne,<br />
wo und wie die aus Hessen stammen<strong>den</strong><br />
Kunststoffabfälle verwertet wer<strong>den</strong>. Auf eine<br />
erste Drohung vom Anfang Mai (ZD 48)<br />
kamen zwar Unterlagen an, doch diese reichten<br />
nicht aus: „Was DSD uns geschickt hat,<br />
sind allgemein gehaltene Betriebsbescheinigungen“,<br />
so das Ministerium. red.<br />
Giftgasprozeß<br />
auf ungewisse Zeit vertagt<br />
Der Darmstädter Giftgasprozeß ist vorläufig<br />
am Ende. Das Gericht hat <strong>den</strong> von der Verteidigung<br />
aufgebotenen Gutachter Kurt Dialer<br />
überraschend seiner Aufgabe entbun<strong>den</strong>.<br />
Die Staatsanwaltschaft hatte ihm mangelnde<br />
Sachkenntnis vorgeworfen. Ohne Gutachter<br />
sah sich Richter Pani nicht in der Lage, <strong>den</strong><br />
Prozeß weiterzuführen, <strong><strong>den</strong>n</strong> auch der Gutachter<br />
der Ankläger, Professor Richarz, war<br />
wegen Krankheit ausgeschie<strong>den</strong>. Die Staatsanwaltschaft<br />
hat deshalb beim Oberlandesgericht<br />
in Frankfurt Beschwerde gegen die<br />
Einstellung eingelegt. 3 bis 4 Millionen<br />
Mark soll das bislang erfolglose Prozessieren<br />
(über 80 Verhandlungstage) schon gekostet<br />
haben. Jetzt muß die Kammer einen neuen<br />
Gutachter fin<strong>den</strong>, der sich in <strong>den</strong> Wust der<br />
Aktenberge erst einarbeiten muß. Vor Ende<br />
dieses Jahres wird daraus wohl nichts. red<br />
Sauber<br />
Wegen Verdachts der illegalen Beschäftigung<br />
von Ausländern wur<strong>den</strong> hessenweit bis<br />
Ende Mai 660 Baustellen und Betriebe überprüft.<br />
Dabei kamen annähernd 500 000 Mark<br />
an Verwarnungsgeldern in die Staatskasse.<br />
Auch auf der Baustelle des neuen Darmstädter<br />
Klärwerks der „Südhessischen Gas- und<br />
Wasser AG“ wur<strong>den</strong> die Fahnder der „Stelle<br />
zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung“<br />
fündig. 96 rumänischen Arbeitern<br />
wurde die Arbeitserlaubnis entzogen, weil<br />
ihnen der Subunternehmer teilweise weniger<br />
als 10 Mark Stun<strong>den</strong>lohn gezahlt hatte. PJ<br />
Anzeige<br />
Die Depesche<br />
ist eine Kriegserklärung…<br />
Pressefreiheit und Pressevielfalt<br />
ist (Über)Leben.<br />
Keine hundert Jahre ist es her,<br />
daß unsere Vorfahren für die<br />
Preß-Freiheit ihr Leben<br />
gelassen haben.<br />
Keine fünfzig Jahre<br />
sind vergangen,<br />
daß wir sie<br />
nach vollkommenem Verlust<br />
wieder erhalten haben –<br />
und wieder sind<br />
wir dabei, sie zu verlieren,<br />
weil sie verkauft wird:<br />
an Krämerseelen, die<br />
um des Geldes willen<br />
Nachrichten und ihre Meinung<br />
dem Meistbieten<strong>den</strong> anpassen.<br />
Für eine unabhängige,<br />
unzensierte, freie und<br />
an Wahrheiten orientierte<br />
Presse haben wir die<br />
Darmstädter<br />
Initiative<br />
für die<br />
Vielfalt<br />
der Presse<br />
gegründet:<br />
• für eine Kontrolle<br />
über Parlamente<br />
• für ein öffentliches<br />
Forum der Leserinnen<br />
• für ein Mehr<br />
an Demokratie.<br />
Verschlafen Sie nicht<br />
wie viele MitbürgerInnen<br />
die schleichende Inflation der<br />
Meinungs- und Pressefreiheit!<br />
Beteiligen Sie sich<br />
an unserer Initiative!<br />
V.i.S.d.P. Folkmar Rasch.<br />
Weitere Informationen erteilt<br />
die „Zeitung für Darmstadt“<br />
Postfach 1011 01<br />
6100 Darmstadt
„Man bekommt eine Entscheidung,<br />
mehr nicht“ - Kritik an der Justiz<br />
Sexuelle Ausbeutung – Frauen diskutieren im Justus-Liebig-Haus<br />
Empörung rief das Urteil im Fall des<br />
Dekans Roman Frauenholz in der Öffentlichkeit<br />
hervor; wir erinnern uns, der<br />
katholische Priester aus Fürth im O<strong>den</strong>wald<br />
war wegen sexueller Nötigung und<br />
Mißbrauchs von Schutzbefohlenen zu<br />
zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt<br />
wor<strong>den</strong>, gar noch für vier Jahre zur<br />
Bewährung ausgesetzt (ZD, Sonderausgabe).<br />
Die betroffenen Frauen und<br />
Mädchen dagegen mußten in ihrer<br />
Gemeinde noch massive Kritik erdul<strong>den</strong>:<br />
Die Opfer sollten zu Tätern gemacht<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
Die Darmstädter Frauenbeauftragte<br />
Trautel Baur nahm <strong>den</strong> Fall zum Anlaß<br />
für eine öffentliche Diskussion über<br />
„Sexuelle Ausbeutung – Reaktionen in<br />
Öffentlichkeit und Justiz“. Auf dem<br />
Podium im Justus-Liebig-Haus: Vier<br />
VertreterInnen der Justiz und drei aus<br />
Pädagogik und Selbsthilfeeinrichtungen.<br />
Im Forum: Rund fünfzig Frauen<br />
und fünf Männer. Es sollte kein Abend<br />
wer<strong>den</strong>, der <strong>den</strong> Fall des Dekan Frauenholz<br />
neu aufrollte. Es sollte ein Abend<br />
wer<strong>den</strong>, der die entgegengesetzten<br />
Lager miteinander ins Gespräch bringt.<br />
So zum Beispiel die Sozialpädagogin<br />
Andrea Lebek vom Frauenhaus in Langen,<br />
die einer jungen Frau als Prozeßbegleiterin<br />
von der Anzeige bis zum<br />
Urteil zur Seite stand, mit Richter<br />
Michael Baumgart, oder die Rechtsanwältin<br />
Barbara Schoen und <strong>den</strong> Leiter<br />
der Darmstädter Erziehungsberatungsstelle,<br />
Wolfgang Paul.<br />
Es wurde ein Abend, der die Funktion<br />
und Rolle der Justiz kritisch bloßlegte<br />
und deutlich machte, wie schwer es sein<br />
kann, Menschen unterschiedlicher<br />
Erfahrungs- und Interessenlagen ins<br />
Gespräch zu bringen. Richterin Brigitte<br />
Tilmann rechtfertigte, daß unserer Justiz<br />
ein sogenanntes Täterstrafrecht zugrunde<br />
liegt, einem Angeklagten muß die<br />
Schuld bewiesen wer<strong>den</strong>. Eine von<br />
mehreren Selbstverständlichkeiten, die<br />
trotz allem benannt wer<strong>den</strong> mußten.<br />
Opfer degradiert die Justiz ebenso<br />
„selbstverständlich“ zu Beweismitteln,<br />
bloßen Bausteinen neben vielen anderen,<br />
um die Tat nachweisen zu können;<br />
als Frauen und Mädchen kommen die<br />
Opfer nicht mehr vor. Gabriele Abt,<br />
anklagende Staatsanwältin im Fall Frauenholz,<br />
stellte klar, daß sie keinesfalls<br />
Interessenvertreterin (als Frau) sein<br />
könne. Ihr obliege es, be- und entlastende<br />
Elemente festzustellen, und sie müsse<br />
versuchen, „objektiv zu bleiben.“<br />
Entschließt sich eine Frau oder ein<br />
Mädchen zu einer Anzeige wegen sexueller<br />
Nötigung, ist meist lange Zeit vergangen<br />
bis sie Strafanzeige stellt; sofern<br />
sie überhaupt in der Lage ist, sich an entsprechende<br />
Stellen (z.B. Wildwasser) zu<br />
wen<strong>den</strong>. Nach Aussagen bei Polizei,<br />
RichterIn, Staatsanwaltschaft, die, wie<br />
Ajitka Curella von Wildwasser zu<br />
berichten weiß, über nur geringes Einfühlungsvermögen<br />
verfügen, kann es<br />
vorkommen, daß sie noch ein „Glaubwürdigkeitsgutachten“<br />
über sich ergehen<br />
lassen muß.<br />
Barbara Schoen sieht darin eine große<br />
Hilfe für die betroffenen Frauen. Sie hält<br />
es für sinnvoller, daß Frauen sich ihnen<br />
unterziehen, als daß der Täter freigesprochen<br />
wird. Frauen aus dem Forum<br />
kritisieren, daß es nie zu entsprechen<strong>den</strong><br />
„Tätergutachten“ käme. Es ist sinnlos,<br />
ein Tätergutachten zu erstellen, da der<br />
Angeklagte schweigen oder lügen darf,<br />
so die Argumentation der JustizvertreterInnen.<br />
Und das „Opfergutachten“?<br />
Kommunaler<br />
Subventionsbetrug?<br />
Peter Netuschil fordert von ZD Unterlassung<br />
Betr. Zeitung für Darmstadt Ausgabe 49<br />
Sehr geehrter Herr Grimm,<br />
Sie haben in dem im Betreff genannten<br />
Druckwerk auf Seite 1 mir gegenüber<br />
einen Verdacht ausgesprochen, der mit<br />
<strong>den</strong> Tatsachen nicht übereinstimmt.<br />
Ich gebe daher Gelegenheit, die beigefügte<br />
strafbewehrte Unterlassungserklärung<br />
unterzeich<strong>net</strong> an mich zurückzureichen<br />
und die nachstehend berech<strong>net</strong>en<br />
Gebühren auf einem meiner u. a. Konten<br />
einzuzahlen bis längstens Mittwoch, <strong>den</strong><br />
23. Juni 1993, 18 Uhr eingehend bei mir.<br />
Ich weise darauf hin, daß Sie die Wiederholungsgefahr<br />
nur durch die Abgabe der<br />
beigefügten vertragsstrafenbewehrten<br />
Unterlassungserklärung ausschließen können<br />
und werde die erforderlichen rechtlichen<br />
Schritte einleiten, wenn unterschriebene<br />
Erklärung und Gebühren nicht innerhalb<br />
gesetzter Frist hier eingehen.<br />
Mit vorzüglicher Hochachtung Netuschil,<br />
Rechtsanwalt.<br />
Vertragsstrafenbewehrte<br />
Unterlassungserklärung<br />
Hiermit verpflichte ich, Michael Grimm,<br />
mich a) persönlich b) als Verleger und<br />
Herausgeber der „Zeitung für Darmstadt“<br />
1. es künftig zu unterlassen, zu behaupten<br />
und/oder zu veröffentlichen, wörtlich oder<br />
sinngemäß, daß „der Verdacht bestand,<br />
daß der Vorsitzende des Liegenschaftsausschusses,<br />
Peter Netuschil (F.D.P.) bei<br />
Beschlüssen der Vorlage als Beteiligter<br />
selbst zugegen war und mitentschie<strong>den</strong><br />
hat“,<br />
2. für je<strong>den</strong> Fall der Zuwiderhandlung der<br />
unter Ziffer 1) aufgeführten Verpflichtung,<br />
wobei jedweder Fortsetzungszusammenhang<br />
ausgeschlossen ist, an Herrn<br />
Peter Netuschil eine Vertragsstrafe in<br />
Höhe von 5.000 Mark zu bezahlen;<br />
3. dem Anwaltsbüro Seipel, Netuschil und<br />
Partner die durch dieses Verfahren entstan<strong>den</strong>en<br />
Gebühren gemäß Kostennote<br />
vom 15.6.1993 bis zum 23.6.1993 zu<br />
bezahlen. (1022,35 DM)<br />
Die Antwort:<br />
Sehr geehrter Herr Netuschil,<br />
als ehemaligem Kollegen müßte Ihnen das<br />
Presserecht doch besser bekannt sein, als<br />
Sie dies in Ihrer Unterlassungserklärung<br />
preisgeben. Es handelt sich keinesfalls bei<br />
der von Ihnen beanstandeten Passage um<br />
eine falsche Tatsachenbehauptung, sondern<br />
um <strong>den</strong> Bericht über eine Anfrage<br />
beim Regierungspräsi<strong>den</strong>ten Ihre Tätigkeit<br />
im Liegenschaftsausschuß betreffend.<br />
Da Sie das Zitat aus dem Zusammenhang<br />
herausgelöst haben, ist Ihre Aufforderung<br />
zur Unterlassung hinfällig, weil ein anderer<br />
Sinnzusammenhang entsteht. Selbstverständlich<br />
sehe ich <strong><strong>den</strong>n</strong>och keine Notwendigkeit,<br />
dieses in der Öffentlichkeit zu<br />
wiederholen, es sei <strong><strong>den</strong>n</strong>, es ergäben sich<br />
Neuigkeiten, die ich meinen LeserInnen<br />
mitteilen möchte.<br />
Ihre Unterlassungserklärung umgeht darüber<br />
hinaus das Hessische Pressegesetz §3<br />
(Öffentliche Aufgabe der Presse): „Die<br />
Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe,<br />
wenn sie in öffentlichem Interesse Nachrichten<br />
beschafft und verbreitet, Stellung<br />
nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise<br />
an der Meinungsbildung mitwirkt“. Ein<br />
öffentliches Interesse an möglichen Vorteilnahmen<br />
Stadtverord<strong>net</strong>er oder anderweitig<br />
in öffentlichem Auftrag Tätiger ist<br />
unbestritten gegeben und die Kritik daran<br />
Aufgabe der Presse. Ihre Gebührenforderung<br />
betrachte ich als gegenstandslos.<br />
Was hielten Sie davon, einmal sachlich auf<br />
<strong>den</strong> Bericht einzugehen und selbst Stellung<br />
zu beziehen, wann und ob die Magistratsvorlage<br />
während Ihrer Tätigkeit als<br />
Vorsitzender des Liegenschaftsausschusses<br />
behandelt wor<strong>den</strong> ist und ob Sie dabei<br />
anwesend waren? Ich sichere Ihnen die<br />
Publizität zu. Der Herausgeber<br />
Reaktionen<br />
Die Kommunalaufsicht des Regierungspräsi<strong>den</strong>ten<br />
ist in der Angelegenheit noch<br />
immer nicht prüfend tätig gewor<strong>den</strong>.<br />
Von Volker Schmidt und Eike Ebert sind<br />
bislang keine Reaktionen eingegangen.<br />
Unsere LeserInnen haben bis zum 23.6.93<br />
für prozessuale Folgen 450 Mark gespendet.<br />
Die weiteren Recherchen in Sachen<br />
Filz im sozialen Wohnungsbau sind derzeit<br />
blockiert durch die rückständige Verwaltungsorganisation<br />
der Stadt Darmstadt.<br />
Dort müssen die zuständigen SachbearbeiterInnen<br />
die rückliegen<strong>den</strong> Magistratsvorlagen<br />
mühselig per Hand suchen. Nach<br />
Eingang wer<strong>den</strong> wir weiter berichten. mg<br />
Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.<br />
Eine beschämende Situation, daß eine<br />
sexuell mißhandelte Frau darauf angewiesen<br />
ist, daß man(n) ihr glaubt. Weitere<br />
Kritik kommt von Ajitka Curella:<br />
Viele PsychologInnen seien alles andere<br />
als kompetent und Betroffene dürften<br />
sich die GutachterInnen nicht selbst aussuchen.<br />
Die sogenannte Absprache – wenn die<br />
Juristen vor der Beweisaufnahme bei<br />
einem Geständnis des Täters hinter verschlossenen<br />
Türen ein mildes Strafmaß<br />
vereinbaren, wie im Fall Frauenholz –<br />
wurde unterschiedlich eingeschätzt.<br />
Richter Baumgart steht dazu, weil es für<br />
die Opfer vorteilhaft sein könne, sich<br />
nicht wiederholt der quälen<strong>den</strong> Befragung<br />
aussetzen zu müssen. Dagegen<br />
stellte Andrea Lebek einen Fall vor, wo<br />
eine junge Frau nicht einmal gefragt<br />
wurde, ob sie aussagen wolle, obwohl<br />
sie sich darauf vorbereitet hatte und<br />
dazu bereit war.<br />
Wenn Gabriele Abt sich zu der Äußerung<br />
versteigt: „Je jünger ein Kind ist,<br />
desto früher tritt der heilsame Verdrängungsprozeß<br />
ein“, möchte man/frau ihr<br />
neben der Strafgesetzbuch-Lektüre zu<br />
Piaget und Alice Miller raten. Und es ist<br />
zweifelsohne sehr löblich von Wolfgang<br />
Paul, daß er nach dem Frauenholz-Urteil<br />
Briefe an Zeitungen und Bischöfe<br />
geschrieben hat und es nicht gut findet<br />
„nach bewährter Manier die Hosentür<br />
zuzuknöpfen und zum Alltag zurückzukehren.“<br />
Richter Baumgart ist auch nicht vorzuwerfen,<br />
daß er vom „Sexualtrieb“ des<br />
Mannes spricht. Eine Teilnehmerin klärt<br />
ihn auf, daß es sich bei sexueller Gewalt<br />
nicht um Sex, sondern um Gewalt handle,<br />
weshalb dieser Terminus hier völlig<br />
fehl am Platze sei.<br />
Wenn die Zahlen zutreffen, daß jedes<br />
dritte bis vierte Mädchen sexuell „ausgebeutet”<br />
wird, darunter verstehen die<br />
Frauen verhinderte Selbstbestimmung<br />
(Beispiel §218) aber auch Mißhandlungen<br />
von der Nötigung bis zur Vergewaltigung,<br />
handelt es sich nicht etwa um<br />
Einzel-Fälle, sondern um Erscheinungen<br />
einer patriarchalisch dominierten<br />
Gesellschaft. Doch, obwohl alle an diesem<br />
Abend es nur gut meinten, ein Konsens<br />
war schon aufgrund sprachlicher<br />
Mißverständnisse behindert, so er <strong><strong>den</strong>n</strong><br />
überhaupt etwas ändern könnte.<br />
Der Ruf nach mehr Gerechtigkeit in der<br />
Justiz stößt dort lediglich auf die nüchterne<br />
Feststellung von beispielsweise<br />
Gabriele Abt: „Man bekommt eine Entscheidung,<br />
mehr nicht.“ Betty Buletti<br />
„Sie haben geschlafen, nicht wir“, ärgert<br />
sich Müller, der Pressesprecher des Regierungspräsi<strong>den</strong>ten<br />
am 15.6.. In der Ausgabe<br />
28 hatten wir erstmals gemeldet, daß auf<br />
dem Gelände des ehemaligen Altpapier-<br />
Verwerters Efremidis Industrie- und Haushaltsabfälle<br />
lagern, da die illegale Müllkippe<br />
weiterhin frei zugänglich war , meldeten<br />
wir: „Regierungspräsi<strong>den</strong>t verschläft<br />
Umweltskandal“. Verständlich,<br />
daß man sich dort ärgerte und dann erstmals<br />
weitergehend informierte. Ende<br />
Januar war demnach eine Kommission des<br />
RP auf dem Gelände, „da waren noch keine<br />
Fässer da“, erklärt Müller. Außerdem,<br />
was Sie als Abfall ansehen, ist noch längst<br />
kein Abfall, das richtet sich nach dem<br />
Gesetz. Der Betreiber beteuert, das sei<br />
kein Abfall, sondern Reststoff-Verwertung.<br />
Da müssen wir erstmal das Gegenteil<br />
nachweisen. Am 4.6. sind wir wegen Ihres<br />
Berichts (vom 14.5.) wieder dorthin marschiert<br />
und haben Sperrmüll, Verpackungsabfälle,<br />
Altreifen, Kühlschränke,<br />
Batterien und die Fässer vorgefun<strong>den</strong>.“<br />
Der ehemalige Altpapierverwerter Efremidis<br />
hat einen Offenbarungseid geleistet, ist<br />
auf deutsch pleite, deshalb hat sich der<br />
Regierungspräsi<strong>den</strong>t an <strong>den</strong> Eigentümer,<br />
„eine GmbH im Landkreis“ gewandt;<br />
„Wir haben sehr schnell reagiert. Der<br />
Eigentümer hat einen erneuten Bescheid<br />
erhalten und darin ist eine Frist gesetzt.<br />
Wir hoffen, daß er einsichtig ist und das<br />
Zeug irgendwo unterbringt. Aber das ist ja<br />
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 4<br />
„Schluck & weg“ heißt das neue Straßentheater der BUKO-Pharmakampagne. Am 17.6.<br />
stellten es Sean Ian Pinsler, A<strong>net</strong>te Hasse und Markus Füller (von links) auf dem<br />
Frie<strong>den</strong>splatz vor. Das Stück wendet sich gegen die Anti-Schwangerschaftsimpfung, mit<br />
der ohne Rücksicht auf die Herausforderungen von Aids, Bevölkerungspolitik gegen<br />
Frauen betrieben werde. Die Broschüre „Impfung gegen Schwangerschaft – Traum der<br />
Forscher – Alptraum der Frauen?“ ist für 15 Mark bei der BUKO-Pharmakampagne,<br />
August-Bebel-Straße 62, in 33602 Bielefeld zu haben.<br />
(Foto: H. Schäfer)<br />
Kriminelle Potenz?<br />
Flüchtlinge sind im Durchschnitt weniger<br />
kriminell als andere Ausländer oder als<br />
Deutsche. Das geht aus einer Untersuchung<br />
des kriminologischen Instituts Niedersachsen<br />
hervor. Wie Niedersachsens<br />
Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten<br />
Jürgen Trittin (Grüne) mitteilte,<br />
beträgt die Kriminalitätsrate im Bereich<br />
der Gewalt bei Asylbewerbern 3,9%, bei<br />
Deutschen aber 7,1%. Auch in der Drogenkriminalität<br />
sei bei Asylbewerbern<br />
eine geringere Häufigkeit als bei anderen<br />
Bevölkerungsgruppen festgestellt wor<strong>den</strong>.<br />
Die meisten Delikte bei Asylbewerbern<br />
sind der Untersuchung zufolge Vergehen<br />
gegen das Asylverfahrens- und das Ausländergesetz.<br />
Tg<br />
Abfall oder Wirtschaftsgut?<br />
Ein verärgerter Regierungspräsi<strong>den</strong>t und ein nicht beseitigter Müllhaufen<br />
nicht so einfach, da müssen LKW organisiert<br />
und eine Stelle für die Lagerung<br />
gefun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>“.<br />
Ob der RP <strong>den</strong> Abtransport überwacht?<br />
„Selbstverständlich wer<strong>den</strong> wir kontrollieren“.<br />
Bitter beklagt sich der Pressesprecher über<br />
die „geringen Möglichkeiten, die uns als<br />
Kontroll-Behörde von <strong>den</strong> Juristen gelassen<br />
wird. Wenn wir eine Ersatzvornahme<br />
machen (d.h. die Behörde tritt für die<br />
Beseitigungskosten in Vorlage und holt<br />
sich das Geld wieder vom Eigentümer)<br />
und das wür<strong>den</strong> wir, wenn‘s nach uns ginge,<br />
dann wür<strong>den</strong> wir aber vor Gericht eine<br />
Bauchlandung machen“. Wir haben ihn<br />
gebeten, uns zu informieren, wenn sich ein<br />
solcher Fall ereig<strong>net</strong>, damit wir berichten<br />
können. In einem ähnlich gelagerten Fall,<br />
hat der RP jedoch vorbeugende Auflagen<br />
anordnen lassen, da Brandgefahr bestand.<br />
Die Stellungnahme zu <strong>den</strong> Plastikbergen<br />
in Darmstadt läßt die Frage offen, warum<br />
solches nicht auch hier möglich ist. Denkbar<br />
wäre die Auflage, das Gelände erst einmal<br />
verschließen und es dann bewachen zu<br />
lassen. Zumindest solange, bis die juristische<br />
Lage (siehe unten) geklärt und die<br />
Anordnung für eine Beseitigung der<br />
Abfälle erlassen wer<strong>den</strong> kann.<br />
RP ord<strong>net</strong> Brandschutzmaßnahmen an<br />
„Gegen <strong>den</strong> Betreiber eines nicht genehmigten<br />
Altreifenlagerplatzes in Gerns-<br />
Mädchenarbeitskreis<br />
Der „Mädchenarbeitskreis“ in Darmstadt<br />
ist ein Zusammenschluß von Fachfrauen,<br />
die in der Mädchenarbeit tätig<br />
sind. Inhalte der Arbeitsgruppe sind:<br />
Erfahrungs- und Informationsaustausch,<br />
fachlich-theoretische und konzeptionelle<br />
Diskussion, Öffentlichkeitsarbeit zur<br />
Unterstützung von Mädcheninteressen,<br />
Gremienarbeit und die Durchführung<br />
gemeinsamer Projekte. Der Arbeitskreis<br />
ist öffentlich, sodaß jede interessierte<br />
Fachfrau herzlich zur Teilnahme eingela<strong>den</strong><br />
ist. Nähere Informationen über<br />
das Frauenbüro Darmstadt, Ulrike<br />
Leonhardt, Telefon: 132340.<br />
Presseamt<br />
heim/Krs. Groß-Gerau hat der Darmstädter<br />
Regierungspräsi<strong>den</strong>t eine brandschutztechnische<br />
Anordnung erlassen. Damit<br />
sollen der Entstehung und Ausbreitung<br />
von Brän<strong>den</strong> vorgebeugt und beim Ausbruch<br />
eines Feuers wirksame Lösch- und<br />
Rettungsarbeiten gewährleistet wer<strong>den</strong>.<br />
Nach Auskunft des Regierungspräsidiums<br />
wird von der Behörde bzw. von <strong>den</strong><br />
jeweils zuständigen Kreisbauämtern seit<br />
geraumer Zeit versucht, mehrere unerlaubte<br />
Altreifenlagerplätze im Regierungsbezirk<br />
Darmstadt zu beseitigen bzw. das<br />
Lagern oder Zwischenlagern von Altreifen<br />
zu verhindern. Durch unterschiedliche<br />
Rechtsauffassungen des Verwaltungsgerichtshofes<br />
in Kassel war es <strong>den</strong> zuständigen<br />
Verwaltungsbehör<strong>den</strong> nicht möglich,<br />
die Räumung der unerlaubten Altreifenlagerplätze<br />
durchzusetzen.<br />
Im Regierungspräsidium hofft man, daß<br />
eine in <strong>den</strong> nächsten Wochen vom Bundesverwaltungsgericht<br />
erwartete Entscheidung<br />
Klarheit darüber bringen wird, ob es<br />
sich bei Altreifen um Abfall oder Wirtschaftsgut<br />
handelt und demzufolge die<br />
sachliche Zuständigkeit dem Regierungspräsidium<br />
oder <strong>den</strong> Kreisbauämtern<br />
obliegt.“ Ob der RP nach dem Urteil<br />
erklären lassen wird, bei dem Fall habe es<br />
sich ja um Altreifen gehandelt, nicht um<br />
Sperrmüll, Kunststoffolien oder Fässer mit<br />
nicht definiertem Inhalt? Übrigens: Proben<br />
hat bis heute niemand genommen. mg
?<br />
Ökologisch orientierter<br />
Wirtschaftsumbau<br />
Ministerpräsi<strong>den</strong>t Eichel über<br />
„Die Zukunft Hessens als Industriestandort“<br />
vor dem Arbeitgeberverband Südhessen<br />
Eine ehrenwerte Gesellschaft sitzt da in<br />
der Orangerie (am 15.Juni) beisammen:<br />
Der Arbeitgeberverband Südhessen<br />
(AGV) hält seine Jahresversammlung<br />
ab, prominentester Gast und Redner:<br />
„unser Landesvater“, wie AGV-Vorsitzender<br />
Dr. Walter Schlotfeldt Ministerpräsi<strong>den</strong>t<br />
Hans Eichel so gerne nennt.<br />
Sein Thema: „Die Zukunft Hessens als<br />
Industriestandort“. Etwa 200 Anzugträger<br />
und Kostümträgerinnen haben sich<br />
eingefun<strong>den</strong>. Arbeitgeber und ein sozialdemokratischer<br />
Ministerpräsi<strong>den</strong>t –<br />
wie Hund und Katz? „Die SPD“, sagt<br />
Eichel fast entschuldigend, „ist immer<br />
noch eine Partei, die von der Arbeitnehmerseite<br />
kommt.“ Und die Wirtschaftslobbyisten,<br />
die haben <strong>den</strong> „Sozialisten“<br />
doch noch nie getraut, das lernt doch<br />
jedes Kind. Wer aber dachte, jetzt harte<br />
Diskussionen, gar Angriffe zu hören,<br />
täuschte. In solch illustren Gesellschaften<br />
geht es gesittet zu. Wer sich zu sehr<br />
ärgert, ergreift nicht das Wort, sondern<br />
<strong>den</strong> Rückzug – im Orangeriegarten spaziert<br />
es sich ja auch vortrefflich.<br />
Arbeitgeber kritisieren<br />
Gesetzes- und Verordnungsflut<br />
Natürlich gibt es Kritik an der Landesregierung<br />
– Schlotfeldt nennt sie in seiner<br />
Eröffnungsrede „Sorgen“; als da wären:<br />
„schwierigster Wirtschaftsabschwung<br />
seit <strong>den</strong> 50er Jahren“, „strukturelle Probleme“,<br />
„Aufbauprozeß der ehemaligen<br />
DDR und die hohe Staatsverschuldung“,<br />
„die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes<br />
Deutschland hat verloren“,<br />
„Mißbrauch von Leistungen“,<br />
„Gesetzes- und Verordnungsflut“,<br />
„Staats- und Politikverdrossenheit“,<br />
„Subventionsabbau und schleppende<br />
Privatisierung“.<br />
Die Lösung all dieser (Arbeitgeber-)<br />
Sorgen kennt Schlotfeldt auch: „Wir<br />
brauchen eine wachstumsorientierte<br />
Wirtschaftspolitik“ – jawohl! Applaus –<br />
es lebe der Fortschritt!<br />
Von der hessischen Landesregierung<br />
fordert Schlotfeldt: „Rücknahme der<br />
Grundwasserabgabe“, „Förderung der<br />
Gentechnologie“, „verkürzte Genehmigungsverfahren“,<br />
„Infrastrukturausbau“,<br />
„international angepaßte Umweltgesetze“,<br />
„Verkehrspolitik“. Sein<br />
Fazit: „Die Wettbewerbsfähigkeit steht<br />
vor einer großen Belastungsprobe. Wir<br />
brauchen verlässliche Rahmenbedingungen,<br />
dazu bedarf es einer freiheitlichen<br />
Wirtschaftsordnung.“ Die Herren<br />
und (wenigen) Damen des Auditoriums<br />
danken ihrem Vorsitzen<strong>den</strong> für die klaren,<br />
eindeutigen Worte mit Beifall und<br />
gewichtigem Kopfnicken – jawohl, weg<br />
mit <strong>den</strong> fortschrittsfeindlichen Gesetzen<br />
und Schikanen!<br />
Eichel betritt das Rednerpult, er wirkt<br />
zögerlich, fast wie ein Schulbub: „Ihre<br />
kritische Situationsbeschreibung teile<br />
ich.“ Er nennt „wachsende Arbeitslosigkeit<br />
… nah an <strong>den</strong> Zahlen wie zur Zeit<br />
der Weltwirtschaftskrise“, „2,5 Millionen<br />
fehlende Wohnungen“, das führe in<br />
der Bevölkerung zu „massiven<br />
Zukunftsängsten“, er spricht von „Erinnerungen<br />
an die Weimarer Republik.“<br />
Mißbrauchsbekämpfung<br />
gilt für alle Bereiche<br />
„Wieviel Sozialstaat können wir uns leisten?<br />
… Die Mißbrauchsbekämpfung ist<br />
eine ständige Aufgabe des Staates und<br />
sie gilt für alle Bereiche,“ meint er und<br />
warnt, „der Sozialabbau ist eine Gefahr,<br />
der soziale Friede war und ist eine<br />
wesentliche Grundlage für <strong>den</strong> Wirtschaftsaufschwung“.<br />
Auch die Ausländerfeindlichkeit<br />
sei eine „riesige<br />
Gefährdung“. In <strong>den</strong> Betrieben, „wo<br />
Ausländer vollständig gleichberechtigt<br />
sind“, habe es bisher keine Probleme<br />
gegeben, „die liegen draußen“. Deshalb<br />
fordert der Ministerpräsi<strong>den</strong>t, „die vollständige<br />
Gleichberechtigung auch in der<br />
Gesellschaft zu verwirklichen“ und<br />
nennt die Einführung der doppelten<br />
Staatsangehörigkeit.<br />
Weltwirtschaftskrise, deutsche Strukturkrise<br />
und deutsch-deutsche Integration<br />
– Eichel: „die Wahrheit wurde nicht<br />
gesagt … 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes<br />
müssen wir in <strong>den</strong> nächsten<br />
10 Jahren in die Länder der ehemaligen<br />
DDR überführen. Dieses Jahr sinkt es<br />
nach Vorhersagen um 2 Prozent – das<br />
heißt wir haben 7 Prozent weniger.“<br />
„Es wird langsamer gestorben“<br />
Genug der Schwarzmalerei meint Eichel<br />
und fährt fort: „Wirtschaft ist auch Psychologie,<br />
wir dürfen die Krise nicht<br />
noch schlechter re<strong>den</strong>.“ Er zitiert eine<br />
jüngste Prognose, nach der sich die Talfahrt<br />
der deutschen Wirtschaft verlangsamen<br />
soll. „Es wird langsamer<br />
gestorben“, raunt mein Nachbar seinem<br />
Nebenmann ins Ohr. Fünf Minuten später<br />
verläßt er <strong>den</strong> Saal: „Mir reicht’s, wir<br />
sehen uns später“ – ein kurzer, kollegialer<br />
Händedruck und weg ist er.<br />
Die Lösung: umbauen und<br />
zukunftsträchtig investieren<br />
Eine reine Marktwirtschaft, wie es sich<br />
die Arbeitgeber wünschen? – Eichel<br />
sagt nein: „Der aktive Staat ist gefordert,<br />
um die wirtschaftspolitischen und ökologischen<br />
Impulse zu steuern.“ Er rät:<br />
„Die Rezession … nicht dadurch zu verstärken,<br />
daß staatliche Investitions-Ausgaben<br />
noch gekürzt wer<strong>den</strong> … jetzt<br />
umbauen und zukunftsträchtige Investitionen<br />
tätigen.“ Das neue Hessische<br />
Strukturprogramm umfasse 300 Millionen<br />
Mark. „Ein Signal gegen <strong>den</strong><br />
Abschwung“, verteidigt er das Programm.<br />
Seine Schwerpunkte seien<br />
„Wohnungsbau, Wissenschaft, Verkehrs-<br />
und Energiepolitik.“<br />
Die Umweltschutzgesetze will Eichel<br />
„nicht abbauen“, doch würde er die Einhaltung<br />
gern – weg von der Justiz –<br />
durch „Strafen und Steuern regulieren,<br />
betriebswirtschaftlich einbauen“, das<br />
bedeute gleichzeitig „weniger Überwachungsbürokratie.“<br />
Ob sich damit die<br />
Arbeitgeber zufrie<strong>den</strong>geben? Eichels<br />
Lösung der Strukturkrise der deutschen<br />
Wirtschaft lautet: „ökologisch orientiert<br />
umbauen“, durch „hohe Steuern bei<br />
hohem Verbrauch von natürlichen Ressourcen.“<br />
Er ist Politiker und muß, will<br />
er wiedergewählt wer<strong>den</strong>, möglichst<br />
viele zufrie<strong>den</strong>stellen – ein Spagat.<br />
Preise für Tierzüchter<br />
?<br />
Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr,<br />
bereits zum 9. Mal wer<strong>den</strong> in Darmstadt<br />
erfolgreiche Züchter von Geflügel-,<br />
Kaninchen- und Brieftauben-Zuchtvereinen<br />
für ihre Leistungen auf dem Gebiet der<br />
Kleintierzucht geehrt, die unter Einsatz<br />
erheblicher Opfer und großem Idealismus<br />
hervorragende Leistungen und Erfolge<br />
und Vereinsmeisterschaften, überregionalen<br />
Ausstellungen und Wettbewerben<br />
errungen haben. Die Ehrung, die am<br />
Dienstag, dem 20. Juli, im Vereinsheim<br />
des Geflügelzuchtvereins 1876 H22 e. V.,<br />
Pulverhäuserweg (am Ende der Straße)<br />
stattfindet, berücksichtigt die Leistungen<br />
der Saison von 1991 und 1992. 41 Züchter<br />
aus 13 Vereinen wer<strong>den</strong> aus der Hand von<br />
Stadtrat Gerd Grünewaldt im Namen des<br />
Magistrats Plakette und Urkunde erhalten.<br />
Neben <strong>den</strong> zu Ehren<strong>den</strong> und deren Vereinsvorsitzen<strong>den</strong><br />
sind Vertreter der Kreisverbände<br />
der Geflügel- und Kaninchenzüchter<br />
sowie der Brieftaubenvereinigung<br />
bei der Feier anwesend.<br />
Sie sind herzlich eingela<strong>den</strong>, an der Feier<br />
teilzunehmen und wer<strong>den</strong> um 19.00 Uhr<br />
erwartet. Mit freundlichen Grüßen<br />
i. A. Volker Rinnert, Pressesprecher<br />
„Die unter Einsatz erheblicher Opfer und<br />
großem Idealismus hervorragende Leistungen<br />
und Erfolge errungen haben“– Ist<br />
der Idealismus so gewissermaßen auf das<br />
Karnickel, die Taube oder das Gickel<br />
gekommen, erübrigt sich das Streben nach<br />
Höherem. Das Domestizieren der Natur<br />
bedarf in der Tat großer Opfer der Kreatur.<br />
Welch großartige Leistung wäre es<br />
gewesen, wenn nicht dem zahmen Kaninchen<br />
das glänzende Fell und das dicke<br />
Wanst beigebracht, sondern die Frage<br />
angegangen wor<strong>den</strong> wäre, ob die hilflose<br />
Kreatur menschlichem Kleingeiste unterworfen,<br />
diesen vielleicht zu erkennen vermag?<br />
sb<br />
POLITIK<br />
Ministerpräsi<strong>den</strong>t Hans Eichel<br />
Foto H. Schäfer<br />
Für die Arbeitnehmer ist er gegen Sozialabbau,<br />
für seinen Koalitionspartner<br />
und ganz im Trend der Zeit gegen eine<br />
Lockerung der Umweltschutzgesetze,<br />
„der Umweltschutz soll sich (gar) zum<br />
Standortvorteil entwickeln“. Und dann<br />
gelingt ihm auch noch die Rolle rückwärts:<br />
Für die Wirtschaft führt er <strong>den</strong><br />
Hessischen Raumordnungsplan ins<br />
Feld. Bis zum Jahr 2000 weise dieser<br />
jedes Jahr 667 Hektar neue Wohnsiedlungsflächen<br />
aus (1992: 200 ha) und<br />
überdies 319 ha für Industrie- und<br />
Gewerbeflächen (92: 127 ha). Da ist es,<br />
das Zuckerstückchen für das Auditorium:<br />
Es lebe der Fortschritt!<br />
„Weiterer Straßenbau ist weder verantwortbar<br />
noch erwünscht“, meint er dann<br />
und macht gleich wieder einen Minuspunkt.<br />
Der Gütertransport soll auf die<br />
Schiene verlegt wer<strong>den</strong>. Kurz darauf<br />
aber spricht er vom Ausbau des Flughafens<br />
Rhein-Main: von 320.000 Flügen<br />
1993 auf 400.000 Flüge im Jahr 2010.<br />
Wenn einer alle Wähler zufrie<strong>den</strong>stellen<br />
will – was bleibt da vom überlebenswichtigen<br />
ökologisch orientierten<br />
Umbau?<br />
Eichels Spagat scheint geglückt: die<br />
Gesellschaft klatscht. So weit sind die<br />
Positionen wohl doch nicht voneinander<br />
entfernt – oder ist der Beifall nur vornehme<br />
Höflichkeit für „unseren Landesvater“?<br />
Eva Bredow<br />
419 Wohnungen für ’93<br />
„Als lieber Freund wurde er von Oberbürgermeister<br />
Günther Metzger herzlich<br />
begrüßt, zufrie<strong>den</strong> verließ er nach einer<br />
knappen Stunde <strong>den</strong> Darmstädter Magistrat:<br />
Dieser genehmigte Bauvereins-Chef<br />
Heinz Reinhardt seinen Jahresabschluß für<br />
1992 einstimmig. In seinem 129.<br />
Geschäftsjahr stellte die Bauverein-AG<br />
1992 373 Wohnungen fertig und weist für<br />
das laufende Jahr 419 Wohnungen im<br />
Bauprogramm aus.<br />
Reinhardt betonte gegenüber dem Magistrat,<br />
daß mit diesen rund 800 Wohnungen<br />
in <strong>den</strong> Jahren 1992 und 1993 der Bauverein<br />
das größte Bauvolumen in <strong>den</strong> letzten<br />
20 Jahren aufgelegt hat. Unter diesen 800<br />
Wohneinheiten befin<strong>den</strong> sind 140 Wohneinheiten<br />
für 313 Stu<strong>den</strong>ten. ’<br />
Aber auch kritische Töne waren vom Bauvereinsvorstand<br />
zu vernehmen. So befin<strong>den</strong><br />
sich im Bauvolumen für dieses Jahr 60<br />
Wohneinheiten, die im Rahmen des<br />
Werkswohnungsbau errichtet wer<strong>den</strong> sollen.<br />
,Die Bauverein-AG hat alle Firmen,<br />
Behör<strong>den</strong> und Institutionen in Darmstadt<br />
angeschrieben. Die Resonanz auf das<br />
Angebot ist bis jetzt nahezu null.<br />
Kritische Worte auch darüber, ob weitere<br />
Sozialwohnungen über <strong>den</strong> Ersten Förderweg<br />
auf Grund verschlechterter Förderungsbedingungen<br />
des Landes Hessen<br />
errichtet wer<strong>den</strong> können. ,Die neuen technischen<br />
Wohnungsbauförderungsbestimmungen,<br />
die Entscheidung, keine Tiefgaragenplätze<br />
zu fördern, bringen Baukostensteigerungen<br />
mit sich, die sich nicht<br />
mehr rechnen lassen.<br />
Die Bilanz für das Jahr 1992 weist einen<br />
Gewinn von 4,2 Millionen Mark aus. Der<br />
Betrag wird in voller Höhe der Bauerneuerungsrücklage<br />
zugeführt.<br />
Volker Rinnert, Presseamt<br />
MELDUNGEN<br />
Nummer 51 ·25.6.1993 · Seite 5<br />
Keine Zweckentfremdung<br />
In der Ausgabe 50 hatten wir unter „Zweckentfremdung“ eine<br />
Meldung publiziert, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt<br />
hat. Unser Informant hatte behauptet, die Anzeige für die<br />
Vermietung von Büroflächen bezöge sich auf das Haus Irenenstr.<br />
1/Ecke Frankfurterstraße. Dies war falsch, zwar war der Eigentümer<br />
richtig und es handelt sich auch um eine Wohnung, jedoch<br />
bezog sich die Anzeige nicht auf diese Wohnung, die Volksbank<br />
inserierte in der Anzeige Büroflächen in ihrem Gebäude in der<br />
Frankfurterstr. 69a.<br />
Der Eigentümer der laut unserem Informanten angeblich leerstehen<strong>den</strong><br />
Wohnung hatte angerufen und wie sich herausstellte,<br />
berechtigt protestiert. Der Eigentümer erklärt, daß die Wohnung<br />
nicht zur Vermietung freistehe, es sich allerdings nicht um eine<br />
Wohnung, sondern um Gewerbeflächen handle. mg<br />
In eigener Sache<br />
Der Post macht wohl ihr Umzug und die Umstellung auf die neuen<br />
Postleitzahlen zu schaffen. Deshalb haben einige unserer<br />
AbonnentInnen die Ausgabe 50 erst mit bis zu 6 Tagen Verspätung<br />
erhalten, andere gar nicht. Die Adressen hat uns die Post wie<br />
bei Bürokratien üblich erst am 19.6. gemeldet, sie wer<strong>den</strong> umgehend<br />
nachträglich zugestellt. Aufgrund der schon jetzt bestehen<strong>den</strong><br />
Zustellungsprobleme bitten wir alle LeserInnen um sofortigen<br />
Anruf, wenn auch die Ausgabe 51 nicht am 25.6. im Briefkasten<br />
sein sollte. Wir bemühen uns um direkte Nachlieferung und<br />
wer<strong>den</strong> umgehend bei der Post Protest einlegen. Der Herausgeber<br />
Brandanschlag in Ernsthofen<br />
In der Nacht zum 11.6.93, gegen 2.50 Uhr, meldete ein Bewohner<br />
der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber, Darmstädter<br />
Straße 16, in Modautal-Ernsthofen, im Landkreis Darmstadt-<br />
Dieburg, einen Brand.<br />
Auf einer Treppe, zwischen 1. und 2. Obergeschoß, brannten<br />
Kleidungsstücke und alte Lappen, die offensichtlich mit Benzin<br />
getränkt waren. Beim Eintreffen der Polizei hatten Heimbewohner<br />
<strong>den</strong> Brand bereits mit Wasser gelöscht. Glücklicherweise<br />
wurde niemand verletzt und es entstand nur geringer Sachscha<strong>den</strong>.<br />
Bei dem Wohnheim handelt es sich um ein altes Fachwerkhaus,<br />
in dem Flüchtlinge wohnen.<br />
Die Kriminalpolizei Darmstadt hat Ermittlungen wegen versuchten<br />
Mordes und menschengefähr<strong>den</strong>der Brandstiftung aufgenommen.<br />
Etwa zur Tatzeit wurde in Ernsthofen ein grauer Mercedes, älteres<br />
Baujahr mit Heckflossen, Kennzeichen unbekannt, beobachtet.<br />
Wer kann Hinweise zu diesem Fahrzeug geben oder wer hat<br />
im Zusammenhang mit dieser Tat Personen oder Fahrzeuge in<br />
Ernsthofen beobachtet? Hinweise an Kriminalpolizei Darmstadt,<br />
Telefon 06151/9694312 oder an jede andere Polizeidienststelle.<br />
Heiner Jerofsky, Polizei-Pressestelle<br />
Neonazis in Dieburg<br />
Am 8. Juni gegen 19.10 Uhr wur<strong>den</strong> Anwohner in Dieburg im<br />
Landkreis Darmstadt-Dieburg darauf aufmerksam, daß in ihrer<br />
Nachbarschaft nationalsozialistische Lieder abgespielt und eine<br />
Hakenkreuzfahne aufgehängt wurde. Die aufmerksamen Nachbarn<br />
verständigten sofort die Polizei in Dieburg.<br />
Von <strong>den</strong> Beamten der Polizeistation Dieburg wurde festgestellt,<br />
daß sich in einem Wohnhaus in Dieburg ein 15jähriger Schüler<br />
aufhielt, der eine Deutschlandfahne mit der Aufschrift „Natzionale<br />
Front“ (Rechtschreibung: schwach) aufbewahrte. Weiterhin<br />
wur<strong>den</strong> folgende Gegenstände sichergestellt: 1 Baseballschläger,<br />
2 feststehende größere Messer, 1 Holzschlagstock, ein Eisenrohr<br />
in Schlagstockform, eine Schreckschußwaffe. Das Hissen der<br />
Hakenkreuzfahne bestreitete der Jugendliche, es habe sich um<br />
die Reichskriegsflagge gehandelt.<br />
Der Vater des Jugendlichen gab an, daß ab und zu junge Leute in<br />
einem Schuppen hinter dem Haus feiern wür<strong>den</strong>, von nationalsozialistischen<br />
Liedern wollte er nichts wissen. In einem Schuppen<br />
hinter dem Haus wurde ein Raum entdeckt, in dem möglicherweise<br />
solche neonazistischen Feiern stattfin<strong>den</strong>. Die Polizei hat<br />
Sicherstellungen und die Einleitung von Strafverfahren veranlaßt.<br />
Der Polizeipräsi<strong>den</strong>t weist in diesem Zusammenhang daraufhin,<br />
daß die Aufmerksamkeit der Bürger ein wichtiger Beitrag zur<br />
Bekämpfung neonazistischer Umtriebe ist. Heiner Jerofsky,<br />
Polizei-Pressestelle<br />
Hauptbahnhof: noch nie so wertvoll<br />
Wer es noch nicht gemerkt hat: mit dem Bezug des neuen Postamtes<br />
hat der Hauptbahnhofsbereich eine erste Aufwertung<br />
erfahren. „Weitere dort ansässige Unternehmen,“ teilt das Amt<br />
für Öffentlichkeitsarbeit mit, „planen Aufwertungen ihrer Liegenschaften,<br />
deren Auswirkungen sich bis zum Westufer des<br />
Hauptbahnhofsbereiches und in die Waldkolonie erstrecken.“<br />
Der ehemalige Expressgutbahnsteig wird – vom Wertewandel<br />
erfaßt – zur Fahrradabstellanlage und „vielleicht, so Metzger,<br />
kommt dann auch noch ein Radhaus an <strong>den</strong> Bahnhof.“ Durch <strong>den</strong><br />
Neubau der Strecke Köln – Frankfurt könnte Darmstadt in naher<br />
Zukunft noch stärker in das IC- bzw. ICE-Netz eingebun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>.<br />
Als Aufwertungsbeauftragte haben Bundesbahn, HEAG<br />
und Stadt das hier ansässige Planungsunternehmen „Suter &<br />
Suter“ beauftragt. 150.000 Mark ist dem öffentlich-rechtlichen<br />
Trio deren Arbeit wert. Unser guter alter Hauptbahnhof: noch nie<br />
war er so wertvoll wie morgen. PJ<br />
„Tarif-TÜV“ im Gastgewerbe<br />
Nach dem Abschluß eines neuen Tarifvertrages für das Hotelund<br />
Gaststättengewerbe weist die Gewerkschaft NGG in Darmstadt<br />
jetzt auf ihren kürzlich eingerichteten „Tarif-TÜV“ hin.<br />
Je<strong>den</strong> Dienstag von 14 -16 Uhr können sich Beschäftigte unter<br />
der Telefonnummer 06151/311903 darüber informieren, ob in<br />
ihrem Betrieb auch tatsächlich eine korrekte Erhöhung der Entgelte<br />
vorgenommen wurde. Der Service steht auch <strong>den</strong> Beschäftigten<br />
zur Verfügung, die nicht in der Gewerkschaft sind. PJ
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 6<br />
„Obdachlose und Flüchtlinge<br />
nicht aussondern“<br />
Reaktionen auf das Mietwucher-Geschäft<br />
In der Ausgabe 50 hatten wir über <strong>den</strong> unglaublichen<br />
Mietwucher mit Obdachlosen und Flüchtlingen berichtet<br />
und ein Berechnungsmodell für sozialen<br />
Wohnungsbau vorgestellt. In der Öffentlichkeit<br />
wurde uns das Argument entgegengehalten, „wir<br />
können kein Obdachlosen- oder Flüchtlingsheim<br />
bauen, das geht allein wegen der Nachbarn<br />
nicht“ (siehe auch Beispiel über Trautheim<br />
Seite 7). „Auch kann es nicht Ziel sein,<br />
Flüchtlinge und Obdachlose auszusondern“.<br />
Das sehen wir ebenfalls so. Unser Berechnungsmodell<br />
ist nicht auf Heim-Zellen-Bau<br />
abgestellt, sondern umfaßt Wohnungen im sozialen<br />
Wohnungsbau, mit ganz normalen Zuschnitten<br />
zwischen 40 und 100 Quadratmeter Fläche,<br />
inklusive Küchen und allem, was zu zeitgemäßem<br />
Wohnen gehört. Von <strong>den</strong> Kosten her besehen<br />
ist es für die Stadt Darmstadt auch problemlos möglich,<br />
die Zahl der Wohnungen auf 80, 100 oder mehr zu<br />
erhöhen und die Wohnungen sowohl an Wohnungssuchende,<br />
als auch an Flüchtlinge und Obdachlose zu vermieten.<br />
Bei <strong>den</strong> Geldern, die heute für Wucher-Mieten und<br />
Hotelkosten zum Fenster hinaus geworfen wer<strong>den</strong>, spart die<br />
Stadt noch immer Steuergelder. Wir drucken nun die Stellungnahmen<br />
der einzelnen Parteien und des verantwortlichen<br />
Liegenschaftsdezernenten Gerd Grünewaldt (SPD) auf dieser<br />
Seite ab. Ob eine oder mehrere Parteien einen Antrag auf sozialen<br />
Wohnungsbau ins Parlament einbringen wer<strong>den</strong>, um <strong>den</strong> unglaublichen<br />
Mißstän<strong>den</strong> ein Ende zu bereiten? Wir wer<strong>den</strong> weiter<br />
berichten und weitere Beispiele publizieren. mg<br />
„Es sind keine Vorschriften bekannt, wonach<br />
das Wohnen kostenfrei zu erfolgen hat“<br />
Liegenschaftsdezernent antwortet auf Anfrage der ZD<br />
„Die Stadt Darmstadt verwendet seit Jahren<br />
<strong>den</strong> eigenen Hausbestand dazu, obdachlose<br />
Familien und Einzelpersonen mit Wohnraum<br />
zu versorgen. Waren es in <strong>den</strong> Jahren<br />
nach Kriegsende die sogenannten Schlichtwohngebiete<br />
Akazienweg oder Rodgaustraße,<br />
in <strong>den</strong>en Obdachlose untergebracht<br />
wur<strong>den</strong>, wer<strong>den</strong> diese Gebiete seit ungefähr<br />
Anfang der 70er Jahre dafür kaum noch<br />
genutzt, da die Fluktuation in dem Bereich<br />
äußerst gering gewor<strong>den</strong> ist. Außerdem<br />
sind die Verhältnisse dort mittlerweile so<br />
stabil gewor<strong>den</strong>, daß weitere Einweisungen<br />
aus sozialen Überlegungen oftmals nicht<br />
opportun sind. Somit wurde seitens der<br />
Obdachlosenbehörde auf <strong>den</strong> gesamten<br />
städtischen Wohnungsbestand zurückgegriffen.<br />
Aufgrund der großen Anzahl der Obdachlosenfälle<br />
war es allerdings nicht mehr möglich,<br />
alle Hilfesuchen<strong>den</strong> in diesen städtischen<br />
Objekten mit Wohnraum zu versorgen,<br />
weshalb auf Darmstädter Beherbergungsbetriebe<br />
zurückgegriffen wer<strong>den</strong><br />
mußte.<br />
Nachdem der Obdachlosenbehörde das<br />
ehemalige Übergangswohnheim für Aussiedler<br />
zur Belegung mit obdachlosen Personen<br />
angeboten wurde, sind die bei<strong>den</strong><br />
Objekte in der Frankensteiner Straße und in<br />
der Elisabethenstraße angemietet wor<strong>den</strong>.<br />
Die Kosten, die dort entstehen, liegen weitaus<br />
günstiger: sie betragen die Hälfte bis<br />
ein Drittel der bei <strong>den</strong> Beherbungsbetrieben.<br />
Die Anwesen Lauteschlägerstraße und<br />
Kaupstraße stehen in städtischem Eigentum<br />
und wer<strong>den</strong> durch die Obdachlosenbehörde,<br />
zumindest teilweise, ebenfalls<br />
belegt.<br />
Es sind keine Vorschriften bekannt, wonach<br />
das Wohnen in Wohnungen, Beherbergungsbetrieben,<br />
Übergangswohnheimen<br />
oder sonstigen Einrichtungen kostenfrei zu<br />
erfolgen hat. Deshalb hat die Obdachlosenbehörde<br />
nunmehr begonnen, die ihr entstan<strong>den</strong>en<br />
Kosten im Rahmen des öffentlich-rechtlichen<br />
Erstattungsanspruches zurückzufordern.<br />
Soweit die Zahlungspflichtigen selbst nicht<br />
in der Lage sind, die entstehen<strong>den</strong> Kosten<br />
zu übernehmen, muß das Sozialamt einspringen.<br />
Zu diesem Zweck ist ein entsprechender<br />
Sozialhilfeantrag beim Sozialamt<br />
zu stellen. Gleichzeitig sind die Einkommensverhältnisse<br />
dort darzulegen.<br />
An dieser Stelle muß betont wer<strong>den</strong>, daß<br />
die Unterbringung durch die Obdachlosenbehörde<br />
die Überbrückung einer momentanen<br />
Notsituation darstellt. Durch die beim<br />
Amt für Wohnungswesen angesiedelte<br />
Wohnungssicherungsstelle wird versucht,<br />
bei der Vermittlung dauerhaften Wohnraumes<br />
jedwede Unterstützung zuteil wer<strong>den</strong><br />
zu lassen. Dabei wer<strong>den</strong> sowohl freiwer<strong>den</strong>de<br />
Wohnungen des städtischen Wohnungsbestandes<br />
als auch öffentlich geförderte<br />
Wohnungen von Bauverein und anderen<br />
Wohnungsgesellschaften herangezogen.“<br />
Gerd Grünewaldt, Stadtrat<br />
„Die ganze Hilflosigkeit einer verfehlten Politik“<br />
CDU zum Teufelskreis von Wohnungsnot und Unterbringungskosten<br />
Obdachlosigkeit verhindern ist billiger<br />
PSAG nimmt Stellung<br />
„‚Der Teufelskreis von Wohnungsnot auf<br />
der einen und explodieren<strong>den</strong> Kosten für<br />
Unterbringung auf der anderen Seite, zeich<strong>net</strong><br />
sich seit Jahren ab‘, stellt Gerhard O.<br />
Pfeffermann MdB fest. Diese Kosten auf die<br />
Mieter abzuwälzen sei nicht nur unmenschlich<br />
und sozial diskriminierend, sondern<br />
auch wirtschaftlich unsinnig, weil kaum<br />
einer das bezahlen könne.<br />
Die ganze Hilflosigkeit einer verfehlten Politik<br />
führe jetzt zur Schelte gegen Amtsleiter<br />
und städtische Mitarbeiter, die doch nur<br />
<strong>den</strong> Mangel verwalten könnten, <strong>den</strong> die<br />
SPD und Liegenschaftsdezernent Gerd Grünewaldt<br />
zu verantworten hätten. Der frühere<br />
Liegenschaftsdezernent Dr. Lutz Wessely<br />
habe dem Magistrat zahlreiche Objekte<br />
zum Ankauf vorgeschlagen, wo Wohnungslose<br />
preiswert hätten untergebracht wer<strong>den</strong><br />
können: zum Beispiel das Hotel ,Hawerkaste’<br />
oder das ehemalige Lehrlingswohnheim<br />
der Post. Diese Vorschläge habe die<br />
Mehrheit im Magistrat abgelehnt. Statt eine<br />
Politik der Vorsorge zu betreiben, habe man<br />
mit dem Verkauf der städtischen Wohnungen<br />
<strong>den</strong> Mangel noch verschärft, kritisiert<br />
Pfeffermann.<br />
An drei Punkten müsse die Offensive gegen<br />
die Obdachlosigkeit ansetzen: Die Wohnungssicherung<br />
sei eine Aufgabe der sozialen<br />
Vorbeugung. Pfeffermann: ,Statt <strong>den</strong><br />
Leuten Zahlungsbescheide ins Haus zu<br />
schicken, gehört hier eine Einzelfallprüfung<br />
nach sozialen Kriterien her.’ Daß Bürgermeister<br />
Peter Benz als Sozialdezernent diese<br />
ungeliebte Aufgabe mit weit weggestrecktem<br />
Arm von sich weise, führe dazu,<br />
daß Zuständigkeitsprobleme zu Lasten der<br />
Betroffenen gingen. Bei der derzeitigen<br />
Situation auf dem Immobilienmarkt werde<br />
„Die Stadt soll Mietrückstände übernehmen“<br />
Grüne zu Wucherpreis für Zimmer von Obdachlosen<br />
„‚Alle zwei Tage wird in Darmstadt wegen<br />
Mietrückstän<strong>den</strong> eine Familie aus ihrer<br />
Wohnung zwangsgeräumt’, sagt Christine<br />
Wiemken, Stadtverord<strong>net</strong>e der Grünen.<br />
Diese obdachlosen Familien sind auf die<br />
Hilfe der Stadt angewiesen. Wie diese Hilfe<br />
aussieht, mußte nun eine Familie erfahren,<br />
die das Liegenschaftsamt in einer Wohnung<br />
untergebracht hat. Die städtische<br />
Behörde verlangt von der Familie für die<br />
Nutzung eines Zimmers einen Wucherpreis<br />
– 2.800 Mark im Monat.<br />
,Bei diesem Betrag kann keine private<br />
Luxuswohnung mithalten’, so Christine<br />
Wiemken weiter. Für sie steht fest, daß sich<br />
die bisherige klassische Obdachlosenpolitik<br />
als wirkungslos erwiesen hat. Sie fordert<br />
deshalb ein städtisches Gesamtkonzept<br />
gegen Obdachlosigkeit. ,Der Magistrat hat<br />
bisher die Verantwortung für die Konzeptionslosigkeit<br />
der städtischen Obdachlosenpolitik<br />
auf Dr. Wessely abgewälzt. Dr. Wessely<br />
ist aber schon lange nicht mehr im<br />
Amt. Geändert hat sich aber <strong><strong>den</strong>n</strong>och<br />
nichts.’<br />
Die grüne Sozialpolitikerin fordert von der<br />
Stadt präventive Maßnahmen, die verhindern<br />
sollen, daß weitere Familien obdachlos<br />
wer<strong>den</strong>. Dazu gehört, daß die Stadt Mietrückstände<br />
übernimmt und durch Mietausfallgarantien<br />
Vermieter zum Verzicht auf<br />
Räumungsklagen bewegt. Das ist für die<br />
Stadt auch finanziell von Vorteil. Die Anmietung<br />
von Hotels, Pensionen und Häusern<br />
zur Verhinderung von Obdachlosigkeit<br />
belastet <strong>den</strong> städtischen Haushalt wesentlich<br />
mehr.<br />
Das Darmstädter Institut Wohnen Umwelt<br />
(IWU) hat bereits 1988 in einem Gutachten<br />
zu Sozialen Brennpunkten ein Gesamtkonzept<br />
gegen Obdachlosigkeit gefordert. Auch<br />
der Deutsche Städtetag hat umfassende<br />
Konzepte erarbeitet, die in einigen Städten<br />
erfolgreich umgesetzt wer<strong>den</strong>. ,Die Stadt<br />
Darmstadt kann also an vorhan<strong>den</strong>e Konzepte<br />
anknüpfen, wenn das politisch<br />
gewollt ist’.<br />
Zu diesem Gesamtkonzept gehört, daß<br />
unter Beteiligung der betroffenen Ämter,<br />
der Freien Träger, der mit dieser Problematik<br />
befaßten Institutionen und der Wohnungsbaugesellschaften<br />
die auf dem Papier<br />
bestehende Wohnungssicherungsstelle<br />
auch tatsächlich eigenständige Entschei-<br />
es schwierig, die Sün<strong>den</strong> der Vergangenheit<br />
gutzumachen und geeig<strong>net</strong>e Objekte zu<br />
kaufen oder langfristig günstig anzumieten.<br />
Das sei aber die einzige Alternative zu der<br />
sinnlosen Drohung mit dem ,Akazienweg’,<br />
die nur zu einer weiteren Stigmatisierung<br />
dieses Wohngebietes führe.<br />
Der letzte Punkt betrifft eine überregionale<br />
Strategie, die Mißbrauch wirksam verhindert.<br />
Es darf nicht geduldet wer<strong>den</strong>, daß<br />
Leute, die anderswo mit Wohnraum versorgt<br />
sind, einfach hier anreisen und als<br />
Obdachlose untergebracht wer<strong>den</strong> müssen.“<br />
CDU-Kreisverband Darmstadt-Stadt<br />
dungen treffen kann. Sie muß mit <strong>den</strong> notwendigen<br />
Kompetenzen ausgestattet wer<strong>den</strong>,<br />
um effektive Hilfe bei Wohnungsnotfällen<br />
und Obdachlosigkeit leisten zu können.<br />
Deshalb sollen in dieser Organisationseinheit<br />
die kommunalen Ressourcen und<br />
Kompetenzen gebündelt wer<strong>den</strong>. Bei der<br />
Wohnungssicherungsstelle soll die Zuständigkeit<br />
liegen für die Verhinderung von<br />
Wohnungsverlusten durch Räumungsklagen,<br />
für die Vermittlung von Ersatzwohnraum,<br />
für die von Räumung bedrohten<br />
Haushalte, für die Beschlagnahme von<br />
Wohnungen, sowie für die Wohnungsbeschaffung<br />
in allen übrigen Wohnungsnotfällen.”<br />
„Mit der Darmstädter Praxis, Obdachlose<br />
zur Finanzierung ihrer Notunterkunft heranzuziehen,<br />
hat sich eine Untergruppe der<br />
Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft e.V.,<br />
das Aktionsbündnis Wohnungsnot, zu dem<br />
sich zahlreiche Einrichtungen und Initiativen<br />
zusammengeschlossen haben, in seiner<br />
letzten Sitzung beschäftigt.<br />
Daß Einzelpersonen oder Familien, die nach<br />
dem Verlust ihrer Wohnung durch die<br />
Obdachlosenbehörde in einer Notunterkunft<br />
untergebracht wer<strong>den</strong>, sich entsprechend<br />
ihres Einkommens an <strong>den</strong> Unterkunftskosten<br />
beteiligen, ist sicherlich<br />
grundsätzlich nicht in Frage zu stellen. Die<br />
Art und Form, mit der allerdings in Darmstadt<br />
versucht wird, die gesamten, völlig<br />
überhöhten Kosten bei dem größtenteils<br />
mittellosen Personenkreis einzutreiben,<br />
zeugt von mangelhafter Sensibilität im<br />
Umgang mit obdachlosen Menschen.<br />
Außerdem ist diese Vorgehensweise auch<br />
rechtlich nicht haltbar.<br />
In erster Linie sieht das Aktionsbündnis<br />
Wohnungsnot jedoch einen Skandal darin,<br />
daß es in Darmstadt über zweitausendfünfhundert<br />
Wohnungsnotstände gibt, wovon<br />
zahlreiche Menschen in Hotels, Pensionen<br />
und Gemeinschaftsunterkünften durch die<br />
Obdachlosenbehörde untergebracht sind<br />
bzw. sogar im Freien leben müssen.<br />
Trotz eingestan<strong>den</strong>er weiterer Zunahme<br />
obdachloser Menschen wer<strong>den</strong> keine wirksamen<br />
Gegenmaßnahmen ergriffen. ,Jeder<br />
Mensch, der in Darmstadt durch <strong>den</strong> Verlust<br />
seiner Wohnung obdachlos wird, ist<br />
einer zuviel’, so das Aktionsbündnis. ,Jeder<br />
Obdachlose ist Ausdruck für das Versagen<br />
der zuständigen Ämter. Denn sowohl das<br />
Amt für Wohnungswesen wie auch das<br />
Sozialamt haben die Aufgabe und rechtliche<br />
Möglichkeiten, Wohnungsverlust zu verhindern.’<br />
Die erwarteten Kosten von 3,2 Millionen<br />
Mark für 1993 könnten nach Auffassung<br />
des Aktionsbündnisses erheblich verringert<br />
wer<strong>den</strong>, wenn endlich die Bereitschaft vorhan<strong>den</strong><br />
wäre, mit allen Mitteln der Zunahme<br />
von Obdachlosigkeit entgegenzuwirken.<br />
Entsprechende Konzepte und Empfehlungen,<br />
etwa des Deutschen Städtetages, der<br />
Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung<br />
und anderer Fachgremien<br />
gibt es seit Jahren. Viele Städte<br />
wie z.B. Köln machen damit positive Erfahrungen.<br />
So ermittelte die Stadt Köln, daß<br />
die Verhinderung und Beseitigung von<br />
Obdachlosigkeit mittelfristig sieben mal<br />
weniger Kosten verursacht als die Finanzierung<br />
von Obdachlosigkeit. Außerdem ist die<br />
Sicherung von Wohnraum menschenwürdiger<br />
als die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften<br />
und Schlichtwohnungen.<br />
Auch für Darmstadt hat das Aktionsbündnis<br />
der PSAG neben anderen Gruppierungen<br />
seit Jahren vor der Zunahme von Obdachlosigkeit<br />
gewarnt und entsprechende Vorschläge,<br />
u.a. zur Errichtung einer vorbeugend<br />
tätigen kommunalen Wohnungssicherungsstelle<br />
gemacht. In einer solchen<br />
Stelle müßten alle Zuständigkeiten zur Verhinderung<br />
von Wohnungsverlust und<br />
Obdachlosigkeit, die zur Zeit auf mehrere<br />
Ämter, wie Amt für Wohnungswesen und<br />
Sozialamt verteilt sind, zusammengefaßt<br />
wer<strong>den</strong>. Jeder Hilfesuchende muß wissen,<br />
wohin er sich wen<strong>den</strong> kann. Denn wenn<br />
Wohnungsverlust droht, sind viele Menschen<br />
verständlicherweise überfordert,<br />
herauszufin<strong>den</strong>, welches Amt gerade für sie<br />
zuständig ist, zwar wird in Darmstadt seit<br />
Jahren über eine Wohnungssicherungsstelle<br />
nachgedacht, funktionieren tut sie bis<br />
zum heutigen Zeitpunkt offensichtlich<br />
jedoch nicht.<br />
Das Aktionsbündnis fordert daher die kommunalpolitisch<br />
Verantwortlichen auf, endlich<br />
konsequent im Rahmen eines Gesamtkonzeptes<br />
alle erforderlichen Maßnahmen<br />
zur Verhinderung neuer und Beseitigung<br />
bestehender Obdachlosigkeit zu ergreifen.<br />
Das Aktionsbündnis Wohnungsnot hofft<br />
hierbei insbesondere auf die neue Koalition<br />
in Darmstadt und bietet auch weiterhin seine<br />
Fachkenntnis und Mitarbeit an.“<br />
H. Varelmann,<br />
Aktionsbündnis Wohnungsnot in der PSAG<br />
S. Gillich, Fachberatungsstelle Teestube
Mehr Demokratie fürchten<br />
Impressionen von<br />
der Urwahl der<br />
Darmstädter SPD<br />
für ihren<br />
Kanzlerkandidaten<br />
Der Spruch des Tages kam wieder einmal<br />
aus Bonn: „Es gehört“, so sprach Interimsvorsitzender<br />
Johannes Rau, zum Wesen<br />
von Überraschungen, daß man mit ihnen<br />
nicht rech<strong>net</strong>. Arme alte Tante SPD! Solche<br />
Angst hatte sie, sich zu blamieren, daß<br />
56,5% Wahlbeteiligung in der Partei bejubelt<br />
wur<strong>den</strong> wie eine gewonnene Bundestagswahl.<br />
Plötzlich erfaßte Optimismus die<br />
Bonner Mannschaft: indem man die eigene<br />
Basis neu entdeckte, hatte man das ganze<br />
Wahlvolk fest im Blick. Und können sich die<br />
Darmstädter Genossen (52,42% Wahlbeteiligung),<br />
kommunalwahlgebeutelt, davon<br />
nicht auch eine Scheibe abschnei<strong>den</strong>?<br />
Bonjour tristesse! Da liegt das kleine Häuschen<br />
im morgendlichen Nieselregen,<br />
sonntäglich verwaiste Straßen, weit und<br />
breit ist kein Mensch zu sehen. Kein Plakat<br />
kündet davon, daß es hier geschehen soll:<br />
ein Ortsverein stimmt über <strong>den</strong> Bundesparteivorsitz<br />
ab. Die Stille macht unsicher;<br />
zaghaft betrete ich das Gebäude. Drinnen<br />
ist die Stimmung gut. Aber ich muß mich<br />
wohl doch in der Adresse geirrt haben.<br />
„Seniorenbegegnungsstätte“ steht über der<br />
Tür, und genau das treffe ich an: einen fröhlichen<br />
Rentnerfrühschoppen. Angeregt<br />
wird geplaudert: Die Gefährlichkeit von<br />
Herzflimmern ist in der Diskussion, und<br />
welche Früchte Nachbars Garten trägt („Die<br />
sind früh dieses Jahr, die Erdbeeren!“). Nur<br />
die Wahlurne aus Pappkarton und Klebeband<br />
verrät, daß ich hier richtig bin. Der<br />
„Tag des Ortsvereins”, so hatte der Fraktionsvorsitzende<br />
Horst Knechtel in einem<br />
Brief die Mitglieder belehrt, solle „im Sinne<br />
Willy Brandts mehr Demokratie wagen“,<br />
„ein Beispiel geben für das Engagement<br />
und die Lebendigkeit der Partei“. Diskussionen,<br />
Information und das persönliche<br />
Gespräch zwischen Basis, Bürgern und<br />
Funktionären sollten <strong>den</strong> Tag ausfüllen, gab<br />
die Parteizentrale vor. Nicht nur eine Kandidatenkür<br />
sollte es sein, sondern „ein Aufgalopp<br />
für 20 Wahlen“ (Johannes Rau), ein<br />
Motivationsschub für die frustrierte Basis,<br />
ein gesellschaftlicher Vertrauensbonus für<br />
eine Partei, die zusehends in Agonie verfiel.<br />
Und gab es nicht wirklich überall im Land<br />
Ortsvereine, die für einen neuen Stil auch<br />
neue Ausdrucksformen suchten?<br />
Die Darmstädter Genossen erfuhren das<br />
aus <strong>den</strong> Medien. Ihr Tag des Ortsvereins<br />
war stinknormal und stinklangweilig. Der<br />
neue Fraktionsvorsitzende etwa beschränkte<br />
die innerparteiliche Demokratie wie<br />
üblich auf die Abgabe eines Stimmzettels.<br />
Was meinte er nur, wenn er <strong>den</strong> Mitgliedern<br />
zuvor „einen Rahmen für Begegnungen und<br />
Gespräche“ in Aussicht stellte? Erschöpfte<br />
sich doch alle sichtbare Aktivität der Funktionäre<br />
dann darauf, im 2-Stun<strong>den</strong>-Wechsel<br />
die Wahlurne zu bewachen. Selbst die<br />
treuen Rentner der SPD –auf die Politik angesprochen<br />
– wur<strong>den</strong> plötzlich schwermütig.<br />
Sei doch zu befürchten, daß bei knappem<br />
Wahlausgang „die da oben“ sich mauschelnderweise<br />
doch wieder über die Köpfe<br />
der Basis hinweg einigen wür<strong>den</strong>. Dabei<br />
muß man als Darmstädter Sozi, was das<br />
Mauscheln angeht, nicht erst nach Bonn<br />
fahren. Keine eigene Kandidatenkür, keine<br />
Sachentscheidung der letzten Jahre, die<br />
Parteimitglieder nicht scharenweise in <strong>den</strong><br />
Karteileichenzustand getrieben hätte (oder<br />
gleich ganz aus der Partei). Da mußte sich<br />
als sozialdemokratischer Zombie fühlen,<br />
wem der Wahlzettel mit dem schönen Aufdruck<br />
ins Haus flatterte: „Wir re<strong>den</strong> mit.<br />
SPD.“<br />
Noch am Rande des Parteitages nach der<br />
Kommunalwahl munkelte es vom Wandel.<br />
In der Nach-Metzger-Ära, so etwa Hanno<br />
Benz, Sohn des neuen OB, „tue sich etwas<br />
in der Partei“. Da werde sich, so raunte gar<br />
Eike Ebert kryptisch, vieles ändern in der<br />
SPD. Was dem Juso-Chef noch als Familiensolidarität<br />
ausgelegt wer<strong>den</strong> kann, entpuppt<br />
sich bei anderen Funktionären doch<br />
wieder nur als Politikerfloskel. Oder habe<br />
ich bei Horst Knechtels „Tag des Ortsvereins“<br />
etwas Wichtiges verpaßt?<br />
Am Nachmittag hat es zu regnen aufgehört.<br />
Ein kleines Mädchen führt ihren Hund aus<br />
und zwei Rentnerinnen kommen plauschend<br />
die Straße entlang. Bei der SPD sind<br />
es jetzt weniger gewor<strong>den</strong>, die biertrinkend<br />
zusammensitzen und klönen, aber die sind<br />
– bezeichnend für die Partei – auch bedeutend<br />
jünger: glatte zehn Jahre. Mit dem<br />
Fernsehen hat man es („Wie heißt der Dicke<br />
da, der immer da ist?“), und auf Nachfrage<br />
auch mit Politik. Die Heidi, sinniert lokalpatriotisch<br />
die Dame, die inzwischen die Urne<br />
bewacht, habe doch Chancen: durch <strong>den</strong><br />
Frauenbonus. Und überhaupt sei man<br />
zufrie<strong>den</strong>. So viele hätten mal vorbeigeschaut.<br />
Bonsoir tristesse!<br />
Kleiner Nachtrag: Von 2743 Darmstädter<br />
GenossInnen nahmen 1281 an der Abstimmung<br />
teil. Für Heidi Wieczorek-Zeul stimmten<br />
35,6%, für Gerhard Schröder 16,8%<br />
und für Rudolf Scharping 47,6%. Scharping<br />
ist es nun gewor<strong>den</strong>. Ob das gut oder<br />
schlecht ist für die SPD, wird sich weisen<br />
müssen. Die Darmstädter Sozialdemokratie<br />
Sozialdemokratische Partei Deutschlands<br />
Ortsverein Heimstättensiedlung<br />
Liebe Genossinnen, Liebe Genossen,<br />
sicherlich seid Ihr mit mir der gleichen Meinung,<br />
daß nach dem Ausschei<strong>den</strong> von<br />
Björn Engholm, aus dem Amt des 1. Vorsitzen<strong>den</strong><br />
unserer Partei, es dringend an der<br />
Zeit ist, einen neuen Parteivorsitzen<strong>den</strong> zu<br />
wählen.<br />
Bewerber sind Rudolf Scharping, Gerhard<br />
Schröder und Heidi Wieczorek-Zeul.<br />
Es liegt in unserer Hand, der derzeitigen<br />
Parteiführung klar zu machen, wer unsere<br />
Partei als neuer Vorsitzender in <strong>den</strong> bevorstehen<strong>den</strong><br />
Bundestagswahlkampf führen soll.<br />
Wir brauchen endlich wieder eine<br />
Führungskraft, die sachlich, glaubwürdig<br />
und besonnen überzeugt, und mit klaren<br />
Entscheidungen für unsere Partei und<br />
unser Land arbeitet.<br />
Für mich und viele meiner Freunde wäre<br />
dies Rudolf Scharping, Ministerpräsi<strong>den</strong>t<br />
in RPL.<br />
Entscheidet Ihr auf beiliegendem Stimmzettel,<br />
wer Euer Kandidat/Kandidatin ist.<br />
Wir bitten Euch um Stimmabgabe bis zum<br />
Sonntag, <strong>den</strong> 13.6.93.<br />
je<strong>den</strong>falls hat, von Ausnahmen in Eberstadt<br />
und Kranichstein abgesehen, nach meinem<br />
Eindruck eine gute Chance verstreichen lassen,<br />
um sich Basis und Bürgern als dialogbereit<br />
und meinungsoffen zu präsentieren.<br />
Vielleicht beschäftigte die Aussicht auf <strong>den</strong><br />
Machterhalt – trotz verlorener Kommunalwahl<br />
– die Spitzengenossen so sehr, daß<br />
ein Programm für diesen Tag sie schlicht<br />
überfordert hätte. Vielleicht haben sie auch<br />
immer noch nicht gemerkt, wie nötig ihre<br />
Partei in Darmstadt neue Umgangsformen<br />
braucht, um wieder Glaubwürdigkeit und<br />
politische Gestaltungskraft zu gewinnen.<br />
Mir hat ein Funktionär am Rande der Veranstaltung<br />
erzählt, er wisse schon lange nicht<br />
mehr, wie man die Bürger zur Mitarbeit<br />
motivieren solle. Das hier war so eine Gelegenheit.<br />
Und nicht einmal Günther Metzger kann<br />
mehr die Schuld dafür geben, sie verpaßt zu<br />
haben. Toujours tristesse, SPD?<br />
August Babel<br />
Demokratieverständnis à la SPD<br />
Stadtrat Erb versucht GenossInnen zu beeinflussen<br />
Mit einer Plakatausstellung<br />
gegen Ausländerfeindlichkeit<br />
ist die Arbeitsgruppe „Reaktion“<br />
von der FH Darmstadt auf der<br />
UN-Menschenrechtskonferenz<br />
in Wien vertreten.<br />
a) durch Briefeinwurf beim Ortsvereinsvorsitzen<strong>den</strong>,<br />
Am Pelz 39 oder<br />
b) durch Briefeinwurf beim Genossen H.<br />
Hemmel, Ö<strong>den</strong>burger Str. 50 oder<br />
c) durch Stimmabgabe am Sonntag, <strong>den</strong><br />
13.6.93, während des Sommerfestes der<br />
Siedlergemeinschaft in der Zeit von 11-14<br />
Uhr, im Tennis-Clubheim der SG Eiche,<br />
Heimstättenweg 99b. Eine Wahlurne ist hier<br />
vorhan<strong>den</strong>.<br />
Bitte macht regen Gebrauch von der erstmals<br />
geschaffenen Möglichkeit der Basisbefragung.<br />
Vielen Dank<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
gez. Georg Erb, 1. Vorsitzender, Stadtrat<br />
Wilhelm Roth, Schriftführer<br />
Eine Leserin schickte uns diesen Brief<br />
mit folgendem Anschreiben zu:<br />
Betr.:<br />
Basisvorschlag für SPD-Kanzlerkandidat(-in)<br />
Eingang beider Unterlagen am heutigen<br />
Tage. Am hier gewählten Vorgehen scheint<br />
mir einiges skandalös. Kopien gehen an alle<br />
3 Kandidaten (mit Datum vom 10.6.93)<br />
Es war einmal eine kleine Gemeinde in<br />
Deutschland: Sie trug <strong>den</strong> schönen Namen<br />
Mühltal. Doch hinter <strong>den</strong> Rollä<strong>den</strong> und<br />
Türen der gehobenen Wohnhäuser, da<br />
schlummerten auch in dieser Gemeinde<br />
Rassisten. Freilich, es dauerte, bis sich dies<br />
offenbarte und schließlich nicht mehr verheimlichen<br />
ließ.<br />
Zuerst, da wollten die BürgerInnen weltoffen<br />
sein, sich vorbildlich gegen Frem<strong>den</strong>feindlichkeit<br />
engagieren. Man schrieb <strong>den</strong><br />
Winter 1992. Während überall in der deutschen<br />
Republik Nacht für Nacht Menschen<br />
aus anderen Nationalitäten verprügelt, verbrannt<br />
und getötet wur<strong>den</strong>, da wollte Mühltal<br />
ein Zeichen setzen: Karl-Heinz Goll und<br />
andere rechtschaffene BürgerInnen gründeten<br />
die „Initiative gegen Frem<strong>den</strong>feindlichkeit<br />
und Rechtsradikalismus“, es wur<strong>den</strong><br />
Arbeitskreise gebildet, Diskussionen<br />
veranstaltet. Friedliches Zusammenleben,<br />
Weltoffenheit, Solidarität, Gastfreundschaft<br />
und Toleranz – das hatten sie auf ihre Fahnen<br />
geschrieben.<br />
Anfang März wählten knapp 5 Prozent der<br />
BürgerInnen Parteien, deren Parolen lauteten:<br />
„Deutschland zuerst“ und „Deutschland<br />
<strong>den</strong> Deutschen“. Die „Mühltaler Nachrichten“<br />
schrieben über eine Podiumsdiskussion<br />
der BI „Über Deutschland re<strong>den</strong>“<br />
(26. März), an der unter anderem der Autor<br />
Heleno Saña (s.a. Buchbesprechung S. 12)<br />
teilgenommen hatte: „Alles andere als<br />
sachlich“, „Diskriminierungen Deutschlands<br />
… mit Arroganz vorgetragen.“ Der<br />
wohl selbst rechts orientierte Schreiber,<br />
Klaus Bock, kommentierte: „Fragwürdig ist<br />
weiterhin, ob die zunehmende Ausländerfeindlichkeit<br />
mit dem sehr in Frage gestellten<br />
Wahlrecht für Ausländer verknüpft wer<strong>den</strong><br />
soll. Wir sollten zunächst das Asylproblem<br />
lösen und dann nach neuen Rechten<br />
schreien.“ – Solidarität, Toleranz? Nein,<br />
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 7<br />
Doch hinter <strong>den</strong> Türen,<br />
da hocken Rassisten<br />
Trautheimer Bürger<br />
wehren sich gegen<br />
<strong>den</strong> Bau eines<br />
Flüchtlingsheims –<br />
kein Platz für<br />
Ausländer<br />
jetzt war die Rede von einem Problem,<br />
davon, <strong>den</strong> AusländerInnen, <strong>den</strong> Nicht-<br />
Deutschen auf keinen Fall die gleichen<br />
Rechte wie allen anderen zu gewähren:<br />
„Deutschland <strong>den</strong> Deutschen!“<br />
Gewiß, einzeln regte sich noch Widerspruch.<br />
So schrieb BI-Sprecher Goll in<br />
einem Leserbrief (ebd.): „Ausländerfeindlichkeit<br />
und vorenthaltene Rechte stehen in<br />
engstem Zusammenhang. Es ist mit Demokratie<br />
nicht vereinbar, Menschen, die in<br />
unserem Land geboren sind, die hier arbeiten,<br />
Steuern zahlen, zur Schule gegangen<br />
sind, wesentliche staatsbürgerliche Rechte<br />
zu verweigern, nur weil sie keine deutschen<br />
Eltern haben. Diese Gesetzespraxis stammt<br />
aus Blut & Bo<strong>den</strong>-Zeiten und muß dringend<br />
verändert wer<strong>den</strong>.“<br />
Doch dann kam der Monat Mai und von der<br />
hessischen Landesregierung der Bescheid,<br />
die Gemeinde müsse Anfang Juli 106 Asylbewerber<br />
aufnehmen. Wohin mit <strong>den</strong>en?<br />
Einen Teil wolle man in ein Containerlager<br />
am Bahnhof stecken, entschied die Gemeindeverwaltung.<br />
Ein Mühltaler Bauherr<br />
witterte sogleich Riesengewinne, die sich in<br />
der ganzen Republik mit der Not der Ankommen<strong>den</strong><br />
verdienen lassen: Auf einem<br />
Baugrundstück am Pfingstwei<strong>den</strong>weg in<br />
Trautheim wollte er ein „Asylantenheim“ für<br />
42 BewohnerInnen errichten. Was Gemeindepolitiker<br />
und Bauherr dabei übersahen:<br />
Die AnwohnerInnen wollten keinesfalls<br />
Flüchtlinge in ihrer Nähe haben – Gastfreundschaft<br />
hin oder her, Unmut wurde<br />
laut und lauter. „… ein solches sensibles<br />
Problem mitten in einem Wohngebiet, wie<br />
Trautheim, (müsse) vorher mit <strong>den</strong> Bürgern<br />
der Nachbarschaft … zu erörtern sein,“<br />
meinte Bock in <strong>den</strong> „Mühltaler Nachrichten“.<br />
Und sogar die BI schrieb: „Wir haben<br />
Verständnis für Unmut.“ Die Aufnahme von<br />
106 Flüchtlingen sei eine „konkrete Gemeinschaftsaufgabe<br />
…, (für die Bürger) die<br />
z.T. einen Eingriff in ihr bisheriges Wohnumfeld<br />
erfahren…“ Auch wenn dies als<br />
Vermittlungsversuch gewertet wer<strong>den</strong><br />
kann: solche Begriffszuweisungen wie<br />
„Flüchtlinge – Problem – Eingriff“ zementieren<br />
Vorurteile gegenüber Menschen anderer<br />
Nationalitäten behend weiter. Der Schoß ist<br />
fruchtbar noch, aus dem es kroch.<br />
60 Trautheimer BürgerInnen gründeten<br />
sodann eine „Bürgerinitiative gegen Asylantenheim<br />
in Trautheim“, weil sie „Lärmbelästigung<br />
und offene Konflikte unter <strong>den</strong> 42<br />
Asylbewerbern in der geplanten Unterkunft<br />
im Pfingstwei<strong>den</strong>weg befürchten … für<br />
Ausschreitungen geradezu prädestiniert“,<br />
schrieben die „Mühltaler Nachrichten“.<br />
„Asylanten – Lärm – Konflikte – Ausschreitungen“<br />
– Wer will so was schon in seiner<br />
Nachbarschaft haben? „Jeder hat Angst in<br />
die Nähe seines Eigentums ein Asylantenwohnheim<br />
zu bekommen“, resümierte das<br />
Blatt und schlug sich erneut auf die Seite<br />
des häßlichen Deutschen.<br />
Und die Protestieren<strong>den</strong> setzten sich durch,<br />
der Bauherr gab seine Pläne auf. Deutschland<br />
1993: Ein Herz für Tiere – Kein Platz für<br />
Flüchtlinge. Wohin also mit <strong>den</strong> AsylbewerberInnen?<br />
Am Bahnhof war nur Platz für 44<br />
Menschen. In Turnhallen, leerstehende<br />
Häuser? Das „Darmstädter Echo“ schrieb:<br />
Bürgermeister Ansgar Rinder „… werde<br />
aber auch gegenüber <strong>den</strong> zuweisen<strong>den</strong><br />
Stellen … deutlich machen, daß sowohl in<br />
der Bevölkerung als auch in <strong>den</strong> Gemeindeorganen<br />
keine Bereitschaft bestehen, noch<br />
weiter – zum überwiegen<strong>den</strong> Teil aussichtslose<br />
– Asylbewerber aufzunehmen.“<br />
Auch die Gemeindepolitiker schlugen sich<br />
auf die Seite der Deutschen, die um ihr<br />
Eigentum und ihre Ruhe fürchteten und<br />
dabei nur an sich selbst dachten.<br />
Es war einmal eine kleine Gemeinde in<br />
Deutschland: sie trug <strong>den</strong> schönen Namen<br />
Mühltal. Doch hinter <strong>den</strong> Rollä<strong>den</strong> und Türen<br />
der gehobenen Wohnhäuser, da hockten<br />
auch in dieser Gemeinde Rassisten.<br />
Eva Bredow<br />
Wer gegen diese Ausländerfeindlichkeit<br />
ein neues Zeichen setzen will, ist eingela<strong>den</strong><br />
zum „Solidaritätsfest“ der BI gegen<br />
Frem<strong>den</strong>feindlichkeit und Rechtsradikalismus,<br />
an dem sich auch Mühltaler<br />
Sportvereine und Parteien beteiligen: am<br />
Samstag (26.) im Bürgerzentrum Nieder-<br />
Ramstadt. Ab 14 Uhr gibt es u.a. griechische<br />
Lieder, spanische Tänze, türkische<br />
Folklore und einen Straßenumzug.
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 8<br />
„Wir glaubten, nun ist er da,<br />
der Rassenkrieg“<br />
Das Lawaaikamp, ein städtisches, umzäuntes Gelände, in dem Schwarze untergebracht sind<br />
1952wurde ich in Südafrika<br />
geboren. Auch meine Eltern lebten<br />
schon hier und eine meiner Großmütter.<br />
Erzogen wurde ich deutschsprachig, ich bin<br />
jedoch im Herzen immer eine Afrikanerin<br />
gewesen.<br />
Ich wuchs in der Apartheidzeit auf. Wir hatten<br />
unsere Dienstboten, die entweder im<br />
Hinterzimmer wohnten (sieben Quadratmeter<br />
groß und ohne heißes Wasser) oder in<br />
einer der sogenannten Townships weit<br />
außerhalb unserer weißen Stadtviertel.<br />
Abends um 10 Uhr tönte eine Sirene,<br />
danach hatte kein Schwarzer mehr auf der<br />
Straße zu sein.<br />
Das alles war für mich normal – ich kannte<br />
es nicht anders. Normal war für mich auch,<br />
daß Schwarzen unsere Parks verboten<br />
Mrs. Anna Moloi, Putzfrau in Johannesburg<br />
(Foto: Lesley Lawson)<br />
waren, daß die Postämter zwei Eingänge<br />
und daß Schwarze in Hotels und Restaurants<br />
keinen Zutritt hatten…<br />
Als normal empfand ich auch, daß wir von<br />
unseren schwarzen Angestellten erwarteten,<br />
daß sie Englisch und Afrikaans sprachen,<br />
wir uns jedoch nicht die Mühe machten,<br />
eine ihrer Sprachen zu lernen.<br />
Ich fing früh an Zeitungen zu lesen. Vieles<br />
wurde dort aber nicht berichtet und anderes<br />
im Interesse der Regierung verdreht und<br />
verzerrt. Viele Bücher und Zeitschriften<br />
waren verboten. So hatte ich zum Beispiel<br />
keine Möglichkeit, <strong>den</strong> „Freedom Charter“<br />
des African National Congress (ANC) zu<br />
lesen. Ich fragte mich, warum Nelson Mandela<br />
lebenslang im Gefängnis saß? Gab ich<br />
mich mit der Antwort: „Er ist ein Terrorist“<br />
zufrie<strong>den</strong>? Ich weiß es heute nicht mehr.<br />
Habe ich als Jugendliche überlegt, warum<br />
Schwarze diskriminiert wer<strong>den</strong>? Auch das<br />
weiß ich heute nicht mehr.<br />
Mr. Peter Oliphant im Nachtasyl<br />
(Foto: Michael Barry)<br />
Aber irgendwann ist in meinem Leben eine<br />
Wende eingetreten. Wann dies begann, ist<br />
schwer zu sagen. Irgendwann habe ich unsere<br />
Rassenpolitik in Frage gestellt. Vielleicht<br />
hatte das damit zu tun, daß ich häufig<br />
Kontakt zu Nicht-Südafrikanern hatte, und<br />
daß sie mir Fragen stellten, die mir selbst<br />
nie in <strong>den</strong> Kopf gekommen waren. Ich suchte<br />
nach Antworten. Vielleicht hatte es auch<br />
damit zu tun, daß es mir und meiner Familie<br />
sehr gut ging und ich mich irgendwann<br />
fragte, ob der Abstand zwischen Wohlstand<br />
und Armut seine Richtigkeit hat. Vielleicht<br />
lag es auch an meiner eigenen schwarzen<br />
Angestellten, die bestimmt meine Intelligenz<br />
hat, die aber durch unsere Apartheid<br />
nie die gleichen Chancen hatte wie ich.<br />
Auf je<strong>den</strong> Fall freute ich mich, als im Februar<br />
1991 der ANC legalisiert und Nelson<br />
Mandela nach 27 Jahren Haft entlassen<br />
wor<strong>den</strong> war. Wir haben alle vor dem Fernseher<br />
geklebt, die Freude und der Optimis-<br />
Eine deutschstämmige<br />
weiße Südafrikanerin berichtet:<br />
(Foto: Bee Berman)<br />
mus waren groß. Wir dachten, nun gibt es<br />
endlich eine Lösung der Probleme.<br />
Aber dann trat Unsicherheit und Angst ein:<br />
Es gab keinen Frie<strong>den</strong>. Noch mehr Menschen<br />
kamen ums Leben. Bestechungen<br />
und Lügen wur<strong>den</strong> aufgedeckt. Und hinter<br />
vielen Ereignissen stehen nach wie vor<br />
große Fragezeichen. Gespräche und Verhandlungen<br />
zwischen der weißen Regierung<br />
und <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en schwarzen<br />
Parteien wur<strong>den</strong> geführt und wieder abgebrochen<br />
und wieder aufgenommen…<br />
Sollte ich um meiner Sicherheit willen auswandern?<br />
Doch ich konnte mir nicht vorstellen<br />
in Europa zu leben, in einem langen<br />
und kalten Winter, keinen Garten mehr zu<br />
haben, in einer kleinen Wohnung, in einer<br />
anderen Kultur leben zu müssen.<br />
Ich hatte wie viele andere Angstvorstellungen<br />
von einem schwarzen Aufstand gegen<br />
uns Weiße, daß wir über Nacht unser Land<br />
verlassen müßten… oder aber, daß wir es<br />
„Nur wenn wir uns für präsentabel<br />
halten, tun’s die anderen auch“<br />
Podiumsdiskussion über Gewalt gegen Schwule und Lesben<br />
Gewaltakte gegen Schwule und Lesben tauchen<br />
in <strong>den</strong> Kriminalstatistiken nicht auf –<br />
da wird nur nach Geschlecht, Alter, Täter<br />
oder Opfer und Nationalität aufgeschlüsselt.<br />
Auch innerhalb der meisten Polizeireviere<br />
sind solche Übergriffe nicht bekannt.<br />
Daß das nicht der (Darmstädter) Wirklichkeit<br />
entspricht, machte die Podiumsdiskussion<br />
im Rahmen der 2.Schwul-Lesbischen<br />
Kulturwoche (22.) deutlich.<br />
Eine lesbische Darmstädter Polizistin<br />
erzählt: „Als ich mit meinen Kollegen spät<br />
abends im Herrngarten ankam, saß da der<br />
Mann total fertig auf einer Bank. Er war in<br />
<strong>den</strong> Büschen überfallen und beraubt wor<strong>den</strong>.<br />
Ich habe ihn überzeugt, mit aufs<br />
Revier zu kommen und Anzeige zu erstatten.<br />
Dann kam noch einer, um eine Zeugenaussage<br />
zu machen, er hatte <strong>den</strong> Vorfall<br />
gesehen. Er ist Bauchtänzer und ich kenne<br />
ihn. Alle Kollegen auf dem Revier haben<br />
mich und ihn ausgelacht: ,so einen kennst<br />
du?’“ Doch auch dieser Überfall wird nirgends<br />
als Gewalt gegen einen Schwulen<br />
auftauchen: „In der Anzeige habe ich es<br />
nicht geschrieben. Ich wollte ihn nicht<br />
bloßstellen“, erklärt sie.<br />
Die meisten schwulen und lesbischen Opfer<br />
verlegen <strong>den</strong> Tatort an uneindeutigere Plätze<br />
oder verheimlichen <strong>den</strong> Grund des Überfalls.<br />
Und die allermeisten gehen erst gar<br />
nicht <strong>den</strong> Weg zur Polizei, aus Scheu oder<br />
weil sie der Ansicht sind, das nütze ja doch<br />
nichts. 80 bis 90 Prozent soll die Dunkelziffer<br />
hoch sein, sagt Moderator Thomas<br />
Rombach. Der Frankfurter Kriminalist Bernhard<br />
Kowalski erzählt, 1987 hätten sie<br />
einen Mann geschnappt, der dann 200<br />
Straftaten meist gegen Schwule gestand.<br />
Lediglich sieben waren bekannt. Kowalski<br />
weiß auch, daß die Straßengewalt jedes<br />
Jahr erheblich ansteigt.<br />
Macht es Sinn, daß Schwule in <strong>den</strong> Statistiken<br />
auftauchen? Ein ambivalentes Thema:<br />
Noch sind die „Rosa Listen“ im Sinn, mit<br />
deren Hilfe Homosexuelle von <strong>den</strong> Nationalsozialisten<br />
gebranndmarkt, verfolgt und<br />
getötet wor<strong>den</strong> waren.<br />
nicht mehr schaffen wür<strong>den</strong>, rechtzeitig zu<br />
fliehen.<br />
Und dann passierte etwas Schreckliches:<br />
Am Tag nach Karfreitag lag Chris Hani,<br />
Generalsekretär der südafrikanischen Kommunistischen<br />
Partei, tot vor seinem Haus.<br />
Er war von einem rechtsradikalen Weißen<br />
erschossen wor<strong>den</strong>. Wir glaubten, nun ist<br />
er da, der Rassenkrieg. Viele Trauerfeiern<br />
wur<strong>den</strong> angesagt, in vielen Städten gab es<br />
Märsche, die Beisetzung sollte in einer<br />
weißen Wohngegend sein… Wir sahen nur<br />
noch schwarz – anders gesagt: Wir hatten<br />
schreckliche Angst.<br />
Die Trauerfeiern und die Beisetzung sind<br />
vorbei. An diesem Tag stand Südafrika einfach<br />
still. Ich habe – aus Distanz – mitgetrauert.<br />
Als ich mir die Fernsehberichte<br />
ansah, habe ich geweint: für Chris Hani, für<br />
seine Familie, für unser Land und für die<br />
Ungerechtigkeiten, die in unserem Land so<br />
lange bestan<strong>den</strong> und geduldet wor<strong>den</strong> sind.<br />
Ich habe Chris Hanis Würde und Stärke bewundert.<br />
Doch meine größte Bewunderung<br />
galt in diesen Tagen dem ANC – wie er es<br />
geschafft hat, diese riesigen Massen relativ<br />
ruhig zu halten, als ihre Anführer zu Mäßigung<br />
und Frie<strong>den</strong> aufriefen. Zum größten<br />
Teil ist dies ja auch eingetreten. Hätten wir<br />
Weißen dieses unter vergleichbaren Umstän<strong>den</strong><br />
fertiggebracht? Ich glaube nein.<br />
Meine Angst schwand, und der ANC wuchs<br />
in meinem Ansehen von Minute zu Minute.<br />
Vor dem Fernseher dachte ich: „An die<br />
könnte ich glauben“ und „die könnten uns<br />
vielleicht eine Zukunft bieten“.<br />
Unser Leben geht weiter – mit einem gravieren<strong>den</strong><br />
Unterschied: Chris Hani, dessen<br />
politische Ansichten ich zwar nicht geteilt,<br />
<strong>den</strong> ich als Mensch jedoch sehr bewundert<br />
habe, löste durch seinen tragischen und<br />
frühzeitigen Tod in meinem Leben eine<br />
große Wende aus. Ich weiß jetzt, daß wir<br />
unter einer schwarzen Regierung leben<br />
können, daß wir eine Zukunft in Südafrika<br />
haben wer<strong>den</strong>.<br />
Ich sehe dem „neuen Südafrika“ mit Interesse<br />
und Hoffnung entgegen!<br />
Alle Bilder sind entnommen aus „South Africa:<br />
The cordoned Heart, Essays by Twenty South<br />
African Photographers“, ed. by Omar Badsha,<br />
publ. by The Gallery Press, Cape Town 1986<br />
8.000 Unterschriften<br />
für freie und faire<br />
Wahlen<br />
Die Anti-Apartheid-Bewegung und die<br />
Lokalgruppe Darmstadt wollen <strong>den</strong> demokratischen<br />
Prozeß in Südafrika unterstützen.<br />
Zu diesem Zweck haben sie in <strong>den</strong> letzten<br />
Wochen Unterschriften für eine Petition<br />
„Freie und faire Wahlen in Südafrika“<br />
gesammelt. Am 16. Juni 93, dem Erinnerungstag<br />
an <strong>den</strong> Schüleraufstand in Soweto,<br />
wur<strong>den</strong> insgesamt 8.000 Unterschriften<br />
in der Südafrikanischen Botschaft in Bonn<br />
übergeben.<br />
Zur Unterstützung des African National<br />
Congress im Wahlkampf ruft die Anti-<br />
Apartheid-Bewegung zu Spen<strong>den</strong> auf. Für<br />
einen basisorientierten Wahlkampf soll<br />
Geld für 188 Megaphone gesammelt wer<strong>den</strong>.<br />
Spen<strong>den</strong> auf das Konto 1019 894 500<br />
bei der Bank für Gemeinwirtschaft, Bonn,<br />
unter dem Stichwort: „Megaphone für <strong>den</strong><br />
ANC“.<br />
vro<br />
Aus dem Publikum kommt der Wunsch<br />
nach einem Ansprechpartner bei der Darmstädter<br />
Polizei. Frau Walter, Leiterin des<br />
Darmstädter Sittendezernats, verspricht,<br />
diese Bitte weiterzugeben. Man müsse<br />
allerdings einen Freiwilligen fin<strong>den</strong>. Die junge<br />
Polizistin ist dazu (noch) nicht bereit.<br />
Sie fordert zwar alle Bekannten auf, Überfälle<br />
dann zu mel<strong>den</strong>, wenn sie Dienst hat –<br />
„Ich würde niemandem empfehlen wegen<br />
einer Anzeige aufs 1.Revier zu gehen“, aber<br />
ihre Kollegen wissen nicht, daß sie lesbisch<br />
ist. „Wenn die das wüßten, wäre das monatelang<br />
das Gesprächsthema“, sagt sie. Später<br />
fügt sie hinzu: „Als Frau hat man eh verloren.<br />
Vielleicht kann’s gar nicht schlimmer<br />
wer<strong>den</strong>?“<br />
Gewalt gegen Schwule: das sind nicht nur<br />
Überfälle, Erpressungen, Raub, das sind<br />
vor allem tägliche Diskriminierungen, von<br />
der Familie, von <strong>den</strong> Kollegen. Präventiv<br />
hilft in <strong>den</strong> meisten Fällen selbstbewußtes<br />
Auftreten, meint die Runde. Das wissen<br />
Frauen schon lange. Aus dem Publikum rief<br />
es: „Nur wenn wir uns für präsentabel halten,<br />
tun’s die anderen auch.“ vro<br />
Die Frankfurter Schwulen Anti-Gewalt-<br />
Gruppe „unschlagbar“ hat ein Notruf-<br />
Telfon: 069/283535 (Di u.Do 19 -21 Uhr).
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 9<br />
„... dort wo man Bücher verbrennt,<br />
verbrennt man auch am Ende Menschen “ Heinrich Heine<br />
21. Juni 1933<br />
60. Jahrestag der<br />
Bücherverbrennung in Darmstadt<br />
Am<br />
10. Mai l933 wur<strong>den</strong> in<br />
<strong>den</strong> deutschen Universitätsstädten<br />
Scheiterhaufen<br />
aus Büchern errichtet und in Brand<br />
gesteckt. Die Vorgeschichte der Bücherverbrennung<br />
ist von der Kampfansage der<br />
Nationalsozialisten gegen <strong>den</strong> „jüdisch-marxistisch-liberalistischen<br />
Ungeist“ geprägt,<br />
wie die Goebbel’sche Sprachregelung dies<br />
bezeich<strong>net</strong>e, eine Ankündigung, die von <strong>den</strong><br />
Nazis sofort nach der Machtübertragung im<br />
Januar 1933 mit allen Mitteln des Terrors<br />
und des gleichgeschalteten Staatsapparats<br />
in brutale Realität verwandelt wurde.<br />
Die offene Verfolgung von Intellektuellen und<br />
Schriftstellern hatte schon im Februar 1933<br />
begonnen: Als Käthe Kollwitz und Heinrich<br />
Mann die deutsche Arbeiterschaft zum<br />
gemeinsamen Widerstand gegen <strong>den</strong><br />
Faschismus aufriefen, wur<strong>den</strong> sie aus der<br />
„Preußischen Akademie der Künste“ ausgeschlossen.<br />
Von <strong>den</strong> Massenverhaftungen<br />
nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar<br />
1933, die der politischen Opposition, vor<br />
allem <strong>den</strong> Kommunisten galten, wur<strong>den</strong><br />
auch Künstler und Schriftsteller erfaßt –<br />
unter ihnen Erich Mühsam und Carl von<br />
Ossietzky; beide wur<strong>den</strong> ins KZ geschleppt<br />
und sind später an <strong>den</strong> Haftfolgen gestorben.<br />
„Säuberungen“ der Akademien und Hochschulen,<br />
Flucht und Exil fast aller Verfemten,<br />
Haft, Existenzvernichtung und auch Selbstmord<br />
aus Verzweiflung (Tucholsky, Toller,<br />
Stefan Zweig, Hasenclever) folgten. Freie<br />
Kunst, Wissenschaft und Literatur wur<strong>den</strong><br />
unterdrückt und die AutorInnen vertrieben.<br />
Dies bildete nur <strong>den</strong> Auftakt zum Programm<br />
Politisches Plakat: „Durch Licht zur Macht“<br />
von John Heartfield, VEB Verlag der Kunst<br />
Dres<strong>den</strong> 1962 und 1971<br />
der faschistischen Herrschaft, das die<br />
„Gleichschaltung“ aller kulturellen Bereiche<br />
zum Ziel hatte: Hochschule, Presse, Verlage,<br />
Bibliotheken, Funk und Film sollten von „zersetzen<strong>den</strong><br />
marxistischen Einflüssen“ und<br />
von „Verjudung gesäubert“ wer<strong>den</strong>.<br />
Vorläufiger Höhepunkt dieses „Kampfes<br />
gegen Zersetzung“ war die „Bücherverbrennung“<br />
vom Mai 1933. In Darmstadt, der<br />
damaligen hessischen Hauptstadt, fand sie<br />
erst am 21. Juni statt, ohne daß wir genau<br />
wissen weshalb, später als im übrigen<br />
„Reichsgebiet“ Die „Deutsche Stu<strong>den</strong>tenschaft”,<br />
Dachverband aller Studieren<strong>den</strong> und<br />
seit April 1933 mit der politischen Erziehung<br />
der Stu<strong>den</strong>ten beauftragt, bereitete sie planmäßig<br />
vor. Die Aktion schloß an eine kirchliche<br />
Tradition der Scheiterhaufen an, nicht<br />
zuletzt an die Bücherverbrennung während<br />
des „Wartburgfestes“ von 1817, als deutsche<br />
Stu<strong>den</strong>ten Literatur verbrannt hatten.<br />
Die Aktivisten des Frühjahrs 1933 konnten<br />
auf eine breite Bereitschaft zu Gleichschaltung<br />
und Unterwerfung gerade im Hochschulbereich<br />
bauen. Straßen und Plätze<br />
waren damals gesäumt von jenen vielen, die<br />
gafften, Beifall klatschten und die unrühmliche<br />
Inszenierung – ebenso wie die späteren<br />
Naziverbrechen – geschehen ließen. Auch in<br />
Darmstadt.<br />
Die „Deutsche Stu<strong>den</strong>tenschaft“ veranstaltete<br />
ab Mitte April 1933 einen sogenannten<br />
Aufklärungsfeldzug, um Sprache, Literatur,<br />
Wissenschaft und deren Einrichtungen im<br />
nazistischen Sinn zu „reinigen“. Ihre öffentlich<br />
verkündeten Thesen geben einen Vorgeschmack<br />
auf die nachfolgen<strong>den</strong> Ereignisse:<br />
12 Thesen wider <strong>den</strong> undeutschen Geist<br />
1. Sprache und Schrifttum des Volkes<br />
wurzeln in seinem Volkstum. Das deutsche<br />
Volk trägt die Verantwortung<br />
dafür, daß seine Sprache und sein<br />
Schrifttum reiner und unverfälschter<br />
Ausdruck seines Volkstums sind.<br />
2. Es klafft ein Widerspruch zwischen<br />
Schrifttum und deutschem Volkstum.<br />
Dieser Zustand ist eine Schmach.<br />
3. Reinheit von Sprache und Schrifttum<br />
liegt an Dir! Dein Volk hat Dir die Sprache<br />
zur treuen Bewahrung übergeben.<br />
4. Unser Widersacher ist der Jude und<br />
der, der ihm hörig ist.<br />
5. Der Jude, der nur jüdisch <strong>den</strong>ken<br />
kann, der aber deutsch schreibt, lügt.<br />
Doch der, der Deutscher ist und deutsch<br />
schreibt, der aber undeutsch <strong>den</strong>kt, ist<br />
ein Verräter. Der Stu<strong>den</strong>t, der<br />
undeutsch spricht und schreibt, ist<br />
außerdem gedankenlos und wird seiner<br />
Aufgabe untreu.<br />
6. Wir wollen die Lüge ausmerzen, wir<br />
wollen <strong>den</strong> Verrat brandmarken, wir<br />
wollen für <strong>den</strong> Stu<strong>den</strong>ten nicht Stätten<br />
der Gedankenlosigkeit, sondern der<br />
Zucht und der politischen Erziehung.<br />
7. Wir fordern die Zensur. Undeutsches<br />
Gedankengut wird gekennzeich<strong>net</strong>.<br />
Deutsche Schrift steht nur dem Deutschen<br />
zur Verfügung. Der undeutsche<br />
Geist wird aus <strong>den</strong> öffentlichen Büchereien<br />
ausgemerzt.<br />
8. Wir fordern vom deutschen Stu<strong>den</strong>ten<br />
Wille und Fähigkeit zur selbständigen<br />
Erkenntnis und Entscheidung.<br />
9. Wir fordern vom deutschen Stu<strong>den</strong>ten<br />
<strong>den</strong> Willen und die Fähigkeit zur<br />
Reinerhaltung der deutschen Sprache.<br />
10. Wir fordern vom deutschen Stu<strong>den</strong>ten<br />
<strong>den</strong> Willen und die Fähigkeit zur<br />
Überwindung des jüdischen Intellektualismus<br />
und der damit verbun<strong>den</strong>en liberalen<br />
Verfallserscheinungen im deutschen<br />
Geistesleben.<br />
11. Wir fordern die Auslese von Stu<strong>den</strong>ten<br />
und Professoren nach der Sicherheit<br />
des Denkens im deutschen Geiste.<br />
12. Wir fordern die deutsche Hochschule<br />
als Hort des deutschen Volkstums und<br />
als Kampfstätte aus der Kraft des deutschen<br />
Geistes.<br />
„Gesäubert“ wurde anhand „schwarzer<br />
Listen“, während „weiße Listen“ bei der<br />
„Anschaffung zeitgemäßer und wahre deutsche<br />
Volksbildung vermittelnder Bücher“<br />
(„Darmstädter Tagblatt“ vom 9.6.33) behilflich<br />
waren.<br />
Die Verbannung des „undeutschen Geistes“<br />
aus <strong>den</strong> öffentlichen Büchereien wurde<br />
befehlsgemäß und unter aktiver Mitwirkung<br />
des „Börsenvereins des deutschen Buchhandels“<br />
und der Bibliotheken in die Wege geleitet.<br />
Die Darmstädter Stadtbücherei begann,<br />
besonders eifrig, bereits im März mit dem<br />
Entfernen von „Schmutz- und Schund- und<br />
linkspolitischen Ten<strong>den</strong>zschriften“. Das<br />
„Darmstädter Tagblatt“ vom 9. Juni: „Es sind<br />
bis jetzt schon über 100 Bände der Schönen<br />
Literatur sowie – neben der Sperrung der<br />
Abteilung ‚Sozialismus und Kommunismus‘<br />
– eine große Reihe von Werken der belehren<strong>den</strong><br />
Literatur aus dem Bestand entfernt wor<strong>den</strong>.<br />
Restlos ausgemerzt sind z.B. die Werke<br />
von Feuchtwanger, Emil Ludwig, Heinrich<br />
Mann, Glaeser, Remarque, Plivier, Toller,<br />
Arnold Zweig, Ehrenberg, Kerr u.a.“<br />
Aus dem im „Darmstädter Tagblatt“ vom 16.<br />
Juni 1933 veröffentlichten Aufruf der Stu<strong>den</strong>tenschaft<br />
der THD:<br />
Die „Volksgenossen“ folgten der Aufforderung.<br />
Sie sammelten, lieferten auch ab und<br />
stan<strong>den</strong>, folgt man dem Bericht des „Darmstädter<br />
Tagblatts“ vom 22. Juni 1933, zu<br />
Tausen<strong>den</strong> am Straßenrand, als sich der Zug<br />
der Stu<strong>den</strong>tenschaft vom ehemaligen Paradeplatz<br />
durch Bessungen „in <strong>den</strong> deutschen<br />
Wald“ am Bismarckturm bewegte. Nach der<br />
Sonnenwendfeier dort, auf der u.a. der Rektor<br />
der Technischen Hochschule die „Zeitenwende“<br />
feierte ( „Flamme empor! Leuchtend<br />
der Schein! Lasset uns schwören am Flammenaltare,<br />
Deutsche zu sein!“) marschierte<br />
der Fackelzug zum Mercksplatz.<br />
Das „Darmstädter Tagblatt“ am 22. Juni<br />
1933: „Hier am Mercksplatz hatten sich recht<br />
zahlreiche deutsche Volksgenossen eingefun<strong>den</strong>,<br />
um an der Kundgebung wider <strong>den</strong><br />
undeutschen Geist teilzunehmen. Nachdem<br />
die Aufstellung des Zuges unter Marschmusik<br />
vollendet war, hielten Herr Walter Madee,<br />
der Führer der Darmstädter Stu<strong>den</strong>tenschaft,<br />
und Herr Friedrich Walcher, der Bundesführer<br />
des Nationalsozialistischen Stu<strong>den</strong>tenbundes,<br />
kurze Ansprachen wider <strong>den</strong><br />
undeutschen Geist, dem der Kampf bis zur<br />
Vernichtung angesagt werde. Mit einem<br />
Sieg-Heil auf Adolf Hitler und dem Horst-<br />
Wessel-Lied nahm die Kundgebung ihr Ende.<br />
Aber so wie der letzte Sprecher ausgerufen<br />
hatte: ‚Der Kampf gegen <strong>den</strong> undeutschen<br />
Geist geht weiter!‘, so loderten noch lange die<br />
vernichten<strong>den</strong> und reinigen<strong>den</strong> Flammen aus<br />
dem großen Scheiterhaufen, auf dem Bücher,<br />
Broschüren und von der Polizei beschlagnahmtes<br />
Material, wie Fahnen und dergleichen,<br />
zu Asche verbrannten. Unter<br />
Marschmusik zog dann die Stu<strong>den</strong>tenschaft<br />
an dem Scheiterhaufen vorbei, und die in ihn<br />
hineingeschleuderten Fackeln halfen das Werk<br />
der Ausmerzung und Vernichtung vollen<strong>den</strong>,<br />
als ein Symbol dafür, daß das neue Deutschland<br />
in dem Kampf gegen Undeutsche restlose<br />
und rücksichtslose Arbeit leistet.”<br />
Reaktionen<br />
auf die Bücherverbrennung<br />
Die Reaktionen vor allem im deutschsprachigen<br />
Ausland waren vernichtend, ohne allerdings<br />
Änderungen in Deutschland bewirken<br />
zu können. Der Arbeitersender in Hilversum<br />
ließ in holländischer Sprache die bedeutendsten<br />
Autoren, deren Werke jenseits der Gren-<br />
ze verbrannt wur<strong>den</strong>, zu Wort kommen. Die<br />
Sendung wurde musikalisch von der „Marseillaise,“<br />
der „Egmont-Ouvertüre“ und der<br />
„Internationale“ umrahmt und endete mit<br />
<strong>den</strong> Worten des Sprechers: „Sie verbrennen<br />
<strong>den</strong> Geist nicht, ihr Brüder!“<br />
Unter der Überschrift „Entsetzen im Ausland“<br />
referierte die „Prager Presse“ am 12.<br />
Mai 1933 die Reaktionen ausländischer Zeitungen<br />
und zitierte u.a. das „Pariser Journal“:<br />
„Dieses Autodafé ist leider allzu<br />
bezeichnend, <strong><strong>den</strong>n</strong> es ist eine der traurigsten<br />
Äußerungen des neuen deutschen Geistes.“<br />
„Ewiges Schandmal<br />
nazistischer Barbarei“<br />
Oskar Maria Graf war von <strong>den</strong> Nazis<br />
zunächst nicht auf die „schwarze Liste“<br />
gesetzt wor<strong>den</strong>. In einem offenen Brief mit<br />
der Überschrift „Verbrennt mich!“ reagierte<br />
er auf diese Schmach u.a. mit <strong>den</strong> Worten:<br />
„Und die Vertreter dieses barbarischen<br />
Nationalismus, der mit Deutschsein nichts,<br />
aber auch gar nichts zu tun hat, unterstehen<br />
sich, mich als einen ihrer ‚Geistigen‘ zu beanspruchen,<br />
mich auf ihre sogenannte weiße<br />
Liste zu setzen, die vor dem Weltgewissen<br />
nur eine schwarze Liste sein kann! Diese<br />
Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem<br />
ganzen Leben und nach meinem ganzen<br />
Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen,<br />
daß meine Bücher der reinen Flamme des<br />
Scheiterhaufens überantwortet wer<strong>den</strong> und<br />
nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen<br />
Hirne der braunen Mordban<strong>den</strong> gelangen!<br />
Verbrennt die Werke des deutschen<br />
Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein,<br />
wie eure Schmach!“<br />
Oskar Maria Grafs Aufruf vom 10. Mai 1943,<br />
dem zehnten Jahrestag der Bücherverbrennung,<br />
an dem viele Bibliotheken seines damaligen<br />
Exillandes USA auf Halbmast geflaggt<br />
hatten, hat an bedrückender Aktualität nichts<br />
eingebüßt: „Dieser 10. Mai – ewiges Schandmal<br />
nazistischer Barbarei – müßte in Zukunft<br />
auf der ganzen gesitteten Welt in sein Gegenteil<br />
verwandelt wer<strong>den</strong>, in einen Tag des Niewieder-Vergessens<br />
und in einen Tag der<br />
Manifestation für die Freiheit des Geistes!“<br />
Cornelia Roch und Christoph Jetter<br />
Quellen: „Die Bücherverbrennung“, hrsg. von Gerhard<br />
Sauder, München l983; Henner Pingel, „Das Jahr 1933.<br />
NSDAP-Machtergreifung in Darmstadt und im Volksstaat<br />
Hessen“, 2. Aufl., Darmstadt 1978
FEUILLETON I<br />
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 10<br />
Sonntag vormittag<br />
bei <strong>den</strong> Antichristen<br />
Verleihung des Alternativen Büchnerpreises<br />
an <strong>den</strong> Kirchenkritiker Karlheinz Deschner<br />
S<br />
onntag (13.6.) konnte wer<br />
wollte miterleben, wie im<br />
Namen des politischen Literaten<br />
und Demokraten Georg Büchners,<br />
aber ohne nennenswerten Bezug<br />
auf ihn, ein Preis verliehen wurde,<br />
der eine Alternative sein will,<br />
wohl oder übel zum „Büchnerpreis“<br />
der „Deutschen Akademie für Sprache<br />
und Dichtung“. Zumindest im<br />
Hinblick auf seine finanzielle Ausstattung<br />
konnte Stifter Walter Steinmetz<br />
mit dem in diesem Jahr von einem<br />
unbekannten Mäzen (Steinmetz<br />
selbst?) auf 60.000 Mark erhöhten<br />
Preisgeld eine Alternative vorweisen,<br />
und auch die Rolle des Preisträgers<br />
wurde mit dem im Fränkischen<br />
geborenen und dort ansässigen neunundsechzigjährigen,<br />
promovierten<br />
Literaturwissenschaftler Karlheinz<br />
Deschner (nach Walter Jens, Dieter<br />
Hildebrandt, Gerhard Zwerenz und<br />
Robert Jungk) angemessen besetzt.<br />
Recht feierliche Freude wollte sich<br />
<strong><strong>den</strong>n</strong>och nicht einstellen.<br />
Im Audimax der Darmstädter TH<br />
konnten rund 300 ZuhörerInnen<br />
zunächst der lebhaft inszenierten<br />
Rezitation eines dramatisch bearbeiteten<br />
Deschner-Textes lauschen,<br />
spannungsvoll vorgetragen von dem<br />
Basler Schauspieler Joseph Lorenz.<br />
Hier zeigte sich bereits, wie in<br />
Deschners Arbeiten Ironisches und<br />
Satirisches mit Historisch-Faktischem<br />
konfrontiert wird und so eine<br />
kritische Position entsteht, die sich<br />
von der Klischeehaftigkeit und Plattheit<br />
üblicher Kirchenkritik löst. Programmatisch<br />
erscheint Deschner „...<br />
der bloßstellende Spott, die Satire als<br />
eigentlich allein noch zumutbares<br />
Mittel, kirchenhistorische Sujets auf-<br />
Nach der Preisverleihung<br />
1992<br />
Fotos: H. Schäfer<br />
zugreifen und anzugreifen”. Spott als<br />
Mittel der ernsthaften Analyse und<br />
Aufklärung.<br />
Anscheinend von diesem Ansatz<br />
gehört hatte auch der „Darmstädter<br />
Bürger Walter Steinmetz“ (so seine<br />
Selbstdefinition), der sich, wie in vorangegangenen<br />
Jahren, die Gelegenheit<br />
nicht nehmen ließ, seinen<br />
Unmut als „satirisches Traktat“<br />
abzula<strong>den</strong>. Um seiner Ansprache<br />
gerecht zu wer<strong>den</strong>, sei auf Deschners<br />
vielbeachteten Essay „Kitsch, Konvention<br />
und Kunst“ (1957) verwiesen,<br />
in dem er anhand vieler Zitate<br />
sehr klar darlegt, was für ihn Kitsch<br />
und was die Funktion von Kitsch in<br />
der Literatur ist: „Kitsch, für <strong>den</strong> wir<br />
fast alle anfällig sind, ist leider nicht<br />
bloß lächerlich, sondern hochgradig<br />
gefährlich, infektiös, epidemisch, die<br />
mörderischste Droge der Welt.“<br />
Gefährlich deshalb, weil „... das Gros<br />
der Leser außerstande ist, kraft formaler<br />
Kriterien zu urteilen; es bejaht<br />
dort, wo es sich in seinem Weltbild<br />
bestätigt findet, und lehnt ab, wo das<br />
nicht der Fall ist.“<br />
Daß auch Satire Kitsch sein kann,<br />
scheint Steinmetz – etwa bei seiner<br />
Beschreibung der „klerikalen Travestie-Show“<br />
– nicht in <strong>den</strong> Sinn gekommen<br />
zu sein: „Gedecktes Weiß,<br />
Violett, Kardinalrot und Purpur sind<br />
die zeitlos aktuellen Farben für die<br />
große Toilette aus Brokat und anderen<br />
edlen Materialien im klassischen<br />
Styling. Dazu ist allerlei Tand und<br />
Flitter en vogue, wobei zu beachten<br />
ist, daß von einer gewissen Rangfolge<br />
ab die Finger nicht mehr schmutzig<br />
gemacht und deshalb Ringe über<br />
<strong>den</strong> Handschuhen getragen wer<strong>den</strong>.“<br />
In diesem Stil poltert Steinmetz<br />
durch das gängige Repertoire vulgärlinker<br />
Ressentiments: Kirche, Staat<br />
und Wirtschaft – Golfkrieg, Biermann,<br />
Enzensberger, SS, Hitlerjugend,<br />
Israel, Jesus, Stammheim,<br />
Kronzeugenregelung. Steinmetz‘<br />
Versuch, Zusammenhänge herzustellen,<br />
gerät zur Selbstbedienung<br />
zusammengeklaubter Versatzstücke<br />
aus dem (für ihn) unendlich ungeord<strong>net</strong>en<br />
Gerümpelhaufen der Historie<br />
samt aller dazugehörigen Vorurteile.<br />
Die bierernste Rundumschlag-<br />
Häme als Nährbo<strong>den</strong> vermeintlicher<br />
„Satire“ hat mehr mit Gallensaft zu<br />
tun als mit Gesellschaftskritik. „Die<br />
weiße Weste wird grundsätzlich verdeckt<br />
getragen, da sie blutbesudelt<br />
sein könnte“, rutscht Steinmetz peinlich<br />
aus und hinterläßt das schale<br />
Gefühl, das jedes Kind befällt, fühlt<br />
es sich bei einer Übertreibung erwischt.<br />
Dem Preis-Stifter gelingt gar<br />
der Bogen von Büchner zur Kirche,<br />
das liest sich so: „Jesus und Georg<br />
Büchner“ teilen „ein vergleichbares<br />
Schicksal: zwei radikale Moralisten<br />
wer<strong>den</strong> zuerst Opfer der Verfolgung<br />
und dann der Vermarktung durch<br />
scheinheilige Wölfe im Schafspelz.“<br />
Die Laudatio des Deschner-Mitstreiters<br />
und Co-Autors Horst Herrmann<br />
war ebenfalls kaum geeig<strong>net</strong>, das<br />
Publikum zu belohnen. Brav wurde<br />
Deschners fleißiges, an Selbstkasteiung<br />
grenzendes Arbeiten gelobt,<br />
Natur und fränkische Heimat des<br />
Preisträgers als Quell für „so viel<br />
Kraft in einem zerbrechlichen Körper“<br />
gepriesen, und überhaupt<br />
Deschner stilisiert als „großer Erinnerer“<br />
an die „um Auferstehung im<br />
Gedächtnis bitten<strong>den</strong> Geschädigten“<br />
von 2.000 Jahren christlicher Kirchengeschichte.<br />
Deschner selbst umriß in einer, wie<br />
zu erwarten, scharfzüngigen Rede<br />
sein angestammtes Sujet, die von<br />
Kirche und Staat gleichermaßen<br />
beherrschte Kunst, „im Namen des<br />
Volkes dem Volk feierlich das Fell<br />
über die Ohren zu ziehen.“ Sich<br />
selbst als Deterministen bezeichnend,<br />
versteht er die an der Erziehung<br />
des Menschen beteiligten Institutionen<br />
wie Kirche und Schule als<br />
Grundübel unserer gesellschaftlichen<br />
Tradition. Nicht zu selbständigem<br />
Denken und eigenverantwortlichem<br />
Handeln werde dort angeleitet, sondern<br />
zu „grenzenloser Gleichgültigkeit<br />
und grenzenloser Heuchelei.“<br />
Wie überhaupt alle Redner es ununterbrochen<br />
mit der Heuchelei hatten,<br />
als ob durch ständige Wiederholung…<br />
Als Ausweg aus diesem Dilemma<br />
versteht Deschner wohl sein unerbittliches,<br />
unermüdliches Aufdecken<br />
von unter dem Mantel des christlichen<br />
Glaubens begangenem Unrecht,<br />
ja Verbrechen. Eine lange<br />
Liste von Veröffentlichungen, nicht<br />
zuletzt sein auf zehn bis zwölf Bände<br />
angelegtes Projekt einer „Kriminalgeschichte<br />
des Christentums“, drei<br />
Bände sind bislang erschienen,<br />
belegt dies.<br />
Daß mit derartigem Engagement<br />
kaum mehr als das täglich Brot zu<br />
verdienen ist, überrascht kaum,<br />
zumal wenn man be<strong>den</strong>kt, wer sich<br />
in Zeiten, in <strong>den</strong>en die Kirche zumindest<br />
hierzulande erheblich an Zulauf<br />
verliert, für eine solchermaßen elaborierte<br />
Kritik interessiert. Um so<br />
erfreulicher ist es, wenn einem solchen<br />
Autor ein hochdotierter Preis<br />
zugesprochen wird, einfach um ihm<br />
die materielle Lebensgrundlage zu<br />
sichern, wenigstens für kurze Zeit.<br />
Erfreulich ist es freilich auch, wenn<br />
sich Mäzene fin<strong>den</strong>, die einen Preis<br />
finanziell ausstatten. Zweifelhaft<br />
erscheint allerdings ein Stifter, der<br />
seine Preisträger reglementieren will<br />
und die Preisverleihung als Arena<br />
seiner Selbstgerechtigkeit, gar als<br />
Markt für seine Eitelkeit mißbraucht.<br />
Die Solidarität unter Literaten scheint<br />
nicht einmal so groß, daß die beleidigen<strong>den</strong><br />
Ausfälle des Stifters gegen<br />
Robert Jungk im vergangenen Jahr<br />
einer Erwähnung wert sind,<br />
geschweige <strong><strong>den</strong>n</strong> einer Entschuldigung.<br />
Erstaunlich, daß unter solchen<br />
Vorzeichen überhaupt ein Preisträger<br />
sich ehren zu lassen gewillt war.<br />
Nicht ganz ohne Zwiespalt wird deshalb<br />
Karlheinz Deschner <strong>den</strong> „Alternativen<br />
Büchnerpreis“ angenommen<br />
haben, zuletzt vielleicht nur aufgrund<br />
finanzieller Erwägungen und als<br />
Forum seiner Kritik, was nicht unbedingt<br />
ehrenrührig wäre – zumal für<br />
einen Deterministen.<br />
Philip Roeder<br />
Stifter Walter Steinmetz ist Inhaber eines<br />
Zeitschriftenvertriebs, über <strong>den</strong> Arzt-,<br />
Anwaltspraxen und andere Wartesäle in<br />
„Lesemappen“ mit so hohem Schrifttum<br />
beliefert wer<strong>den</strong> wie: „Bunte“, „Neue<br />
Revue“, „Frau im Spiegel“, „Das Gol<strong>den</strong>e<br />
Blatt“ und andere. Seine „Exklusiv<br />
Mappe“ befaßt sich mit Themen aus<br />
Blättern wie: „Schöner Wohnen“, „Essen<br />
und Trinken“, „Vital“, „Haus und Garten“<br />
… alles aufzulisten wäre zu lang.<br />
Zur Praxis-Eröffnung liefert Steinmetz gar<br />
gratis… Volks-Bildung ist wohl einträglich.<br />
sb<br />
Nach der Preisverleihung<br />
1993
„Oteco defera“<br />
zeigt Arrabals<br />
„Fando & Lis“<br />
„Guck Lis, wie schwer das ist,“ ruft Wolfgang<br />
Vogler als Fando und macht einen<br />
Kopfstand. Er hat recht, <strong><strong>den</strong>n</strong> vor allem wie<br />
schwer Theaterspielen sein kann, zeigen die<br />
fünf SchauspielerInnen in <strong>den</strong> knapp achtzig<br />
Minuten, die Fernando Arrabals „Fando<br />
& Lis“ dauert. „Oteco defera“ heißt Darmstadts<br />
neue freie Theatergruppe: hervorgegangen<br />
ist sie aus ehemaligen SchülerInnen<br />
der Theatergruppe der Justus-Liebig-<br />
Schule; mitgenommen hat sie als Regisseur<br />
Hanno Hener und die Hypothek eines<br />
ausgezeich<strong>net</strong>en Rufes im Schülertheater.<br />
„Oteco defera“ ist eine Abkürzung und steht<br />
für „Obduktionstheatercompagnie der Entfunktionalisierung<br />
des Absur<strong>den</strong>.“ Der<br />
Pennälerhumor ist tatsächlich Programm:<br />
die Entfunktionalisierung des Absur<strong>den</strong> ist<br />
gründlich gelungen – der Abend ist sinnlos.<br />
Fando und Lis sind mit einem Wägelchen<br />
immer im Kreis nach Tar unterwegs und<br />
kommen nie an. Tar – wie könnte es auch<br />
anders sein – ist eine Chiffre. Eine Chiffre,<br />
die für eine Menge steht. Beckett hat seinen<br />
Godot vergleichsweise präzise und plastisch<br />
beschrieben. Mit Details hält sich<br />
Arrabal gar nicht erst auf: möglicherweise<br />
interessierte er sich für Themen wie Gewalt,<br />
Sexualität, Kommunikation, Nihilismus,<br />
Theater, Erdbeermarmelade, Dosenbier,<br />
<strong>den</strong> Menschen allgemein und die Gesellschaft<br />
überhaupt. Das ist durchaus möglich.<br />
Das läßt sich mit Sicherheit je<strong>den</strong>falls<br />
nicht ausschließen. Ausschließen läßt sich<br />
auch nicht, daß irgendein sensibilisierter<br />
Semiintellektueller in dem wabern<strong>den</strong> Textflachsinn<br />
irgendwelche Bedeutungssurrogate<br />
entdeckt, die ihm irgendwo und<br />
irgendwie unheimlich viel bringen – persönlich<br />
natürlich. Arrabals großzügiger<br />
Strich in der Gesamtanlage setzt sich in<br />
Handlung und Figuren fort. Fando ist ein<br />
böses Siegfriedchen, der Lis ganz lieb fesselt,<br />
ihr ganz lieb Handschellen anlegt,<br />
schröcklich droht und lauter schlimme Dinge<br />
zu tun behauptet. Klar, daß diese Comicfigur<br />
Lis liebt. Und genauso klar, daß Lis<br />
„Guck Lis, wie<br />
schwer das ist“<br />
ihren Fando liebt. Arabal zeigt Lis als eine<br />
Frau, wie Frauen eben so sind: dumm dul<strong>den</strong>d<br />
und liebend gelähmt; ein langweiliges<br />
Objekt männlicher Subjekte. Weil die bei<strong>den</strong><br />
sich nichts zu sagen haben, muß Fando<br />
Lis umbringen – sonst wäre ja rein gar<br />
nichts los. Und weil das in zehn Minuten<br />
erledigt sein könnte, tauchen zwischendurch<br />
immer wieder drei Herren mit<br />
gelbem Schirm auf und versuchen, das öde<br />
Spiel unterhaltsamer zu gestalten. Tommy<br />
Trc hat die Bühne eingerichtet: in dem<br />
engen Rund der mit schwarzen Plastikfolien<br />
verhängten Manege sitzen die maximal<br />
sechzig ZuschauerInnen auf unbequemen<br />
Holzbänken dicht am Geschehen. Das ist –<br />
wenn man nicht gerade meinen Rücken<br />
fragt – eine gute Lösung. Anne Niemeyer<br />
und Wolfgang Vogler spielen Romeo und<br />
Julia im Zirkus. Wolfgang Vogler hat es an<br />
diesem Abend übel erwischt: so peinlich<br />
schlecht gesprochen seine Liebesbekundungen<br />
über die Lippen kommen, so<br />
unglaubwürdig geraten die andressierten<br />
Wutausbrüche. Anne Niemeyer füllt die<br />
Sprechblasen brav mit Text und laßt auch<br />
sonst viel mit sich machen. Das hat mit<br />
Anne Niemeyer, Tim Lang<br />
und Falk Schüll (Foto: H. Hener)<br />
ihrem schauspielerischen Vermögen wenig<br />
und mit Arrabal eine Menge zu tun. Nicht<br />
nur ein Lichtblick, nein, funkelnde Sterne in<br />
finsterer Nacht sind Falk Schüll, Tim Lang<br />
und David Gieselmann: die drei Männer mit<br />
dem gelben Schirm. Der perfekt choreographierte<br />
Nonsens der drei kann sich sehen<br />
lassen. Hanno Heners Regie zeigt viel Liebe<br />
zum Detail. Selbst kleinste Bewegungen<br />
sind sehr genau ausgearbeitet. Es ist verblüffend,<br />
mitanzusehen, was er aus seinen<br />
SchauspielerInnen physisch herausholt; im<br />
übrigen muß er Ohrenstöpsel getragen<br />
haben.<br />
Die „Obduktionstheatercompagnie“ hätte<br />
die Leiche „Fando & Lis“ besser im Keller<br />
der Theaterliteratur liegen lassen und das<br />
Skalpell an einem anderen Stück versucht.<br />
Die bloße Deklaration der Welt als einer<br />
absur<strong>den</strong> ersetzt keine inhaltliche Auseinandersetzung;<br />
sie ist nicht einmal unterhaltsam<br />
geraten. Die SchauspielerInnen agieren<br />
mit viel Enthusiasmus und Selbstbewußtsein.<br />
Das ist eine gute Voraussetzung<br />
für weitere Produktionen, genügt auf Dauer<br />
aber nicht.<br />
P.J. Hoffmann<br />
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 11<br />
Ein<br />
sist<br />
Glas<br />
ein Glas<br />
ist ein<br />
ist<br />
Glas<br />
ein Glas<br />
ist ein<br />
ist<br />
Gla-<br />
Glas ist ein Glas ist ein Glas<br />
ein<br />
ein Glas ist ein Glas ist ein Glas<br />
ist<br />
ist<br />
Glas<br />
ein<br />
ist<br />
Glas<br />
ein Glas<br />
ist ein<br />
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Glas<br />
ein Glas<br />
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ein Glas ist ein Glas ist ein Glas<br />
ist<br />
Ein<br />
ist ein<br />
Glas<br />
Glas...Ein<br />
ist ein Glas<br />
Glas<br />
ist ein<br />
ist<br />
Glas<br />
Glas ist ein Glas ist ein Glas...<br />
ein<br />
Ein Serienmaler Glas Peter ist Dreher<br />
ist ein Glas...<br />
ein Glas fens hat der ist Künstler ein allerlei Glas mitteilsame<br />
Spuren hinterlassen, aus <strong>den</strong>en sich seine<br />
der Galerie Axel Thieme<br />
Ein<br />
ist Glas<br />
Glas...<br />
ist ein Glas Befindlichkeiten, ist seine ein Gedanken, Glas ja sogar<br />
Was bringt einen Maler dazu, sich über die äußeren Ereignisse der immer wiederkehren<strong>den</strong><br />
Tage des Malens rekonstruieren<br />
zwanzig Jahre hinweg mit dem ewig gleichen,<br />
simplen Bild eines glatten Trinkglases lassen – mal nur ein simples Datum neben<br />
Ein zu beschäftigen?<br />
ist ein<br />
Glas Ist er von<br />
Glas...Ein<br />
ist irgendwelchen ein Glas der durchlaufen<strong>den</strong><br />
Glas<br />
ist ein Numerierung,<br />
ist<br />
Glas mal<br />
geheimen, dem nicht-künstlerischen Menschen<br />
verborgen bleiben<strong>den</strong> Inhalten ver-<br />
wechselhafte Botschaften wie „Webern<br />
Glas ist ein Glas ist ein Glas...<br />
ein–<br />
568 – 7.9.91“, oder „Brüderlein und<br />
Ein<br />
leitet wor<strong>den</strong>,<br />
ist ein<br />
Glas<br />
oder ist er<br />
Glas...<br />
ist<br />
vielleicht<br />
ein<br />
schlicht-Glaweg ein Verrückter, der sich in manischer<br />
Schwesterlein ist – 581 ein – 22.9.91”, Glas vielleicht<br />
auch politisch Erscheinendes wie „Hoyerswerda<br />
– 582 ist – 22.9.91“, oder ganz Glas poetisch<br />
Weise nicht mehr von einer besitzergreifen<strong>den</strong><br />
Idee befreien kann? Diese Frage muß<br />
Ein<br />
ist ein<br />
Glas<br />
Glas...<br />
ist ein Glas<br />
am selben Tag „Miss Robinson – 583 –<br />
sich bisweilen der Freiburger Maler Peter<br />
22.9.91“.<br />
Dreher stellen, <strong><strong>den</strong>n</strong> er arbeitet seit 1972 an<br />
Ein der möglicherweise<br />
ist ein<br />
Glas monoton<br />
Glas...Ein<br />
ist wirken<strong>den</strong> Peter Dreher schafft auf diese Weise einen<br />
ein Glas<br />
Glas<br />
ist ein<br />
ist<br />
Glas<br />
Serie „Tag um Tag ein guter Tag“.<br />
autonomen Mikrokosmos seiner Bildwelten,<br />
der sich geschlossen wirkt und <strong>den</strong>-<br />
Glas ist ein Glas ist ein Glas...<br />
Scheinbar kunstlos überträgt er dazu die<br />
noch mit dem Makrokosmos unserer<br />
Ein Umrisse seiner<br />
ist Glas Bildformen<br />
Glas...<br />
ist mittels einerGlas Lebenswelten ist korrespondiert. ein Glas Ähnlich wie<br />
Schablone, um das mit <strong>den</strong> klaren Fensterreflexen<br />
und vor dem hellem, neutralen<br />
der amerikanische Konzeptkünstler On<br />
Ein<br />
Hintergrund<br />
ist Glas<br />
eines Tisches<br />
Glas...<br />
ist<br />
und einer<br />
ein<br />
WandGlas Kawara, dessen ist äußerlich ein glatte Glas Datumsbilder<br />
innen mit aktuellen Zeitungsfragmenten<br />
dann brav und detailliert mit Ölfarbe auszumalen.<br />
Wenn man eines der Bilder gesehen<br />
ausgekleidet sind und so ihren Entstehungszeitpunkt<br />
ebenso dokumentieren wie<br />
Ein hat, so könne<br />
ist ein<br />
Glas man sich die<br />
Glas...Ein<br />
ist achtundachtzig ein Glas<br />
Glas<br />
ist ein<br />
ist<br />
Glas<br />
restlichen <strong>den</strong> neuen Räumen der Galerie<br />
kommentieren, stellt Peter Dreher seine<br />
Glas ist ein Glas ist ein Glas...<br />
Axel Thieme vielleicht sparen…<br />
scheinbar nur ästhetischen Artefakte in<br />
einen diskursiven Zusammenhang mit dem<br />
Ein Könnte man<br />
ist ein<br />
Glas wirklich? Dem<br />
Glas...<br />
ist konzentrierten ein Glas Betrachter, ist wodurch ein der Titel Glas der Serie<br />
und behutsamen Betrachter erschließen<br />
auch programmatischen Charakter gewinnt<br />
sich bei einer langsamen Beschäftigung mit<br />
Ein<br />
ist Glas<br />
Glas...<br />
ist ein Glas und womöglich ist <strong>den</strong> ein Imperativ einer Glas bewußteren<br />
Lebensführung enthalten mag.<br />
Drehers Glas-Serie bald schon subtile Differenzen<br />
der Farbigkeit, die jeder der neunundachtzig<br />
Tafeln einen eigenen Stimmungsgehalt<br />
Gerhard Kölsch<br />
Ein<br />
ist ein<br />
Glas verleihen. Mehr<br />
Glas...Ein<br />
ist noch, ein <strong>den</strong>Glas Bis zum 26.<br />
Glas<br />
ist Juni, Öffnungszeiten: ein<br />
ist<br />
Glas<br />
weichen Farbgrund des oberen Bildstrei-<br />
Glas ist ein Glas ist ein Glas...<br />
ein<br />
Ein<br />
ist ein<br />
Glas<br />
Glas...<br />
ist ein Glas Di–Fr 11–18.30, ist Sa ein 10–14 Uhr.<br />
Glas<br />
Ein Glas ist ein Glas ist ein Glas<br />
Ein intimer Kenner der germanischen Psyche<br />
„Das vierte Reich“ von Heleno Saña: ein Ratgeber voller Ressentiments<br />
Unter diesem Titel verspricht der<br />
Autor „der äußeren Dialektik des deutschen<br />
Volkes“ auf <strong>den</strong> Grund zu gehen. Er überfliegt<br />
ohne viel Federlesens <strong>den</strong> Dschungel<br />
der Geschichte und enthüllt geradewegs die<br />
Kausalkette von <strong>den</strong> „Raub- und Beutezügen<br />
der alten Germanen“ (die allenfalls „oft von<br />
langen Pausen unterbrochen“ waren) über<br />
die Weltkriege in die Zukunft, wohl ahnend,<br />
daß „jede antizipatorische Auslegung die<br />
Gefahr in sich birgt, sich in Pseudo-Prophetentum<br />
zu verwandeln.“ Diese Hürde unterläuft<br />
Saña souverän und bedient sich als<br />
Prophet ewiger Wahrheiten etwa der folgen<strong>den</strong><br />
Art: „ ... der Eroberungs- und Aggressionstrieb<br />
(der alten Germanen) ist noch heute<br />
eines der tiefsten psychischen Wesensmerkmale<br />
der Deutschen“ (S. 217); „Der<br />
Beuteinstinkt der alten Germanen ist keineswegs<br />
abgeklungen“ (S. 21); „Die BRD hat<br />
<strong>den</strong> uralten, tiefverwurzelten teutonischen<br />
Drang nach Machtentfaltung weitgehend<br />
geerbt.“ (S. 33).<br />
Was Sañas „prospektive Analytik“ nur auf<br />
<strong>den</strong> ersten Blick offenläßt, ist die Frage,<br />
woher nun die alten Germanen ihre tiefverwurzelten<br />
Instinkte abbekommen haben.<br />
Hat es vielleicht etwas mit Blut und Rasse zu<br />
tun? Saña würde dies vermutlich entrüstet<br />
von sich weisen, möchte er doch unter Kennern<br />
als ausgewiesener Sozialist und Antifaschist<br />
gelten.<br />
Allerdings, seine deutliche Distanz zu Prominenten<br />
des Sozialismus kommt nicht von<br />
ungefähr: Lenin etwa (seine Mutter war<br />
natürlich ausgerech<strong>net</strong> Deutsche), dessen<br />
Bolschewismus „importiertes Europäertum<br />
in seiner germanischen ungeduldigen Prägung“<br />
(S. 95) war, konnte seine Mission<br />
1917 bekanntlich nur aufgrund einer Freikarte<br />
der teutonischen Eisenbahn antreten.<br />
Es ist daher nicht verwunderlich, daß Saña<br />
sich auf eine politökonomische Betrachtung<br />
der bundesdeutschen Gesellschaft, respektive<br />
ihrer Klassenverhältnisse kaum einlassen<br />
muß. Dialektische bzw. historisch-materialistische<br />
Ansätze müssen ihm von vornherein<br />
suspekt sein. Denn auch wenn er Karl<br />
Marx bisweilen nahezu lobend (weil weniger<br />
deutsch) erwähnt, – mit Marx und Engels,<br />
„mehr mit letzterem, ... weil er der deutscheste<br />
von bei<strong>den</strong> war“ (S. 157), fing „die organisatorische<br />
Germanisierung der europäischen<br />
Arbeiterbewegung“ schon an.<br />
Sañas kaum verborgene Sympathie für<br />
Bakunin dagegen (dessen panslawistische<br />
Neigung ihn geradezu beflügelt), gibt ihm<br />
die erforderliche antizipatorische Schärfe<br />
hinsichtlich des Verhältnisses zwischen<br />
Deutschen und Russen. Nur so konnte es<br />
<strong><strong>den</strong>n</strong> auch exakt auf <strong>den</strong> Punkt gebracht<br />
wer<strong>den</strong>: „Die Russen wer<strong>den</strong> immer so bleiben,<br />
wie sie waren: indolent, träge, unzuverlässig,<br />
gutmütig, schmerzerprobt, wodkasüchtig,<br />
träumerisch und <strong><strong>den</strong>n</strong>och fähig,<br />
bis zur Selbstaufgabe und mit äußerster<br />
Tapferkeit ihre Heimat gegen je<strong>den</strong> Aggressor<br />
zu verteidigen ... .“(S. 96). Und weil die<br />
Deutschen, wie sollte es bei deren „uralten,<br />
tiefverwurzelten teutonischen Drang“ auch<br />
anders sein, ebenfalls immer so bleiben, wie<br />
sie waren, ist der weitere Lauf der Historie<br />
wohl nicht schwer zu erraten.<br />
Wenn es aber nicht Rassismus sein soll,<br />
was Saña zu seinen für die „Deutschen als<br />
Kollektiv, als Masse, als Nation“ so düsteren<br />
und jede Hoffnung auf Besserung praktisch<br />
ausschließen<strong>den</strong> Perspektiven gelangen<br />
läßt, so bleiben dazu aus dem Rest seiner<br />
Darlegungen im Wesentlichen seine profun<strong>den</strong><br />
Kenntnisse der Psychologie – genauer<br />
des Geschichtsfreudianismus, als dessen<br />
herausragender Vertreter er unzweifelhaft in<br />
die wissenschaftliche Literatur eingehen<br />
wird. Denn er hat ganz offensichtlich mehr<br />
als „bei Freud nur ein bißchen geblättert“ (S.<br />
230). Wie z. B. ein berühmter Verhaltensforscher<br />
meinte, aus jahrelangen Beobachtungen<br />
der Graugänse die Politologie<br />
fortentwickeln zu können, leistet Saña<br />
systemschöpfende Arbeit, indem er mit Sigmund<br />
Freud zugleich die graue Vergangenheit<br />
und die Zukunft des „Germanentums“<br />
erhellt: Denn die teutonische Aggressionsbereitschaft<br />
„war schon längst vorher da als<br />
individuellkollektives Syndrom, als Folge<br />
der autoritär-repressiven Orientierung …<br />
der Gesellschaftsverhältnisse … die bei <strong>den</strong><br />
zwischenmenschlichen Beziehungen täglich<br />
erlebte … Bestrafung war die wahre Ursache<br />
für die Triebunterdrückung und das Entstehen<br />
von Rachegefühlen.“ (S. 55) Und<br />
damit leuchtet ein: „Langeweile erzeugt<br />
Aggressionen, herrschsüchtige Menschen<br />
und Völker sind immer unglücklich und die<br />
Deutschen sind es in höchstem Maße.“(S.<br />
102) Also „ ... ist zu vermuten, daß sie sich<br />
für ihre grundsätzlich aggressive Triebausstattung<br />
neue Entladungsmöglichkeiten“<br />
(S.55) suchen. Fazit: „Wir sehen, daß das,<br />
was wir zusammenfassend antizipatorisch<br />
das vierte Reich nennen, letzten Endes eine<br />
psychische Angelegenheit ist … ein neuer<br />
Zyklus germanischen Machtrauschs … eine<br />
Entladung angestauter Rachegelüste und<br />
unüberwun<strong>den</strong>er Minderwertigkeitskomplexe<br />
… . Ein neuer Höhepunkt der schlimmsten<br />
Traditionen dieses Volkes …“ (S. 237)<br />
usw. usf..<br />
Das Buch, wider <strong>den</strong> deutschen Chauvinismus<br />
geschrieben, ist weder antinationalistisch,<br />
noch antichauvinistisch. Es zeigt vielmehr,<br />
wie sich mit dem Vehikel eines vulgären<br />
Psychologismus ein ungeahntes<br />
Arsenal an rassistischen Klischees und<br />
nationalistischen Vorurteilen reproduzieren<br />
läßt, in diesem Fall gegen „Die Deutschen“.<br />
Sañas Rezept lautet folgerichtig: „Die Entgermanisierung<br />
Deutschlands“(Kap. 21).<br />
Auch sporadisch eingeflochtene Versuche,<br />
<strong>den</strong> Eindruck einer Ausgewogenheit zu<br />
erwecken, erweisen sich als leichtflüchtig.<br />
So macht Saña seine „Hoffnung: die anderen<br />
Deutschen“ (Kap.21) sich selbst gleich<br />
wieder zunichte, <strong><strong>den</strong>n</strong>: „sie waren immer die<br />
Verlierer, sie wer<strong>den</strong> es wahrscheinlich wieder<br />
sein“.<br />
Im Ernst: Der Kampf gegen die Gefahr eines<br />
4. Reiches tut gewiß not – doch dazu bedarf<br />
es einer anderen Diagnostik. So wenig man<br />
die imperialistischen Ambitionen der<br />
führen<strong>den</strong> Kreise des vereinten Deutschland<br />
bestreiten und z.B. die Gefahr einer künftigen<br />
Notstandsdiktatur, eines Faschismus in<br />
neuem Gewand, (etwa unter dem Titel<br />
„Sicherung des Rechtsstaates“) ignorieren<br />
kann, sowenig darf man eine ganze Reihe<br />
von Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte<br />
übergehen. Es sei hier nur Weniges<br />
angedeutet, um zu unterstreichen, wie<br />
gewagt es wäre, Heleno Saña das Feld der<br />
Prophetie streitig zu machen: Die wirtschaftliche<br />
und militärische Rolle der Bundesrepublik<br />
erlaubt der maßgeblichen Klasse keine<br />
nationalistischen Abenteuer. Daß die friedliche,<br />
kosmopolitische Variante der deutschen<br />
Politik <strong>den</strong> Vorzug hat, ist für Saña<br />
allerdings erneuter Beweis für <strong>den</strong> „ungebrochenen<br />
Eroberungs- und Aggressionstrieb“,<br />
der sich notgedrungen halt friedlich<br />
„neue Entladungsmöglichkeiten“ suchen<br />
muß. Aber, daß die „Germanisierung Europas“<br />
etwa durch ökonomische Probleme<br />
infolge der deutschen Einheit gebremst wer<strong>den</strong><br />
könnte, paßt schon nicht mehr in seine<br />
Schablonen.<br />
Für Bewegungen „von unten gibt es für<br />
unseren Autor nur die von seiner eigentümlichen<br />
Geschichtsinterpretation gewiesene<br />
Einbahnstraße. Seine Feststellung, daß es<br />
„in der BRD keine richtige Arbeiterbewegung<br />
und deshalb auch keine richtige Linke“<br />
gibt (S.148) (warum kreidet er das nur <strong>den</strong><br />
Deutschen an?), ist an alten, gescheiterten<br />
Modellen orientiert. Sie muß daher zu der<br />
trostlosen Aussicht führen, „daß die deutsche<br />
Arbeiterklasse sich immer mehr im<br />
Fahrwasser der nationalen Eintracht bewegt<br />
und sich be<strong>den</strong>kenlos dem imperialistischen<br />
Kurs der führen<strong>den</strong> Schichten der Nation<br />
anpassen wird.“(S.152) Überhaupt kein<br />
Thema in diesem Zusammenhang sind die<br />
beträchtlichen Veränderungen der sozialkulturellen<br />
Verhältnisse in Deutschland seit<br />
<strong>den</strong> ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts,<br />
vor allem nach 1945. Wäre es z.B. nicht der<br />
Mühe Wert, aus dem Verbleib der agrarischen,<br />
vom preußischen Halbfeudalismus<br />
autoritär geprägten Schichten, die ein<br />
wesentlicher Resonanzbo<strong>den</strong> des Faschismus<br />
waren, neue Schlußfolgerungen zu ziehen?<br />
„Die unzähligen Sozial-, Protest- und außerparlamentarischen<br />
Bewegungen“ (S.151),<br />
die 68er, die Frie<strong>den</strong>s- oder Ökologiebewegung<br />
usw. vermag Saña nur von der Seite<br />
ihres Scheiterns an der politischen Oberfläche<br />
zu sehen. Ihre Ursachen, Wechselwirkungen<br />
und Vermittlungen gerade im<br />
Zusammenhang mit tieferen Schichten des<br />
sozialen, politischen oder „psychischen“<br />
Milieus bleiben ausgeblendet.<br />
Sañas Buch weist sich aus als das eines<br />
Metaphysikers, für <strong>den</strong> „Dialektik allenfalls<br />
in mechanischen Verhältnissen unveränderlicher<br />
(im Fall der Deutschen allemal unverbesserlicher)<br />
Größen besteht. Der intime<br />
Kenner der germanischen Psyche erschöpft<br />
sich darin, in unendlichen Varianten zu räsonieren,<br />
daß seit der Völkerwanderung im<br />
großen und ganzen alles beim alten geblieben<br />
ist. Die alten Germanen können sich<br />
gegen solchen Obskurantismus (Bestreben,<br />
die Menschen bewußt in Unwissenheit zu<br />
halten, ihr selbständiges Denken zu verhindern<br />
und sie an Übernatürliches glauben zu<br />
lassen) nicht mehr zur Wehr setzen. Wenn<br />
es um <strong>den</strong> gewiß schwierigen Kampf für ein<br />
künftiges Deutschland geht, vor dem die<br />
Völker keine Angst mehr haben müssen,<br />
muß man auf Ratgeber, die statt Aufklärung<br />
Ressentiments anbieten, besser verzichten.<br />
Karl-Heinz Goll<br />
Heleno Saña: „Das vierte Reich“,<br />
Rasch u. Röhring-Verlag, 1990
AUSSTELLUNGEN<br />
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 12<br />
Eigentlich müßte es der Verpackungsindustrie<br />
ja ganz mulmig zumute sein –<br />
wurde doch nach jahrelangen Diskussionen<br />
mit dem aufgedruckten „Grünen Punkt“<br />
und dem Einsammeln des Mülls durch das<br />
„Duale System Deutschland“ (DSD) ein<br />
hochgelobtes und vielgeschmähtes System<br />
zur Verwertung und Umverteilung unser<br />
aller Abfälle eingeführt, das nun durch die<br />
Skandale um Müllexporte und das Gerede<br />
über drohende Pleite zumindest permanent<br />
diskreditiert wurde. Gerade zu diesem Zeitpunkt<br />
nimmt eine schwedische Papierfirma<br />
namens „Iggesund“, vorrangig tätig als Zulieferer<br />
der Kartonindustrie, das 25jährige<br />
Jubiläum ihrer deutschen Tochterfirma<br />
nicht nur zum Anlaß einer großen Feier,<br />
sondern initiierte jüngst auf Schloß Kranichstein<br />
ein Gespräch zwischen Professoren<br />
und Experten, das rege Fachkreise über<br />
die hohe ökologische Wertigkeit ihrer Produkte<br />
aus der feinen, gebleichten Zellstoffpappe<br />
aufklären sollte. Dem breiten Publikum<br />
wird sogleich eine ebenso aufklärerische<br />
und selbstreflektierende Ausstellung<br />
im „Institut für Neue Technische Form“ auf<br />
der Mathil<strong>den</strong>höhe nachgereicht, welche<br />
die neuen Strategien zu einer ökologisch<br />
vertretbaren Verpackungsflut vorstellen<br />
möchte – allesamt mächtig von Pappe, wie<br />
es scheint.<br />
Tatsächlich sprechen zunächst einige Fakten<br />
für Verpackungen aus diesem Rohstoff: laut<br />
Frauen<br />
weben und<br />
fotografieren<br />
Ausstellungen in der Kunsthalle und der Galerie + Edition Beckers<br />
Statistiken (welchen?) sollen in <strong>den</strong> letzten<br />
bei<strong>den</strong> Jahren die Anteile von Kunststoffen<br />
in der Verpackungsflut von 40 auf 27%<br />
gesunken sein, während Papier und Pappe<br />
an die Stelle dieses Materials getreten seien.<br />
Dieser steigende Anteil dürfte noch wachsen,<br />
wenn sich die Kilogebühren des DSD ab<br />
Oktober für Kunststoffe drastisch erhöhen.<br />
Nun weiß natürlich jeder Bundesbürger, der<br />
brav seine alten Zeitungen in die stets überquellen<strong>den</strong><br />
Container stopft, daß der Altpapiermarkt<br />
einerseits längst übersättigt ist,<br />
und andererseits (aus <strong>den</strong> Anzeigenkampagnen<br />
der Forstindustrie), daß die immerwährende<br />
Zufuhr von Frischfasern für die<br />
hohe Papierqualität ebenso notwendig sei<br />
für einen gepflegten, stets sauber ausgeschlagenen<br />
Wald (<strong>den</strong> wir ja alle wollen).<br />
Mag also der Karton aus frischen Holzfasern<br />
wirklich die Verpackungsform mit einer günstigen<br />
Ökobilanz sein, wie uns die Ausstellung<br />
suggeriert? Man beschreibt dort ausführlich<br />
das eigene Produktionskonzept, <strong>den</strong><br />
Verzicht auf eine Chlorbleiche des Materials<br />
und <strong>den</strong> Einsatz von Holzabschnitten zur<br />
Energiegewinnung, neue Veredlungsverfahren<br />
wie wasserlösliche Lacke und strenge<br />
Aufforstungsprogramme, anschaulich illustriert<br />
und mit einigen kleinen Nadelbäumchen<br />
zur Dekoration. Ob man damit<br />
jedoch kritischen Geistern wirklich ihre<br />
Skepsis austreiben kann? Oder gar jenen<br />
Pessimismus, der kaum glauben läßt, daß<br />
aufgrund unserer angeknacksten Umwelt<br />
keines der drei schwedischen Bäumchen,<br />
die „Iggesund“ angeblich wieder pflanzt, einmal<br />
so groß wer<strong>den</strong> dürfte, das es unseren<br />
Enkeln als Rohstoff dienen kann?<br />
Wofür brauchen wir also <strong>den</strong> weißen, feinen,<br />
hochwertigen Karton? Vielleicht<br />
Ausstellung über<br />
Verpackungen,<br />
nicht ganz ohne<br />
doppelten Bo<strong>den</strong> im<br />
Institut für Neue<br />
Technische Form<br />
tatsächlich als Verpackung für Lebensmittel,<br />
die aus dem hygienisch angeblich<br />
be<strong>den</strong>klichen Recycling-Material allerlei<br />
Schädliches herauslösen und in sich aufnehmen<br />
könnten, wenn sie heiß und fettig<br />
wie eine frische Pizza darin liegen. Und vielleicht<br />
auch für die teuren, aber insgesamt<br />
nur in einer geringen Stückzahl produzierten<br />
Produkte, die wie das Fernglas und die<br />
Fotokamera, in der weißen gelackten Kartonschachtel<br />
mindestens ebensogut aufgehoben<br />
erscheinen wie in der Ex-und-Hopp-<br />
Plastikbox. Aber auch für die Umverpackung<br />
einer Parfumflasche? Oder für die<br />
CD-Schachtel aus Pappe? Hier scheint man<br />
gar die neuesten Design-Trends aus <strong>den</strong><br />
USA verschlafen zu haben, wo die spezifische<br />
Ästhetik der beige oder champagnerfarben<br />
schimmern<strong>den</strong> Recycling-Papiere<br />
längst die kreativen Köpfe der Grafik-Agenturen<br />
zu neuen, sehr edel wirken<strong>den</strong> Lösungen<br />
anregen konnte.<br />
Mehr als widersinnig muß dagegen die Präsentation<br />
eines Verpackungsentwurfs anmuten,<br />
der, granitartig bedruckt und aufwendig<br />
geprägt, auch noch mit dem Schriftzug<br />
„NATURE” versehen wird – und dabei<br />
ganz aus reinem, weißen Frischfaserkarton<br />
besteht. Die Doppelbödigkeit solcher Überlegungen<br />
illustriert dann bestens jenes Beispiel,<br />
wie eine Abreißschiene aus Metall für<br />
Folienrollen durch zackenförmig gesägten<br />
und gefalzten Karton ersetzt wer<strong>den</strong> könnte<br />
– ohne daß dabei auch nur ansatzweise über<br />
die Notwendigkeit des Verpackungsinhaltes,<br />
der energiefressen<strong>den</strong> Alufolie oder der<br />
nicht mehr verwertbaren Plastik-Frischhaltefolie,<br />
nachgedacht würde.<br />
Hier wird der Knackpunkt des ganzen<br />
Unterfangens sichtbar: Weit stärker noch<br />
als in dem Plädoyer für Frischfaserkartons<br />
und in der vielleicht etwas verwegenen Vorstellung,<br />
immer größere Mengen an Material<br />
immer weiter recyclen zu können. Man<br />
beharrt schlichtweg auf dem Standpunkt,<br />
daß mehr oder weniger aufwendige Verpackungen<br />
grundsätzlich notwendig sind<br />
(ganz gleich, wie weit etwa eine Ware transportiert<br />
wer<strong>den</strong> muß, oder ob es sich gar<br />
nur um eine Umverpackung handelt), und<br />
verschwendet zugleich keinen Gedanken<br />
über die ökologische Verträglichkeit der<br />
verpackten Waren selbst.<br />
Auch die ausgestellten Wettbewerbsentwürfe<br />
von jungen DesignerInnen lassen<br />
kaum eine Abkehr von dieser Geisteshaltung<br />
erkennen – ja, ganz im Gegenteil –<br />
man favorisiert hier gerade die komplizierteren<br />
Lösungen, wie einen Chipskarton mit<br />
integrierter Servierschale oder eine Schokola<strong>den</strong>schachtel<br />
mit herausziehbarem<br />
Papierband, auf dem dann die einzelnen<br />
Stückchen kleben. Hauptsache bunt, auffallend,<br />
gekauft und dann ab in <strong>den</strong> Container.<br />
Auch wenn diese Ideen der Pappindustrie<br />
gut gefallen mögen: In einem Institut, das<br />
die Entwicklung innovativer Lösungen für<br />
die Produktgestaltung und somit für unser<br />
aller Leben und Umwelt auf seine Fahnen<br />
geschrieben hat, wirken derart beharrlichkonventionelle<br />
Ansätze bisweilen doch arg<br />
befremdlich.<br />
Gerhard Kölsch<br />
Arachnes Fluch...<br />
Wie der römische Geschichtenerzähler Ovid<br />
in seinen „Metamorphosen“ berichtet, traten<br />
einst die wackere Weberin Arachne und die<br />
mächtige Pallas Athene, Göttin der Weisheit<br />
und des Handwerks, im Wettstreit gegeneinander<br />
an, wer <strong>den</strong> schöneren Bildteppich<br />
weben könne. Und wie man bereits vermutet<br />
hat, es war das Menschenkind Arachne, das<br />
mit fein ausgeführter Bildfolge der Götterliebschaften<br />
diesen Wettstreit gewann. Natürlich<br />
beschwor dergleichen <strong>den</strong> Unmut der<br />
eifersüchtigen Göttin, die unsere geschickte<br />
Weberin flugs in eine eklige Spinne verwandelte,<br />
die bis heute<br />
dazu verdammt ist,<br />
ewig und fleißig<br />
ihre leimigen Fä<strong>den</strong><br />
zu Netzen zu<br />
weben… .<br />
Fast scheint es,<br />
daß die moderne<br />
Bildweberei unter<br />
diesem Fluch der<br />
Arachne steht. Von<br />
fleißigen Frauenhän<strong>den</strong><br />
geschaffen,<br />
wird diese<br />
Kunst von neidischen<br />
Malerkollegen<br />
mißachtet und<br />
von der Kunstkritik<br />
gerne in die Nähe<br />
(Abb.: Kunsthalle) bloß kunsthandwerklicher<br />
Arbeit gerückt. Ob sich die Bildweberei<br />
wirklich auf der Höhe der künstlerischen<br />
Zeit befindet, mag bezweifelt wer<strong>den</strong>.<br />
Vorbei scheinen die Zeiten der Arbeitsteilung,<br />
als große Maler wie Raffael oder Picasso<br />
die Kartons zu <strong>den</strong> Meisterwerken aus<br />
Brüsseler oder Pariser Manufakturen lieferten.<br />
Doch <strong>den</strong> selbst entworfenen und ausgeführten<br />
Einzelwerken der heutigen Künstlerinnen<br />
haftet eine recht hermetische, wenn<br />
nicht sogar hausgemachte Ästhetik an. Eine<br />
Ausstellung der Darmstädter Kunsthalle hat<br />
es zu ihrem Anliegen erhoben, in der Bildweberei<br />
nach neuen künstlerischen Impulsen<br />
Ausschau zu halten.<br />
Zu entdecken sind dort zum Arbeiten, die bei<br />
einem internationalen Symposion für Bildweberei<br />
in der Stadt Graz entstan<strong>den</strong>. Auffallend<br />
ist, daß die formale Überwindung und<br />
die technische Erweiterung der klassischen<br />
Bildweberei am ehesten dazu geeig<strong>net</strong><br />
scheint, überzeugende, weil zeitgemäße,<br />
Ausdrucksform zu fin<strong>den</strong>.<br />
So wirken etwa die arg rustikal umgesetzten<br />
Motive der Bildteppiche von Renate Maak in<br />
ihrer unharmonischen Farbgebung weit<br />
weniger interessant als ihr freihängendes<br />
Objekt aus gelochten Kartons, durch die<br />
bedruckte Streifen aus Zeitschriftenpapier<br />
gewebeartig gezogen wur<strong>den</strong> und als Textoder<br />
Bildfragment erkennbar bleiben. Dergleichen<br />
vermag sich jedoch nur schwerlich<br />
vom Ruch der Frauengeduldsarbeit und der<br />
Handarbeitsstunde freizumachen, ebenso<br />
wie die kleinen Objekttischchen von Ingeborg<br />
Pock, die getrock<strong>net</strong>e Blätter und Blüten,<br />
kleine Kissen und Nadeln unter Glasglocken<br />
vereinen und so fast wie Klosterarbeiten<br />
von fleißigen Nonnen aus dem 19.<br />
Jahrhunderts wirken. Allein der Witz, mit<br />
dem Judit Gink ihre gedruckten Stoffrosen<br />
und Plastikblumen zur plastischen Gestaltung<br />
einsetzt, oder die gestalterische Sensibilität,<br />
die Verena Welten von Arb bei ihren<br />
aus zarten Textilien geschichteten „Gesichtshäuten”<br />
unter Beweis stellt, vermag das vorschnelle<br />
Urteil des handwerklich ausgerichteten<br />
„Frauenmediums” der Textilkunst zu<br />
widerlegen.<br />
Daß man daneben am Steubenplatz auch<br />
noch einen viel zu kurz geratenen Abriß der<br />
historischen Entwicklung der Bildweberei im<br />
norwegischen Trondheim zeigt, gibt der Ausstellung<br />
einen eher gestückelten Charakter.<br />
Man hängt hier die traditionelle Vorbilder<br />
aufgreifen<strong>den</strong> Wandteppiche von Gerhard<br />
Munthe, der in Trondheim um die Jahrhundertwende<br />
eine Manufaktur gründete, gleich<br />
neben die expressiv farbigen, an Kirchners<br />
Teppichentwürfe erinnern<strong>den</strong> Bildgeschichten<br />
von Hannah Ryggen aus <strong>den</strong> dreißiger<br />
und vierziger Jahren, und in unmittelbarer<br />
Nachbarschaft folgen dann die groben,<br />
raumbeherrschen<strong>den</strong> Filzarbeiten von Beret<br />
Aksnes und die fein gebatikten und plissierten<br />
Sei<strong>den</strong>objekte von Anne Kvam. Auf diese<br />
Weise kann weder eine Entwicklung des<br />
Mediums hinreichend dokumentiert noch ein<br />
mutiger Ausblick auf seine Zukunft entworfen<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
... und Medusas<br />
versteinernder Blick<br />
Starr blickt ein Frauengesicht mit wirrem<br />
Haar auf die drei gewölbten Zerrspiegel, die<br />
gegenüber dem kreisrun<strong>den</strong> Fotoselbstportrait<br />
der Düsseldorfer Fotografin Claudia van<br />
Koolwijk stehen. Und wenn der Betrachter<br />
ihnen gegenübertritt, macht er eine seltsame<br />
Metamorphose durch: seine Beine treten in<br />
spiegelbildlicher Verdoppelung an die Stelle<br />
des Kopfes; oder er wird zum dünnen, stricknadellangen<br />
Geschöpf, offenbar durch <strong>den</strong><br />
bösen Blick der medusenhaft dreinschauen<strong>den</strong><br />
Künstlerin verhext. Ist dies nur eine<br />
muntere Spielerei mit unserer Wahrnehmung?<br />
Oder wird hier mehr als nur das verzerrte<br />
Bild unserer Gestalt, wer<strong>den</strong> auch<br />
gedankliche Vorgänge und künstlerische<br />
Konzepte reflektiert?<br />
„Spiegelbilder“ von Claudia v. Koolwijk<br />
(Abb.: Galerie + Edition Beckers)<br />
Claudia van Koolwijk scheint sich einen Spaß<br />
daraus zu machen, mit derartig vielschichtigen<br />
Bildsystemen zu jonglieren, wie die Ausstellung<br />
ihrer Arbeiten in der Galerie + Edition<br />
Beckers beweist. Die Zerrspiegel brachte<br />
sie ans Rheinufer, um dort Passanten in<br />
formauflösen<strong>den</strong> Posen abzulichten. Rollenspiele<br />
faszinieren sie allenthalben – ob in<br />
posenhaften Selbstportraits oder in <strong>den</strong><br />
Kostümbildnissen ihrer Bekannten und<br />
Freunde, wenn uns „Christian” im violetten<br />
Chiffonkleid mit weißem Spitzenkragen entgegentritt<br />
oder „Herman in <strong>den</strong> Rosen” freudig<br />
vor dem rosaroten, blumigen Hintergrund<br />
lächelt.<br />
Von der Verletzbarkeit unserer Intimität und<br />
der ganz konträren Lust am Vorzeigen scheinen<br />
schließlich die Fotografien der bemalten<br />
nackten Männer zu handeln, wenn ein Körper<br />
über und über mit schwarzen, wie tätowiert<br />
wirken<strong>den</strong> Sonnensymbolen bedeckt ist oder<br />
seine inneren Organe und sein Knochengerüst<br />
in schwarzer und roter Farbe auf die<br />
Haut skizziert wurde – die mythologische<br />
Stimmung der Rollenportraits weicht hier<br />
einer rituellen, mystischen, auf je<strong>den</strong> Fall rätselhaft<br />
bleiben<strong>den</strong> Atmosphäre, die vom<br />
Betrachter erkundet wer<strong>den</strong> will.<br />
Gerhard Kölsch
BRIEFE AN DIE REDAKTION I<br />
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 13<br />
Wer Lager betreibt und sich bereichert, kriegt was ab Politiker müssen endlich etwas tun<br />
Bekennerschreiben zu Auto-Brandanschlägen in Pfungstadt und Brachtal<br />
Heute, in der Nacht des 8. Juni 1993 haben<br />
wir die verantwortlichen Herren zweier Firmen<br />
besucht, die ihr Geschäft mit dem<br />
Betrieb von Flüchtlingslagern machen. In<br />
Hessen wer<strong>den</strong> viele Lager und Wohnheime<br />
an Privatfirmen „vergeben“, sowohl direkt<br />
vom Land als auch von Kreisen und Kommunen.<br />
„Czok&Vogel-Beherbergungslogistik“ ist die<br />
in Hessen größte und berüchtigste Firma dieser<br />
Art. Sie hat gleich in allen drei hessischen<br />
„Zentralen Aufnahmestellen“ (Zasten) ihre<br />
Finger drin: Schwalbach/Eschborn, Gießen,<br />
Gelnhausen. Sie verdient am Lager „Schloß<br />
Dern“, an Lagern in <strong>den</strong> sog. neuen Ländern<br />
und an mehreren Wohnheimen im Kreis<br />
Darmstadt-Dieburg. In Dieburg, Nordring<br />
35, befindet sich die Zentrale dieser Firma.<br />
Ominöse Verträge eines angeblich überlasteten<br />
Ministeriums lassen Czok & Vogel allen<br />
Spielraum, kräftig abzukassieren.<br />
Schikanöse Lagerkontrollen durch die Wachschutzfirma<br />
„Heym“ aus Limburg, miese<br />
Essensversorgung der Firma „MS-Catering“,<br />
scheinbare Flüchtlingsberatung durch „Integration<br />
e. V.“, Billigputzkolonnen aus Thüringen<br />
... . „Czok & Vogel“ ist undurchschaubar<br />
verwoben mit einem Netz von Subfirmen.<br />
Zusätzlich wer<strong>den</strong> Flüchtlinge als DolmetscherInnen<br />
und sogenannte SozialbetreuerInnen<br />
je nach Bedarf für ein paar Mark am<br />
Tag angestellt.<br />
In <strong>den</strong> „Zasten“ und zum Teil auch in <strong>den</strong><br />
anderen Lagern können und dürfen die Menschen<br />
nicht selbst kochen. Das Geld, das <strong>den</strong><br />
Flüchtlingen eigentlich zusteht, wandert als<br />
Verpflegungssatz in die Kassen von „Czok &<br />
Vogel“. Am miesen Kantinenfraß und billigen<br />
Lunchpaketen wird auf Kosten der Asylsuchen<strong>den</strong><br />
abgesahnt.<br />
Immer wieder kommt es bei der Essensversorgung<br />
zu Protesten und Widerstandsaktionen<br />
der Flüchtlinge. Mit dem Betrieb mehrerer<br />
Großlager hat „Czok & Vogel“ die Möglichkeit,<br />
Verlegungen jederzeit durchführen<br />
zu können. Mehrfach wurde dieses Mittel<br />
angewendet, um Proteste zu brechen.<br />
Lagerbetreiberfirmen erhalten vom Staat<br />
Kopfgeld. Es gibt keine einzuhalten<strong>den</strong> Mindestquadratmeter,<br />
entsprechend wer<strong>den</strong><br />
möglichst viele Flüchtlinge auf engstem<br />
Raum zusammengepfercht. Häufig in Billigstbauweise<br />
erstellt, mittels Dünnwandabtrennungen<br />
umgebaut oder gleich in Container:<br />
Die Unterbringung von Flüchtlingen ist<br />
ein lohnendes Geschäft.<br />
Auch die „Saßmann Grundstücksbetreuungs-GmbH“<br />
hat diesen profitablen Markt<br />
seit Jahren entdeckt und steckt dicke im<br />
Geschäft. Die Firmenzentrale sitzt in 6472<br />
Altenstadt, Hanauer Straße 23, der Schwerpunkt<br />
der Firma liegt im Wetterau- und Main-<br />
Kinzig-Kreis, in Mörfel<strong>den</strong> und in Berlin<br />
Am Dienstag <strong>den</strong> 8. Juni 1993 ist in Frankfurt<br />
ein Brandanschlag auf ein Haus verübt<br />
wor<strong>den</strong>. In dem Haus leben Bürgerinnen<br />
und Bürger dieser Stadt. Allein ihre Nationalität<br />
hat sie zum Ziel dieses brutalen rassistischen<br />
Angriffs gemacht.<br />
Oberbürgermeister von Schoeler beklagt,<br />
„daß das Klima in der Stadt durch diesen<br />
Anschlag beschädigt wor<strong>den</strong> sei“ (FR v.<br />
9./10.6.). Das Nord-Süd-Forum – ein<br />
Zusammenschluß von Frankfurter Gruppen,<br />
die im Nord-Süd-Bereich engagiert<br />
sind, hält dies für einen falschen, weil<br />
ablenken<strong>den</strong> Blickwinkel. Beschädigt wur<strong>den</strong><br />
Menschen, deren elementare Rechte<br />
und Würde! Diese rassistisch-motivierte<br />
Gewalt ist unseres Erachtens das Ergebnis<br />
eines „Klimas“ in Deutschland und auch in<br />
Frankfurt, das schon sehr viel länger Scha<strong>den</strong><br />
genommen hat als erst seit letzten<br />
Dienstag!<br />
Die offene und versteckte Abstempelung<br />
von „Ausländern“ aus zumeist südlichen<br />
Ländern zu Sün<strong>den</strong>böcken für die wirtschaftlichen,<br />
sozialen und politischen Probleme<br />
in Deutschland hat maßgeblich zu<br />
diesem rassistischen Klima beigetragen, in<br />
dem sich gesellschaftliche Gewalt in Form<br />
verbaler und medialer Attacken gegen<br />
„AusländerInnen“ nun in scheinbar individueller<br />
physischer Gewalt verlängert. Dabei<br />
tragen öffentliche Institutionen wie Politik<br />
und Medien eine besondere Verantwortung,<br />
indem sie vorhan<strong>den</strong>e Ängste vor<br />
dem Frem<strong>den</strong> und vor Besitzstandsverlust<br />
in der Bevölkerung für ihr politisches oder<br />
kommerzielles Kalkül nutzen und Straftaten<br />
betreibt sie ebenfalls „Wohnheime“. Der Versuch,<br />
in Hanau Container als „mobile Wohnanlagen“<br />
zu völlig überhöhten Tagessätzen<br />
zu vermieten, unterstreicht nur die Maßlosigkeit<br />
dieser Geschäftemacher. Saßmann persönlich<br />
sowie seine WohnheimleiterInnen<br />
sind als arrogant und schikanös bekannt. Es<br />
sind Rassisten, die sich durch Flüchtlingsverwaltung<br />
bereichern.<br />
Das Geschäftsinteresse der Betreiberfirmen<br />
trifft sich mit <strong>den</strong> staatlichen Zielen: die<br />
Unterbringung von Asylsuchen<strong>den</strong> ist auf<br />
Abschreckung angelegt. Das beginnt in <strong>den</strong><br />
„Zasten“, wo die Flüchtlinge die ersten Monate<br />
verbringen müssen.<br />
Kontrolle, keinerlei eigene Räume für Frauen,<br />
geringes Taschengeld, Arbeitsverbot,<br />
Schnellverfahren und Abschiebungen prägen<br />
das Klima im Großlager. Wer nicht gleich<br />
aus diesen internierungsähnlichen Lagern<br />
abgeschoben wird oder untertaucht, wird<br />
dann in enge Wohnheime oder Container<br />
verschubt.<br />
Lagerunterbringung ist Bestandteil der sich<br />
ständig verschärfen<strong>den</strong> Sondergesetze, sie<br />
ist eine Maßnahme im Katalog imperialistischer<br />
Flüchtlingspolitik der BRD. Das<br />
„Beschleunigungsgesetz“ mit Schnellverfahren<br />
zum 1.4.93 ist kaum in Kraft getreten, da<br />
wird für <strong>den</strong> 1.7.93 mit der „sicheren Drittstaatenregelung“<br />
das Asylrecht faktisch abgeschafft.<br />
Immer weniger Flüchtlinge wer<strong>den</strong><br />
die Möglichkeit haben, überhaupt ins<br />
Asylverfahren zu gelangen.<br />
Flüchtlingsfrauen wird weiterhin keine Chance<br />
auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht<br />
zugestan<strong>den</strong>. Vom Internierungslager am<br />
Flughafen bis zum Ausbau der Abschiebehaftplätze,<br />
von <strong>den</strong> BGS-Menschenjägern an<br />
<strong>den</strong> Grenzen bis zu <strong>den</strong> ständigen Bullenrazzien<br />
in <strong>den</strong> Städten, von der Kürzung der<br />
Sozialhilfe bis zur weiteren Einschränkung<br />
legaler Arbeitsmöglichkeiten: an allen Fronten<br />
wird der Druck auf die Flüchtlingsbewegungen<br />
zugespitzt.<br />
Die Herrschen<strong>den</strong> wollen versuchen, die<br />
Migrationsbewegungen zu regulieren und zu<br />
kontrollieren und die Ausbeutung und Unterdrückung<br />
von MigrantInnen zu vervollkommnen<br />
als unterste Segmente der bestehen<strong>den</strong><br />
Verwertungshierarchie.<br />
Die Angriffe in der Sozialhilfe – die Herausnahme<br />
der Flüchtlinge in ein eigenes „Leistungsgesetz“,<br />
drastische Kürzungen und<br />
Sachmittel anstelle Bargeld – bedienen <strong>den</strong><br />
rassistischen Konsens und vertiefen die<br />
Spaltungslinien. Sie zielen aber ebenso auf<br />
das Existenzminimum der hiesigen Armen:<br />
exemplarisch wird an <strong>den</strong> Flüchtlingen<br />
durchgezogen, was auch verstärkt auf die<br />
hier in ungesicherten Verhältnissen leben<strong>den</strong><br />
Frauen, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger-<br />
Innen, Obdachlosen, Behinderten, Alten und<br />
Nationalität als Ziel eines brutalen Angriffs<br />
Presseerklärung des Nord-Süd-Forums Frankfurt<br />
gegen Menschen ohne deutschen Paß und<br />
andere Minderheiten politisch verharmlosen.<br />
1990 hat der Magistrat der Stadt Frankfurt<br />
eine „Frankfurter Erklärung zu Rassismus<br />
und Antisemitismus“ verabschiedet. Das<br />
Nord-Süd-Forum Frankfurt fordert die konsequente<br />
politische Umsetzung dieser<br />
Erklärung, deren Schlußsatz uns besonders<br />
be<strong>den</strong>kenswert erscheint:<br />
„Stadtluft macht frei, so heißt es seit der<br />
frühen Neuzeit. Und die freien Städte waren<br />
immer Orte des wirtschaftlichen und kulturellen<br />
Austausches wie auch des Schutzes<br />
für Verfolgte gewesen. Dieser Tradition<br />
weiß sich die ehemals Freie Reichsstadt<br />
Frankfurt verpflichtet: gerade in einer Zeit,<br />
die einerseits von neuen Aufbruchsbewegungen<br />
und andererseits vom neuerlichen<br />
Ruf nach einfachen Lösungen und Schuldigen<br />
geprägt ist. Ohne Weltoffenheit wer<strong>den</strong><br />
die Aufgaben der Zukunft mit Sicherheit<br />
nicht zu meistern sein.“<br />
Konkret heißt dies für das Nord-Süd-Forum<br />
Frankfurt:<br />
– Die Integration und Akzeptanz von Menschen<br />
nicht-deutscher Nationalität darf sich<br />
nicht auf <strong>den</strong> ökonomischen Bereich<br />
beschränken!<br />
– Frem<strong>den</strong>feindlichkeit und Rassismus in<br />
städtischen Behör<strong>den</strong>, z.B. in Form polizeilicher<br />
Übergriffe gegen MigrantInnen, müssen<br />
verfolgt und zukünftig verhindert wer<strong>den</strong>.<br />
z.B. durch Programme, die Polizei und<br />
Behör<strong>den</strong> gegenüber rassistischen Verhaltensweisen<br />
sensibilisieren sowie durch eine<br />
Kranken zukommt. Auf dem Arbeitsmarkt gilt<br />
das gleiche: über billigste illegale Flüchtlingsarbeit<br />
wer<strong>den</strong> die Lohnstandards der<br />
gesamten Unterklassen unter noch massiveren<br />
Druck gesetzt. Hierbei kennt das Ausbeutungssystem<br />
keine Grenzen.<br />
Die verstärkte Illegalisierung und Ausbeutung<br />
der Flüchtlinge steht im Einklang mit<br />
<strong>den</strong> rassistischen Angriffen, dem rassistischen<br />
Konsens in weiten Teilen der deutschen<br />
Bevölkerung. Diesen Konsens anzugreifen,<br />
muß vor allem im alltäglichen Verhalten<br />
und in <strong>den</strong> täglichen Auseinandersetzungen<br />
erfolgen. Das schließt für uns die<br />
Suche nach praktischen militanten Handlungsmöglichkeiten<br />
nicht aus. Wir wollen<br />
Ansatzpunkte (weiter)entwickeln, die einen<br />
antirassistischen Widerstand hier stärken<br />
können. Dabei <strong>den</strong>ken wir, daß all diejenigen,<br />
die für rassistische Sondergesetze abstimm(t)en,<br />
die ihre Umsetzung betreiben<br />
und davon profitieren, verstärkt auch persönlich<br />
ihre Verantwortung zu spüren<br />
bekommen sollen.<br />
Zwei rassistische Abkassierer, die Chefs der<br />
o.a. Firmen, haben wir mit unserer ersten<br />
Aufmerksamkeit bedacht und Brandsätze<br />
unter ihre Autos geschoben: Czok, Eckhard,<br />
Seeheimer Str. 99, 6102 Pfungstadt, Hans-<br />
Jürgen Saßmann, Feldstraße 8, Brachtal<br />
Sie sollen wissen, daß sie nicht unbeobachtet<br />
und ungestört von <strong>den</strong> elen<strong>den</strong> Bedingungen<br />
der Flüchtlinge profitieren können.<br />
Gegen Lager, Abschiebung, Sondergesetze!<br />
Antirassistische Zellen<br />
Die Polizei meldete folgendes:<br />
Brandanschlag auf Pkw: In der Nacht zum<br />
Dienstag morgen (8.), gegen 03.40 Uhr meldete<br />
ein Anwohner der Seeheimer Straße in<br />
Pfungstadt der dortigen Polizeistation, daß<br />
im Hof eines Nachbargrundstücks ein Pkw<br />
brennen würde.<br />
Die Freiwillige Feuerwehr Pfungstadt wurde<br />
verständigt und löschte zusammen mit<br />
Nachbarn <strong>den</strong> Brand. Es stellte sich heraus,<br />
daß ein im unverschlossenen Hof abgestellter<br />
Pkw offensichtlich in Brand gesetzt wor<strong>den</strong><br />
war. Er brannte völlig aus. Ein daneben<br />
geparkter Pkw und ein Zaun wur<strong>den</strong> stark<br />
beschädigt. Der Gesamtscha<strong>den</strong> beträgt ca.<br />
180.000 Mark.<br />
Gegen 05.15 Uhr fand der Besitzer der<br />
Wagen an einem weiteren im Hof geparkten<br />
Pkw ein Bekennerschreiben mit dem Text:<br />
„Wer Lager betreibt und sich an Flüchtlingen<br />
bereichert kriegt was ab.“<br />
Bei dem Geschädigten handelt es sich um<br />
<strong>den</strong> Inhaber eines Unternehmens, das im<br />
südhessischen Raum Asylantenunterkünfte<br />
errichtet bzw. betreibt.<br />
Werner Rühl<br />
vermehrte Aufnahme verschie<strong>den</strong>ster<br />
Nationalitäten in diese Institutionen.<br />
– Förderung der Arbeit des Amtes für Multikulturelle<br />
Angelegenheiten mit der Zielsetzung,<br />
ein friedliches Zusammenleben von<br />
Deutschen und anderen Nationalitäten auf<br />
der Basis der Akzeptanz von Gemeinsamkeiten<br />
und kultureller Vielfalt zu erreichen.<br />
Gleichzeitig muß die Kompetenz dieses<br />
Amtes dahingehend ausgeweitet wer<strong>den</strong>,<br />
daß sein bisher nur beratender Status<br />
innerhalb der Frankfurter Behör<strong>den</strong> Verbindlichkeitscharakter<br />
erhält. Wer, wie die<br />
CDU im Gleichklang mit <strong>den</strong> Republikanern<br />
die Abschaffung dieser wichtigen vermitteln<strong>den</strong><br />
Institution fordert, macht sich in<br />
seiner Betroffenheit über Ausländerhaß<br />
unglaubwürdig.<br />
– keine weiteren finanziellen Kürzungen in<br />
<strong>den</strong> Bereichen, die für die soziale Integration<br />
von MigrantInnen, vor allem Kinder und<br />
Jugendlicher, unverzichtbar sind.<br />
– Ausnutzung der politischen Kompetenz<br />
und des Einflusses der Kommunen hinsichtlich<br />
einer doppelten Staatsbürgerschaft,<br />
erleichterter Einbürgerung und Einrichtung<br />
des kommunalen Wahlrechts für<br />
Menschen ohne deutschen Paß, die ihren<br />
Lebensschwerpunkt in Deutschland haben.<br />
Ulla Mikota, Nord-Süd-Forum Frankfurt<br />
Die Zeitung für Darmstadt<br />
!<br />
druckt Briefe an die Redaktion<br />
grundsätzlich unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und<br />
Grammatikfehler sowie Wiederholungen. Für Kürzungen wird<br />
die Zustimmung der AutorInnen eingeholt. Inhaltliche auch<br />
politische Änderungen wer<strong>den</strong> nicht angebracht und auch<br />
nichts hinzugefügt. Die Briefe geben nicht die Meinung der<br />
Redaktion wieder.<br />
Demonstration in Frankfurt aus Entsetzen über die türkischen Opfer<br />
„Sammellager, Sondergesetze, das ist staatliche<br />
Ausländerhetze“, „Bonner Staat legt die<br />
Saat für Faschisten aller Art“, „Rassenhaß<br />
und großdeutscher Wahn, so fing das schon<br />
einmal an“ – mit diesen Slogans bewegte<br />
sich am 4. 6. ein Demonstrationszug von der<br />
Frankfurter Paulskirche zum Opernplatz. Anlaß<br />
waren die Morde von Solingen, aufgerufen<br />
hatte die Kommunale Ausländervertretung<br />
(KAV), Unterstützung gaben Grüne,<br />
DGB, SPD, Jugendring, Caritas und viele andere<br />
mehr. Auf dem Weg zum Opernplatz<br />
drohte ein Konflikt zwischen nationalistischen<br />
„Grauen Wölfen“ und Kur<strong>den</strong> um ihre<br />
Fahnen, <strong>den</strong> die Polizei durch Umleitung der<br />
türkischen Nationalisten vorübergehend entschärfte.<br />
Er entlud sich jedoch unmittelbar<br />
vor Beginn der Kundgebung in Handgreiflichkeiten,<br />
wobei die Türken laut Polizei mit<br />
Stangen versuchten zuzuschlagen. Dem<br />
KAV-Vorsitzen<strong>den</strong> Grigorios Zarcadas gelang<br />
es jedoch mit beschwören<strong>den</strong> Bitten,<br />
Ruhe herzustellen.<br />
Die meisten Redner stellte vor etwa 5.000<br />
ZuhörerInnen die KAV. Anknüpfend an Solingen,<br />
forderten sie mehr Schutz der ausländischen<br />
Mitbürger. „Trauer und Betroffenheit<br />
der Politiker helfen <strong>den</strong> Ausländern nicht!<br />
Die Politiker müssen endlich etwas tun! Soll<br />
das Klima in der BRD jetzt von Mördern und<br />
Brandstiftern bestimmt wer<strong>den</strong>? Die Morde<br />
von Solingen sind kein Ausländerproblem,<br />
sie sind ein Problem der BRD.“ „Wir sind ein<br />
unverzichtbarer Bestandteil dieser Gesellschaft.<br />
Verantwortlich für das Fremdsein der<br />
Ausländer sind die Politiker.“ Die Spaltung in<br />
Ausländer erster, zweiter und dritter Klasse<br />
lehnten die KAV-Vertreter ab, verlangten<br />
stattdessen ein gleichberechtigtes Zusammenleben<br />
mit <strong>den</strong> Deutschen und forderten,<br />
über eine doppelte Staatsbürgerschaft hinaus,<br />
die völlige juristische und politische<br />
Gleichstellung der Ausländer mit <strong>den</strong> Deutschen.<br />
Der Schriftsteller Bahman Nirumand vom<br />
KAV-Vorstand wollte <strong>den</strong> meisten Politikern<br />
nicht abnehmen, daß sie sich wegen Solingen<br />
wirklich schämten, ihre Gesten seien<br />
wohl in erster Linie für das Ausland bestimmt.<br />
Bundeskanzler Kohl kritisierte er wegen<br />
dessen Weigerung, an der Trauerfeier in<br />
Solingen teilzunehmen. „Warum wer<strong>den</strong> nur<br />
hier in Deutschland Menschen verbrannt?<br />
Wann wird man begreifen, daß mit der<br />
Schließung der Grenzen die Gewalt nicht aufhört?<br />
Wann wird man begreifen, daß sich in<br />
diesem Land etwas zusammenbraunt?“ Der<br />
junge Mörder von Solingen sei von dieser<br />
Armut hat viele neue Gesichter<br />
„Teestube“ zieht Bilanz<br />
1988 wurde in Trägerschaft des Diakonischen<br />
Werks die Fachberatungsstelle für<br />
Alleinstehende, Wohnungslose/Nichtseßhafte<br />
mit Tagesaufenthalt eröff<strong>net</strong> und feiert nun<br />
ihren fünften Geburtstag.<br />
Die Fachberatungsstelle – bekannt unter<br />
dem Begriff „Teestube Kiesstraße“ – ist für<br />
wohnungslose und von Wohnungslosigkeit<br />
bedrohte Menschen unverzichtbar gewor<strong>den</strong>.<br />
5.507 Besucher suchten die Teestube im<br />
vergangenen Jahr auf.<br />
Die Beratung ist vertraulich und kostenlos.<br />
Es wird besonderen Wert auf Selbstverantwortung<br />
und Eigeninitiative der Betroffenen<br />
gelegt. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />
bieten Unterstützung bei der Bewältigung<br />
aktueller Schwierigkeiten und dazu auch mittel-<br />
und langfristige Beratung und Begleitung<br />
an.<br />
Schwerpunkte der Arbeit sind die Beratungsarbeit,<br />
der Tagesaufenthalt, die Straßensozialarbeit<br />
und die Öffentlichkeitsarbeit, die<br />
sich im Verlaufe der bisherigen Tätigkeit<br />
zusätzlich als wichtiger Bereich herauskristallisiert<br />
hat.<br />
Durch die aktuelle bedrohliche Situation auf<br />
dem Wohnungsmarkt, die immer mehr Menschen<br />
wohnungslos macht, ist es notwendig,<br />
diese Entwicklung öffentlich zu dokumentieren.<br />
Armut hat viele neue Gesichter: Der Personenkreis<br />
der Ratsuchen<strong>den</strong> hat sich in <strong>den</strong><br />
letzten fünf Jahren verändert. Immer mehr<br />
und immer jüngere Besucherinnen und<br />
Besucher nehmen die Beratung in Anspruch.<br />
Gleichzeitig sprechen auch immer mehr<br />
Familien mit Kindern in der Fachberatungsstelle<br />
vor. Diese wohnungslosen Menschen<br />
brauchen vordringlich Wohnraum, d.h. mietrechtlich<br />
abgesicherte Wohnungen.<br />
Gesellschaft beeinflußt wor<strong>den</strong>. „Durchrassung<br />
– hat er das nicht irgendwo aufgeschnappt?<br />
Orientierungslose Jugendliche<br />
haben sich am Staat orientiert. Ausländerfeindlichkeit<br />
kann man nicht bekämpfen<br />
durch weniger Rechte für Ausländer.“ Nirumand<br />
hat genug von dem für ihn peinlichen<br />
Ritual, bei dem der arme Ausländer sage.<br />
„Ich habe Angst!“ Und der Deutsche: „Ich<br />
schäme mich.“ Das mache ihn wütend: „Lamentieren<br />
und Schamgefühle bringen uns<br />
nicht weiter. Wir müssen unsere Rechte verlangen<br />
in diesem Land, mit dem wir uns verbun<strong>den</strong><br />
fühlen.“ Die doppelte Staatsbürgerschaft<br />
sei nur das erste Ziel, Ausländerfeindlichkeit<br />
werde dadurch nicht beseitigt, doch<br />
die Ausländer gewännen ein Stück Normalität.<br />
DGB-Kreisvorsitzender Dieter Hooge kritisierte<br />
heftig „Bild“-Zeitung und „FAZ“ und<br />
sah in <strong>den</strong> Bonner „Abschiebegesetzen“ eine<br />
„Kapitulation vor <strong>den</strong> Rechtsradikalen“. Die<br />
Asyldebatte habe „fahrlässigen Haß genährt“.<br />
Er dachte an die Möglichkeit, gegen<br />
<strong>den</strong> „rechten Terror“ die Waffe des Streiks<br />
einzusetzen, verlangte ein neues Staatsbürgerschaftsrecht<br />
und, wie die KAV-Vertreter,<br />
„die politische und rechtliche Gleichbehandlung<br />
der ausländischen Mitbürger.“<br />
„Ausländerfeindlichkeit ist ein Politikum,<br />
was <strong><strong>den</strong>n</strong> sonst?“, rief Micha Brumlik von<br />
der Frankfurter Jüdischen Gemeinde. Die<br />
Mordlust der Rassisten sei nur zu bremsen<br />
mit einer Veränderung der gesamten Gesellschaft.<br />
Deutschland sei ein Einwanderungsland,<br />
dies müsse gesehen wer<strong>den</strong>. Und zu<br />
Solingen: „Der Asylkompromiß hat nieman<strong>den</strong><br />
besänftigt – im Gegenteil!“ Dieser Kompromiß<br />
sei selber „ein Ausdruck von Frem<strong>den</strong>feindlichkeit“.<br />
In Deutschland müsse<br />
jetzt eine Bürger- und Menschenrechtsbewegung<br />
entstehen wie in <strong>den</strong> USA der sechziger<br />
Jahre. Den Bundespräsi<strong>den</strong>ten von Weizsäcker<br />
sah er bereits „an der Spitze dieser<br />
Bewegung“.<br />
Kräftige Pfiffe und „Heuchler!“-Rufe hinderten<br />
Hessens Ministerpräsi<strong>den</strong>ten Hans Eichel<br />
von der SPD, deren Bundestagsfraktion<br />
mehrheitlich die faktische Abschaffung des<br />
Asylrechts mitgetragen hatte, eine kurze Zeit<br />
am Re<strong>den</strong>. Die Proteste flammten immer<br />
wieder auf bei harmonisieren<strong>den</strong> oder ausweichen<strong>den</strong><br />
Formeln und waren auch durch<br />
Eichels Angebot (kommunales Wahlrecht für<br />
alle Ausländer; gleiche staatsbürgerliche<br />
Rechte für alle nach fünf Jahren) nicht zu<br />
bremsen.<br />
Willi Hammann<br />
Unterbringungen in Unterkünften mit bis zu<br />
sechs Betten in einem Zimmer sind für Wohnungslose<br />
keine wirkliche Hilfe.<br />
Viele dieser Menschen ziehen daher dem<br />
Schlafen in Notunterkünften das Nächtigen<br />
im Freien vor. Alleingelassen und ohne Hoffnung<br />
auf Veränderung. Noch dazu versehen<br />
mit dem Vorwurf: sie wollten es gar nicht<br />
anders.<br />
Die Erfahrungen zeigen jedoch, daß sich der<br />
überwiegende Teil der wohnungslosen Menschen<br />
aktiv um eine eigene Wohnung<br />
bemüht.<br />
Ablehnung und Gewalt gegenüber Wohnungslosen<br />
nehmen zu. Überfälle „auf der<br />
Platte“ sind keine Ausnahme mehr. Wenn<br />
trotzdem viele Hilfesuchende das Nächtigen<br />
im Freien <strong>den</strong> Massenunterkünften vorziehen,<br />
wird deutlich, daß diese für viele keine<br />
wirkliche Hilfe sind.<br />
Fünf Jahre Teestubenarbeit der mittlerweile<br />
drei hauptamtlichen Sozialarbeiter und Sozialpädagogen<br />
Stefan Gillich, Ute Laucks und<br />
Manfred Zuth heißt aber auch enge und kritische<br />
Zusammenarbeit mit städtischen Behör<strong>den</strong><br />
und vielen anderen Institutionen, sowie<br />
Kolleginnen und Kollegen aus der sozialen<br />
Arbeit. Für diese Zusammenarbeit bedanken<br />
sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />
der Teestube herzlich.<br />
Leider läuft der Mietvertrag der Fachberatungsstelle/Teestube<br />
Kiesstraße Ende Oktober<br />
dieses Jahres aus. Das Diakonische<br />
Werk sucht daher dringend neue Räumlichkeiten<br />
und bittet um Mithilfe und Angebote.<br />
Stefan Gillich, Ute Laucks, Manfred Zuth
BRIEFE AN DIE REDAKTION II<br />
Modernisierung völkischen und rassistischen Denkens<br />
Für die doppelte Staatsbürgerschaft<br />
Wenn plötzlich alle fordern, was ohnehin<br />
schon lange selbstverständlich sein sollte,<br />
so könne doch nur etwas faul sein. – Einige<br />
kritische ZeitgenossInnen reagieren auf das<br />
plötzlich vieldiskutierte Thema der doppelten<br />
Staatsbürgerschaft mit Skepsis. Als Antwort<br />
auf die Solinger Morde und die Folgeanschläge<br />
sei dies verfehlt; die Wurzeln des<br />
rassistischen Verhaltens wür<strong>den</strong> dadurch<br />
nicht berührt; es erfolge lediglich eine Umbenennung,<br />
mit der kein einziges gesellschaftliches<br />
Problem gelöst werde … so und ähnlich<br />
lauten die Argumente. Sie sind nicht von<br />
der Hand zu weisen, aber sie verfehlen die<br />
Ebene, auf der die Forderung der doppelten<br />
Staatsbürgerschaft trotzdem Sinn macht.<br />
Denn sie wäre zuerst und vor allem eine Einrichtung<br />
auf der Ebene der politischen Institutionen:<br />
die Anerkennung der seit langem<br />
hier leben<strong>den</strong> „AusländerInnen“ und ihrer<br />
Kinder als gleichberechtigte BürgerInnen.<br />
Die doppelte Staatsbürgerschaft ist kein Mittel,<br />
gesellschaftliche Stimmungen oder<br />
Bewußtseinslagen zu verändern, sie wird für<br />
sich genommen auch keine rassistischen<br />
AStA der FH: „Uns reicht’s“<br />
Wir haben es satt, immer wieder die heuchlerischen<br />
Mitleidsbekundungen zu hören! Wir<br />
haben es satt, immer die gleiche Lüge als<br />
Entschuldigung zu hören, daß diese faschistischen<br />
Anschläge nur Taten von irregeführten,<br />
milieugeschädigten Jugendlichen<br />
seien. Eine Lüge, die uns vorgaukelt, es sei<br />
Zufall, daß soviele Attentate hintereinander<br />
passieren. Eine Lüge, die verschleiert, daß<br />
alles ein organisierter Schritt der Faschisten<br />
ist, die ihren Erfolg (Abschaffung des Asylrechts)<br />
ausbauen wollen. Politische Morde<br />
wer<strong>den</strong> als psychosoziale Wutausbrüche<br />
verharmlost.<br />
Gleichzeitig aber wird von Parteien und<br />
Medien weiter Hetze gegen Flüchtlinge und<br />
MigrantInnen gemacht. Die Politiker haben<br />
durch die volksgemeinschaftliche Geschlossenheit<br />
im Bundestag ein fundamentales<br />
Grund- und Menschenrecht abgeschafft und<br />
somit <strong>den</strong> Ansporn für die jüngsten faschistischen<br />
Angriffe geliefert. Sie sind mitverantwortlich<br />
für alles, was hier passiert, doch<br />
haben sie noch viele andere Menschen auf<br />
dem Gewissen: Die Abgeschobenen, die in<br />
ihrer Heimat gefoltert und ermordet wer<strong>den</strong><br />
oder durch die wirtschaftliche Misere und<br />
Kriege, die dieses Land mitverursacht, krepieren<br />
müssen.<br />
Was wird gegen all das unternommen? Was<br />
ist seitens der Regieren<strong>den</strong> und des Staates<br />
zu erwarten?<br />
Seit Hoyerswerda wur<strong>den</strong> ganze drei militante<br />
faschistische Organisationen von über<br />
siebzig verboten und zwar mit Vorankündigung<br />
über die Medien! Weiterhin wur<strong>den</strong><br />
zwei bekannten Persönlichkeiten der rechtsextremen<br />
Szene die Bürgerrechte entzogen.<br />
Nach Mölln wur<strong>den</strong> bewußt ’zig Anschläge<br />
verschwiegen und bagatellisiert. Mit der<br />
„ausländerfreundlichen“ Allparteien-Demo<br />
in Berlin und <strong>den</strong> Lichterketteninszenierungen<br />
wurde der „gute“ Deutsche mit der<br />
demokratischen Gesinnung vorgeführt. Mit<br />
der Abschaffung des Asylrechts sollte dem<br />
„verständlichen Druck der Straße “ (d.h. <strong>den</strong><br />
Faschisten) entgegengewirkt wer<strong>den</strong>.<br />
Ist mit diesen Leuten, selbst falls sie alle<br />
nationalistischen Organisationen verböten,<br />
irgendwas zu bewirken?<br />
Im Gegensatz dazu wur<strong>den</strong> viele AntifaschistInnen<br />
beim Versuch, Asylbewerberheime<br />
Gewalttaten verhindern („weil im Ernstfall ja<br />
doch niemand nach dem Paß fragt“). Das<br />
alles spricht nicht gegen eine neue Regelung<br />
der Staatsbürgerschaft, aber gegen manche<br />
Argumente, mit der die Diskussion um sie<br />
geführt wird. Dabei stehen bisher auch bei<br />
BefürworterInnen meist nur die Bedürfnisse<br />
der Deutschen im Vordergrund: die eigene<br />
Selbstachtung, der diese Geste jetzt geschuldet<br />
ist; die Demonstration des eigenen guten<br />
Willens; der Versuch, das Bild der Deutschen<br />
im Ausland zu retten, etc.<br />
Aufklärung statt Abklärung<br />
Damit wird die politische Dimension dieser<br />
rechtlichen Veränderung nicht begriffen. Ein<br />
weiteres Hindernis ist die inzwischen allzu<br />
übliche Vorstellung, die Menschen existierten<br />
nur in verschie<strong>den</strong>en, in sich homogenen<br />
Ethnien und Kulturen, ein Gedanke, der sich<br />
vielleicht aus der Diskussion der multikulturellen<br />
Gesellschaft heraus verselbständigt<br />
hat. Dort wird die Feststellung getroffen, daß<br />
hierzulande bereits Menschen ganz verschie<strong>den</strong>er<br />
Kulturen leben, verbun<strong>den</strong> mit der Forderung,<br />
sie in ihrer Andersartigkeit zu ach-<br />
Wir wer<strong>den</strong> keine völkisch-nationalistische Verbindungen dul<strong>den</strong><br />
Um dieses Bild in der ZD nicht mehr sehen zu müssen.<br />
zu schützen oder Faschistentreffen zu verhindern,<br />
übelst geschlagen, verhaftet und<br />
angeklagt. Ganz zu schweigen von der Justiz,<br />
die nicht nur auf dem rechten Auge blind ist,<br />
sondern auch besonders laut <strong>den</strong> Medienund<br />
Regierungschor mitsingt: „links ist wie<br />
rechts.“<br />
Berührungsängste mit <strong>den</strong> AntifaschistInnen<br />
haben jedoch auch viele demokratische Bürger.<br />
Sie fin<strong>den</strong> das Mor<strong>den</strong> unmöglich, doch<br />
unmöglich fin<strong>den</strong> sie auch die Forderungen<br />
der AusländerInnen nach Rechten. Genauso<br />
verurteilen sie deren Selbstverteidigung.<br />
Ihrer Meinung nach sind die Faschisten ein<br />
Problem, das zu lösen ist; doch bitte nicht so<br />
politisch, nicht so entschie<strong>den</strong>.<br />
Aber Solingen ist nicht Mölln!<br />
Die meisten der hunderttausend DemonstrantInnen<br />
nach Mölln bleiben jetzt zu Hause.<br />
„Was können wir mehr tun als auf die<br />
Straße zu gehen? Und was haben wir schon<br />
gemacht?“ Andere, vor allem Jugendliche,<br />
sind sich klar darüber: Von <strong>den</strong> Schreibtischtätern<br />
in Bonn und anderswo ist nur<br />
noch Schlimmeres zu erwarten. Sie wollen<br />
handeln, sie wollen <strong>den</strong> Tätern keine Opfer<br />
mehr bieten. Und schon ist das Lager<br />
gespalten. Für die Clique Medien, Regierende,<br />
große Parteien ein gefun<strong>den</strong>es Fressen.<br />
Die beunruhigten Bürger wer<strong>den</strong> in Demokraten<br />
und in gewalttätige mutmaßliche Terroristen<br />
geteilt. Doch das Thema ist nicht<br />
„mit oder ohne Gewalt“ gegen die Faschisierung,<br />
sondern „entschie<strong>den</strong> dagegen oder<br />
nicht!“<br />
Wir, die zu dieser Resolution stehen, wer<strong>den</strong><br />
jede(n), der auf Hochschulebene in irgendeiner<br />
Art auch nur Sympathie zu nationalistischen,<br />
rassistischen Inhalten oder Aktionen<br />
zeigt, isolieren. Zum Beispiel Vereine wie der<br />
„Bund gegen Anpassung“ oder das „Schiller-<br />
Institut“ wie auch diverse reaktionäre, völkisch-nationalistische<br />
Verbindungen wer<strong>den</strong><br />
wir hier nicht dul<strong>den</strong>. Dazu fordern wir die<br />
Hochschulverwaltung auf, ihnen die Genehmigung<br />
zu verwehren und sich nicht schützend<br />
vor sie zu stellen.<br />
Es muß jegliche Aktivität, ob Treffen, Feier,<br />
Kandidatur etc. faschistischer Organisationen<br />
in Darmstadt und Umgebung mit allen<br />
Mitteln verhindert wer<strong>den</strong>.<br />
AStA der Fachhochschule Darmstadt<br />
Bitte rufen Sie mich doch an, wenn wieder so ein Fall<br />
ansteht. Ich möchte doch nicht in der ersten Reihe sitzen.<br />
Auch ein Schwarzfahrer. Telefon 7 57 24<br />
ten. Das ist notwendig und richtig. Aber es<br />
kann nicht angehen, aus dieser Andersartigkeit<br />
ein ideologisches Monstrum zu machen,<br />
in dessen Bann uns der Gedanke schon gar<br />
nicht mehr in <strong>den</strong> Sinn kommt, daß Menschen<br />
auf einer bestimmten Ebene auch Gleiche<br />
sind.<br />
Gegen diese simple Abstraktion aufklärerischen<br />
Denkens scheint heute eine Übermacht<br />
der unmittelbaren Wahrnehmung von<br />
Verschie<strong>den</strong>heit zu stehen, die offenbar auch<br />
bequem ist, weil sie vorweg Grenzen setzt<br />
und Begegnung und Auseinandersetzung<br />
erst gar nicht in Betracht zieht. Die Vorstellung<br />
in sich homogener Ethnien und Kulturen,<br />
die sich weder austauschen noch durch<br />
vielfältige gegenseitige Einflüsse verändern<br />
ist realitätsfremd, aber nichtsdestoweniger<br />
wirksam. Wird dies als für sich bestehende<br />
Grundtatsache aufgefaßt, so scheint ihr auch<br />
politisch Rechnung getragen wer<strong>den</strong> zu<br />
müssen. Argumente für ein verändertes<br />
Staatsbürgerrecht sind dann auch kaum<br />
noch zu fin<strong>den</strong>. Immerhin, mit linkem Selbstverständnis<br />
ist man eben dafür, auch wenn<br />
man auch in multikultureller Abgeklärtheit so<br />
seine Be<strong>den</strong>ken hat.<br />
Neue und alte Blocka<strong>den</strong><br />
Wer nicht dafür ist, hat auf diese Weise erst<br />
recht „Argumente“. Doch leider entsprechen<br />
sie nur zu genau ideologischen Postulaten,<br />
die neu-rechte Intellektuelle hervorgebracht<br />
haben: Indem sie auf ein „Recht auf Verschie<strong>den</strong>heit“<br />
pochen, fordern sie auch, verschie<strong>den</strong>e<br />
Kulturen nicht zu vermischen,<br />
<strong><strong>den</strong>n</strong> erst Vermischung produziere Aggression<br />
und Konflikte. Daß die in diesem Lager<br />
bewußt vorgenommene Modernisierung völkischen<br />
und rassistischen Denkens mit der<br />
gesellschaftlichen Normalisierung dieser<br />
Auffassungen inzwischen so breiten Erfolg<br />
hat, ist mehr als be<strong>den</strong>klich. Von <strong>den</strong> Verständnisbekundungen<br />
für die Brandstifter<br />
von Rostock und einigen Begründungen der<br />
Asylrechtsänderung bis hin zu Augsteins<br />
Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft<br />
dürfte dieses Phänomen inzwischen sattsam<br />
bekannt sein.<br />
Mit dem gelten<strong>den</strong>, an „Blut“, d.h. an<br />
Abstammung gebun<strong>den</strong>en deutschen<br />
Staatsangehörigkeitsrecht leistet man sich<br />
solche Schnörkel nicht. Wer „deutsches<br />
Egozentrisch, frustriert und verkrampft?<br />
Eine Abo-Kündigung, ihr Grund und eine engagierte Antwort<br />
Nach einem Vierteljahr „Zeitung für Darmstadt“<br />
im Abonnement möchte ich – symbolisch<br />
und rechtzeitig – zum nächstmöglichen<br />
Zeitpunkt kündigen.<br />
Warum? Mit jeder Ausgabe werde ich unzufrie<strong>den</strong>er<br />
mit dem Gebotenen. Zieht man die<br />
Anzeigen und <strong>den</strong> Terminkalender ab (da reichen<br />
mir die „Klappe“ und die „darmstädter<br />
nachrichten“), und läßt man die Parteien-<br />
Standpunkte links (bzw. rechts) liegen, so<br />
reduziert sich das Redaktionelle größtenteils<br />
auf die folgen<strong>den</strong> Hieb- und Stichworte: egozentrisch,<br />
frustriert und verkrampft.<br />
Anspruch und Wirklichkeit – was die Darmstädter<br />
Presselandschaft beleben sollte, verliert<br />
(gefällt?) sich in pseudorevolutionärer<br />
Aufgeregtheit und riecht sehr nach querulantiger<br />
Ein-Mann-Show (mit Pseudonym/en).<br />
Wenigstens die Karikaturen haben Qualität,<br />
das Layout ist allerdings unsäglich bieder –<br />
ZD experimentell?<br />
Insgesamt hat das Stu<strong>den</strong>ten-Zeitungs-<br />
Niveau, was sich vielleicht auch ein wenig<br />
auf die (noch) unbedeutende (verkaufte!)<br />
Auflage auswirkt?!<br />
Jürgen Müller-Stephan<br />
Sehr geehrter Herr Müller-Stephan,<br />
Ihre Abonnement-Kündigung ist ab sofort<br />
verzeich<strong>net</strong> und gleichzeitig eine Sperre registriert.<br />
Sie sind unser achter Abonnent, der<br />
dieses Jahr gekündigt hat, als einziger mit<br />
Begründung, deshalb setzen wir uns öffentlich<br />
mit Ihren Argumenten auseinander.<br />
Die Republik kennt viele, allzuviele Schlafmützen,<br />
die lediglich noch mit ihrer Unzufrie<strong>den</strong>heit<br />
zu Markte ziehen können. Ansonsten<br />
bleibt ihren Hirnen das Lesen von Kauf-Angebots-Bildchen<br />
vorbehalten – vom Denken<br />
ganz zu schweigen – siehe „Klappe“.<br />
Aus genau dem besagten Grunde kommen<br />
dann psychologisierende Argumente, die zwar<br />
Rationalität suggerieren sollen, aber lediglich<br />
Spiegel für geistige Unbekleckertheit sind.<br />
Blut“ nicht vorweisen kann, der soll sich<br />
wenigstens klar für Deutschland entschei<strong>den</strong><br />
und anpassen. Daß dies an der Situation der<br />
hier leben<strong>den</strong> AusländerInnen vorbeigeht, ist<br />
schon oft genug gesagt wor<strong>den</strong>. Wenn sie<br />
zunehmend befürchten müssen, Opfer von<br />
Terror und Gewalt zu wer<strong>den</strong>, wird die Aufforderung<br />
zu einer eindeutigen Entscheidung<br />
noch fragwürdiger.<br />
Gleichheit ohne Angleichung<br />
Ein gegenüber „Inhalten“ wie Rasse, Blut<br />
und Volk formalisiertes republikanisches<br />
Staatsbürgerrecht wäre auch für die Gegebenheiten<br />
einer de facto multikulturellen<br />
Gesellschaft offen. Mit einem formalen Bürgerstatus<br />
ist Assimilation ebenso möglich<br />
wie die Pflege oder <strong>den</strong> Rückzug auf ein<br />
anderes kulturelles Erbe und alle möglichen<br />
Lebensweisen und alle möglichen Lebensweisen<br />
und Begegnungsformen dazwischen.<br />
Offensichtlich ist, daß auf der politischen<br />
Ebene weiter Regelungen getroffen wer<strong>den</strong><br />
müßten, um die Möglichkeit tatsächlicher<br />
Integration zu eröffnen, wie auch die Sicherheit<br />
an Leib und Leben zu garantieren. Dazu<br />
gehören ein Antidiskriminierungsgesetz, die<br />
Förderung interkultureller Begegnungen,<br />
aber auch die Einstellung von Ausländern in<br />
<strong>den</strong> Polizeidienst. Wie sehr diese Möglichkeiten<br />
dann wahrgenommen wer<strong>den</strong>, bleibt<br />
unumgänglich eine Angelegenheit der einzelnen<br />
Betroffenen. Daß die Deutschen dabei<br />
genauso neue Anstöße erhalten können wie<br />
die Zugewanderten, sollte eigentlich nicht<br />
eigens erwähnt wer<strong>den</strong> müssen. Das gilt<br />
auch für die Tatsache, daß Konfliktpotentiale<br />
– wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen<br />
auch – niemals durch theoretische Harmoniesucht<br />
aufgelöst wer<strong>den</strong> können. Um<br />
Konflikte demokratisch auszutragen, kann<br />
die abgesicherte Gleichberechtigung aller<br />
Beteiligten aber nur förderlich sein.<br />
Ob und wie aber die Deutschen und die sogenannten<br />
Ausländer miteinander und nicht<br />
nur nebeneinander leben, bleibt eine Angelegenheit<br />
alltäglichen Verhalten, Re<strong>den</strong>s und<br />
Handelns für alle Seiten, die weder durch<br />
Trauer- und Protestkundgebungen noch<br />
durch politische Willensbildung ersetzt wer<strong>den</strong><br />
kann.<br />
Brigitte Gotthold<br />
Ist es <strong><strong>den</strong>n</strong> wirklich so schwer, neben dem verbrannten<br />
Ideal einer unerfüllbaren Objektivität<br />
verschie<strong>den</strong>e Wirklichkeiten zu erkennen?<br />
„Egozentrisch“: Hätten Sie selbst auch nur<br />
einmal Ihre treffsichere Urteilskraft verwandt,<br />
um informierend oder meinungsbil<strong>den</strong>d<br />
an die Öffentlichkeit zu treten – der mir<br />
unterschobene Egozentrismus wäre schon<br />
wieder um Ihren Standpunkt relativiert wor<strong>den</strong>.<br />
„Frustriert“: Den Wissenschaften sei Dank,<br />
daß wir dieses Vokabular zu unserem Arsenal<br />
zählen dürfen, <strong><strong>den</strong>n</strong> wie sonst sollten wir<br />
schwachbrüstige Vorurteile noch in Worte<br />
fassen? Wenn Sie auch nur ein einziges Mal<br />
ein Stück unseres Kampfgeistes in natura erlebt<br />
hätten, wür<strong>den</strong> Sie ob Ihrer Zeilen<br />
schamrot wer<strong>den</strong>.<br />
„Verkrampft“: Dieser Begriff kommt aus dem<br />
Medizinischen und soll wohl so etwas suggerieren<br />
wie geistige Starrheit, sprich festgefahrenen<br />
Standpunkt etc; am besten probieren<br />
Sie sich noch einmal im Lesen-Lernen.<br />
Danach dürfen Sie wieder in Korrespon<strong>den</strong>z<br />
mit mir treten.<br />
Angelegentlich Ihres in der ZD ersten publizistischen<br />
Auftretens müssen Sie sich ernsthaft<br />
der Frage unterziehen, was Sie unter revolutionär<br />
verstehen und daraus folgend,<br />
was für Sie „pseudorevolutionär“ ist. (Wo<br />
haben Sie die Worte bloß aufgepickt?) Sie<br />
ein Marxist? Wohl kaum, <strong><strong>den</strong>n</strong> wer von<br />
„Querulantentum“ dort spricht, wo ihm alle<br />
Argumente fehlen, gehört in die verstaubte<br />
Ecke des stockschlagen<strong>den</strong> wilhelminischen<br />
Oberlehrers (mit seinen Vorurteilen für die<br />
deutsche Rasse), der durch Prügel Disziplin<br />
erzwingen will.<br />
Daß für Sie aus Ihrer argument- und anspruchlosen<br />
Wirklichkeitsbetrachtung des<br />
Psychologisierens heraus, die Wirklichkeiten<br />
selbst verloren gehen und Wahrnehmungsdefizite<br />
greifen, stellen Sie plastisch bildhaft<br />
mit dem Begriff der „Ein-Mann-Show“ dar,<br />
das typisch deutsch-englische Vokabular der<br />
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 14<br />
„Massenselbstmord<br />
auch in der<br />
BRD möglich“<br />
„Universelles Leben“<br />
lehnt jegliche Gewalt ab<br />
Da sind sie wieder, die selbsternannten<br />
Experten und Sektenjäger, die im Gewande<br />
der honorigen Pfarrer die unliebsame „Konkurrenz“<br />
bekämpfen, wie weiland die Inquisitoren.<br />
Daß freilich Pfarrer Behnk, der vor<br />
knapp zwei Jahren mit der Vorgabe antrat,<br />
<strong>den</strong> Dialog zu fördern, nun in völlig unsachlicher<br />
Weise die Tragödie in Texas dazu verwendet,<br />
ausgerech<strong>net</strong> die Urchristen im Universellen<br />
Leben anzuschwärzen, das mag<br />
doch etwas verwundern. Wer diese Gruppierung<br />
kennt, der weiß, daß ein Selbstmord<br />
(der übrigens in Texas noch längst nicht<br />
nachgewiesen ist) für diese Menschen völlig<br />
un<strong>den</strong>kbar wäre, da sie – im Gegensatz zu<br />
<strong>den</strong> Institutionen Kirche – jegliche Gewalt<br />
ablehnen, gleich, ob gegen sich selbst oder<br />
gegen andere. Was Herrn Behnk nun selbst<br />
betrifft: Wer Menschen, die er gar nicht<br />
kennt, unterstellt, sie hätten keine „Gewissensbildung“,<br />
der zeigt doch nur seine eigene<br />
Gewissenlosigkeit in der Ausführung des<br />
Rufmords in allen Variationen. Daß Herr<br />
Behnk <strong>den</strong> Urchristen noch dazu „jegliche<br />
Kritikfähigkeit“ absprechen möchte, ist<br />
wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß<br />
diese in einer sehr klaren Art und Weise<br />
immer wieder <strong>den</strong> Finger in die Wun<strong>den</strong><br />
kirchlicher Versäumnisse gelegt haben. Ist<br />
nicht gerade in <strong>den</strong> Kirchen Kritikfähigkeit<br />
unerwünscht, vor allem, wenn sie <strong>den</strong> Großsekten<br />
an <strong>den</strong> Geldbeutel zu gehen beginnt?<br />
Ähnlich fa<strong>den</strong>scheinig sind die Vorwürfe der<br />
„geschlossenen Ideologie“. Wer selbst <strong>den</strong><br />
freien Willen des Menschen mißachtet,<br />
indem er diesen schon als Säugling in seine<br />
eigenen Reihen rekrutiert und bei Zuwiderhandlungen<br />
die ewige Verdammnis androht,<br />
wie dies beide Kirchen tun, der kann doch<br />
anderen keinen Nachhilfeunterricht in Toleranz<br />
erteilen. Bleibt das Positive an solchen<br />
Rundumschlägen: Sicher wird es jetzt immer<br />
mehr Mitbürgern klar wer<strong>den</strong>, woher der<br />
Wind bei <strong>den</strong> Kirchen weht und welche knallharten<br />
Wirtschaftsinteressen hinter solchen<br />
unchristlichen Kampagnen stecken. Der<br />
Lack ist ab.<br />
Dieter Albrecht<br />
Fernsehfanatiker. Es ist wohl die Glotze, die<br />
so vernebelt, daß Sie die Welt, in der Sie leben,<br />
nur noch als Talkshow betrachten läßt?<br />
Der Informationsmarkt als Unterhaltungsund<br />
Belustigungsmedium, als Ort persönlich<br />
ausgetragener Eitelkeiten. Der Narziß entblößt<br />
seine Eigenliebe gar noch unbewußt im<br />
schreiben<strong>den</strong> Sich-äußern: Haben Sie heute<br />
schon vor dem Spiegel gestan<strong>den</strong> und überlegt,<br />
Ihre Haare einfärben zu lassen, weil<br />
grau alt macht? Haben Sie schon <strong>den</strong> Termin<br />
für das wöchentliche Solarium vormerken<br />
lassen? … Nicht zu vergessen, ein paar unfrisierte,<br />
laut gedachte Narziß-Probleme:<br />
welches Auto, welche Felgen, welcher Spoiler<br />
passen zu meiner Individualität, zu meinem<br />
Image? Und damit wären wir wieder am<br />
Anfang: Der Narziß im Konsumzeitalter. Viel<br />
Glück durch Kauf!<br />
A propos Frustration – gehen Sie nur ruhig<br />
kaufen, reisen und knabbern Sie ihre Chips-<br />
Nüsse-Ketchup-Frites vor der Fußball-flimmern<strong>den</strong><br />
Glotze und halten Sie so ihre Frust-<br />
Schwelle möglichst niedrig. Für Leute wie<br />
Sie bietet das Leben so wenigstens etwas<br />
Vergnügliches. Falls Sie Neues kennenlernen<br />
möchten: Das Hessische Kultusministerium<br />
informiert sie gern über die heute gebräuchlichen<br />
Lehrbücher.<br />
„Unbedeutende Auflage“: In der ZD schreiben<br />
derzeit 24 AutorInnen (ohne Pseudonyme),<br />
mit steigender Ten<strong>den</strong>z. Die gedruckte<br />
Auflage von 10.000 Exemplaren erreicht<br />
mehr als 8.000 LeserInnen. Das Stu<strong>den</strong>ten-<br />
Dasein ist übrigens nichts Negatives – im<br />
Gegenteil, so mancher wäre froh, er hätte<br />
dieses Niveau erreicht. Viele Stu<strong>den</strong>ten-Zeitungen<br />
sind interessanter als professionelle<br />
Machwerke – wir danken für das Kompliment.<br />
Für <strong>den</strong> Biedermann von heute ist alles<br />
Schwarz-Weiße langweilig, Farbe muß schon<br />
sein (deshalb die „Klappe“?) folglich ist das<br />
Bunte bieder und das Schwarz-weiße unsäglich.<br />
Gute Nacht Herr Müller-Stephan<br />
Michael Grimm
Amtsschimmel in Aktion<br />
Frau K. wundert sich, ein<br />
dickes Kuvert hat ihr der<br />
Magistrat geschickt. Drin<br />
sind mehrere Fragebögen,<br />
einige für <strong>den</strong> Arbeitgeber,<br />
<strong>den</strong> sie als 88jährige Rentnerin seit über<br />
zwanzig Jahren nicht mehr hat. Weil sie<br />
herzkrank ist und auch nicht mehr gut sieht,<br />
hat sie „<strong>den</strong> ganzen Kram“ einfach wieder<br />
zurückgeschickt. Im Eifer des Gefechts, die<br />
Fehlbelegung von Sozialwohnungen festzustellen,<br />
ist der Magistrat weit über das Ziel<br />
hinausgeschossen und bombardiert die<br />
Mieter flächendeckend mit zehnseitigen<br />
Fragebögen.<br />
Als Beispiel für <strong>den</strong> unsinnigen Papierkrieg<br />
führt die sozialpolitische Sprecherin der<br />
CDU, Walburga Jung, die Seniorenwohnanlage<br />
in Arheilgen an. Über hundert ältere<br />
Bewohnerinnen und Bewohner sind dort<br />
vor drei Jahren eingezogen. Damals mußten<br />
sie dem Bauherren die Berechtigung<br />
Mit Nachdruck hat Gerhard O.<br />
Pfeffermann begrüßt, daß die<br />
Industrie und Handelskammer<br />
Darmstadt die Ordnung<br />
der Finanzen und die Auflösung des Verkehrschaos<br />
in <strong>den</strong> Mittelpunkt ihres Positionspapiers<br />
zur Stadtentwicklung gestellt<br />
hat. Das Ende der Ära Metzger eröffne die<br />
Chance einer neuen Weichenstellung. Pfeffermann:<br />
„Das braucht eine große Portion<br />
persönlichen und politischen Mut.“ Neue<br />
Mehrheiten müßten das für die Stadt Notwendige<br />
entschei<strong>den</strong> und nicht nur Populistisches<br />
zu versprechen. Die Finanzlage der<br />
Stadt und die Sorge um die Arbeitsplätze<br />
erlaube keine Experimente und keine ideologischen<br />
Politmätzchen. Die Forderung<br />
nach Sanierung der Finanzen durch Sparsamkeit<br />
und nicht durch die Erfindung neuer<br />
Steuerquellen, stoße bei der CDU auf<br />
volle Zustimmung, ebenso der Vorschlag,<br />
städtische Dienstleistungen wirtschaftlicher<br />
zu erbringen. Stadtentwicklung gehe<br />
Hand in Hand mit der Sicherung von<br />
Arbeitsplätzen und habe deshalb hohe Priorität.<br />
Pfeffermann stellt „weitgehende Übereinstimmung“<br />
mit <strong>den</strong> Positionen der IHK<br />
fest. Abweichende Vorstellungen habe die<br />
CDU beim Baugebiet K 6 in Kranichstein,<br />
das für Wohnungsbau genutzt wer<strong>den</strong><br />
müsse. Pfeffermann: „Wohnungen im K 6<br />
hat die CDU in allen Koalitionsgesprächen<br />
durchgesetzt, daran halte ich fest.“ Für die<br />
dort entfallen<strong>den</strong> Gewerbeflächen könnte<br />
an anderer Stelle Ersatz geschaffen wer<strong>den</strong>.<br />
Pfeffermann würdigte insbesondere die<br />
Bereitschaft der Interessenverbände, Mitverantwortung<br />
zu übernehmen. „Ich freue<br />
mich über alle maßgeben<strong>den</strong> Verbände, die<br />
nicht nur fordern, sondern bereit sind, in<br />
schwieriger Zeit die Kommunalpolitik zu<br />
begleiten und zu unterstützen.“ Unter die-<br />
zum Bezug einer Sozialwohnung mit allen<br />
Details nachweisen. Jetzt läßt ihnen der<br />
zuständige Liegenschaftsdezernent, Gerd<br />
Grünewaldt (SPD), <strong>den</strong> ganzen Berg Papier<br />
zuschicken, obwohl jedermann weiß, daß<br />
sich bei Pensionären die Einkommensverhältnisse<br />
nur geringfügig ändern.<br />
„Die alten Leute fühlen sich von soviel<br />
Papierkrieg überfordert“, weiß Walburga<br />
Jung, „in Zeiten der Datenverarbeitung<br />
müßte es doch ein leichtes sein, die Pensionäre,<br />
die erst kürzlich eingezogen sind,<br />
ganz von der Befragung auszunehmen oder<br />
sie wenigstens mit Unterlagen zu verschonen,<br />
die <strong>den</strong> Arbeitgeber betreffen“.<br />
Bei jährlichen Rentensteigerungen um die<br />
3,5 Prozent kämen Senioren erst frühestens<br />
nach zwölf Jahren in die Zone, wo die<br />
Fehlbelegungsabgabe greift. Eine Überschreitung<br />
der Sozialbindungsgrenze um<br />
bis zu 40 % wird nämlich als Toleranz<br />
geduldet.<br />
Gefragt ist Integration, nicht Spaltung<br />
„Gefordert ist jetzt die Integrationskraft<br />
des neuen Oberbürgermeisters.<br />
Peter Benz ist<br />
kein Koalitionschef, sondern<br />
Vorsitzender einer Stadtregierung,<br />
in der alle Parteien zusammenarbeiten<br />
müssen.“ Dr. Dierk Molter, Fraktionsvorsitzender<br />
der Liberalen im Stadtparlament, und<br />
MdL Ruth Wagner gratulierten dem Gewinner<br />
der Stichwahl im Namen von Fraktion<br />
und Kreisvorstand, machen in einer Pressemitteilung<br />
aber zugleich deutlich, daß die<br />
Aufgaben eines direkt gewählten Oberbürgermeisters<br />
komplizierter sind. Er habe zwar<br />
eine größere Legitimation als ein indirekt<br />
gewählter OB, sei aber <strong><strong>den</strong>n</strong>och kein Ministerpräsi<strong>den</strong>t<br />
mit einem Kabi<strong>net</strong>t ausschließlich<br />
aus <strong>den</strong> Farben der jeweiligen Koalition.<br />
„Der OB ist nach wie vor primus inter pares,<br />
Gleicher unter Gleichen, und muß mit allen<br />
im Kollegialorgan Magistrat zusammenarbeiten“,<br />
erklärt Ruth Wagner.<br />
Die entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Punkte der künftigen<br />
Koalition sehen Fraktion und Vorstand der<br />
Liberalen in der B3-Westumgehung Arheilgens,<br />
der Nord-Ost-Umgehung und im Wohnungsbau.<br />
Besonders in Sachen Nord-Ost-<br />
Umgehung komme es jetzt darauf an, fest zu<br />
bleiben. Peter Benz müsse voll hinter der<br />
Planung stehen, und zwar auch dann, wenn<br />
sich der Baubeginn aufgrund der finanziellen<br />
Möglichkeiten verschiebe. „Noch ist die<br />
Straße nicht im Raumordnungsplan des Landes“,<br />
so Dr. Molter, der daran erinnert, daß<br />
die rot-grüne Koalition in Wiesba<strong>den</strong> bisher<br />
ein Gegner des Projekts war. Wenig Chancen<br />
räumen die Liberalen <strong>den</strong> Zielen einer rotgrünen-Koalition<br />
im Bereich Wohnungsbau<br />
ein. Überall werde reduziert, sowohl am<br />
Wolfhartweg wie z.B. in der Helfmannstraße,<br />
und dem Druck der Nachbarschaft nachge-<br />
PARTEIEN - STANDPUNKTE I<br />
Information verhindert Mißverständnisse<br />
Die Stadtverwaltung soll vor<br />
der Fällung von Bäumen die<br />
Öffentlichkeit informieren.<br />
Dadurch lassen sich Mißverständnisse<br />
wie bei der Baumfällung<br />
Karlstraße 105-107 vermei<strong>den</strong>. Der<br />
Öffentlichkeit war nicht bekannt, daß die<br />
Bäume krank waren und deshalb gefällt<br />
wer<strong>den</strong> mußten.<br />
In einem Schreiben an Umweltdezernenten<br />
Heino Swyter regt der Fraktionsvorsitzende<br />
der Grünen, Günter Mayer, an, daß die<br />
Öffentlichkeit informiert wird, bevor im<br />
Stadtgebiet Bäume gefällt wer<strong>den</strong>. „Denn<br />
das Fällen von Bäumen stößt bei <strong>den</strong> Bürgerinnen<br />
und Bürgern auch deshalb auf Unverständnis,<br />
weil die Gründe für die Fällung<br />
nicht bekannt sind. Durch rechtzeitige Information<br />
können Spekulationen über die<br />
Notwendigkeit von Baumfällungen von vorneherein<br />
ausgeschlossen und Mißverständnisse<br />
vermie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>“, meint Mayer.<br />
Das braucht persönlichen und politischen Mut<br />
sem Gesichtspunkt sehe er in dem Positionspapier<br />
der IHK eine Orientierungshilfe<br />
für <strong>den</strong> künftigen Oberbürgermeister. Das<br />
gelte besonders für das hausgemachte<br />
Darmstädter Verkehrschaos. Die CDU wolle<br />
beim öffentlichen Verkehr eine Angebotsstrategie<br />
fahren, damit Busse und Bahnen<br />
als interessante Alternative von Arbeitnehmern<br />
und Kun<strong>den</strong> angenommen wür<strong>den</strong>.<br />
„In Zeiten knapper Mittel sind Investitionen<br />
Was erwarten Frauen von der Politik ?<br />
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 15<br />
Menschenverachtender Haß<br />
Wo bleibt die Mobilisierung von Gewerbeflächen?<br />
Im Frühjahr 1992 hat die Hessische<br />
Landesentwicklungund<br />
Treuhandgesellschaft<br />
(HLT) eine Untersuchung vorgelegt.<br />
Darin waren gewerbliche<br />
Flächenreserven in Darmstadt unter<br />
dem Gesichtspunkt der Reaktivierung<br />
geprüft wor<strong>den</strong>. Die vom Magistrat drei<br />
Jahre zuvor in Auftrag gegebene Untersuchung<br />
hatte immerhin ein Potential von 191<br />
Grundstücken mit 80 Hektar aufgezeigt. Die<br />
CDU-Fraktion fragt kritisch nach, was zwischenzeitlich<br />
unternommen wor<strong>den</strong> sei,<br />
um die genannten Flächen für die wirtschaftliche<br />
Nutzung zu aktivieren. Im April<br />
1992 habe Oberbürgermeister Metzger eine<br />
Vorlage zur Mobilisierung der Flächen<br />
angekündigt, die stehe bis heute aus.<br />
„Nach unserer Information haben Liegenschaftsamt<br />
und das Amt für Wirtschaftsförderungen<br />
keinen Handschlag getan, um die<br />
Ergebnisse der Untersuchung, die viel Geld<br />
gekostet hat, auszuwerten und in konkrete<br />
Politik umzusetzen“, kritisiert der CDU-<br />
Fraktionsvorsitzende, Dr. Rüdiger Moog. In<br />
Darmstadt gebe es die fatale Gewohnheit,<br />
Gutachten zu bestellen und sie dann in die<br />
geben. Damit lassen sich 600 neue Wohnungen<br />
pro Jahr nicht realisieren, erklärt die<br />
Fraktion und hofft, daß nun endlich nach<br />
einem halben Jahr Wahlkampf die konkrete<br />
politische Arbeit beginnen kann.<br />
Schublade zu legen. In Zeiten sinkender<br />
Gewerbesteuereinnahmen sei die Trägheit<br />
des Liegenschaftsdezernenten, Gerd Grünewaldt,<br />
in dieser Frage besonders unverständlich.<br />
Mit der Rückgewinnung von<br />
Gewerbeflächen im Nor<strong>den</strong> und Nordwesten<br />
der Stadt könnten Standortentscheidungen<br />
von Firmen positiv beeinflußt wer<strong>den</strong>.<br />
Besonders interessant dabei:<br />
Erschließung sei vorhan<strong>den</strong>, z.B. in einem<br />
größeren Areal in der Pallaswiesenstraße,<br />
es brauchten keine investiven Vorleistungen<br />
der Stadt erbracht zu wer<strong>den</strong>. „Wir<br />
leben hier nicht auf der Insel der Seligen,<br />
auch die Stadt Darmstadt muß etwas für<br />
<strong>den</strong> Erhalt von Arbeitsplätzen tun“, fordert<br />
der CDU-Fraktionschef Dr. Moog. Die CDU<br />
erwarte ein ämterübergreifendes Aktivierungskonzept<br />
für die Gewerbeflächen.<br />
Unter drei Gesichtspunkten müsse auf der<br />
Grundlage des HLT-Gutachtens weitergearbeitet<br />
wer<strong>den</strong>: Welche Grundstücke lassen<br />
sich kurz- mittel- und langfristig wiederverwerten,<br />
wo sind Altlasten zu beseitigen,<br />
welche Flächen kommen für Neuansiedlung<br />
oder Auslagerung bestimmter Branchen in<br />
Frage. Damit brauche nicht gewartet zu<br />
sorgfältig abzuwägen. Ich sehe bei der<br />
Gestaltung der Innenstadt, besonders am<br />
Marktplatz einen Vorrang. Was wir dort hineinstecken,<br />
rech<strong>net</strong> sich auch für die Stadt<br />
unter dem Gesichtspunkt sicherer Arbeitsplätze<br />
und solider Steuerkraft“, stellt Gerhard<br />
O. Pfeffermann fest. Er wird einen Termin<br />
mit Verantwortlichen der IHK vereinbaren,<br />
um die notwendigen Maßnahmen im<br />
einzelnen durchzusprechen.<br />
Zu einem Gespräch mit dem<br />
CDU-Abgeord<strong>net</strong>en Gerhard<br />
O. Pfeffermann hatte die Frauenunion<br />
eingela<strong>den</strong>. In vier<br />
Themenbereichen: Familie,<br />
Beruf, Alter und Ehrenamt sollten Frauen<br />
ihre Erfahrungen und ihre Erwartungen an<br />
die Politik vortragen. In ihrer Einführung<br />
machte die Vorsitzende Dr. Sissy Geiger<br />
deutlich, daß junge Frauen in ihrer Lebensplanung<br />
kein entweder/oder mehr akzeptierten,<br />
sondern beides wollten, Beruf und<br />
Familie. Darauf habe sich die Politik für<br />
Frauen einzustellen.<br />
Zum „Leben mit Kindern“ gab es eine kontroverse<br />
Diskussion: Während die Frauenbeauftragte<br />
der Stadt, Trautel Baur, klagte,<br />
Frauen hätten während der Familienphase<br />
massive Nachteile in Kauf zu nehmen,<br />
waren sich die Mütter in der Runde einig,<br />
daß Kindererziehung eine lohnende und<br />
bereichernde Aufgabe bedeute. Lob gab es<br />
dafür, daß Kindererziehung sich bei der<br />
Rente auszahlt. Tadel gab es für mangelnde<br />
Unterstützung durch <strong>den</strong> Partner bei <strong>den</strong><br />
Familienpflichten. Petra Anspach, berufstätige<br />
Mutter eines zweijährigen Sohnes,<br />
hat Schwierigkeiten einen Kindergartenplatz<br />
für ihren Sohn zu fin<strong>den</strong>. Bereits jetzt<br />
hat sie bei mehreren Einrichtungen gehört,<br />
daß erst Vierjährige aufgenommen wer<strong>den</strong><br />
können. Die Frauenbeauftragte bestätigt,<br />
daß die Kindergartenplanung seit dem Jahr<br />
1985 nicht mehr aktualisiert wor<strong>den</strong> ist und<br />
daß seit zwei Jahren an einem neuen Plan<br />
„gestrickt“ wird, bisher ohne Ergebnis.<br />
Weitere Kritikpunkte der Gesprächsteilnehmerinnen:<br />
Akuter Platzmangel in einigen<br />
Stadtteilen und die höheren Elternbeiträge<br />
bei kirchlichen Kindergärten.<br />
„Hat das Ehrenamt noch eine Zukunft?“ bei<br />
dieser Frage prallten gegensätzliche Meinungen<br />
aufeinander. Während manche <strong>den</strong><br />
Vorwurf erhoben, ehrenamtliche Tätigkeit<br />
grenze an Ausbeutung, wies die Vorsitzende<br />
des Darmstädter Frauenrings, Lisa<br />
Knopp, darauf hin, daß ehrenamtliche<br />
Arbeit schließlich freiwillig erbracht werde,<br />
„aus Freude an der Aufgabe“. Stadträtin Eva<br />
Ludwig nannte konkrete Zahlen: in <strong>den</strong><br />
alten Bundesländern gibt es 7 Millionen<br />
ehrenamtlich Tätige, die jährlich Dienstleistungen<br />
für rund 12 Milliar<strong>den</strong> Mark leisten.<br />
80% dieser Arbeit wird von Frauen<br />
erbracht. Einig war man sich in der Überlegung,<br />
für ein langjähriges umfangreiches<br />
Erst vor kurzem wurde nach der Fällung<br />
einiger größerer Bäume zwischen <strong>den</strong><br />
Gebäu<strong>den</strong> Karlstraße 105 und 107 im<br />
Zugang zur Mornewegschule einiger Protest<br />
laut. Denn die Bäume sahen äußerlich<br />
völlig gesund aus. Über die Gründe, warum<br />
diese Bäume der Motorsäge zum Opfer fielen,<br />
war aber nichts bekannt. AnwohnerInnen<br />
wandten sich deshalb mit der Bitte an<br />
die Grünen, dieser Sache nachzugehen.<br />
Günter Mayer stellte darauf eine Kleine<br />
Anfrage an die Verwaltung. Er wollte u.a.<br />
wissen, ob <strong>den</strong> Bauherren des Hauses Karlstraße<br />
107 Auflagen zum Schutz der Bäume<br />
erteilt wor<strong>den</strong> seien, ob diese Auflagen eingehalten<br />
wur<strong>den</strong> und wer die Fällung veranlaßt<br />
habe. Mit dem Tenor dieser Anfrage<br />
waren wiederum AnwohnerInnen des neugebauten<br />
Wohnkomplexes Karlstraße 107-<br />
Zu Beginn ihrer Fraktionssitzung<br />
gedachte die CDU-Fraktion<br />
in einer Schweigeminute<br />
der Opfer des Mordanschlages<br />
von Solingen. „Fassungslos<br />
und tief erschüttert stehen wir vor dieser Tat<br />
eines menschenverachten<strong>den</strong> Hasses. Die<br />
Empörung über <strong>den</strong> gräßlichen Mord ist uns<br />
wer<strong>den</strong> bis der Regionale Raumordnungsplan<br />
fortgeschrieben sei. Diese Mobilisierungsplanung<br />
ist allein Sache der zuständigen<br />
Dezernenten Metzger und Grünewaldt.<br />
Dr. Moog: „Hier muß der Magistrat endlich<br />
seine Hausaufgaben machen. Statt über<br />
Steuererhöhungen nachzu<strong>den</strong>ken, sollten<br />
neue Entwicklungsmöglichkeiten genutzt<br />
wer<strong>den</strong>“. Das Gewerbeflächen-Recycling<br />
biete viele Vorteile: Chancen zur Strukturverbesserung,<br />
umweltschonender Flächeneinsatz<br />
und die Sicherung von Arbeitsplätzen<br />
– und das alles ohne die zeitrauben<strong>den</strong><br />
und teueren Vorbereitungen die bei der<br />
Ausweisung von neuen Gewerbegebieten<br />
anfallen.<br />
Verpflichtung, allen Formen der Gewalt entgegenzutreten<br />
und für ein friedliches Zusammenleben<br />
der Menschen in Darmstadt mit<br />
aller Kraft zu arbeiten“.<br />
Mit diesen Worten rief Gerhard O. Pfeffermann<br />
auf, Toleranz und Mitmenschlichkeit<br />
zur Grundlage des politischen Handelns zu<br />
machen. Für die CDU-Fraktion wer<strong>den</strong> Gerhard<br />
O. Pfeffermann und die stellvertretende<br />
Fraktionsvorsitzende Karin Wolff als Vorsitzende<br />
des Evangelischen Arbeitskreises der<br />
CDU dem Ausländerbeirat einen Brief schreiben,<br />
um ihrer Anteilnahme auszudrücken.<br />
Stellvertretend für die in Darmstadt leben<strong>den</strong><br />
Ausländer soll dem Ausländerbeirat nicht<br />
nur unsere Bestürzung über <strong>den</strong> Brandanschlag<br />
auf die türkische Familie deutlich<br />
gemacht wer<strong>den</strong>, sondern auch die Bereitschaft<br />
Verantwortung zu übernehmen für<br />
das friedliche Zusammenleben von Menschen<br />
unterschiedlicher Nationalität.<br />
„Wir sind froh und dankbar, daß es in Darmstadt<br />
ein Klima des Verständnisses und der<br />
Toleranz mit Ausländern gibt, aber wir müssen<br />
wachsam sein. Wir wollen der Gewalt in<br />
jeder Form und gegenüber jedem Menschen<br />
Widerstand entgegensetzen“, betont der<br />
CDU-Vorsitzende Gerhard O. Pfeffermann.<br />
17. Juni: ein Thema für Schulen<br />
Ehrenamt Steuererleichterungen vorzusehen.<br />
Barbara Seeber von der Frauenselbsthilfe<br />
nach Krebs schilderte deutlich, was sie<br />
ihr Ehrenamt kostet: ein ganzes Zimmer<br />
ihrer Wohnung hat sie dafür zum Büro<br />
umfunktioniert mit Fax-Gerät, Kopierer und<br />
Schreibtisch, aber sie kann ihr „Büro“ nicht<br />
steuerlich absetzen.<br />
Bei dem Thema „Senioren“ drehte sich alles<br />
um die solidarische Pflegeversicherung.<br />
Anne Franz vom Darmstädter Pflege- und<br />
Sozialdienst setzte sich nachdrücklich für<br />
die baldige Einführung des Pflegeversicherungsmodells<br />
von Norbert Blüm ein. Sie<br />
machte darauf aufmerksam, daß die Kosten<br />
der Altenhilfe jährlich um etwa 8,5% ansteigen,<br />
dabei sind 3% Lohnsteigerungen für<br />
die Pflegekräfte und 5,5% entfallen auf <strong>den</strong><br />
Anstieg der Fälle. „Wenn diese Aufgaben<br />
nicht rasch und gemeinsam gelöst wer<strong>den</strong>,<br />
überrollt uns eine Lawine, das ist absehbar“.<br />
Die Zeitung für Darmstadt druckt Parteienmeldungen grundsätzlich<br />
unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und Grammatikfehler<br />
sowie Wiederholungen. Inhaltliche auch politische Änderungen<br />
wer<strong>den</strong> nicht angebracht und auch nichts hinzugefügt. Die Briefe<br />
geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.<br />
111 nicht einverstan<strong>den</strong>. Sie sahen sich<br />
dem Verdacht ausgesetzt, irgend etwas mit<br />
der Fällung zu tun zu haben. Dabei ist das<br />
Gegenteil der Fall. Die AnwohnerInnen des<br />
Neubaus hatten sich für <strong>den</strong> Erhalt der Bäume<br />
eingesetzt.<br />
Günter Mayer bedauert, daß es zu diesen<br />
Mißverständnissen gekommen ist. Die Antwort<br />
auf die Kleine Anfrage liegt mittlerweile<br />
vor. Die Bäume mußten gefällt wer<strong>den</strong>,<br />
weil ihr Gesundheitszustand wegen eines<br />
Pilzbefalls sehr schlecht war und eine<br />
Bruchgefahr der Krone bestand. „Durch ein<br />
gestiegenes Umweltbewußtsein wer<strong>den</strong><br />
Fällaktionen zum Glück kritisch bewertet.<br />
Darüber sollte man froh sein. Um so wichtiger<br />
ist es aber, daß deshalb rechtzeitig über<br />
die Gründe für Fällungen informiert wird,“<br />
so Günter Mayer weiter.<br />
Am 17.6.93 jährte sich zum<br />
vierzigsten Mal der Tag des<br />
Volksaufstandes in der ehemaligen<br />
DDR. Deshalb hat sich<br />
der CDU-Kreisvorsitzende Gerhard<br />
O. Pfeffermann dafür ausgesprochen,<br />
<strong>den</strong> Ereignissen am 17. Juni 1953 in der ehemaligen<br />
DDR und dem langen Weg zur Wiedervereinigung<br />
breiteren Raum im Schulunterricht<br />
und in der Arbeit der Volkshochschulen<br />
zu geben. Aus Anlaß des 40. Jahrestages<br />
des Aufstandes in vielen Städten Ostdeutschlands<br />
bezeich<strong>net</strong>e Pfeffermann <strong>den</strong> 17. Juni<br />
als „Symbol für das Streben der Völker Europas<br />
nach Freiheit und Selbstbestimmung“.<br />
„Dieser Ge<strong>den</strong>ktag gibt uns auch Anlaß allen<br />
<strong>den</strong>jenigen zu danken, die über viele Jahrzehnte<br />
hinweg unbeirrbar <strong>den</strong> Gedanken der<br />
deutschen Einheit lebendig erhalten haben<br />
und in Ost und West öffentlich für die Einheit<br />
und Freiheit Deutschlands eingetreten sind“,<br />
betonte der CDU-Politiker. Dieses Bekenntnis,<br />
so Pfeffermann weiter, sei eine Voraussetzung<br />
für die Wiedervereinigung gewesen.<br />
„An die Menschen, die am 17. Juni 1953 ihr<br />
Leben für Gerechtigkeit und Freiheit gelassen<br />
haben, <strong>den</strong> vielen, die harte Freiheitsstrafen<br />
hinter Gittern verbüßen mußten, <strong>den</strong>ken<br />
wir Christdemokraten in Ehrfurcht und<br />
Bewunderung“, stellte Pfeffermann fest.<br />
Der CDU-Vorsitzende erinnerte daran, daß<br />
der Ruf nach Freiheit und Gerechtigkeit von<br />
der Ost-Berliner Stalinallee ausgegangen sei<br />
und nach und nach in rund 250 Städten die<br />
Menschen auf die Straße gegangen seien.<br />
Von sowjetischen Truppen und kasernierter<br />
Volkspolizei sei das Aufbegehren brutal zerschlagen<br />
wor<strong>den</strong>. „Die Frauen und Männer,<br />
die im Juni 1953 ihr Leben für Freiheit und<br />
Gerechtigkeit eingesetzt haben, sind Vorbilder<br />
auch für künftige Generationen.“<br />
Der Kreisvorsitzende hob hervor, der wiedererlangten<br />
staatlichen Einheit müsse in Ost und<br />
West die Erkenntnis folgen, daß der Weg zur<br />
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Vollendung<br />
der inneren Einheit auch die Bereitschaft<br />
zu wirtschaftlichen und persönlichen<br />
Opfern mit sich bringe, bis die Lebensverhältnisse<br />
in Ost und West angeglichen<br />
seien. Für das gegenseitige Verständnis könnten<br />
Schulen, Hochschulen und Volkshochschulen<br />
einen wesentlichen Beitrag leisten.<br />
Chaoten<br />
Strafantrag wegen Sachbeschädigung<br />
hat die CDU, Kreisverband<br />
Darmstadt, gestellt.<br />
Wieder einmal waren Wahlplakate<br />
beschädigt wor<strong>den</strong>.<br />
Entlang der Frankfurter Straße hatten Unbekannte<br />
alle Pfeffermann-Plakate überklebt mit<br />
einem Papierstreifen, der <strong>den</strong> dem Aufdruck<br />
„ungültig“ enthielt.<br />
Wie der Gerhard O. Pfeffermann feststellt,<br />
sollte hier offenbar der falsche Eindruck<br />
erweckt wer<strong>den</strong>, als sei seine Bewerbung für<br />
das Amt des Oberbürgermeisters in Darmstadt<br />
hinfällig gewesen. „Es gibt in dieser<br />
Stadt eine Menge Chaoten, die die Spielregeln<br />
demokratischer Willensbildung nicht achten<br />
und glauben mich und die CDU auf diese Weise<br />
in Mißkredit bringen zu können.“ Der Vandalismus<br />
nehme immer mehr zu, bedauert die<br />
CDU. Wahlplakate wür<strong>den</strong> nicht nur überklebt,<br />
sondern auch zertreten, umgeworfen<br />
oder beschmiert.
PARTEIEN - STANDPUNKTE II<br />
Aus für das Kranichsteiner Jagdmuseum? Straßensperre unnötig<br />
Die Hessische Landesregierung<br />
lehnt es ab, das Jagdschloß<br />
weiter zu restaurieren,<br />
so daß die Einrichtung<br />
des Jagdmuseums ebenfalls<br />
in Frage gestellt ist.<br />
In der Fragestunde des Hessischen Landtags<br />
während der Plenardebatte hat die<br />
Darmstädter F.D.P.-Abgeord<strong>net</strong>e Ruth<br />
Wagner erneut nach Maßnahmen im Jagdschloß<br />
Kranichstein, nämlich der Einrichtung<br />
des Jagdmuseums gefragt.<br />
Die Ministerin für Wissenschaft und Kunst,<br />
Frau Professor Evelies Mayer (Darmstadt)<br />
hat in bemerkenswerter Offenheit vor dem<br />
Landtag erklärt: „Da das geplante Jagdmuseum<br />
nicht vom Land Hessen betrieben<br />
EG plant <strong>den</strong> europäischen<br />
Überwachungsstaat<br />
„Nicht von der Stadt zu vertreten“<br />
„Die Attacke des CDU-Politikers<br />
Dr. Moog auf die städtische<br />
Obdachlosenpolitik<br />
kann und darf nicht verdecken,<br />
daß die bundesweit<br />
vor allem in <strong>den</strong> Ballungsräumen feststellbare<br />
Wohnungsmisere das Ergebnis einer<br />
viele menschliche Schicksale bedrohen<strong>den</strong><br />
Wohnungs-Katastrophenpolitik der CDU<br />
ist!“ Deshalb, so der Vorsitzende der SPD-<br />
Fraktion Horst Knechtel, müssen die Viertel-<br />
und Halbwahrheit von Moogs Aussagen<br />
schonungslos als politische Heuchelei<br />
und Verlogenheit gebrandmarkt wer<strong>den</strong>.<br />
Moog könne nicht so tun, als sei das Darmstädter<br />
Wohnungsproblem für Obdachlose<br />
und Flüchtlinge eine Sache, die die Stadt<br />
Darmstadt zu vertreten habe. Er müsse sich<br />
an die eigene CDU-Nase fassen und endlich<br />
dafür Sorge tragen, daß die Bonner Blockadepolitik<br />
auf dem Rücken von Beziehern<br />
kleiner Einkommen und von sozial Schwachen<br />
beendet werde. Damit würde <strong>den</strong><br />
Städten und Gemein<strong>den</strong> beim Wohnungsbau<br />
zuerst einmal am allermeisten geholfen.<br />
Moog könne auf lokaler Ebene auch<br />
nicht davon ablenken, daß die Darmstädter<br />
SPD trotz der Hindernisse und der Untätigkeit,<br />
die ihr von CDU-Seite zuteil gewor<strong>den</strong><br />
seien, mehr Wohnungen gebaut habe als<br />
fast jede vergleichbare Stadt in Deutschland.<br />
Geradezu aberwitzig sei es, wenn der CDU-<br />
Politiker auf Aktivitäten seines Parteifreundes<br />
und früheren Stadtrates Dr. Wessely<br />
zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit und<br />
Wohnungsnot für Flüchtlinge verweise.<br />
Dies machen gerade die von ihm zitierten<br />
Beispiel „Hotel Hawerkaste“ und ehemaliges<br />
Lehrlingsheim der Post deutlich. Trotz<br />
des von ihm von vornherein zu niedrig<br />
geschätzten und angebotenen Kaufpreises<br />
für diese Objekte wäre nach einem Umbau<br />
der Preis pro Flüchtlingsbett erheblich<br />
höher gewesen als die sonst gezahlten 25<br />
bis 100 Mark. Es sei auch nicht so gewesen,<br />
daß die Stadt <strong>den</strong> Kauf abgelehnt habe,<br />
sondern sie sei Opfer der von vornherein zu<br />
niedrig angesetzten Kaufangebote Wesselys<br />
gewor<strong>den</strong>, weil sich die privaten<br />
Eigentümer natürlich sofort an <strong>den</strong> marktüblichen<br />
Kaufpreisangeboten orientiert<br />
haben.<br />
Wesselys Aktivitäten seien daher von vornherein<br />
Alibiveranstaltungen gewesen, mit<br />
wird, besteht für eine finanzielle Absicherung<br />
des Landes kein Anlaß.“ Ruth Wagner<br />
hielt der Ministerin vor, daß nach Aussage<br />
des Landesamtes für Denkmalpflege über<br />
die zwischen Stadt und Land vertraglich<br />
vereinbarte Summe von 21 Millionen Mark<br />
hinaus ein Restaurierungsbedarf zur Wiederherstellung<br />
des Jagdmuseums und der<br />
fürstlichen Wohnräume von drei bis vier<br />
Millionen Mark nötig seien. Diese waren<br />
von Minister a. D. Dr. Wolfgang Gerhard<br />
(F.D.P.) seinerzeit im Vertragsentwurf mit<br />
der Stadt Darmstadt durchaus vorgesehen,<br />
wur<strong>den</strong> aber von der jetzigen Regierung<br />
gekappt. Weiterhin habe die „Stiftung<br />
Jägerhof“ bereits ein Konzept für die Neuordnung<br />
des Museums entwickelt, für das<br />
Zu der am Mittwoch beginnen<strong>den</strong><br />
Konferenz der Innenminister<br />
der Europäischen<br />
Gemeinschaft erklärt Claudia<br />
Roth, grünes Mitglied des<br />
innenpolitischen Ausschusses des Europäischen<br />
Parlamentes:<br />
Nur wenige Tage nach der de facto<br />
Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl<br />
durch <strong>den</strong> Deutschen Bundestag kommen<br />
die Innenminister der Europäischen<br />
Gemeinschaft in Kopenhagen zusammen,<br />
um die Etablierung eines europäischen<br />
Überwachungsstaates, in dem grundlegende<br />
Bürgerrechte suspendiert wer<strong>den</strong>, voranzutreiben.<br />
Unter dem Vorwand der Bekämpfung illegaler<br />
Einwanderung und der Abschiebung<br />
von unerwünschten Nicht-EG- und Nicht-<br />
EFTA-Staatsbürgern soll das für eine<br />
flächendeckende Überwachung der Bevölkerung<br />
notwendige polizeiliche Instrumentarium<br />
auf <strong>den</strong> Weg gebracht wer<strong>den</strong>. Ausgeheckt<br />
wurde der zur Verabschiedung stehende<br />
Plan von einer weder dem Europäischen<br />
Parlament noch anderen parlamentarischen<br />
Gremien in <strong>den</strong> Mitgliedsstaaten<br />
bekannten „Untergruppe Abschiebung“ der<br />
„Ad hoc Arbeitsgruppe Einwanderung“.<br />
Dies zeigt einmal mehr <strong>den</strong> undemokratischen<br />
Charakter der von der Europäischen<br />
Gemeinschaft betriebenen Politik.<br />
Die vorgesehenen Überwachungsinstrumente<br />
bil<strong>den</strong> die Vorarbeiten für die Einführung<br />
einer Personenkennziffer für alle<br />
Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen<br />
Gemeinschaft, anhand derer ein<br />
wildgewor<strong>den</strong>er „Sicherheits“-Apparat –<br />
genannt EUROPOL – Informationen über<br />
das alltägliche Leben der Menschen wird<br />
gewinnen können.<br />
Bündnis 90/Die Grünen protestieren entschie<strong>den</strong><br />
gegen die Pläne der EG-Innenminister<br />
und wer<strong>den</strong> mit <strong>den</strong> gebotenen Mitteln<br />
gegen ihre Verwirklichung kämpfen.<br />
Horst Knechtel: Versand solcher Schreiben soll nicht mehr vorkommen<br />
<strong>den</strong>en er <strong>den</strong> damals auch in <strong>den</strong> eigenen<br />
Reihen erhobenen Vorwurf der Untätigkeit<br />
habe entkräften wollen. Daß Moog Krokodilstränen<br />
über die „Stigmatisierung im<br />
Akazienweg“ weine, stelle ein weiteres Beispiel<br />
dafür dar, daß er entweder die Folgen<br />
seiner CDU-Wohnungs- und Sozialpolitik<br />
verleugnen wolle oder als vermögender Privatmann<br />
nicht sehen könne. Moog müsse<br />
einfach zur Kenntnis nehmen, daß ein entschei<strong>den</strong>des<br />
wohnungspolitisches Element<br />
der Stadt Darmstadt im städtischen Bauverein<br />
bestehe. Diese hundertprozentig im<br />
Stadtbesitz befindliche Tochter sei eben,<br />
wie sich auch im vorliegen<strong>den</strong> Fall zeige,<br />
wirklich besser in der Lage, flexibel mit<br />
Wohnungsproblemen umzugehen. Vor<br />
allem der Unsinn, daß die von der Stadt an<br />
<strong>den</strong> Bauverein übertragenen Wohnungen<br />
als Reserve im Kampf gegen Wohnungsnot<br />
hätten eingesetzt wer<strong>den</strong> können, kennzeichne<br />
<strong>den</strong> Sachverstand, mit dem der<br />
CDU-Politiker an das Problem herangehe.<br />
Abgesehen davon, daß es weit und breit<br />
keine Wohnungsbaugesellschaft gebe, die<br />
so viele Wohnungsproblemfälle untergebracht<br />
habe und unterbringe, hätten weder<br />
die Stadt noch der Bauverein in diesen<br />
Wohnungen, die meist mit <strong>den</strong> Beziehern<br />
kleiner Einkommen belegt seien, eben<br />
wegen dieser Belegung noch einen zusätzlichen<br />
Wohnungsnotfall unterbringen können.<br />
Der SPD-Politiker räumt allerdings auch<br />
ein, daß die vom Liegenschaftsdezernat<br />
verschickten Briefe bürokratisch und<br />
unsensibel gegenüber <strong>den</strong> Betroffenen<br />
gewesen seien. Stadtrat Grünewaldt habe<br />
einen „großen Schaff“, in diesem von Wessely<br />
hinterlassenen „La<strong>den</strong>“ alles im Sinne<br />
von mehr Bürgernähe und besserer Organisation<br />
neu zu ordnen. Das gehe in einer<br />
öffentlichen Verwaltung nicht von heute auf<br />
morgen. Grünewaldt habe jedoch zugesagt,<br />
diese Dinge in Kürze zu ändern, damit der<br />
Versand solcher Schreiben nicht mehr vorkommt.<br />
SPD-Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion.<br />
Der Fraktionsvorsitzende Horst Knechtel<br />
Die Zeitung für Darmstadt druckt Parteienmeldungen grundsätzlich<br />
unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und Grammatikfehler<br />
sowie Wiederholungen. Inhaltliche auch politische Änderungen<br />
wer<strong>den</strong> nicht angebracht und auch nichts hinzugefügt. Die Briefe<br />
geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.<br />
zwar auch 60.000 Mark vom Hessischen<br />
Museumsverband gezahlt wur<strong>den</strong>, darin<br />
seien aber erhebliche Eigenmittel enthalten.<br />
Dieser Sachverhalt ist der Ministerin offensichtlich<br />
nicht bekannt.<br />
Ruth Wagner erklärte, es sei völlig unbegreiflich,<br />
daß das Land Hessen kein Interesse<br />
an der Fertigstellung der Sanierung des<br />
Schlosses und der Wiedereinrichtung des<br />
einzigartigen Jagdmuseums habe, mit dem<br />
erst die Attraktivität des Schlosses für die<br />
Darmstädter Bevölkerung und andere<br />
Besucher vervollständigt werde.<br />
Es komme nun auf die Darmstädter Abgeord<strong>net</strong>en<br />
an, bei <strong>den</strong> Haushaltsberatungen<br />
1994 gemeinsam aktiv zu wer<strong>den</strong>, um eine<br />
Sanierungsruine zu verhindern.<br />
Die Baustelle Wilhelminenstr/Ecke<br />
Heinrichstr. versperrt<br />
die Weiterfahrt aus<br />
Bessungen in Richtung<br />
Innenstadt. Betroffen sind<br />
davon in erster Linie Radfahrer. „Völlig<br />
unnötig”, meint Günter Mayer. Die Wilhelminenstr.<br />
ist die von Radfahrer/innen meist<br />
genutzte Verbindung, um aus Bessungen in<br />
die Innenstadt zu kommen. Denn dort fahren<br />
bei weitem nicht so viele Autos wie auf<br />
der Strecke Karlstr./Holzstr. Durch die beiderseits<br />
der Wilhelminenstr. geparkten<br />
PKW ist die Straße auch relativ schmal und<br />
die Geschwindigkeit der Autos deshalb<br />
nicht so hoch.<br />
Seit einiger Zeit ist diese Radverbindung in<br />
Die Ausbeuter<br />
machen weiterhin ihr Geld<br />
„Eine Arbeitnehmerin bekommt<br />
von ihrem Mann<br />
ein Kind. Deswegen arbeitet<br />
sie 14 Wochen nicht.<br />
Dennoch muß der Arbeitgeber<br />
<strong>den</strong> größeren Teil ihres Lohnes weiterzahlen.<br />
Warum eigentlich? Was kann der<br />
Arbeitgeber dafür, daß die Frau ein Kind<br />
kriegt?“<br />
Dies ist ein „Plädoyer für ein soziales Grundrecht<br />
der Arbeitgeber“, verfaßt von einem<br />
Herrn Peter Nipperdey, veröffentlicht in der<br />
Unternehmer-Zeitschrift „Arbeitgeber“. Die<br />
Zeitschrift meint dazu, der Beitrag sei ein<br />
„scharfes Plädoyer für eine Korrektur dessen,<br />
was wir Soziale Marktwirtschaft nennen“.<br />
Nun können wir so etwas überspitzt nennen,<br />
aber alles, was im sozialen Bereich läuft,<br />
läuft genau in diese Richtung.<br />
Befreit vom sozialen und moralischen Druck<br />
eines organisierten Sozialismus, der – so<br />
unvollkommen und am Ende kaputt er gewesen<br />
sein mag – allemal taugte, Kapitalisten<br />
zu bremsen, legen sie jetzt los. Das ist das<br />
eine. Das andere ist, daß ihr System, das sie<br />
Soziale Marktwirtschaft nennen, also der<br />
Kapitalismus, in einer tiefen Krise steckt.<br />
Man kann seinen Zustand desolat nennen.<br />
Oder marode. Oder heruntergewirtschaftet.<br />
Aber das alles nur, soweit es die Bevölkerung<br />
angeht, die Einwohner dieses Landes. Was<br />
die Ausbeuter dieses Landes angeht, so<br />
machen sie weiterhin Geld.<br />
Sie lassen ein ganzes Volk opfern – für die<br />
Staatsfinanzen, angeblich für die Wiedervereinigung,<br />
für die Ankurbelung der Konjunktur,<br />
also für private Wirtschaft und das<br />
Eigentum der Reichen – und bringen selbst<br />
ihre Milliar<strong>den</strong> ins steuergünstige Ausland.<br />
Sie Verlangen von <strong>den</strong> Kranken im Lande,<br />
auf einen Teil ihres Lohnes und Gehaltes zu<br />
verzichten, damit alte Menschen gepflegt<br />
wer<strong>den</strong> können – und schließen sich aus dieser<br />
Verantwortung aus, machen daraus noch<br />
ein Geschäft. Daimler-Benz legt auf der<br />
Hauptversammlung eine gleichbleibende<br />
Divi<strong>den</strong>de für Aktionäre fest und verkündet<br />
auf der gleichen Versammlung die Streichung<br />
von weiteren 15.000 Arbeitsplätzen,<br />
nachdem 1992 bereits 18.000 Arbeitsplätze<br />
vernichtet wor<strong>den</strong> sind.<br />
Immer vor Augen, daß Sozialhilfe gekürzt<br />
wer<strong>den</strong> soll und Kindergeld und Erziehungsgeld<br />
und ganze Bevölkerungsgruppen in Not<br />
getreten wer<strong>den</strong> – das immer vor Augen, ein<br />
paar Fragen zu Sparmöglichkeiten: Warum<br />
wer<strong>den</strong> die Milliar<strong>den</strong>subventionen nicht<br />
gestrichen, die in erster Linie <strong>den</strong> Großgrundbesitzern<br />
zugute kommen? Warum<br />
wer<strong>den</strong> die Bausubventionen in Milliar<strong>den</strong>höhe<br />
nicht gestrichen, die für Luxusbauten,<br />
Zweitwohnungen, Ferienhütten auf Sylt oder<br />
sonstwo zur Verfügung gestellt wer<strong>den</strong>?<br />
Warum wird nicht auf die Senkung des Spitzensatzes<br />
bei der Einkommensteuer von 53<br />
auf 44 Prozent verzichtet?<br />
Weil das nicht der Richtung entspricht, in die<br />
unser Land und seine Bevölkerung getrieben<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
Früher hätten wir geschrieben, es sei<br />
unglaublich, daß sich nun auch sozialdemokratische<br />
Politiker an <strong>den</strong> Armen und Entrechteten<br />
vergreifen wollen. Aber nach der<br />
Aufgabe des Asylrechts, nach der Zustimmung<br />
zum „Solidarpakt“ der CDU/CSU/FDP,<br />
nach dem Einschwenken auf Bundeswehreinsätze<br />
im Ausland, sofern die Helme<br />
Blümchen tragen, nach Lafontaines Zustimmung<br />
zum großen Lauschangriff – nach all<br />
dem lassen wir die Floskel „unglaublich“<br />
weg, wenn wir hören, daß der parlamentarische<br />
Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion,<br />
Struck, meint, man dürfe sich Überlegungen<br />
zu Kürzungen bei sozialen Leistungen<br />
nicht länger verschließen. Auch führende<br />
Sozialdemokraten sind ganz offenbar<br />
nach Wegfall des Sozialismus und dem<br />
Scheitern der Kommunisten hemmungslos<br />
gewor<strong>den</strong>.<br />
Zu bremsen ist Talfahrt nur noch von der<br />
Bevölkerung – von <strong>den</strong>en, die sich vor Verfolgte<br />
und Hungernde, Inländer und Ausländer<br />
stellen wollen, von <strong>den</strong>en, die soziale<br />
Rechte für viele gegen die Bereicherung<br />
weniger setzen wollen. Es wird hart wer<strong>den</strong>,<br />
aber es ist zu erreichen, daß wir uns alle dieses<br />
Land wieder leisten können. Und mögen.<br />
Günter Hensel<br />
Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 16<br />
die Innenstadt durch die Baustelle aber<br />
unterbrochen. Der Bauzaun nimmt eine<br />
Hälfte der Fahrbahn ein, so daß nur eine<br />
Fahrspur für <strong>den</strong> Verkehr übrig bleibt. Die<br />
Weiterfahrt in Richtung Innenstadt ist<br />
gesperrt. Für Autofahrer ist das kein größeres<br />
Problem. Sie können auf andere<br />
Straßen ausweichen, was für<br />
Radfahrer/innen nicht ganz so leicht ist. Sie<br />
müssen einen Umweg mit Muskelkraft<br />
bewältigen. Dazu kommt noch, daß andere<br />
Wege in die Stadt für Radfahrer/innen<br />
gefährlicher sind, als die Route über die<br />
Wilhelminenstr..<br />
Für Günter Mayer, <strong>den</strong> Fraktionsvorsitzen<strong>den</strong><br />
der Grünen, ist dieser Fall typisch. Man<br />
sehe daran, daß dem Radverkehr keine<br />
Bedeutung zugemessen werde. In der heutigen<br />
Zeit sei es aber dringend notwendig,<br />
<strong>den</strong> Radverkehr zu fördern. Es sei unmöglich,<br />
wenn die Verkehrsteilnehmer Radfahrer/innen<br />
bei Baumaßnahmen, die Auswirkungen<br />
auf <strong>den</strong> Straßenverkehr hätten,<br />
nicht beachtet und ihnen Hindernisse in <strong>den</strong><br />
Weg gestellt wür<strong>den</strong>.<br />
Er will sich dafür einsetzen, daß der Bauzaun<br />
versetzt wird. „Gerade bei der Baustelle<br />
Wilhelminenstr./Ecke Heinrichstr. ist es<br />
problemlos möglich, <strong>den</strong> Bauzaun zurückzusetzen<br />
um dem Radverkehr die Weiterfahrt<br />
gegen die Einbahnstraße zu ermöglichen.<br />
Oder es muß eine gelbe Linie gezogen<br />
wer<strong>den</strong>. Für Autos wird sowas ja auch<br />
gemacht”, so Günter Mayer.<br />
Die Grünen fordern die Stadtverwaltung<br />
außerdem auf, in Zukunft bei allen Maßnahmen<br />
die Belange von Radfahrer/innen zu<br />
beachten.<br />
Widerstand gegen Sozialabbau<br />
Mit einem betrieblichen Aktionstag<br />
am voraussichtlichen<br />
DGB Tag der ersten Lesung des<br />
Gesetzes zur Pflegeversicherung<br />
wollen, so Kreisvorsitzender Walter<br />
Hoffmann, die Starkenburger Gewerkschaften<br />
Widerstand gegen die breiteste<br />
Welle des Abbaus sozialer Leistungen in<br />
der BRD leisten.<br />
Wenn die Bundesregierung weiterhin an<br />
diesen unsinnigen Plänen zur Einführung<br />
von Karenztagen zur Finanzierung der Pflegeversicherung<br />
festhält, so wird sie bald<br />
selbst zum Pflegefall. Der DGB-Kreisvorstand,<br />
der die anstehende Aktion beriet,<br />
schlug vor, in <strong>den</strong> Betrieben sogenannte<br />
„Gegenlesungen“ in Form von Betriebsversammlungen<br />
und Vertrauensleute-Sitzungen<br />
durchzuführen. Es gelte, so Walter<br />
Hoffmann, diesen einseitig zu Lasten der<br />
Arbeitnehmer und sozial Schwachen<br />
Abbau sozialer Leistungen zu verdeutlichen<br />
und Widerstand in der Arbeitnehmerschaft<br />
und in der Bevölkerung aufzubauen.<br />
Die Schizophrenie der gesamten Bonner<br />
Politik werde zudem an der erklärten Ausnahme<br />
von Abgeord<strong>net</strong>en und Ministern<br />
aus der Karenztageregelung deutlich. Hier,<br />
so Hoffmann, werde mit zweierlei Maß<br />
gemessen. Die Gesundheit der Kranken<br />
gehe endgültig vor die Hunde und der<br />
Sozialstaat <strong>den</strong> Bach herunter, wenn die<br />
Lasten der Finanzierung einseitig <strong>den</strong><br />
Arbeitnehmer/innen aufgedrückt werde.<br />
Man habe Probleme, die seltsame Logik<br />
des Schongangs für Politiker nachzuvollziehen.<br />
Der DGB begrüße die Ablehnung<br />
der Einführung von Karenztagen durch die<br />
Arbeitgeber und forderte diese auf, ihren<br />
Einfluß in Bonn geltend zu machen. In vielen<br />
Starkenburger Betrieben wer<strong>den</strong> zum<br />
Auftakt Flugblätter gestreut mit der Überschrift<br />
, „Wer Wind sät...“, Gegenlesungen<br />
in <strong>den</strong> Betrieben und Veranstaltungen fin<strong>den</strong><br />
statt, am Luisenplatz und in Rüsselsheim<br />
wer<strong>den</strong> spontane Veranstaltungen<br />
durchgeführt. Mitglieder der Deutschen<br />
Postgewerkschaft verteilen vor dem<br />
Postinformationsla<strong>den</strong> am Luisenplatz<br />
Flugblätter.<br />
Wir richten uns, so Walter Hoffmann, auf<br />
einen „heißen Herbst“ in einem sozial<br />
immer kälter wer<strong>den</strong><strong>den</strong> Land ein. Die letzten<br />
Sparvorschläge zur Konsolidierung der<br />
Haushalte zeigen erneut in welche Richtung<br />
der Abbau geht: Alle Lohnersatzleistungen<br />
wie das Arbeitslosen-, Kurzarbeiter-<br />
und Schlechtwettergeld sollen gekürzt<br />
wer<strong>den</strong>. Kürzungen beim Kindergeld, der<br />
Arbeitslosenhilfe und bei der Aussiedlerhilfe<br />
stehen bevor.<br />
Im öffentlichen Dienst greife man sich die<br />
Beamten heraus und wolle die Arbeitszeit<br />
verlängern. Weitergehende Maßnahmen<br />
sind geplant. Kein Wort mehr von einer<br />
Abgabe der Besserverdienen<strong>den</strong>, einer<br />
Arbeitsmarktabgabe für Freiberufler und<br />
Selbständige, der Bekämpfung der Steuerhinterziehung<br />
und Kapitalverlagerung.<br />
Der Starkenburger DGB-Vorstand wird<br />
einen Aktionsplan erarbeiten, der schrittweise<br />
in Etappen verschie<strong>den</strong>e Aktionen<br />
beinhaltet, mit dem Ziel, <strong>den</strong> Sozialstaat<br />
auch in der Krise zu erhalten.<br />
Dabei soll vor allem die Verschlechterung<br />
der Beschäftigtensituation am Beispiel des<br />
BGB-Kreises Starkenburg mit seinen<br />
Betrieben und Verwaltungen verdeutlicht<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
Deutscher Gewerkschaftsbund<br />
Kreis Starkenburg<br />
Nachts per<br />
Sammeltaxi<br />
Warum soll, was in Gießen,<br />
Langen oder Hameln funktioniert,<br />
nicht auch in Darmstadt<br />
möglich sein?<br />
In diesen und anderen Städten<br />
der Bundesrepublik gibt es seit geraumer<br />
Zeit öffentliche Transportsysteme für<br />
die Nachtstun<strong>den</strong>, in Gießen z.B. für Frauen,<br />
in Langen als Anruf-Sammeltaxi für<br />
jedermann. Die F.D.P.-Fraktion im Stadtparlament<br />
will in einem Antrag zur Stadtverord<strong>net</strong>ensitzung<br />
dazu initiativ wer<strong>den</strong><br />
und <strong>den</strong> Magistrat auffordern, mit Heag<br />
und privaten Taxiunternehmen zu verhandeln,<br />
um auch in Darmstadt ein solches<br />
Sammeltaxensystem einzurichten. Dabei<br />
hat die F.D.P. nicht nur die Frauen im<br />
Visier, sondern vor allem auch jugendliche<br />
Discobesucher, die sonst nach 1 Uhr<br />
nachts nur noch aufs Auto angewiesen<br />
sind. Die nächtliche Lücke im ÖPNV, so<br />
Ruth Wagner, die sich in Gießen informiert<br />
hat, muß bürgerfreundlich, kostengünstig<br />
und kurzfristig geschlossen wer<strong>den</strong>.<br />
Ebenfalls ums Taxi dreht sich ein weiterer<br />
F.D.P-Antrag. In nahezu allen Städten<br />
Deutschlands dürften auf der Busspur<br />
auch Taxis fahren, erklärt Fraktionsvorsitzender<br />
Dr. Dierk Molter. Nur in Darmstadt<br />
müßten z.B. am Ende der B 26 Taxis im<br />
Stau warten wie jeder normale Pkw. Die<br />
Heag, die von Taxiunternehmen bereits<br />
darauf angesprochen wurde, hat bisher<br />
nichts unternommen.<br />
Aus diesem Grund fordert die F.D.P.-Fraktion<br />
<strong>den</strong> Magistrat auf, mit Heag und<br />
Straßenverkehrsbehörde zu verhandeln,<br />
damit eine generelle Erlaubnis zum Befahren<br />
der besonderen Busspuren in Darmstadt<br />
und <strong>den</strong> angrenzen<strong>den</strong> Gemein<strong>den</strong><br />
erteilt wird.