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„Wer würde denn den Hochzeitsturm schleifen ... - Zfd-online.net

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S 1/2/3 A 51 24.07.1995 14:01 Uhr Seite 1<br />

satirisch<br />

justizhörig<br />

experimentell<br />

wahrheitenliebend<br />

frei-volksherrschaftlich<br />

Freitag, 25.6.1993<br />

25. Kalenderwoche, 4. Jahrgang<br />

Ein mächtiges Tauziehen zwischen<br />

verschie<strong>den</strong>sten Interessengruppenum<br />

<strong>den</strong> „August Euler Flugplatz“<br />

am Darmstädter Autobahnkreuz<br />

dauert an, seit die Amerikaner<br />

Deutschlands ältesten Flughafen<br />

geräumt haben. TH Darmstadt und<br />

Akaflieg, Gemein<strong>den</strong>, Privat- und<br />

Geschäftsflieger, Industrie- und<br />

Handelskammer und Naturschützer<br />

treten an die Öffentlichkeit, um ihre<br />

jeweiligen Wünsche durchzusetzen.<br />

Immerhin 70 Hektar groß ist das<br />

Gelände und bietet somit viel Platz<br />

für Wohnhäuser – so sehen es die<br />

Stadtregierungen Darmstadt und<br />

Griesheim und stoßen auf <strong>den</strong> erbitterten<br />

und gut organisierten Widerstand<br />

der Flieger, die in Pflanzenund<br />

Vogelfreun<strong>den</strong> seltene Verbündete<br />

gefun<strong>den</strong> haben. Darmstadts<br />

Grüne geraten unter scharfe Kritik<br />

aus eigenen Reihen von Umweltschützergruppen<br />

und Bürgerinitiativen<br />

gegen Fluglärm. Ein Überblick<br />

über die Geschichte und Bedeutung<br />

des kleinen Flughafens und die differieren<strong>den</strong><br />

Interessen soll der folgende<br />

Bericht geben.<br />

Sie lesen<br />

3 Eine loyale Zensorin<br />

4 Verärgerter<br />

Regierungspräsi<strong>den</strong>t<br />

5 Eichels Spagat<br />

vor Arbeitgebern<br />

6 Darmstädter zu Obdachlosen<br />

7 Rassisten<br />

hinter geschlossenen Türen<br />

8 Eine Südafrikanerin berichtet<br />

9 Bücher brannten<br />

vor 60 Jahren in Darmstadt<br />

10 Ein Stifter, ein Literaturpreis<br />

und die Antichristen<br />

11 Saña: Ein Intimus<br />

der germanischen Psyche<br />

13 Bekennerschreiben<br />

14 Briefe an die Redaktion<br />

und passende Antworten<br />

15 Was die Parteien meinen<br />

Nächste Ausgabe:<br />

Freitag, 9.7. 93<br />

Finanzprobleme hinterlassen der schei<strong>den</strong>de<br />

Oberbürgermeister Günther Metzger<br />

und sein Kämmerer Otto Blöcker<br />

ihren Nachfolgern. Terminlich geschickt<br />

verzögert, brachten sie die Haushaltsmisere<br />

erst nach der Kommunal- und<br />

OB-Wahl an die Öffentlichkeit: 25 Millionen<br />

fehlen. Die Lücke wäre sicher<br />

noch um zahlreiche Millionen höher<br />

gewesen, hätte nicht der OB in einer<br />

Blitzaktion im Dezember noch schnell<br />

die Verträge für <strong>den</strong> Verkauf des HEAG-<br />

Fina-Blocks gezeich<strong>net</strong>.<br />

Die Gründe dafür, auch wenn einige sie<br />

gern außerhalb suchen und fin<strong>den</strong> (im<br />

Fond für die „Deutsche Einheit“ etwa),<br />

lassen sich bei sorgfältigem Hinschauen<br />

unter anderem in unkontrollierten städtischen<br />

Ausgaben, in sinken<strong>den</strong> Gewerbesteuereinnahmen<br />

(11 Millionen weniger<br />

als geplant) und in gekürzten Landesmitteln<br />

(1,4 Millionen) entdecken.<br />

Die Einnahmen sinken so drastisch, daß<br />

die Stadt mit ihren Finanzen nur noch<br />

klarkommt, wenn sie Grundstücke und<br />

stadteigene Betriebe veräußert. Dies ist<br />

Finanzpolitik seit einigen Jahren, und<br />

erste Folgen bekommen die DarmstädterInnen<br />

schon zu spüren: Drastisch<br />

steigende Wassergebühren beispielsweise.<br />

Gleichzeitig mit dem Eingeständnis<br />

städtischer Mißwirtschaft, wurde ihre<br />

Erhöhung um 50 Prozent (dies ist kein<br />

alle 14 TageT<br />

Nummer 51<br />

„Wer würde <strong><strong>den</strong>n</strong><br />

<strong>den</strong> <strong>Hochzeitsturm</strong> <strong>schleifen</strong> lassen?“<br />

Griesheim: Deutschlands ältester Flughafen vor dem Aus<br />

Wer sich als Wochenend-Spaziergänger<br />

im Wald um Darmstadt über <strong>den</strong> lästigen<br />

Lärm der kleinen Sportflugzeuge<br />

ärgert, sollte wissen, derzeit steigen die<br />

Krachmacher nicht vom „August-Euler-<br />

Flugplatz“ auf. Mit Erlaß vom<br />

25.1.1993 hat der Bundesverkehrsmini-<br />

ster <strong>den</strong> Flugplatz geschlossen. Lediglich<br />

eine befristete Nutzung des Darmstädter<br />

Magistrats vom 20.8.92 gestattet<br />

der TH heute übergangsweise <strong>den</strong> Flugbetrieb<br />

für vier Segelflugzeuge und<br />

einen Motorsegler.<br />

☛ Fortsetzung Seite 2<br />

Die erste Flugpost<br />

der Welt:<br />

14 Tage flog<br />

der „Gelbe Hund“<br />

als Postflugzeug<br />

im Jahr 1912<br />

von Niederrad<br />

über Darmstadt und Worms<br />

nach Mainz.<br />

Die Begeisterung<br />

war damals groß:<br />

Mit Militärmusik<br />

und Galapostillionen<br />

wur<strong>den</strong> die Flieger<br />

festlich empfangen.<br />

Fotos aus „Der tolle Euler“<br />

CDU wird Vorlage des Kämmerers nicht zustimmen<br />

Druckfehler!) angekündigt. Der Kämmerer<br />

jammerte unter anderem vor, daß die<br />

Kosten für das Unterbringen von<br />

Obdachlosen mindestens 3,2 Millionen<br />

betragen. Kein Wunder, <strong><strong>den</strong>n</strong> wenn städtische<br />

Gelder für Mietwucher weggeworfen<br />

wer<strong>den</strong>, statt in sozialen Wohnungsbau<br />

gelenkt zu wer<strong>den</strong>, sind hohe<br />

Kosten unumgehbare Folge.<br />

Über die gigantisch teuren Heimkosten<br />

für das Unterbringen älterer Menschen<br />

von 5,2 Millionen klagt der Kämmerer –<br />

auch das darf nicht wundern, wenn die<br />

lächerlich geringen Kosten für private<br />

Pflegehilfe von wenigen hundert Mark<br />

gegen eine unwillige Politik und eine<br />

gleichziehende Verwaltung erkämpft<br />

sein wollen. Gutachten wie für das Bürgerhaus<br />

Martinsviertel (auch „Eikodrom“<br />

genannt) sollen bereits die Millionenhöhe<br />

erreicht haben, ohne daß auch<br />

nur ein Handschlag getan wor<strong>den</strong> ist,<br />

geschweige <strong><strong>den</strong>n</strong> der Bau beschlossen<br />

wor<strong>den</strong> war. Auch der Verwaltungshaushalt,<br />

aus dem laufende Kosten wie Löhne,<br />

Gehälter, Mieten und ähnliches beglichen<br />

wer<strong>den</strong> müssen, ist inzwischen<br />

so hoch, daß die Stadt zum Verkauf von<br />

Grundstücken gezwungen ist. Den zweiten<br />

Part bildet der Vermögenshaushalt,<br />

und da hat die Stadt nicht mehr viel Möglichkeiten:<br />

Der Marienplatz ist noch<br />

nicht bezahlt, für das geplante Gewerbegebiet<br />

Gehaborn beispielsweise liegen<br />

Abgesang<br />

Einzelpreis 2,70 DM<br />

Postfach 10 11 01, 64211 Darmstadt, Telefon 0 6151/71 98 96<br />

Wer will was haben gegen diesen<br />

Mann? Gar Leichenfledderei vollziehen,<br />

statt trauernd laut zu klagen?<br />

Der Abschied sollte doch so glänzend<br />

sein. Der Dank, war er sich<br />

wohl gewiß, kommt mit der Zeit.<br />

Gekrönt von Muse(e)n ewig zeitlos<br />

Sinn für Kunst und Offenheit für alle<br />

Welt, da Schwesternstädte, mehr<br />

als seiner Füße Zehen, zu Darmstadts<br />

Metzgerungenschaften zählen.<br />

Drum wollt’ er alle Übel dieser<br />

Welt mit Schleiern der Kultur verschönen.<br />

Auch war er überzeugt<br />

von seines Geistes Waffenkraft, die<br />

eine Stadt und mehr noch Demokraten<br />

nach seinem Ebenbilde<br />

schafft.<br />

Welch großes Schicksal harret dessen,<br />

der, von des Vaters Genius zu<br />

Höherem verpflichtet, fortwährend<br />

höher kreist, bis er im Gipfel sich<br />

verstiegen, <strong>den</strong> Blick nurmehr nach<br />

unten senken kann? Berufen zu des<br />

Herzogs geist’ger Folgschaft,<br />

schwor er <strong>den</strong> Ahnen seiner Wünsche,<br />

die Bürde auf sich selbst zu<br />

nehmen und Adelsblute bürgerlich<br />

zu frönen.<br />

Er schritt voran und sagte nicht<br />

wohin, er hatte immer recht und<br />

fragte nicht worin. Hightech-Zeiten<br />

ahnte er im Kommen, und Cyber-<br />

Space war seines Faustus Unterpfand.<br />

Entrückt von unserer tumben<br />

Welt, sah er sich schon in virtuellen<br />

Wirklichkeiten. Doch leben<br />

wir im Jetzt und Heut.<br />

Wer Sozi ist und obendrein <strong>den</strong><br />

A<strong>den</strong>auer liebt? Im Krämerla<strong>den</strong><br />

gibt es alle Güter, was zählt, das ist<br />

doch nur das Gold. An solchen<br />

Plätzen rech<strong>net</strong> Schacher mehr<br />

<strong><strong>den</strong>n</strong> Treu und Glauben, das Ideal<br />

verkommt zu Inhalt fremder Welten.<br />

Der Kaufmannsgeist und Walter<br />

unserer Immobilien, er machte<br />

1000-Jahres-Schlußverkauf. Doch<br />

La<strong>den</strong>hüter blieben ihm gar viele:<br />

Ob Schlachthof, Gehaborn, Marienplatz<br />

– die wohlfeil angebot’nen<br />

Leckerbissen, sie fan<strong>den</strong> ihre Käufer<br />

nicht. Das ist des Krämers Alptraum<br />

allemal, die La<strong>den</strong>hüter, viele<br />

an der Zahl, sie fressen Löcher in<br />

die Kassen. Allein sein Spezi Mengler,<br />

auf ihn war Verlaß, der stopft<br />

die ärgste Lücke heut mit<br />

Mißwirtschaft:<br />

25 Millionen -Lücke im Haushalt<br />

die für einen Verkauf erforderlichen<br />

Genehmigungen nicht vor – übrigens<br />

auch hier sind schon teure Planungskosten<br />

investiert. Fortschritt, vor allem<br />

schnell gewollter, kostet seinen Preis.<br />

Eine genaue Analyse der Kosten – man<br />

höre und staune – ist nicht möglich. Beispielsweise<br />

ist die Stadt nicht in der<br />

Lage, zu beantworten, wieviel Geld<br />

einschließlich der anteiligen Lohnkosten<br />

in die Städtepartnerschaften fließt. Es<br />

fehlt eine sogenannte Kostenstellenrechnung,<br />

die solche Zahlen ausspuckt. Bei<br />

solch offen eingestan<strong>den</strong>er Pleite kommen<br />

<strong><strong>den</strong>n</strong> auch erstaunliche Zahlen an<br />

die Öffentlichkeit, neben 2.800 städtischen<br />

Angestellten und weiteren 1.000<br />

für die Kliniken wer<strong>den</strong> „mehrere hundert<br />

Personalstellen von Vereinen und<br />

Verbän<strong>den</strong> mitfinanziert“, kritisiert die<br />

CDU. Wieso aus öffentlichen Mitteln?<br />

Sind das alles gemeinnützige Organisationen<br />

oder gar parteinützige?<br />

Die fehlen<strong>den</strong> Gelder sollen eingespart<br />

wer<strong>den</strong>, „durch eine verschärfte Stellenbesetzungssperre,<br />

durch Privatisierung<br />

städtischer Dienstleistungen, durch<br />

Zusammenlegung von Ämtern und die<br />

Neuordnung von Zuständigkeiten und<br />

durch Streichung städtischer Dienstleistungen<br />

und Entbürokratisierung“.<br />

Eine Krämerseele<br />

☛ Fortsetzung Seite 3<br />

offen<br />

bissig<br />

kritisch<br />

unabhängig<br />

überparteilich<br />

D 11485 D<br />

Heag-Hallen-Fina-Block. Doch<br />

uns’re Fürsten sind sich ihrer<br />

eig’nen Pfründe wohl gewiß, die<br />

Sorgen tragen solche dann, die<br />

ohnehin schon Federn lassen.<br />

Was einem Herzog Erbe ist, der<br />

Demokraten-Kaufmann steht in<br />

and’rer Pflicht. Er muß sich seiner<br />

Herrschaft selbst versichern, von<br />

Gottes Gna<strong>den</strong> kommt sie nicht.<br />

Die Mittel und die Wege heißen:<br />

Erdienen, schachern, Wechsel nehmen,<br />

Posten geben und in Ängsten<br />

sein. Wer seines Herren Stimme<br />

hörig, dem geht es wohl. Wer Folgschaft<br />

weigert, muß die Pfründe<br />

lassen und wird verbannt aus Krämers<br />

Näh’.<br />

Wo sich der Kaufmannsgeist mit<br />

fürstlichem Gehabe paart, bleibt<br />

doch nicht mehr als nur des bloßen<br />

Geldes Knistern. Und stimmt die<br />

Kasse nicht, so laß’ er’s lieber sein.<br />

Was er vererbt? Soziale Not, von<br />

Roma-Sinti reine Gassen, geplündert<br />

leere städt’sche Kassen.<br />

Ungastlich Gastlichkeit inmitten<br />

von Gewerbebrachen, <strong>den</strong> kalten<br />

Mißdunst Korruption und zahllos<br />

zahlreich Posten für des Hofes<br />

Schranzen – wer mag, der findet<br />

drin sozialen Zug: 4000 Köpfe zählt<br />

heut’ die Verwaltung städt’scher<br />

Belange. Was muß das für ein<br />

Paradiese sein, wo so viel Menschen<br />

tätig sich um and’re kümmern?<br />

Wer das Soziale um des lieben<br />

Mammon Willen ausverkauft,<br />

schafft Elend um <strong>den</strong> eig’nen<br />

Altersthron, champagnertrunk’ne<br />

Augenbinde nur bewahrt ihn vor<br />

Gewissenspein.<br />

Für Krämerseelen ist das Auto<br />

Lieblingskind (bei Freund Mengler<br />

jedeR seine Parke find’t) und<br />

Straßen ziehen Käufer an, damit<br />

die Stadt gewinnen kann. Auch<br />

heute gilt wie anno dazumal für<br />

Krämer-Kirchen-Seelenfänger –<br />

sobald das Geld im Kasten klingt,<br />

des Machers Seel’ in Himmelshöhen<br />

schwingt. Gewandelt haben<br />

sich nur Nam’ und Ziel, das Internationale<br />

gilt <strong>den</strong> Herren, und auch<br />

der Tisch, an dem die Reichen sitzen,<br />

viel. Dort möchten sie in trauter<br />

Runde tafeln und hoffen wie die<br />

arme Hundeseel’ auf Knochen von<br />

Magnaten Gna<strong>den</strong>.<br />

Doch kennt des Fürsten Heil’genschein<br />

auch and’re Niederungen<br />

einer Krämer-Existenz. Nicht ungestraft<br />

soll heute wer – sei er auch<br />

noch so Fürst – die Bäche zur Kloake<br />

wandeln; zwar ist das Urteil noch<br />

in Sicht, doch einfach Gülle, Blut<br />

und eklig’ Exkremente per hoheitlich<br />

Dekret in Bäche und in Landschaft<br />

gießen, das geht so einfach<br />

nicht. Und wär’s ein Freispruch<br />

<strong><strong>den</strong>n</strong>, wir <strong>den</strong>ken uns <strong>den</strong> Teil, der<br />

ihm und seinem Umweltschützer zu<br />

Gesichte steht.<br />

Verdecken wollt’ der Krämer seine<br />

Taten, dazu war ihm und seinem<br />

Hof der Wortlaut des Gesetzes einerlei,<br />

und wen sein Bannstrahl traf,<br />

der hatt’ nichts mehr zu sagen. So<br />

ist Gesetzestreue ihm zu eines Fürsten<br />

würdiger Zensur geraten.<br />

Nachtragen ist die hohe Kunst der<br />

kleinen Geister. Die Sozis seien<br />

ihrem Fürsten treu und mögen ihm<br />

die Ehr’ nicht schuldig bleiben. Der<br />

Eike steht zu <strong>den</strong>ken, schmiedet<br />

weiterhin in rechter Trautheit Ketten<br />

für der Flüchtling’ hohe Zahl.<br />

Für nahe Zukunft prophezeien wir,<br />

daß seine Hilfsgesellen ihres Meisters<br />

Erbe wahren: Ein Heino wird<br />

auch weiterhin <strong>den</strong> Müll vor aller<br />

Sicht verstecken, und leere Kassen<br />

unser Otto wohl verdecken; das<br />

Haus, das waltet Gerd, der es versteht,<br />

Genossen einzudecken.<br />

Ein Krämer wird nie Fürst, und<br />

wollte einer redlich unsere Güter<br />

walten, so sei er weder Großherzog<br />

noch Schachergeist. Wie uns betrogen<br />

einst die Fürsten, so wahren<br />

wir uns heut’ vor ihrer treuen Folgschaft<br />

großer Zahl. Sanne Borghia


S 1/2/3 A 51 24.07.1995 14:02 Uhr Seite 2<br />

Ausgabe 51 25.6.1993 · Seite 2<br />

☛ Fortsetzung von Seite 1<br />

„Wer würde <strong><strong>den</strong>n</strong> <strong>den</strong> <strong>Hochzeitsturm</strong> …“<br />

Vor 85 Jahren, 1907, gründete August<br />

Euler die erste deutsche Flugzeugfabrik<br />

mitsamt dem ersten Flugplatz und der<br />

ersten Flugschule auf dem „Griesheimer<br />

Sand“, der bis dahin als Truppenübungsplatz<br />

dem Schießen der 1. Artillerie-Brigade<br />

des Großherzogs vorbehalten<br />

war. August Euler war Sportsmann,<br />

Techniker und erfolgreicher<br />

Geschäftsmann. Ein Gründertyp der<br />

technischen Frühzeit, der Symbolfigur<br />

für ein Jahrhundert hätte wer<strong>den</strong> können.<br />

Der ehemalige Dragoner hatte sich<br />

erste sportliche Meriten im Radrennfahren<br />

erworben, führte keine fünf Jahre<br />

später, 1898, in Nischninowgorod das<br />

erste Fahrrad in Rußland vor, und weil<br />

auch russische Akrobaten letzte Zweifel<br />

des Gouverneurs zerstreuen konnten,<br />

kam es zum Tauschhandel, Pelze gegen<br />

Fahrräder. Euler wurde daraufhin<br />

Alleinbevollmächtigter der „Dresdner<br />

AG Seidel und Naumann“ für <strong>den</strong> Verkauf<br />

von Fahrrädern in Europa. Von<br />

1904 bis 1908 widmete er sich dem<br />

gerade aufkommen<strong>den</strong> Bau von Autos<br />

in Frankfurt, kooperierte unter anderem<br />

mit Robert Bosch und konstruierte mehrere<br />

Prototypen. Der Sportsmann<br />

gewann unter anderem ein Automobilrennen<br />

in Monza bevor er sich schließlich<br />

der Fliegerei zuwandte.<br />

Der erste deutsche Pilot<br />

Am 20.8.1909 meldete die „Frankfurter<br />

Zeitung“, daß es Euler als erstem Deutschen<br />

mit einer Eigenentwicklung<br />

gelungen war, einen erfolgreichen Flug<br />

zu bestehen. So erwarb er <strong><strong>den</strong>n</strong> die erste<br />

deutsche Fluglizenz am 1.2.1910. Zahlreiche<br />

Rekorde, auch mit selbst konstruierten<br />

Flugzeugen, folgten. Es ist eine<br />

Zeit der sich jagen<strong>den</strong> Erfolge in Sachen<br />

Flugdauer, Strecken- und Geschwindigkeitsrekor<strong>den</strong>.<br />

Doch davor stand Pionierarbeit:<br />

Mit 30 Angestellten baute<br />

Euler anfangs französiche Maschinen in<br />

Lizenz nach und startete zu „Konstruktionsversuchen“,<br />

wie sie es nannten, <strong><strong>den</strong>n</strong><br />

Impressum<br />

Verleger und Herausgeber:<br />

Michael Grimm<br />

Unser Team :<br />

Uta Schmitt<br />

Eva Bredow<br />

Sanne Borghia<br />

Astrid Nungeßer<br />

Nicole Schneider<br />

Peter J. Hoffmann<br />

Gerhard Kölsch<br />

Ludwig v. Sinnen<br />

und freie AutorInnen<br />

Anzeigen:<br />

verantwortlich Peter Horn,<br />

Heiner Schäfer<br />

Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 5<br />

Postanschrift:<br />

Zeitung für Darmstadt<br />

Postfach 10 11 01, 6100 Darmstadt<br />

Telefon 06151/719896<br />

Telefax 06151/719897<br />

Bankverbindungen:<br />

Volksbank Darmstadt<br />

BLZ 508 900 00, Konto 14 111301<br />

Spen<strong>den</strong>konto:<br />

Postgiroamt Frankfurt<br />

BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601<br />

Druck:<br />

Caro Druck<br />

Kasseler Straße 1a, 6000 Frankfurt 1<br />

Durchschnittliche Auflage:<br />

10.000<br />

Abonnement:<br />

jährlich DM 60,00 incl. 7% MWSt.<br />

Nachdruck und Vervielfältigungen sind nur mit<br />

Genehmigung des Verlages gestattet.<br />

Für namentlich gekennzeich<strong>net</strong>e Artikel oder<br />

Presseberichte von Parteien, Verbän<strong>den</strong> und<br />

Vereinen übernehmen die jeweiligen AutorInnen<br />

die presserechtliche Verantwortung. Sie sind kein<br />

Spiegel für die Meinung der Redaktion.<br />

Personenbezogene Daten wer<strong>den</strong><br />

elektronisch gespeichert, ausschließlich intern<br />

für die Verwaltung eingesetzt und nach Ende<br />

des Zeitungsbezugs umgehend gelöscht.<br />

Informanten bleiben gemäß gesetzlicher Grundlage<br />

auf Wunsch anonym.<br />

Text und Bild sind mit „QuarkXPress“<br />

auf Apple Macintosh gesetzt und unter Omnis 5 -<br />

Verlagverwaltung organisiert.<br />

Redaktionsschluß<br />

für die nächste Ausgabe: 3.7.93<br />

von Fliegen konnte kaum die Rede sein.<br />

Bruchlandungen in Bäumen und auf<br />

Dächern begleiteten die Entwicklungen<br />

in Griesheim. Zu Übungszwecken war<br />

ein 30 Meter hoher Hügel aufgeschaufelt<br />

wor<strong>den</strong>, von dem, „Chimborasso“<br />

genannt, Euler erste Gleitflugversuche<br />

startete, die er so beschrieb: „Man läuft<br />

mit Hilfe von zwei oder drei Mann flott<br />

gegen <strong>den</strong> Wind an und schwebt bis zu<br />

50 Meter weit“. Euler selbst überlebte<br />

42 Abstürze.<br />

Das Interesse von Adel, Militär und<br />

großer Gesellschaft an Euler wuchs, und<br />

zahlreiche Flugschüler kamen nach<br />

Darmstadt, darunter auch Prinz Heinrich<br />

von Preußen, der Bruder von Kaiser<br />

Wilhelm II. Ihm verdankte Euler späterhin<br />

Protegé und vor allem Militäraufträge<br />

für <strong>den</strong> 1. Weltkrieg. Allerdings<br />

stand auch davor eine Entwicklung, das<br />

Reichspatent Nummer 248 von 1910.<br />

Damit wird der Nachbau eines Maschinengewehres<br />

geschützt, das starr mit<br />

dem Flugzeug verbun<strong>den</strong> ist und mit<br />

einem weiteren Patent durch <strong>den</strong> rotieren<strong>den</strong><br />

Propeller schießen kann.<br />

Begeisterung für Flieger<br />

Die Begeisterung und Anteilnahme der<br />

Öffentlichkeit an der Fliegerei war so<br />

groß, daß Euler 1912 eine Lizenz für<br />

eine Woche Flugpost von Niederrad<br />

über Darmstadt nach Worms und Mainz<br />

beantragte und erhielt. Euler erzählte<br />

selbst, „als Pilot Hidessen nach 13<br />

Minuten und 27 Sekun<strong>den</strong> wieder in <strong>den</strong><br />

Luftraum Darmstadt zurückkam und die<br />

riesige Zuschauermenge sah, flog er<br />

gleich noch ein paar Ehrenrun<strong>den</strong> und<br />

landete dann ohne Zwischenfälle. Viele<br />

tausend Zuschauer, darunter auch die<br />

Großherzogin und die städtischen<br />

Honoratioren klatschten und riefen bravo!<br />

Die Ovationen wur<strong>den</strong> nur noch von<br />

<strong>den</strong> Militärmusikern und einer Kapelle<br />

hornblasender Galapostillione übertönt.“<br />

Die Versailler Verträge<br />

Um Griesheim wurde es ab 1912 ruhiger,<br />

<strong><strong>den</strong>n</strong> Euler hatte in Frankfurt bereits<br />

ein weiteres, wesentlich größeres Werk<br />

gebaut und beschäftigte mehr als 3.000<br />

Angestellte. Umfangreiche Aufträge für<br />

Militärmaschinen im 1. Weltkrieg<br />

ließen einen weiteren Aufschwung zu,<br />

der erst durch <strong>den</strong> verlorenen Krieg ein<br />

vorübergehendes Ende fand. Euler verhandelte<br />

als Unterstaatssekretär des<br />

Reichsamtes für das Luftfahrtwesen die<br />

Bedingungen des Versailler Vertrages<br />

in Sachen Fliegerei aus.<br />

Über die Aktivitäten Eulers in der NS-<br />

Zeit schweigt sein Biograph Egon Kronenwerth.<br />

Aus dessem Buch „Der tolle<br />

Euler“ stammen die o.a. Beschreibungen<br />

und Daten. Lediglich Anekdotisches<br />

über Hermann Göring, dem<br />

Reichminister der Luftfahrt unter Hitler,<br />

der ein Gemälde von Euler haben wollte,<br />

es aber nicht bekam, über Treffen mit<br />

Udet und anderen Größen der Wirtschaft<br />

und des Militärs, lassen Rückschlüsse<br />

auf höchste Verbindungen zu.<br />

Euler ist 1957 in Frankfurt gestorben.<br />

Segelflug im Aufwind<br />

Die Versailler Verträge zielten darauf<br />

ab, die deutsche militärische Luftfahrtindustrie<br />

zu zerstören. Nach Artikel 198<br />

durfte Deutschland „Luftstreitkräfte<br />

weder zu Lande noch zu Wasser als Teil<br />

seines Heerwesens unterhalten“, und<br />

Artikel 202 besagte, „Mit Inkrafttreten<br />

des gegenwärtigen Vertrages ist das<br />

ganze militärische Luft- und Marineluftfahrzeugmaterial<br />

… auszuliefern“.<br />

In der Folge nahm der Segelsportflug<br />

seinen Aufschwung. Zwar hatte die<br />

„Flug-Sport-Vereinigung“ in Darmstadt<br />

schon 1909 schon mit dem Bau von<br />

Doppeldeckern begonnen und war sogar<br />

838 Meter weit geflogen, mußte aber<br />

während des 1. Weltkriegs die Aktivitäten<br />

unterbrechen. Der Verein fungierte<br />

gewissermaßen als Vorgängerin der<br />

„Akademischen Fliegergruppe Darmstadt“,<br />

kurz Akaflieg genannt, die im<br />

Jahr 1921 gegründet wor<strong>den</strong> war.<br />

Weltweiter Ruhm<br />

Nach anfänglichen Mißerfolgen gelang<br />

<strong>den</strong> Akafliegern im Jahr 1922 ein erster<br />

Durchbruch. Mit D4 „Edith“, benannt<br />

nach der Tänzerin Edith Bielefeld, die<br />

um Geld für die Akaflieg getanzt hatte,<br />

startete Pilot Botsch für <strong>den</strong> „Opel-Ziellandepreis“.<br />

Die Darmstädter Segelflieger<br />

wur<strong>den</strong> prompt weltbekannt. So<br />

flossen <strong><strong>den</strong>n</strong> schließlich auch Gelder der<br />

Hessischen Landesregierung. Der Bau<br />

des D9 „Konsul“ führte zu dem besten<br />

Segelflugzeug im Jahr 1923. Der Prototyp<br />

wurde weltweit zum Vorbild.<br />

Ein Prinzip der Akaflieg trieb <strong>den</strong><br />

Segelflugzeugbau voran: 800 Arbeitsstun<strong>den</strong><br />

im Flugzeugbau mußte ein Stu<strong>den</strong>t<br />

erstmal hinter sich gebracht haben,<br />

bis er in die Luft gehen durfte. Der Austausch<br />

zwischen handwerklich und fliegerisch<br />

versierten Stu<strong>den</strong>ten und unterstützen<strong>den</strong><br />

Professoren sowie das Ziel,<br />

jedes Jahr ein noch leistungsfähigeres<br />

Flugzeug in eigener Fertigung zu bauen,<br />

trieben Forschung und Praxis kräftig<br />

voran. Aufschwung erhielt die Darmstädter<br />

Fliegerei auch durch <strong>den</strong> Flughafen<br />

auf der Lichtwiese (1924) und die<br />

Gründung der „Deutschen Forschungsanstalt<br />

für Segelflug“ (DFS) im Jahr<br />

1926. Für die Akaflieg beginnt in <strong>den</strong><br />

zwanziger Jahren eine Serie von Rekor<strong>den</strong><br />

und Weltrekor<strong>den</strong>, die erst 1939<br />

durch <strong>den</strong> zweiten Weltkrieg unterbrochen<br />

wird, kriegstechnische Entwicklungen<br />

haben Vorrang. Aber bis dahin<br />

hat die Aka-flieg unter anderem durch<br />

die Entwicklung des Flugzeugschlepps<br />

(1931), der Thermik- und Wolkenwindforschung<br />

ermöglichte, die weltweite<br />

Führung im Segelflug übernommen.<br />

Das Luftfahrtzentrum<br />

Nach Kriegsbeginn wer<strong>den</strong> in Griesheim<br />

Lastensegler entwickelt und Piloten<br />

für Einsätze auf der Krim, in Kreta<br />

und in Belgien geschult. Der Griesheimer<br />

Flughafen wird wegen seiner<br />

Bedeutung in der Forschung erst von<br />

<strong>den</strong> vordringen<strong>den</strong> Aliierten im Jahr<br />

1943 und 44 zerstört und dann von <strong>den</strong><br />

abrücken<strong>den</strong> deutschen Truppen. Dennoch<br />

blieben der Windkanal aus dem<br />

Jahr 1935, ein Hangar und eine Werkstatthalle<br />

der DFS erhalten. Sie stehen<br />

heute unter Denkmalschutz. Eine<br />

Geschichte der Darmstädter Luftfahrt ist<br />

in Vorbereitung und soll im Herbst diesen<br />

Jahres erscheinen, kündigt Denkmalschützer<br />

Nikolaus Heiss an.<br />

In der Nachkriegszeit haben die Amerikaner<br />

<strong>den</strong> Flughafen genutzt, und die<br />

Hessenflieger, eine Motorsport-Fliegergruppe,<br />

durfte mit sechs Maschinen<br />

starten.<br />

Daß Akaflieg und TH <strong>den</strong> Griesheimer<br />

Flugplatz weiter betreiben möchten, ist<br />

verständlich: Sie haben kurze Anfahrzeiten,<br />

ihre Werkstätten stehen dort und<br />

ihre Flugzeuge verursachen nach ihren<br />

Angaben keinen, da sie ohnehin nicht<br />

mehr als 15 bis 20 Starts und Landungen<br />

pro Woche machen. Ehrgeizige Ziele<br />

verfolgt die TH: Eine Verbesserung der<br />

Laminarflügeltechnik.<br />

Der Griesheimer Flughafen grenzt im Osten an das Autobahnkreuz Darmstadt, im<br />

Nor<strong>den</strong> an Griesheim und im Sü<strong>den</strong> und Westen an Spargeläcker. Rund 70 Hektar<br />

umfaßt die Fläche und die Startbahn ist mit 1,5 Kilometern länger als die Egelsbacher<br />

Landebahnen.<br />

Klaus Bauer, der erste Vorsitzende der Akaflieg, und Martin Däumigen bei der<br />

Arbeit an ihrem neuen Segelflugzeug D 41. Zwischen 7 und 9 Jahren brauchen die<br />

Stu<strong>den</strong>ten für <strong>den</strong> Bau eines neuen Flugzeugs. Von diesem Doppelsitzer erhoffen sie<br />

sich wieder Weltruhm.<br />

Foto Schäfer<br />

Die Akaflieg erhofft sich durch Neuentwicklungen<br />

einen besseren Auftrieb, der<br />

der gesamten Luftfahrt zugute kommen<br />

und bis zu 30 Prozent Flugbenzin einsparen<br />

helfen soll. Forschung für Flugzeuge<br />

mit Solartechnik und Katalysator-<br />

Motoren stehen auf dem Programm, um<br />

einerseits Fluglärm zu mindern und andrerseits<br />

die Umwelt zu schützen.<br />

TH sitzt auf vielen Stühlen<br />

Die Akaflieg findet in der „August-<br />

Euler Flugbetriebs GbR“ (gegründet<br />

2.1992) einen Verbündeten, zumal Professor<br />

Ewald von der TH neben Akaflieg<br />

und TH-Interessen auch die der<br />

GbR für Privat- und Geschäftsfliegerei<br />

vertritt. Ihr Ziel ist klar, der Erhalt des<br />

Flughafens, und dafür setzen sich die<br />

Mitglieder engagiert ein, unter anderem<br />

unterstützt von der Industrie- und Handelskammer.<br />

Von 54 Firmen in der<br />

Region, die Interesse an einem Flugplatz<br />

hätten, weiß der Geschäftsführer<br />

der Flugbetriebs GbR, Gernot Köhler,<br />

zu berichten, und Graf Schweinitz von<br />

der Industrie- und Handelskammer<br />

meint, „Lärm kann man ja auch gestalten“,<br />

<strong><strong>den</strong>n</strong> über Zahlen für Starts und<br />

Landungen verfüge er „noch nicht“.<br />

Von der Attraktivität des Industriestandorts<br />

spricht Graf Schweinitz und von<br />

Arbeitsplätzen, die erhalten sein wollen<br />

- doch am Abend des 15.6. mag ihm so<br />

recht niemand glauben, seine Freunde in<br />

Sachen Industrie-Interessen und Fortschritt,<br />

die Behör<strong>den</strong> setzen dieses Mal<br />

andere Akzente. Zu einer offenen und<br />

kontroversen Diskussion über <strong>den</strong><br />

August-Euler-Flugplatz hatten Darmstadts<br />

Grüne ins Mollerhaus gela<strong>den</strong>.<br />

Kleinod der Natur<br />

Unter anderem waren auch Naturschützer<br />

gefolgt. Der Griesheimer Flugplatz,<br />

als seit acht Jahren militärisch abgeriegeltes<br />

Gelände, stellt ein „naturwissenschaftliches<br />

und naturhistorisches<br />

Kleinod“ dar, begründet Professor<br />

Große-Brauckmann von der TH die<br />

Interessen der Botaniker. „Es geht um<br />

ein bemerkenswertes Mosaik vielfältiger<br />

Ökosysteme, das in seiner Art einmalig<br />

ist.“ Seltene und bedrohte Pflanzen-<br />

und Vogel- und Tierarten kommen<br />

darin vor, die angeblich nur noch an vier<br />

anderen Stellen in Hessen zu fin<strong>den</strong><br />

sind. Über „Millionen der seltenen<br />

Sandgrasnelken“ bis hin zu Wiedehopf,<br />

Brachpieper, Steinschmätzer konnten<br />

Naturfreunde auch seltenen Insekten<br />

wie die Kreiselwespe, „die wir nur noch<br />

an zwei Standorten in der Bundesrepublik<br />

haben“, beobachten, auch die italienische<br />

Schönschrecke und Steppenbienen<br />

zählen sie auf. „Hier können Sie<br />

noch einmal <strong>den</strong> ursprünglichen Charakter<br />

dieser Landschaft erleben“. Im<br />

Regierungspräsi<strong>den</strong>ten fin<strong>den</strong> sie eine<br />

verbündete Behörde.<br />

Dort will man <strong>den</strong> Flughafen als Naturschutzgebiet<br />

ausweisen, das Gelände<br />

verriegeln und keine Nutzung mehr<br />

zulassen.<br />

Naturschutz und Fliegen?<br />

Dennoch geht Bastian Brinkmann,<br />

Naturschutzbeauftragter des BUND,<br />

einen Kompromiß ein: „Eine…Nutzung,<br />

z. B. durch Forschungsprojekte<br />

der TH wäre durchus <strong>den</strong>kbar und mit<br />

<strong>den</strong> Interessen des Naturschutzes vereinbar“.<br />

Bedingung für Brinkmann:<br />

„Eine Sondernutzungsgenehmigung für<br />

die TH” und, „um jede Bebauung zu<br />

verhindern, sind wir bereit, ein Konzept<br />

zu vertreten, das ihre (der Privatflieger<br />

red) Interessen berücksichtigt, wenn das<br />

Fliegen an Sonn- und Feiertagen unterlassen<br />

und begrenzte Flugzahlen kontrolliert<br />

wer<strong>den</strong>“. Da geht Brinkmann<br />

sogar über die Zugeständnisse der<br />

Darmstädter Grünen hinaus: Doris<br />

Fröhlich verbreitete am 18.3., „eine eingeschränkte<br />

fliegerische Nutzung (für<br />

die TH) soll auf je<strong>den</strong> Fall erhalten bleiben“,<br />

der „Geschäftsfliegerei“ erteilt sie<br />

aber „eine klare Absage“. Damit setzte<br />

sie sich scharfer Kritik wiederum des<br />

BUND (Arbeitskreis für Fluglärm) aus,<br />

am 2.4. schrieb Volker Nothnagel aus<br />

Weiterstadt: „Wenn Ihr diesen Kuhhandel<br />

im Griesheimer Sand eingeht…<br />

kommt zur Vernunft. Flugverkehr, egal<br />

in welcher Form, ist nicht natur- und<br />

umweltverträglich. Verhindert einen<br />

Flugplatz bei Griesheim“. An seinem<br />

BUND-Naturschutzbeauftragten hatte<br />

er keine Kritik.<br />

Wohnungen und Gewerbe:<br />

Stadt ist Herr des Verfahrens<br />

Darmstadts Grüne aber sitzen zwischen<br />

<strong>den</strong> Stühlen, <strong><strong>den</strong>n</strong> ihr möglicher Koalitionspartner,<br />

die SPD, ließ durch Liegenschaftsdezernent<br />

Gerd Grünewaldt<br />

unmißverständlich erklären: „Das Bundesvermögensamt<br />

ist bereit, der Stadt<br />

Darmstadt das Gelände zu verkaufen …<br />

die Stadt wird Herr des Verfahrens“. Er<br />

weiß sich mit seinem Magistrat und der<br />

Gemeinde Griesheim „einig über eine<br />

gemeinsame Nutzung für 5 Hektar<br />

Wohnungsbau und Gewerbeansiedlung,<br />

die sich mit TH-Forschung verträgt und<br />

wir müssen Ausgleichsflächen ausweisen<br />

und aufforsten“. Dagegen spottet<br />

Professor Ewald: „Ausgleichsmaßnahmen?<br />

Das ist doch ein Witz, ein Biotop<br />

zu opfern, um Aufforstung zu betreiben“.<br />

Aber Grünewaldt ist sich seiner Sache<br />

sicher: „Es geht hier nur um die Ränder,<br />

das Biotop bleibt erhalten“. Allerdings<br />

bleibt er die Antwort darauf schuldig,<br />

was für ein Gewerbe <strong><strong>den</strong>n</strong> angesiedelt<br />

wer<strong>den</strong> soll, das dem Biotop nicht schadet.<br />

☛ Fortsetzung auf Seite 3


S 1/2/3 A 51 24.07.1995 14:02 Uhr Seite 3<br />

MELDUNGEN<br />

Ausgabe 51 · 25.6.1993 · Seite 3<br />

Eine loyale Zensorin<br />

In einer alten Broschüre hatten wir<br />

Bilder von Günther & Günther am<br />

Kochtopf entdeckt (rechts OB Metzger<br />

und links Schauspieler<br />

Strack). Da der Druck sehr<br />

schlecht war, riefen wir bei dem<br />

Fotografen an, um die Original-Vorlage<br />

anzukaufen. Doch er verwies<br />

uns an das Presseamt, da dort seine<br />

letzten Abzüge seien, gegen eine<br />

Nachveröffentlichung hatte er<br />

nichts einzuwen<strong>den</strong>, „das können<br />

Sie ja notfalls auch aus der neuen<br />

Broschüre entnehmen“. Bei der<br />

Druckerei wurde uns bestätigt,<br />

daß eine Broschüre in Auftrag<br />

gegeben wor<strong>den</strong> sei, die Bilder<br />

befän<strong>den</strong> sich jedoch schon wieder<br />

beim Presseamt. Daraufhin<br />

schickten wir unseren Praktikanten<br />

zu der Presseamts-Mitarbeiterin<br />

Lisette Nichtweiss, um die Fotos<br />

abzuholen. Doch er stieß auf<br />

unvermuteten Widerstand. Ohne<br />

Begründung verweigerte sie die<br />

Herausgabe. Unser Praktikant<br />

bekam aber die Diskussion hinter<br />

<strong>den</strong> dünnen Wän<strong>den</strong> mit: „Woher<br />

weiß <strong><strong>den</strong>n</strong> der Grimm, daß die<br />

Fotos hier sind? Das ist doch Spionage!“<br />

hörte er Frau Nichtweiss<br />

☛ Fortsetzung von Seite 2<br />

„Wer würde <strong>den</strong><br />

<strong>Hochzeitsturm</strong>…<br />

Die Gegner<br />

„Ich bitte Sie alle, auch die Flugplatzgegner,<br />

uns zu unterstützen“, versucht<br />

Hessenflieger Gilb um Sympathie zu<br />

werben, doch da hat er schlechte Karten.<br />

Zu sehr sind die Reihen der Gegner<br />

geschlossen: Von Anliegern, die über<br />

Lärm von der Autobahn und dem Flugplatz<br />

klagen („Wir haben <strong>den</strong> Krach“)<br />

und über die Behör<strong>den</strong> sind die Reihen<br />

dicht geschlossen.<br />

Der Vertreter der verbündeten Bürgerinitiativen<br />

gegen Fluglärm, Kessel,<br />

äußert sein Unverständnis darüber, „daß<br />

Darmstadts Grüne für <strong>den</strong> Erhalt eines<br />

Flugplatzes votieren, um ein Biotop zu<br />

schützen, wo zum ersten Mal ein Flugplatz<br />

erfolgreich geschlossen wor<strong>den</strong><br />

ist“. Er kündigt an, „wir wer<strong>den</strong> vehement<br />

die Position der Darmstädter Grünen<br />

bekämpfen“ und warnt davor,<br />

„wenn Griesheim wieder aktiviert wird,<br />

dann kann keiner mehr kontrollieren,<br />

wer dort fliegt. Es gilt, schon <strong>den</strong> kleinsten<br />

Schritt zu verhindern.“<br />

Seine Befürchtungen sind nicht von der<br />

Hand zu weisen: „Die Luftsportbegeisterung<br />

nimmt immer mehr zu“, meldete<br />

der Regierungspräsi<strong>den</strong>t am 18.3.93 und<br />

gab Zahlen bekannt: Allein 1992 wur<strong>den</strong><br />

367 Luftfahrtscheine neu erteilt, so<br />

daß allein im Regierungsbezirk 6.700<br />

Privatflieger zugelassen sind, davon<br />

2.575 Motor-, 1.525 Motorsegel- und<br />

2.011 Segelflieger. Wenn alle Motorflugzeugpiloten<br />

nur dreimal im Jahr am<br />

Wochenende fliegen wollten, sind das<br />

allein 150 Flugzeuge über Darmstadt<br />

und Umgebung. Fliegen muß unbezahlbar<br />

teuer wer<strong>den</strong>… M. Grimm<br />

Eine Verabschiedung, die keine war: Seine offizielle Verabschiedungsfeier aus dem<br />

Amt des Oberbürgermeisters, die für <strong>den</strong> 24.6. in der Orangerie angekündigt war,<br />

hatte Günther Metzger verärgert abgesagt. In einer zweiseitigen Echo-Anzeige<br />

(18.6.) stand dann zu lesen, der Alt-OB werde auf dem Champagnerfest in der Orangerie<br />

am Sonntagvormittag (20.) während des Frühschoppens verabschiedet. Zwei<br />

Tage später hieß es wiederum im DE, sein Abschied werde auf dem Grenzgang mit<br />

<strong>den</strong> Darmstädter BürgerInnen am 19. begangen. Ein gelungenes Verwirrspiel: Metzger<br />

tauchte zwar am Sonntag auf, Gastwirt Dimitri Droukas überreichte ihm eine<br />

Champagner-Kiste (im Bild-Hintergrund Droukas-Sohn Jorgo), es wur<strong>den</strong> Hände<br />

geschüttelt – doch dann war auch schon Schluß der Vorstellung. Der OB a.D. ging in<br />

der Meute unter, schon ganz Privatmann im lässig-hellbeigen Freizeit-Look. Klangund<br />

glanzlos war der Abschied des jüngsten Darmstädter Großherzogs, wie scharfe<br />

Zungen ihn so gern betitelten. Das einzig Prickelnde am 7. Darmstädter Champagnerfest,<br />

„das sich einen guten Ruf bei all <strong>den</strong>en erworben hat, die edle Feste zu feiern<br />

verstehen“ (Werbe-O-Ton OB), war das Anzeigen-Logo, unkten ewige Miesmacher.<br />

„Das ist nur was für Betuchterte“, schimpfte ein älterer Bessunger über die<br />

Preise: Das 0,1 Liter-Glas Sekt war für acht, der Schampus für 12 Mark zu haben,<br />

plus 3 Mark Pfand, versteht sich.<br />

L.v.Sinnen ./ Foto Heiner Schäfer<br />

laut und deutlich. Dann telefonierte<br />

sie mit dem Fotografen und sagte<br />

ihm, „Ich schicke Dir die Bilder<br />

dann zu, du hast ja das Urheberrecht“.<br />

Unserem Praktikanten<br />

erklärte Frau Nichtweiss, „die Bilder<br />

kann ich Ihnen nicht geben,<br />

die sind auf dem Weg zu dem Fotografen.<br />

Ich kann jetzt nichts mehr<br />

machen“ – Er zog unverrichteter<br />

Dinge ab.<br />

Frau Nichtweiss war die regelmäßige<br />

Reisebegleiterin des OB bei<br />

<strong>den</strong> Besuchen der Schwesternstädte.<br />

Normalerweise ist sie<br />

zuständig für das „Kulturannual“<br />

und die Termine im „Lebendigen<br />

Darmstadt“. Ihre Öffentlichkeitsarbeit<br />

gegenüber der ZD zeich<strong>net</strong><br />

sich dadurch aus, daß diese Termine<br />

seit drei Jahren entweder gar<br />

nicht, zu spät auf je<strong>den</strong> Fall aber<br />

unregelmäßig eingehen, weshalb<br />

☛ Fortsetzung von Seite 1<br />

So will es der Kämmerer. Er hatte sich<br />

in der letzten Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

zu rechtfertigen und auf die<br />

Rechnungsprüfung angesprochen, verteidigte<br />

er sein Amt: „Wir prüfen routinemäßig,<br />

ob da zehn Mark fehlen oder<br />

dort“, da wundert es auch wenig, wenn<br />

seine Verwaltung Anträge auf Zuschüsse<br />

genehmigt, in <strong>den</strong>en der Stadt (in<br />

einem von uns nachweisbaren Fall,<br />

sicherlich auch in zahlreichen anderen)<br />

mehr als 100.000 Mark zuviel ausgezahlt<br />

hat. Keine Beanstandungen vermag<br />

auch der Regierungspräsi<strong>den</strong>t<br />

anzumel<strong>den</strong>: Er hat die Wirtschaftspläne<br />

zu prüfen und zu genehmigen – auch<br />

das ist Routine, auch dort findet niemand<br />

etwas zu Beanstan<strong>den</strong>des, seit<br />

Jahren nicht.<br />

Der Einblick in die Aufstellung des<br />

städtischen Haushalts ist höchst kompliziert<br />

und bedürfte laufender Kontrolle.<br />

Oft fällt auf, daß größere öffentliche<br />

Aufträge nicht ausgeschrieben wer<strong>den</strong>,<br />

und so manches Darmstädter Unternehmen<br />

wundert sich darüber, daß die Aufträge<br />

nach außerhalb vergeben wor<strong>den</strong><br />

sind – das Warum dringt nicht an die<br />

Öffentlichkeit.<br />

Doch mit dem Ende der Ära Metzger<br />

dürfte diese Ausgabenpolitik ihr Ende<br />

gefun<strong>den</strong> haben, <strong><strong>den</strong>n</strong> die städtischen<br />

Kassen sind leer, und seinem Nachfolger<br />

und dem neuen Parlament wird das<br />

Sparen sogar vom Regierungspräsi<strong>den</strong>ten<br />

anempfohlen.<br />

Bei der derzeitigen Opposition, der<br />

CDU, lösen diese Zahlen „Entsetzen“<br />

aus, und Rüdiger Moog kündigt an:<br />

„Wir wer<strong>den</strong> diesen Nachtragshaushalt<br />

ablehnen. Darmstadt verkauft nicht nur<br />

Vermögenswerte, um die Investitionen<br />

zu finanzieren, sondern macht auch<br />

noch Schul<strong>den</strong>, um <strong>den</strong> Verwaltungshaushalt<br />

auszugleichen. Das ist, als ob<br />

der Kultur- und Wochenkalender<br />

immer wieder Lücken aufweist.<br />

Beste Kontakte zum „Darmstädter<br />

Echo“, lassen tief blicken.<br />

Trotz Hinweises auf das Hessische<br />

Pressegesetz und in der Vergangenheit<br />

geführte Beschwer<strong>den</strong> bei OB<br />

Metzger und der Kommunalaufsicht,<br />

dem Regierungspräsi<strong>den</strong>ten,<br />

hat sich daran bis heute nichts<br />

geändert. Es scheint, als ob diese<br />

Presseamtsmitarbeiterin nur über<br />

juristische Umwege zu einer gesetzestreuen<br />

Öffentlichkeitsarbeit zu<br />

bringen ist. Darüber wird letztlich<br />

ihr neuer Dienstherr, Oberbürgermeister<br />

Peter Benz, entschei<strong>den</strong>.<br />

Jetzt wird OB Metzger ja endlich<br />

genug Zeit haben, seinem Hobby<br />

zu frönen, in seinem Rezeptbuch<br />

klagte er über „leider viel zu geringe<br />

Freizeit“.<br />

M. Grimm<br />

Mißwirtschaft…<br />

jemand sein Haus verkauft, um davon zu<br />

leben, und nimmt noch einen Kredit auf,<br />

um die Putzfrau zu bezahlen“. Moog<br />

zitiert sich selbst aus dem Jahr 1990, in<br />

dem er diese Entwicklung vorausgesagt<br />

hat, <strong><strong>den</strong>n</strong>och „ist die Stadt vollkommen<br />

unvorbereitet in ihre größte Finanzkrise<br />

seit 1945 geschlittert. Der politische<br />

Wille fehlte.“ Abhilfe sieht er „in einem<br />

Haushaltsausschuß, der jede Woche<br />

Vorschläge unterbreitet, wie gespart<br />

wer<strong>den</strong> kann, <strong><strong>den</strong>n</strong> sparen geht nur über<br />

Hunderte von Einzelmaßnahmen“. Am<br />

Personal kann „nicht nur durch Wiederbesetzungssperre,<br />

sondern auch durch<br />

Umbesetzungen gespart wer<strong>den</strong>“. Und<br />

er stellt die Frage: „Wozu brauchen wir<br />

<strong><strong>den</strong>n</strong> beispielsweise einen Sportberater?“<br />

Vor einer weiteren Privatisierung<br />

warnt er, <strong><strong>den</strong>n</strong> „da gibt es Negativ-Beispiele,<br />

wie die Kläranlage der Südhessischen<br />

mit ihren Kostensteigerungen.<br />

Das löst nicht das Problem, <strong><strong>den</strong>n</strong> Private<br />

wollen ja auch ihren Gewinn abschöpfen“.<br />

Als Beispiel für sparsame Wirtschaftskonzepte<br />

verweist Moog auf die Stadt<br />

Offenbach, dort sind aufgrund des schon<br />

länger bestehen<strong>den</strong> schmalen städtischen<br />

Säckels „Erfahrungen gesammelt<br />

und gute Erfolge erzielt wor<strong>den</strong>“. Bangen<br />

müssen Vereine und Verbände um<br />

ihre städtischen Zuschüsse auch vor der<br />

CDU, „dies ist für uns künftig kein Tabu<br />

mehr.” Kritik auch an der städtischen<br />

Einnahmepolitik: So sei mancher<br />

Gewerbesteuerzahler, weil er nicht<br />

erweitern konnte, wie die Firma<br />

„Da<strong>net</strong>“, ins Umland gezogen, allerdings<br />

hält er die Einkommensteuer „für<br />

die stabilere Einnahmequelle“ und<br />

ärgert sich, daß „die SPD das Baugebiet<br />

Wolfhartsweg quasi gekippt hat als<br />

Zugeständnis an die Grünen“.<br />

M. Grimm<br />

„Stadt bekämpft Mietwucher“:<br />

PR und Wirklichkeit<br />

„Stadt bekämpft Mietwucher“, heißt es vollmundig in der „Mieter Zeitung“<br />

des Deutschen Mieterbundes (Heft 5/93) unter der Rubrik „Nachrichten<br />

aus dem Mieterverein Darmstadt“. „Das Wohnungsamt der<br />

Stadt Darmstadt ist je<strong>den</strong>falls entschlossen, … Anträge auf Mietpreisüberprüfung<br />

nicht nur ernsthaft zu verfolgen, sondern auch selbst zu<br />

ermitteln. … Nur so kann verhindert wer<strong>den</strong>, daß die Wuchermiete von<br />

heute zur Normalmiete von morgen wird.“ Wie sich das mit der städtischen<br />

Praxis verträgt, Obdachlose in Unterkunftslöcher mit horren<strong>den</strong><br />

Mieten einzuweisen, an <strong>den</strong>en sich Darmstädter SpekulantInnen gol<strong>den</strong>e<br />

Nasen verdienen (ZD Ausgabe 50), dazu schweigt der PR-Text.<br />

Weiter steht dort: „Gemäß §5 Wirtschaftsgesetz stellt die unzulässige<br />

Mietpreisüberhöhung sogar eine Ordnungswidrigkeit dar, muß also<br />

von <strong>den</strong> Ordnungsbehör<strong>den</strong> verfolgt und notfalls mit einem Bußgeld<br />

geahndet wer<strong>den</strong>.“ Ob die meinen, eine städtische Behörde ermittle<br />

gegen die andere ? „… im Jahr 1992 wur<strong>den</strong> 60 Fälle bearbeitet –<br />

sicherlich nur die Spitze des Eisbergs. … in zwanzig Fällen (wurde)<br />

eine gütliche Einigung erzielt, mit dem Ergebnis, daß insgesamt 30.000<br />

Mark an die betroffenen Mieter zurückgezahlt wer<strong>den</strong> mußten. … Das<br />

Wohnungsamt der Stadt Darmstadt ist je<strong>den</strong>falls entschlossen, diesen<br />

Dingen künftig in erheblich größerem Ausmaße auf <strong>den</strong> Grund zu<br />

gehen und Anträge auf Mietpreisüberprüfung nicht nur ernsthaft zu<br />

verfolgen, sondern auch selbst zu ermitteln.“ Da wartet viel Arbeit –<br />

Frohes Schaffen! L.v.Sinnen.<br />

Naturschutz administrativ<br />

Im Darmstädter Regierungspräsidium gibt es seit 16.6. eine eigenständige<br />

Naturschutzabteilung: „Durch die Trennung der seitherigen Abteilung<br />

Forsten und Naturschutz wurde der gewachsenen Bedeutung des<br />

Natur- und Landschaftsschutzes im Regierungsbezirk Darmstadt auch<br />

administrativ Rechnung getragen“, teilt das Amt mit. In sechs Dezernaten<br />

sollen zunächst 44 MitarbeiterInnen (1994: 86) die öffentlich-rechtlichen<br />

Planungen naturschutzrechtlich und landschaftspflegerisch<br />

beurteilen, Natur- und Landschaftsgebiete ausweisen und die Einhaltung<br />

nationaler wie internationaler Artenschutzbestimmungen überwachen.<br />

Pressestelle Regierungspräsidium<br />

Rechte Presse in Darmstadt<br />

„Kritik – Die Stimme des Volkes“, der Verlag, dessen Programm aus<br />

Titeln wie „Die Auschwitz-Lüge“, „Rasse<strong>net</strong>hik“ und das Video „Zeugen<br />

wider die Gaskammern“ besteht, hat auch in Darmstadt Unterstützer.<br />

In <strong>den</strong> städtischen Kliniken lagen (am 30. Mai) Hefte der Folge 79<br />

(vom Januar 1993) frei aus, wovon uns ein aufmerksamer Leser unterrichtete.<br />

Helmut Grimms „Der Staatssumpf<br />

der Bundesrepublik. Steuer-Boykott“ besteht<br />

aus Kapiteln wie: „Nachteile und Gefahren<br />

der Überfremdung, rassische Zerstörung<br />

(Assimilation)“ und „Einzelne Fehlleistungen<br />

der jüdischen Lobby“. Ein Fall für <strong>den</strong> Verfassungsschutz.<br />

vro<br />

Duales System an der Pleite<br />

Die taz meldete am 16.Juni: „Duales System<br />

ist der Pleite nah“. Die Organisation habe die<br />

Kosten für Kunststoffe zu niedrig kalkuliert<br />

und müsse jetzt Finanzlöcher stopfen; dazu sei<br />

eine Eigenkapitalaufstockung von 500 Millionen<br />

Mark notwendig. Der Engpaß werde<br />

durch die deutsche Sammelwut noch verschärft<br />

– statt der erwarteten 100.000 wür<strong>den</strong><br />

dieses Jahr 400.000 Tonnen anfallen.<br />

Das Hessische Umweltministerium hat dem<br />

DSD erneut mit einem Zwangsgeld von<br />

50.000 Mark gedroht, falls es nicht bis spätestens<br />

1.Juli überzeugend nachweisen könne,<br />

wo und wie die aus Hessen stammen<strong>den</strong><br />

Kunststoffabfälle verwertet wer<strong>den</strong>. Auf eine<br />

erste Drohung vom Anfang Mai (ZD 48)<br />

kamen zwar Unterlagen an, doch diese reichten<br />

nicht aus: „Was DSD uns geschickt hat,<br />

sind allgemein gehaltene Betriebsbescheinigungen“,<br />

so das Ministerium. red.<br />

Giftgasprozeß<br />

auf ungewisse Zeit vertagt<br />

Der Darmstädter Giftgasprozeß ist vorläufig<br />

am Ende. Das Gericht hat <strong>den</strong> von der Verteidigung<br />

aufgebotenen Gutachter Kurt Dialer<br />

überraschend seiner Aufgabe entbun<strong>den</strong>.<br />

Die Staatsanwaltschaft hatte ihm mangelnde<br />

Sachkenntnis vorgeworfen. Ohne Gutachter<br />

sah sich Richter Pani nicht in der Lage, <strong>den</strong><br />

Prozeß weiterzuführen, <strong><strong>den</strong>n</strong> auch der Gutachter<br />

der Ankläger, Professor Richarz, war<br />

wegen Krankheit ausgeschie<strong>den</strong>. Die Staatsanwaltschaft<br />

hat deshalb beim Oberlandesgericht<br />

in Frankfurt Beschwerde gegen die<br />

Einstellung eingelegt. 3 bis 4 Millionen<br />

Mark soll das bislang erfolglose Prozessieren<br />

(über 80 Verhandlungstage) schon gekostet<br />

haben. Jetzt muß die Kammer einen neuen<br />

Gutachter fin<strong>den</strong>, der sich in <strong>den</strong> Wust der<br />

Aktenberge erst einarbeiten muß. Vor Ende<br />

dieses Jahres wird daraus wohl nichts. red<br />

Sauber<br />

Wegen Verdachts der illegalen Beschäftigung<br />

von Ausländern wur<strong>den</strong> hessenweit bis<br />

Ende Mai 660 Baustellen und Betriebe überprüft.<br />

Dabei kamen annähernd 500 000 Mark<br />

an Verwarnungsgeldern in die Staatskasse.<br />

Auch auf der Baustelle des neuen Darmstädter<br />

Klärwerks der „Südhessischen Gas- und<br />

Wasser AG“ wur<strong>den</strong> die Fahnder der „Stelle<br />

zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung“<br />

fündig. 96 rumänischen Arbeitern<br />

wurde die Arbeitserlaubnis entzogen, weil<br />

ihnen der Subunternehmer teilweise weniger<br />

als 10 Mark Stun<strong>den</strong>lohn gezahlt hatte. PJ<br />

Anzeige<br />

Die Depesche<br />

ist eine Kriegserklärung…<br />

Pressefreiheit und Pressevielfalt<br />

ist (Über)Leben.<br />

Keine hundert Jahre ist es her,<br />

daß unsere Vorfahren für die<br />

Preß-Freiheit ihr Leben<br />

gelassen haben.<br />

Keine fünfzig Jahre<br />

sind vergangen,<br />

daß wir sie<br />

nach vollkommenem Verlust<br />

wieder erhalten haben –<br />

und wieder sind<br />

wir dabei, sie zu verlieren,<br />

weil sie verkauft wird:<br />

an Krämerseelen, die<br />

um des Geldes willen<br />

Nachrichten und ihre Meinung<br />

dem Meistbieten<strong>den</strong> anpassen.<br />

Für eine unabhängige,<br />

unzensierte, freie und<br />

an Wahrheiten orientierte<br />

Presse haben wir die<br />

Darmstädter<br />

Initiative<br />

für die<br />

Vielfalt<br />

der Presse<br />

gegründet:<br />

• für eine Kontrolle<br />

über Parlamente<br />

• für ein öffentliches<br />

Forum der Leserinnen<br />

• für ein Mehr<br />

an Demokratie.<br />

Verschlafen Sie nicht<br />

wie viele MitbürgerInnen<br />

die schleichende Inflation der<br />

Meinungs- und Pressefreiheit!<br />

Beteiligen Sie sich<br />

an unserer Initiative!<br />

V.i.S.d.P. Folkmar Rasch.<br />

Weitere Informationen erteilt<br />

die „Zeitung für Darmstadt“<br />

Postfach 1011 01<br />

6100 Darmstadt


„Man bekommt eine Entscheidung,<br />

mehr nicht“ - Kritik an der Justiz<br />

Sexuelle Ausbeutung – Frauen diskutieren im Justus-Liebig-Haus<br />

Empörung rief das Urteil im Fall des<br />

Dekans Roman Frauenholz in der Öffentlichkeit<br />

hervor; wir erinnern uns, der<br />

katholische Priester aus Fürth im O<strong>den</strong>wald<br />

war wegen sexueller Nötigung und<br />

Mißbrauchs von Schutzbefohlenen zu<br />

zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt<br />

wor<strong>den</strong>, gar noch für vier Jahre zur<br />

Bewährung ausgesetzt (ZD, Sonderausgabe).<br />

Die betroffenen Frauen und<br />

Mädchen dagegen mußten in ihrer<br />

Gemeinde noch massive Kritik erdul<strong>den</strong>:<br />

Die Opfer sollten zu Tätern gemacht<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Die Darmstädter Frauenbeauftragte<br />

Trautel Baur nahm <strong>den</strong> Fall zum Anlaß<br />

für eine öffentliche Diskussion über<br />

„Sexuelle Ausbeutung – Reaktionen in<br />

Öffentlichkeit und Justiz“. Auf dem<br />

Podium im Justus-Liebig-Haus: Vier<br />

VertreterInnen der Justiz und drei aus<br />

Pädagogik und Selbsthilfeeinrichtungen.<br />

Im Forum: Rund fünfzig Frauen<br />

und fünf Männer. Es sollte kein Abend<br />

wer<strong>den</strong>, der <strong>den</strong> Fall des Dekan Frauenholz<br />

neu aufrollte. Es sollte ein Abend<br />

wer<strong>den</strong>, der die entgegengesetzten<br />

Lager miteinander ins Gespräch bringt.<br />

So zum Beispiel die Sozialpädagogin<br />

Andrea Lebek vom Frauenhaus in Langen,<br />

die einer jungen Frau als Prozeßbegleiterin<br />

von der Anzeige bis zum<br />

Urteil zur Seite stand, mit Richter<br />

Michael Baumgart, oder die Rechtsanwältin<br />

Barbara Schoen und <strong>den</strong> Leiter<br />

der Darmstädter Erziehungsberatungsstelle,<br />

Wolfgang Paul.<br />

Es wurde ein Abend, der die Funktion<br />

und Rolle der Justiz kritisch bloßlegte<br />

und deutlich machte, wie schwer es sein<br />

kann, Menschen unterschiedlicher<br />

Erfahrungs- und Interessenlagen ins<br />

Gespräch zu bringen. Richterin Brigitte<br />

Tilmann rechtfertigte, daß unserer Justiz<br />

ein sogenanntes Täterstrafrecht zugrunde<br />

liegt, einem Angeklagten muß die<br />

Schuld bewiesen wer<strong>den</strong>. Eine von<br />

mehreren Selbstverständlichkeiten, die<br />

trotz allem benannt wer<strong>den</strong> mußten.<br />

Opfer degradiert die Justiz ebenso<br />

„selbstverständlich“ zu Beweismitteln,<br />

bloßen Bausteinen neben vielen anderen,<br />

um die Tat nachweisen zu können;<br />

als Frauen und Mädchen kommen die<br />

Opfer nicht mehr vor. Gabriele Abt,<br />

anklagende Staatsanwältin im Fall Frauenholz,<br />

stellte klar, daß sie keinesfalls<br />

Interessenvertreterin (als Frau) sein<br />

könne. Ihr obliege es, be- und entlastende<br />

Elemente festzustellen, und sie müsse<br />

versuchen, „objektiv zu bleiben.“<br />

Entschließt sich eine Frau oder ein<br />

Mädchen zu einer Anzeige wegen sexueller<br />

Nötigung, ist meist lange Zeit vergangen<br />

bis sie Strafanzeige stellt; sofern<br />

sie überhaupt in der Lage ist, sich an entsprechende<br />

Stellen (z.B. Wildwasser) zu<br />

wen<strong>den</strong>. Nach Aussagen bei Polizei,<br />

RichterIn, Staatsanwaltschaft, die, wie<br />

Ajitka Curella von Wildwasser zu<br />

berichten weiß, über nur geringes Einfühlungsvermögen<br />

verfügen, kann es<br />

vorkommen, daß sie noch ein „Glaubwürdigkeitsgutachten“<br />

über sich ergehen<br />

lassen muß.<br />

Barbara Schoen sieht darin eine große<br />

Hilfe für die betroffenen Frauen. Sie hält<br />

es für sinnvoller, daß Frauen sich ihnen<br />

unterziehen, als daß der Täter freigesprochen<br />

wird. Frauen aus dem Forum<br />

kritisieren, daß es nie zu entsprechen<strong>den</strong><br />

„Tätergutachten“ käme. Es ist sinnlos,<br />

ein Tätergutachten zu erstellen, da der<br />

Angeklagte schweigen oder lügen darf,<br />

so die Argumentation der JustizvertreterInnen.<br />

Und das „Opfergutachten“?<br />

Kommunaler<br />

Subventionsbetrug?<br />

Peter Netuschil fordert von ZD Unterlassung<br />

Betr. Zeitung für Darmstadt Ausgabe 49<br />

Sehr geehrter Herr Grimm,<br />

Sie haben in dem im Betreff genannten<br />

Druckwerk auf Seite 1 mir gegenüber<br />

einen Verdacht ausgesprochen, der mit<br />

<strong>den</strong> Tatsachen nicht übereinstimmt.<br />

Ich gebe daher Gelegenheit, die beigefügte<br />

strafbewehrte Unterlassungserklärung<br />

unterzeich<strong>net</strong> an mich zurückzureichen<br />

und die nachstehend berech<strong>net</strong>en<br />

Gebühren auf einem meiner u. a. Konten<br />

einzuzahlen bis längstens Mittwoch, <strong>den</strong><br />

23. Juni 1993, 18 Uhr eingehend bei mir.<br />

Ich weise darauf hin, daß Sie die Wiederholungsgefahr<br />

nur durch die Abgabe der<br />

beigefügten vertragsstrafenbewehrten<br />

Unterlassungserklärung ausschließen können<br />

und werde die erforderlichen rechtlichen<br />

Schritte einleiten, wenn unterschriebene<br />

Erklärung und Gebühren nicht innerhalb<br />

gesetzter Frist hier eingehen.<br />

Mit vorzüglicher Hochachtung Netuschil,<br />

Rechtsanwalt.<br />

Vertragsstrafenbewehrte<br />

Unterlassungserklärung<br />

Hiermit verpflichte ich, Michael Grimm,<br />

mich a) persönlich b) als Verleger und<br />

Herausgeber der „Zeitung für Darmstadt“<br />

1. es künftig zu unterlassen, zu behaupten<br />

und/oder zu veröffentlichen, wörtlich oder<br />

sinngemäß, daß „der Verdacht bestand,<br />

daß der Vorsitzende des Liegenschaftsausschusses,<br />

Peter Netuschil (F.D.P.) bei<br />

Beschlüssen der Vorlage als Beteiligter<br />

selbst zugegen war und mitentschie<strong>den</strong><br />

hat“,<br />

2. für je<strong>den</strong> Fall der Zuwiderhandlung der<br />

unter Ziffer 1) aufgeführten Verpflichtung,<br />

wobei jedweder Fortsetzungszusammenhang<br />

ausgeschlossen ist, an Herrn<br />

Peter Netuschil eine Vertragsstrafe in<br />

Höhe von 5.000 Mark zu bezahlen;<br />

3. dem Anwaltsbüro Seipel, Netuschil und<br />

Partner die durch dieses Verfahren entstan<strong>den</strong>en<br />

Gebühren gemäß Kostennote<br />

vom 15.6.1993 bis zum 23.6.1993 zu<br />

bezahlen. (1022,35 DM)<br />

Die Antwort:<br />

Sehr geehrter Herr Netuschil,<br />

als ehemaligem Kollegen müßte Ihnen das<br />

Presserecht doch besser bekannt sein, als<br />

Sie dies in Ihrer Unterlassungserklärung<br />

preisgeben. Es handelt sich keinesfalls bei<br />

der von Ihnen beanstandeten Passage um<br />

eine falsche Tatsachenbehauptung, sondern<br />

um <strong>den</strong> Bericht über eine Anfrage<br />

beim Regierungspräsi<strong>den</strong>ten Ihre Tätigkeit<br />

im Liegenschaftsausschuß betreffend.<br />

Da Sie das Zitat aus dem Zusammenhang<br />

herausgelöst haben, ist Ihre Aufforderung<br />

zur Unterlassung hinfällig, weil ein anderer<br />

Sinnzusammenhang entsteht. Selbstverständlich<br />

sehe ich <strong><strong>den</strong>n</strong>och keine Notwendigkeit,<br />

dieses in der Öffentlichkeit zu<br />

wiederholen, es sei <strong><strong>den</strong>n</strong>, es ergäben sich<br />

Neuigkeiten, die ich meinen LeserInnen<br />

mitteilen möchte.<br />

Ihre Unterlassungserklärung umgeht darüber<br />

hinaus das Hessische Pressegesetz §3<br />

(Öffentliche Aufgabe der Presse): „Die<br />

Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe,<br />

wenn sie in öffentlichem Interesse Nachrichten<br />

beschafft und verbreitet, Stellung<br />

nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise<br />

an der Meinungsbildung mitwirkt“. Ein<br />

öffentliches Interesse an möglichen Vorteilnahmen<br />

Stadtverord<strong>net</strong>er oder anderweitig<br />

in öffentlichem Auftrag Tätiger ist<br />

unbestritten gegeben und die Kritik daran<br />

Aufgabe der Presse. Ihre Gebührenforderung<br />

betrachte ich als gegenstandslos.<br />

Was hielten Sie davon, einmal sachlich auf<br />

<strong>den</strong> Bericht einzugehen und selbst Stellung<br />

zu beziehen, wann und ob die Magistratsvorlage<br />

während Ihrer Tätigkeit als<br />

Vorsitzender des Liegenschaftsausschusses<br />

behandelt wor<strong>den</strong> ist und ob Sie dabei<br />

anwesend waren? Ich sichere Ihnen die<br />

Publizität zu. Der Herausgeber<br />

Reaktionen<br />

Die Kommunalaufsicht des Regierungspräsi<strong>den</strong>ten<br />

ist in der Angelegenheit noch<br />

immer nicht prüfend tätig gewor<strong>den</strong>.<br />

Von Volker Schmidt und Eike Ebert sind<br />

bislang keine Reaktionen eingegangen.<br />

Unsere LeserInnen haben bis zum 23.6.93<br />

für prozessuale Folgen 450 Mark gespendet.<br />

Die weiteren Recherchen in Sachen<br />

Filz im sozialen Wohnungsbau sind derzeit<br />

blockiert durch die rückständige Verwaltungsorganisation<br />

der Stadt Darmstadt.<br />

Dort müssen die zuständigen SachbearbeiterInnen<br />

die rückliegen<strong>den</strong> Magistratsvorlagen<br />

mühselig per Hand suchen. Nach<br />

Eingang wer<strong>den</strong> wir weiter berichten. mg<br />

Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.<br />

Eine beschämende Situation, daß eine<br />

sexuell mißhandelte Frau darauf angewiesen<br />

ist, daß man(n) ihr glaubt. Weitere<br />

Kritik kommt von Ajitka Curella:<br />

Viele PsychologInnen seien alles andere<br />

als kompetent und Betroffene dürften<br />

sich die GutachterInnen nicht selbst aussuchen.<br />

Die sogenannte Absprache – wenn die<br />

Juristen vor der Beweisaufnahme bei<br />

einem Geständnis des Täters hinter verschlossenen<br />

Türen ein mildes Strafmaß<br />

vereinbaren, wie im Fall Frauenholz –<br />

wurde unterschiedlich eingeschätzt.<br />

Richter Baumgart steht dazu, weil es für<br />

die Opfer vorteilhaft sein könne, sich<br />

nicht wiederholt der quälen<strong>den</strong> Befragung<br />

aussetzen zu müssen. Dagegen<br />

stellte Andrea Lebek einen Fall vor, wo<br />

eine junge Frau nicht einmal gefragt<br />

wurde, ob sie aussagen wolle, obwohl<br />

sie sich darauf vorbereitet hatte und<br />

dazu bereit war.<br />

Wenn Gabriele Abt sich zu der Äußerung<br />

versteigt: „Je jünger ein Kind ist,<br />

desto früher tritt der heilsame Verdrängungsprozeß<br />

ein“, möchte man/frau ihr<br />

neben der Strafgesetzbuch-Lektüre zu<br />

Piaget und Alice Miller raten. Und es ist<br />

zweifelsohne sehr löblich von Wolfgang<br />

Paul, daß er nach dem Frauenholz-Urteil<br />

Briefe an Zeitungen und Bischöfe<br />

geschrieben hat und es nicht gut findet<br />

„nach bewährter Manier die Hosentür<br />

zuzuknöpfen und zum Alltag zurückzukehren.“<br />

Richter Baumgart ist auch nicht vorzuwerfen,<br />

daß er vom „Sexualtrieb“ des<br />

Mannes spricht. Eine Teilnehmerin klärt<br />

ihn auf, daß es sich bei sexueller Gewalt<br />

nicht um Sex, sondern um Gewalt handle,<br />

weshalb dieser Terminus hier völlig<br />

fehl am Platze sei.<br />

Wenn die Zahlen zutreffen, daß jedes<br />

dritte bis vierte Mädchen sexuell „ausgebeutet”<br />

wird, darunter verstehen die<br />

Frauen verhinderte Selbstbestimmung<br />

(Beispiel §218) aber auch Mißhandlungen<br />

von der Nötigung bis zur Vergewaltigung,<br />

handelt es sich nicht etwa um<br />

Einzel-Fälle, sondern um Erscheinungen<br />

einer patriarchalisch dominierten<br />

Gesellschaft. Doch, obwohl alle an diesem<br />

Abend es nur gut meinten, ein Konsens<br />

war schon aufgrund sprachlicher<br />

Mißverständnisse behindert, so er <strong><strong>den</strong>n</strong><br />

überhaupt etwas ändern könnte.<br />

Der Ruf nach mehr Gerechtigkeit in der<br />

Justiz stößt dort lediglich auf die nüchterne<br />

Feststellung von beispielsweise<br />

Gabriele Abt: „Man bekommt eine Entscheidung,<br />

mehr nicht.“ Betty Buletti<br />

„Sie haben geschlafen, nicht wir“, ärgert<br />

sich Müller, der Pressesprecher des Regierungspräsi<strong>den</strong>ten<br />

am 15.6.. In der Ausgabe<br />

28 hatten wir erstmals gemeldet, daß auf<br />

dem Gelände des ehemaligen Altpapier-<br />

Verwerters Efremidis Industrie- und Haushaltsabfälle<br />

lagern, da die illegale Müllkippe<br />

weiterhin frei zugänglich war , meldeten<br />

wir: „Regierungspräsi<strong>den</strong>t verschläft<br />

Umweltskandal“. Verständlich,<br />

daß man sich dort ärgerte und dann erstmals<br />

weitergehend informierte. Ende<br />

Januar war demnach eine Kommission des<br />

RP auf dem Gelände, „da waren noch keine<br />

Fässer da“, erklärt Müller. Außerdem,<br />

was Sie als Abfall ansehen, ist noch längst<br />

kein Abfall, das richtet sich nach dem<br />

Gesetz. Der Betreiber beteuert, das sei<br />

kein Abfall, sondern Reststoff-Verwertung.<br />

Da müssen wir erstmal das Gegenteil<br />

nachweisen. Am 4.6. sind wir wegen Ihres<br />

Berichts (vom 14.5.) wieder dorthin marschiert<br />

und haben Sperrmüll, Verpackungsabfälle,<br />

Altreifen, Kühlschränke,<br />

Batterien und die Fässer vorgefun<strong>den</strong>.“<br />

Der ehemalige Altpapierverwerter Efremidis<br />

hat einen Offenbarungseid geleistet, ist<br />

auf deutsch pleite, deshalb hat sich der<br />

Regierungspräsi<strong>den</strong>t an <strong>den</strong> Eigentümer,<br />

„eine GmbH im Landkreis“ gewandt;<br />

„Wir haben sehr schnell reagiert. Der<br />

Eigentümer hat einen erneuten Bescheid<br />

erhalten und darin ist eine Frist gesetzt.<br />

Wir hoffen, daß er einsichtig ist und das<br />

Zeug irgendwo unterbringt. Aber das ist ja<br />

Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 4<br />

„Schluck & weg“ heißt das neue Straßentheater der BUKO-Pharmakampagne. Am 17.6.<br />

stellten es Sean Ian Pinsler, A<strong>net</strong>te Hasse und Markus Füller (von links) auf dem<br />

Frie<strong>den</strong>splatz vor. Das Stück wendet sich gegen die Anti-Schwangerschaftsimpfung, mit<br />

der ohne Rücksicht auf die Herausforderungen von Aids, Bevölkerungspolitik gegen<br />

Frauen betrieben werde. Die Broschüre „Impfung gegen Schwangerschaft – Traum der<br />

Forscher – Alptraum der Frauen?“ ist für 15 Mark bei der BUKO-Pharmakampagne,<br />

August-Bebel-Straße 62, in 33602 Bielefeld zu haben.<br />

(Foto: H. Schäfer)<br />

Kriminelle Potenz?<br />

Flüchtlinge sind im Durchschnitt weniger<br />

kriminell als andere Ausländer oder als<br />

Deutsche. Das geht aus einer Untersuchung<br />

des kriminologischen Instituts Niedersachsen<br />

hervor. Wie Niedersachsens<br />

Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten<br />

Jürgen Trittin (Grüne) mitteilte,<br />

beträgt die Kriminalitätsrate im Bereich<br />

der Gewalt bei Asylbewerbern 3,9%, bei<br />

Deutschen aber 7,1%. Auch in der Drogenkriminalität<br />

sei bei Asylbewerbern<br />

eine geringere Häufigkeit als bei anderen<br />

Bevölkerungsgruppen festgestellt wor<strong>den</strong>.<br />

Die meisten Delikte bei Asylbewerbern<br />

sind der Untersuchung zufolge Vergehen<br />

gegen das Asylverfahrens- und das Ausländergesetz.<br />

Tg<br />

Abfall oder Wirtschaftsgut?<br />

Ein verärgerter Regierungspräsi<strong>den</strong>t und ein nicht beseitigter Müllhaufen<br />

nicht so einfach, da müssen LKW organisiert<br />

und eine Stelle für die Lagerung<br />

gefun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>“.<br />

Ob der RP <strong>den</strong> Abtransport überwacht?<br />

„Selbstverständlich wer<strong>den</strong> wir kontrollieren“.<br />

Bitter beklagt sich der Pressesprecher über<br />

die „geringen Möglichkeiten, die uns als<br />

Kontroll-Behörde von <strong>den</strong> Juristen gelassen<br />

wird. Wenn wir eine Ersatzvornahme<br />

machen (d.h. die Behörde tritt für die<br />

Beseitigungskosten in Vorlage und holt<br />

sich das Geld wieder vom Eigentümer)<br />

und das wür<strong>den</strong> wir, wenn‘s nach uns ginge,<br />

dann wür<strong>den</strong> wir aber vor Gericht eine<br />

Bauchlandung machen“. Wir haben ihn<br />

gebeten, uns zu informieren, wenn sich ein<br />

solcher Fall ereig<strong>net</strong>, damit wir berichten<br />

können. In einem ähnlich gelagerten Fall,<br />

hat der RP jedoch vorbeugende Auflagen<br />

anordnen lassen, da Brandgefahr bestand.<br />

Die Stellungnahme zu <strong>den</strong> Plastikbergen<br />

in Darmstadt läßt die Frage offen, warum<br />

solches nicht auch hier möglich ist. Denkbar<br />

wäre die Auflage, das Gelände erst einmal<br />

verschließen und es dann bewachen zu<br />

lassen. Zumindest solange, bis die juristische<br />

Lage (siehe unten) geklärt und die<br />

Anordnung für eine Beseitigung der<br />

Abfälle erlassen wer<strong>den</strong> kann.<br />

RP ord<strong>net</strong> Brandschutzmaßnahmen an<br />

„Gegen <strong>den</strong> Betreiber eines nicht genehmigten<br />

Altreifenlagerplatzes in Gerns-<br />

Mädchenarbeitskreis<br />

Der „Mädchenarbeitskreis“ in Darmstadt<br />

ist ein Zusammenschluß von Fachfrauen,<br />

die in der Mädchenarbeit tätig<br />

sind. Inhalte der Arbeitsgruppe sind:<br />

Erfahrungs- und Informationsaustausch,<br />

fachlich-theoretische und konzeptionelle<br />

Diskussion, Öffentlichkeitsarbeit zur<br />

Unterstützung von Mädcheninteressen,<br />

Gremienarbeit und die Durchführung<br />

gemeinsamer Projekte. Der Arbeitskreis<br />

ist öffentlich, sodaß jede interessierte<br />

Fachfrau herzlich zur Teilnahme eingela<strong>den</strong><br />

ist. Nähere Informationen über<br />

das Frauenbüro Darmstadt, Ulrike<br />

Leonhardt, Telefon: 132340.<br />

Presseamt<br />

heim/Krs. Groß-Gerau hat der Darmstädter<br />

Regierungspräsi<strong>den</strong>t eine brandschutztechnische<br />

Anordnung erlassen. Damit<br />

sollen der Entstehung und Ausbreitung<br />

von Brän<strong>den</strong> vorgebeugt und beim Ausbruch<br />

eines Feuers wirksame Lösch- und<br />

Rettungsarbeiten gewährleistet wer<strong>den</strong>.<br />

Nach Auskunft des Regierungspräsidiums<br />

wird von der Behörde bzw. von <strong>den</strong><br />

jeweils zuständigen Kreisbauämtern seit<br />

geraumer Zeit versucht, mehrere unerlaubte<br />

Altreifenlagerplätze im Regierungsbezirk<br />

Darmstadt zu beseitigen bzw. das<br />

Lagern oder Zwischenlagern von Altreifen<br />

zu verhindern. Durch unterschiedliche<br />

Rechtsauffassungen des Verwaltungsgerichtshofes<br />

in Kassel war es <strong>den</strong> zuständigen<br />

Verwaltungsbehör<strong>den</strong> nicht möglich,<br />

die Räumung der unerlaubten Altreifenlagerplätze<br />

durchzusetzen.<br />

Im Regierungspräsidium hofft man, daß<br />

eine in <strong>den</strong> nächsten Wochen vom Bundesverwaltungsgericht<br />

erwartete Entscheidung<br />

Klarheit darüber bringen wird, ob es<br />

sich bei Altreifen um Abfall oder Wirtschaftsgut<br />

handelt und demzufolge die<br />

sachliche Zuständigkeit dem Regierungspräsidium<br />

oder <strong>den</strong> Kreisbauämtern<br />

obliegt.“ Ob der RP nach dem Urteil<br />

erklären lassen wird, bei dem Fall habe es<br />

sich ja um Altreifen gehandelt, nicht um<br />

Sperrmüll, Kunststoffolien oder Fässer mit<br />

nicht definiertem Inhalt? Übrigens: Proben<br />

hat bis heute niemand genommen. mg


?<br />

Ökologisch orientierter<br />

Wirtschaftsumbau<br />

Ministerpräsi<strong>den</strong>t Eichel über<br />

„Die Zukunft Hessens als Industriestandort“<br />

vor dem Arbeitgeberverband Südhessen<br />

Eine ehrenwerte Gesellschaft sitzt da in<br />

der Orangerie (am 15.Juni) beisammen:<br />

Der Arbeitgeberverband Südhessen<br />

(AGV) hält seine Jahresversammlung<br />

ab, prominentester Gast und Redner:<br />

„unser Landesvater“, wie AGV-Vorsitzender<br />

Dr. Walter Schlotfeldt Ministerpräsi<strong>den</strong>t<br />

Hans Eichel so gerne nennt.<br />

Sein Thema: „Die Zukunft Hessens als<br />

Industriestandort“. Etwa 200 Anzugträger<br />

und Kostümträgerinnen haben sich<br />

eingefun<strong>den</strong>. Arbeitgeber und ein sozialdemokratischer<br />

Ministerpräsi<strong>den</strong>t –<br />

wie Hund und Katz? „Die SPD“, sagt<br />

Eichel fast entschuldigend, „ist immer<br />

noch eine Partei, die von der Arbeitnehmerseite<br />

kommt.“ Und die Wirtschaftslobbyisten,<br />

die haben <strong>den</strong> „Sozialisten“<br />

doch noch nie getraut, das lernt doch<br />

jedes Kind. Wer aber dachte, jetzt harte<br />

Diskussionen, gar Angriffe zu hören,<br />

täuschte. In solch illustren Gesellschaften<br />

geht es gesittet zu. Wer sich zu sehr<br />

ärgert, ergreift nicht das Wort, sondern<br />

<strong>den</strong> Rückzug – im Orangeriegarten spaziert<br />

es sich ja auch vortrefflich.<br />

Arbeitgeber kritisieren<br />

Gesetzes- und Verordnungsflut<br />

Natürlich gibt es Kritik an der Landesregierung<br />

– Schlotfeldt nennt sie in seiner<br />

Eröffnungsrede „Sorgen“; als da wären:<br />

„schwierigster Wirtschaftsabschwung<br />

seit <strong>den</strong> 50er Jahren“, „strukturelle Probleme“,<br />

„Aufbauprozeß der ehemaligen<br />

DDR und die hohe Staatsverschuldung“,<br />

„die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes<br />

Deutschland hat verloren“,<br />

„Mißbrauch von Leistungen“,<br />

„Gesetzes- und Verordnungsflut“,<br />

„Staats- und Politikverdrossenheit“,<br />

„Subventionsabbau und schleppende<br />

Privatisierung“.<br />

Die Lösung all dieser (Arbeitgeber-)<br />

Sorgen kennt Schlotfeldt auch: „Wir<br />

brauchen eine wachstumsorientierte<br />

Wirtschaftspolitik“ – jawohl! Applaus –<br />

es lebe der Fortschritt!<br />

Von der hessischen Landesregierung<br />

fordert Schlotfeldt: „Rücknahme der<br />

Grundwasserabgabe“, „Förderung der<br />

Gentechnologie“, „verkürzte Genehmigungsverfahren“,<br />

„Infrastrukturausbau“,<br />

„international angepaßte Umweltgesetze“,<br />

„Verkehrspolitik“. Sein<br />

Fazit: „Die Wettbewerbsfähigkeit steht<br />

vor einer großen Belastungsprobe. Wir<br />

brauchen verlässliche Rahmenbedingungen,<br />

dazu bedarf es einer freiheitlichen<br />

Wirtschaftsordnung.“ Die Herren<br />

und (wenigen) Damen des Auditoriums<br />

danken ihrem Vorsitzen<strong>den</strong> für die klaren,<br />

eindeutigen Worte mit Beifall und<br />

gewichtigem Kopfnicken – jawohl, weg<br />

mit <strong>den</strong> fortschrittsfeindlichen Gesetzen<br />

und Schikanen!<br />

Eichel betritt das Rednerpult, er wirkt<br />

zögerlich, fast wie ein Schulbub: „Ihre<br />

kritische Situationsbeschreibung teile<br />

ich.“ Er nennt „wachsende Arbeitslosigkeit<br />

… nah an <strong>den</strong> Zahlen wie zur Zeit<br />

der Weltwirtschaftskrise“, „2,5 Millionen<br />

fehlende Wohnungen“, das führe in<br />

der Bevölkerung zu „massiven<br />

Zukunftsängsten“, er spricht von „Erinnerungen<br />

an die Weimarer Republik.“<br />

Mißbrauchsbekämpfung<br />

gilt für alle Bereiche<br />

„Wieviel Sozialstaat können wir uns leisten?<br />

… Die Mißbrauchsbekämpfung ist<br />

eine ständige Aufgabe des Staates und<br />

sie gilt für alle Bereiche,“ meint er und<br />

warnt, „der Sozialabbau ist eine Gefahr,<br />

der soziale Friede war und ist eine<br />

wesentliche Grundlage für <strong>den</strong> Wirtschaftsaufschwung“.<br />

Auch die Ausländerfeindlichkeit<br />

sei eine „riesige<br />

Gefährdung“. In <strong>den</strong> Betrieben, „wo<br />

Ausländer vollständig gleichberechtigt<br />

sind“, habe es bisher keine Probleme<br />

gegeben, „die liegen draußen“. Deshalb<br />

fordert der Ministerpräsi<strong>den</strong>t, „die vollständige<br />

Gleichberechtigung auch in der<br />

Gesellschaft zu verwirklichen“ und<br />

nennt die Einführung der doppelten<br />

Staatsangehörigkeit.<br />

Weltwirtschaftskrise, deutsche Strukturkrise<br />

und deutsch-deutsche Integration<br />

– Eichel: „die Wahrheit wurde nicht<br />

gesagt … 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes<br />

müssen wir in <strong>den</strong> nächsten<br />

10 Jahren in die Länder der ehemaligen<br />

DDR überführen. Dieses Jahr sinkt es<br />

nach Vorhersagen um 2 Prozent – das<br />

heißt wir haben 7 Prozent weniger.“<br />

„Es wird langsamer gestorben“<br />

Genug der Schwarzmalerei meint Eichel<br />

und fährt fort: „Wirtschaft ist auch Psychologie,<br />

wir dürfen die Krise nicht<br />

noch schlechter re<strong>den</strong>.“ Er zitiert eine<br />

jüngste Prognose, nach der sich die Talfahrt<br />

der deutschen Wirtschaft verlangsamen<br />

soll. „Es wird langsamer<br />

gestorben“, raunt mein Nachbar seinem<br />

Nebenmann ins Ohr. Fünf Minuten später<br />

verläßt er <strong>den</strong> Saal: „Mir reicht’s, wir<br />

sehen uns später“ – ein kurzer, kollegialer<br />

Händedruck und weg ist er.<br />

Die Lösung: umbauen und<br />

zukunftsträchtig investieren<br />

Eine reine Marktwirtschaft, wie es sich<br />

die Arbeitgeber wünschen? – Eichel<br />

sagt nein: „Der aktive Staat ist gefordert,<br />

um die wirtschaftspolitischen und ökologischen<br />

Impulse zu steuern.“ Er rät:<br />

„Die Rezession … nicht dadurch zu verstärken,<br />

daß staatliche Investitions-Ausgaben<br />

noch gekürzt wer<strong>den</strong> … jetzt<br />

umbauen und zukunftsträchtige Investitionen<br />

tätigen.“ Das neue Hessische<br />

Strukturprogramm umfasse 300 Millionen<br />

Mark. „Ein Signal gegen <strong>den</strong><br />

Abschwung“, verteidigt er das Programm.<br />

Seine Schwerpunkte seien<br />

„Wohnungsbau, Wissenschaft, Verkehrs-<br />

und Energiepolitik.“<br />

Die Umweltschutzgesetze will Eichel<br />

„nicht abbauen“, doch würde er die Einhaltung<br />

gern – weg von der Justiz –<br />

durch „Strafen und Steuern regulieren,<br />

betriebswirtschaftlich einbauen“, das<br />

bedeute gleichzeitig „weniger Überwachungsbürokratie.“<br />

Ob sich damit die<br />

Arbeitgeber zufrie<strong>den</strong>geben? Eichels<br />

Lösung der Strukturkrise der deutschen<br />

Wirtschaft lautet: „ökologisch orientiert<br />

umbauen“, durch „hohe Steuern bei<br />

hohem Verbrauch von natürlichen Ressourcen.“<br />

Er ist Politiker und muß, will<br />

er wiedergewählt wer<strong>den</strong>, möglichst<br />

viele zufrie<strong>den</strong>stellen – ein Spagat.<br />

Preise für Tierzüchter<br />

?<br />

Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr,<br />

bereits zum 9. Mal wer<strong>den</strong> in Darmstadt<br />

erfolgreiche Züchter von Geflügel-,<br />

Kaninchen- und Brieftauben-Zuchtvereinen<br />

für ihre Leistungen auf dem Gebiet der<br />

Kleintierzucht geehrt, die unter Einsatz<br />

erheblicher Opfer und großem Idealismus<br />

hervorragende Leistungen und Erfolge<br />

und Vereinsmeisterschaften, überregionalen<br />

Ausstellungen und Wettbewerben<br />

errungen haben. Die Ehrung, die am<br />

Dienstag, dem 20. Juli, im Vereinsheim<br />

des Geflügelzuchtvereins 1876 H22 e. V.,<br />

Pulverhäuserweg (am Ende der Straße)<br />

stattfindet, berücksichtigt die Leistungen<br />

der Saison von 1991 und 1992. 41 Züchter<br />

aus 13 Vereinen wer<strong>den</strong> aus der Hand von<br />

Stadtrat Gerd Grünewaldt im Namen des<br />

Magistrats Plakette und Urkunde erhalten.<br />

Neben <strong>den</strong> zu Ehren<strong>den</strong> und deren Vereinsvorsitzen<strong>den</strong><br />

sind Vertreter der Kreisverbände<br />

der Geflügel- und Kaninchenzüchter<br />

sowie der Brieftaubenvereinigung<br />

bei der Feier anwesend.<br />

Sie sind herzlich eingela<strong>den</strong>, an der Feier<br />

teilzunehmen und wer<strong>den</strong> um 19.00 Uhr<br />

erwartet. Mit freundlichen Grüßen<br />

i. A. Volker Rinnert, Pressesprecher<br />

„Die unter Einsatz erheblicher Opfer und<br />

großem Idealismus hervorragende Leistungen<br />

und Erfolge errungen haben“– Ist<br />

der Idealismus so gewissermaßen auf das<br />

Karnickel, die Taube oder das Gickel<br />

gekommen, erübrigt sich das Streben nach<br />

Höherem. Das Domestizieren der Natur<br />

bedarf in der Tat großer Opfer der Kreatur.<br />

Welch großartige Leistung wäre es<br />

gewesen, wenn nicht dem zahmen Kaninchen<br />

das glänzende Fell und das dicke<br />

Wanst beigebracht, sondern die Frage<br />

angegangen wor<strong>den</strong> wäre, ob die hilflose<br />

Kreatur menschlichem Kleingeiste unterworfen,<br />

diesen vielleicht zu erkennen vermag?<br />

sb<br />

POLITIK<br />

Ministerpräsi<strong>den</strong>t Hans Eichel<br />

Foto H. Schäfer<br />

Für die Arbeitnehmer ist er gegen Sozialabbau,<br />

für seinen Koalitionspartner<br />

und ganz im Trend der Zeit gegen eine<br />

Lockerung der Umweltschutzgesetze,<br />

„der Umweltschutz soll sich (gar) zum<br />

Standortvorteil entwickeln“. Und dann<br />

gelingt ihm auch noch die Rolle rückwärts:<br />

Für die Wirtschaft führt er <strong>den</strong><br />

Hessischen Raumordnungsplan ins<br />

Feld. Bis zum Jahr 2000 weise dieser<br />

jedes Jahr 667 Hektar neue Wohnsiedlungsflächen<br />

aus (1992: 200 ha) und<br />

überdies 319 ha für Industrie- und<br />

Gewerbeflächen (92: 127 ha). Da ist es,<br />

das Zuckerstückchen für das Auditorium:<br />

Es lebe der Fortschritt!<br />

„Weiterer Straßenbau ist weder verantwortbar<br />

noch erwünscht“, meint er dann<br />

und macht gleich wieder einen Minuspunkt.<br />

Der Gütertransport soll auf die<br />

Schiene verlegt wer<strong>den</strong>. Kurz darauf<br />

aber spricht er vom Ausbau des Flughafens<br />

Rhein-Main: von 320.000 Flügen<br />

1993 auf 400.000 Flüge im Jahr 2010.<br />

Wenn einer alle Wähler zufrie<strong>den</strong>stellen<br />

will – was bleibt da vom überlebenswichtigen<br />

ökologisch orientierten<br />

Umbau?<br />

Eichels Spagat scheint geglückt: die<br />

Gesellschaft klatscht. So weit sind die<br />

Positionen wohl doch nicht voneinander<br />

entfernt – oder ist der Beifall nur vornehme<br />

Höflichkeit für „unseren Landesvater“?<br />

Eva Bredow<br />

419 Wohnungen für ’93<br />

„Als lieber Freund wurde er von Oberbürgermeister<br />

Günther Metzger herzlich<br />

begrüßt, zufrie<strong>den</strong> verließ er nach einer<br />

knappen Stunde <strong>den</strong> Darmstädter Magistrat:<br />

Dieser genehmigte Bauvereins-Chef<br />

Heinz Reinhardt seinen Jahresabschluß für<br />

1992 einstimmig. In seinem 129.<br />

Geschäftsjahr stellte die Bauverein-AG<br />

1992 373 Wohnungen fertig und weist für<br />

das laufende Jahr 419 Wohnungen im<br />

Bauprogramm aus.<br />

Reinhardt betonte gegenüber dem Magistrat,<br />

daß mit diesen rund 800 Wohnungen<br />

in <strong>den</strong> Jahren 1992 und 1993 der Bauverein<br />

das größte Bauvolumen in <strong>den</strong> letzten<br />

20 Jahren aufgelegt hat. Unter diesen 800<br />

Wohneinheiten befin<strong>den</strong> sind 140 Wohneinheiten<br />

für 313 Stu<strong>den</strong>ten. ’<br />

Aber auch kritische Töne waren vom Bauvereinsvorstand<br />

zu vernehmen. So befin<strong>den</strong><br />

sich im Bauvolumen für dieses Jahr 60<br />

Wohneinheiten, die im Rahmen des<br />

Werkswohnungsbau errichtet wer<strong>den</strong> sollen.<br />

,Die Bauverein-AG hat alle Firmen,<br />

Behör<strong>den</strong> und Institutionen in Darmstadt<br />

angeschrieben. Die Resonanz auf das<br />

Angebot ist bis jetzt nahezu null.<br />

Kritische Worte auch darüber, ob weitere<br />

Sozialwohnungen über <strong>den</strong> Ersten Förderweg<br />

auf Grund verschlechterter Förderungsbedingungen<br />

des Landes Hessen<br />

errichtet wer<strong>den</strong> können. ,Die neuen technischen<br />

Wohnungsbauförderungsbestimmungen,<br />

die Entscheidung, keine Tiefgaragenplätze<br />

zu fördern, bringen Baukostensteigerungen<br />

mit sich, die sich nicht<br />

mehr rechnen lassen.<br />

Die Bilanz für das Jahr 1992 weist einen<br />

Gewinn von 4,2 Millionen Mark aus. Der<br />

Betrag wird in voller Höhe der Bauerneuerungsrücklage<br />

zugeführt.<br />

Volker Rinnert, Presseamt<br />

MELDUNGEN<br />

Nummer 51 ·25.6.1993 · Seite 5<br />

Keine Zweckentfremdung<br />

In der Ausgabe 50 hatten wir unter „Zweckentfremdung“ eine<br />

Meldung publiziert, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt<br />

hat. Unser Informant hatte behauptet, die Anzeige für die<br />

Vermietung von Büroflächen bezöge sich auf das Haus Irenenstr.<br />

1/Ecke Frankfurterstraße. Dies war falsch, zwar war der Eigentümer<br />

richtig und es handelt sich auch um eine Wohnung, jedoch<br />

bezog sich die Anzeige nicht auf diese Wohnung, die Volksbank<br />

inserierte in der Anzeige Büroflächen in ihrem Gebäude in der<br />

Frankfurterstr. 69a.<br />

Der Eigentümer der laut unserem Informanten angeblich leerstehen<strong>den</strong><br />

Wohnung hatte angerufen und wie sich herausstellte,<br />

berechtigt protestiert. Der Eigentümer erklärt, daß die Wohnung<br />

nicht zur Vermietung freistehe, es sich allerdings nicht um eine<br />

Wohnung, sondern um Gewerbeflächen handle. mg<br />

In eigener Sache<br />

Der Post macht wohl ihr Umzug und die Umstellung auf die neuen<br />

Postleitzahlen zu schaffen. Deshalb haben einige unserer<br />

AbonnentInnen die Ausgabe 50 erst mit bis zu 6 Tagen Verspätung<br />

erhalten, andere gar nicht. Die Adressen hat uns die Post wie<br />

bei Bürokratien üblich erst am 19.6. gemeldet, sie wer<strong>den</strong> umgehend<br />

nachträglich zugestellt. Aufgrund der schon jetzt bestehen<strong>den</strong><br />

Zustellungsprobleme bitten wir alle LeserInnen um sofortigen<br />

Anruf, wenn auch die Ausgabe 51 nicht am 25.6. im Briefkasten<br />

sein sollte. Wir bemühen uns um direkte Nachlieferung und<br />

wer<strong>den</strong> umgehend bei der Post Protest einlegen. Der Herausgeber<br />

Brandanschlag in Ernsthofen<br />

In der Nacht zum 11.6.93, gegen 2.50 Uhr, meldete ein Bewohner<br />

der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber, Darmstädter<br />

Straße 16, in Modautal-Ernsthofen, im Landkreis Darmstadt-<br />

Dieburg, einen Brand.<br />

Auf einer Treppe, zwischen 1. und 2. Obergeschoß, brannten<br />

Kleidungsstücke und alte Lappen, die offensichtlich mit Benzin<br />

getränkt waren. Beim Eintreffen der Polizei hatten Heimbewohner<br />

<strong>den</strong> Brand bereits mit Wasser gelöscht. Glücklicherweise<br />

wurde niemand verletzt und es entstand nur geringer Sachscha<strong>den</strong>.<br />

Bei dem Wohnheim handelt es sich um ein altes Fachwerkhaus,<br />

in dem Flüchtlinge wohnen.<br />

Die Kriminalpolizei Darmstadt hat Ermittlungen wegen versuchten<br />

Mordes und menschengefähr<strong>den</strong>der Brandstiftung aufgenommen.<br />

Etwa zur Tatzeit wurde in Ernsthofen ein grauer Mercedes, älteres<br />

Baujahr mit Heckflossen, Kennzeichen unbekannt, beobachtet.<br />

Wer kann Hinweise zu diesem Fahrzeug geben oder wer hat<br />

im Zusammenhang mit dieser Tat Personen oder Fahrzeuge in<br />

Ernsthofen beobachtet? Hinweise an Kriminalpolizei Darmstadt,<br />

Telefon 06151/9694312 oder an jede andere Polizeidienststelle.<br />

Heiner Jerofsky, Polizei-Pressestelle<br />

Neonazis in Dieburg<br />

Am 8. Juni gegen 19.10 Uhr wur<strong>den</strong> Anwohner in Dieburg im<br />

Landkreis Darmstadt-Dieburg darauf aufmerksam, daß in ihrer<br />

Nachbarschaft nationalsozialistische Lieder abgespielt und eine<br />

Hakenkreuzfahne aufgehängt wurde. Die aufmerksamen Nachbarn<br />

verständigten sofort die Polizei in Dieburg.<br />

Von <strong>den</strong> Beamten der Polizeistation Dieburg wurde festgestellt,<br />

daß sich in einem Wohnhaus in Dieburg ein 15jähriger Schüler<br />

aufhielt, der eine Deutschlandfahne mit der Aufschrift „Natzionale<br />

Front“ (Rechtschreibung: schwach) aufbewahrte. Weiterhin<br />

wur<strong>den</strong> folgende Gegenstände sichergestellt: 1 Baseballschläger,<br />

2 feststehende größere Messer, 1 Holzschlagstock, ein Eisenrohr<br />

in Schlagstockform, eine Schreckschußwaffe. Das Hissen der<br />

Hakenkreuzfahne bestreitete der Jugendliche, es habe sich um<br />

die Reichskriegsflagge gehandelt.<br />

Der Vater des Jugendlichen gab an, daß ab und zu junge Leute in<br />

einem Schuppen hinter dem Haus feiern wür<strong>den</strong>, von nationalsozialistischen<br />

Liedern wollte er nichts wissen. In einem Schuppen<br />

hinter dem Haus wurde ein Raum entdeckt, in dem möglicherweise<br />

solche neonazistischen Feiern stattfin<strong>den</strong>. Die Polizei hat<br />

Sicherstellungen und die Einleitung von Strafverfahren veranlaßt.<br />

Der Polizeipräsi<strong>den</strong>t weist in diesem Zusammenhang daraufhin,<br />

daß die Aufmerksamkeit der Bürger ein wichtiger Beitrag zur<br />

Bekämpfung neonazistischer Umtriebe ist. Heiner Jerofsky,<br />

Polizei-Pressestelle<br />

Hauptbahnhof: noch nie so wertvoll<br />

Wer es noch nicht gemerkt hat: mit dem Bezug des neuen Postamtes<br />

hat der Hauptbahnhofsbereich eine erste Aufwertung<br />

erfahren. „Weitere dort ansässige Unternehmen,“ teilt das Amt<br />

für Öffentlichkeitsarbeit mit, „planen Aufwertungen ihrer Liegenschaften,<br />

deren Auswirkungen sich bis zum Westufer des<br />

Hauptbahnhofsbereiches und in die Waldkolonie erstrecken.“<br />

Der ehemalige Expressgutbahnsteig wird – vom Wertewandel<br />

erfaßt – zur Fahrradabstellanlage und „vielleicht, so Metzger,<br />

kommt dann auch noch ein Radhaus an <strong>den</strong> Bahnhof.“ Durch <strong>den</strong><br />

Neubau der Strecke Köln – Frankfurt könnte Darmstadt in naher<br />

Zukunft noch stärker in das IC- bzw. ICE-Netz eingebun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>.<br />

Als Aufwertungsbeauftragte haben Bundesbahn, HEAG<br />

und Stadt das hier ansässige Planungsunternehmen „Suter &<br />

Suter“ beauftragt. 150.000 Mark ist dem öffentlich-rechtlichen<br />

Trio deren Arbeit wert. Unser guter alter Hauptbahnhof: noch nie<br />

war er so wertvoll wie morgen. PJ<br />

„Tarif-TÜV“ im Gastgewerbe<br />

Nach dem Abschluß eines neuen Tarifvertrages für das Hotelund<br />

Gaststättengewerbe weist die Gewerkschaft NGG in Darmstadt<br />

jetzt auf ihren kürzlich eingerichteten „Tarif-TÜV“ hin.<br />

Je<strong>den</strong> Dienstag von 14 -16 Uhr können sich Beschäftigte unter<br />

der Telefonnummer 06151/311903 darüber informieren, ob in<br />

ihrem Betrieb auch tatsächlich eine korrekte Erhöhung der Entgelte<br />

vorgenommen wurde. Der Service steht auch <strong>den</strong> Beschäftigten<br />

zur Verfügung, die nicht in der Gewerkschaft sind. PJ


Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 6<br />

„Obdachlose und Flüchtlinge<br />

nicht aussondern“<br />

Reaktionen auf das Mietwucher-Geschäft<br />

In der Ausgabe 50 hatten wir über <strong>den</strong> unglaublichen<br />

Mietwucher mit Obdachlosen und Flüchtlingen berichtet<br />

und ein Berechnungsmodell für sozialen<br />

Wohnungsbau vorgestellt. In der Öffentlichkeit<br />

wurde uns das Argument entgegengehalten, „wir<br />

können kein Obdachlosen- oder Flüchtlingsheim<br />

bauen, das geht allein wegen der Nachbarn<br />

nicht“ (siehe auch Beispiel über Trautheim<br />

Seite 7). „Auch kann es nicht Ziel sein,<br />

Flüchtlinge und Obdachlose auszusondern“.<br />

Das sehen wir ebenfalls so. Unser Berechnungsmodell<br />

ist nicht auf Heim-Zellen-Bau<br />

abgestellt, sondern umfaßt Wohnungen im sozialen<br />

Wohnungsbau, mit ganz normalen Zuschnitten<br />

zwischen 40 und 100 Quadratmeter Fläche,<br />

inklusive Küchen und allem, was zu zeitgemäßem<br />

Wohnen gehört. Von <strong>den</strong> Kosten her besehen<br />

ist es für die Stadt Darmstadt auch problemlos möglich,<br />

die Zahl der Wohnungen auf 80, 100 oder mehr zu<br />

erhöhen und die Wohnungen sowohl an Wohnungssuchende,<br />

als auch an Flüchtlinge und Obdachlose zu vermieten.<br />

Bei <strong>den</strong> Geldern, die heute für Wucher-Mieten und<br />

Hotelkosten zum Fenster hinaus geworfen wer<strong>den</strong>, spart die<br />

Stadt noch immer Steuergelder. Wir drucken nun die Stellungnahmen<br />

der einzelnen Parteien und des verantwortlichen<br />

Liegenschaftsdezernenten Gerd Grünewaldt (SPD) auf dieser<br />

Seite ab. Ob eine oder mehrere Parteien einen Antrag auf sozialen<br />

Wohnungsbau ins Parlament einbringen wer<strong>den</strong>, um <strong>den</strong> unglaublichen<br />

Mißstän<strong>den</strong> ein Ende zu bereiten? Wir wer<strong>den</strong> weiter<br />

berichten und weitere Beispiele publizieren. mg<br />

„Es sind keine Vorschriften bekannt, wonach<br />

das Wohnen kostenfrei zu erfolgen hat“<br />

Liegenschaftsdezernent antwortet auf Anfrage der ZD<br />

„Die Stadt Darmstadt verwendet seit Jahren<br />

<strong>den</strong> eigenen Hausbestand dazu, obdachlose<br />

Familien und Einzelpersonen mit Wohnraum<br />

zu versorgen. Waren es in <strong>den</strong> Jahren<br />

nach Kriegsende die sogenannten Schlichtwohngebiete<br />

Akazienweg oder Rodgaustraße,<br />

in <strong>den</strong>en Obdachlose untergebracht<br />

wur<strong>den</strong>, wer<strong>den</strong> diese Gebiete seit ungefähr<br />

Anfang der 70er Jahre dafür kaum noch<br />

genutzt, da die Fluktuation in dem Bereich<br />

äußerst gering gewor<strong>den</strong> ist. Außerdem<br />

sind die Verhältnisse dort mittlerweile so<br />

stabil gewor<strong>den</strong>, daß weitere Einweisungen<br />

aus sozialen Überlegungen oftmals nicht<br />

opportun sind. Somit wurde seitens der<br />

Obdachlosenbehörde auf <strong>den</strong> gesamten<br />

städtischen Wohnungsbestand zurückgegriffen.<br />

Aufgrund der großen Anzahl der Obdachlosenfälle<br />

war es allerdings nicht mehr möglich,<br />

alle Hilfesuchen<strong>den</strong> in diesen städtischen<br />

Objekten mit Wohnraum zu versorgen,<br />

weshalb auf Darmstädter Beherbergungsbetriebe<br />

zurückgegriffen wer<strong>den</strong><br />

mußte.<br />

Nachdem der Obdachlosenbehörde das<br />

ehemalige Übergangswohnheim für Aussiedler<br />

zur Belegung mit obdachlosen Personen<br />

angeboten wurde, sind die bei<strong>den</strong><br />

Objekte in der Frankensteiner Straße und in<br />

der Elisabethenstraße angemietet wor<strong>den</strong>.<br />

Die Kosten, die dort entstehen, liegen weitaus<br />

günstiger: sie betragen die Hälfte bis<br />

ein Drittel der bei <strong>den</strong> Beherbungsbetrieben.<br />

Die Anwesen Lauteschlägerstraße und<br />

Kaupstraße stehen in städtischem Eigentum<br />

und wer<strong>den</strong> durch die Obdachlosenbehörde,<br />

zumindest teilweise, ebenfalls<br />

belegt.<br />

Es sind keine Vorschriften bekannt, wonach<br />

das Wohnen in Wohnungen, Beherbergungsbetrieben,<br />

Übergangswohnheimen<br />

oder sonstigen Einrichtungen kostenfrei zu<br />

erfolgen hat. Deshalb hat die Obdachlosenbehörde<br />

nunmehr begonnen, die ihr entstan<strong>den</strong>en<br />

Kosten im Rahmen des öffentlich-rechtlichen<br />

Erstattungsanspruches zurückzufordern.<br />

Soweit die Zahlungspflichtigen selbst nicht<br />

in der Lage sind, die entstehen<strong>den</strong> Kosten<br />

zu übernehmen, muß das Sozialamt einspringen.<br />

Zu diesem Zweck ist ein entsprechender<br />

Sozialhilfeantrag beim Sozialamt<br />

zu stellen. Gleichzeitig sind die Einkommensverhältnisse<br />

dort darzulegen.<br />

An dieser Stelle muß betont wer<strong>den</strong>, daß<br />

die Unterbringung durch die Obdachlosenbehörde<br />

die Überbrückung einer momentanen<br />

Notsituation darstellt. Durch die beim<br />

Amt für Wohnungswesen angesiedelte<br />

Wohnungssicherungsstelle wird versucht,<br />

bei der Vermittlung dauerhaften Wohnraumes<br />

jedwede Unterstützung zuteil wer<strong>den</strong><br />

zu lassen. Dabei wer<strong>den</strong> sowohl freiwer<strong>den</strong>de<br />

Wohnungen des städtischen Wohnungsbestandes<br />

als auch öffentlich geförderte<br />

Wohnungen von Bauverein und anderen<br />

Wohnungsgesellschaften herangezogen.“<br />

Gerd Grünewaldt, Stadtrat<br />

„Die ganze Hilflosigkeit einer verfehlten Politik“<br />

CDU zum Teufelskreis von Wohnungsnot und Unterbringungskosten<br />

Obdachlosigkeit verhindern ist billiger<br />

PSAG nimmt Stellung<br />

„‚Der Teufelskreis von Wohnungsnot auf<br />

der einen und explodieren<strong>den</strong> Kosten für<br />

Unterbringung auf der anderen Seite, zeich<strong>net</strong><br />

sich seit Jahren ab‘, stellt Gerhard O.<br />

Pfeffermann MdB fest. Diese Kosten auf die<br />

Mieter abzuwälzen sei nicht nur unmenschlich<br />

und sozial diskriminierend, sondern<br />

auch wirtschaftlich unsinnig, weil kaum<br />

einer das bezahlen könne.<br />

Die ganze Hilflosigkeit einer verfehlten Politik<br />

führe jetzt zur Schelte gegen Amtsleiter<br />

und städtische Mitarbeiter, die doch nur<br />

<strong>den</strong> Mangel verwalten könnten, <strong>den</strong> die<br />

SPD und Liegenschaftsdezernent Gerd Grünewaldt<br />

zu verantworten hätten. Der frühere<br />

Liegenschaftsdezernent Dr. Lutz Wessely<br />

habe dem Magistrat zahlreiche Objekte<br />

zum Ankauf vorgeschlagen, wo Wohnungslose<br />

preiswert hätten untergebracht wer<strong>den</strong><br />

können: zum Beispiel das Hotel ,Hawerkaste’<br />

oder das ehemalige Lehrlingswohnheim<br />

der Post. Diese Vorschläge habe die<br />

Mehrheit im Magistrat abgelehnt. Statt eine<br />

Politik der Vorsorge zu betreiben, habe man<br />

mit dem Verkauf der städtischen Wohnungen<br />

<strong>den</strong> Mangel noch verschärft, kritisiert<br />

Pfeffermann.<br />

An drei Punkten müsse die Offensive gegen<br />

die Obdachlosigkeit ansetzen: Die Wohnungssicherung<br />

sei eine Aufgabe der sozialen<br />

Vorbeugung. Pfeffermann: ,Statt <strong>den</strong><br />

Leuten Zahlungsbescheide ins Haus zu<br />

schicken, gehört hier eine Einzelfallprüfung<br />

nach sozialen Kriterien her.’ Daß Bürgermeister<br />

Peter Benz als Sozialdezernent diese<br />

ungeliebte Aufgabe mit weit weggestrecktem<br />

Arm von sich weise, führe dazu,<br />

daß Zuständigkeitsprobleme zu Lasten der<br />

Betroffenen gingen. Bei der derzeitigen<br />

Situation auf dem Immobilienmarkt werde<br />

„Die Stadt soll Mietrückstände übernehmen“<br />

Grüne zu Wucherpreis für Zimmer von Obdachlosen<br />

„‚Alle zwei Tage wird in Darmstadt wegen<br />

Mietrückstän<strong>den</strong> eine Familie aus ihrer<br />

Wohnung zwangsgeräumt’, sagt Christine<br />

Wiemken, Stadtverord<strong>net</strong>e der Grünen.<br />

Diese obdachlosen Familien sind auf die<br />

Hilfe der Stadt angewiesen. Wie diese Hilfe<br />

aussieht, mußte nun eine Familie erfahren,<br />

die das Liegenschaftsamt in einer Wohnung<br />

untergebracht hat. Die städtische<br />

Behörde verlangt von der Familie für die<br />

Nutzung eines Zimmers einen Wucherpreis<br />

– 2.800 Mark im Monat.<br />

,Bei diesem Betrag kann keine private<br />

Luxuswohnung mithalten’, so Christine<br />

Wiemken weiter. Für sie steht fest, daß sich<br />

die bisherige klassische Obdachlosenpolitik<br />

als wirkungslos erwiesen hat. Sie fordert<br />

deshalb ein städtisches Gesamtkonzept<br />

gegen Obdachlosigkeit. ,Der Magistrat hat<br />

bisher die Verantwortung für die Konzeptionslosigkeit<br />

der städtischen Obdachlosenpolitik<br />

auf Dr. Wessely abgewälzt. Dr. Wessely<br />

ist aber schon lange nicht mehr im<br />

Amt. Geändert hat sich aber <strong><strong>den</strong>n</strong>och<br />

nichts.’<br />

Die grüne Sozialpolitikerin fordert von der<br />

Stadt präventive Maßnahmen, die verhindern<br />

sollen, daß weitere Familien obdachlos<br />

wer<strong>den</strong>. Dazu gehört, daß die Stadt Mietrückstände<br />

übernimmt und durch Mietausfallgarantien<br />

Vermieter zum Verzicht auf<br />

Räumungsklagen bewegt. Das ist für die<br />

Stadt auch finanziell von Vorteil. Die Anmietung<br />

von Hotels, Pensionen und Häusern<br />

zur Verhinderung von Obdachlosigkeit<br />

belastet <strong>den</strong> städtischen Haushalt wesentlich<br />

mehr.<br />

Das Darmstädter Institut Wohnen Umwelt<br />

(IWU) hat bereits 1988 in einem Gutachten<br />

zu Sozialen Brennpunkten ein Gesamtkonzept<br />

gegen Obdachlosigkeit gefordert. Auch<br />

der Deutsche Städtetag hat umfassende<br />

Konzepte erarbeitet, die in einigen Städten<br />

erfolgreich umgesetzt wer<strong>den</strong>. ,Die Stadt<br />

Darmstadt kann also an vorhan<strong>den</strong>e Konzepte<br />

anknüpfen, wenn das politisch<br />

gewollt ist’.<br />

Zu diesem Gesamtkonzept gehört, daß<br />

unter Beteiligung der betroffenen Ämter,<br />

der Freien Träger, der mit dieser Problematik<br />

befaßten Institutionen und der Wohnungsbaugesellschaften<br />

die auf dem Papier<br />

bestehende Wohnungssicherungsstelle<br />

auch tatsächlich eigenständige Entschei-<br />

es schwierig, die Sün<strong>den</strong> der Vergangenheit<br />

gutzumachen und geeig<strong>net</strong>e Objekte zu<br />

kaufen oder langfristig günstig anzumieten.<br />

Das sei aber die einzige Alternative zu der<br />

sinnlosen Drohung mit dem ,Akazienweg’,<br />

die nur zu einer weiteren Stigmatisierung<br />

dieses Wohngebietes führe.<br />

Der letzte Punkt betrifft eine überregionale<br />

Strategie, die Mißbrauch wirksam verhindert.<br />

Es darf nicht geduldet wer<strong>den</strong>, daß<br />

Leute, die anderswo mit Wohnraum versorgt<br />

sind, einfach hier anreisen und als<br />

Obdachlose untergebracht wer<strong>den</strong> müssen.“<br />

CDU-Kreisverband Darmstadt-Stadt<br />

dungen treffen kann. Sie muß mit <strong>den</strong> notwendigen<br />

Kompetenzen ausgestattet wer<strong>den</strong>,<br />

um effektive Hilfe bei Wohnungsnotfällen<br />

und Obdachlosigkeit leisten zu können.<br />

Deshalb sollen in dieser Organisationseinheit<br />

die kommunalen Ressourcen und<br />

Kompetenzen gebündelt wer<strong>den</strong>. Bei der<br />

Wohnungssicherungsstelle soll die Zuständigkeit<br />

liegen für die Verhinderung von<br />

Wohnungsverlusten durch Räumungsklagen,<br />

für die Vermittlung von Ersatzwohnraum,<br />

für die von Räumung bedrohten<br />

Haushalte, für die Beschlagnahme von<br />

Wohnungen, sowie für die Wohnungsbeschaffung<br />

in allen übrigen Wohnungsnotfällen.”<br />

„Mit der Darmstädter Praxis, Obdachlose<br />

zur Finanzierung ihrer Notunterkunft heranzuziehen,<br />

hat sich eine Untergruppe der<br />

Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft e.V.,<br />

das Aktionsbündnis Wohnungsnot, zu dem<br />

sich zahlreiche Einrichtungen und Initiativen<br />

zusammengeschlossen haben, in seiner<br />

letzten Sitzung beschäftigt.<br />

Daß Einzelpersonen oder Familien, die nach<br />

dem Verlust ihrer Wohnung durch die<br />

Obdachlosenbehörde in einer Notunterkunft<br />

untergebracht wer<strong>den</strong>, sich entsprechend<br />

ihres Einkommens an <strong>den</strong> Unterkunftskosten<br />

beteiligen, ist sicherlich<br />

grundsätzlich nicht in Frage zu stellen. Die<br />

Art und Form, mit der allerdings in Darmstadt<br />

versucht wird, die gesamten, völlig<br />

überhöhten Kosten bei dem größtenteils<br />

mittellosen Personenkreis einzutreiben,<br />

zeugt von mangelhafter Sensibilität im<br />

Umgang mit obdachlosen Menschen.<br />

Außerdem ist diese Vorgehensweise auch<br />

rechtlich nicht haltbar.<br />

In erster Linie sieht das Aktionsbündnis<br />

Wohnungsnot jedoch einen Skandal darin,<br />

daß es in Darmstadt über zweitausendfünfhundert<br />

Wohnungsnotstände gibt, wovon<br />

zahlreiche Menschen in Hotels, Pensionen<br />

und Gemeinschaftsunterkünften durch die<br />

Obdachlosenbehörde untergebracht sind<br />

bzw. sogar im Freien leben müssen.<br />

Trotz eingestan<strong>den</strong>er weiterer Zunahme<br />

obdachloser Menschen wer<strong>den</strong> keine wirksamen<br />

Gegenmaßnahmen ergriffen. ,Jeder<br />

Mensch, der in Darmstadt durch <strong>den</strong> Verlust<br />

seiner Wohnung obdachlos wird, ist<br />

einer zuviel’, so das Aktionsbündnis. ,Jeder<br />

Obdachlose ist Ausdruck für das Versagen<br />

der zuständigen Ämter. Denn sowohl das<br />

Amt für Wohnungswesen wie auch das<br />

Sozialamt haben die Aufgabe und rechtliche<br />

Möglichkeiten, Wohnungsverlust zu verhindern.’<br />

Die erwarteten Kosten von 3,2 Millionen<br />

Mark für 1993 könnten nach Auffassung<br />

des Aktionsbündnisses erheblich verringert<br />

wer<strong>den</strong>, wenn endlich die Bereitschaft vorhan<strong>den</strong><br />

wäre, mit allen Mitteln der Zunahme<br />

von Obdachlosigkeit entgegenzuwirken.<br />

Entsprechende Konzepte und Empfehlungen,<br />

etwa des Deutschen Städtetages, der<br />

Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung<br />

und anderer Fachgremien<br />

gibt es seit Jahren. Viele Städte<br />

wie z.B. Köln machen damit positive Erfahrungen.<br />

So ermittelte die Stadt Köln, daß<br />

die Verhinderung und Beseitigung von<br />

Obdachlosigkeit mittelfristig sieben mal<br />

weniger Kosten verursacht als die Finanzierung<br />

von Obdachlosigkeit. Außerdem ist die<br />

Sicherung von Wohnraum menschenwürdiger<br />

als die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften<br />

und Schlichtwohnungen.<br />

Auch für Darmstadt hat das Aktionsbündnis<br />

der PSAG neben anderen Gruppierungen<br />

seit Jahren vor der Zunahme von Obdachlosigkeit<br />

gewarnt und entsprechende Vorschläge,<br />

u.a. zur Errichtung einer vorbeugend<br />

tätigen kommunalen Wohnungssicherungsstelle<br />

gemacht. In einer solchen<br />

Stelle müßten alle Zuständigkeiten zur Verhinderung<br />

von Wohnungsverlust und<br />

Obdachlosigkeit, die zur Zeit auf mehrere<br />

Ämter, wie Amt für Wohnungswesen und<br />

Sozialamt verteilt sind, zusammengefaßt<br />

wer<strong>den</strong>. Jeder Hilfesuchende muß wissen,<br />

wohin er sich wen<strong>den</strong> kann. Denn wenn<br />

Wohnungsverlust droht, sind viele Menschen<br />

verständlicherweise überfordert,<br />

herauszufin<strong>den</strong>, welches Amt gerade für sie<br />

zuständig ist, zwar wird in Darmstadt seit<br />

Jahren über eine Wohnungssicherungsstelle<br />

nachgedacht, funktionieren tut sie bis<br />

zum heutigen Zeitpunkt offensichtlich<br />

jedoch nicht.<br />

Das Aktionsbündnis fordert daher die kommunalpolitisch<br />

Verantwortlichen auf, endlich<br />

konsequent im Rahmen eines Gesamtkonzeptes<br />

alle erforderlichen Maßnahmen<br />

zur Verhinderung neuer und Beseitigung<br />

bestehender Obdachlosigkeit zu ergreifen.<br />

Das Aktionsbündnis Wohnungsnot hofft<br />

hierbei insbesondere auf die neue Koalition<br />

in Darmstadt und bietet auch weiterhin seine<br />

Fachkenntnis und Mitarbeit an.“<br />

H. Varelmann,<br />

Aktionsbündnis Wohnungsnot in der PSAG<br />

S. Gillich, Fachberatungsstelle Teestube


Mehr Demokratie fürchten<br />

Impressionen von<br />

der Urwahl der<br />

Darmstädter SPD<br />

für ihren<br />

Kanzlerkandidaten<br />

Der Spruch des Tages kam wieder einmal<br />

aus Bonn: „Es gehört“, so sprach Interimsvorsitzender<br />

Johannes Rau, zum Wesen<br />

von Überraschungen, daß man mit ihnen<br />

nicht rech<strong>net</strong>. Arme alte Tante SPD! Solche<br />

Angst hatte sie, sich zu blamieren, daß<br />

56,5% Wahlbeteiligung in der Partei bejubelt<br />

wur<strong>den</strong> wie eine gewonnene Bundestagswahl.<br />

Plötzlich erfaßte Optimismus die<br />

Bonner Mannschaft: indem man die eigene<br />

Basis neu entdeckte, hatte man das ganze<br />

Wahlvolk fest im Blick. Und können sich die<br />

Darmstädter Genossen (52,42% Wahlbeteiligung),<br />

kommunalwahlgebeutelt, davon<br />

nicht auch eine Scheibe abschnei<strong>den</strong>?<br />

Bonjour tristesse! Da liegt das kleine Häuschen<br />

im morgendlichen Nieselregen,<br />

sonntäglich verwaiste Straßen, weit und<br />

breit ist kein Mensch zu sehen. Kein Plakat<br />

kündet davon, daß es hier geschehen soll:<br />

ein Ortsverein stimmt über <strong>den</strong> Bundesparteivorsitz<br />

ab. Die Stille macht unsicher;<br />

zaghaft betrete ich das Gebäude. Drinnen<br />

ist die Stimmung gut. Aber ich muß mich<br />

wohl doch in der Adresse geirrt haben.<br />

„Seniorenbegegnungsstätte“ steht über der<br />

Tür, und genau das treffe ich an: einen fröhlichen<br />

Rentnerfrühschoppen. Angeregt<br />

wird geplaudert: Die Gefährlichkeit von<br />

Herzflimmern ist in der Diskussion, und<br />

welche Früchte Nachbars Garten trägt („Die<br />

sind früh dieses Jahr, die Erdbeeren!“). Nur<br />

die Wahlurne aus Pappkarton und Klebeband<br />

verrät, daß ich hier richtig bin. Der<br />

„Tag des Ortsvereins”, so hatte der Fraktionsvorsitzende<br />

Horst Knechtel in einem<br />

Brief die Mitglieder belehrt, solle „im Sinne<br />

Willy Brandts mehr Demokratie wagen“,<br />

„ein Beispiel geben für das Engagement<br />

und die Lebendigkeit der Partei“. Diskussionen,<br />

Information und das persönliche<br />

Gespräch zwischen Basis, Bürgern und<br />

Funktionären sollten <strong>den</strong> Tag ausfüllen, gab<br />

die Parteizentrale vor. Nicht nur eine Kandidatenkür<br />

sollte es sein, sondern „ein Aufgalopp<br />

für 20 Wahlen“ (Johannes Rau), ein<br />

Motivationsschub für die frustrierte Basis,<br />

ein gesellschaftlicher Vertrauensbonus für<br />

eine Partei, die zusehends in Agonie verfiel.<br />

Und gab es nicht wirklich überall im Land<br />

Ortsvereine, die für einen neuen Stil auch<br />

neue Ausdrucksformen suchten?<br />

Die Darmstädter Genossen erfuhren das<br />

aus <strong>den</strong> Medien. Ihr Tag des Ortsvereins<br />

war stinknormal und stinklangweilig. Der<br />

neue Fraktionsvorsitzende etwa beschränkte<br />

die innerparteiliche Demokratie wie<br />

üblich auf die Abgabe eines Stimmzettels.<br />

Was meinte er nur, wenn er <strong>den</strong> Mitgliedern<br />

zuvor „einen Rahmen für Begegnungen und<br />

Gespräche“ in Aussicht stellte? Erschöpfte<br />

sich doch alle sichtbare Aktivität der Funktionäre<br />

dann darauf, im 2-Stun<strong>den</strong>-Wechsel<br />

die Wahlurne zu bewachen. Selbst die<br />

treuen Rentner der SPD –auf die Politik angesprochen<br />

– wur<strong>den</strong> plötzlich schwermütig.<br />

Sei doch zu befürchten, daß bei knappem<br />

Wahlausgang „die da oben“ sich mauschelnderweise<br />

doch wieder über die Köpfe<br />

der Basis hinweg einigen wür<strong>den</strong>. Dabei<br />

muß man als Darmstädter Sozi, was das<br />

Mauscheln angeht, nicht erst nach Bonn<br />

fahren. Keine eigene Kandidatenkür, keine<br />

Sachentscheidung der letzten Jahre, die<br />

Parteimitglieder nicht scharenweise in <strong>den</strong><br />

Karteileichenzustand getrieben hätte (oder<br />

gleich ganz aus der Partei). Da mußte sich<br />

als sozialdemokratischer Zombie fühlen,<br />

wem der Wahlzettel mit dem schönen Aufdruck<br />

ins Haus flatterte: „Wir re<strong>den</strong> mit.<br />

SPD.“<br />

Noch am Rande des Parteitages nach der<br />

Kommunalwahl munkelte es vom Wandel.<br />

In der Nach-Metzger-Ära, so etwa Hanno<br />

Benz, Sohn des neuen OB, „tue sich etwas<br />

in der Partei“. Da werde sich, so raunte gar<br />

Eike Ebert kryptisch, vieles ändern in der<br />

SPD. Was dem Juso-Chef noch als Familiensolidarität<br />

ausgelegt wer<strong>den</strong> kann, entpuppt<br />

sich bei anderen Funktionären doch<br />

wieder nur als Politikerfloskel. Oder habe<br />

ich bei Horst Knechtels „Tag des Ortsvereins“<br />

etwas Wichtiges verpaßt?<br />

Am Nachmittag hat es zu regnen aufgehört.<br />

Ein kleines Mädchen führt ihren Hund aus<br />

und zwei Rentnerinnen kommen plauschend<br />

die Straße entlang. Bei der SPD sind<br />

es jetzt weniger gewor<strong>den</strong>, die biertrinkend<br />

zusammensitzen und klönen, aber die sind<br />

– bezeichnend für die Partei – auch bedeutend<br />

jünger: glatte zehn Jahre. Mit dem<br />

Fernsehen hat man es („Wie heißt der Dicke<br />

da, der immer da ist?“), und auf Nachfrage<br />

auch mit Politik. Die Heidi, sinniert lokalpatriotisch<br />

die Dame, die inzwischen die Urne<br />

bewacht, habe doch Chancen: durch <strong>den</strong><br />

Frauenbonus. Und überhaupt sei man<br />

zufrie<strong>den</strong>. So viele hätten mal vorbeigeschaut.<br />

Bonsoir tristesse!<br />

Kleiner Nachtrag: Von 2743 Darmstädter<br />

GenossInnen nahmen 1281 an der Abstimmung<br />

teil. Für Heidi Wieczorek-Zeul stimmten<br />

35,6%, für Gerhard Schröder 16,8%<br />

und für Rudolf Scharping 47,6%. Scharping<br />

ist es nun gewor<strong>den</strong>. Ob das gut oder<br />

schlecht ist für die SPD, wird sich weisen<br />

müssen. Die Darmstädter Sozialdemokratie<br />

Sozialdemokratische Partei Deutschlands<br />

Ortsverein Heimstättensiedlung<br />

Liebe Genossinnen, Liebe Genossen,<br />

sicherlich seid Ihr mit mir der gleichen Meinung,<br />

daß nach dem Ausschei<strong>den</strong> von<br />

Björn Engholm, aus dem Amt des 1. Vorsitzen<strong>den</strong><br />

unserer Partei, es dringend an der<br />

Zeit ist, einen neuen Parteivorsitzen<strong>den</strong> zu<br />

wählen.<br />

Bewerber sind Rudolf Scharping, Gerhard<br />

Schröder und Heidi Wieczorek-Zeul.<br />

Es liegt in unserer Hand, der derzeitigen<br />

Parteiführung klar zu machen, wer unsere<br />

Partei als neuer Vorsitzender in <strong>den</strong> bevorstehen<strong>den</strong><br />

Bundestagswahlkampf führen soll.<br />

Wir brauchen endlich wieder eine<br />

Führungskraft, die sachlich, glaubwürdig<br />

und besonnen überzeugt, und mit klaren<br />

Entscheidungen für unsere Partei und<br />

unser Land arbeitet.<br />

Für mich und viele meiner Freunde wäre<br />

dies Rudolf Scharping, Ministerpräsi<strong>den</strong>t<br />

in RPL.<br />

Entscheidet Ihr auf beiliegendem Stimmzettel,<br />

wer Euer Kandidat/Kandidatin ist.<br />

Wir bitten Euch um Stimmabgabe bis zum<br />

Sonntag, <strong>den</strong> 13.6.93.<br />

je<strong>den</strong>falls hat, von Ausnahmen in Eberstadt<br />

und Kranichstein abgesehen, nach meinem<br />

Eindruck eine gute Chance verstreichen lassen,<br />

um sich Basis und Bürgern als dialogbereit<br />

und meinungsoffen zu präsentieren.<br />

Vielleicht beschäftigte die Aussicht auf <strong>den</strong><br />

Machterhalt – trotz verlorener Kommunalwahl<br />

– die Spitzengenossen so sehr, daß<br />

ein Programm für diesen Tag sie schlicht<br />

überfordert hätte. Vielleicht haben sie auch<br />

immer noch nicht gemerkt, wie nötig ihre<br />

Partei in Darmstadt neue Umgangsformen<br />

braucht, um wieder Glaubwürdigkeit und<br />

politische Gestaltungskraft zu gewinnen.<br />

Mir hat ein Funktionär am Rande der Veranstaltung<br />

erzählt, er wisse schon lange nicht<br />

mehr, wie man die Bürger zur Mitarbeit<br />

motivieren solle. Das hier war so eine Gelegenheit.<br />

Und nicht einmal Günther Metzger kann<br />

mehr die Schuld dafür geben, sie verpaßt zu<br />

haben. Toujours tristesse, SPD?<br />

August Babel<br />

Demokratieverständnis à la SPD<br />

Stadtrat Erb versucht GenossInnen zu beeinflussen<br />

Mit einer Plakatausstellung<br />

gegen Ausländerfeindlichkeit<br />

ist die Arbeitsgruppe „Reaktion“<br />

von der FH Darmstadt auf der<br />

UN-Menschenrechtskonferenz<br />

in Wien vertreten.<br />

a) durch Briefeinwurf beim Ortsvereinsvorsitzen<strong>den</strong>,<br />

Am Pelz 39 oder<br />

b) durch Briefeinwurf beim Genossen H.<br />

Hemmel, Ö<strong>den</strong>burger Str. 50 oder<br />

c) durch Stimmabgabe am Sonntag, <strong>den</strong><br />

13.6.93, während des Sommerfestes der<br />

Siedlergemeinschaft in der Zeit von 11-14<br />

Uhr, im Tennis-Clubheim der SG Eiche,<br />

Heimstättenweg 99b. Eine Wahlurne ist hier<br />

vorhan<strong>den</strong>.<br />

Bitte macht regen Gebrauch von der erstmals<br />

geschaffenen Möglichkeit der Basisbefragung.<br />

Vielen Dank<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

gez. Georg Erb, 1. Vorsitzender, Stadtrat<br />

Wilhelm Roth, Schriftführer<br />

Eine Leserin schickte uns diesen Brief<br />

mit folgendem Anschreiben zu:<br />

Betr.:<br />

Basisvorschlag für SPD-Kanzlerkandidat(-in)<br />

Eingang beider Unterlagen am heutigen<br />

Tage. Am hier gewählten Vorgehen scheint<br />

mir einiges skandalös. Kopien gehen an alle<br />

3 Kandidaten (mit Datum vom 10.6.93)<br />

Es war einmal eine kleine Gemeinde in<br />

Deutschland: Sie trug <strong>den</strong> schönen Namen<br />

Mühltal. Doch hinter <strong>den</strong> Rollä<strong>den</strong> und<br />

Türen der gehobenen Wohnhäuser, da<br />

schlummerten auch in dieser Gemeinde<br />

Rassisten. Freilich, es dauerte, bis sich dies<br />

offenbarte und schließlich nicht mehr verheimlichen<br />

ließ.<br />

Zuerst, da wollten die BürgerInnen weltoffen<br />

sein, sich vorbildlich gegen Frem<strong>den</strong>feindlichkeit<br />

engagieren. Man schrieb <strong>den</strong><br />

Winter 1992. Während überall in der deutschen<br />

Republik Nacht für Nacht Menschen<br />

aus anderen Nationalitäten verprügelt, verbrannt<br />

und getötet wur<strong>den</strong>, da wollte Mühltal<br />

ein Zeichen setzen: Karl-Heinz Goll und<br />

andere rechtschaffene BürgerInnen gründeten<br />

die „Initiative gegen Frem<strong>den</strong>feindlichkeit<br />

und Rechtsradikalismus“, es wur<strong>den</strong><br />

Arbeitskreise gebildet, Diskussionen<br />

veranstaltet. Friedliches Zusammenleben,<br />

Weltoffenheit, Solidarität, Gastfreundschaft<br />

und Toleranz – das hatten sie auf ihre Fahnen<br />

geschrieben.<br />

Anfang März wählten knapp 5 Prozent der<br />

BürgerInnen Parteien, deren Parolen lauteten:<br />

„Deutschland zuerst“ und „Deutschland<br />

<strong>den</strong> Deutschen“. Die „Mühltaler Nachrichten“<br />

schrieben über eine Podiumsdiskussion<br />

der BI „Über Deutschland re<strong>den</strong>“<br />

(26. März), an der unter anderem der Autor<br />

Heleno Saña (s.a. Buchbesprechung S. 12)<br />

teilgenommen hatte: „Alles andere als<br />

sachlich“, „Diskriminierungen Deutschlands<br />

… mit Arroganz vorgetragen.“ Der<br />

wohl selbst rechts orientierte Schreiber,<br />

Klaus Bock, kommentierte: „Fragwürdig ist<br />

weiterhin, ob die zunehmende Ausländerfeindlichkeit<br />

mit dem sehr in Frage gestellten<br />

Wahlrecht für Ausländer verknüpft wer<strong>den</strong><br />

soll. Wir sollten zunächst das Asylproblem<br />

lösen und dann nach neuen Rechten<br />

schreien.“ – Solidarität, Toleranz? Nein,<br />

Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 7<br />

Doch hinter <strong>den</strong> Türen,<br />

da hocken Rassisten<br />

Trautheimer Bürger<br />

wehren sich gegen<br />

<strong>den</strong> Bau eines<br />

Flüchtlingsheims –<br />

kein Platz für<br />

Ausländer<br />

jetzt war die Rede von einem Problem,<br />

davon, <strong>den</strong> AusländerInnen, <strong>den</strong> Nicht-<br />

Deutschen auf keinen Fall die gleichen<br />

Rechte wie allen anderen zu gewähren:<br />

„Deutschland <strong>den</strong> Deutschen!“<br />

Gewiß, einzeln regte sich noch Widerspruch.<br />

So schrieb BI-Sprecher Goll in<br />

einem Leserbrief (ebd.): „Ausländerfeindlichkeit<br />

und vorenthaltene Rechte stehen in<br />

engstem Zusammenhang. Es ist mit Demokratie<br />

nicht vereinbar, Menschen, die in<br />

unserem Land geboren sind, die hier arbeiten,<br />

Steuern zahlen, zur Schule gegangen<br />

sind, wesentliche staatsbürgerliche Rechte<br />

zu verweigern, nur weil sie keine deutschen<br />

Eltern haben. Diese Gesetzespraxis stammt<br />

aus Blut & Bo<strong>den</strong>-Zeiten und muß dringend<br />

verändert wer<strong>den</strong>.“<br />

Doch dann kam der Monat Mai und von der<br />

hessischen Landesregierung der Bescheid,<br />

die Gemeinde müsse Anfang Juli 106 Asylbewerber<br />

aufnehmen. Wohin mit <strong>den</strong>en?<br />

Einen Teil wolle man in ein Containerlager<br />

am Bahnhof stecken, entschied die Gemeindeverwaltung.<br />

Ein Mühltaler Bauherr<br />

witterte sogleich Riesengewinne, die sich in<br />

der ganzen Republik mit der Not der Ankommen<strong>den</strong><br />

verdienen lassen: Auf einem<br />

Baugrundstück am Pfingstwei<strong>den</strong>weg in<br />

Trautheim wollte er ein „Asylantenheim“ für<br />

42 BewohnerInnen errichten. Was Gemeindepolitiker<br />

und Bauherr dabei übersahen:<br />

Die AnwohnerInnen wollten keinesfalls<br />

Flüchtlinge in ihrer Nähe haben – Gastfreundschaft<br />

hin oder her, Unmut wurde<br />

laut und lauter. „… ein solches sensibles<br />

Problem mitten in einem Wohngebiet, wie<br />

Trautheim, (müsse) vorher mit <strong>den</strong> Bürgern<br />

der Nachbarschaft … zu erörtern sein,“<br />

meinte Bock in <strong>den</strong> „Mühltaler Nachrichten“.<br />

Und sogar die BI schrieb: „Wir haben<br />

Verständnis für Unmut.“ Die Aufnahme von<br />

106 Flüchtlingen sei eine „konkrete Gemeinschaftsaufgabe<br />

…, (für die Bürger) die<br />

z.T. einen Eingriff in ihr bisheriges Wohnumfeld<br />

erfahren…“ Auch wenn dies als<br />

Vermittlungsversuch gewertet wer<strong>den</strong><br />

kann: solche Begriffszuweisungen wie<br />

„Flüchtlinge – Problem – Eingriff“ zementieren<br />

Vorurteile gegenüber Menschen anderer<br />

Nationalitäten behend weiter. Der Schoß ist<br />

fruchtbar noch, aus dem es kroch.<br />

60 Trautheimer BürgerInnen gründeten<br />

sodann eine „Bürgerinitiative gegen Asylantenheim<br />

in Trautheim“, weil sie „Lärmbelästigung<br />

und offene Konflikte unter <strong>den</strong> 42<br />

Asylbewerbern in der geplanten Unterkunft<br />

im Pfingstwei<strong>den</strong>weg befürchten … für<br />

Ausschreitungen geradezu prädestiniert“,<br />

schrieben die „Mühltaler Nachrichten“.<br />

„Asylanten – Lärm – Konflikte – Ausschreitungen“<br />

– Wer will so was schon in seiner<br />

Nachbarschaft haben? „Jeder hat Angst in<br />

die Nähe seines Eigentums ein Asylantenwohnheim<br />

zu bekommen“, resümierte das<br />

Blatt und schlug sich erneut auf die Seite<br />

des häßlichen Deutschen.<br />

Und die Protestieren<strong>den</strong> setzten sich durch,<br />

der Bauherr gab seine Pläne auf. Deutschland<br />

1993: Ein Herz für Tiere – Kein Platz für<br />

Flüchtlinge. Wohin also mit <strong>den</strong> AsylbewerberInnen?<br />

Am Bahnhof war nur Platz für 44<br />

Menschen. In Turnhallen, leerstehende<br />

Häuser? Das „Darmstädter Echo“ schrieb:<br />

Bürgermeister Ansgar Rinder „… werde<br />

aber auch gegenüber <strong>den</strong> zuweisen<strong>den</strong><br />

Stellen … deutlich machen, daß sowohl in<br />

der Bevölkerung als auch in <strong>den</strong> Gemeindeorganen<br />

keine Bereitschaft bestehen, noch<br />

weiter – zum überwiegen<strong>den</strong> Teil aussichtslose<br />

– Asylbewerber aufzunehmen.“<br />

Auch die Gemeindepolitiker schlugen sich<br />

auf die Seite der Deutschen, die um ihr<br />

Eigentum und ihre Ruhe fürchteten und<br />

dabei nur an sich selbst dachten.<br />

Es war einmal eine kleine Gemeinde in<br />

Deutschland: sie trug <strong>den</strong> schönen Namen<br />

Mühltal. Doch hinter <strong>den</strong> Rollä<strong>den</strong> und Türen<br />

der gehobenen Wohnhäuser, da hockten<br />

auch in dieser Gemeinde Rassisten.<br />

Eva Bredow<br />

Wer gegen diese Ausländerfeindlichkeit<br />

ein neues Zeichen setzen will, ist eingela<strong>den</strong><br />

zum „Solidaritätsfest“ der BI gegen<br />

Frem<strong>den</strong>feindlichkeit und Rechtsradikalismus,<br />

an dem sich auch Mühltaler<br />

Sportvereine und Parteien beteiligen: am<br />

Samstag (26.) im Bürgerzentrum Nieder-<br />

Ramstadt. Ab 14 Uhr gibt es u.a. griechische<br />

Lieder, spanische Tänze, türkische<br />

Folklore und einen Straßenumzug.


Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 8<br />

„Wir glaubten, nun ist er da,<br />

der Rassenkrieg“<br />

Das Lawaaikamp, ein städtisches, umzäuntes Gelände, in dem Schwarze untergebracht sind<br />

1952wurde ich in Südafrika<br />

geboren. Auch meine Eltern lebten<br />

schon hier und eine meiner Großmütter.<br />

Erzogen wurde ich deutschsprachig, ich bin<br />

jedoch im Herzen immer eine Afrikanerin<br />

gewesen.<br />

Ich wuchs in der Apartheidzeit auf. Wir hatten<br />

unsere Dienstboten, die entweder im<br />

Hinterzimmer wohnten (sieben Quadratmeter<br />

groß und ohne heißes Wasser) oder in<br />

einer der sogenannten Townships weit<br />

außerhalb unserer weißen Stadtviertel.<br />

Abends um 10 Uhr tönte eine Sirene,<br />

danach hatte kein Schwarzer mehr auf der<br />

Straße zu sein.<br />

Das alles war für mich normal – ich kannte<br />

es nicht anders. Normal war für mich auch,<br />

daß Schwarzen unsere Parks verboten<br />

Mrs. Anna Moloi, Putzfrau in Johannesburg<br />

(Foto: Lesley Lawson)<br />

waren, daß die Postämter zwei Eingänge<br />

und daß Schwarze in Hotels und Restaurants<br />

keinen Zutritt hatten…<br />

Als normal empfand ich auch, daß wir von<br />

unseren schwarzen Angestellten erwarteten,<br />

daß sie Englisch und Afrikaans sprachen,<br />

wir uns jedoch nicht die Mühe machten,<br />

eine ihrer Sprachen zu lernen.<br />

Ich fing früh an Zeitungen zu lesen. Vieles<br />

wurde dort aber nicht berichtet und anderes<br />

im Interesse der Regierung verdreht und<br />

verzerrt. Viele Bücher und Zeitschriften<br />

waren verboten. So hatte ich zum Beispiel<br />

keine Möglichkeit, <strong>den</strong> „Freedom Charter“<br />

des African National Congress (ANC) zu<br />

lesen. Ich fragte mich, warum Nelson Mandela<br />

lebenslang im Gefängnis saß? Gab ich<br />

mich mit der Antwort: „Er ist ein Terrorist“<br />

zufrie<strong>den</strong>? Ich weiß es heute nicht mehr.<br />

Habe ich als Jugendliche überlegt, warum<br />

Schwarze diskriminiert wer<strong>den</strong>? Auch das<br />

weiß ich heute nicht mehr.<br />

Mr. Peter Oliphant im Nachtasyl<br />

(Foto: Michael Barry)<br />

Aber irgendwann ist in meinem Leben eine<br />

Wende eingetreten. Wann dies begann, ist<br />

schwer zu sagen. Irgendwann habe ich unsere<br />

Rassenpolitik in Frage gestellt. Vielleicht<br />

hatte das damit zu tun, daß ich häufig<br />

Kontakt zu Nicht-Südafrikanern hatte, und<br />

daß sie mir Fragen stellten, die mir selbst<br />

nie in <strong>den</strong> Kopf gekommen waren. Ich suchte<br />

nach Antworten. Vielleicht hatte es auch<br />

damit zu tun, daß es mir und meiner Familie<br />

sehr gut ging und ich mich irgendwann<br />

fragte, ob der Abstand zwischen Wohlstand<br />

und Armut seine Richtigkeit hat. Vielleicht<br />

lag es auch an meiner eigenen schwarzen<br />

Angestellten, die bestimmt meine Intelligenz<br />

hat, die aber durch unsere Apartheid<br />

nie die gleichen Chancen hatte wie ich.<br />

Auf je<strong>den</strong> Fall freute ich mich, als im Februar<br />

1991 der ANC legalisiert und Nelson<br />

Mandela nach 27 Jahren Haft entlassen<br />

wor<strong>den</strong> war. Wir haben alle vor dem Fernseher<br />

geklebt, die Freude und der Optimis-<br />

Eine deutschstämmige<br />

weiße Südafrikanerin berichtet:<br />

(Foto: Bee Berman)<br />

mus waren groß. Wir dachten, nun gibt es<br />

endlich eine Lösung der Probleme.<br />

Aber dann trat Unsicherheit und Angst ein:<br />

Es gab keinen Frie<strong>den</strong>. Noch mehr Menschen<br />

kamen ums Leben. Bestechungen<br />

und Lügen wur<strong>den</strong> aufgedeckt. Und hinter<br />

vielen Ereignissen stehen nach wie vor<br />

große Fragezeichen. Gespräche und Verhandlungen<br />

zwischen der weißen Regierung<br />

und <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en schwarzen<br />

Parteien wur<strong>den</strong> geführt und wieder abgebrochen<br />

und wieder aufgenommen…<br />

Sollte ich um meiner Sicherheit willen auswandern?<br />

Doch ich konnte mir nicht vorstellen<br />

in Europa zu leben, in einem langen<br />

und kalten Winter, keinen Garten mehr zu<br />

haben, in einer kleinen Wohnung, in einer<br />

anderen Kultur leben zu müssen.<br />

Ich hatte wie viele andere Angstvorstellungen<br />

von einem schwarzen Aufstand gegen<br />

uns Weiße, daß wir über Nacht unser Land<br />

verlassen müßten… oder aber, daß wir es<br />

„Nur wenn wir uns für präsentabel<br />

halten, tun’s die anderen auch“<br />

Podiumsdiskussion über Gewalt gegen Schwule und Lesben<br />

Gewaltakte gegen Schwule und Lesben tauchen<br />

in <strong>den</strong> Kriminalstatistiken nicht auf –<br />

da wird nur nach Geschlecht, Alter, Täter<br />

oder Opfer und Nationalität aufgeschlüsselt.<br />

Auch innerhalb der meisten Polizeireviere<br />

sind solche Übergriffe nicht bekannt.<br />

Daß das nicht der (Darmstädter) Wirklichkeit<br />

entspricht, machte die Podiumsdiskussion<br />

im Rahmen der 2.Schwul-Lesbischen<br />

Kulturwoche (22.) deutlich.<br />

Eine lesbische Darmstädter Polizistin<br />

erzählt: „Als ich mit meinen Kollegen spät<br />

abends im Herrngarten ankam, saß da der<br />

Mann total fertig auf einer Bank. Er war in<br />

<strong>den</strong> Büschen überfallen und beraubt wor<strong>den</strong>.<br />

Ich habe ihn überzeugt, mit aufs<br />

Revier zu kommen und Anzeige zu erstatten.<br />

Dann kam noch einer, um eine Zeugenaussage<br />

zu machen, er hatte <strong>den</strong> Vorfall<br />

gesehen. Er ist Bauchtänzer und ich kenne<br />

ihn. Alle Kollegen auf dem Revier haben<br />

mich und ihn ausgelacht: ,so einen kennst<br />

du?’“ Doch auch dieser Überfall wird nirgends<br />

als Gewalt gegen einen Schwulen<br />

auftauchen: „In der Anzeige habe ich es<br />

nicht geschrieben. Ich wollte ihn nicht<br />

bloßstellen“, erklärt sie.<br />

Die meisten schwulen und lesbischen Opfer<br />

verlegen <strong>den</strong> Tatort an uneindeutigere Plätze<br />

oder verheimlichen <strong>den</strong> Grund des Überfalls.<br />

Und die allermeisten gehen erst gar<br />

nicht <strong>den</strong> Weg zur Polizei, aus Scheu oder<br />

weil sie der Ansicht sind, das nütze ja doch<br />

nichts. 80 bis 90 Prozent soll die Dunkelziffer<br />

hoch sein, sagt Moderator Thomas<br />

Rombach. Der Frankfurter Kriminalist Bernhard<br />

Kowalski erzählt, 1987 hätten sie<br />

einen Mann geschnappt, der dann 200<br />

Straftaten meist gegen Schwule gestand.<br />

Lediglich sieben waren bekannt. Kowalski<br />

weiß auch, daß die Straßengewalt jedes<br />

Jahr erheblich ansteigt.<br />

Macht es Sinn, daß Schwule in <strong>den</strong> Statistiken<br />

auftauchen? Ein ambivalentes Thema:<br />

Noch sind die „Rosa Listen“ im Sinn, mit<br />

deren Hilfe Homosexuelle von <strong>den</strong> Nationalsozialisten<br />

gebranndmarkt, verfolgt und<br />

getötet wor<strong>den</strong> waren.<br />

nicht mehr schaffen wür<strong>den</strong>, rechtzeitig zu<br />

fliehen.<br />

Und dann passierte etwas Schreckliches:<br />

Am Tag nach Karfreitag lag Chris Hani,<br />

Generalsekretär der südafrikanischen Kommunistischen<br />

Partei, tot vor seinem Haus.<br />

Er war von einem rechtsradikalen Weißen<br />

erschossen wor<strong>den</strong>. Wir glaubten, nun ist<br />

er da, der Rassenkrieg. Viele Trauerfeiern<br />

wur<strong>den</strong> angesagt, in vielen Städten gab es<br />

Märsche, die Beisetzung sollte in einer<br />

weißen Wohngegend sein… Wir sahen nur<br />

noch schwarz – anders gesagt: Wir hatten<br />

schreckliche Angst.<br />

Die Trauerfeiern und die Beisetzung sind<br />

vorbei. An diesem Tag stand Südafrika einfach<br />

still. Ich habe – aus Distanz – mitgetrauert.<br />

Als ich mir die Fernsehberichte<br />

ansah, habe ich geweint: für Chris Hani, für<br />

seine Familie, für unser Land und für die<br />

Ungerechtigkeiten, die in unserem Land so<br />

lange bestan<strong>den</strong> und geduldet wor<strong>den</strong> sind.<br />

Ich habe Chris Hanis Würde und Stärke bewundert.<br />

Doch meine größte Bewunderung<br />

galt in diesen Tagen dem ANC – wie er es<br />

geschafft hat, diese riesigen Massen relativ<br />

ruhig zu halten, als ihre Anführer zu Mäßigung<br />

und Frie<strong>den</strong> aufriefen. Zum größten<br />

Teil ist dies ja auch eingetreten. Hätten wir<br />

Weißen dieses unter vergleichbaren Umstän<strong>den</strong><br />

fertiggebracht? Ich glaube nein.<br />

Meine Angst schwand, und der ANC wuchs<br />

in meinem Ansehen von Minute zu Minute.<br />

Vor dem Fernseher dachte ich: „An die<br />

könnte ich glauben“ und „die könnten uns<br />

vielleicht eine Zukunft bieten“.<br />

Unser Leben geht weiter – mit einem gravieren<strong>den</strong><br />

Unterschied: Chris Hani, dessen<br />

politische Ansichten ich zwar nicht geteilt,<br />

<strong>den</strong> ich als Mensch jedoch sehr bewundert<br />

habe, löste durch seinen tragischen und<br />

frühzeitigen Tod in meinem Leben eine<br />

große Wende aus. Ich weiß jetzt, daß wir<br />

unter einer schwarzen Regierung leben<br />

können, daß wir eine Zukunft in Südafrika<br />

haben wer<strong>den</strong>.<br />

Ich sehe dem „neuen Südafrika“ mit Interesse<br />

und Hoffnung entgegen!<br />

Alle Bilder sind entnommen aus „South Africa:<br />

The cordoned Heart, Essays by Twenty South<br />

African Photographers“, ed. by Omar Badsha,<br />

publ. by The Gallery Press, Cape Town 1986<br />

8.000 Unterschriften<br />

für freie und faire<br />

Wahlen<br />

Die Anti-Apartheid-Bewegung und die<br />

Lokalgruppe Darmstadt wollen <strong>den</strong> demokratischen<br />

Prozeß in Südafrika unterstützen.<br />

Zu diesem Zweck haben sie in <strong>den</strong> letzten<br />

Wochen Unterschriften für eine Petition<br />

„Freie und faire Wahlen in Südafrika“<br />

gesammelt. Am 16. Juni 93, dem Erinnerungstag<br />

an <strong>den</strong> Schüleraufstand in Soweto,<br />

wur<strong>den</strong> insgesamt 8.000 Unterschriften<br />

in der Südafrikanischen Botschaft in Bonn<br />

übergeben.<br />

Zur Unterstützung des African National<br />

Congress im Wahlkampf ruft die Anti-<br />

Apartheid-Bewegung zu Spen<strong>den</strong> auf. Für<br />

einen basisorientierten Wahlkampf soll<br />

Geld für 188 Megaphone gesammelt wer<strong>den</strong>.<br />

Spen<strong>den</strong> auf das Konto 1019 894 500<br />

bei der Bank für Gemeinwirtschaft, Bonn,<br />

unter dem Stichwort: „Megaphone für <strong>den</strong><br />

ANC“.<br />

vro<br />

Aus dem Publikum kommt der Wunsch<br />

nach einem Ansprechpartner bei der Darmstädter<br />

Polizei. Frau Walter, Leiterin des<br />

Darmstädter Sittendezernats, verspricht,<br />

diese Bitte weiterzugeben. Man müsse<br />

allerdings einen Freiwilligen fin<strong>den</strong>. Die junge<br />

Polizistin ist dazu (noch) nicht bereit.<br />

Sie fordert zwar alle Bekannten auf, Überfälle<br />

dann zu mel<strong>den</strong>, wenn sie Dienst hat –<br />

„Ich würde niemandem empfehlen wegen<br />

einer Anzeige aufs 1.Revier zu gehen“, aber<br />

ihre Kollegen wissen nicht, daß sie lesbisch<br />

ist. „Wenn die das wüßten, wäre das monatelang<br />

das Gesprächsthema“, sagt sie. Später<br />

fügt sie hinzu: „Als Frau hat man eh verloren.<br />

Vielleicht kann’s gar nicht schlimmer<br />

wer<strong>den</strong>?“<br />

Gewalt gegen Schwule: das sind nicht nur<br />

Überfälle, Erpressungen, Raub, das sind<br />

vor allem tägliche Diskriminierungen, von<br />

der Familie, von <strong>den</strong> Kollegen. Präventiv<br />

hilft in <strong>den</strong> meisten Fällen selbstbewußtes<br />

Auftreten, meint die Runde. Das wissen<br />

Frauen schon lange. Aus dem Publikum rief<br />

es: „Nur wenn wir uns für präsentabel halten,<br />

tun’s die anderen auch.“ vro<br />

Die Frankfurter Schwulen Anti-Gewalt-<br />

Gruppe „unschlagbar“ hat ein Notruf-<br />

Telfon: 069/283535 (Di u.Do 19 -21 Uhr).


Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 9<br />

„... dort wo man Bücher verbrennt,<br />

verbrennt man auch am Ende Menschen “ Heinrich Heine<br />

21. Juni 1933<br />

60. Jahrestag der<br />

Bücherverbrennung in Darmstadt<br />

Am<br />

10. Mai l933 wur<strong>den</strong> in<br />

<strong>den</strong> deutschen Universitätsstädten<br />

Scheiterhaufen<br />

aus Büchern errichtet und in Brand<br />

gesteckt. Die Vorgeschichte der Bücherverbrennung<br />

ist von der Kampfansage der<br />

Nationalsozialisten gegen <strong>den</strong> „jüdisch-marxistisch-liberalistischen<br />

Ungeist“ geprägt,<br />

wie die Goebbel’sche Sprachregelung dies<br />

bezeich<strong>net</strong>e, eine Ankündigung, die von <strong>den</strong><br />

Nazis sofort nach der Machtübertragung im<br />

Januar 1933 mit allen Mitteln des Terrors<br />

und des gleichgeschalteten Staatsapparats<br />

in brutale Realität verwandelt wurde.<br />

Die offene Verfolgung von Intellektuellen und<br />

Schriftstellern hatte schon im Februar 1933<br />

begonnen: Als Käthe Kollwitz und Heinrich<br />

Mann die deutsche Arbeiterschaft zum<br />

gemeinsamen Widerstand gegen <strong>den</strong><br />

Faschismus aufriefen, wur<strong>den</strong> sie aus der<br />

„Preußischen Akademie der Künste“ ausgeschlossen.<br />

Von <strong>den</strong> Massenverhaftungen<br />

nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar<br />

1933, die der politischen Opposition, vor<br />

allem <strong>den</strong> Kommunisten galten, wur<strong>den</strong><br />

auch Künstler und Schriftsteller erfaßt –<br />

unter ihnen Erich Mühsam und Carl von<br />

Ossietzky; beide wur<strong>den</strong> ins KZ geschleppt<br />

und sind später an <strong>den</strong> Haftfolgen gestorben.<br />

„Säuberungen“ der Akademien und Hochschulen,<br />

Flucht und Exil fast aller Verfemten,<br />

Haft, Existenzvernichtung und auch Selbstmord<br />

aus Verzweiflung (Tucholsky, Toller,<br />

Stefan Zweig, Hasenclever) folgten. Freie<br />

Kunst, Wissenschaft und Literatur wur<strong>den</strong><br />

unterdrückt und die AutorInnen vertrieben.<br />

Dies bildete nur <strong>den</strong> Auftakt zum Programm<br />

Politisches Plakat: „Durch Licht zur Macht“<br />

von John Heartfield, VEB Verlag der Kunst<br />

Dres<strong>den</strong> 1962 und 1971<br />

der faschistischen Herrschaft, das die<br />

„Gleichschaltung“ aller kulturellen Bereiche<br />

zum Ziel hatte: Hochschule, Presse, Verlage,<br />

Bibliotheken, Funk und Film sollten von „zersetzen<strong>den</strong><br />

marxistischen Einflüssen“ und<br />

von „Verjudung gesäubert“ wer<strong>den</strong>.<br />

Vorläufiger Höhepunkt dieses „Kampfes<br />

gegen Zersetzung“ war die „Bücherverbrennung“<br />

vom Mai 1933. In Darmstadt, der<br />

damaligen hessischen Hauptstadt, fand sie<br />

erst am 21. Juni statt, ohne daß wir genau<br />

wissen weshalb, später als im übrigen<br />

„Reichsgebiet“ Die „Deutsche Stu<strong>den</strong>tenschaft”,<br />

Dachverband aller Studieren<strong>den</strong> und<br />

seit April 1933 mit der politischen Erziehung<br />

der Stu<strong>den</strong>ten beauftragt, bereitete sie planmäßig<br />

vor. Die Aktion schloß an eine kirchliche<br />

Tradition der Scheiterhaufen an, nicht<br />

zuletzt an die Bücherverbrennung während<br />

des „Wartburgfestes“ von 1817, als deutsche<br />

Stu<strong>den</strong>ten Literatur verbrannt hatten.<br />

Die Aktivisten des Frühjahrs 1933 konnten<br />

auf eine breite Bereitschaft zu Gleichschaltung<br />

und Unterwerfung gerade im Hochschulbereich<br />

bauen. Straßen und Plätze<br />

waren damals gesäumt von jenen vielen, die<br />

gafften, Beifall klatschten und die unrühmliche<br />

Inszenierung – ebenso wie die späteren<br />

Naziverbrechen – geschehen ließen. Auch in<br />

Darmstadt.<br />

Die „Deutsche Stu<strong>den</strong>tenschaft“ veranstaltete<br />

ab Mitte April 1933 einen sogenannten<br />

Aufklärungsfeldzug, um Sprache, Literatur,<br />

Wissenschaft und deren Einrichtungen im<br />

nazistischen Sinn zu „reinigen“. Ihre öffentlich<br />

verkündeten Thesen geben einen Vorgeschmack<br />

auf die nachfolgen<strong>den</strong> Ereignisse:<br />

12 Thesen wider <strong>den</strong> undeutschen Geist<br />

1. Sprache und Schrifttum des Volkes<br />

wurzeln in seinem Volkstum. Das deutsche<br />

Volk trägt die Verantwortung<br />

dafür, daß seine Sprache und sein<br />

Schrifttum reiner und unverfälschter<br />

Ausdruck seines Volkstums sind.<br />

2. Es klafft ein Widerspruch zwischen<br />

Schrifttum und deutschem Volkstum.<br />

Dieser Zustand ist eine Schmach.<br />

3. Reinheit von Sprache und Schrifttum<br />

liegt an Dir! Dein Volk hat Dir die Sprache<br />

zur treuen Bewahrung übergeben.<br />

4. Unser Widersacher ist der Jude und<br />

der, der ihm hörig ist.<br />

5. Der Jude, der nur jüdisch <strong>den</strong>ken<br />

kann, der aber deutsch schreibt, lügt.<br />

Doch der, der Deutscher ist und deutsch<br />

schreibt, der aber undeutsch <strong>den</strong>kt, ist<br />

ein Verräter. Der Stu<strong>den</strong>t, der<br />

undeutsch spricht und schreibt, ist<br />

außerdem gedankenlos und wird seiner<br />

Aufgabe untreu.<br />

6. Wir wollen die Lüge ausmerzen, wir<br />

wollen <strong>den</strong> Verrat brandmarken, wir<br />

wollen für <strong>den</strong> Stu<strong>den</strong>ten nicht Stätten<br />

der Gedankenlosigkeit, sondern der<br />

Zucht und der politischen Erziehung.<br />

7. Wir fordern die Zensur. Undeutsches<br />

Gedankengut wird gekennzeich<strong>net</strong>.<br />

Deutsche Schrift steht nur dem Deutschen<br />

zur Verfügung. Der undeutsche<br />

Geist wird aus <strong>den</strong> öffentlichen Büchereien<br />

ausgemerzt.<br />

8. Wir fordern vom deutschen Stu<strong>den</strong>ten<br />

Wille und Fähigkeit zur selbständigen<br />

Erkenntnis und Entscheidung.<br />

9. Wir fordern vom deutschen Stu<strong>den</strong>ten<br />

<strong>den</strong> Willen und die Fähigkeit zur<br />

Reinerhaltung der deutschen Sprache.<br />

10. Wir fordern vom deutschen Stu<strong>den</strong>ten<br />

<strong>den</strong> Willen und die Fähigkeit zur<br />

Überwindung des jüdischen Intellektualismus<br />

und der damit verbun<strong>den</strong>en liberalen<br />

Verfallserscheinungen im deutschen<br />

Geistesleben.<br />

11. Wir fordern die Auslese von Stu<strong>den</strong>ten<br />

und Professoren nach der Sicherheit<br />

des Denkens im deutschen Geiste.<br />

12. Wir fordern die deutsche Hochschule<br />

als Hort des deutschen Volkstums und<br />

als Kampfstätte aus der Kraft des deutschen<br />

Geistes.<br />

„Gesäubert“ wurde anhand „schwarzer<br />

Listen“, während „weiße Listen“ bei der<br />

„Anschaffung zeitgemäßer und wahre deutsche<br />

Volksbildung vermittelnder Bücher“<br />

(„Darmstädter Tagblatt“ vom 9.6.33) behilflich<br />

waren.<br />

Die Verbannung des „undeutschen Geistes“<br />

aus <strong>den</strong> öffentlichen Büchereien wurde<br />

befehlsgemäß und unter aktiver Mitwirkung<br />

des „Börsenvereins des deutschen Buchhandels“<br />

und der Bibliotheken in die Wege geleitet.<br />

Die Darmstädter Stadtbücherei begann,<br />

besonders eifrig, bereits im März mit dem<br />

Entfernen von „Schmutz- und Schund- und<br />

linkspolitischen Ten<strong>den</strong>zschriften“. Das<br />

„Darmstädter Tagblatt“ vom 9. Juni: „Es sind<br />

bis jetzt schon über 100 Bände der Schönen<br />

Literatur sowie – neben der Sperrung der<br />

Abteilung ‚Sozialismus und Kommunismus‘<br />

– eine große Reihe von Werken der belehren<strong>den</strong><br />

Literatur aus dem Bestand entfernt wor<strong>den</strong>.<br />

Restlos ausgemerzt sind z.B. die Werke<br />

von Feuchtwanger, Emil Ludwig, Heinrich<br />

Mann, Glaeser, Remarque, Plivier, Toller,<br />

Arnold Zweig, Ehrenberg, Kerr u.a.“<br />

Aus dem im „Darmstädter Tagblatt“ vom 16.<br />

Juni 1933 veröffentlichten Aufruf der Stu<strong>den</strong>tenschaft<br />

der THD:<br />

Die „Volksgenossen“ folgten der Aufforderung.<br />

Sie sammelten, lieferten auch ab und<br />

stan<strong>den</strong>, folgt man dem Bericht des „Darmstädter<br />

Tagblatts“ vom 22. Juni 1933, zu<br />

Tausen<strong>den</strong> am Straßenrand, als sich der Zug<br />

der Stu<strong>den</strong>tenschaft vom ehemaligen Paradeplatz<br />

durch Bessungen „in <strong>den</strong> deutschen<br />

Wald“ am Bismarckturm bewegte. Nach der<br />

Sonnenwendfeier dort, auf der u.a. der Rektor<br />

der Technischen Hochschule die „Zeitenwende“<br />

feierte ( „Flamme empor! Leuchtend<br />

der Schein! Lasset uns schwören am Flammenaltare,<br />

Deutsche zu sein!“) marschierte<br />

der Fackelzug zum Mercksplatz.<br />

Das „Darmstädter Tagblatt“ am 22. Juni<br />

1933: „Hier am Mercksplatz hatten sich recht<br />

zahlreiche deutsche Volksgenossen eingefun<strong>den</strong>,<br />

um an der Kundgebung wider <strong>den</strong><br />

undeutschen Geist teilzunehmen. Nachdem<br />

die Aufstellung des Zuges unter Marschmusik<br />

vollendet war, hielten Herr Walter Madee,<br />

der Führer der Darmstädter Stu<strong>den</strong>tenschaft,<br />

und Herr Friedrich Walcher, der Bundesführer<br />

des Nationalsozialistischen Stu<strong>den</strong>tenbundes,<br />

kurze Ansprachen wider <strong>den</strong><br />

undeutschen Geist, dem der Kampf bis zur<br />

Vernichtung angesagt werde. Mit einem<br />

Sieg-Heil auf Adolf Hitler und dem Horst-<br />

Wessel-Lied nahm die Kundgebung ihr Ende.<br />

Aber so wie der letzte Sprecher ausgerufen<br />

hatte: ‚Der Kampf gegen <strong>den</strong> undeutschen<br />

Geist geht weiter!‘, so loderten noch lange die<br />

vernichten<strong>den</strong> und reinigen<strong>den</strong> Flammen aus<br />

dem großen Scheiterhaufen, auf dem Bücher,<br />

Broschüren und von der Polizei beschlagnahmtes<br />

Material, wie Fahnen und dergleichen,<br />

zu Asche verbrannten. Unter<br />

Marschmusik zog dann die Stu<strong>den</strong>tenschaft<br />

an dem Scheiterhaufen vorbei, und die in ihn<br />

hineingeschleuderten Fackeln halfen das Werk<br />

der Ausmerzung und Vernichtung vollen<strong>den</strong>,<br />

als ein Symbol dafür, daß das neue Deutschland<br />

in dem Kampf gegen Undeutsche restlose<br />

und rücksichtslose Arbeit leistet.”<br />

Reaktionen<br />

auf die Bücherverbrennung<br />

Die Reaktionen vor allem im deutschsprachigen<br />

Ausland waren vernichtend, ohne allerdings<br />

Änderungen in Deutschland bewirken<br />

zu können. Der Arbeitersender in Hilversum<br />

ließ in holländischer Sprache die bedeutendsten<br />

Autoren, deren Werke jenseits der Gren-<br />

ze verbrannt wur<strong>den</strong>, zu Wort kommen. Die<br />

Sendung wurde musikalisch von der „Marseillaise,“<br />

der „Egmont-Ouvertüre“ und der<br />

„Internationale“ umrahmt und endete mit<br />

<strong>den</strong> Worten des Sprechers: „Sie verbrennen<br />

<strong>den</strong> Geist nicht, ihr Brüder!“<br />

Unter der Überschrift „Entsetzen im Ausland“<br />

referierte die „Prager Presse“ am 12.<br />

Mai 1933 die Reaktionen ausländischer Zeitungen<br />

und zitierte u.a. das „Pariser Journal“:<br />

„Dieses Autodafé ist leider allzu<br />

bezeichnend, <strong><strong>den</strong>n</strong> es ist eine der traurigsten<br />

Äußerungen des neuen deutschen Geistes.“<br />

„Ewiges Schandmal<br />

nazistischer Barbarei“<br />

Oskar Maria Graf war von <strong>den</strong> Nazis<br />

zunächst nicht auf die „schwarze Liste“<br />

gesetzt wor<strong>den</strong>. In einem offenen Brief mit<br />

der Überschrift „Verbrennt mich!“ reagierte<br />

er auf diese Schmach u.a. mit <strong>den</strong> Worten:<br />

„Und die Vertreter dieses barbarischen<br />

Nationalismus, der mit Deutschsein nichts,<br />

aber auch gar nichts zu tun hat, unterstehen<br />

sich, mich als einen ihrer ‚Geistigen‘ zu beanspruchen,<br />

mich auf ihre sogenannte weiße<br />

Liste zu setzen, die vor dem Weltgewissen<br />

nur eine schwarze Liste sein kann! Diese<br />

Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem<br />

ganzen Leben und nach meinem ganzen<br />

Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen,<br />

daß meine Bücher der reinen Flamme des<br />

Scheiterhaufens überantwortet wer<strong>den</strong> und<br />

nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen<br />

Hirne der braunen Mordban<strong>den</strong> gelangen!<br />

Verbrennt die Werke des deutschen<br />

Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein,<br />

wie eure Schmach!“<br />

Oskar Maria Grafs Aufruf vom 10. Mai 1943,<br />

dem zehnten Jahrestag der Bücherverbrennung,<br />

an dem viele Bibliotheken seines damaligen<br />

Exillandes USA auf Halbmast geflaggt<br />

hatten, hat an bedrückender Aktualität nichts<br />

eingebüßt: „Dieser 10. Mai – ewiges Schandmal<br />

nazistischer Barbarei – müßte in Zukunft<br />

auf der ganzen gesitteten Welt in sein Gegenteil<br />

verwandelt wer<strong>den</strong>, in einen Tag des Niewieder-Vergessens<br />

und in einen Tag der<br />

Manifestation für die Freiheit des Geistes!“<br />

Cornelia Roch und Christoph Jetter<br />

Quellen: „Die Bücherverbrennung“, hrsg. von Gerhard<br />

Sauder, München l983; Henner Pingel, „Das Jahr 1933.<br />

NSDAP-Machtergreifung in Darmstadt und im Volksstaat<br />

Hessen“, 2. Aufl., Darmstadt 1978


FEUILLETON I<br />

Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 10<br />

Sonntag vormittag<br />

bei <strong>den</strong> Antichristen<br />

Verleihung des Alternativen Büchnerpreises<br />

an <strong>den</strong> Kirchenkritiker Karlheinz Deschner<br />

S<br />

onntag (13.6.) konnte wer<br />

wollte miterleben, wie im<br />

Namen des politischen Literaten<br />

und Demokraten Georg Büchners,<br />

aber ohne nennenswerten Bezug<br />

auf ihn, ein Preis verliehen wurde,<br />

der eine Alternative sein will,<br />

wohl oder übel zum „Büchnerpreis“<br />

der „Deutschen Akademie für Sprache<br />

und Dichtung“. Zumindest im<br />

Hinblick auf seine finanzielle Ausstattung<br />

konnte Stifter Walter Steinmetz<br />

mit dem in diesem Jahr von einem<br />

unbekannten Mäzen (Steinmetz<br />

selbst?) auf 60.000 Mark erhöhten<br />

Preisgeld eine Alternative vorweisen,<br />

und auch die Rolle des Preisträgers<br />

wurde mit dem im Fränkischen<br />

geborenen und dort ansässigen neunundsechzigjährigen,<br />

promovierten<br />

Literaturwissenschaftler Karlheinz<br />

Deschner (nach Walter Jens, Dieter<br />

Hildebrandt, Gerhard Zwerenz und<br />

Robert Jungk) angemessen besetzt.<br />

Recht feierliche Freude wollte sich<br />

<strong><strong>den</strong>n</strong>och nicht einstellen.<br />

Im Audimax der Darmstädter TH<br />

konnten rund 300 ZuhörerInnen<br />

zunächst der lebhaft inszenierten<br />

Rezitation eines dramatisch bearbeiteten<br />

Deschner-Textes lauschen,<br />

spannungsvoll vorgetragen von dem<br />

Basler Schauspieler Joseph Lorenz.<br />

Hier zeigte sich bereits, wie in<br />

Deschners Arbeiten Ironisches und<br />

Satirisches mit Historisch-Faktischem<br />

konfrontiert wird und so eine<br />

kritische Position entsteht, die sich<br />

von der Klischeehaftigkeit und Plattheit<br />

üblicher Kirchenkritik löst. Programmatisch<br />

erscheint Deschner „...<br />

der bloßstellende Spott, die Satire als<br />

eigentlich allein noch zumutbares<br />

Mittel, kirchenhistorische Sujets auf-<br />

Nach der Preisverleihung<br />

1992<br />

Fotos: H. Schäfer<br />

zugreifen und anzugreifen”. Spott als<br />

Mittel der ernsthaften Analyse und<br />

Aufklärung.<br />

Anscheinend von diesem Ansatz<br />

gehört hatte auch der „Darmstädter<br />

Bürger Walter Steinmetz“ (so seine<br />

Selbstdefinition), der sich, wie in vorangegangenen<br />

Jahren, die Gelegenheit<br />

nicht nehmen ließ, seinen<br />

Unmut als „satirisches Traktat“<br />

abzula<strong>den</strong>. Um seiner Ansprache<br />

gerecht zu wer<strong>den</strong>, sei auf Deschners<br />

vielbeachteten Essay „Kitsch, Konvention<br />

und Kunst“ (1957) verwiesen,<br />

in dem er anhand vieler Zitate<br />

sehr klar darlegt, was für ihn Kitsch<br />

und was die Funktion von Kitsch in<br />

der Literatur ist: „Kitsch, für <strong>den</strong> wir<br />

fast alle anfällig sind, ist leider nicht<br />

bloß lächerlich, sondern hochgradig<br />

gefährlich, infektiös, epidemisch, die<br />

mörderischste Droge der Welt.“<br />

Gefährlich deshalb, weil „... das Gros<br />

der Leser außerstande ist, kraft formaler<br />

Kriterien zu urteilen; es bejaht<br />

dort, wo es sich in seinem Weltbild<br />

bestätigt findet, und lehnt ab, wo das<br />

nicht der Fall ist.“<br />

Daß auch Satire Kitsch sein kann,<br />

scheint Steinmetz – etwa bei seiner<br />

Beschreibung der „klerikalen Travestie-Show“<br />

– nicht in <strong>den</strong> Sinn gekommen<br />

zu sein: „Gedecktes Weiß,<br />

Violett, Kardinalrot und Purpur sind<br />

die zeitlos aktuellen Farben für die<br />

große Toilette aus Brokat und anderen<br />

edlen Materialien im klassischen<br />

Styling. Dazu ist allerlei Tand und<br />

Flitter en vogue, wobei zu beachten<br />

ist, daß von einer gewissen Rangfolge<br />

ab die Finger nicht mehr schmutzig<br />

gemacht und deshalb Ringe über<br />

<strong>den</strong> Handschuhen getragen wer<strong>den</strong>.“<br />

In diesem Stil poltert Steinmetz<br />

durch das gängige Repertoire vulgärlinker<br />

Ressentiments: Kirche, Staat<br />

und Wirtschaft – Golfkrieg, Biermann,<br />

Enzensberger, SS, Hitlerjugend,<br />

Israel, Jesus, Stammheim,<br />

Kronzeugenregelung. Steinmetz‘<br />

Versuch, Zusammenhänge herzustellen,<br />

gerät zur Selbstbedienung<br />

zusammengeklaubter Versatzstücke<br />

aus dem (für ihn) unendlich ungeord<strong>net</strong>en<br />

Gerümpelhaufen der Historie<br />

samt aller dazugehörigen Vorurteile.<br />

Die bierernste Rundumschlag-<br />

Häme als Nährbo<strong>den</strong> vermeintlicher<br />

„Satire“ hat mehr mit Gallensaft zu<br />

tun als mit Gesellschaftskritik. „Die<br />

weiße Weste wird grundsätzlich verdeckt<br />

getragen, da sie blutbesudelt<br />

sein könnte“, rutscht Steinmetz peinlich<br />

aus und hinterläßt das schale<br />

Gefühl, das jedes Kind befällt, fühlt<br />

es sich bei einer Übertreibung erwischt.<br />

Dem Preis-Stifter gelingt gar<br />

der Bogen von Büchner zur Kirche,<br />

das liest sich so: „Jesus und Georg<br />

Büchner“ teilen „ein vergleichbares<br />

Schicksal: zwei radikale Moralisten<br />

wer<strong>den</strong> zuerst Opfer der Verfolgung<br />

und dann der Vermarktung durch<br />

scheinheilige Wölfe im Schafspelz.“<br />

Die Laudatio des Deschner-Mitstreiters<br />

und Co-Autors Horst Herrmann<br />

war ebenfalls kaum geeig<strong>net</strong>, das<br />

Publikum zu belohnen. Brav wurde<br />

Deschners fleißiges, an Selbstkasteiung<br />

grenzendes Arbeiten gelobt,<br />

Natur und fränkische Heimat des<br />

Preisträgers als Quell für „so viel<br />

Kraft in einem zerbrechlichen Körper“<br />

gepriesen, und überhaupt<br />

Deschner stilisiert als „großer Erinnerer“<br />

an die „um Auferstehung im<br />

Gedächtnis bitten<strong>den</strong> Geschädigten“<br />

von 2.000 Jahren christlicher Kirchengeschichte.<br />

Deschner selbst umriß in einer, wie<br />

zu erwarten, scharfzüngigen Rede<br />

sein angestammtes Sujet, die von<br />

Kirche und Staat gleichermaßen<br />

beherrschte Kunst, „im Namen des<br />

Volkes dem Volk feierlich das Fell<br />

über die Ohren zu ziehen.“ Sich<br />

selbst als Deterministen bezeichnend,<br />

versteht er die an der Erziehung<br />

des Menschen beteiligten Institutionen<br />

wie Kirche und Schule als<br />

Grundübel unserer gesellschaftlichen<br />

Tradition. Nicht zu selbständigem<br />

Denken und eigenverantwortlichem<br />

Handeln werde dort angeleitet, sondern<br />

zu „grenzenloser Gleichgültigkeit<br />

und grenzenloser Heuchelei.“<br />

Wie überhaupt alle Redner es ununterbrochen<br />

mit der Heuchelei hatten,<br />

als ob durch ständige Wiederholung…<br />

Als Ausweg aus diesem Dilemma<br />

versteht Deschner wohl sein unerbittliches,<br />

unermüdliches Aufdecken<br />

von unter dem Mantel des christlichen<br />

Glaubens begangenem Unrecht,<br />

ja Verbrechen. Eine lange<br />

Liste von Veröffentlichungen, nicht<br />

zuletzt sein auf zehn bis zwölf Bände<br />

angelegtes Projekt einer „Kriminalgeschichte<br />

des Christentums“, drei<br />

Bände sind bislang erschienen,<br />

belegt dies.<br />

Daß mit derartigem Engagement<br />

kaum mehr als das täglich Brot zu<br />

verdienen ist, überrascht kaum,<br />

zumal wenn man be<strong>den</strong>kt, wer sich<br />

in Zeiten, in <strong>den</strong>en die Kirche zumindest<br />

hierzulande erheblich an Zulauf<br />

verliert, für eine solchermaßen elaborierte<br />

Kritik interessiert. Um so<br />

erfreulicher ist es, wenn einem solchen<br />

Autor ein hochdotierter Preis<br />

zugesprochen wird, einfach um ihm<br />

die materielle Lebensgrundlage zu<br />

sichern, wenigstens für kurze Zeit.<br />

Erfreulich ist es freilich auch, wenn<br />

sich Mäzene fin<strong>den</strong>, die einen Preis<br />

finanziell ausstatten. Zweifelhaft<br />

erscheint allerdings ein Stifter, der<br />

seine Preisträger reglementieren will<br />

und die Preisverleihung als Arena<br />

seiner Selbstgerechtigkeit, gar als<br />

Markt für seine Eitelkeit mißbraucht.<br />

Die Solidarität unter Literaten scheint<br />

nicht einmal so groß, daß die beleidigen<strong>den</strong><br />

Ausfälle des Stifters gegen<br />

Robert Jungk im vergangenen Jahr<br />

einer Erwähnung wert sind,<br />

geschweige <strong><strong>den</strong>n</strong> einer Entschuldigung.<br />

Erstaunlich, daß unter solchen<br />

Vorzeichen überhaupt ein Preisträger<br />

sich ehren zu lassen gewillt war.<br />

Nicht ganz ohne Zwiespalt wird deshalb<br />

Karlheinz Deschner <strong>den</strong> „Alternativen<br />

Büchnerpreis“ angenommen<br />

haben, zuletzt vielleicht nur aufgrund<br />

finanzieller Erwägungen und als<br />

Forum seiner Kritik, was nicht unbedingt<br />

ehrenrührig wäre – zumal für<br />

einen Deterministen.<br />

Philip Roeder<br />

Stifter Walter Steinmetz ist Inhaber eines<br />

Zeitschriftenvertriebs, über <strong>den</strong> Arzt-,<br />

Anwaltspraxen und andere Wartesäle in<br />

„Lesemappen“ mit so hohem Schrifttum<br />

beliefert wer<strong>den</strong> wie: „Bunte“, „Neue<br />

Revue“, „Frau im Spiegel“, „Das Gol<strong>den</strong>e<br />

Blatt“ und andere. Seine „Exklusiv<br />

Mappe“ befaßt sich mit Themen aus<br />

Blättern wie: „Schöner Wohnen“, „Essen<br />

und Trinken“, „Vital“, „Haus und Garten“<br />

… alles aufzulisten wäre zu lang.<br />

Zur Praxis-Eröffnung liefert Steinmetz gar<br />

gratis… Volks-Bildung ist wohl einträglich.<br />

sb<br />

Nach der Preisverleihung<br />

1993


„Oteco defera“<br />

zeigt Arrabals<br />

„Fando & Lis“<br />

„Guck Lis, wie schwer das ist,“ ruft Wolfgang<br />

Vogler als Fando und macht einen<br />

Kopfstand. Er hat recht, <strong><strong>den</strong>n</strong> vor allem wie<br />

schwer Theaterspielen sein kann, zeigen die<br />

fünf SchauspielerInnen in <strong>den</strong> knapp achtzig<br />

Minuten, die Fernando Arrabals „Fando<br />

& Lis“ dauert. „Oteco defera“ heißt Darmstadts<br />

neue freie Theatergruppe: hervorgegangen<br />

ist sie aus ehemaligen SchülerInnen<br />

der Theatergruppe der Justus-Liebig-<br />

Schule; mitgenommen hat sie als Regisseur<br />

Hanno Hener und die Hypothek eines<br />

ausgezeich<strong>net</strong>en Rufes im Schülertheater.<br />

„Oteco defera“ ist eine Abkürzung und steht<br />

für „Obduktionstheatercompagnie der Entfunktionalisierung<br />

des Absur<strong>den</strong>.“ Der<br />

Pennälerhumor ist tatsächlich Programm:<br />

die Entfunktionalisierung des Absur<strong>den</strong> ist<br />

gründlich gelungen – der Abend ist sinnlos.<br />

Fando und Lis sind mit einem Wägelchen<br />

immer im Kreis nach Tar unterwegs und<br />

kommen nie an. Tar – wie könnte es auch<br />

anders sein – ist eine Chiffre. Eine Chiffre,<br />

die für eine Menge steht. Beckett hat seinen<br />

Godot vergleichsweise präzise und plastisch<br />

beschrieben. Mit Details hält sich<br />

Arrabal gar nicht erst auf: möglicherweise<br />

interessierte er sich für Themen wie Gewalt,<br />

Sexualität, Kommunikation, Nihilismus,<br />

Theater, Erdbeermarmelade, Dosenbier,<br />

<strong>den</strong> Menschen allgemein und die Gesellschaft<br />

überhaupt. Das ist durchaus möglich.<br />

Das läßt sich mit Sicherheit je<strong>den</strong>falls<br />

nicht ausschließen. Ausschließen läßt sich<br />

auch nicht, daß irgendein sensibilisierter<br />

Semiintellektueller in dem wabern<strong>den</strong> Textflachsinn<br />

irgendwelche Bedeutungssurrogate<br />

entdeckt, die ihm irgendwo und<br />

irgendwie unheimlich viel bringen – persönlich<br />

natürlich. Arrabals großzügiger<br />

Strich in der Gesamtanlage setzt sich in<br />

Handlung und Figuren fort. Fando ist ein<br />

böses Siegfriedchen, der Lis ganz lieb fesselt,<br />

ihr ganz lieb Handschellen anlegt,<br />

schröcklich droht und lauter schlimme Dinge<br />

zu tun behauptet. Klar, daß diese Comicfigur<br />

Lis liebt. Und genauso klar, daß Lis<br />

„Guck Lis, wie<br />

schwer das ist“<br />

ihren Fando liebt. Arabal zeigt Lis als eine<br />

Frau, wie Frauen eben so sind: dumm dul<strong>den</strong>d<br />

und liebend gelähmt; ein langweiliges<br />

Objekt männlicher Subjekte. Weil die bei<strong>den</strong><br />

sich nichts zu sagen haben, muß Fando<br />

Lis umbringen – sonst wäre ja rein gar<br />

nichts los. Und weil das in zehn Minuten<br />

erledigt sein könnte, tauchen zwischendurch<br />

immer wieder drei Herren mit<br />

gelbem Schirm auf und versuchen, das öde<br />

Spiel unterhaltsamer zu gestalten. Tommy<br />

Trc hat die Bühne eingerichtet: in dem<br />

engen Rund der mit schwarzen Plastikfolien<br />

verhängten Manege sitzen die maximal<br />

sechzig ZuschauerInnen auf unbequemen<br />

Holzbänken dicht am Geschehen. Das ist –<br />

wenn man nicht gerade meinen Rücken<br />

fragt – eine gute Lösung. Anne Niemeyer<br />

und Wolfgang Vogler spielen Romeo und<br />

Julia im Zirkus. Wolfgang Vogler hat es an<br />

diesem Abend übel erwischt: so peinlich<br />

schlecht gesprochen seine Liebesbekundungen<br />

über die Lippen kommen, so<br />

unglaubwürdig geraten die andressierten<br />

Wutausbrüche. Anne Niemeyer füllt die<br />

Sprechblasen brav mit Text und laßt auch<br />

sonst viel mit sich machen. Das hat mit<br />

Anne Niemeyer, Tim Lang<br />

und Falk Schüll (Foto: H. Hener)<br />

ihrem schauspielerischen Vermögen wenig<br />

und mit Arrabal eine Menge zu tun. Nicht<br />

nur ein Lichtblick, nein, funkelnde Sterne in<br />

finsterer Nacht sind Falk Schüll, Tim Lang<br />

und David Gieselmann: die drei Männer mit<br />

dem gelben Schirm. Der perfekt choreographierte<br />

Nonsens der drei kann sich sehen<br />

lassen. Hanno Heners Regie zeigt viel Liebe<br />

zum Detail. Selbst kleinste Bewegungen<br />

sind sehr genau ausgearbeitet. Es ist verblüffend,<br />

mitanzusehen, was er aus seinen<br />

SchauspielerInnen physisch herausholt; im<br />

übrigen muß er Ohrenstöpsel getragen<br />

haben.<br />

Die „Obduktionstheatercompagnie“ hätte<br />

die Leiche „Fando & Lis“ besser im Keller<br />

der Theaterliteratur liegen lassen und das<br />

Skalpell an einem anderen Stück versucht.<br />

Die bloße Deklaration der Welt als einer<br />

absur<strong>den</strong> ersetzt keine inhaltliche Auseinandersetzung;<br />

sie ist nicht einmal unterhaltsam<br />

geraten. Die SchauspielerInnen agieren<br />

mit viel Enthusiasmus und Selbstbewußtsein.<br />

Das ist eine gute Voraussetzung<br />

für weitere Produktionen, genügt auf Dauer<br />

aber nicht.<br />

P.J. Hoffmann<br />

Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 11<br />

Ein<br />

sist<br />

Glas<br />

ein Glas<br />

ist ein<br />

ist<br />

Glas<br />

ein Glas<br />

ist ein<br />

ist<br />

Gla-<br />

Glas ist ein Glas ist ein Glas<br />

ein<br />

ein Glas ist ein Glas ist ein Glas<br />

ist<br />

ist<br />

Glas<br />

ein<br />

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Glas<br />

ein Glas<br />

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Glas<br />

ein Glas<br />

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ein Glas ist ein Glas ist ein Glas<br />

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Ein<br />

ist ein<br />

Glas<br />

Glas...Ein<br />

ist ein Glas<br />

Glas<br />

ist ein<br />

ist<br />

Glas<br />

Glas ist ein Glas ist ein Glas...<br />

ein<br />

Ein Serienmaler Glas Peter ist Dreher<br />

ist ein Glas...<br />

ein Glas fens hat der ist Künstler ein allerlei Glas mitteilsame<br />

Spuren hinterlassen, aus <strong>den</strong>en sich seine<br />

der Galerie Axel Thieme<br />

Ein<br />

ist Glas<br />

Glas...<br />

ist ein Glas Befindlichkeiten, ist seine ein Gedanken, Glas ja sogar<br />

Was bringt einen Maler dazu, sich über die äußeren Ereignisse der immer wiederkehren<strong>den</strong><br />

Tage des Malens rekonstruieren<br />

zwanzig Jahre hinweg mit dem ewig gleichen,<br />

simplen Bild eines glatten Trinkglases lassen – mal nur ein simples Datum neben<br />

Ein zu beschäftigen?<br />

ist ein<br />

Glas Ist er von<br />

Glas...Ein<br />

ist irgendwelchen ein Glas der durchlaufen<strong>den</strong><br />

Glas<br />

ist ein Numerierung,<br />

ist<br />

Glas mal<br />

geheimen, dem nicht-künstlerischen Menschen<br />

verborgen bleiben<strong>den</strong> Inhalten ver-<br />

wechselhafte Botschaften wie „Webern<br />

Glas ist ein Glas ist ein Glas...<br />

ein–<br />

568 – 7.9.91“, oder „Brüderlein und<br />

Ein<br />

leitet wor<strong>den</strong>,<br />

ist ein<br />

Glas<br />

oder ist er<br />

Glas...<br />

ist<br />

vielleicht<br />

ein<br />

schlicht-Glaweg ein Verrückter, der sich in manischer<br />

Schwesterlein ist – 581 ein – 22.9.91”, Glas vielleicht<br />

auch politisch Erscheinendes wie „Hoyerswerda<br />

– 582 ist – 22.9.91“, oder ganz Glas poetisch<br />

Weise nicht mehr von einer besitzergreifen<strong>den</strong><br />

Idee befreien kann? Diese Frage muß<br />

Ein<br />

ist ein<br />

Glas<br />

Glas...<br />

ist ein Glas<br />

am selben Tag „Miss Robinson – 583 –<br />

sich bisweilen der Freiburger Maler Peter<br />

22.9.91“.<br />

Dreher stellen, <strong><strong>den</strong>n</strong> er arbeitet seit 1972 an<br />

Ein der möglicherweise<br />

ist ein<br />

Glas monoton<br />

Glas...Ein<br />

ist wirken<strong>den</strong> Peter Dreher schafft auf diese Weise einen<br />

ein Glas<br />

Glas<br />

ist ein<br />

ist<br />

Glas<br />

Serie „Tag um Tag ein guter Tag“.<br />

autonomen Mikrokosmos seiner Bildwelten,<br />

der sich geschlossen wirkt und <strong>den</strong>-<br />

Glas ist ein Glas ist ein Glas...<br />

Scheinbar kunstlos überträgt er dazu die<br />

noch mit dem Makrokosmos unserer<br />

Ein Umrisse seiner<br />

ist Glas Bildformen<br />

Glas...<br />

ist mittels einerGlas Lebenswelten ist korrespondiert. ein Glas Ähnlich wie<br />

Schablone, um das mit <strong>den</strong> klaren Fensterreflexen<br />

und vor dem hellem, neutralen<br />

der amerikanische Konzeptkünstler On<br />

Ein<br />

Hintergrund<br />

ist Glas<br />

eines Tisches<br />

Glas...<br />

ist<br />

und einer<br />

ein<br />

WandGlas Kawara, dessen ist äußerlich ein glatte Glas Datumsbilder<br />

innen mit aktuellen Zeitungsfragmenten<br />

dann brav und detailliert mit Ölfarbe auszumalen.<br />

Wenn man eines der Bilder gesehen<br />

ausgekleidet sind und so ihren Entstehungszeitpunkt<br />

ebenso dokumentieren wie<br />

Ein hat, so könne<br />

ist ein<br />

Glas man sich die<br />

Glas...Ein<br />

ist achtundachtzig ein Glas<br />

Glas<br />

ist ein<br />

ist<br />

Glas<br />

restlichen <strong>den</strong> neuen Räumen der Galerie<br />

kommentieren, stellt Peter Dreher seine<br />

Glas ist ein Glas ist ein Glas...<br />

Axel Thieme vielleicht sparen…<br />

scheinbar nur ästhetischen Artefakte in<br />

einen diskursiven Zusammenhang mit dem<br />

Ein Könnte man<br />

ist ein<br />

Glas wirklich? Dem<br />

Glas...<br />

ist konzentrierten ein Glas Betrachter, ist wodurch ein der Titel Glas der Serie<br />

und behutsamen Betrachter erschließen<br />

auch programmatischen Charakter gewinnt<br />

sich bei einer langsamen Beschäftigung mit<br />

Ein<br />

ist Glas<br />

Glas...<br />

ist ein Glas und womöglich ist <strong>den</strong> ein Imperativ einer Glas bewußteren<br />

Lebensführung enthalten mag.<br />

Drehers Glas-Serie bald schon subtile Differenzen<br />

der Farbigkeit, die jeder der neunundachtzig<br />

Tafeln einen eigenen Stimmungsgehalt<br />

Gerhard Kölsch<br />

Ein<br />

ist ein<br />

Glas verleihen. Mehr<br />

Glas...Ein<br />

ist noch, ein <strong>den</strong>Glas Bis zum 26.<br />

Glas<br />

ist Juni, Öffnungszeiten: ein<br />

ist<br />

Glas<br />

weichen Farbgrund des oberen Bildstrei-<br />

Glas ist ein Glas ist ein Glas...<br />

ein<br />

Ein<br />

ist ein<br />

Glas<br />

Glas...<br />

ist ein Glas Di–Fr 11–18.30, ist Sa ein 10–14 Uhr.<br />

Glas<br />

Ein Glas ist ein Glas ist ein Glas<br />

Ein intimer Kenner der germanischen Psyche<br />

„Das vierte Reich“ von Heleno Saña: ein Ratgeber voller Ressentiments<br />

Unter diesem Titel verspricht der<br />

Autor „der äußeren Dialektik des deutschen<br />

Volkes“ auf <strong>den</strong> Grund zu gehen. Er überfliegt<br />

ohne viel Federlesens <strong>den</strong> Dschungel<br />

der Geschichte und enthüllt geradewegs die<br />

Kausalkette von <strong>den</strong> „Raub- und Beutezügen<br />

der alten Germanen“ (die allenfalls „oft von<br />

langen Pausen unterbrochen“ waren) über<br />

die Weltkriege in die Zukunft, wohl ahnend,<br />

daß „jede antizipatorische Auslegung die<br />

Gefahr in sich birgt, sich in Pseudo-Prophetentum<br />

zu verwandeln.“ Diese Hürde unterläuft<br />

Saña souverän und bedient sich als<br />

Prophet ewiger Wahrheiten etwa der folgen<strong>den</strong><br />

Art: „ ... der Eroberungs- und Aggressionstrieb<br />

(der alten Germanen) ist noch heute<br />

eines der tiefsten psychischen Wesensmerkmale<br />

der Deutschen“ (S. 217); „Der<br />

Beuteinstinkt der alten Germanen ist keineswegs<br />

abgeklungen“ (S. 21); „Die BRD hat<br />

<strong>den</strong> uralten, tiefverwurzelten teutonischen<br />

Drang nach Machtentfaltung weitgehend<br />

geerbt.“ (S. 33).<br />

Was Sañas „prospektive Analytik“ nur auf<br />

<strong>den</strong> ersten Blick offenläßt, ist die Frage,<br />

woher nun die alten Germanen ihre tiefverwurzelten<br />

Instinkte abbekommen haben.<br />

Hat es vielleicht etwas mit Blut und Rasse zu<br />

tun? Saña würde dies vermutlich entrüstet<br />

von sich weisen, möchte er doch unter Kennern<br />

als ausgewiesener Sozialist und Antifaschist<br />

gelten.<br />

Allerdings, seine deutliche Distanz zu Prominenten<br />

des Sozialismus kommt nicht von<br />

ungefähr: Lenin etwa (seine Mutter war<br />

natürlich ausgerech<strong>net</strong> Deutsche), dessen<br />

Bolschewismus „importiertes Europäertum<br />

in seiner germanischen ungeduldigen Prägung“<br />

(S. 95) war, konnte seine Mission<br />

1917 bekanntlich nur aufgrund einer Freikarte<br />

der teutonischen Eisenbahn antreten.<br />

Es ist daher nicht verwunderlich, daß Saña<br />

sich auf eine politökonomische Betrachtung<br />

der bundesdeutschen Gesellschaft, respektive<br />

ihrer Klassenverhältnisse kaum einlassen<br />

muß. Dialektische bzw. historisch-materialistische<br />

Ansätze müssen ihm von vornherein<br />

suspekt sein. Denn auch wenn er Karl<br />

Marx bisweilen nahezu lobend (weil weniger<br />

deutsch) erwähnt, – mit Marx und Engels,<br />

„mehr mit letzterem, ... weil er der deutscheste<br />

von bei<strong>den</strong> war“ (S. 157), fing „die organisatorische<br />

Germanisierung der europäischen<br />

Arbeiterbewegung“ schon an.<br />

Sañas kaum verborgene Sympathie für<br />

Bakunin dagegen (dessen panslawistische<br />

Neigung ihn geradezu beflügelt), gibt ihm<br />

die erforderliche antizipatorische Schärfe<br />

hinsichtlich des Verhältnisses zwischen<br />

Deutschen und Russen. Nur so konnte es<br />

<strong><strong>den</strong>n</strong> auch exakt auf <strong>den</strong> Punkt gebracht<br />

wer<strong>den</strong>: „Die Russen wer<strong>den</strong> immer so bleiben,<br />

wie sie waren: indolent, träge, unzuverlässig,<br />

gutmütig, schmerzerprobt, wodkasüchtig,<br />

träumerisch und <strong><strong>den</strong>n</strong>och fähig,<br />

bis zur Selbstaufgabe und mit äußerster<br />

Tapferkeit ihre Heimat gegen je<strong>den</strong> Aggressor<br />

zu verteidigen ... .“(S. 96). Und weil die<br />

Deutschen, wie sollte es bei deren „uralten,<br />

tiefverwurzelten teutonischen Drang“ auch<br />

anders sein, ebenfalls immer so bleiben, wie<br />

sie waren, ist der weitere Lauf der Historie<br />

wohl nicht schwer zu erraten.<br />

Wenn es aber nicht Rassismus sein soll,<br />

was Saña zu seinen für die „Deutschen als<br />

Kollektiv, als Masse, als Nation“ so düsteren<br />

und jede Hoffnung auf Besserung praktisch<br />

ausschließen<strong>den</strong> Perspektiven gelangen<br />

läßt, so bleiben dazu aus dem Rest seiner<br />

Darlegungen im Wesentlichen seine profun<strong>den</strong><br />

Kenntnisse der Psychologie – genauer<br />

des Geschichtsfreudianismus, als dessen<br />

herausragender Vertreter er unzweifelhaft in<br />

die wissenschaftliche Literatur eingehen<br />

wird. Denn er hat ganz offensichtlich mehr<br />

als „bei Freud nur ein bißchen geblättert“ (S.<br />

230). Wie z. B. ein berühmter Verhaltensforscher<br />

meinte, aus jahrelangen Beobachtungen<br />

der Graugänse die Politologie<br />

fortentwickeln zu können, leistet Saña<br />

systemschöpfende Arbeit, indem er mit Sigmund<br />

Freud zugleich die graue Vergangenheit<br />

und die Zukunft des „Germanentums“<br />

erhellt: Denn die teutonische Aggressionsbereitschaft<br />

„war schon längst vorher da als<br />

individuellkollektives Syndrom, als Folge<br />

der autoritär-repressiven Orientierung …<br />

der Gesellschaftsverhältnisse … die bei <strong>den</strong><br />

zwischenmenschlichen Beziehungen täglich<br />

erlebte … Bestrafung war die wahre Ursache<br />

für die Triebunterdrückung und das Entstehen<br />

von Rachegefühlen.“ (S. 55) Und<br />

damit leuchtet ein: „Langeweile erzeugt<br />

Aggressionen, herrschsüchtige Menschen<br />

und Völker sind immer unglücklich und die<br />

Deutschen sind es in höchstem Maße.“(S.<br />

102) Also „ ... ist zu vermuten, daß sie sich<br />

für ihre grundsätzlich aggressive Triebausstattung<br />

neue Entladungsmöglichkeiten“<br />

(S.55) suchen. Fazit: „Wir sehen, daß das,<br />

was wir zusammenfassend antizipatorisch<br />

das vierte Reich nennen, letzten Endes eine<br />

psychische Angelegenheit ist … ein neuer<br />

Zyklus germanischen Machtrauschs … eine<br />

Entladung angestauter Rachegelüste und<br />

unüberwun<strong>den</strong>er Minderwertigkeitskomplexe<br />

… . Ein neuer Höhepunkt der schlimmsten<br />

Traditionen dieses Volkes …“ (S. 237)<br />

usw. usf..<br />

Das Buch, wider <strong>den</strong> deutschen Chauvinismus<br />

geschrieben, ist weder antinationalistisch,<br />

noch antichauvinistisch. Es zeigt vielmehr,<br />

wie sich mit dem Vehikel eines vulgären<br />

Psychologismus ein ungeahntes<br />

Arsenal an rassistischen Klischees und<br />

nationalistischen Vorurteilen reproduzieren<br />

läßt, in diesem Fall gegen „Die Deutschen“.<br />

Sañas Rezept lautet folgerichtig: „Die Entgermanisierung<br />

Deutschlands“(Kap. 21).<br />

Auch sporadisch eingeflochtene Versuche,<br />

<strong>den</strong> Eindruck einer Ausgewogenheit zu<br />

erwecken, erweisen sich als leichtflüchtig.<br />

So macht Saña seine „Hoffnung: die anderen<br />

Deutschen“ (Kap.21) sich selbst gleich<br />

wieder zunichte, <strong><strong>den</strong>n</strong>: „sie waren immer die<br />

Verlierer, sie wer<strong>den</strong> es wahrscheinlich wieder<br />

sein“.<br />

Im Ernst: Der Kampf gegen die Gefahr eines<br />

4. Reiches tut gewiß not – doch dazu bedarf<br />

es einer anderen Diagnostik. So wenig man<br />

die imperialistischen Ambitionen der<br />

führen<strong>den</strong> Kreise des vereinten Deutschland<br />

bestreiten und z.B. die Gefahr einer künftigen<br />

Notstandsdiktatur, eines Faschismus in<br />

neuem Gewand, (etwa unter dem Titel<br />

„Sicherung des Rechtsstaates“) ignorieren<br />

kann, sowenig darf man eine ganze Reihe<br />

von Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte<br />

übergehen. Es sei hier nur Weniges<br />

angedeutet, um zu unterstreichen, wie<br />

gewagt es wäre, Heleno Saña das Feld der<br />

Prophetie streitig zu machen: Die wirtschaftliche<br />

und militärische Rolle der Bundesrepublik<br />

erlaubt der maßgeblichen Klasse keine<br />

nationalistischen Abenteuer. Daß die friedliche,<br />

kosmopolitische Variante der deutschen<br />

Politik <strong>den</strong> Vorzug hat, ist für Saña<br />

allerdings erneuter Beweis für <strong>den</strong> „ungebrochenen<br />

Eroberungs- und Aggressionstrieb“,<br />

der sich notgedrungen halt friedlich<br />

„neue Entladungsmöglichkeiten“ suchen<br />

muß. Aber, daß die „Germanisierung Europas“<br />

etwa durch ökonomische Probleme<br />

infolge der deutschen Einheit gebremst wer<strong>den</strong><br />

könnte, paßt schon nicht mehr in seine<br />

Schablonen.<br />

Für Bewegungen „von unten gibt es für<br />

unseren Autor nur die von seiner eigentümlichen<br />

Geschichtsinterpretation gewiesene<br />

Einbahnstraße. Seine Feststellung, daß es<br />

„in der BRD keine richtige Arbeiterbewegung<br />

und deshalb auch keine richtige Linke“<br />

gibt (S.148) (warum kreidet er das nur <strong>den</strong><br />

Deutschen an?), ist an alten, gescheiterten<br />

Modellen orientiert. Sie muß daher zu der<br />

trostlosen Aussicht führen, „daß die deutsche<br />

Arbeiterklasse sich immer mehr im<br />

Fahrwasser der nationalen Eintracht bewegt<br />

und sich be<strong>den</strong>kenlos dem imperialistischen<br />

Kurs der führen<strong>den</strong> Schichten der Nation<br />

anpassen wird.“(S.152) Überhaupt kein<br />

Thema in diesem Zusammenhang sind die<br />

beträchtlichen Veränderungen der sozialkulturellen<br />

Verhältnisse in Deutschland seit<br />

<strong>den</strong> ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts,<br />

vor allem nach 1945. Wäre es z.B. nicht der<br />

Mühe Wert, aus dem Verbleib der agrarischen,<br />

vom preußischen Halbfeudalismus<br />

autoritär geprägten Schichten, die ein<br />

wesentlicher Resonanzbo<strong>den</strong> des Faschismus<br />

waren, neue Schlußfolgerungen zu ziehen?<br />

„Die unzähligen Sozial-, Protest- und außerparlamentarischen<br />

Bewegungen“ (S.151),<br />

die 68er, die Frie<strong>den</strong>s- oder Ökologiebewegung<br />

usw. vermag Saña nur von der Seite<br />

ihres Scheiterns an der politischen Oberfläche<br />

zu sehen. Ihre Ursachen, Wechselwirkungen<br />

und Vermittlungen gerade im<br />

Zusammenhang mit tieferen Schichten des<br />

sozialen, politischen oder „psychischen“<br />

Milieus bleiben ausgeblendet.<br />

Sañas Buch weist sich aus als das eines<br />

Metaphysikers, für <strong>den</strong> „Dialektik allenfalls<br />

in mechanischen Verhältnissen unveränderlicher<br />

(im Fall der Deutschen allemal unverbesserlicher)<br />

Größen besteht. Der intime<br />

Kenner der germanischen Psyche erschöpft<br />

sich darin, in unendlichen Varianten zu räsonieren,<br />

daß seit der Völkerwanderung im<br />

großen und ganzen alles beim alten geblieben<br />

ist. Die alten Germanen können sich<br />

gegen solchen Obskurantismus (Bestreben,<br />

die Menschen bewußt in Unwissenheit zu<br />

halten, ihr selbständiges Denken zu verhindern<br />

und sie an Übernatürliches glauben zu<br />

lassen) nicht mehr zur Wehr setzen. Wenn<br />

es um <strong>den</strong> gewiß schwierigen Kampf für ein<br />

künftiges Deutschland geht, vor dem die<br />

Völker keine Angst mehr haben müssen,<br />

muß man auf Ratgeber, die statt Aufklärung<br />

Ressentiments anbieten, besser verzichten.<br />

Karl-Heinz Goll<br />

Heleno Saña: „Das vierte Reich“,<br />

Rasch u. Röhring-Verlag, 1990


AUSSTELLUNGEN<br />

Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 12<br />

Eigentlich müßte es der Verpackungsindustrie<br />

ja ganz mulmig zumute sein –<br />

wurde doch nach jahrelangen Diskussionen<br />

mit dem aufgedruckten „Grünen Punkt“<br />

und dem Einsammeln des Mülls durch das<br />

„Duale System Deutschland“ (DSD) ein<br />

hochgelobtes und vielgeschmähtes System<br />

zur Verwertung und Umverteilung unser<br />

aller Abfälle eingeführt, das nun durch die<br />

Skandale um Müllexporte und das Gerede<br />

über drohende Pleite zumindest permanent<br />

diskreditiert wurde. Gerade zu diesem Zeitpunkt<br />

nimmt eine schwedische Papierfirma<br />

namens „Iggesund“, vorrangig tätig als Zulieferer<br />

der Kartonindustrie, das 25jährige<br />

Jubiläum ihrer deutschen Tochterfirma<br />

nicht nur zum Anlaß einer großen Feier,<br />

sondern initiierte jüngst auf Schloß Kranichstein<br />

ein Gespräch zwischen Professoren<br />

und Experten, das rege Fachkreise über<br />

die hohe ökologische Wertigkeit ihrer Produkte<br />

aus der feinen, gebleichten Zellstoffpappe<br />

aufklären sollte. Dem breiten Publikum<br />

wird sogleich eine ebenso aufklärerische<br />

und selbstreflektierende Ausstellung<br />

im „Institut für Neue Technische Form“ auf<br />

der Mathil<strong>den</strong>höhe nachgereicht, welche<br />

die neuen Strategien zu einer ökologisch<br />

vertretbaren Verpackungsflut vorstellen<br />

möchte – allesamt mächtig von Pappe, wie<br />

es scheint.<br />

Tatsächlich sprechen zunächst einige Fakten<br />

für Verpackungen aus diesem Rohstoff: laut<br />

Frauen<br />

weben und<br />

fotografieren<br />

Ausstellungen in der Kunsthalle und der Galerie + Edition Beckers<br />

Statistiken (welchen?) sollen in <strong>den</strong> letzten<br />

bei<strong>den</strong> Jahren die Anteile von Kunststoffen<br />

in der Verpackungsflut von 40 auf 27%<br />

gesunken sein, während Papier und Pappe<br />

an die Stelle dieses Materials getreten seien.<br />

Dieser steigende Anteil dürfte noch wachsen,<br />

wenn sich die Kilogebühren des DSD ab<br />

Oktober für Kunststoffe drastisch erhöhen.<br />

Nun weiß natürlich jeder Bundesbürger, der<br />

brav seine alten Zeitungen in die stets überquellen<strong>den</strong><br />

Container stopft, daß der Altpapiermarkt<br />

einerseits längst übersättigt ist,<br />

und andererseits (aus <strong>den</strong> Anzeigenkampagnen<br />

der Forstindustrie), daß die immerwährende<br />

Zufuhr von Frischfasern für die<br />

hohe Papierqualität ebenso notwendig sei<br />

für einen gepflegten, stets sauber ausgeschlagenen<br />

Wald (<strong>den</strong> wir ja alle wollen).<br />

Mag also der Karton aus frischen Holzfasern<br />

wirklich die Verpackungsform mit einer günstigen<br />

Ökobilanz sein, wie uns die Ausstellung<br />

suggeriert? Man beschreibt dort ausführlich<br />

das eigene Produktionskonzept, <strong>den</strong><br />

Verzicht auf eine Chlorbleiche des Materials<br />

und <strong>den</strong> Einsatz von Holzabschnitten zur<br />

Energiegewinnung, neue Veredlungsverfahren<br />

wie wasserlösliche Lacke und strenge<br />

Aufforstungsprogramme, anschaulich illustriert<br />

und mit einigen kleinen Nadelbäumchen<br />

zur Dekoration. Ob man damit<br />

jedoch kritischen Geistern wirklich ihre<br />

Skepsis austreiben kann? Oder gar jenen<br />

Pessimismus, der kaum glauben läßt, daß<br />

aufgrund unserer angeknacksten Umwelt<br />

keines der drei schwedischen Bäumchen,<br />

die „Iggesund“ angeblich wieder pflanzt, einmal<br />

so groß wer<strong>den</strong> dürfte, das es unseren<br />

Enkeln als Rohstoff dienen kann?<br />

Wofür brauchen wir also <strong>den</strong> weißen, feinen,<br />

hochwertigen Karton? Vielleicht<br />

Ausstellung über<br />

Verpackungen,<br />

nicht ganz ohne<br />

doppelten Bo<strong>den</strong> im<br />

Institut für Neue<br />

Technische Form<br />

tatsächlich als Verpackung für Lebensmittel,<br />

die aus dem hygienisch angeblich<br />

be<strong>den</strong>klichen Recycling-Material allerlei<br />

Schädliches herauslösen und in sich aufnehmen<br />

könnten, wenn sie heiß und fettig<br />

wie eine frische Pizza darin liegen. Und vielleicht<br />

auch für die teuren, aber insgesamt<br />

nur in einer geringen Stückzahl produzierten<br />

Produkte, die wie das Fernglas und die<br />

Fotokamera, in der weißen gelackten Kartonschachtel<br />

mindestens ebensogut aufgehoben<br />

erscheinen wie in der Ex-und-Hopp-<br />

Plastikbox. Aber auch für die Umverpackung<br />

einer Parfumflasche? Oder für die<br />

CD-Schachtel aus Pappe? Hier scheint man<br />

gar die neuesten Design-Trends aus <strong>den</strong><br />

USA verschlafen zu haben, wo die spezifische<br />

Ästhetik der beige oder champagnerfarben<br />

schimmern<strong>den</strong> Recycling-Papiere<br />

längst die kreativen Köpfe der Grafik-Agenturen<br />

zu neuen, sehr edel wirken<strong>den</strong> Lösungen<br />

anregen konnte.<br />

Mehr als widersinnig muß dagegen die Präsentation<br />

eines Verpackungsentwurfs anmuten,<br />

der, granitartig bedruckt und aufwendig<br />

geprägt, auch noch mit dem Schriftzug<br />

„NATURE” versehen wird – und dabei<br />

ganz aus reinem, weißen Frischfaserkarton<br />

besteht. Die Doppelbödigkeit solcher Überlegungen<br />

illustriert dann bestens jenes Beispiel,<br />

wie eine Abreißschiene aus Metall für<br />

Folienrollen durch zackenförmig gesägten<br />

und gefalzten Karton ersetzt wer<strong>den</strong> könnte<br />

– ohne daß dabei auch nur ansatzweise über<br />

die Notwendigkeit des Verpackungsinhaltes,<br />

der energiefressen<strong>den</strong> Alufolie oder der<br />

nicht mehr verwertbaren Plastik-Frischhaltefolie,<br />

nachgedacht würde.<br />

Hier wird der Knackpunkt des ganzen<br />

Unterfangens sichtbar: Weit stärker noch<br />

als in dem Plädoyer für Frischfaserkartons<br />

und in der vielleicht etwas verwegenen Vorstellung,<br />

immer größere Mengen an Material<br />

immer weiter recyclen zu können. Man<br />

beharrt schlichtweg auf dem Standpunkt,<br />

daß mehr oder weniger aufwendige Verpackungen<br />

grundsätzlich notwendig sind<br />

(ganz gleich, wie weit etwa eine Ware transportiert<br />

wer<strong>den</strong> muß, oder ob es sich gar<br />

nur um eine Umverpackung handelt), und<br />

verschwendet zugleich keinen Gedanken<br />

über die ökologische Verträglichkeit der<br />

verpackten Waren selbst.<br />

Auch die ausgestellten Wettbewerbsentwürfe<br />

von jungen DesignerInnen lassen<br />

kaum eine Abkehr von dieser Geisteshaltung<br />

erkennen – ja, ganz im Gegenteil –<br />

man favorisiert hier gerade die komplizierteren<br />

Lösungen, wie einen Chipskarton mit<br />

integrierter Servierschale oder eine Schokola<strong>den</strong>schachtel<br />

mit herausziehbarem<br />

Papierband, auf dem dann die einzelnen<br />

Stückchen kleben. Hauptsache bunt, auffallend,<br />

gekauft und dann ab in <strong>den</strong> Container.<br />

Auch wenn diese Ideen der Pappindustrie<br />

gut gefallen mögen: In einem Institut, das<br />

die Entwicklung innovativer Lösungen für<br />

die Produktgestaltung und somit für unser<br />

aller Leben und Umwelt auf seine Fahnen<br />

geschrieben hat, wirken derart beharrlichkonventionelle<br />

Ansätze bisweilen doch arg<br />

befremdlich.<br />

Gerhard Kölsch<br />

Arachnes Fluch...<br />

Wie der römische Geschichtenerzähler Ovid<br />

in seinen „Metamorphosen“ berichtet, traten<br />

einst die wackere Weberin Arachne und die<br />

mächtige Pallas Athene, Göttin der Weisheit<br />

und des Handwerks, im Wettstreit gegeneinander<br />

an, wer <strong>den</strong> schöneren Bildteppich<br />

weben könne. Und wie man bereits vermutet<br />

hat, es war das Menschenkind Arachne, das<br />

mit fein ausgeführter Bildfolge der Götterliebschaften<br />

diesen Wettstreit gewann. Natürlich<br />

beschwor dergleichen <strong>den</strong> Unmut der<br />

eifersüchtigen Göttin, die unsere geschickte<br />

Weberin flugs in eine eklige Spinne verwandelte,<br />

die bis heute<br />

dazu verdammt ist,<br />

ewig und fleißig<br />

ihre leimigen Fä<strong>den</strong><br />

zu Netzen zu<br />

weben… .<br />

Fast scheint es,<br />

daß die moderne<br />

Bildweberei unter<br />

diesem Fluch der<br />

Arachne steht. Von<br />

fleißigen Frauenhän<strong>den</strong><br />

geschaffen,<br />

wird diese<br />

Kunst von neidischen<br />

Malerkollegen<br />

mißachtet und<br />

von der Kunstkritik<br />

gerne in die Nähe<br />

(Abb.: Kunsthalle) bloß kunsthandwerklicher<br />

Arbeit gerückt. Ob sich die Bildweberei<br />

wirklich auf der Höhe der künstlerischen<br />

Zeit befindet, mag bezweifelt wer<strong>den</strong>.<br />

Vorbei scheinen die Zeiten der Arbeitsteilung,<br />

als große Maler wie Raffael oder Picasso<br />

die Kartons zu <strong>den</strong> Meisterwerken aus<br />

Brüsseler oder Pariser Manufakturen lieferten.<br />

Doch <strong>den</strong> selbst entworfenen und ausgeführten<br />

Einzelwerken der heutigen Künstlerinnen<br />

haftet eine recht hermetische, wenn<br />

nicht sogar hausgemachte Ästhetik an. Eine<br />

Ausstellung der Darmstädter Kunsthalle hat<br />

es zu ihrem Anliegen erhoben, in der Bildweberei<br />

nach neuen künstlerischen Impulsen<br />

Ausschau zu halten.<br />

Zu entdecken sind dort zum Arbeiten, die bei<br />

einem internationalen Symposion für Bildweberei<br />

in der Stadt Graz entstan<strong>den</strong>. Auffallend<br />

ist, daß die formale Überwindung und<br />

die technische Erweiterung der klassischen<br />

Bildweberei am ehesten dazu geeig<strong>net</strong><br />

scheint, überzeugende, weil zeitgemäße,<br />

Ausdrucksform zu fin<strong>den</strong>.<br />

So wirken etwa die arg rustikal umgesetzten<br />

Motive der Bildteppiche von Renate Maak in<br />

ihrer unharmonischen Farbgebung weit<br />

weniger interessant als ihr freihängendes<br />

Objekt aus gelochten Kartons, durch die<br />

bedruckte Streifen aus Zeitschriftenpapier<br />

gewebeartig gezogen wur<strong>den</strong> und als Textoder<br />

Bildfragment erkennbar bleiben. Dergleichen<br />

vermag sich jedoch nur schwerlich<br />

vom Ruch der Frauengeduldsarbeit und der<br />

Handarbeitsstunde freizumachen, ebenso<br />

wie die kleinen Objekttischchen von Ingeborg<br />

Pock, die getrock<strong>net</strong>e Blätter und Blüten,<br />

kleine Kissen und Nadeln unter Glasglocken<br />

vereinen und so fast wie Klosterarbeiten<br />

von fleißigen Nonnen aus dem 19.<br />

Jahrhunderts wirken. Allein der Witz, mit<br />

dem Judit Gink ihre gedruckten Stoffrosen<br />

und Plastikblumen zur plastischen Gestaltung<br />

einsetzt, oder die gestalterische Sensibilität,<br />

die Verena Welten von Arb bei ihren<br />

aus zarten Textilien geschichteten „Gesichtshäuten”<br />

unter Beweis stellt, vermag das vorschnelle<br />

Urteil des handwerklich ausgerichteten<br />

„Frauenmediums” der Textilkunst zu<br />

widerlegen.<br />

Daß man daneben am Steubenplatz auch<br />

noch einen viel zu kurz geratenen Abriß der<br />

historischen Entwicklung der Bildweberei im<br />

norwegischen Trondheim zeigt, gibt der Ausstellung<br />

einen eher gestückelten Charakter.<br />

Man hängt hier die traditionelle Vorbilder<br />

aufgreifen<strong>den</strong> Wandteppiche von Gerhard<br />

Munthe, der in Trondheim um die Jahrhundertwende<br />

eine Manufaktur gründete, gleich<br />

neben die expressiv farbigen, an Kirchners<br />

Teppichentwürfe erinnern<strong>den</strong> Bildgeschichten<br />

von Hannah Ryggen aus <strong>den</strong> dreißiger<br />

und vierziger Jahren, und in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft folgen dann die groben,<br />

raumbeherrschen<strong>den</strong> Filzarbeiten von Beret<br />

Aksnes und die fein gebatikten und plissierten<br />

Sei<strong>den</strong>objekte von Anne Kvam. Auf diese<br />

Weise kann weder eine Entwicklung des<br />

Mediums hinreichend dokumentiert noch ein<br />

mutiger Ausblick auf seine Zukunft entworfen<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

... und Medusas<br />

versteinernder Blick<br />

Starr blickt ein Frauengesicht mit wirrem<br />

Haar auf die drei gewölbten Zerrspiegel, die<br />

gegenüber dem kreisrun<strong>den</strong> Fotoselbstportrait<br />

der Düsseldorfer Fotografin Claudia van<br />

Koolwijk stehen. Und wenn der Betrachter<br />

ihnen gegenübertritt, macht er eine seltsame<br />

Metamorphose durch: seine Beine treten in<br />

spiegelbildlicher Verdoppelung an die Stelle<br />

des Kopfes; oder er wird zum dünnen, stricknadellangen<br />

Geschöpf, offenbar durch <strong>den</strong><br />

bösen Blick der medusenhaft dreinschauen<strong>den</strong><br />

Künstlerin verhext. Ist dies nur eine<br />

muntere Spielerei mit unserer Wahrnehmung?<br />

Oder wird hier mehr als nur das verzerrte<br />

Bild unserer Gestalt, wer<strong>den</strong> auch<br />

gedankliche Vorgänge und künstlerische<br />

Konzepte reflektiert?<br />

„Spiegelbilder“ von Claudia v. Koolwijk<br />

(Abb.: Galerie + Edition Beckers)<br />

Claudia van Koolwijk scheint sich einen Spaß<br />

daraus zu machen, mit derartig vielschichtigen<br />

Bildsystemen zu jonglieren, wie die Ausstellung<br />

ihrer Arbeiten in der Galerie + Edition<br />

Beckers beweist. Die Zerrspiegel brachte<br />

sie ans Rheinufer, um dort Passanten in<br />

formauflösen<strong>den</strong> Posen abzulichten. Rollenspiele<br />

faszinieren sie allenthalben – ob in<br />

posenhaften Selbstportraits oder in <strong>den</strong><br />

Kostümbildnissen ihrer Bekannten und<br />

Freunde, wenn uns „Christian” im violetten<br />

Chiffonkleid mit weißem Spitzenkragen entgegentritt<br />

oder „Herman in <strong>den</strong> Rosen” freudig<br />

vor dem rosaroten, blumigen Hintergrund<br />

lächelt.<br />

Von der Verletzbarkeit unserer Intimität und<br />

der ganz konträren Lust am Vorzeigen scheinen<br />

schließlich die Fotografien der bemalten<br />

nackten Männer zu handeln, wenn ein Körper<br />

über und über mit schwarzen, wie tätowiert<br />

wirken<strong>den</strong> Sonnensymbolen bedeckt ist oder<br />

seine inneren Organe und sein Knochengerüst<br />

in schwarzer und roter Farbe auf die<br />

Haut skizziert wurde – die mythologische<br />

Stimmung der Rollenportraits weicht hier<br />

einer rituellen, mystischen, auf je<strong>den</strong> Fall rätselhaft<br />

bleiben<strong>den</strong> Atmosphäre, die vom<br />

Betrachter erkundet wer<strong>den</strong> will.<br />

Gerhard Kölsch


BRIEFE AN DIE REDAKTION I<br />

Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 13<br />

Wer Lager betreibt und sich bereichert, kriegt was ab Politiker müssen endlich etwas tun<br />

Bekennerschreiben zu Auto-Brandanschlägen in Pfungstadt und Brachtal<br />

Heute, in der Nacht des 8. Juni 1993 haben<br />

wir die verantwortlichen Herren zweier Firmen<br />

besucht, die ihr Geschäft mit dem<br />

Betrieb von Flüchtlingslagern machen. In<br />

Hessen wer<strong>den</strong> viele Lager und Wohnheime<br />

an Privatfirmen „vergeben“, sowohl direkt<br />

vom Land als auch von Kreisen und Kommunen.<br />

„Czok&Vogel-Beherbergungslogistik“ ist die<br />

in Hessen größte und berüchtigste Firma dieser<br />

Art. Sie hat gleich in allen drei hessischen<br />

„Zentralen Aufnahmestellen“ (Zasten) ihre<br />

Finger drin: Schwalbach/Eschborn, Gießen,<br />

Gelnhausen. Sie verdient am Lager „Schloß<br />

Dern“, an Lagern in <strong>den</strong> sog. neuen Ländern<br />

und an mehreren Wohnheimen im Kreis<br />

Darmstadt-Dieburg. In Dieburg, Nordring<br />

35, befindet sich die Zentrale dieser Firma.<br />

Ominöse Verträge eines angeblich überlasteten<br />

Ministeriums lassen Czok & Vogel allen<br />

Spielraum, kräftig abzukassieren.<br />

Schikanöse Lagerkontrollen durch die Wachschutzfirma<br />

„Heym“ aus Limburg, miese<br />

Essensversorgung der Firma „MS-Catering“,<br />

scheinbare Flüchtlingsberatung durch „Integration<br />

e. V.“, Billigputzkolonnen aus Thüringen<br />

... . „Czok & Vogel“ ist undurchschaubar<br />

verwoben mit einem Netz von Subfirmen.<br />

Zusätzlich wer<strong>den</strong> Flüchtlinge als DolmetscherInnen<br />

und sogenannte SozialbetreuerInnen<br />

je nach Bedarf für ein paar Mark am<br />

Tag angestellt.<br />

In <strong>den</strong> „Zasten“ und zum Teil auch in <strong>den</strong><br />

anderen Lagern können und dürfen die Menschen<br />

nicht selbst kochen. Das Geld, das <strong>den</strong><br />

Flüchtlingen eigentlich zusteht, wandert als<br />

Verpflegungssatz in die Kassen von „Czok &<br />

Vogel“. Am miesen Kantinenfraß und billigen<br />

Lunchpaketen wird auf Kosten der Asylsuchen<strong>den</strong><br />

abgesahnt.<br />

Immer wieder kommt es bei der Essensversorgung<br />

zu Protesten und Widerstandsaktionen<br />

der Flüchtlinge. Mit dem Betrieb mehrerer<br />

Großlager hat „Czok & Vogel“ die Möglichkeit,<br />

Verlegungen jederzeit durchführen<br />

zu können. Mehrfach wurde dieses Mittel<br />

angewendet, um Proteste zu brechen.<br />

Lagerbetreiberfirmen erhalten vom Staat<br />

Kopfgeld. Es gibt keine einzuhalten<strong>den</strong> Mindestquadratmeter,<br />

entsprechend wer<strong>den</strong><br />

möglichst viele Flüchtlinge auf engstem<br />

Raum zusammengepfercht. Häufig in Billigstbauweise<br />

erstellt, mittels Dünnwandabtrennungen<br />

umgebaut oder gleich in Container:<br />

Die Unterbringung von Flüchtlingen ist<br />

ein lohnendes Geschäft.<br />

Auch die „Saßmann Grundstücksbetreuungs-GmbH“<br />

hat diesen profitablen Markt<br />

seit Jahren entdeckt und steckt dicke im<br />

Geschäft. Die Firmenzentrale sitzt in 6472<br />

Altenstadt, Hanauer Straße 23, der Schwerpunkt<br />

der Firma liegt im Wetterau- und Main-<br />

Kinzig-Kreis, in Mörfel<strong>den</strong> und in Berlin<br />

Am Dienstag <strong>den</strong> 8. Juni 1993 ist in Frankfurt<br />

ein Brandanschlag auf ein Haus verübt<br />

wor<strong>den</strong>. In dem Haus leben Bürgerinnen<br />

und Bürger dieser Stadt. Allein ihre Nationalität<br />

hat sie zum Ziel dieses brutalen rassistischen<br />

Angriffs gemacht.<br />

Oberbürgermeister von Schoeler beklagt,<br />

„daß das Klima in der Stadt durch diesen<br />

Anschlag beschädigt wor<strong>den</strong> sei“ (FR v.<br />

9./10.6.). Das Nord-Süd-Forum – ein<br />

Zusammenschluß von Frankfurter Gruppen,<br />

die im Nord-Süd-Bereich engagiert<br />

sind, hält dies für einen falschen, weil<br />

ablenken<strong>den</strong> Blickwinkel. Beschädigt wur<strong>den</strong><br />

Menschen, deren elementare Rechte<br />

und Würde! Diese rassistisch-motivierte<br />

Gewalt ist unseres Erachtens das Ergebnis<br />

eines „Klimas“ in Deutschland und auch in<br />

Frankfurt, das schon sehr viel länger Scha<strong>den</strong><br />

genommen hat als erst seit letzten<br />

Dienstag!<br />

Die offene und versteckte Abstempelung<br />

von „Ausländern“ aus zumeist südlichen<br />

Ländern zu Sün<strong>den</strong>böcken für die wirtschaftlichen,<br />

sozialen und politischen Probleme<br />

in Deutschland hat maßgeblich zu<br />

diesem rassistischen Klima beigetragen, in<br />

dem sich gesellschaftliche Gewalt in Form<br />

verbaler und medialer Attacken gegen<br />

„AusländerInnen“ nun in scheinbar individueller<br />

physischer Gewalt verlängert. Dabei<br />

tragen öffentliche Institutionen wie Politik<br />

und Medien eine besondere Verantwortung,<br />

indem sie vorhan<strong>den</strong>e Ängste vor<br />

dem Frem<strong>den</strong> und vor Besitzstandsverlust<br />

in der Bevölkerung für ihr politisches oder<br />

kommerzielles Kalkül nutzen und Straftaten<br />

betreibt sie ebenfalls „Wohnheime“. Der Versuch,<br />

in Hanau Container als „mobile Wohnanlagen“<br />

zu völlig überhöhten Tagessätzen<br />

zu vermieten, unterstreicht nur die Maßlosigkeit<br />

dieser Geschäftemacher. Saßmann persönlich<br />

sowie seine WohnheimleiterInnen<br />

sind als arrogant und schikanös bekannt. Es<br />

sind Rassisten, die sich durch Flüchtlingsverwaltung<br />

bereichern.<br />

Das Geschäftsinteresse der Betreiberfirmen<br />

trifft sich mit <strong>den</strong> staatlichen Zielen: die<br />

Unterbringung von Asylsuchen<strong>den</strong> ist auf<br />

Abschreckung angelegt. Das beginnt in <strong>den</strong><br />

„Zasten“, wo die Flüchtlinge die ersten Monate<br />

verbringen müssen.<br />

Kontrolle, keinerlei eigene Räume für Frauen,<br />

geringes Taschengeld, Arbeitsverbot,<br />

Schnellverfahren und Abschiebungen prägen<br />

das Klima im Großlager. Wer nicht gleich<br />

aus diesen internierungsähnlichen Lagern<br />

abgeschoben wird oder untertaucht, wird<br />

dann in enge Wohnheime oder Container<br />

verschubt.<br />

Lagerunterbringung ist Bestandteil der sich<br />

ständig verschärfen<strong>den</strong> Sondergesetze, sie<br />

ist eine Maßnahme im Katalog imperialistischer<br />

Flüchtlingspolitik der BRD. Das<br />

„Beschleunigungsgesetz“ mit Schnellverfahren<br />

zum 1.4.93 ist kaum in Kraft getreten, da<br />

wird für <strong>den</strong> 1.7.93 mit der „sicheren Drittstaatenregelung“<br />

das Asylrecht faktisch abgeschafft.<br />

Immer weniger Flüchtlinge wer<strong>den</strong><br />

die Möglichkeit haben, überhaupt ins<br />

Asylverfahren zu gelangen.<br />

Flüchtlingsfrauen wird weiterhin keine Chance<br />

auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht<br />

zugestan<strong>den</strong>. Vom Internierungslager am<br />

Flughafen bis zum Ausbau der Abschiebehaftplätze,<br />

von <strong>den</strong> BGS-Menschenjägern an<br />

<strong>den</strong> Grenzen bis zu <strong>den</strong> ständigen Bullenrazzien<br />

in <strong>den</strong> Städten, von der Kürzung der<br />

Sozialhilfe bis zur weiteren Einschränkung<br />

legaler Arbeitsmöglichkeiten: an allen Fronten<br />

wird der Druck auf die Flüchtlingsbewegungen<br />

zugespitzt.<br />

Die Herrschen<strong>den</strong> wollen versuchen, die<br />

Migrationsbewegungen zu regulieren und zu<br />

kontrollieren und die Ausbeutung und Unterdrückung<br />

von MigrantInnen zu vervollkommnen<br />

als unterste Segmente der bestehen<strong>den</strong><br />

Verwertungshierarchie.<br />

Die Angriffe in der Sozialhilfe – die Herausnahme<br />

der Flüchtlinge in ein eigenes „Leistungsgesetz“,<br />

drastische Kürzungen und<br />

Sachmittel anstelle Bargeld – bedienen <strong>den</strong><br />

rassistischen Konsens und vertiefen die<br />

Spaltungslinien. Sie zielen aber ebenso auf<br />

das Existenzminimum der hiesigen Armen:<br />

exemplarisch wird an <strong>den</strong> Flüchtlingen<br />

durchgezogen, was auch verstärkt auf die<br />

hier in ungesicherten Verhältnissen leben<strong>den</strong><br />

Frauen, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger-<br />

Innen, Obdachlosen, Behinderten, Alten und<br />

Nationalität als Ziel eines brutalen Angriffs<br />

Presseerklärung des Nord-Süd-Forums Frankfurt<br />

gegen Menschen ohne deutschen Paß und<br />

andere Minderheiten politisch verharmlosen.<br />

1990 hat der Magistrat der Stadt Frankfurt<br />

eine „Frankfurter Erklärung zu Rassismus<br />

und Antisemitismus“ verabschiedet. Das<br />

Nord-Süd-Forum Frankfurt fordert die konsequente<br />

politische Umsetzung dieser<br />

Erklärung, deren Schlußsatz uns besonders<br />

be<strong>den</strong>kenswert erscheint:<br />

„Stadtluft macht frei, so heißt es seit der<br />

frühen Neuzeit. Und die freien Städte waren<br />

immer Orte des wirtschaftlichen und kulturellen<br />

Austausches wie auch des Schutzes<br />

für Verfolgte gewesen. Dieser Tradition<br />

weiß sich die ehemals Freie Reichsstadt<br />

Frankfurt verpflichtet: gerade in einer Zeit,<br />

die einerseits von neuen Aufbruchsbewegungen<br />

und andererseits vom neuerlichen<br />

Ruf nach einfachen Lösungen und Schuldigen<br />

geprägt ist. Ohne Weltoffenheit wer<strong>den</strong><br />

die Aufgaben der Zukunft mit Sicherheit<br />

nicht zu meistern sein.“<br />

Konkret heißt dies für das Nord-Süd-Forum<br />

Frankfurt:<br />

– Die Integration und Akzeptanz von Menschen<br />

nicht-deutscher Nationalität darf sich<br />

nicht auf <strong>den</strong> ökonomischen Bereich<br />

beschränken!<br />

– Frem<strong>den</strong>feindlichkeit und Rassismus in<br />

städtischen Behör<strong>den</strong>, z.B. in Form polizeilicher<br />

Übergriffe gegen MigrantInnen, müssen<br />

verfolgt und zukünftig verhindert wer<strong>den</strong>.<br />

z.B. durch Programme, die Polizei und<br />

Behör<strong>den</strong> gegenüber rassistischen Verhaltensweisen<br />

sensibilisieren sowie durch eine<br />

Kranken zukommt. Auf dem Arbeitsmarkt gilt<br />

das gleiche: über billigste illegale Flüchtlingsarbeit<br />

wer<strong>den</strong> die Lohnstandards der<br />

gesamten Unterklassen unter noch massiveren<br />

Druck gesetzt. Hierbei kennt das Ausbeutungssystem<br />

keine Grenzen.<br />

Die verstärkte Illegalisierung und Ausbeutung<br />

der Flüchtlinge steht im Einklang mit<br />

<strong>den</strong> rassistischen Angriffen, dem rassistischen<br />

Konsens in weiten Teilen der deutschen<br />

Bevölkerung. Diesen Konsens anzugreifen,<br />

muß vor allem im alltäglichen Verhalten<br />

und in <strong>den</strong> täglichen Auseinandersetzungen<br />

erfolgen. Das schließt für uns die<br />

Suche nach praktischen militanten Handlungsmöglichkeiten<br />

nicht aus. Wir wollen<br />

Ansatzpunkte (weiter)entwickeln, die einen<br />

antirassistischen Widerstand hier stärken<br />

können. Dabei <strong>den</strong>ken wir, daß all diejenigen,<br />

die für rassistische Sondergesetze abstimm(t)en,<br />

die ihre Umsetzung betreiben<br />

und davon profitieren, verstärkt auch persönlich<br />

ihre Verantwortung zu spüren<br />

bekommen sollen.<br />

Zwei rassistische Abkassierer, die Chefs der<br />

o.a. Firmen, haben wir mit unserer ersten<br />

Aufmerksamkeit bedacht und Brandsätze<br />

unter ihre Autos geschoben: Czok, Eckhard,<br />

Seeheimer Str. 99, 6102 Pfungstadt, Hans-<br />

Jürgen Saßmann, Feldstraße 8, Brachtal<br />

Sie sollen wissen, daß sie nicht unbeobachtet<br />

und ungestört von <strong>den</strong> elen<strong>den</strong> Bedingungen<br />

der Flüchtlinge profitieren können.<br />

Gegen Lager, Abschiebung, Sondergesetze!<br />

Antirassistische Zellen<br />

Die Polizei meldete folgendes:<br />

Brandanschlag auf Pkw: In der Nacht zum<br />

Dienstag morgen (8.), gegen 03.40 Uhr meldete<br />

ein Anwohner der Seeheimer Straße in<br />

Pfungstadt der dortigen Polizeistation, daß<br />

im Hof eines Nachbargrundstücks ein Pkw<br />

brennen würde.<br />

Die Freiwillige Feuerwehr Pfungstadt wurde<br />

verständigt und löschte zusammen mit<br />

Nachbarn <strong>den</strong> Brand. Es stellte sich heraus,<br />

daß ein im unverschlossenen Hof abgestellter<br />

Pkw offensichtlich in Brand gesetzt wor<strong>den</strong><br />

war. Er brannte völlig aus. Ein daneben<br />

geparkter Pkw und ein Zaun wur<strong>den</strong> stark<br />

beschädigt. Der Gesamtscha<strong>den</strong> beträgt ca.<br />

180.000 Mark.<br />

Gegen 05.15 Uhr fand der Besitzer der<br />

Wagen an einem weiteren im Hof geparkten<br />

Pkw ein Bekennerschreiben mit dem Text:<br />

„Wer Lager betreibt und sich an Flüchtlingen<br />

bereichert kriegt was ab.“<br />

Bei dem Geschädigten handelt es sich um<br />

<strong>den</strong> Inhaber eines Unternehmens, das im<br />

südhessischen Raum Asylantenunterkünfte<br />

errichtet bzw. betreibt.<br />

Werner Rühl<br />

vermehrte Aufnahme verschie<strong>den</strong>ster<br />

Nationalitäten in diese Institutionen.<br />

– Förderung der Arbeit des Amtes für Multikulturelle<br />

Angelegenheiten mit der Zielsetzung,<br />

ein friedliches Zusammenleben von<br />

Deutschen und anderen Nationalitäten auf<br />

der Basis der Akzeptanz von Gemeinsamkeiten<br />

und kultureller Vielfalt zu erreichen.<br />

Gleichzeitig muß die Kompetenz dieses<br />

Amtes dahingehend ausgeweitet wer<strong>den</strong>,<br />

daß sein bisher nur beratender Status<br />

innerhalb der Frankfurter Behör<strong>den</strong> Verbindlichkeitscharakter<br />

erhält. Wer, wie die<br />

CDU im Gleichklang mit <strong>den</strong> Republikanern<br />

die Abschaffung dieser wichtigen vermitteln<strong>den</strong><br />

Institution fordert, macht sich in<br />

seiner Betroffenheit über Ausländerhaß<br />

unglaubwürdig.<br />

– keine weiteren finanziellen Kürzungen in<br />

<strong>den</strong> Bereichen, die für die soziale Integration<br />

von MigrantInnen, vor allem Kinder und<br />

Jugendlicher, unverzichtbar sind.<br />

– Ausnutzung der politischen Kompetenz<br />

und des Einflusses der Kommunen hinsichtlich<br />

einer doppelten Staatsbürgerschaft,<br />

erleichterter Einbürgerung und Einrichtung<br />

des kommunalen Wahlrechts für<br />

Menschen ohne deutschen Paß, die ihren<br />

Lebensschwerpunkt in Deutschland haben.<br />

Ulla Mikota, Nord-Süd-Forum Frankfurt<br />

Die Zeitung für Darmstadt<br />

!<br />

druckt Briefe an die Redaktion<br />

grundsätzlich unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und<br />

Grammatikfehler sowie Wiederholungen. Für Kürzungen wird<br />

die Zustimmung der AutorInnen eingeholt. Inhaltliche auch<br />

politische Änderungen wer<strong>den</strong> nicht angebracht und auch<br />

nichts hinzugefügt. Die Briefe geben nicht die Meinung der<br />

Redaktion wieder.<br />

Demonstration in Frankfurt aus Entsetzen über die türkischen Opfer<br />

„Sammellager, Sondergesetze, das ist staatliche<br />

Ausländerhetze“, „Bonner Staat legt die<br />

Saat für Faschisten aller Art“, „Rassenhaß<br />

und großdeutscher Wahn, so fing das schon<br />

einmal an“ – mit diesen Slogans bewegte<br />

sich am 4. 6. ein Demonstrationszug von der<br />

Frankfurter Paulskirche zum Opernplatz. Anlaß<br />

waren die Morde von Solingen, aufgerufen<br />

hatte die Kommunale Ausländervertretung<br />

(KAV), Unterstützung gaben Grüne,<br />

DGB, SPD, Jugendring, Caritas und viele andere<br />

mehr. Auf dem Weg zum Opernplatz<br />

drohte ein Konflikt zwischen nationalistischen<br />

„Grauen Wölfen“ und Kur<strong>den</strong> um ihre<br />

Fahnen, <strong>den</strong> die Polizei durch Umleitung der<br />

türkischen Nationalisten vorübergehend entschärfte.<br />

Er entlud sich jedoch unmittelbar<br />

vor Beginn der Kundgebung in Handgreiflichkeiten,<br />

wobei die Türken laut Polizei mit<br />

Stangen versuchten zuzuschlagen. Dem<br />

KAV-Vorsitzen<strong>den</strong> Grigorios Zarcadas gelang<br />

es jedoch mit beschwören<strong>den</strong> Bitten,<br />

Ruhe herzustellen.<br />

Die meisten Redner stellte vor etwa 5.000<br />

ZuhörerInnen die KAV. Anknüpfend an Solingen,<br />

forderten sie mehr Schutz der ausländischen<br />

Mitbürger. „Trauer und Betroffenheit<br />

der Politiker helfen <strong>den</strong> Ausländern nicht!<br />

Die Politiker müssen endlich etwas tun! Soll<br />

das Klima in der BRD jetzt von Mördern und<br />

Brandstiftern bestimmt wer<strong>den</strong>? Die Morde<br />

von Solingen sind kein Ausländerproblem,<br />

sie sind ein Problem der BRD.“ „Wir sind ein<br />

unverzichtbarer Bestandteil dieser Gesellschaft.<br />

Verantwortlich für das Fremdsein der<br />

Ausländer sind die Politiker.“ Die Spaltung in<br />

Ausländer erster, zweiter und dritter Klasse<br />

lehnten die KAV-Vertreter ab, verlangten<br />

stattdessen ein gleichberechtigtes Zusammenleben<br />

mit <strong>den</strong> Deutschen und forderten,<br />

über eine doppelte Staatsbürgerschaft hinaus,<br />

die völlige juristische und politische<br />

Gleichstellung der Ausländer mit <strong>den</strong> Deutschen.<br />

Der Schriftsteller Bahman Nirumand vom<br />

KAV-Vorstand wollte <strong>den</strong> meisten Politikern<br />

nicht abnehmen, daß sie sich wegen Solingen<br />

wirklich schämten, ihre Gesten seien<br />

wohl in erster Linie für das Ausland bestimmt.<br />

Bundeskanzler Kohl kritisierte er wegen<br />

dessen Weigerung, an der Trauerfeier in<br />

Solingen teilzunehmen. „Warum wer<strong>den</strong> nur<br />

hier in Deutschland Menschen verbrannt?<br />

Wann wird man begreifen, daß mit der<br />

Schließung der Grenzen die Gewalt nicht aufhört?<br />

Wann wird man begreifen, daß sich in<br />

diesem Land etwas zusammenbraunt?“ Der<br />

junge Mörder von Solingen sei von dieser<br />

Armut hat viele neue Gesichter<br />

„Teestube“ zieht Bilanz<br />

1988 wurde in Trägerschaft des Diakonischen<br />

Werks die Fachberatungsstelle für<br />

Alleinstehende, Wohnungslose/Nichtseßhafte<br />

mit Tagesaufenthalt eröff<strong>net</strong> und feiert nun<br />

ihren fünften Geburtstag.<br />

Die Fachberatungsstelle – bekannt unter<br />

dem Begriff „Teestube Kiesstraße“ – ist für<br />

wohnungslose und von Wohnungslosigkeit<br />

bedrohte Menschen unverzichtbar gewor<strong>den</strong>.<br />

5.507 Besucher suchten die Teestube im<br />

vergangenen Jahr auf.<br />

Die Beratung ist vertraulich und kostenlos.<br />

Es wird besonderen Wert auf Selbstverantwortung<br />

und Eigeninitiative der Betroffenen<br />

gelegt. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />

bieten Unterstützung bei der Bewältigung<br />

aktueller Schwierigkeiten und dazu auch mittel-<br />

und langfristige Beratung und Begleitung<br />

an.<br />

Schwerpunkte der Arbeit sind die Beratungsarbeit,<br />

der Tagesaufenthalt, die Straßensozialarbeit<br />

und die Öffentlichkeitsarbeit, die<br />

sich im Verlaufe der bisherigen Tätigkeit<br />

zusätzlich als wichtiger Bereich herauskristallisiert<br />

hat.<br />

Durch die aktuelle bedrohliche Situation auf<br />

dem Wohnungsmarkt, die immer mehr Menschen<br />

wohnungslos macht, ist es notwendig,<br />

diese Entwicklung öffentlich zu dokumentieren.<br />

Armut hat viele neue Gesichter: Der Personenkreis<br />

der Ratsuchen<strong>den</strong> hat sich in <strong>den</strong><br />

letzten fünf Jahren verändert. Immer mehr<br />

und immer jüngere Besucherinnen und<br />

Besucher nehmen die Beratung in Anspruch.<br />

Gleichzeitig sprechen auch immer mehr<br />

Familien mit Kindern in der Fachberatungsstelle<br />

vor. Diese wohnungslosen Menschen<br />

brauchen vordringlich Wohnraum, d.h. mietrechtlich<br />

abgesicherte Wohnungen.<br />

Gesellschaft beeinflußt wor<strong>den</strong>. „Durchrassung<br />

– hat er das nicht irgendwo aufgeschnappt?<br />

Orientierungslose Jugendliche<br />

haben sich am Staat orientiert. Ausländerfeindlichkeit<br />

kann man nicht bekämpfen<br />

durch weniger Rechte für Ausländer.“ Nirumand<br />

hat genug von dem für ihn peinlichen<br />

Ritual, bei dem der arme Ausländer sage.<br />

„Ich habe Angst!“ Und der Deutsche: „Ich<br />

schäme mich.“ Das mache ihn wütend: „Lamentieren<br />

und Schamgefühle bringen uns<br />

nicht weiter. Wir müssen unsere Rechte verlangen<br />

in diesem Land, mit dem wir uns verbun<strong>den</strong><br />

fühlen.“ Die doppelte Staatsbürgerschaft<br />

sei nur das erste Ziel, Ausländerfeindlichkeit<br />

werde dadurch nicht beseitigt, doch<br />

die Ausländer gewännen ein Stück Normalität.<br />

DGB-Kreisvorsitzender Dieter Hooge kritisierte<br />

heftig „Bild“-Zeitung und „FAZ“ und<br />

sah in <strong>den</strong> Bonner „Abschiebegesetzen“ eine<br />

„Kapitulation vor <strong>den</strong> Rechtsradikalen“. Die<br />

Asyldebatte habe „fahrlässigen Haß genährt“.<br />

Er dachte an die Möglichkeit, gegen<br />

<strong>den</strong> „rechten Terror“ die Waffe des Streiks<br />

einzusetzen, verlangte ein neues Staatsbürgerschaftsrecht<br />

und, wie die KAV-Vertreter,<br />

„die politische und rechtliche Gleichbehandlung<br />

der ausländischen Mitbürger.“<br />

„Ausländerfeindlichkeit ist ein Politikum,<br />

was <strong><strong>den</strong>n</strong> sonst?“, rief Micha Brumlik von<br />

der Frankfurter Jüdischen Gemeinde. Die<br />

Mordlust der Rassisten sei nur zu bremsen<br />

mit einer Veränderung der gesamten Gesellschaft.<br />

Deutschland sei ein Einwanderungsland,<br />

dies müsse gesehen wer<strong>den</strong>. Und zu<br />

Solingen: „Der Asylkompromiß hat nieman<strong>den</strong><br />

besänftigt – im Gegenteil!“ Dieser Kompromiß<br />

sei selber „ein Ausdruck von Frem<strong>den</strong>feindlichkeit“.<br />

In Deutschland müsse<br />

jetzt eine Bürger- und Menschenrechtsbewegung<br />

entstehen wie in <strong>den</strong> USA der sechziger<br />

Jahre. Den Bundespräsi<strong>den</strong>ten von Weizsäcker<br />

sah er bereits „an der Spitze dieser<br />

Bewegung“.<br />

Kräftige Pfiffe und „Heuchler!“-Rufe hinderten<br />

Hessens Ministerpräsi<strong>den</strong>ten Hans Eichel<br />

von der SPD, deren Bundestagsfraktion<br />

mehrheitlich die faktische Abschaffung des<br />

Asylrechts mitgetragen hatte, eine kurze Zeit<br />

am Re<strong>den</strong>. Die Proteste flammten immer<br />

wieder auf bei harmonisieren<strong>den</strong> oder ausweichen<strong>den</strong><br />

Formeln und waren auch durch<br />

Eichels Angebot (kommunales Wahlrecht für<br />

alle Ausländer; gleiche staatsbürgerliche<br />

Rechte für alle nach fünf Jahren) nicht zu<br />

bremsen.<br />

Willi Hammann<br />

Unterbringungen in Unterkünften mit bis zu<br />

sechs Betten in einem Zimmer sind für Wohnungslose<br />

keine wirkliche Hilfe.<br />

Viele dieser Menschen ziehen daher dem<br />

Schlafen in Notunterkünften das Nächtigen<br />

im Freien vor. Alleingelassen und ohne Hoffnung<br />

auf Veränderung. Noch dazu versehen<br />

mit dem Vorwurf: sie wollten es gar nicht<br />

anders.<br />

Die Erfahrungen zeigen jedoch, daß sich der<br />

überwiegende Teil der wohnungslosen Menschen<br />

aktiv um eine eigene Wohnung<br />

bemüht.<br />

Ablehnung und Gewalt gegenüber Wohnungslosen<br />

nehmen zu. Überfälle „auf der<br />

Platte“ sind keine Ausnahme mehr. Wenn<br />

trotzdem viele Hilfesuchende das Nächtigen<br />

im Freien <strong>den</strong> Massenunterkünften vorziehen,<br />

wird deutlich, daß diese für viele keine<br />

wirkliche Hilfe sind.<br />

Fünf Jahre Teestubenarbeit der mittlerweile<br />

drei hauptamtlichen Sozialarbeiter und Sozialpädagogen<br />

Stefan Gillich, Ute Laucks und<br />

Manfred Zuth heißt aber auch enge und kritische<br />

Zusammenarbeit mit städtischen Behör<strong>den</strong><br />

und vielen anderen Institutionen, sowie<br />

Kolleginnen und Kollegen aus der sozialen<br />

Arbeit. Für diese Zusammenarbeit bedanken<br />

sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />

der Teestube herzlich.<br />

Leider läuft der Mietvertrag der Fachberatungsstelle/Teestube<br />

Kiesstraße Ende Oktober<br />

dieses Jahres aus. Das Diakonische<br />

Werk sucht daher dringend neue Räumlichkeiten<br />

und bittet um Mithilfe und Angebote.<br />

Stefan Gillich, Ute Laucks, Manfred Zuth


BRIEFE AN DIE REDAKTION II<br />

Modernisierung völkischen und rassistischen Denkens<br />

Für die doppelte Staatsbürgerschaft<br />

Wenn plötzlich alle fordern, was ohnehin<br />

schon lange selbstverständlich sein sollte,<br />

so könne doch nur etwas faul sein. – Einige<br />

kritische ZeitgenossInnen reagieren auf das<br />

plötzlich vieldiskutierte Thema der doppelten<br />

Staatsbürgerschaft mit Skepsis. Als Antwort<br />

auf die Solinger Morde und die Folgeanschläge<br />

sei dies verfehlt; die Wurzeln des<br />

rassistischen Verhaltens wür<strong>den</strong> dadurch<br />

nicht berührt; es erfolge lediglich eine Umbenennung,<br />

mit der kein einziges gesellschaftliches<br />

Problem gelöst werde … so und ähnlich<br />

lauten die Argumente. Sie sind nicht von<br />

der Hand zu weisen, aber sie verfehlen die<br />

Ebene, auf der die Forderung der doppelten<br />

Staatsbürgerschaft trotzdem Sinn macht.<br />

Denn sie wäre zuerst und vor allem eine Einrichtung<br />

auf der Ebene der politischen Institutionen:<br />

die Anerkennung der seit langem<br />

hier leben<strong>den</strong> „AusländerInnen“ und ihrer<br />

Kinder als gleichberechtigte BürgerInnen.<br />

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist kein Mittel,<br />

gesellschaftliche Stimmungen oder<br />

Bewußtseinslagen zu verändern, sie wird für<br />

sich genommen auch keine rassistischen<br />

AStA der FH: „Uns reicht’s“<br />

Wir haben es satt, immer wieder die heuchlerischen<br />

Mitleidsbekundungen zu hören! Wir<br />

haben es satt, immer die gleiche Lüge als<br />

Entschuldigung zu hören, daß diese faschistischen<br />

Anschläge nur Taten von irregeführten,<br />

milieugeschädigten Jugendlichen<br />

seien. Eine Lüge, die uns vorgaukelt, es sei<br />

Zufall, daß soviele Attentate hintereinander<br />

passieren. Eine Lüge, die verschleiert, daß<br />

alles ein organisierter Schritt der Faschisten<br />

ist, die ihren Erfolg (Abschaffung des Asylrechts)<br />

ausbauen wollen. Politische Morde<br />

wer<strong>den</strong> als psychosoziale Wutausbrüche<br />

verharmlost.<br />

Gleichzeitig aber wird von Parteien und<br />

Medien weiter Hetze gegen Flüchtlinge und<br />

MigrantInnen gemacht. Die Politiker haben<br />

durch die volksgemeinschaftliche Geschlossenheit<br />

im Bundestag ein fundamentales<br />

Grund- und Menschenrecht abgeschafft und<br />

somit <strong>den</strong> Ansporn für die jüngsten faschistischen<br />

Angriffe geliefert. Sie sind mitverantwortlich<br />

für alles, was hier passiert, doch<br />

haben sie noch viele andere Menschen auf<br />

dem Gewissen: Die Abgeschobenen, die in<br />

ihrer Heimat gefoltert und ermordet wer<strong>den</strong><br />

oder durch die wirtschaftliche Misere und<br />

Kriege, die dieses Land mitverursacht, krepieren<br />

müssen.<br />

Was wird gegen all das unternommen? Was<br />

ist seitens der Regieren<strong>den</strong> und des Staates<br />

zu erwarten?<br />

Seit Hoyerswerda wur<strong>den</strong> ganze drei militante<br />

faschistische Organisationen von über<br />

siebzig verboten und zwar mit Vorankündigung<br />

über die Medien! Weiterhin wur<strong>den</strong><br />

zwei bekannten Persönlichkeiten der rechtsextremen<br />

Szene die Bürgerrechte entzogen.<br />

Nach Mölln wur<strong>den</strong> bewußt ’zig Anschläge<br />

verschwiegen und bagatellisiert. Mit der<br />

„ausländerfreundlichen“ Allparteien-Demo<br />

in Berlin und <strong>den</strong> Lichterketteninszenierungen<br />

wurde der „gute“ Deutsche mit der<br />

demokratischen Gesinnung vorgeführt. Mit<br />

der Abschaffung des Asylrechts sollte dem<br />

„verständlichen Druck der Straße “ (d.h. <strong>den</strong><br />

Faschisten) entgegengewirkt wer<strong>den</strong>.<br />

Ist mit diesen Leuten, selbst falls sie alle<br />

nationalistischen Organisationen verböten,<br />

irgendwas zu bewirken?<br />

Im Gegensatz dazu wur<strong>den</strong> viele AntifaschistInnen<br />

beim Versuch, Asylbewerberheime<br />

Gewalttaten verhindern („weil im Ernstfall ja<br />

doch niemand nach dem Paß fragt“). Das<br />

alles spricht nicht gegen eine neue Regelung<br />

der Staatsbürgerschaft, aber gegen manche<br />

Argumente, mit der die Diskussion um sie<br />

geführt wird. Dabei stehen bisher auch bei<br />

BefürworterInnen meist nur die Bedürfnisse<br />

der Deutschen im Vordergrund: die eigene<br />

Selbstachtung, der diese Geste jetzt geschuldet<br />

ist; die Demonstration des eigenen guten<br />

Willens; der Versuch, das Bild der Deutschen<br />

im Ausland zu retten, etc.<br />

Aufklärung statt Abklärung<br />

Damit wird die politische Dimension dieser<br />

rechtlichen Veränderung nicht begriffen. Ein<br />

weiteres Hindernis ist die inzwischen allzu<br />

übliche Vorstellung, die Menschen existierten<br />

nur in verschie<strong>den</strong>en, in sich homogenen<br />

Ethnien und Kulturen, ein Gedanke, der sich<br />

vielleicht aus der Diskussion der multikulturellen<br />

Gesellschaft heraus verselbständigt<br />

hat. Dort wird die Feststellung getroffen, daß<br />

hierzulande bereits Menschen ganz verschie<strong>den</strong>er<br />

Kulturen leben, verbun<strong>den</strong> mit der Forderung,<br />

sie in ihrer Andersartigkeit zu ach-<br />

Wir wer<strong>den</strong> keine völkisch-nationalistische Verbindungen dul<strong>den</strong><br />

Um dieses Bild in der ZD nicht mehr sehen zu müssen.<br />

zu schützen oder Faschistentreffen zu verhindern,<br />

übelst geschlagen, verhaftet und<br />

angeklagt. Ganz zu schweigen von der Justiz,<br />

die nicht nur auf dem rechten Auge blind ist,<br />

sondern auch besonders laut <strong>den</strong> Medienund<br />

Regierungschor mitsingt: „links ist wie<br />

rechts.“<br />

Berührungsängste mit <strong>den</strong> AntifaschistInnen<br />

haben jedoch auch viele demokratische Bürger.<br />

Sie fin<strong>den</strong> das Mor<strong>den</strong> unmöglich, doch<br />

unmöglich fin<strong>den</strong> sie auch die Forderungen<br />

der AusländerInnen nach Rechten. Genauso<br />

verurteilen sie deren Selbstverteidigung.<br />

Ihrer Meinung nach sind die Faschisten ein<br />

Problem, das zu lösen ist; doch bitte nicht so<br />

politisch, nicht so entschie<strong>den</strong>.<br />

Aber Solingen ist nicht Mölln!<br />

Die meisten der hunderttausend DemonstrantInnen<br />

nach Mölln bleiben jetzt zu Hause.<br />

„Was können wir mehr tun als auf die<br />

Straße zu gehen? Und was haben wir schon<br />

gemacht?“ Andere, vor allem Jugendliche,<br />

sind sich klar darüber: Von <strong>den</strong> Schreibtischtätern<br />

in Bonn und anderswo ist nur<br />

noch Schlimmeres zu erwarten. Sie wollen<br />

handeln, sie wollen <strong>den</strong> Tätern keine Opfer<br />

mehr bieten. Und schon ist das Lager<br />

gespalten. Für die Clique Medien, Regierende,<br />

große Parteien ein gefun<strong>den</strong>es Fressen.<br />

Die beunruhigten Bürger wer<strong>den</strong> in Demokraten<br />

und in gewalttätige mutmaßliche Terroristen<br />

geteilt. Doch das Thema ist nicht<br />

„mit oder ohne Gewalt“ gegen die Faschisierung,<br />

sondern „entschie<strong>den</strong> dagegen oder<br />

nicht!“<br />

Wir, die zu dieser Resolution stehen, wer<strong>den</strong><br />

jede(n), der auf Hochschulebene in irgendeiner<br />

Art auch nur Sympathie zu nationalistischen,<br />

rassistischen Inhalten oder Aktionen<br />

zeigt, isolieren. Zum Beispiel Vereine wie der<br />

„Bund gegen Anpassung“ oder das „Schiller-<br />

Institut“ wie auch diverse reaktionäre, völkisch-nationalistische<br />

Verbindungen wer<strong>den</strong><br />

wir hier nicht dul<strong>den</strong>. Dazu fordern wir die<br />

Hochschulverwaltung auf, ihnen die Genehmigung<br />

zu verwehren und sich nicht schützend<br />

vor sie zu stellen.<br />

Es muß jegliche Aktivität, ob Treffen, Feier,<br />

Kandidatur etc. faschistischer Organisationen<br />

in Darmstadt und Umgebung mit allen<br />

Mitteln verhindert wer<strong>den</strong>.<br />

AStA der Fachhochschule Darmstadt<br />

Bitte rufen Sie mich doch an, wenn wieder so ein Fall<br />

ansteht. Ich möchte doch nicht in der ersten Reihe sitzen.<br />

Auch ein Schwarzfahrer. Telefon 7 57 24<br />

ten. Das ist notwendig und richtig. Aber es<br />

kann nicht angehen, aus dieser Andersartigkeit<br />

ein ideologisches Monstrum zu machen,<br />

in dessen Bann uns der Gedanke schon gar<br />

nicht mehr in <strong>den</strong> Sinn kommt, daß Menschen<br />

auf einer bestimmten Ebene auch Gleiche<br />

sind.<br />

Gegen diese simple Abstraktion aufklärerischen<br />

Denkens scheint heute eine Übermacht<br />

der unmittelbaren Wahrnehmung von<br />

Verschie<strong>den</strong>heit zu stehen, die offenbar auch<br />

bequem ist, weil sie vorweg Grenzen setzt<br />

und Begegnung und Auseinandersetzung<br />

erst gar nicht in Betracht zieht. Die Vorstellung<br />

in sich homogener Ethnien und Kulturen,<br />

die sich weder austauschen noch durch<br />

vielfältige gegenseitige Einflüsse verändern<br />

ist realitätsfremd, aber nichtsdestoweniger<br />

wirksam. Wird dies als für sich bestehende<br />

Grundtatsache aufgefaßt, so scheint ihr auch<br />

politisch Rechnung getragen wer<strong>den</strong> zu<br />

müssen. Argumente für ein verändertes<br />

Staatsbürgerrecht sind dann auch kaum<br />

noch zu fin<strong>den</strong>. Immerhin, mit linkem Selbstverständnis<br />

ist man eben dafür, auch wenn<br />

man auch in multikultureller Abgeklärtheit so<br />

seine Be<strong>den</strong>ken hat.<br />

Neue und alte Blocka<strong>den</strong><br />

Wer nicht dafür ist, hat auf diese Weise erst<br />

recht „Argumente“. Doch leider entsprechen<br />

sie nur zu genau ideologischen Postulaten,<br />

die neu-rechte Intellektuelle hervorgebracht<br />

haben: Indem sie auf ein „Recht auf Verschie<strong>den</strong>heit“<br />

pochen, fordern sie auch, verschie<strong>den</strong>e<br />

Kulturen nicht zu vermischen,<br />

<strong><strong>den</strong>n</strong> erst Vermischung produziere Aggression<br />

und Konflikte. Daß die in diesem Lager<br />

bewußt vorgenommene Modernisierung völkischen<br />

und rassistischen Denkens mit der<br />

gesellschaftlichen Normalisierung dieser<br />

Auffassungen inzwischen so breiten Erfolg<br />

hat, ist mehr als be<strong>den</strong>klich. Von <strong>den</strong> Verständnisbekundungen<br />

für die Brandstifter<br />

von Rostock und einigen Begründungen der<br />

Asylrechtsänderung bis hin zu Augsteins<br />

Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft<br />

dürfte dieses Phänomen inzwischen sattsam<br />

bekannt sein.<br />

Mit dem gelten<strong>den</strong>, an „Blut“, d.h. an<br />

Abstammung gebun<strong>den</strong>en deutschen<br />

Staatsangehörigkeitsrecht leistet man sich<br />

solche Schnörkel nicht. Wer „deutsches<br />

Egozentrisch, frustriert und verkrampft?<br />

Eine Abo-Kündigung, ihr Grund und eine engagierte Antwort<br />

Nach einem Vierteljahr „Zeitung für Darmstadt“<br />

im Abonnement möchte ich – symbolisch<br />

und rechtzeitig – zum nächstmöglichen<br />

Zeitpunkt kündigen.<br />

Warum? Mit jeder Ausgabe werde ich unzufrie<strong>den</strong>er<br />

mit dem Gebotenen. Zieht man die<br />

Anzeigen und <strong>den</strong> Terminkalender ab (da reichen<br />

mir die „Klappe“ und die „darmstädter<br />

nachrichten“), und läßt man die Parteien-<br />

Standpunkte links (bzw. rechts) liegen, so<br />

reduziert sich das Redaktionelle größtenteils<br />

auf die folgen<strong>den</strong> Hieb- und Stichworte: egozentrisch,<br />

frustriert und verkrampft.<br />

Anspruch und Wirklichkeit – was die Darmstädter<br />

Presselandschaft beleben sollte, verliert<br />

(gefällt?) sich in pseudorevolutionärer<br />

Aufgeregtheit und riecht sehr nach querulantiger<br />

Ein-Mann-Show (mit Pseudonym/en).<br />

Wenigstens die Karikaturen haben Qualität,<br />

das Layout ist allerdings unsäglich bieder –<br />

ZD experimentell?<br />

Insgesamt hat das Stu<strong>den</strong>ten-Zeitungs-<br />

Niveau, was sich vielleicht auch ein wenig<br />

auf die (noch) unbedeutende (verkaufte!)<br />

Auflage auswirkt?!<br />

Jürgen Müller-Stephan<br />

Sehr geehrter Herr Müller-Stephan,<br />

Ihre Abonnement-Kündigung ist ab sofort<br />

verzeich<strong>net</strong> und gleichzeitig eine Sperre registriert.<br />

Sie sind unser achter Abonnent, der<br />

dieses Jahr gekündigt hat, als einziger mit<br />

Begründung, deshalb setzen wir uns öffentlich<br />

mit Ihren Argumenten auseinander.<br />

Die Republik kennt viele, allzuviele Schlafmützen,<br />

die lediglich noch mit ihrer Unzufrie<strong>den</strong>heit<br />

zu Markte ziehen können. Ansonsten<br />

bleibt ihren Hirnen das Lesen von Kauf-Angebots-Bildchen<br />

vorbehalten – vom Denken<br />

ganz zu schweigen – siehe „Klappe“.<br />

Aus genau dem besagten Grunde kommen<br />

dann psychologisierende Argumente, die zwar<br />

Rationalität suggerieren sollen, aber lediglich<br />

Spiegel für geistige Unbekleckertheit sind.<br />

Blut“ nicht vorweisen kann, der soll sich<br />

wenigstens klar für Deutschland entschei<strong>den</strong><br />

und anpassen. Daß dies an der Situation der<br />

hier leben<strong>den</strong> AusländerInnen vorbeigeht, ist<br />

schon oft genug gesagt wor<strong>den</strong>. Wenn sie<br />

zunehmend befürchten müssen, Opfer von<br />

Terror und Gewalt zu wer<strong>den</strong>, wird die Aufforderung<br />

zu einer eindeutigen Entscheidung<br />

noch fragwürdiger.<br />

Gleichheit ohne Angleichung<br />

Ein gegenüber „Inhalten“ wie Rasse, Blut<br />

und Volk formalisiertes republikanisches<br />

Staatsbürgerrecht wäre auch für die Gegebenheiten<br />

einer de facto multikulturellen<br />

Gesellschaft offen. Mit einem formalen Bürgerstatus<br />

ist Assimilation ebenso möglich<br />

wie die Pflege oder <strong>den</strong> Rückzug auf ein<br />

anderes kulturelles Erbe und alle möglichen<br />

Lebensweisen und alle möglichen Lebensweisen<br />

und Begegnungsformen dazwischen.<br />

Offensichtlich ist, daß auf der politischen<br />

Ebene weiter Regelungen getroffen wer<strong>den</strong><br />

müßten, um die Möglichkeit tatsächlicher<br />

Integration zu eröffnen, wie auch die Sicherheit<br />

an Leib und Leben zu garantieren. Dazu<br />

gehören ein Antidiskriminierungsgesetz, die<br />

Förderung interkultureller Begegnungen,<br />

aber auch die Einstellung von Ausländern in<br />

<strong>den</strong> Polizeidienst. Wie sehr diese Möglichkeiten<br />

dann wahrgenommen wer<strong>den</strong>, bleibt<br />

unumgänglich eine Angelegenheit der einzelnen<br />

Betroffenen. Daß die Deutschen dabei<br />

genauso neue Anstöße erhalten können wie<br />

die Zugewanderten, sollte eigentlich nicht<br />

eigens erwähnt wer<strong>den</strong> müssen. Das gilt<br />

auch für die Tatsache, daß Konfliktpotentiale<br />

– wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen<br />

auch – niemals durch theoretische Harmoniesucht<br />

aufgelöst wer<strong>den</strong> können. Um<br />

Konflikte demokratisch auszutragen, kann<br />

die abgesicherte Gleichberechtigung aller<br />

Beteiligten aber nur förderlich sein.<br />

Ob und wie aber die Deutschen und die sogenannten<br />

Ausländer miteinander und nicht<br />

nur nebeneinander leben, bleibt eine Angelegenheit<br />

alltäglichen Verhalten, Re<strong>den</strong>s und<br />

Handelns für alle Seiten, die weder durch<br />

Trauer- und Protestkundgebungen noch<br />

durch politische Willensbildung ersetzt wer<strong>den</strong><br />

kann.<br />

Brigitte Gotthold<br />

Ist es <strong><strong>den</strong>n</strong> wirklich so schwer, neben dem verbrannten<br />

Ideal einer unerfüllbaren Objektivität<br />

verschie<strong>den</strong>e Wirklichkeiten zu erkennen?<br />

„Egozentrisch“: Hätten Sie selbst auch nur<br />

einmal Ihre treffsichere Urteilskraft verwandt,<br />

um informierend oder meinungsbil<strong>den</strong>d<br />

an die Öffentlichkeit zu treten – der mir<br />

unterschobene Egozentrismus wäre schon<br />

wieder um Ihren Standpunkt relativiert wor<strong>den</strong>.<br />

„Frustriert“: Den Wissenschaften sei Dank,<br />

daß wir dieses Vokabular zu unserem Arsenal<br />

zählen dürfen, <strong><strong>den</strong>n</strong> wie sonst sollten wir<br />

schwachbrüstige Vorurteile noch in Worte<br />

fassen? Wenn Sie auch nur ein einziges Mal<br />

ein Stück unseres Kampfgeistes in natura erlebt<br />

hätten, wür<strong>den</strong> Sie ob Ihrer Zeilen<br />

schamrot wer<strong>den</strong>.<br />

„Verkrampft“: Dieser Begriff kommt aus dem<br />

Medizinischen und soll wohl so etwas suggerieren<br />

wie geistige Starrheit, sprich festgefahrenen<br />

Standpunkt etc; am besten probieren<br />

Sie sich noch einmal im Lesen-Lernen.<br />

Danach dürfen Sie wieder in Korrespon<strong>den</strong>z<br />

mit mir treten.<br />

Angelegentlich Ihres in der ZD ersten publizistischen<br />

Auftretens müssen Sie sich ernsthaft<br />

der Frage unterziehen, was Sie unter revolutionär<br />

verstehen und daraus folgend,<br />

was für Sie „pseudorevolutionär“ ist. (Wo<br />

haben Sie die Worte bloß aufgepickt?) Sie<br />

ein Marxist? Wohl kaum, <strong><strong>den</strong>n</strong> wer von<br />

„Querulantentum“ dort spricht, wo ihm alle<br />

Argumente fehlen, gehört in die verstaubte<br />

Ecke des stockschlagen<strong>den</strong> wilhelminischen<br />

Oberlehrers (mit seinen Vorurteilen für die<br />

deutsche Rasse), der durch Prügel Disziplin<br />

erzwingen will.<br />

Daß für Sie aus Ihrer argument- und anspruchlosen<br />

Wirklichkeitsbetrachtung des<br />

Psychologisierens heraus, die Wirklichkeiten<br />

selbst verloren gehen und Wahrnehmungsdefizite<br />

greifen, stellen Sie plastisch bildhaft<br />

mit dem Begriff der „Ein-Mann-Show“ dar,<br />

das typisch deutsch-englische Vokabular der<br />

Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 14<br />

„Massenselbstmord<br />

auch in der<br />

BRD möglich“<br />

„Universelles Leben“<br />

lehnt jegliche Gewalt ab<br />

Da sind sie wieder, die selbsternannten<br />

Experten und Sektenjäger, die im Gewande<br />

der honorigen Pfarrer die unliebsame „Konkurrenz“<br />

bekämpfen, wie weiland die Inquisitoren.<br />

Daß freilich Pfarrer Behnk, der vor<br />

knapp zwei Jahren mit der Vorgabe antrat,<br />

<strong>den</strong> Dialog zu fördern, nun in völlig unsachlicher<br />

Weise die Tragödie in Texas dazu verwendet,<br />

ausgerech<strong>net</strong> die Urchristen im Universellen<br />

Leben anzuschwärzen, das mag<br />

doch etwas verwundern. Wer diese Gruppierung<br />

kennt, der weiß, daß ein Selbstmord<br />

(der übrigens in Texas noch längst nicht<br />

nachgewiesen ist) für diese Menschen völlig<br />

un<strong>den</strong>kbar wäre, da sie – im Gegensatz zu<br />

<strong>den</strong> Institutionen Kirche – jegliche Gewalt<br />

ablehnen, gleich, ob gegen sich selbst oder<br />

gegen andere. Was Herrn Behnk nun selbst<br />

betrifft: Wer Menschen, die er gar nicht<br />

kennt, unterstellt, sie hätten keine „Gewissensbildung“,<br />

der zeigt doch nur seine eigene<br />

Gewissenlosigkeit in der Ausführung des<br />

Rufmords in allen Variationen. Daß Herr<br />

Behnk <strong>den</strong> Urchristen noch dazu „jegliche<br />

Kritikfähigkeit“ absprechen möchte, ist<br />

wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß<br />

diese in einer sehr klaren Art und Weise<br />

immer wieder <strong>den</strong> Finger in die Wun<strong>den</strong><br />

kirchlicher Versäumnisse gelegt haben. Ist<br />

nicht gerade in <strong>den</strong> Kirchen Kritikfähigkeit<br />

unerwünscht, vor allem, wenn sie <strong>den</strong> Großsekten<br />

an <strong>den</strong> Geldbeutel zu gehen beginnt?<br />

Ähnlich fa<strong>den</strong>scheinig sind die Vorwürfe der<br />

„geschlossenen Ideologie“. Wer selbst <strong>den</strong><br />

freien Willen des Menschen mißachtet,<br />

indem er diesen schon als Säugling in seine<br />

eigenen Reihen rekrutiert und bei Zuwiderhandlungen<br />

die ewige Verdammnis androht,<br />

wie dies beide Kirchen tun, der kann doch<br />

anderen keinen Nachhilfeunterricht in Toleranz<br />

erteilen. Bleibt das Positive an solchen<br />

Rundumschlägen: Sicher wird es jetzt immer<br />

mehr Mitbürgern klar wer<strong>den</strong>, woher der<br />

Wind bei <strong>den</strong> Kirchen weht und welche knallharten<br />

Wirtschaftsinteressen hinter solchen<br />

unchristlichen Kampagnen stecken. Der<br />

Lack ist ab.<br />

Dieter Albrecht<br />

Fernsehfanatiker. Es ist wohl die Glotze, die<br />

so vernebelt, daß Sie die Welt, in der Sie leben,<br />

nur noch als Talkshow betrachten läßt?<br />

Der Informationsmarkt als Unterhaltungsund<br />

Belustigungsmedium, als Ort persönlich<br />

ausgetragener Eitelkeiten. Der Narziß entblößt<br />

seine Eigenliebe gar noch unbewußt im<br />

schreiben<strong>den</strong> Sich-äußern: Haben Sie heute<br />

schon vor dem Spiegel gestan<strong>den</strong> und überlegt,<br />

Ihre Haare einfärben zu lassen, weil<br />

grau alt macht? Haben Sie schon <strong>den</strong> Termin<br />

für das wöchentliche Solarium vormerken<br />

lassen? … Nicht zu vergessen, ein paar unfrisierte,<br />

laut gedachte Narziß-Probleme:<br />

welches Auto, welche Felgen, welcher Spoiler<br />

passen zu meiner Individualität, zu meinem<br />

Image? Und damit wären wir wieder am<br />

Anfang: Der Narziß im Konsumzeitalter. Viel<br />

Glück durch Kauf!<br />

A propos Frustration – gehen Sie nur ruhig<br />

kaufen, reisen und knabbern Sie ihre Chips-<br />

Nüsse-Ketchup-Frites vor der Fußball-flimmern<strong>den</strong><br />

Glotze und halten Sie so ihre Frust-<br />

Schwelle möglichst niedrig. Für Leute wie<br />

Sie bietet das Leben so wenigstens etwas<br />

Vergnügliches. Falls Sie Neues kennenlernen<br />

möchten: Das Hessische Kultusministerium<br />

informiert sie gern über die heute gebräuchlichen<br />

Lehrbücher.<br />

„Unbedeutende Auflage“: In der ZD schreiben<br />

derzeit 24 AutorInnen (ohne Pseudonyme),<br />

mit steigender Ten<strong>den</strong>z. Die gedruckte<br />

Auflage von 10.000 Exemplaren erreicht<br />

mehr als 8.000 LeserInnen. Das Stu<strong>den</strong>ten-<br />

Dasein ist übrigens nichts Negatives – im<br />

Gegenteil, so mancher wäre froh, er hätte<br />

dieses Niveau erreicht. Viele Stu<strong>den</strong>ten-Zeitungen<br />

sind interessanter als professionelle<br />

Machwerke – wir danken für das Kompliment.<br />

Für <strong>den</strong> Biedermann von heute ist alles<br />

Schwarz-Weiße langweilig, Farbe muß schon<br />

sein (deshalb die „Klappe“?) folglich ist das<br />

Bunte bieder und das Schwarz-weiße unsäglich.<br />

Gute Nacht Herr Müller-Stephan<br />

Michael Grimm


Amtsschimmel in Aktion<br />

Frau K. wundert sich, ein<br />

dickes Kuvert hat ihr der<br />

Magistrat geschickt. Drin<br />

sind mehrere Fragebögen,<br />

einige für <strong>den</strong> Arbeitgeber,<br />

<strong>den</strong> sie als 88jährige Rentnerin seit über<br />

zwanzig Jahren nicht mehr hat. Weil sie<br />

herzkrank ist und auch nicht mehr gut sieht,<br />

hat sie „<strong>den</strong> ganzen Kram“ einfach wieder<br />

zurückgeschickt. Im Eifer des Gefechts, die<br />

Fehlbelegung von Sozialwohnungen festzustellen,<br />

ist der Magistrat weit über das Ziel<br />

hinausgeschossen und bombardiert die<br />

Mieter flächendeckend mit zehnseitigen<br />

Fragebögen.<br />

Als Beispiel für <strong>den</strong> unsinnigen Papierkrieg<br />

führt die sozialpolitische Sprecherin der<br />

CDU, Walburga Jung, die Seniorenwohnanlage<br />

in Arheilgen an. Über hundert ältere<br />

Bewohnerinnen und Bewohner sind dort<br />

vor drei Jahren eingezogen. Damals mußten<br />

sie dem Bauherren die Berechtigung<br />

Mit Nachdruck hat Gerhard O.<br />

Pfeffermann begrüßt, daß die<br />

Industrie und Handelskammer<br />

Darmstadt die Ordnung<br />

der Finanzen und die Auflösung des Verkehrschaos<br />

in <strong>den</strong> Mittelpunkt ihres Positionspapiers<br />

zur Stadtentwicklung gestellt<br />

hat. Das Ende der Ära Metzger eröffne die<br />

Chance einer neuen Weichenstellung. Pfeffermann:<br />

„Das braucht eine große Portion<br />

persönlichen und politischen Mut.“ Neue<br />

Mehrheiten müßten das für die Stadt Notwendige<br />

entschei<strong>den</strong> und nicht nur Populistisches<br />

zu versprechen. Die Finanzlage der<br />

Stadt und die Sorge um die Arbeitsplätze<br />

erlaube keine Experimente und keine ideologischen<br />

Politmätzchen. Die Forderung<br />

nach Sanierung der Finanzen durch Sparsamkeit<br />

und nicht durch die Erfindung neuer<br />

Steuerquellen, stoße bei der CDU auf<br />

volle Zustimmung, ebenso der Vorschlag,<br />

städtische Dienstleistungen wirtschaftlicher<br />

zu erbringen. Stadtentwicklung gehe<br />

Hand in Hand mit der Sicherung von<br />

Arbeitsplätzen und habe deshalb hohe Priorität.<br />

Pfeffermann stellt „weitgehende Übereinstimmung“<br />

mit <strong>den</strong> Positionen der IHK<br />

fest. Abweichende Vorstellungen habe die<br />

CDU beim Baugebiet K 6 in Kranichstein,<br />

das für Wohnungsbau genutzt wer<strong>den</strong><br />

müsse. Pfeffermann: „Wohnungen im K 6<br />

hat die CDU in allen Koalitionsgesprächen<br />

durchgesetzt, daran halte ich fest.“ Für die<br />

dort entfallen<strong>den</strong> Gewerbeflächen könnte<br />

an anderer Stelle Ersatz geschaffen wer<strong>den</strong>.<br />

Pfeffermann würdigte insbesondere die<br />

Bereitschaft der Interessenverbände, Mitverantwortung<br />

zu übernehmen. „Ich freue<br />

mich über alle maßgeben<strong>den</strong> Verbände, die<br />

nicht nur fordern, sondern bereit sind, in<br />

schwieriger Zeit die Kommunalpolitik zu<br />

begleiten und zu unterstützen.“ Unter die-<br />

zum Bezug einer Sozialwohnung mit allen<br />

Details nachweisen. Jetzt läßt ihnen der<br />

zuständige Liegenschaftsdezernent, Gerd<br />

Grünewaldt (SPD), <strong>den</strong> ganzen Berg Papier<br />

zuschicken, obwohl jedermann weiß, daß<br />

sich bei Pensionären die Einkommensverhältnisse<br />

nur geringfügig ändern.<br />

„Die alten Leute fühlen sich von soviel<br />

Papierkrieg überfordert“, weiß Walburga<br />

Jung, „in Zeiten der Datenverarbeitung<br />

müßte es doch ein leichtes sein, die Pensionäre,<br />

die erst kürzlich eingezogen sind,<br />

ganz von der Befragung auszunehmen oder<br />

sie wenigstens mit Unterlagen zu verschonen,<br />

die <strong>den</strong> Arbeitgeber betreffen“.<br />

Bei jährlichen Rentensteigerungen um die<br />

3,5 Prozent kämen Senioren erst frühestens<br />

nach zwölf Jahren in die Zone, wo die<br />

Fehlbelegungsabgabe greift. Eine Überschreitung<br />

der Sozialbindungsgrenze um<br />

bis zu 40 % wird nämlich als Toleranz<br />

geduldet.<br />

Gefragt ist Integration, nicht Spaltung<br />

„Gefordert ist jetzt die Integrationskraft<br />

des neuen Oberbürgermeisters.<br />

Peter Benz ist<br />

kein Koalitionschef, sondern<br />

Vorsitzender einer Stadtregierung,<br />

in der alle Parteien zusammenarbeiten<br />

müssen.“ Dr. Dierk Molter, Fraktionsvorsitzender<br />

der Liberalen im Stadtparlament, und<br />

MdL Ruth Wagner gratulierten dem Gewinner<br />

der Stichwahl im Namen von Fraktion<br />

und Kreisvorstand, machen in einer Pressemitteilung<br />

aber zugleich deutlich, daß die<br />

Aufgaben eines direkt gewählten Oberbürgermeisters<br />

komplizierter sind. Er habe zwar<br />

eine größere Legitimation als ein indirekt<br />

gewählter OB, sei aber <strong><strong>den</strong>n</strong>och kein Ministerpräsi<strong>den</strong>t<br />

mit einem Kabi<strong>net</strong>t ausschließlich<br />

aus <strong>den</strong> Farben der jeweiligen Koalition.<br />

„Der OB ist nach wie vor primus inter pares,<br />

Gleicher unter Gleichen, und muß mit allen<br />

im Kollegialorgan Magistrat zusammenarbeiten“,<br />

erklärt Ruth Wagner.<br />

Die entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Punkte der künftigen<br />

Koalition sehen Fraktion und Vorstand der<br />

Liberalen in der B3-Westumgehung Arheilgens,<br />

der Nord-Ost-Umgehung und im Wohnungsbau.<br />

Besonders in Sachen Nord-Ost-<br />

Umgehung komme es jetzt darauf an, fest zu<br />

bleiben. Peter Benz müsse voll hinter der<br />

Planung stehen, und zwar auch dann, wenn<br />

sich der Baubeginn aufgrund der finanziellen<br />

Möglichkeiten verschiebe. „Noch ist die<br />

Straße nicht im Raumordnungsplan des Landes“,<br />

so Dr. Molter, der daran erinnert, daß<br />

die rot-grüne Koalition in Wiesba<strong>den</strong> bisher<br />

ein Gegner des Projekts war. Wenig Chancen<br />

räumen die Liberalen <strong>den</strong> Zielen einer rotgrünen-Koalition<br />

im Bereich Wohnungsbau<br />

ein. Überall werde reduziert, sowohl am<br />

Wolfhartweg wie z.B. in der Helfmannstraße,<br />

und dem Druck der Nachbarschaft nachge-<br />

PARTEIEN - STANDPUNKTE I<br />

Information verhindert Mißverständnisse<br />

Die Stadtverwaltung soll vor<br />

der Fällung von Bäumen die<br />

Öffentlichkeit informieren.<br />

Dadurch lassen sich Mißverständnisse<br />

wie bei der Baumfällung<br />

Karlstraße 105-107 vermei<strong>den</strong>. Der<br />

Öffentlichkeit war nicht bekannt, daß die<br />

Bäume krank waren und deshalb gefällt<br />

wer<strong>den</strong> mußten.<br />

In einem Schreiben an Umweltdezernenten<br />

Heino Swyter regt der Fraktionsvorsitzende<br />

der Grünen, Günter Mayer, an, daß die<br />

Öffentlichkeit informiert wird, bevor im<br />

Stadtgebiet Bäume gefällt wer<strong>den</strong>. „Denn<br />

das Fällen von Bäumen stößt bei <strong>den</strong> Bürgerinnen<br />

und Bürgern auch deshalb auf Unverständnis,<br />

weil die Gründe für die Fällung<br />

nicht bekannt sind. Durch rechtzeitige Information<br />

können Spekulationen über die<br />

Notwendigkeit von Baumfällungen von vorneherein<br />

ausgeschlossen und Mißverständnisse<br />

vermie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>“, meint Mayer.<br />

Das braucht persönlichen und politischen Mut<br />

sem Gesichtspunkt sehe er in dem Positionspapier<br />

der IHK eine Orientierungshilfe<br />

für <strong>den</strong> künftigen Oberbürgermeister. Das<br />

gelte besonders für das hausgemachte<br />

Darmstädter Verkehrschaos. Die CDU wolle<br />

beim öffentlichen Verkehr eine Angebotsstrategie<br />

fahren, damit Busse und Bahnen<br />

als interessante Alternative von Arbeitnehmern<br />

und Kun<strong>den</strong> angenommen wür<strong>den</strong>.<br />

„In Zeiten knapper Mittel sind Investitionen<br />

Was erwarten Frauen von der Politik ?<br />

Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 15<br />

Menschenverachtender Haß<br />

Wo bleibt die Mobilisierung von Gewerbeflächen?<br />

Im Frühjahr 1992 hat die Hessische<br />

Landesentwicklungund<br />

Treuhandgesellschaft<br />

(HLT) eine Untersuchung vorgelegt.<br />

Darin waren gewerbliche<br />

Flächenreserven in Darmstadt unter<br />

dem Gesichtspunkt der Reaktivierung<br />

geprüft wor<strong>den</strong>. Die vom Magistrat drei<br />

Jahre zuvor in Auftrag gegebene Untersuchung<br />

hatte immerhin ein Potential von 191<br />

Grundstücken mit 80 Hektar aufgezeigt. Die<br />

CDU-Fraktion fragt kritisch nach, was zwischenzeitlich<br />

unternommen wor<strong>den</strong> sei,<br />

um die genannten Flächen für die wirtschaftliche<br />

Nutzung zu aktivieren. Im April<br />

1992 habe Oberbürgermeister Metzger eine<br />

Vorlage zur Mobilisierung der Flächen<br />

angekündigt, die stehe bis heute aus.<br />

„Nach unserer Information haben Liegenschaftsamt<br />

und das Amt für Wirtschaftsförderungen<br />

keinen Handschlag getan, um die<br />

Ergebnisse der Untersuchung, die viel Geld<br />

gekostet hat, auszuwerten und in konkrete<br />

Politik umzusetzen“, kritisiert der CDU-<br />

Fraktionsvorsitzende, Dr. Rüdiger Moog. In<br />

Darmstadt gebe es die fatale Gewohnheit,<br />

Gutachten zu bestellen und sie dann in die<br />

geben. Damit lassen sich 600 neue Wohnungen<br />

pro Jahr nicht realisieren, erklärt die<br />

Fraktion und hofft, daß nun endlich nach<br />

einem halben Jahr Wahlkampf die konkrete<br />

politische Arbeit beginnen kann.<br />

Schublade zu legen. In Zeiten sinkender<br />

Gewerbesteuereinnahmen sei die Trägheit<br />

des Liegenschaftsdezernenten, Gerd Grünewaldt,<br />

in dieser Frage besonders unverständlich.<br />

Mit der Rückgewinnung von<br />

Gewerbeflächen im Nor<strong>den</strong> und Nordwesten<br />

der Stadt könnten Standortentscheidungen<br />

von Firmen positiv beeinflußt wer<strong>den</strong>.<br />

Besonders interessant dabei:<br />

Erschließung sei vorhan<strong>den</strong>, z.B. in einem<br />

größeren Areal in der Pallaswiesenstraße,<br />

es brauchten keine investiven Vorleistungen<br />

der Stadt erbracht zu wer<strong>den</strong>. „Wir<br />

leben hier nicht auf der Insel der Seligen,<br />

auch die Stadt Darmstadt muß etwas für<br />

<strong>den</strong> Erhalt von Arbeitsplätzen tun“, fordert<br />

der CDU-Fraktionschef Dr. Moog. Die CDU<br />

erwarte ein ämterübergreifendes Aktivierungskonzept<br />

für die Gewerbeflächen.<br />

Unter drei Gesichtspunkten müsse auf der<br />

Grundlage des HLT-Gutachtens weitergearbeitet<br />

wer<strong>den</strong>: Welche Grundstücke lassen<br />

sich kurz- mittel- und langfristig wiederverwerten,<br />

wo sind Altlasten zu beseitigen,<br />

welche Flächen kommen für Neuansiedlung<br />

oder Auslagerung bestimmter Branchen in<br />

Frage. Damit brauche nicht gewartet zu<br />

sorgfältig abzuwägen. Ich sehe bei der<br />

Gestaltung der Innenstadt, besonders am<br />

Marktplatz einen Vorrang. Was wir dort hineinstecken,<br />

rech<strong>net</strong> sich auch für die Stadt<br />

unter dem Gesichtspunkt sicherer Arbeitsplätze<br />

und solider Steuerkraft“, stellt Gerhard<br />

O. Pfeffermann fest. Er wird einen Termin<br />

mit Verantwortlichen der IHK vereinbaren,<br />

um die notwendigen Maßnahmen im<br />

einzelnen durchzusprechen.<br />

Zu einem Gespräch mit dem<br />

CDU-Abgeord<strong>net</strong>en Gerhard<br />

O. Pfeffermann hatte die Frauenunion<br />

eingela<strong>den</strong>. In vier<br />

Themenbereichen: Familie,<br />

Beruf, Alter und Ehrenamt sollten Frauen<br />

ihre Erfahrungen und ihre Erwartungen an<br />

die Politik vortragen. In ihrer Einführung<br />

machte die Vorsitzende Dr. Sissy Geiger<br />

deutlich, daß junge Frauen in ihrer Lebensplanung<br />

kein entweder/oder mehr akzeptierten,<br />

sondern beides wollten, Beruf und<br />

Familie. Darauf habe sich die Politik für<br />

Frauen einzustellen.<br />

Zum „Leben mit Kindern“ gab es eine kontroverse<br />

Diskussion: Während die Frauenbeauftragte<br />

der Stadt, Trautel Baur, klagte,<br />

Frauen hätten während der Familienphase<br />

massive Nachteile in Kauf zu nehmen,<br />

waren sich die Mütter in der Runde einig,<br />

daß Kindererziehung eine lohnende und<br />

bereichernde Aufgabe bedeute. Lob gab es<br />

dafür, daß Kindererziehung sich bei der<br />

Rente auszahlt. Tadel gab es für mangelnde<br />

Unterstützung durch <strong>den</strong> Partner bei <strong>den</strong><br />

Familienpflichten. Petra Anspach, berufstätige<br />

Mutter eines zweijährigen Sohnes,<br />

hat Schwierigkeiten einen Kindergartenplatz<br />

für ihren Sohn zu fin<strong>den</strong>. Bereits jetzt<br />

hat sie bei mehreren Einrichtungen gehört,<br />

daß erst Vierjährige aufgenommen wer<strong>den</strong><br />

können. Die Frauenbeauftragte bestätigt,<br />

daß die Kindergartenplanung seit dem Jahr<br />

1985 nicht mehr aktualisiert wor<strong>den</strong> ist und<br />

daß seit zwei Jahren an einem neuen Plan<br />

„gestrickt“ wird, bisher ohne Ergebnis.<br />

Weitere Kritikpunkte der Gesprächsteilnehmerinnen:<br />

Akuter Platzmangel in einigen<br />

Stadtteilen und die höheren Elternbeiträge<br />

bei kirchlichen Kindergärten.<br />

„Hat das Ehrenamt noch eine Zukunft?“ bei<br />

dieser Frage prallten gegensätzliche Meinungen<br />

aufeinander. Während manche <strong>den</strong><br />

Vorwurf erhoben, ehrenamtliche Tätigkeit<br />

grenze an Ausbeutung, wies die Vorsitzende<br />

des Darmstädter Frauenrings, Lisa<br />

Knopp, darauf hin, daß ehrenamtliche<br />

Arbeit schließlich freiwillig erbracht werde,<br />

„aus Freude an der Aufgabe“. Stadträtin Eva<br />

Ludwig nannte konkrete Zahlen: in <strong>den</strong><br />

alten Bundesländern gibt es 7 Millionen<br />

ehrenamtlich Tätige, die jährlich Dienstleistungen<br />

für rund 12 Milliar<strong>den</strong> Mark leisten.<br />

80% dieser Arbeit wird von Frauen<br />

erbracht. Einig war man sich in der Überlegung,<br />

für ein langjähriges umfangreiches<br />

Erst vor kurzem wurde nach der Fällung<br />

einiger größerer Bäume zwischen <strong>den</strong><br />

Gebäu<strong>den</strong> Karlstraße 105 und 107 im<br />

Zugang zur Mornewegschule einiger Protest<br />

laut. Denn die Bäume sahen äußerlich<br />

völlig gesund aus. Über die Gründe, warum<br />

diese Bäume der Motorsäge zum Opfer fielen,<br />

war aber nichts bekannt. AnwohnerInnen<br />

wandten sich deshalb mit der Bitte an<br />

die Grünen, dieser Sache nachzugehen.<br />

Günter Mayer stellte darauf eine Kleine<br />

Anfrage an die Verwaltung. Er wollte u.a.<br />

wissen, ob <strong>den</strong> Bauherren des Hauses Karlstraße<br />

107 Auflagen zum Schutz der Bäume<br />

erteilt wor<strong>den</strong> seien, ob diese Auflagen eingehalten<br />

wur<strong>den</strong> und wer die Fällung veranlaßt<br />

habe. Mit dem Tenor dieser Anfrage<br />

waren wiederum AnwohnerInnen des neugebauten<br />

Wohnkomplexes Karlstraße 107-<br />

Zu Beginn ihrer Fraktionssitzung<br />

gedachte die CDU-Fraktion<br />

in einer Schweigeminute<br />

der Opfer des Mordanschlages<br />

von Solingen. „Fassungslos<br />

und tief erschüttert stehen wir vor dieser Tat<br />

eines menschenverachten<strong>den</strong> Hasses. Die<br />

Empörung über <strong>den</strong> gräßlichen Mord ist uns<br />

wer<strong>den</strong> bis der Regionale Raumordnungsplan<br />

fortgeschrieben sei. Diese Mobilisierungsplanung<br />

ist allein Sache der zuständigen<br />

Dezernenten Metzger und Grünewaldt.<br />

Dr. Moog: „Hier muß der Magistrat endlich<br />

seine Hausaufgaben machen. Statt über<br />

Steuererhöhungen nachzu<strong>den</strong>ken, sollten<br />

neue Entwicklungsmöglichkeiten genutzt<br />

wer<strong>den</strong>“. Das Gewerbeflächen-Recycling<br />

biete viele Vorteile: Chancen zur Strukturverbesserung,<br />

umweltschonender Flächeneinsatz<br />

und die Sicherung von Arbeitsplätzen<br />

– und das alles ohne die zeitrauben<strong>den</strong><br />

und teueren Vorbereitungen die bei der<br />

Ausweisung von neuen Gewerbegebieten<br />

anfallen.<br />

Verpflichtung, allen Formen der Gewalt entgegenzutreten<br />

und für ein friedliches Zusammenleben<br />

der Menschen in Darmstadt mit<br />

aller Kraft zu arbeiten“.<br />

Mit diesen Worten rief Gerhard O. Pfeffermann<br />

auf, Toleranz und Mitmenschlichkeit<br />

zur Grundlage des politischen Handelns zu<br />

machen. Für die CDU-Fraktion wer<strong>den</strong> Gerhard<br />

O. Pfeffermann und die stellvertretende<br />

Fraktionsvorsitzende Karin Wolff als Vorsitzende<br />

des Evangelischen Arbeitskreises der<br />

CDU dem Ausländerbeirat einen Brief schreiben,<br />

um ihrer Anteilnahme auszudrücken.<br />

Stellvertretend für die in Darmstadt leben<strong>den</strong><br />

Ausländer soll dem Ausländerbeirat nicht<br />

nur unsere Bestürzung über <strong>den</strong> Brandanschlag<br />

auf die türkische Familie deutlich<br />

gemacht wer<strong>den</strong>, sondern auch die Bereitschaft<br />

Verantwortung zu übernehmen für<br />

das friedliche Zusammenleben von Menschen<br />

unterschiedlicher Nationalität.<br />

„Wir sind froh und dankbar, daß es in Darmstadt<br />

ein Klima des Verständnisses und der<br />

Toleranz mit Ausländern gibt, aber wir müssen<br />

wachsam sein. Wir wollen der Gewalt in<br />

jeder Form und gegenüber jedem Menschen<br />

Widerstand entgegensetzen“, betont der<br />

CDU-Vorsitzende Gerhard O. Pfeffermann.<br />

17. Juni: ein Thema für Schulen<br />

Ehrenamt Steuererleichterungen vorzusehen.<br />

Barbara Seeber von der Frauenselbsthilfe<br />

nach Krebs schilderte deutlich, was sie<br />

ihr Ehrenamt kostet: ein ganzes Zimmer<br />

ihrer Wohnung hat sie dafür zum Büro<br />

umfunktioniert mit Fax-Gerät, Kopierer und<br />

Schreibtisch, aber sie kann ihr „Büro“ nicht<br />

steuerlich absetzen.<br />

Bei dem Thema „Senioren“ drehte sich alles<br />

um die solidarische Pflegeversicherung.<br />

Anne Franz vom Darmstädter Pflege- und<br />

Sozialdienst setzte sich nachdrücklich für<br />

die baldige Einführung des Pflegeversicherungsmodells<br />

von Norbert Blüm ein. Sie<br />

machte darauf aufmerksam, daß die Kosten<br />

der Altenhilfe jährlich um etwa 8,5% ansteigen,<br />

dabei sind 3% Lohnsteigerungen für<br />

die Pflegekräfte und 5,5% entfallen auf <strong>den</strong><br />

Anstieg der Fälle. „Wenn diese Aufgaben<br />

nicht rasch und gemeinsam gelöst wer<strong>den</strong>,<br />

überrollt uns eine Lawine, das ist absehbar“.<br />

Die Zeitung für Darmstadt druckt Parteienmeldungen grundsätzlich<br />

unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und Grammatikfehler<br />

sowie Wiederholungen. Inhaltliche auch politische Änderungen<br />

wer<strong>den</strong> nicht angebracht und auch nichts hinzugefügt. Die Briefe<br />

geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.<br />

111 nicht einverstan<strong>den</strong>. Sie sahen sich<br />

dem Verdacht ausgesetzt, irgend etwas mit<br />

der Fällung zu tun zu haben. Dabei ist das<br />

Gegenteil der Fall. Die AnwohnerInnen des<br />

Neubaus hatten sich für <strong>den</strong> Erhalt der Bäume<br />

eingesetzt.<br />

Günter Mayer bedauert, daß es zu diesen<br />

Mißverständnissen gekommen ist. Die Antwort<br />

auf die Kleine Anfrage liegt mittlerweile<br />

vor. Die Bäume mußten gefällt wer<strong>den</strong>,<br />

weil ihr Gesundheitszustand wegen eines<br />

Pilzbefalls sehr schlecht war und eine<br />

Bruchgefahr der Krone bestand. „Durch ein<br />

gestiegenes Umweltbewußtsein wer<strong>den</strong><br />

Fällaktionen zum Glück kritisch bewertet.<br />

Darüber sollte man froh sein. Um so wichtiger<br />

ist es aber, daß deshalb rechtzeitig über<br />

die Gründe für Fällungen informiert wird,“<br />

so Günter Mayer weiter.<br />

Am 17.6.93 jährte sich zum<br />

vierzigsten Mal der Tag des<br />

Volksaufstandes in der ehemaligen<br />

DDR. Deshalb hat sich<br />

der CDU-Kreisvorsitzende Gerhard<br />

O. Pfeffermann dafür ausgesprochen,<br />

<strong>den</strong> Ereignissen am 17. Juni 1953 in der ehemaligen<br />

DDR und dem langen Weg zur Wiedervereinigung<br />

breiteren Raum im Schulunterricht<br />

und in der Arbeit der Volkshochschulen<br />

zu geben. Aus Anlaß des 40. Jahrestages<br />

des Aufstandes in vielen Städten Ostdeutschlands<br />

bezeich<strong>net</strong>e Pfeffermann <strong>den</strong> 17. Juni<br />

als „Symbol für das Streben der Völker Europas<br />

nach Freiheit und Selbstbestimmung“.<br />

„Dieser Ge<strong>den</strong>ktag gibt uns auch Anlaß allen<br />

<strong>den</strong>jenigen zu danken, die über viele Jahrzehnte<br />

hinweg unbeirrbar <strong>den</strong> Gedanken der<br />

deutschen Einheit lebendig erhalten haben<br />

und in Ost und West öffentlich für die Einheit<br />

und Freiheit Deutschlands eingetreten sind“,<br />

betonte der CDU-Politiker. Dieses Bekenntnis,<br />

so Pfeffermann weiter, sei eine Voraussetzung<br />

für die Wiedervereinigung gewesen.<br />

„An die Menschen, die am 17. Juni 1953 ihr<br />

Leben für Gerechtigkeit und Freiheit gelassen<br />

haben, <strong>den</strong> vielen, die harte Freiheitsstrafen<br />

hinter Gittern verbüßen mußten, <strong>den</strong>ken<br />

wir Christdemokraten in Ehrfurcht und<br />

Bewunderung“, stellte Pfeffermann fest.<br />

Der CDU-Vorsitzende erinnerte daran, daß<br />

der Ruf nach Freiheit und Gerechtigkeit von<br />

der Ost-Berliner Stalinallee ausgegangen sei<br />

und nach und nach in rund 250 Städten die<br />

Menschen auf die Straße gegangen seien.<br />

Von sowjetischen Truppen und kasernierter<br />

Volkspolizei sei das Aufbegehren brutal zerschlagen<br />

wor<strong>den</strong>. „Die Frauen und Männer,<br />

die im Juni 1953 ihr Leben für Freiheit und<br />

Gerechtigkeit eingesetzt haben, sind Vorbilder<br />

auch für künftige Generationen.“<br />

Der Kreisvorsitzende hob hervor, der wiedererlangten<br />

staatlichen Einheit müsse in Ost und<br />

West die Erkenntnis folgen, daß der Weg zur<br />

wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Vollendung<br />

der inneren Einheit auch die Bereitschaft<br />

zu wirtschaftlichen und persönlichen<br />

Opfern mit sich bringe, bis die Lebensverhältnisse<br />

in Ost und West angeglichen<br />

seien. Für das gegenseitige Verständnis könnten<br />

Schulen, Hochschulen und Volkshochschulen<br />

einen wesentlichen Beitrag leisten.<br />

Chaoten<br />

Strafantrag wegen Sachbeschädigung<br />

hat die CDU, Kreisverband<br />

Darmstadt, gestellt.<br />

Wieder einmal waren Wahlplakate<br />

beschädigt wor<strong>den</strong>.<br />

Entlang der Frankfurter Straße hatten Unbekannte<br />

alle Pfeffermann-Plakate überklebt mit<br />

einem Papierstreifen, der <strong>den</strong> dem Aufdruck<br />

„ungültig“ enthielt.<br />

Wie der Gerhard O. Pfeffermann feststellt,<br />

sollte hier offenbar der falsche Eindruck<br />

erweckt wer<strong>den</strong>, als sei seine Bewerbung für<br />

das Amt des Oberbürgermeisters in Darmstadt<br />

hinfällig gewesen. „Es gibt in dieser<br />

Stadt eine Menge Chaoten, die die Spielregeln<br />

demokratischer Willensbildung nicht achten<br />

und glauben mich und die CDU auf diese Weise<br />

in Mißkredit bringen zu können.“ Der Vandalismus<br />

nehme immer mehr zu, bedauert die<br />

CDU. Wahlplakate wür<strong>den</strong> nicht nur überklebt,<br />

sondern auch zertreten, umgeworfen<br />

oder beschmiert.


PARTEIEN - STANDPUNKTE II<br />

Aus für das Kranichsteiner Jagdmuseum? Straßensperre unnötig<br />

Die Hessische Landesregierung<br />

lehnt es ab, das Jagdschloß<br />

weiter zu restaurieren,<br />

so daß die Einrichtung<br />

des Jagdmuseums ebenfalls<br />

in Frage gestellt ist.<br />

In der Fragestunde des Hessischen Landtags<br />

während der Plenardebatte hat die<br />

Darmstädter F.D.P.-Abgeord<strong>net</strong>e Ruth<br />

Wagner erneut nach Maßnahmen im Jagdschloß<br />

Kranichstein, nämlich der Einrichtung<br />

des Jagdmuseums gefragt.<br />

Die Ministerin für Wissenschaft und Kunst,<br />

Frau Professor Evelies Mayer (Darmstadt)<br />

hat in bemerkenswerter Offenheit vor dem<br />

Landtag erklärt: „Da das geplante Jagdmuseum<br />

nicht vom Land Hessen betrieben<br />

EG plant <strong>den</strong> europäischen<br />

Überwachungsstaat<br />

„Nicht von der Stadt zu vertreten“<br />

„Die Attacke des CDU-Politikers<br />

Dr. Moog auf die städtische<br />

Obdachlosenpolitik<br />

kann und darf nicht verdecken,<br />

daß die bundesweit<br />

vor allem in <strong>den</strong> Ballungsräumen feststellbare<br />

Wohnungsmisere das Ergebnis einer<br />

viele menschliche Schicksale bedrohen<strong>den</strong><br />

Wohnungs-Katastrophenpolitik der CDU<br />

ist!“ Deshalb, so der Vorsitzende der SPD-<br />

Fraktion Horst Knechtel, müssen die Viertel-<br />

und Halbwahrheit von Moogs Aussagen<br />

schonungslos als politische Heuchelei<br />

und Verlogenheit gebrandmarkt wer<strong>den</strong>.<br />

Moog könne nicht so tun, als sei das Darmstädter<br />

Wohnungsproblem für Obdachlose<br />

und Flüchtlinge eine Sache, die die Stadt<br />

Darmstadt zu vertreten habe. Er müsse sich<br />

an die eigene CDU-Nase fassen und endlich<br />

dafür Sorge tragen, daß die Bonner Blockadepolitik<br />

auf dem Rücken von Beziehern<br />

kleiner Einkommen und von sozial Schwachen<br />

beendet werde. Damit würde <strong>den</strong><br />

Städten und Gemein<strong>den</strong> beim Wohnungsbau<br />

zuerst einmal am allermeisten geholfen.<br />

Moog könne auf lokaler Ebene auch<br />

nicht davon ablenken, daß die Darmstädter<br />

SPD trotz der Hindernisse und der Untätigkeit,<br />

die ihr von CDU-Seite zuteil gewor<strong>den</strong><br />

seien, mehr Wohnungen gebaut habe als<br />

fast jede vergleichbare Stadt in Deutschland.<br />

Geradezu aberwitzig sei es, wenn der CDU-<br />

Politiker auf Aktivitäten seines Parteifreundes<br />

und früheren Stadtrates Dr. Wessely<br />

zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit und<br />

Wohnungsnot für Flüchtlinge verweise.<br />

Dies machen gerade die von ihm zitierten<br />

Beispiel „Hotel Hawerkaste“ und ehemaliges<br />

Lehrlingsheim der Post deutlich. Trotz<br />

des von ihm von vornherein zu niedrig<br />

geschätzten und angebotenen Kaufpreises<br />

für diese Objekte wäre nach einem Umbau<br />

der Preis pro Flüchtlingsbett erheblich<br />

höher gewesen als die sonst gezahlten 25<br />

bis 100 Mark. Es sei auch nicht so gewesen,<br />

daß die Stadt <strong>den</strong> Kauf abgelehnt habe,<br />

sondern sie sei Opfer der von vornherein zu<br />

niedrig angesetzten Kaufangebote Wesselys<br />

gewor<strong>den</strong>, weil sich die privaten<br />

Eigentümer natürlich sofort an <strong>den</strong> marktüblichen<br />

Kaufpreisangeboten orientiert<br />

haben.<br />

Wesselys Aktivitäten seien daher von vornherein<br />

Alibiveranstaltungen gewesen, mit<br />

wird, besteht für eine finanzielle Absicherung<br />

des Landes kein Anlaß.“ Ruth Wagner<br />

hielt der Ministerin vor, daß nach Aussage<br />

des Landesamtes für Denkmalpflege über<br />

die zwischen Stadt und Land vertraglich<br />

vereinbarte Summe von 21 Millionen Mark<br />

hinaus ein Restaurierungsbedarf zur Wiederherstellung<br />

des Jagdmuseums und der<br />

fürstlichen Wohnräume von drei bis vier<br />

Millionen Mark nötig seien. Diese waren<br />

von Minister a. D. Dr. Wolfgang Gerhard<br />

(F.D.P.) seinerzeit im Vertragsentwurf mit<br />

der Stadt Darmstadt durchaus vorgesehen,<br />

wur<strong>den</strong> aber von der jetzigen Regierung<br />

gekappt. Weiterhin habe die „Stiftung<br />

Jägerhof“ bereits ein Konzept für die Neuordnung<br />

des Museums entwickelt, für das<br />

Zu der am Mittwoch beginnen<strong>den</strong><br />

Konferenz der Innenminister<br />

der Europäischen<br />

Gemeinschaft erklärt Claudia<br />

Roth, grünes Mitglied des<br />

innenpolitischen Ausschusses des Europäischen<br />

Parlamentes:<br />

Nur wenige Tage nach der de facto<br />

Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl<br />

durch <strong>den</strong> Deutschen Bundestag kommen<br />

die Innenminister der Europäischen<br />

Gemeinschaft in Kopenhagen zusammen,<br />

um die Etablierung eines europäischen<br />

Überwachungsstaates, in dem grundlegende<br />

Bürgerrechte suspendiert wer<strong>den</strong>, voranzutreiben.<br />

Unter dem Vorwand der Bekämpfung illegaler<br />

Einwanderung und der Abschiebung<br />

von unerwünschten Nicht-EG- und Nicht-<br />

EFTA-Staatsbürgern soll das für eine<br />

flächendeckende Überwachung der Bevölkerung<br />

notwendige polizeiliche Instrumentarium<br />

auf <strong>den</strong> Weg gebracht wer<strong>den</strong>. Ausgeheckt<br />

wurde der zur Verabschiedung stehende<br />

Plan von einer weder dem Europäischen<br />

Parlament noch anderen parlamentarischen<br />

Gremien in <strong>den</strong> Mitgliedsstaaten<br />

bekannten „Untergruppe Abschiebung“ der<br />

„Ad hoc Arbeitsgruppe Einwanderung“.<br />

Dies zeigt einmal mehr <strong>den</strong> undemokratischen<br />

Charakter der von der Europäischen<br />

Gemeinschaft betriebenen Politik.<br />

Die vorgesehenen Überwachungsinstrumente<br />

bil<strong>den</strong> die Vorarbeiten für die Einführung<br />

einer Personenkennziffer für alle<br />

Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen<br />

Gemeinschaft, anhand derer ein<br />

wildgewor<strong>den</strong>er „Sicherheits“-Apparat –<br />

genannt EUROPOL – Informationen über<br />

das alltägliche Leben der Menschen wird<br />

gewinnen können.<br />

Bündnis 90/Die Grünen protestieren entschie<strong>den</strong><br />

gegen die Pläne der EG-Innenminister<br />

und wer<strong>den</strong> mit <strong>den</strong> gebotenen Mitteln<br />

gegen ihre Verwirklichung kämpfen.<br />

Horst Knechtel: Versand solcher Schreiben soll nicht mehr vorkommen<br />

<strong>den</strong>en er <strong>den</strong> damals auch in <strong>den</strong> eigenen<br />

Reihen erhobenen Vorwurf der Untätigkeit<br />

habe entkräften wollen. Daß Moog Krokodilstränen<br />

über die „Stigmatisierung im<br />

Akazienweg“ weine, stelle ein weiteres Beispiel<br />

dafür dar, daß er entweder die Folgen<br />

seiner CDU-Wohnungs- und Sozialpolitik<br />

verleugnen wolle oder als vermögender Privatmann<br />

nicht sehen könne. Moog müsse<br />

einfach zur Kenntnis nehmen, daß ein entschei<strong>den</strong>des<br />

wohnungspolitisches Element<br />

der Stadt Darmstadt im städtischen Bauverein<br />

bestehe. Diese hundertprozentig im<br />

Stadtbesitz befindliche Tochter sei eben,<br />

wie sich auch im vorliegen<strong>den</strong> Fall zeige,<br />

wirklich besser in der Lage, flexibel mit<br />

Wohnungsproblemen umzugehen. Vor<br />

allem der Unsinn, daß die von der Stadt an<br />

<strong>den</strong> Bauverein übertragenen Wohnungen<br />

als Reserve im Kampf gegen Wohnungsnot<br />

hätten eingesetzt wer<strong>den</strong> können, kennzeichne<br />

<strong>den</strong> Sachverstand, mit dem der<br />

CDU-Politiker an das Problem herangehe.<br />

Abgesehen davon, daß es weit und breit<br />

keine Wohnungsbaugesellschaft gebe, die<br />

so viele Wohnungsproblemfälle untergebracht<br />

habe und unterbringe, hätten weder<br />

die Stadt noch der Bauverein in diesen<br />

Wohnungen, die meist mit <strong>den</strong> Beziehern<br />

kleiner Einkommen belegt seien, eben<br />

wegen dieser Belegung noch einen zusätzlichen<br />

Wohnungsnotfall unterbringen können.<br />

Der SPD-Politiker räumt allerdings auch<br />

ein, daß die vom Liegenschaftsdezernat<br />

verschickten Briefe bürokratisch und<br />

unsensibel gegenüber <strong>den</strong> Betroffenen<br />

gewesen seien. Stadtrat Grünewaldt habe<br />

einen „großen Schaff“, in diesem von Wessely<br />

hinterlassenen „La<strong>den</strong>“ alles im Sinne<br />

von mehr Bürgernähe und besserer Organisation<br />

neu zu ordnen. Das gehe in einer<br />

öffentlichen Verwaltung nicht von heute auf<br />

morgen. Grünewaldt habe jedoch zugesagt,<br />

diese Dinge in Kürze zu ändern, damit der<br />

Versand solcher Schreiben nicht mehr vorkommt.<br />

SPD-Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion.<br />

Der Fraktionsvorsitzende Horst Knechtel<br />

Die Zeitung für Darmstadt druckt Parteienmeldungen grundsätzlich<br />

unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und Grammatikfehler<br />

sowie Wiederholungen. Inhaltliche auch politische Änderungen<br />

wer<strong>den</strong> nicht angebracht und auch nichts hinzugefügt. Die Briefe<br />

geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.<br />

zwar auch 60.000 Mark vom Hessischen<br />

Museumsverband gezahlt wur<strong>den</strong>, darin<br />

seien aber erhebliche Eigenmittel enthalten.<br />

Dieser Sachverhalt ist der Ministerin offensichtlich<br />

nicht bekannt.<br />

Ruth Wagner erklärte, es sei völlig unbegreiflich,<br />

daß das Land Hessen kein Interesse<br />

an der Fertigstellung der Sanierung des<br />

Schlosses und der Wiedereinrichtung des<br />

einzigartigen Jagdmuseums habe, mit dem<br />

erst die Attraktivität des Schlosses für die<br />

Darmstädter Bevölkerung und andere<br />

Besucher vervollständigt werde.<br />

Es komme nun auf die Darmstädter Abgeord<strong>net</strong>en<br />

an, bei <strong>den</strong> Haushaltsberatungen<br />

1994 gemeinsam aktiv zu wer<strong>den</strong>, um eine<br />

Sanierungsruine zu verhindern.<br />

Die Baustelle Wilhelminenstr/Ecke<br />

Heinrichstr. versperrt<br />

die Weiterfahrt aus<br />

Bessungen in Richtung<br />

Innenstadt. Betroffen sind<br />

davon in erster Linie Radfahrer. „Völlig<br />

unnötig”, meint Günter Mayer. Die Wilhelminenstr.<br />

ist die von Radfahrer/innen meist<br />

genutzte Verbindung, um aus Bessungen in<br />

die Innenstadt zu kommen. Denn dort fahren<br />

bei weitem nicht so viele Autos wie auf<br />

der Strecke Karlstr./Holzstr. Durch die beiderseits<br />

der Wilhelminenstr. geparkten<br />

PKW ist die Straße auch relativ schmal und<br />

die Geschwindigkeit der Autos deshalb<br />

nicht so hoch.<br />

Seit einiger Zeit ist diese Radverbindung in<br />

Die Ausbeuter<br />

machen weiterhin ihr Geld<br />

„Eine Arbeitnehmerin bekommt<br />

von ihrem Mann<br />

ein Kind. Deswegen arbeitet<br />

sie 14 Wochen nicht.<br />

Dennoch muß der Arbeitgeber<br />

<strong>den</strong> größeren Teil ihres Lohnes weiterzahlen.<br />

Warum eigentlich? Was kann der<br />

Arbeitgeber dafür, daß die Frau ein Kind<br />

kriegt?“<br />

Dies ist ein „Plädoyer für ein soziales Grundrecht<br />

der Arbeitgeber“, verfaßt von einem<br />

Herrn Peter Nipperdey, veröffentlicht in der<br />

Unternehmer-Zeitschrift „Arbeitgeber“. Die<br />

Zeitschrift meint dazu, der Beitrag sei ein<br />

„scharfes Plädoyer für eine Korrektur dessen,<br />

was wir Soziale Marktwirtschaft nennen“.<br />

Nun können wir so etwas überspitzt nennen,<br />

aber alles, was im sozialen Bereich läuft,<br />

läuft genau in diese Richtung.<br />

Befreit vom sozialen und moralischen Druck<br />

eines organisierten Sozialismus, der – so<br />

unvollkommen und am Ende kaputt er gewesen<br />

sein mag – allemal taugte, Kapitalisten<br />

zu bremsen, legen sie jetzt los. Das ist das<br />

eine. Das andere ist, daß ihr System, das sie<br />

Soziale Marktwirtschaft nennen, also der<br />

Kapitalismus, in einer tiefen Krise steckt.<br />

Man kann seinen Zustand desolat nennen.<br />

Oder marode. Oder heruntergewirtschaftet.<br />

Aber das alles nur, soweit es die Bevölkerung<br />

angeht, die Einwohner dieses Landes. Was<br />

die Ausbeuter dieses Landes angeht, so<br />

machen sie weiterhin Geld.<br />

Sie lassen ein ganzes Volk opfern – für die<br />

Staatsfinanzen, angeblich für die Wiedervereinigung,<br />

für die Ankurbelung der Konjunktur,<br />

also für private Wirtschaft und das<br />

Eigentum der Reichen – und bringen selbst<br />

ihre Milliar<strong>den</strong> ins steuergünstige Ausland.<br />

Sie Verlangen von <strong>den</strong> Kranken im Lande,<br />

auf einen Teil ihres Lohnes und Gehaltes zu<br />

verzichten, damit alte Menschen gepflegt<br />

wer<strong>den</strong> können – und schließen sich aus dieser<br />

Verantwortung aus, machen daraus noch<br />

ein Geschäft. Daimler-Benz legt auf der<br />

Hauptversammlung eine gleichbleibende<br />

Divi<strong>den</strong>de für Aktionäre fest und verkündet<br />

auf der gleichen Versammlung die Streichung<br />

von weiteren 15.000 Arbeitsplätzen,<br />

nachdem 1992 bereits 18.000 Arbeitsplätze<br />

vernichtet wor<strong>den</strong> sind.<br />

Immer vor Augen, daß Sozialhilfe gekürzt<br />

wer<strong>den</strong> soll und Kindergeld und Erziehungsgeld<br />

und ganze Bevölkerungsgruppen in Not<br />

getreten wer<strong>den</strong> – das immer vor Augen, ein<br />

paar Fragen zu Sparmöglichkeiten: Warum<br />

wer<strong>den</strong> die Milliar<strong>den</strong>subventionen nicht<br />

gestrichen, die in erster Linie <strong>den</strong> Großgrundbesitzern<br />

zugute kommen? Warum<br />

wer<strong>den</strong> die Bausubventionen in Milliar<strong>den</strong>höhe<br />

nicht gestrichen, die für Luxusbauten,<br />

Zweitwohnungen, Ferienhütten auf Sylt oder<br />

sonstwo zur Verfügung gestellt wer<strong>den</strong>?<br />

Warum wird nicht auf die Senkung des Spitzensatzes<br />

bei der Einkommensteuer von 53<br />

auf 44 Prozent verzichtet?<br />

Weil das nicht der Richtung entspricht, in die<br />

unser Land und seine Bevölkerung getrieben<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Früher hätten wir geschrieben, es sei<br />

unglaublich, daß sich nun auch sozialdemokratische<br />

Politiker an <strong>den</strong> Armen und Entrechteten<br />

vergreifen wollen. Aber nach der<br />

Aufgabe des Asylrechts, nach der Zustimmung<br />

zum „Solidarpakt“ der CDU/CSU/FDP,<br />

nach dem Einschwenken auf Bundeswehreinsätze<br />

im Ausland, sofern die Helme<br />

Blümchen tragen, nach Lafontaines Zustimmung<br />

zum großen Lauschangriff – nach all<br />

dem lassen wir die Floskel „unglaublich“<br />

weg, wenn wir hören, daß der parlamentarische<br />

Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion,<br />

Struck, meint, man dürfe sich Überlegungen<br />

zu Kürzungen bei sozialen Leistungen<br />

nicht länger verschließen. Auch führende<br />

Sozialdemokraten sind ganz offenbar<br />

nach Wegfall des Sozialismus und dem<br />

Scheitern der Kommunisten hemmungslos<br />

gewor<strong>den</strong>.<br />

Zu bremsen ist Talfahrt nur noch von der<br />

Bevölkerung – von <strong>den</strong>en, die sich vor Verfolgte<br />

und Hungernde, Inländer und Ausländer<br />

stellen wollen, von <strong>den</strong>en, die soziale<br />

Rechte für viele gegen die Bereicherung<br />

weniger setzen wollen. Es wird hart wer<strong>den</strong>,<br />

aber es ist zu erreichen, daß wir uns alle dieses<br />

Land wieder leisten können. Und mögen.<br />

Günter Hensel<br />

Nummer 51 · 25.6.1993 · Seite 16<br />

die Innenstadt durch die Baustelle aber<br />

unterbrochen. Der Bauzaun nimmt eine<br />

Hälfte der Fahrbahn ein, so daß nur eine<br />

Fahrspur für <strong>den</strong> Verkehr übrig bleibt. Die<br />

Weiterfahrt in Richtung Innenstadt ist<br />

gesperrt. Für Autofahrer ist das kein größeres<br />

Problem. Sie können auf andere<br />

Straßen ausweichen, was für<br />

Radfahrer/innen nicht ganz so leicht ist. Sie<br />

müssen einen Umweg mit Muskelkraft<br />

bewältigen. Dazu kommt noch, daß andere<br />

Wege in die Stadt für Radfahrer/innen<br />

gefährlicher sind, als die Route über die<br />

Wilhelminenstr..<br />

Für Günter Mayer, <strong>den</strong> Fraktionsvorsitzen<strong>den</strong><br />

der Grünen, ist dieser Fall typisch. Man<br />

sehe daran, daß dem Radverkehr keine<br />

Bedeutung zugemessen werde. In der heutigen<br />

Zeit sei es aber dringend notwendig,<br />

<strong>den</strong> Radverkehr zu fördern. Es sei unmöglich,<br />

wenn die Verkehrsteilnehmer Radfahrer/innen<br />

bei Baumaßnahmen, die Auswirkungen<br />

auf <strong>den</strong> Straßenverkehr hätten,<br />

nicht beachtet und ihnen Hindernisse in <strong>den</strong><br />

Weg gestellt wür<strong>den</strong>.<br />

Er will sich dafür einsetzen, daß der Bauzaun<br />

versetzt wird. „Gerade bei der Baustelle<br />

Wilhelminenstr./Ecke Heinrichstr. ist es<br />

problemlos möglich, <strong>den</strong> Bauzaun zurückzusetzen<br />

um dem Radverkehr die Weiterfahrt<br />

gegen die Einbahnstraße zu ermöglichen.<br />

Oder es muß eine gelbe Linie gezogen<br />

wer<strong>den</strong>. Für Autos wird sowas ja auch<br />

gemacht”, so Günter Mayer.<br />

Die Grünen fordern die Stadtverwaltung<br />

außerdem auf, in Zukunft bei allen Maßnahmen<br />

die Belange von Radfahrer/innen zu<br />

beachten.<br />

Widerstand gegen Sozialabbau<br />

Mit einem betrieblichen Aktionstag<br />

am voraussichtlichen<br />

DGB Tag der ersten Lesung des<br />

Gesetzes zur Pflegeversicherung<br />

wollen, so Kreisvorsitzender Walter<br />

Hoffmann, die Starkenburger Gewerkschaften<br />

Widerstand gegen die breiteste<br />

Welle des Abbaus sozialer Leistungen in<br />

der BRD leisten.<br />

Wenn die Bundesregierung weiterhin an<br />

diesen unsinnigen Plänen zur Einführung<br />

von Karenztagen zur Finanzierung der Pflegeversicherung<br />

festhält, so wird sie bald<br />

selbst zum Pflegefall. Der DGB-Kreisvorstand,<br />

der die anstehende Aktion beriet,<br />

schlug vor, in <strong>den</strong> Betrieben sogenannte<br />

„Gegenlesungen“ in Form von Betriebsversammlungen<br />

und Vertrauensleute-Sitzungen<br />

durchzuführen. Es gelte, so Walter<br />

Hoffmann, diesen einseitig zu Lasten der<br />

Arbeitnehmer und sozial Schwachen<br />

Abbau sozialer Leistungen zu verdeutlichen<br />

und Widerstand in der Arbeitnehmerschaft<br />

und in der Bevölkerung aufzubauen.<br />

Die Schizophrenie der gesamten Bonner<br />

Politik werde zudem an der erklärten Ausnahme<br />

von Abgeord<strong>net</strong>en und Ministern<br />

aus der Karenztageregelung deutlich. Hier,<br />

so Hoffmann, werde mit zweierlei Maß<br />

gemessen. Die Gesundheit der Kranken<br />

gehe endgültig vor die Hunde und der<br />

Sozialstaat <strong>den</strong> Bach herunter, wenn die<br />

Lasten der Finanzierung einseitig <strong>den</strong><br />

Arbeitnehmer/innen aufgedrückt werde.<br />

Man habe Probleme, die seltsame Logik<br />

des Schongangs für Politiker nachzuvollziehen.<br />

Der DGB begrüße die Ablehnung<br />

der Einführung von Karenztagen durch die<br />

Arbeitgeber und forderte diese auf, ihren<br />

Einfluß in Bonn geltend zu machen. In vielen<br />

Starkenburger Betrieben wer<strong>den</strong> zum<br />

Auftakt Flugblätter gestreut mit der Überschrift<br />

, „Wer Wind sät...“, Gegenlesungen<br />

in <strong>den</strong> Betrieben und Veranstaltungen fin<strong>den</strong><br />

statt, am Luisenplatz und in Rüsselsheim<br />

wer<strong>den</strong> spontane Veranstaltungen<br />

durchgeführt. Mitglieder der Deutschen<br />

Postgewerkschaft verteilen vor dem<br />

Postinformationsla<strong>den</strong> am Luisenplatz<br />

Flugblätter.<br />

Wir richten uns, so Walter Hoffmann, auf<br />

einen „heißen Herbst“ in einem sozial<br />

immer kälter wer<strong>den</strong><strong>den</strong> Land ein. Die letzten<br />

Sparvorschläge zur Konsolidierung der<br />

Haushalte zeigen erneut in welche Richtung<br />

der Abbau geht: Alle Lohnersatzleistungen<br />

wie das Arbeitslosen-, Kurzarbeiter-<br />

und Schlechtwettergeld sollen gekürzt<br />

wer<strong>den</strong>. Kürzungen beim Kindergeld, der<br />

Arbeitslosenhilfe und bei der Aussiedlerhilfe<br />

stehen bevor.<br />

Im öffentlichen Dienst greife man sich die<br />

Beamten heraus und wolle die Arbeitszeit<br />

verlängern. Weitergehende Maßnahmen<br />

sind geplant. Kein Wort mehr von einer<br />

Abgabe der Besserverdienen<strong>den</strong>, einer<br />

Arbeitsmarktabgabe für Freiberufler und<br />

Selbständige, der Bekämpfung der Steuerhinterziehung<br />

und Kapitalverlagerung.<br />

Der Starkenburger DGB-Vorstand wird<br />

einen Aktionsplan erarbeiten, der schrittweise<br />

in Etappen verschie<strong>den</strong>e Aktionen<br />

beinhaltet, mit dem Ziel, <strong>den</strong> Sozialstaat<br />

auch in der Krise zu erhalten.<br />

Dabei soll vor allem die Verschlechterung<br />

der Beschäftigtensituation am Beispiel des<br />

BGB-Kreises Starkenburg mit seinen<br />

Betrieben und Verwaltungen verdeutlicht<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Deutscher Gewerkschaftsbund<br />

Kreis Starkenburg<br />

Nachts per<br />

Sammeltaxi<br />

Warum soll, was in Gießen,<br />

Langen oder Hameln funktioniert,<br />

nicht auch in Darmstadt<br />

möglich sein?<br />

In diesen und anderen Städten<br />

der Bundesrepublik gibt es seit geraumer<br />

Zeit öffentliche Transportsysteme für<br />

die Nachtstun<strong>den</strong>, in Gießen z.B. für Frauen,<br />

in Langen als Anruf-Sammeltaxi für<br />

jedermann. Die F.D.P.-Fraktion im Stadtparlament<br />

will in einem Antrag zur Stadtverord<strong>net</strong>ensitzung<br />

dazu initiativ wer<strong>den</strong><br />

und <strong>den</strong> Magistrat auffordern, mit Heag<br />

und privaten Taxiunternehmen zu verhandeln,<br />

um auch in Darmstadt ein solches<br />

Sammeltaxensystem einzurichten. Dabei<br />

hat die F.D.P. nicht nur die Frauen im<br />

Visier, sondern vor allem auch jugendliche<br />

Discobesucher, die sonst nach 1 Uhr<br />

nachts nur noch aufs Auto angewiesen<br />

sind. Die nächtliche Lücke im ÖPNV, so<br />

Ruth Wagner, die sich in Gießen informiert<br />

hat, muß bürgerfreundlich, kostengünstig<br />

und kurzfristig geschlossen wer<strong>den</strong>.<br />

Ebenfalls ums Taxi dreht sich ein weiterer<br />

F.D.P-Antrag. In nahezu allen Städten<br />

Deutschlands dürften auf der Busspur<br />

auch Taxis fahren, erklärt Fraktionsvorsitzender<br />

Dr. Dierk Molter. Nur in Darmstadt<br />

müßten z.B. am Ende der B 26 Taxis im<br />

Stau warten wie jeder normale Pkw. Die<br />

Heag, die von Taxiunternehmen bereits<br />

darauf angesprochen wurde, hat bisher<br />

nichts unternommen.<br />

Aus diesem Grund fordert die F.D.P.-Fraktion<br />

<strong>den</strong> Magistrat auf, mit Heag und<br />

Straßenverkehrsbehörde zu verhandeln,<br />

damit eine generelle Erlaubnis zum Befahren<br />

der besonderen Busspuren in Darmstadt<br />

und <strong>den</strong> angrenzen<strong>den</strong> Gemein<strong>den</strong><br />

erteilt wird.

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