Mekka für Spekulanten - zfd-online.net
Mekka für Spekulanten - zfd-online.net
Mekka für Spekulanten - zfd-online.net
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
satirisch<br />
justizhörig<br />
experimentell<br />
wahrheitenliebend<br />
frei-volksherrschaftlich<br />
Freitag, 13.5.1994<br />
19. Kalenderwoche, 5. Jahrgang<br />
2 Eintrittsgeld<br />
<strong>für</strong> vergifteten Wald<br />
Vetterleswirtschaft<br />
im Bauverein<br />
3 Nacht- und Nebelaktion<br />
<strong>für</strong> Kulturschändung<br />
4 Hooligans:<br />
Keine Brutalosaurier<br />
5 Der Umwelt zuliebe<br />
das Erdgasauto<br />
6 Kein Gesetz gegen Männer<br />
7 Kunst in idyllischem Grün<br />
8 Artgerechte Müslimenschen<br />
9 Fascho-Kunst?<br />
10 Legitimes Recht auf Folter<br />
11 Teuere Sparpolitik<br />
12 Altbackene Provinz<br />
13 Von Bauchgrimmen<br />
zu Politclownerie<br />
14 Was, wenn es brennt?<br />
Nächste Ausgabe:<br />
Freitag, 27.5.1994<br />
alle 14 Tage<br />
Nummer 69<br />
<strong>Mekka</strong> <strong>für</strong> <strong>Spekulanten</strong><br />
Rot-Grüner Beschluß: Haus Lichtenbergstraße 73 wird gekauft<br />
Von einem „bösen Geschäft von<br />
<strong>Spekulanten</strong>“ sprach Dr. Harry<br />
Neß (SPD), als er in der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
am 10.5. begründete,<br />
weshalb das Haus Lichtenbergstraße 73<br />
dennoch gekauft werden soll. „Davon<br />
geht eine Signalwirkung aus“ ähnlich<br />
wie beim Ankauf der Taunusburg in<br />
einem ähnlichen Fall. „Wir wollen<br />
Ruhe im Martinsviertel“ und der „Reiz<br />
des Stadtteils liegt in der Durchmischung“,<br />
dabei zählt Neß Ausländer<br />
auf, einen „Querschnitt durch alle Einkommensschichten“.<br />
Tatsächlich beschlossen<br />
Darmstadts Politiker mit den<br />
Stimmen der Grünen und der SPD, daß<br />
die Stadt kauft – „das ist ein guter<br />
Erfolg“, meinte Neß. Aus welchem<br />
Haushaltsposten das Geld kommen<br />
soll, wurde nicht erörtert. Dem Entschluß<br />
über den Kauf ging eine scharfe<br />
Debatte voraus, ausgetragen zwischen<br />
Stadtbaurat Dr. Wolfgang Rösch<br />
(CDU) und dem Bundestagsabgeord<strong>net</strong>en<br />
Eike Ebert (SPD). Er, der starke<br />
Mann in der SPD, hatte den MieterInnen<br />
der Lichtenbergstraße wiederholt<br />
zugesichert, die Stadt würde das Haus<br />
kaufen, sogar noch als der Magistrat<br />
dies im April mit den Stimmen der SPD<br />
und der Grünen abschlägig beschieden<br />
hatte (ZD-Ausgabe 68).<br />
AKW Biblis Block A:<br />
TÜV abgelaufen<br />
Doch am 10.5. zeigten die Fraktionen<br />
der SPD und der Grünen plötzlich wieder<br />
geschlossenes Engagement <strong>für</strong> den<br />
Ankauf. Kämmerer Otto Blöcker<br />
(SPD), der noch im Magistrat begründet<br />
hatte, weshalb nicht gekauft werden<br />
solle, schwieg sich aus. Einzig Rösch<br />
hielt seine Position und meinte, „die<br />
Stadt hat kein Vorkaufsrecht“, denn<br />
eine Sanierung sei nicht erforderlich.<br />
Als Chef der Stadtbauverwaltung ist<br />
Rösch zuständig <strong>für</strong> die Vergabe von<br />
sogenannten Abgeschlossenheitsbescheinigungen.<br />
☛ Fortsetzung Seite 3<br />
30.4.1994 – zwischen der Einweihung des „größten Atomkraftwerkes der Welt“, Biblis Block A (so die Betreiberin „RWE“<br />
1975), und der heutigen Demonstration <strong>für</strong> die „Stillegung“ – sind fast 20 Jahre vergangen. Auf zwanzig Jahre hatte die „RWE“<br />
oder die Siemens-Tochter „KWU“ – das läßt sich heute nicht mehr eindeutig rekonstruieren – die Betriebsdauer des Nuklear-<br />
Strom-Produzenten ausgelegt. Ebenso wie bei der Einweihung die breiten Proteste aus der Bevölkerung ausgeblieben waren,<br />
kommen auch heute nur 1.200 bis 1.500 DemonstrantInnen.<br />
☛ Fortsetzung Seite 2<br />
Sie lesen<br />
Kritik unerwünscht<br />
Pressefreiheit heißt doch wohl in<br />
erster Linie das Recht, Kritik üben<br />
zu dürfen: eine Erlaubnis, erteilt von<br />
Obrigkeits Gnaden. Schreibendes Lob<br />
<strong>für</strong> die Regierenden, Luisenhofberichterstattung,Dienstfertigkeitsjournalismus,<br />
Partei-Freundlichkeit und Ausgewogenheit<br />
hat noch niemand verbieten<br />
oder gar unter Strafe stellen wollen.<br />
Solange über Zeitungen Meinungen und<br />
Kritik verbreitet werden, solange gibt es<br />
allerdings auch Obrigkeiten, die eben<br />
solches unterbinden, verhindern, bestrafen<br />
wollen – dieser Fall ist gerade der<br />
„Zeitung <strong>für</strong> Darmstadt“ widerfahren.<br />
Noch in diesem Jahrhundert steckte man<br />
unliebsame Schreiberlinge kurzerhand<br />
ins Gefängnis; heute geht das nicht,<br />
davor stehen Grund- und Pressegesetze.<br />
Dennoch gibt es auch heute Methoden,<br />
unliebsame Kritiker abzuwürgen, das<br />
geschieht nur humanitärer, verdeckt:<br />
Über Strafbefehle, über endlose<br />
Gerichtsverfahren. Damals wie heute ist<br />
das Ziel das gleiche, die Kritiker abzuschaffen.<br />
Vor einem Jahr hatte die ZD über den<br />
Immobilien-Filz Darmstädter Politiker<br />
berichtet. Seit der Zeit folgt eine Verhandlung<br />
nach der anderen, eine staatsanwaltschaftliche<br />
Ermittlung nach der<br />
anderen – doch übrig bleibt heute ein<br />
Strafbefehl gegen die Berichterstatter,<br />
nicht gegen die Täter. Der Staatsanwaltschaft<br />
lagen schriftliche Belege <strong>für</strong> die<br />
Bereicherung vor – zwar hat sie „ermittelt“,<br />
aber nicht untersucht, stellte das<br />
Verfahren gegen die abkassierenden<br />
Herren ein und klagt nun die Presse an,<br />
die ans Tageslicht bringt, was an miesen<br />
Geschäften unter dem Deckmantel Politik<br />
in die eigene Tasche gewirtschaftet<br />
wird – zu Lasten der Allgemeinheit. Der<br />
Ausrufer wird Opfer der Justiz, der<br />
Täter geht frei aus. Das ist nichts Neues<br />
in den deutsch-bürgerlichen Republiken<br />
seit ihrer Gründung: Schon einmal in<br />
den Jahren 1933 bis 1945 erlebte das<br />
dritte Reich (nach der Verfassung auch<br />
eine Republik), wie kritische Presse<br />
zum Schweigen gebracht worden ist.<br />
Hat denn in dieser Demokratie niemand<br />
etwas dazugelernt?<br />
Eigentlich sollte man meinen, gerade<br />
die Juristen als Hüter eines der wesentlichen<br />
bürgerlichen Rechte, der Pressefreiheit<br />
(neben der Demokratie), müßten<br />
ein wachsames Auge darauf haben.<br />
Doch auch im heutigen Darmstadt ist<br />
dem nicht so. Nicht nur, daß die Staatsanwaltschaft<br />
gegenüber der Presse auf<br />
Anfragen erklärt, sie sei zur Auskunft<br />
nicht verpflichtet. Informationen werden<br />
immer gerade dorthin vergeben, wo<br />
Einzelpreis 5,50 DM<br />
Postfach 10 11 01, 64211 Darmstadt, Telefon 0 6151/71 98 96<br />
offen<br />
bissig<br />
kritisch<br />
unabhängig<br />
überparteilich<br />
D 11485 D<br />
Paradebeispiel <strong>für</strong> Zensur<br />
Staatsanwaltschaft verhängt Strafbefehl<br />
wg Beleidigung – auf Bewährung<br />
Ist<br />
es eine Beleidigung, jemandem<br />
vorzuhalten, daß er vom Parlamentarischen<br />
nichts hält? Ist es eine<br />
Beleidigung, jemandem vorzuhalten,<br />
daß er <strong>für</strong> seine Partei im richtigen<br />
Moment den Arm streckt? Ist es eine<br />
Beleidigung, jemandem vorzuhalten,<br />
daß ihn Gesetze nur interessieren, wo er<br />
sie zu seinen Zwecken nutzen kann?<br />
Und ist es eine Beleidigung, wenn dies<br />
nicht eine bestimmte Person betrifft,<br />
sondern Politiker im allgemeinen? Die<br />
Staatsanwaltschaft Darmstadt meint: Ja!<br />
„Die Staatsanwaltschaft Darmstadt<br />
klagt Sie an, in Darmstadt am 28.5.93<br />
einen anderen beleidigt zu haben.“ Als<br />
„Strafbefehl“ (auf Zahlung von 20<br />
Tagessätzen zu je 40 Mark) kennzeich<strong>net</strong><br />
die Staatsanwaltschaft ihre Anschuldigung.<br />
Der Herausgeber der ZD war<br />
zunächst erstaunt, hatte er doch zuvor<br />
nie solch ein Schreiben erhalten, erkundigte<br />
sich und erhielt zur Auskunft, daß<br />
beim Verhängen geringfügiger Strafen,<br />
ein Strafbefehl Regel sei, und daß auf<br />
Widerspruch hin ein Verhandlungstermin<br />
angesetzt werde.<br />
Der Beleidigte heiße Volker Schmidt<br />
und dieser sei beleidigt worden durch<br />
den Satz: „Da dieser sichtbar wohlhabende<br />
Mann vom Parlamentarischen<br />
nicht mehr hält, als im <strong>für</strong> die Partei<br />
richtigen Moment den Arm zu strecken<br />
oder unten zu lassen, interessieren ihn<br />
auch die Gesetze wohl nur soweit, wo er<br />
sie entweder direkt oder indirekt zu seinen<br />
Zwecken nutzen kann.“ So zitiert<br />
der Staatsanwalt unvollständig, denn der<br />
Satz der Ausgabe 49 der ZD geht weiter<br />
„– doch über seine Motive können wir<br />
nur spekulieren, das hat mit Tatsachen<br />
denn weniger zu tun.“<br />
Was dem Staatsanwalt ganz und gar entgangen<br />
ist, in demselben Artikel steht zu<br />
lesen: „Der Name? Spielt keine Rolle, er<br />
hat viele Namen.“<br />
Wer des Lesens kundig und des Abstrahierens<br />
fähig ist, dem kann kaum entgehen,<br />
daß in dem Kommentar versucht<br />
worden ist, ein Bild von vorteilnehmenden<br />
Politikern im allgemeinen, nicht<br />
bezogen auf eine Einzelperson, zu<br />
zeichnen. Der Staatsanwalt wird wohl<br />
kaum glauben, daß wir ihm abnehmen,<br />
er habe diesen Zusammenhang nicht<br />
erkannt. Was hat ihn dann zu dem Strafbefehl<br />
gebracht? Sollten nicht das<br />
Gesetz, bzw. geltendes Recht Pate bei<br />
dem Strafbefehl gestanden haben, sondern<br />
die Interessen einer unsäglich breit<br />
verfilzten SPD-Landschaft?<br />
Auch in Bezug auf das Gesetz wird der<br />
Staatsanwalt kaum mit Nicht-Verstanden-Haben<br />
argumentieren wollen. Im<br />
Grundgesetz, Artikel 5, heißt es unter<br />
dem „Recht der freien Meinungsäußerung“:<br />
„Jeder hat das Recht, seine Meinung<br />
in Wort … frei zu äußern und zu<br />
verbreiten … Eine Zensur findet nicht<br />
statt.“ Noch weiter geht das Hessische<br />
Pressegesetz: § 1 „Freiheit der Presse“:<br />
„Jedermann steht es frei, durch die Presse<br />
jede Ansicht zu äußern, zu verbreiten<br />
oder zu verteidigen“.<br />
In Sachen Filz und Vorteilnahmen war<br />
Darmstadts Staatsanwaltschaft stattdessen<br />
so politikerfreundlich, zwar Ermittlungen<br />
gegen Volker Schmidt einzuleiten,<br />
aber erst gar nicht untersuchend<br />
tätig zu werden (ZD Ausgabe 67), sie<br />
stellte die Ermittlungen wieder ein, einzig<br />
sich darauf verlassend, daß ein paar<br />
(möglicherweise falsche) Auskünfte<br />
von Behörden Untersuchungen überflüssig<br />
machen könnten.<br />
Ein Paradebeispiel <strong>für</strong> Zensur stellt der<br />
dem Strafbefehl beiliegende „Beschluß“<br />
dar: „Die Bewährungzeit beträgt ein<br />
Jahr“. Soll sich der Berichterstatter<br />
bewähren, indem er nicht mehr schreibt<br />
und publiziert? Gründlicher kann Zensur<br />
wohl kaum ausgeübt werden.<br />
Zusätzlich ist gleich noch eine Geldbuße<br />
auferlegt „in Höhe von 300 Mark“.<br />
Sollte der Richter (unterzeich<strong>net</strong> ist der<br />
Beschluß nicht) im Ernst meinen, <strong>für</strong><br />
schreibende und publizierende Tätigkeit<br />
sei eine Buße zu leisten? sb<br />
„Wie habe ich mich … bemüht, etwas zu finden,<br />
das lächerlicher wäre als die deutsche Zensur!<br />
Aber ich habe vergebens gesucht.“ Ludwig Börne<br />
es der Behörde opportun erscheint – ihre<br />
Auskunftsverteilereien verstoßen gegen<br />
Gesetz. In der Praxis gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
der Presse schlicht<br />
nichts: so etwa bekam der „Spiegel“<br />
Erlaubnis, die Angeklagten im Giftgasprozeß<br />
abzulichten – anderen Zeitungen<br />
wurde dies nicht genehmigt. Generell,<br />
auch aus anderem rechtlichem Grund,<br />
ist solches unzulässig.<br />
Gegen verfilzte Politiker erhebt Darmstadts<br />
Staatsanwaltschaft selbst bei<br />
Nachweis und Vorlage exakter Unterlagen<br />
keine Anklage. Ob es mal um einen<br />
Oberbürgermeister (Metzger) geht,<br />
gegen den wegen Verstoßes gegen<br />
Umweltschutz hätte verhandelt werden<br />
müssen, oder auch nur um „Stadtverord<strong>net</strong>e“<br />
– alles ist rechtens, richtig und vor<br />
Strafverfolgung geschützt.<br />
Was taugt der Rechtsstaat, wenn er nicht<br />
<strong>für</strong> die Einhaltung eigener Gesetze,<br />
eigenen Rechtes sorgt? Aufgabe der<br />
Staatsanwälte. Was, wenn sie versagen?<br />
Mit dem Rechtsstaat, der freiheitlich<br />
demokratischen Grundordnung geht es<br />
blitzschnell bergab, wird versucht, eines<br />
ihrer wesentlichen Grundrechte, das der<br />
freien Meinungsäußerung auf dem<br />
Wege der Gerichtsbarkeit zu knebeln,<br />
zu disziplinieren. Und: Wie weit reichen<br />
eigentlich die Arme der Parteien und<br />
ihrer Begünstigten?<br />
Zu denken gibt ein Brief an den Herausgeber:<br />
Ein Leser meinte, hier gehe doch<br />
alles mit rechten Dingen zu, wenn<br />
Anklage erhoben wird, dann folge dies<br />
dem Gesetz – wollen wir alle mit ihm<br />
FILZ<br />
hoffen, daß dem wieder so wird – heute<br />
kann davon keine Rede sein. Seit<br />
Erscheinen boykottiert die Stadt Darmstadt<br />
die ZD, schaltete keine einzige<br />
Anzeige (auch wenn Oberbürgermeister<br />
Benz dies nach der Wahl zugesagt hat),<br />
und fördert ungeniert „fremden Wettbewerb“<br />
wie das die Juristen nennen,<br />
sprich das „Darmstädter Echo“. Und<br />
dennoch findet sich in dieser Stadt seit<br />
mehr als drei Jahren kein Rechtsanwalt,<br />
der die Stadt verklagen wollte oder zu<br />
können meint …<br />
Stattdessen fühlen sich Staatsanwälte<br />
berufen, Strafbefehle verschicken zu<br />
lassen.<br />
Bonmot am Rande: Andere Juristen<br />
haben in derselben Angelegenheit gegen<br />
die ZD längst die Argumente gegen<br />
ihren Kollegen Staatsanwalt geliefert<br />
und entgegengesetzt entschieden – Kläger<br />
Schmidt hat in erster Privatklage-<br />
Instanz verloren. Nicht, daß er sich mit<br />
dem Urteil begnügte, nein, es geht um<br />
anderes als die Rehabilitierung eines<br />
angeblich Beleidigten, eines ehrbaren<br />
Politikers, es geht um den finanziellen<br />
Ruin einer unbequemen Zeitung. Mit<br />
hohen Streitwerten und Anwaltskosten<br />
wird versucht, das zu erreichen, was mit<br />
dem Boykott nicht zu schaffen ist: Endlich<br />
die Zeitung <strong>für</strong> Darmstadt abzuschaffen.<br />
Damit es in Darmstadt wieder<br />
ein Echo gibt, das weiß, wann und worüber<br />
es nach Wunsch seiner Gönner im<br />
Luisenhof zu schweigen hat.<br />
Gute Nacht Darmstadt.<br />
Der Herausgeber
☛ Fortsetzung von Seite 1 Über das Glück,<br />
Beziehungen<br />
zu haben<br />
AKW Biblis: TÜV …<br />
Das AKW Biblis war immer in der Vergangenheit<br />
von den großen Protesten<br />
gegen die Atomkraft verschont geblieben.<br />
Im Vergleich zum massiven Widerstand<br />
von Bauern und Bevölkerung<br />
gegen das AKW im badischen Wyhl,<br />
gegen das hamburgische Brokdorf oder<br />
das niedersächsische Grohnde, gegen das<br />
geplante Endlager in Gorleben, auch<br />
Wackersdorf sei nicht vergessen – Biblis<br />
war und blieb eine Oase friedlicher Proteste.<br />
Niemand versuchte, den Betonzaun<br />
einzureißen und das Gelände zu besetzen<br />
– der international als Renommier-Meiler<br />
dienende Gigant war kein Mal Ziel breiten<br />
Atomkraftwiderstandes, damals so<br />
wenig wie heute.<br />
Die Demonstrations-Redner am 30.4. tragen<br />
nur mehr bekannte Details wie<br />
Impressum<br />
Verleger und Herausgeber:<br />
Michael Grimm<br />
Unser Team :<br />
Uta Schmitt<br />
Eva Bredow<br />
Sanne Borghia<br />
Nicole Schneider<br />
Peter J. Hoffmann<br />
Rudolf Gold<br />
Ludwig v. Sinnen<br />
und freie AutorInnen<br />
Anzeigen:<br />
verantwortlich<br />
Heiner Schäfer<br />
Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 5<br />
Postanschrift:<br />
Zeitung <strong>für</strong> Darmstadt<br />
Postfach 10 11 01, 64211 Darmstadt<br />
Telefon 06151/719896<br />
Telefax 06151/719897<br />
Bankverbindungen:<br />
Volksbank Darmstadt<br />
BLZ 508 900 00, Konto 14 111301<br />
Spendenkonto:<br />
Postgiroamt Frankfurt<br />
BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601<br />
Druck:<br />
Caro Druck<br />
Kasseler Straße 1a, 60486 Frankfurt<br />
Durchschnittliche Auflage:<br />
10.000<br />
Abonnement:<br />
jährlich DM 90,00 incl. 7% MWSt.<br />
Nachdruck und Vervielfältigungen sind nur mit<br />
Genehmigung des Verlages gestattet.<br />
Für namentlich gekennzeich<strong>net</strong>e Artikel oder<br />
Presseberichte von Parteien, Verbänden und<br />
Vereinen übernehmen die jeweiligen AutorInnen<br />
die presserechtliche Verantwortung. Sie sind kein<br />
Spiegel <strong>für</strong> die Meinung der Redaktion.<br />
Personenbezogene Daten werden<br />
elektronisch gespeichert, ausschließlich intern<br />
<strong>für</strong> die Verwaltung eingesetzt und nach Ende<br />
des Zeitungsbezugs umgehend gelöscht.<br />
InformantInnen bleiben gemäß gesetzlicher<br />
Grundlage auf Wunsch anonym.<br />
Text und Bild sind mit „QuarkXPress“<br />
auf Apple Macintosh gesetzt und unter Omnis 5 -<br />
Verlagverwaltung organisiert.<br />
Redaktionsschluß<br />
<strong>für</strong> die nächste Ausgabe: 21.5.94<br />
Katastrophenpläne, und techno-politisch<br />
aktuelle Themen vor – allen fehlt das<br />
Überzeugende, das Mitreißende. Die<br />
wenigen konzentriert lauschenden ZuhörerInnen<br />
erfahren nichts Neues, auch keinen<br />
Einblick in die Geschichte des AKW<br />
– mühsam zusammmengetragene und<br />
formulierte Sonntagsreden, deren einziger<br />
Pep in der beklatschten Forderung<br />
nach „Stillegung“ – jeweils als endender<br />
Höhepunkt gedacht – die DemonstrantInnen<br />
zu müdem Beifall anspornt.<br />
Was ist es, das diesen Atommeiler so sehr<br />
dem Blick entschiedener Gegner bis heute<br />
entzogen hat?<br />
Zwischen 1974 und dem Heute liegt<br />
Tschernobyl, der so häufig beschworene<br />
und be<strong>für</strong>chtete Super-GAU (Größt<br />
anzunehmender Unfall). Obwohl in der –<br />
vergleichshalber zum Rhein-Main-<br />
Gebiet – dünn besiedelten Ukraine bis<br />
heute 8.000 Strahlentote (nach offiziellen<br />
Angaben) zu beklagen sind und über<br />
Mißgeburten ebenso wie über ungezählte<br />
Strahlenkranke immer wieder informiert<br />
wird, in Biblis ist alles ruhig. Die Auswirkungen<br />
der Tschernobyl-Katastrophe<br />
sind bis zu uns (in Form radioaktiven<br />
Niederschlags, kontaminierter Pilze und<br />
vieler nicht benannter Belastungen) vorgedrungen,<br />
dennoch finden sich bei der<br />
Demonstration am 30.4.94 nurmehr<br />
Initiativen aus der näheren Umgebung<br />
des AKW, vor allem DarmstädterInnen,<br />
ein. Für Frankfurter beispielsweise<br />
scheint Biblis ebenso weit weg wie die<br />
Ukraine. Dabei wären auch sie von einem<br />
GAU in Biblis betroffen.<br />
Sogar die Landesregierung hat bereits<br />
eingesehen: Es handelt sich beim Atomkraftwerk<br />
Biblis um veraltete Technologie,<br />
die neben Sicherheitsmängeln heutiger<br />
Anforderungen zusätzliche Materialschwächen<br />
und Konstruktionsmängel<br />
aufweist. Doch die Hunderttausende<br />
Menschen, die im Einzugsgebiet leben,<br />
bleiben gleichgültig. Obwohl die Auflagen<br />
(siehe ZD-Ausgabe 68) der Technischen<br />
Überwachungsvereine nicht erfüllt<br />
worden sind, läßt die Betreiberin „RWE“<br />
ihre Schrottmeiler unverändert weiter<br />
produzieren – mit Rückendeckung aus<br />
Bonn – und mit indirekter Unterstützung<br />
einer schweigenden Bevölkerung. Dabei<br />
steigt das Betriebs-Risiko des Schrottmeilers<br />
Block A mit jedem weiteren Produktionstag,<br />
die Pannen häufen sich. Wer<br />
würde sich schon mit einem alten Auto,<br />
bei dem die Bremsleitungen brüchig sind,<br />
auf die Straße wagen?<br />
Das Informationszentrum des AKW war<br />
am 30.4. geschlossen, zu sehr hätten sich<br />
die Technokraten mit ihren Fortschrittsbildchen<br />
blamiert. Da<strong>für</strong> setzt die<br />
„RWE“ auf die „Standort“-Debatte<br />
(Erhaltung der Arbeitsplätze), wie auf<br />
einem Transparent über dem Haupteingang<br />
ersichtlich war.<br />
Das Schrott-Auto ohne TÜV-Plakette<br />
kommt übrigens in die Schredderanlage<br />
und wird recycelt, der Schrottmeiler Biblis<br />
paßt in keine Schredder, heute weiß<br />
noch niemand, was mit dem ausgedienten<br />
radioaktiven Müll passieren soll. Er wird<br />
in der Landschaft stehen bleiben, gleich<br />
ob heute oder morgen. Wenn er durchbrennt?<br />
Dann wird nach Beispiel Tschernobyl<br />
noch mehr Beton in die Landschaft<br />
gegossen. Lassen Sie mal Ihr Schrottauto<br />
einfach stehen… mg<br />
Sozialwohnungen<br />
Michaelisstraße:<br />
Bauverein macht<br />
Vetterleswirtschaft<br />
Seit dem 17. April werden die Neubauten<br />
des Bauvereins in der Michaelisstraße<br />
bezogen. Doch, wer zieht da ein?<br />
Das Wohnungsamt der Stadt, dessen<br />
Leiter Rüdiger Bienstadt ist, soll <strong>für</strong> die<br />
Wohnungsvergabe zuständig gewesen<br />
sein – doch nicht die ehemaligen Mieter,<br />
die dort teils über 20 Jahre wohnenden<br />
Türken und Spanier bekamen die Wohnungen.<br />
Bienstadt hatte andere Ziele: Er<br />
vergab die Wohnungen an Aussiedler<br />
und andere, die auf städtische Kosten in<br />
Hotels untergebracht waren. Dagegen<br />
wäre nichts einzuwenden, denn die irrwitzig<br />
hohen Millionenbeträge, die an<br />
Steuergeldern <strong>für</strong> diese Leute jährlich<br />
verausgabt werden mußten und müssen,<br />
sollen und müssen eingespart werden.<br />
Mußte das aber unbedingt auf Kosten<br />
der ehemaligen Mieter der Michaelisstraße<br />
gehen? Ihr Viertel ist – wie Kritiker<br />
zu Recht von Anfang an be<strong>für</strong>chteten<br />
– zerstört worden. Schlimmer noch:<br />
Jetzt sitzen sie auf der Straße.<br />
Unter den neuen Mietern der Sozialwohnungen<br />
findet sich am Klingelschild<br />
unübersehbar beispielsweise auch ein<br />
Peter Dannenberg (siehe Foto). Wer das<br />
ist? Der Wirt der „Bessunger Turnhalle“.<br />
Wie kommt so jemand an einen Bindungsschein<br />
<strong>für</strong> eine Sozialwohnung?<br />
Da der Bauverein die Frage ebensowenig<br />
beantworten mag, wie der Liegenschaftsdezernent,<br />
respektive dessen<br />
Hinter-<br />
Wäldlereien<br />
Eintrittsgeld <strong>für</strong> den Wald – das ist<br />
keine Zeitungsente – Eintrittsgeld<br />
<strong>für</strong> den Wald will der Forstausschuß<br />
einer Interessengemeinschaft<br />
„Deutscher Kommunalwald“ ernsthaft<br />
erheben lassen. Frau/man stelle sich das<br />
so vor: Der vollständig eingezäunte<br />
Wald hat nur noch wenige Eintritts-<br />
Schneisen (nach Vorbild des Kranichsteiner<br />
Versuchsforsts), an denen künftig<br />
ein neuer Beamtenberuf Arbeitsplätze<br />
findet: Der Wald-Eintritts-Berechtigungs-Kontrolleur-Kassierer.<br />
Neben den neuen Arbeitsplätzen besitzt<br />
dieser Vorschlag bestechende Pluspunkte:<br />
WaldspaziergängerInnen würden<br />
endlich den Wert ihres sonntäglichen<br />
Ausfluges ins Grüne erkennen und markwert-schätzen<br />
lernen. Sie wüßten, wer<br />
das Abtransportieren des Holzes, das<br />
ordentliche Bekiesen der Wege, das Kalken<br />
der Waldböden, die Aufforstung, das<br />
Fällen der Bäume und die teuren Pestizide<br />
gegen lästiges Ungeziefer – wie Spinnen,<br />
Schlangen, Mäuse, Mai- und Borkenkäfer,<br />
Schmetterlinge, Rehe (noch<br />
wird das per Schußwaffe reguliert) –,<br />
bezahlt. Nämlich sie selbst. Weiterer<br />
Vorteil: Die Städte hätten wieder mehr<br />
Geld, um Beamte <strong>für</strong> die Bewirtschaftung<br />
der künftigen Kahlflächen einzustellen.<br />
Apropos Zäune: Es wird nicht<br />
allzu aufwendig werden, die paar Bäume<br />
der Zukunft zu kasernieren, wäre zudem<br />
nicht allzu teuer, im Wald liegt genug<br />
Baumaterial rum.<br />
Ein weiterer neuer Waldberuf ist im<br />
Kommen, ein derzeit aktuelles Beispiel:<br />
Das Beackern, das Pflügen der Waldböden.<br />
Je weiter der Wald fällt, desto mehr<br />
Wald-Bauern werden erforderlich, die<br />
da<strong>für</strong> zu sorgen haben, daß der Boden<br />
beispielsweise zur Schädlingsbekämpfung<br />
(durch Untermischen von Lindan)<br />
gepflügt wird. Was wären wir doch <strong>für</strong><br />
eine Kultur, die kulturelle Eingriffe<br />
unterläßt und sei es nur alle vier Jahre,<br />
um der wiederkehrenden „Jahrhundert-<br />
Plage“ der Maikäfer menschlich begrenzende<br />
Macht entgegenzusetzen – so<br />
geschehen im Westwald, Eschollbrückerstraße<br />
(Frühjahr 1994).<br />
Welch immense Arbeit der Wald heute<br />
erfordert, hat sogar unser derzeitiger<br />
darmstädtischer „Forstdezernent“ Heino<br />
Swyter (FDP) erkannt. Unser ehemaliger<br />
Umweltdezernent (unter Metzger) ist<br />
Amtsleiter Bienstadt, bleibt nur der<br />
plausible Rückschluß aus dem folgenden<br />
Zusammenhang. Die „Bessunger<br />
Turnhalle“ hat Heinz Reinhard (gerade<br />
erst pensionierter Chef des Bauvereins)<br />
an Dannenberg vermietet und auch …<br />
Den ehemaligen MieterInnen der Michaelisstraße<br />
aber war gesagt worden, nur<br />
wer über einen Bindungsschein verfügt,<br />
bekommt auch eine Wohnung – entgegen<br />
allen früheren Versprechen und<br />
Zusicherungen. Sie fühlen sich berech-<br />
heute spezialisiert auf das Ersinnen neuer<br />
Methoden: War nach einer Pressemeldung<br />
seines Hause nach dem Sturm<br />
„Wiebke“ im Jahr 1990 die „naturgemäße<br />
Waldbewirtschaftung“ angesagt,<br />
so ist es derzeit der „Sanierungswaldbau“<br />
– unser Vorschlag <strong>für</strong> die<br />
nächste Stufe in zwei oder drei Jahren:<br />
„Recyclingwaldbau“. Swyter weiß auch<br />
sehr deutlich – wie der eingangs zitierte<br />
Forstausschuß – auf die Mark hinzuweisen.<br />
„Eine wirkungsvolle Umsetzung der<br />
städtischen Beschlüsse zu waldbaulichen<br />
Maßnahmen ist auch abhängig von den<br />
zur Verfügung stehenden Geldmitteln.“<br />
Die sind wichtig, gerade zur Zeit, denn<br />
alle Waldbürokraten sind sich einig: Die<br />
asiatische Schwammspinnerraupe (ein<br />
gefräßiger Schmetterling) muß chemisch<br />
mit Dimilin – oder alternativ mit Btk (in<br />
Darmstadt) – bekämpft werden. Die<br />
Katastrophenmeldungen der Waldbeamten<br />
sind so regelmäßig wie die Berichte<br />
über das Sterben des Waldes. 1990<br />
waren es die Maikäfer, die vom Hubschrauber<br />
aus mit Gift beseitigt werden<br />
sollten – es wurde verhindert, die Bäume<br />
stehen noch heute. Heute sind es die<br />
Schwammspinner. Und morgen?<br />
„Zu ihrer eigenen Sicherheit – wegen<br />
möglicherweise durch Luftturbulenzen<br />
herabfallende trockene Äste – muß dieser<br />
Waldteil kurzfristig gesperrt werden“,<br />
lautet der O-Ton eines forstamtlichen<br />
Warnblattes. Informiert vom Hubschrauber-Gift-Einsatz<br />
waren wieder<br />
einmal nur die ohnehin ja-schreibenden<br />
Blätter unseres Zeitungswaldes, Kritik<br />
unerwünscht.<br />
„Bacillus Thuringiensis“ (Btk) soll die<br />
angeblich so massenhaft auftretenden,<br />
behaarten Raupen durch ihre Gefräßigkeit<br />
überlisten: Nicht nur sie fressen den<br />
Bazillus mit und ihr Darm bzw. die Raupe<br />
soll das nicht überleben. Der Verkäufer,<br />
die Chemiefirma „AgrEvo“ ist selbst<br />
davon nicht überzeugt (verkauft aber<br />
dennoch des lieben Geldes wegen). „Das<br />
war aber leider nix“, trockener Kommentar<br />
des Chefbiologen von „AgrEvo“ laut<br />
„FR“ über die Btk-Sprühaktionen 1993.<br />
So es denn nix war, können wir hoffen<br />
auf das Überleben der vielen Arten –<br />
zwar wollen das angeblich die Waldhüter,<br />
-schützer und Forstdezernenten auch<br />
– aber sie spielen dennoch mit nicht<br />
abwägbarem Risiko. Plausibel scheint da<br />
Ausgabe 69 13.5.1994 · Seite 2<br />
tigt hereingelegt. Ohne Benachrichtigung<br />
hatte das Wohnungsamt einfach<br />
einen Termin (18.4.94) festgesetzt, bis<br />
zu dem sich die Mieter <strong>für</strong> die neuen<br />
Wohnungen hätten bewerben sollen. Da<br />
sich die ehemaligen Anwohner auf die<br />
Politiker-Versprechen verlassen hatten,<br />
ziehen sie jetzt die Kürzeren – vor allem<br />
jene, die sich mit ihren Problemen zu<br />
weit an die Öffentlichkeit gewagt hatten.<br />
Bienstadt soll in diesem Sinne über<br />
ein besonderes Gespür <strong>für</strong> strafende<br />
Gerechtigkeit verfügen, wissen mehrere<br />
städtische Angestellte zu berichten (aus<br />
Angst vor Folgen ohne Namen).<br />
Aus der Forderung von WaldkolonistInnen,<br />
bei dem Bau der Wohnungen auch<br />
<strong>für</strong> kleine Geschäfte, beispielsweise<br />
Lebensmittel, zu sorgen, ist nichts<br />
geworden, mit einer Ausnahme: Die<br />
Sozialhilfeempfänger bedürfen offensichtlich<br />
dringendst einer Bank. Die<br />
Stadt- und Kreissparkasse hat deshalb<br />
gleich eine Filiale in den Sozialwohnungsbauten<br />
einrichten lassen. Ob das<br />
Finanzhaus auch über einen Bindungsschein<br />
verfügt – die Frage erübrigt sich,<br />
immerhin sind Banker seriös und zahlungskräftig.<br />
Brauchbar ist die Filiale<br />
<strong>für</strong> die Anwohner ganz sicher: Nur Geld<br />
macht heutzutage glücklich.<br />
Übrigens ist das Viertel nach Abschluß<br />
der Bauarbeiten sauber, ordentlich und<br />
die lauten Feste und die Herumlungerei<br />
auf dem ehemaligen Spielplatz haben<br />
endlich ein Ende. Demnächst werden<br />
die alten Pferdeställe (heute zum Teil<br />
noch bewohnt) weiteren Neubauten<br />
weichen dürfen, noch verschandeln sie<br />
die soziale Kleinbürgeridylle, fügen sich<br />
so gar nicht harmonisch ein in die 20.<br />
Jahrhundert-Schöner-Wohnen-Landschaft.<br />
Und die Bewohner? Ihnen wird<br />
wieder versprochen werden, sie bekommen<br />
eine Neubau-Wohnung (dann ist<br />
übrigens auch ihr Garten weg) und<br />
irgendwann gibt es wieder einen<br />
behördlich festgesetzen Termin und …<br />
Sanne Borghia<br />
• Eintrittsgebühr <strong>für</strong> den Wald<br />
• Gift gegen Raupen<br />
• Geld <strong>für</strong> Müll<br />
eher das von „Greenpeace“-Vertreterin<br />
Doris Rüger publizierte Argument: „Das<br />
Ziel des Artenreichtums durch Gift erreichen<br />
zu wollen, ist unverantwortlich“.<br />
Naivität kann ihr nicht unterstellt werden,<br />
hält sie es doch eher damit, daß<br />
„auch mit dem massivsten Einsatz nie<br />
alle Exemplare eines ,Schädlings‘ vernichtet<br />
werden und sich die Verantwortlichen<br />
ein Schwammspinnerdauerproblem<br />
einhandeln.“<br />
Wer’s da mit den Selbstregulierungskräften<br />
einer geschwächten Natur hält<br />
oder nicht – seit dem Waldsterben werden<br />
wir mit Gifteinsätzen konfrontiert. In<br />
Zukunft wird das noch mehr vorkommen,<br />
denn die Bäume sind nicht mehr<br />
widerstandsfähig und alles, was an Bäumen<br />
nagt, wird im Interesse des Baumschutzes<br />
zum Schädling: vom Reh über<br />
die Raupe und den Borkenkäfer, den<br />
Maikäfer bis hin zum Schmetterling –<br />
mit einer Ausnahme, wir. Das Auto ist<br />
tabu, wann wird das erste Gift gegen das<br />
Automobil und seine Fahrer eingesetzt?<br />
Nie! Also wird der Wald weiter sterben –<br />
ob schneller oder langsamer durch die<br />
Chemie-Keulen spielt kaum eine Rolle,<br />
denn aufzuhalten ist das Fallen der Bäume<br />
nicht.<br />
Wieviel uns der Wald wert ist? Danach<br />
werden wir doch nicht gefragt. Politiker<br />
entscheiden je nach Interessen (persönlichen<br />
oder parteilichen) und verkaufen<br />
ihren Wald. Für lächerliche 2,4 Millionen<br />
Mark will Groß-Zimmerns Parlament<br />
den gemeindeeigenen Wald vergessen.<br />
Eine Abfalldeponie soll dorthin.<br />
Statt auf mögliche und längst überfällige<br />
Müllsortierung und -vermeidung zu setzen,<br />
füllen die Herren das Stadtsäckel<br />
lieber mit Geld – was soll’s, der Wald<br />
fällt ohnehin. Oder sollten sie das gar<br />
nicht in Erwägung gezogen haben?<br />
Sicher ist: Solange der Wald noch steht,<br />
sieht niemand den Müllberg hinter dem<br />
Grün. Was weg ist, ist weg – aus kommunaler<br />
Sicht: ist da<strong>für</strong> noch Geld zu<br />
kriegen, dann ist, was weg ist, sogar noch<br />
einträglich und wen stört es schon, wenn<br />
irgendwann einmal wieder sichtbar ist,<br />
was heute weg und gut bezahlt ist? 2,4<br />
Millionen will die rot-grüne Landkreis-<br />
Regierung <strong>für</strong> das Stück Wald zahlen,<br />
die Gemeinde will einsacken, Einigkeit.<br />
Die einzige Lüge darin: Grün.<br />
M. Grimm
Abbruch am Sonntag<br />
Denkmalschänderisches bei der Bahn<br />
Mit dem Fortschritt haben es in Darmstadt<br />
(fast) alle PolitikerInnen. Dem<br />
Fortschritt sind aber auch andere verpflichtet,<br />
so die Bundesbahn. Sie kann<br />
offensichtlich nichts anfangen mit dem<br />
alten Gelersch, das seiner Funktion entledigt<br />
war, in starrendem Dreck und<br />
angegammeltem Zustand eher abstossend<br />
war. Mal war es ein Wasserturm,<br />
mal ein alter Bahnhof, heute ist es ein<br />
alter Poststeg.<br />
Obwohl Stimmen in der Öffentlichkeit<br />
laut geworden waren und einzelne Interessenten<br />
Nutzungskonzepte parat hatten<br />
– die Post wollte von dem Steg nichts<br />
mehr wissen. In einer <strong>für</strong> die Bahn ungewohnt<br />
schnellen Nacht- und Nebelaktion<br />
setzte sie mit einem Teilabbruch kurzerhand<br />
Fakten. Kaum war die Genehmigung<br />
vom Regierungspräsidenten <strong>für</strong><br />
den Abriß auf den Schreibtischen der<br />
Bahnokraten gelandet, erteilten sie der<br />
Nation Europa?<br />
Über den Begriff der „Nation“ wollte<br />
ein hochkarätiges (schwesterstädtisches)<br />
Podiumspublikum am 5.5. im<br />
Luisencenter auf Einladung der Stadt<br />
Darmstadt diskutieren. Die französischen<br />
Politiker und die deutschen Vertreter<br />
aber fanden nicht das Thema. So<br />
wand sich die Diskussion, schlängelte<br />
sich um peinliche Vorurteile bis hin zu<br />
persönlichen Erlebnissen und mündete<br />
schließlich in einen Streit, um die Frage<br />
über die Zahlen des bundesdeutschen<br />
Bruttosozialproduktes: Ist es ein Resultat<br />
der Staatengemeinschaft Europas<br />
oder nicht? Der eine hatte Zahlen, der<br />
andere hatte Zahlen – wie immer ging’s<br />
um die Wirtschaft, ums Geld, um die<br />
Mark, die alles beherrschende. Und<br />
Europa?<br />
Wird es nun eine Föderationsgemeinschaft<br />
selbständiger Nationalstaaten?<br />
Oder geben die Nationen ihre Eigenständigkeit<br />
auf? Was ist französischer<br />
Nationalismus? Und was deutscher? –<br />
nur mehr Allgemeinplätze. Sicher ist: In<br />
dieser Diskussionsrunde fehlte es an der<br />
Geschichte (deutsch-französische Erbfeindschaft)<br />
ebenso wie an fundiert vorbereiteter<br />
Sachkenntnis. Den rund 60<br />
ZuhörerInnen wurde ein peinliches<br />
Spektakel der Unbedarftheiten geboten,<br />
weshalb wir auf einen ausführlichen<br />
Bericht verzichten. sb<br />
☛ Fortsetzung von Seite 1<br />
Dieses Behördenpapier bestätigt, daß es<br />
sich um Einzel-Wohnungen handelt –<br />
die Verwaltung Röschs verteilte sie freizügig.<br />
Gleich welcher Spekulant, welche<br />
schnellen Geldgeschichten verfolgt,<br />
gleich, ob städtische Satzungen andere<br />
politische Ziele setzen (Erhaltung preiswerten<br />
Mietwohnraumes), sogar als die<br />
Rechtsprechung eine Verweigerung der<br />
<strong>für</strong> <strong>Spekulanten</strong> wichtigen Abgeschlossenheitserklärung<br />
noch ermöglichte,<br />
Rösch ließ sie ausstellen. Daß dadurch<br />
die Mieten unverhältnismäßig in die<br />
Höhe geschnellt waren, ist allen Herren<br />
zwar bekannt, aber von Rösch trotz<br />
Wohnungsnot und Mietpreisexplosion<br />
offensiv vorangetrieben und verteidigt.<br />
Nebenbei: Umso fataler wird es ab Mitte<br />
Juni, wenn Rösch sein Amt als Chef des<br />
größten Darmstädter Vermieters – des<br />
Bauvereins – antritt.<br />
Mißachtung des Parlamentes<br />
Eike Ebert deutete als Negativ-Beispiel<br />
<strong>für</strong> solch eine Entwicklung das Johannesviertel<br />
heraus, „da sind Fehler gelaufen<br />
und die Mieten in astronomische<br />
Höhen geschnellt“. In dem Stadtteil<br />
haben <strong>Spekulanten</strong> in den siebziger und<br />
achtziger Jahren die mehrgeschossigen<br />
Gründerzeit-Bauten aufgekauft, in<br />
Eigentumswohnungen unterteilt und <strong>für</strong><br />
meist mehr als den doppelten Preis binnen<br />
weniger Jahre weiter veräußert.<br />
Eine ähnliche Entwicklung hat vor<br />
wenigen Jahren auch im Martinsviertel<br />
eingesetzt: Die Lichtenbergstraße 73 ist<br />
ein Beispiel da<strong>für</strong>.<br />
Dort aber setzten sich die MieterInnen<br />
zur Wehr. Daraufhin und nach einem<br />
Wahlkampfversprechen hatten die<br />
Stadtverord<strong>net</strong>en den Ankauf schon einmal<br />
im Dezember 93 beschlossen und<br />
den Magistrat beauftragt, einen niedrigeren<br />
Preis auszuhandeln.<br />
Baufirma „Hoch-Tief“ den Auftrag, den<br />
Poststeg abzureißen. Nur: Nachtarbeit<br />
ist nicht erforderlich, Samstags- und<br />
Sonntagsarbeit reicht schon aus. Sind<br />
die Abbrucharbeiten weit genug vorangeschritten,<br />
wer wollte dann noch um<br />
den Erhalt eines „Ensembles“ kämpfen?<br />
Verärgert sinniert der Grüne Christian<br />
Knölker (der selbsternannte Frauen- und<br />
Denkmalbeauftragte), „Hoch-Tief, diese<br />
Kulturschänder, müssen von der<br />
Stadt boykottiert werden“.<br />
Denkmalschützer sehen den Poststeg<br />
durchaus in einer erhaltenswerten Einheit<br />
mit dem Bahnhof. Das Regierungspräsidium,<br />
eine <strong>für</strong> viele Problemkreise<br />
unsensible Behörde (jetzt auch in<br />
Sachen Denkmalschutz), ist eben da<strong>für</strong><br />
längst bekannt. Die behördliche Genehmigung<br />
war denn auch das eigentliche<br />
Initial <strong>für</strong> den Abbruch. Selbst ein Oberbürgermeister<br />
vermag da nicht mehr viel<br />
auszurichten; in diesem Falle nichts.<br />
Dabei hatte der Darmstädter Hauptbahnhof<br />
einst einen reichsweiten Ruf –<br />
nicht nur, weil er den Charakter einer<br />
<strong>für</strong>stlich großherzöglichen Schloßanlage<br />
vermitteln sollte, galt er bis zum<br />
Abbruch des Poststeges auch als eine<br />
der best erhaltenen Gesamtanlagen in<br />
der heutigen Bundesrepublik. Der Poststeg<br />
als Teil dieses Ensembles war einst<br />
(1912) architektonisch hoch gelobt –<br />
zum einen als Vorläufer der Bauhausarchitektur,<br />
zum anderen wegen seiner<br />
Funktionalität. Die Post wurde von den<br />
Bahnsteigen direkt in das Postamt über<br />
den Steg getragen.<br />
Das <strong>für</strong>stliche Ambiente ist – abgesehen<br />
von Vorplatz und Eingangshalle – schlafende<br />
Vergangenheit. Im Wartesaal residiert<br />
Mac Donalds und die Bahnsteige<br />
sind bahntypisch verdreckt, versaut,<br />
verwatzt – kein Ort, an dem ein Aufenthalt<br />
einladen würde. Doch die Substanz,<br />
die noch vorhanden ist, wartet nur darauf,<br />
irgendwann liebevoll restauriert,<br />
ursprüngliche Größe und Pracht wieder<br />
zu entfalten – möglicherweise in einer<br />
Zeit, in der das Image der Bahn neues<br />
Gewicht erhält. Doch bei der Bahn<br />
beherrscht noch immer pflichtbeschränkte<br />
Beamten-Mentalität einen<br />
vermeintlichen Schleusenbetrieb <strong>für</strong><br />
Arm-Alt-Arbeitslos. Daß gerade der<br />
Charakter historischer Industriebauten<br />
einen Anreiz <strong>für</strong> BahnkundInnen bieten<br />
könnte, unter die blauen Uniformmützen<br />
paßt dies nicht, das steht in keinem<br />
Paragraphen.<br />
Der aber führte nicht aus, was ihm (als<br />
Spitze der städtischen Verwaltung) aufgetragen<br />
war, empfahl den Stadtverord<strong>net</strong>en<br />
stattdessen gegen ihren eigenen<br />
Beschluß, lieber nicht zu kaufen. „Das<br />
ist eine Mißachtung dieses Parlamentes“,<br />
kritisierte Ebert und ärgerte sich<br />
über den städtischen Gutachterausschuß,<br />
der einen irrwitzig hohen Preis<br />
von 1,27 Millionen Mark feststellen zu<br />
müssen glaubte: „Warum hat die Stadt<br />
nicht versucht, den Preis runter zu kriegen?“<br />
traf Ebert die städtische Achillesferse<br />
– es geht um Summen von 200.000<br />
bis 500.000 Mark, die hätten eingespart<br />
werden können. Obwohl <strong>für</strong> das Haus<br />
die Teilungsgenehmigung noch nicht<br />
beantragt war, ein weiteres Papier, um<br />
in Eigentumswohnungen unterteilt verkaufen<br />
zu können, hatten die städtischen<br />
Gutachter so geschätzt, als ob die Wohnungen<br />
bereits den Wert von Eigentumswohnungen<br />
hätten.<br />
Fader Beigeschmack<br />
Rösch verteidigte zwar die Gutachter als<br />
„unabhängig“ und meinte, „Einflußnahmen<br />
sind ausgeschlossen“, das ändert<br />
dennoch nichts an der Schlafmützigkeit<br />
des Magistrats und der rettungslosen<br />
Überbewertung des Hauses. Ein naheliegender<br />
Verdacht der Bestechung –<br />
von wem und an wen – muß hier Verdacht<br />
bleiben. Anhaltspunkte da<strong>für</strong> gibt<br />
es nicht, einmal abgesehen von dem<br />
faden Beigeschmack spekulationsfördernder<br />
städtischer Verwaltung. Ärger<br />
ob der Unbedarfheit des Gutachtens<br />
bleibt dennoch angesichts der vielen<br />
Initiativen auf kulturellem und sozialpolitischem<br />
Sektor, die sich um wesentlich<br />
niedrigere Förderungssummen (und<br />
nicht einmal <strong>für</strong> das Privat-Säckel)<br />
Die Abriß-Hast ist umso unverständlicher<br />
als es eine ganze Reihe von Interessenten<br />
<strong>für</strong> eine neue Funktion des<br />
unbrauchbar gewordenen Brückenstegs<br />
gab: Neben Stadtmuseumsfreunden,<br />
wollte der Café-Kesselhaus-Inhaber<br />
eine Poststeg-Disco gründen (und finanzieren),<br />
eine Kneipe war konzipiert, ein<br />
„Begegnungszentrum“ und sehr bahnbezogen,<br />
ein Fahrgastinformationszentrum<br />
vom Verein „Pro Bahn“. Doch bei<br />
den Bahnmanagern ist Werbung heute<br />
<strong>Mekka</strong> <strong>für</strong> <strong>Spekulanten</strong><br />
jahrelang bemüht haben und angesichts<br />
heutiger leerer Kassen noch weniger<br />
bekommen.<br />
Ein Top-Geschäft<br />
Da traf Karin Wolff (CDU-Oppositionsführerin)<br />
denn auch mit ihrer Kritik in<br />
der Immobilienhaie Metier, als sie<br />
meinte, die Stadt beteiligt sich mit dem<br />
Ankauf an der Preistreiberei, „auf diesem<br />
Weg wird die Spekulation gefördert“.<br />
Umso mehr noch, als die <strong>Spekulanten</strong><br />
Herbig/Wiera auf ihren frech<br />
hohen Preis von 1,35 Millionen Mark<br />
eine Maklerprovision von 77.625 Mark<br />
draufgesattelt haben.<br />
Die so gern beschworene „Signalwirkung“<br />
kann so nicht eintreten, im<br />
Gegenteil, jeder Spekulant, der seine<br />
Geschäfte einfach und schnell<br />
abwickeln will, verkauft selbstverständlich<br />
lieber zu teurem Preis an die Stadt,<br />
als sich den Ärger mit MieterInnen über<br />
Räumungsklagen aufzuhalsen; obendrein<br />
haben Herbig/Wiera die Kosten<br />
<strong>für</strong> ihre verkaufsnotwendigen Sanierungen<br />
eingespart sowie die Verhandlungen<br />
mit den Einzel-Kaufinteressenten –<br />
wahrlich ein Top-Geschäft, eine Empfehlung<br />
<strong>für</strong> alle künftigen <strong>Spekulanten</strong>:<br />
Die Stadt Darmstadt zahlt, die Preise<br />
müssen nur eingefordert werden.<br />
Einladung <strong>für</strong> <strong>Spekulanten</strong><br />
Nur eine harte Haltung, verbunden mit<br />
der Androhung bürokratisch organisierten<br />
Ärgers durch die Stadt (unter einem<br />
Rösch nicht denkbar), den <strong>Spekulanten</strong><br />
Probleme und Ärger zu machen, in Verbindung<br />
mit massivem Mieter-Widerstand<br />
und dem Ausschöpfen aller rechtlichen<br />
Möglichkeiten, hätte ein Signal<br />
gegen sogenannte Umwandlungsspeku-<br />
wie gestern eine Unbekannte, denn<br />
unerfüllbare Auflagen hinderten die<br />
Denkmalfreunde am sachlichen Vollzug<br />
ihrer Pläne. Ihnen erlegten die Bahnoberen<br />
auf: Stahlträger über die gesamte<br />
Poststeg-Länge einzubauen – wollten<br />
sie zum Zuge kommen. Eine unerfüllbare<br />
und darüberhinaus unsinnige Auflage,<br />
mit dem Ziel, den Poststeg möglichst<br />
schnell beseitigen zu können, bevor eine<br />
breitere Öffentlichkeit dies verhindert<br />
hätte.<br />
lation setzen können. Aber mit so einem<br />
verschlafenen Magistrat, einer ohnehin<br />
spekulationsfreundlichen CDU- und<br />
FDP-Opposition und MieterInnen, die<br />
selbst über den Ankauf von Eigentumswohnungen<br />
öffentlich laut nachdenken<br />
(auch wenn das Geld fehlt), ist <strong>Spekulanten</strong><br />
der Boden bereitet – kein Wunder,<br />
daß auswärtige, Wiesbadener<br />
Immobilienhaie nach Darmstadt kommen.<br />
Hier zahlt sogar die Stadt – offensichtlich<br />
jeden verlangten Preis (trotz<br />
leerer Kassen).<br />
Glück <strong>für</strong> alle?<br />
Schade um einen eigentlich gut gemeinten<br />
Ansatz, Wohnungspolitik <strong>für</strong> den<br />
Erhalt preiswerter Mieten zu betreiben,<br />
doch dazu gehört mehr Kampfgeist und<br />
handelndes Geschick.<br />
Der Termin <strong>für</strong> das Vorkaufsrecht läuft<br />
am 15.5. (Sonntag) aus; weshalb ein<br />
sehr schnelles Handeln der wie oben<br />
gezeigten schlafmützigen Stadtverwaltung<br />
erforderlich ist, sonst könnten sich<br />
Herbig/Wiera ihren Deal noch einmal<br />
anders überlegen, vielleicht einen noch<br />
höheren Preis herausschlagen wollen.<br />
Sicher würden sie sich bei Nichteinhalten<br />
des Termines von ihrer freundlichen<br />
Seite zeigen, denn sie ersparen sich …<br />
siehe oben …<br />
Glücklich macht der Ankauf neben den<br />
MieterInnen, die endlich wieder Ruhe<br />
haben, auch die <strong>Spekulanten</strong> und die<br />
Politiker, ob ihrer guten Tat (der dritten<br />
dieser Art im Darmstadt in den vergangenen<br />
20 Jahren), denn letztere haben<br />
ihr Wahlkampfversprechen entgegen<br />
sonstigen Gepflogenheiten eingehalten<br />
– so besehen könnten alle zufrieden<br />
sein. Bis auf diejenigen, bei denen an<br />
anderer Stelle da<strong>für</strong> gespart werden muß<br />
– aber sie wissen nichts von der Ursächlichkeit<br />
ihres Unglücks. M. Grimm<br />
Ausgabe 69 13.5.1994 · Seite 3<br />
Widerspruch unserer Zeit: Entgegen<br />
allem Konservatismus ist der Sinn <strong>für</strong><br />
Denkmalschutz unterentwickelt. Die<br />
Größen der Wirtschaft und der Politik<br />
schweigen dazu, weshalb sich eine private<br />
Initiative dazu berufen fühlt. Wer<br />
sich künftig an Protestaktionen in<br />
Sachen Denkmalschutz beteiligen<br />
möchte, kann telefonisch Kontakt aufnehmen<br />
unter der Nummer 293878 oder<br />
311644. mg<br />
Zehn Jahre Startbahn West: Brandanschlag<br />
Um Hessens größten Arbeitsplatz, den<br />
Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt,<br />
gibt es wieder öffentlich ausgetragene<br />
Kontroversen. Während die Unternehmerverbände<br />
von der Landesregierung<br />
einen „erheblichen Ausbau des Flughafens“<br />
fordern (wg. Standortsicherung)<br />
legten StartbahngegnerInnen am 1. Mai<br />
Feuer. Nachdem laut Auskunft der<br />
Frankfurter Polizei ein Tor mit Bolzenschneidern<br />
geöff<strong>net</strong> worden war, drangen<br />
etwa 50 Vermummte auf das Gelände<br />
der Startbahn West und sollen dort<br />
drei Wachtürme in Brand gesetzt haben.<br />
Die völlig überraschte und unvorbereitete<br />
Polizei konnte zunächst nicht mit<br />
Fahrzeugen anrücken, da Barrikaden die<br />
Zufahrtswege blockierten. Dennoch<br />
gelang es der Polizei mit Verzögerung<br />
zum Tor vorzudringen. Die Einsatzwagen<br />
wurden mit Stahlschleuder-<br />
Geschossen empfangen. Als eine Stunde<br />
– nach ersten Meldungen von Spaziergängern<br />
– gegen 17 Uhr Hubschrauber<br />
am Ort eintrafen, waren die StartbahngegnerInnen<br />
bereits im Wald verschwunden.<br />
Die Polizei nimmt an, daß<br />
sie sich unter 800 BesucherInnen eines<br />
Grillfestes gemischt haben.<br />
Festgenommen wurde niemand und<br />
unter den Polizisten gab es keine Verletzten.<br />
Am 12.4. vor zehn Jahren ist die<br />
Startbahn West nach massivem Widerstand<br />
der Bevölkerung von den Amerikanern<br />
in Betrieb genommen worden.<br />
Das Ende der bürgerkriegsähnlichen<br />
Zustände ist markiert von Schüssen auf<br />
Polizisten, bei denen zwei Beamte am<br />
2.11.1987 getötet worden waren. Die<br />
Polizei vermutet, daß „autonome linksextremistische<br />
Gruppen“ den Anschlag<br />
verübt haben. sb<br />
Am Rande<br />
Im Ausschuß <strong>für</strong> Sport und Freizeit steht<br />
am 27. April auch „Eissporthalle Darmstadt“<br />
auf der Tagesordnung. „Wirdberichtgewünschtdemistnichtso“,<br />
stellt<br />
Ausschußvorsitzender Walter Schmidt<br />
fest und braucht dazu keine drei Sekunden.<br />
Ja, liebe Leserinnen und Leser: da<br />
werd <strong>net</strong> gegaggert, da werd geschafft.<br />
Herrn Ludwig, einziges FDP-Mitglied<br />
im Ausschuß – je vier stellen SPD und<br />
CDU, drei die Grünen – geht das zu<br />
schnell. Und weil man sich kennt und im<br />
Ausschuß eine lockere Atmosphäre<br />
herrscht, reden ihm die anderen zu wie<br />
einem kranken Pferd. Im Rahmen der<br />
dadurch entstehenden Verzögerung fällt<br />
einem Mitglied immerhin ein, Stadtkämmerer<br />
Blöcker habe ihm gesagt, in<br />
der Magistratsvorlage müsse eine Kleinigkeit<br />
im Text geändert werden. 8.498<br />
Millionen Mark sei zwar richtig, aber<br />
nicht inklusive, sondern zuzüglich der<br />
844.000 Mark Kontokorrentkredit. Und,<br />
obwohl das nun wirklich pingelig ist,<br />
wird „inklusive“ brav in „zuzüglich“<br />
umgewandelt. Da können Sie mal sehen,<br />
mit was <strong>für</strong> Kleinigkeiten sich unsere<br />
VolksvertreterInnen rumärgern müssen.<br />
844.000 Mark zu übersehen: da steht<br />
unsereins doch drüber. P. J. Hoffmann
In Kürze<br />
Ausgabe 68 11.5.1994 · Seite 4
CHRONIK<br />
27.04.94 ZEHNTAUSENDE SCHÜLERINNEN demonstrieren<br />
gegen die Sparpolitik des Hamburger Senats.<br />
28.04.94 KEINE DOPPELTE STAATSBÜRGERSCHAFT:<br />
Mit den Stimmen der Union lehnt der Bundestag die<br />
Gesetzesvorschläge der SPD ab.<br />
29.04.94 WAHLEN IN SÜDAFRIKA: Wahlsieger ist, wie<br />
erwartet, ANC-Chef Nelson Mandela, doch mit 62,5 Prozent<br />
der Stimmen verfehlt der ANC die Zweidrittelmehrheit,<br />
um die neue Verfassung allein bestimmen zu können.<br />
De Klerks Nationale Partei erzielt 20,39 Prozent, die<br />
Inkatha Freedom Party 10,54%. Am 9.5. wählt das erste<br />
demokratisch von allen Südafrikanern gewählte Parlament<br />
Mandela zum Präsidenten.<br />
01.05.94 ABSCHIEBEWELLE NACH KROATIEN: In den<br />
nächsten Monaten werden 80.000 Bürgerkriegsflüchtlinge<br />
aus Kroatien in ihre Heimat zurückgeschickt. Für sie<br />
ist die „ausländerrechtliche Duldung“ abgelaufen.<br />
02.05.94 LÜBECKER ANSCHLAG: Die Polizei nimmt wegen<br />
des Brandanschlags auf die Lübecker Synagoge vier junge<br />
Tatverdächtige fest, die zur rechtsradikalen Szene<br />
gehören.<br />
BERNHARD RÖSSNER FREI: Bundespräsident<br />
Weizsäcker begnadigt den psychisch kranken, ehemaligen<br />
RAF-Anhänger und Stockholm-Attentäter nach 19<br />
Jahren Haft.<br />
04.05.94 DEUTSCHE WAFFEN FÜR DIE TÜRKEI: Bonn<br />
nimmt die ausgesetzten Waffenlieferungen wieder auf.<br />
Das Außenministerium wollte keine Beweise <strong>für</strong> Einsätze<br />
gegen KurdInnen sehen. Der Genozid mit deutschen<br />
Waffen geht weiter.<br />
GAZA-JERICHO-ABKOMMEN UNTERZEICHNET:<br />
Israels Premier Rabin und PLO-Chef Arafat unterzeichnen<br />
den Vertrag in Kairo, der die Autonomie der Palästinenser<br />
besiegelt.<br />
05.05.94 BÜRGERKRIEG IN JEMEN: Dem 1990 vereinigten<br />
Jemen droht erneut die Spaltung, nachdem süd-jemenitische<br />
Kampfflugzeuge auf die Hauptstadt Sanaa im nördlichen<br />
Jemen geschossen haben. Alle Ausländer werden<br />
evakuiert.<br />
BÜRGERKRIEG IN RUANDA: Die Vereinten Nationen<br />
zählen über 200.000 Tote. Bonn gab 1,5 Millionen<br />
Mark <strong>für</strong> die ruandischen Flüchtlinge in Tansania; im<br />
„weltgrößten Flüchtlingslager“ herrschen katastrophale<br />
Verhältnisse.<br />
10.05.94 70 KILO PLUTONIUM sind aus dem japanischen<br />
Reaktor Tokaimura verschwunden.<br />
11.05.24 ZUR BEKÄMPFUNG DER WOHNUNGSNOT<br />
gründet die Landesregierung in Darmstadt eine „Wohnungs<strong>für</strong>sorgegesellschaft<br />
<strong>für</strong> Hessen.“<br />
Was tun <strong>für</strong> die Täter?<br />
Fanprojekt beim „SV Darmstadt 98“<br />
Darmstadt kriegt ein Fanprojekt, da sind<br />
sich alle einig, die beim Hearing des<br />
Ausschusses <strong>für</strong> Sport und Freizeit<br />
dabeiwaren. Wie schön. Denn entgegen<br />
der landläufig in der Presse verbreiteten<br />
Ansicht, sind Hooligans keine archaischen<br />
Brutalosaurier aus dem Bodensatz<br />
der Gesellschaft, sondern ein repräsentativer<br />
Querschnitt dieser. „Die sitzen<br />
nicht nur vorm Aldi“, wußte Thomas<br />
Schneider von der Deutschen Sportjugend<br />
zu berichten. Unter der Woche<br />
angepaßt als Bankkaufmann arbeiten<br />
und am Wochenende kontrolliert die<br />
Sau rauslassen, das sei nicht die Ausnahme.<br />
So dürfen die bürgerlichen<br />
Mamas und Papas, die versuchen, das<br />
mittelschichtorientierte Freizeitverhalten<br />
zu prägen, darauf hoffen, daß auch<br />
ihrem Sprößling ein Sozialarbeiter<br />
zugute kommt.<br />
Fanprojekte gibt es überall in der Republik,<br />
in den Oberligen sind sie allerdings<br />
die Ausnahme. Hier gebe es Probleme,<br />
wenn Mannschaften aus dem bezahlten<br />
Fußball absteigen und ihre Fans in die<br />
niedere Klasse mitnähmen, erläuterte<br />
Gerhard Hilgers vom Hessischen Fußballverband.<br />
Gerold Hartmann, der vor<br />
einigen Jahren das Fanprojekt bei Eintracht<br />
Frankfurt aufbaute, sieht die<br />
Funktion der Fanprojekte in einer Vermittlerrolle<br />
zwischen zwei Parteien, die<br />
nicht mehr miteinander reden. Das Bild<br />
der verschüchterten, unverstandenen<br />
Jüngelchen voller Minderwertigkeitskomplexe,<br />
die in ihrem Sozialarbeiter<br />
einen Bruder- oder Vaterersatz suchen,<br />
was in einigen Redebeiträgen anklang,<br />
wurde vor allem von jenen gemalt, die<br />
so zu einem Job kommen, den Sozialpädagogen.<br />
300.000 Mark jährlich würde die Einrichtung<br />
eines Fanprojektes kosten.<br />
Gängiges Modell ist, daß die Kosten zu<br />
je einem Drittel von Land, Kommune<br />
und Verein getragen werden – und die<br />
98er haben ja kein Geld. Karlheinz Pfister,<br />
Chef der Darmstädter Schupos, hält<br />
das Projekt <strong>für</strong> eine vernünftige Sache,<br />
mit der er im übrigen nichts zu tun haben<br />
möchte: Die Polizei hat anderweitig<br />
genug zu tun. Seine Taktik der Deeskalation,<br />
durch zuviel Polizeipräsenz nicht<br />
zu provozieren, hat im vergangenen Jahr<br />
Erfolg gezeigt. Das konnte Rolf Kaiser<br />
vom Präsidium des Sportvereins bestätigen.<br />
Da auch das Land Hessen Wohlwollen<br />
signalisiert, dürfte Darmstadt<br />
also ein Fanprojekt kriegen.<br />
Ein – unfreiwilliges – Beispiel <strong>für</strong> die<br />
Faszination von Gewalt gab ein anwesender<br />
Sozialpädagoge: Berauscht<br />
vom Erlebnis, mit den<br />
harten Eintrachtfanclubs eine<br />
Intercityreise zum Spiel in<br />
Dresden mitgemacht zu<br />
haben und persönlich mit den<br />
starken Typen von „Preßwerk“<br />
und „Adlerfront“ geredet<br />
zu haben, schwallte der<br />
sozial anpädagogisierte Motorradfuzzi<br />
seine begeisterte<br />
Fansicht ohne Punkt und<br />
Komma – aber vor allem ohne<br />
Gedankenstrich in die Runde<br />
und ließ es sich nicht nehmen,<br />
seine Eintrachtfans als antifaschistische<br />
Speerspitze zu feiern.<br />
Der Mann gehört ins<br />
Betreuungsangebot.<br />
P. J. Hoffmann<br />
Karikatur : Harm Bengen; aus:<br />
„Grüße aus Deutschland: Satiren und<br />
Karikaturen gegen rechts“, Hrsg.:<br />
Jörg Petersen, Verlag: Die Werkstatt,<br />
Göttingen, 1994<br />
Nummer 69 13.5.1994 · Seite 4<br />
Kein Recht auf Rausch<br />
Das Karlsruher Urteil beeinflußte OB Benz nicht –<br />
das „Cannabis-Weekend“ ist verboten und findet dennoch statt<br />
„Beim Mittagsmahle erörterte ich mit<br />
Schillern die wunderliche Bitte welche<br />
so unter seinen Studiosi Einzug erhalten,<br />
nämlich mittels einer Pfeife ein süßliches<br />
orientalisches Harz abzubrennen,<br />
über dessen erheiternde Kraft viel Lob<br />
zu hören sei … Man schilderte mir, daß<br />
man die Pflanzen, eine Abart von Hanf<br />
… in liebevoller Kleingärtnerei selbst<br />
gezogen, geerntet und getrock<strong>net</strong> habe<br />
… Darüber ward schon die gekrümmte<br />
Pfeife gestopft und von Bierbichel mittels<br />
Fidibus in Gang gebracht … Ich<br />
(nahm) die Pfeife in Empfang und (sog)<br />
den Rauch (ein) … Während sich ein<br />
eigentümliches Gefühl, begleitet von<br />
einem tiefen Summen in meinem Kopf<br />
breitmachte … brachte (Bierbichel) darauf<br />
(Wunderlichkeiten) … hervor, als er<br />
durch ein eigentümliches krankhaftes<br />
Kichern Schillers unterbrochen wurde,<br />
in welches die anderen sofort einstimmten,<br />
ich unfreiwillig mit einbegriffen.“<br />
Wer dies schrieb? Das war Johann<br />
Wolfgang Goethe.<br />
Heute rauchen, so die offizielle – freilich<br />
geschätzte – Zahl, drei bis vier Millionen<br />
Menschen in Deutschland regelmäßig<br />
Cannabis (Hanf). Anfang Mai hat<br />
das Bundesverfassungsgericht entschieden,<br />
daß Erwerb und Konsum des<br />
Rauschmittels in kleinen Mengen zwar<br />
weiter verboten sind, aber nicht mehr<br />
strafrechtlich verfolgt werden sollen.<br />
All jene, die sich über dieses Urteil freuten,<br />
merkten schnell, daß es lediglich die<br />
schon lange angewandte Praxis von<br />
Polizei und Staatsanwaltschaft sanktioniert:<br />
Auch vor dem Urteil des höchsten<br />
deutschen Gerichts gingen Konsumenten<br />
in der Regel straffrei aus. Es bleibt<br />
dabei: Kein Recht auf Rausch, bestraft<br />
werden weiterhin jene, die verkaufen,<br />
Hanf bleibt als Nutzpflanze verboten.<br />
Die Richter vergaßen auch, wie groß die<br />
kleine, straffreie Menge sein darf; darum<br />
sollen sich nun die Länder kümmern.<br />
Mal wieder so eine<br />
Erfolgsmeldung<br />
In der jüngsten „Erfolgsmeldung“<br />
von Stadt und Polizei wg. Drogenbekämpfung,<br />
datiert vom 10.5.,<br />
heißt es: Die Polizei sei an „den<br />
Brennpunkten täglich präsent“, habe<br />
eine „AG Lui“ gegründet, „die<br />
jedoch keineswegs nur den Luisenplatz<br />
im Auge behält“ und „ihr Klientel<br />
im Griff hat.“<br />
Ihr Vorgehen: Wenn Betroffene<br />
bereits polizeilich aufgefallen sind<br />
und wieder Kontakt zu Händlern<br />
und Konsumenten suchen, erhalten<br />
sie einen Platzverweis – und dürfen<br />
sich zwischen 11 und 1 Uhr nicht an<br />
den Brennpunkten aufhalten. Wird<br />
der vierwöchige Verweis nicht eingehalten,<br />
sind 200 Mark Zwangsgeld<br />
fällig. Bei der Registrierung<br />
soll jetzt ein Computer mit Software<br />
helfen, den OB Benz der Einsatztruppe<br />
überreicht hat.<br />
„Asylbewerber, die sich in Darmstadt<br />
mit wenig hehren Zielen illegal<br />
aufhalten und aufgegriffen werden,<br />
begleitet die ,AG Lui‘ übrigens<br />
höchstpersönlich zum Bahnhof und<br />
setzt sie in den Zug Richtung Sammellager.“<br />
Damit „(leiste) … die<br />
,AG Lui‘ auch einen nicht unerheblichen<br />
Beitrag gegen Ausländerfeindlichkeit“.<br />
Wie das geht, erklärt<br />
Benz zitiert: „Das Gros unserer ausländischen<br />
Mitbürger ist bestürzt<br />
darüber, daß Menschen ihrer Nationalitäten<br />
hier dem Rauschgifthandel<br />
nachgehen und sie in Verruf bringen.<br />
Sie distanzieren sich von ihnen,<br />
wollen mit den Kriminellen nichts<br />
zu tun haben. Und unser Gemeinwesen,<br />
vertreten durch die Polizei, muß<br />
auch im Interesse der ausländischen<br />
Mitbürger reagieren, damit kleine<br />
Gruppen Krimineller keinen Keil<br />
zwischen die ausländische und deutsche<br />
Bevölkerung treiben können.<br />
Die ,AG Lui‘ leistet somit einen<br />
wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung.“<br />
Hut ab, vor solch Dialektik!<br />
Ihr Ludwig von Sinnen<br />
Enttäuschung über das Urteil<br />
Eigentlich hatten sich viele von den<br />
Karlsruher Richtern mehr erhofft – sie<br />
wollten eine Freigabe der Droge Cannabis<br />
und damit aus der Illegalität herauskommen<br />
ebenso wie aus dem internationalen<br />
Drogenhandel. Schon lange fordern<br />
viele eine Umkehr der Drogenpolitik,<br />
die bisher darin besteht, durch<br />
Illegalität einen Schwarzmarkt zu protegieren,<br />
der Basis <strong>für</strong> organisierte Verbrechen<br />
ist. Das, so ihre Argumentation,<br />
habe noch jede Prohibition mit sich<br />
gebracht. Heute übervölkern Hanf-<br />
Händler die Gefängnisse, beschäftigen<br />
jene, die im Kampf gegen die organisierte<br />
Kriminalität dringend gebraucht<br />
würden – so sehen das auch Polizeipräsidenten,<br />
Staatsanwälte, Drogenfachleute<br />
und Ärzte. Wenn Haschfreunde ihren<br />
Stoff nicht mehr bei den Dealern kaufen<br />
müßten, die auch harte Drogen im<br />
Angebot haben, wäre außerdem die<br />
Gefahr, auf Härteres umzusteigen,<br />
wesentlich geringer – dies ein weiterer<br />
positiver Effekt der Entkriminalisierung,<br />
so die Be<strong>für</strong>worter. Der „Spiegel“<br />
(Nr. 18 vom 2.5.94) titelte falsch: „Wende<br />
in der Drogenpolitik – Hasch <strong>für</strong>s<br />
Volk“ – davon kann keine Rede sein.<br />
Benz bleibt bei seinem Verbot<br />
So weit wollten die höchsten Richter<br />
nicht gehen. Und Darmstadts Oberbürgermeister<br />
Peter Benz (SPD) ließ sich<br />
von diesem Urteil schon gar nicht beeinflussen:<br />
Er verbot das „Cannabis-Weekend“<br />
der „AG Hanf“, geplant am 14./15.<br />
Mai, auf dem über die Nutzpflanze Hanf<br />
informiert werden sollte, aus der, neben<br />
dem Rauschmittel, auch Papier oder<br />
Stoffe hergestellt werden können. Die<br />
Darmstädter Studenten erwarteten –<br />
nach eigenen Angaben – 50.000 Gleichgesinnte.<br />
Doch auch nach dem Verbot<br />
äußerten sie zunächst trotzig: „Das<br />
Cannabis-Weekend findet auf jeden Fall<br />
statt, weil die Leuten kommen werden,<br />
die sind gar nicht mehr aufzuhalten“,<br />
von 10.000 Leuten sprach die „AG<br />
Hanf“.<br />
Doch am 10. 5. hieß es dann in einer<br />
Pressemitteilung der Stadt, die Veranstalter<br />
hätten „von ihrem Vorhaben<br />
Abstand genommen“. Markus van der<br />
Kolk erklärt am 11.5. das Einlenken so:<br />
„Wir wollten viel Druck wegnehmen<br />
und außerdem das Festival lieber verschieben.“<br />
Wegen des offiziellen Verbots<br />
der Stadt hätten die Musikgruppen<br />
und andere Gäste um Vorkasse gebeten<br />
– bis auf eine Berliner Band, die auf<br />
jeden Fall kommen und spielen will –,<br />
was die „AG Hanf“ nicht hätte leisten<br />
können.<br />
Was am 14./15. Mai nun in Darmstadt<br />
läuft? „Das ändert sich jeden Tag“, sagt<br />
van der Kolk. Aktueller Stand: „Wir<br />
treffen uns am Karolinenplatz und werden<br />
darauf hinweisen, daß die Veranstaltung<br />
über die Nutzpflanze Hanf in<br />
die Bessunger Knabenschule verlagert<br />
wurde. Die Grünen bemühen sich derzeit,<br />
eine Genehmigung <strong>für</strong> ein Konzert<br />
am Böllenfalltor zu kriegen.“<br />
Gefährdung der Sicherheit<br />
Warum das Verbot? In einer Mitteilung<br />
von Pressesprecher Volker Rinnert heißt<br />
es: „ … nach Ansicht des Stadtoberhauptes<br />
(ist) die Sicherheit <strong>für</strong> die Stadt<br />
und ihre Bürgerschaft nicht gewährleistet.<br />
Es kann auch nicht ausgeschlossen<br />
werden, daß anläßlich des Cannabis-<br />
Wochenendes, bei dem auch über<br />
Haschisch als Droge informiert werden<br />
soll, harte Drogen gehandelt werden.<br />
Die ganze Veranstaltung, so der Oberbürgermeister,<br />
würde die gemeinsamen<br />
und erfolgreichen Bemühungen von<br />
Stadt und Polizei ad absurdum führen,<br />
den Konsum und Handel von Rauschgift<br />
in Darmstadt, vornehmlich in der Innenstadt,<br />
auszumerzen“.<br />
Auch die Darmstädter Polizei gibt regelmäßig<br />
solche „Erfolgsmeldungen“ im<br />
Kampf gegen Drogen heraus. Doch dieser<br />
Erfolg ist, genau betrachtet, äußerst<br />
gering. In Wahrheit handelt es sich um<br />
bloße Kosmetik, die unerwünschte Szene<br />
wird verdrängt, dahin verbannt, wo<br />
sie nicht mehr so auffällt. Jetzt treffen<br />
sich die Drogenfreunde und -händler<br />
eben nicht mehr am Luisenplatz, sondern<br />
etwa am Karlshof.<br />
OB Benz (SPD) hatte auch schon eine<br />
Protestkundgebung der „AG Hanf“ am<br />
2. Mai auf dem Luisenplatz verbieten<br />
lassen. Begründung: „Weder die Polizei<br />
noch die Veranstalter seien in der Lage,<br />
Dealer von Konsumenten bei der Demo<br />
zu trennen, Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz<br />
könnten nicht ausgeschlossen<br />
werden.“ Trotzdem sammelten<br />
sich einige Leute auf dem Luisenplatz,<br />
friedlich.<br />
Die Grünen vermitteln<br />
Rund 150 „AG Hanf“-Leute und<br />
Anhänger kamen dort auch am Montag<br />
(9.) um 17.30 Uhr zusammen, zu einer<br />
nicht genehmigten Demonstration. Den<br />
Grünen Jürgen Barth und Daniela Wagner<br />
ist es wohl zu verdanken, daß es keine<br />
Auseinandersetzungen mit der Polizei<br />
gab, denn die hatte ein großes Aufgebot,<br />
ausgerüstet mit kugelsicheren<br />
Westen und Helmen, im Schloßhof<br />
bereitstehen – „wohl 60 Mann“, sagt<br />
Christian W. Schmidt, einer der AG-<br />
Aktiven. Die Grünen hatten tags zuvor<br />
das Audi-Max der Technischen Hochschule<br />
<strong>für</strong> eine Informationsveranstaltung<br />
über Hanf angemietet und es<br />
gelang ihnen, mit Unterstützung der<br />
„AG-Hanf“-Aktivisten, die Demonstranten<br />
dorthin umzuleiten – „sonst<br />
machen uns die Bullen platt“. Polizisten<br />
filmten den Umzug mit Fotoapparaten<br />
und Videokameras. Von der eingeladenen<br />
SPD, so Schmidt, kam niemand<br />
in den Saal, in dem bis nach sieben Uhr<br />
geredet worden war.<br />
Absolute Unaufgeklärtheit<br />
Die „AG Hanf“ sieht die Sache in einer<br />
der zahlreichen Pressefaxe so: „Mit der<br />
Verbotstaktik in letzter Minute hat sich<br />
die Stadt selbst ins Aus manövriert. Die<br />
absolute Unaufgeklärtheit von Benz und<br />
seiner Mannschaft beweisen geradezu,<br />
… daß umfassende Information lebensnotwendig<br />
<strong>für</strong> unsere Gesellschaft ist.<br />
Illegalität bedeutet immer Lüge und<br />
Mafia, und nur deshalb haben wir ein<br />
Drogenproblem. Jeder der heute noch<br />
von ,Mörderdrogen‘ und ,Einstiegsdrogen‘<br />
redet, macht sich der selbstverschuldeten<br />
Unmündigkeit (nach I. Kant)<br />
und dem Verrat an der Jugend verantwortlich<br />
und sollte lieber schweigen.“<br />
Harte Töne, doch im Kern haben die<br />
jungen Leute recht: Die Stadt Darmstadt<br />
täte besser daran, gesellschaftspolitisch<br />
strittigen und schwierigen Themen ein<br />
offenes Forum zu geben, zu informieren<br />
und aufzuklären – das wäre auch im Fall<br />
Sironi die glücklichere Lösung gewesen.<br />
Benz soll gegen das „Image einer altbackenen<br />
Provinzstadt … Weltoffenheit<br />
und Liberalität“ zeigen, so schreibt der<br />
AStA der TH Darmstadt (siehe Briefe<br />
an die Redaktion), der sich mit der<br />
Initiative solidarisch erklärte, wie auch<br />
die Studentenvertretungen der Evangelischen<br />
Fachhochschule sowie der<br />
Frankfurter Fachhochschule und dem<br />
Juso-Bundesvorstand, der <strong>für</strong> den 14.<br />
Mai eine Pro-Hanf-Aktion in Darmstadt<br />
vorhat.<br />
Der schreibt: „Die Begründungen zum<br />
Verbot … sind haltlos … Es kann an<br />
keinem deutschen Ort ausgeschlossen<br />
werden, daß sogenannte harte Drogen<br />
gehandelt werden, genausowenig wie<br />
wir sicher sein können, daß an keinem<br />
Ort Cannabis geraucht wird. Fest steht:<br />
Die Entscheidung des Oberbürgermeisters<br />
muß in einer Bierlaune entstanden<br />
sein.“<br />
Ob Bierlaune am Samstag auf dem Luisenplatz<br />
aufkommt, wenn Vater Benz<br />
und Sohn Hanno aufeinandertreffen?<br />
Denn Hanno sitzt im Juso-Bundesvorstand<br />
und ist der dortige Drogenfachmann,<br />
respektive Hanfbe<strong>für</strong>worter …<br />
Ludwig von Sinnen
Umweltzerstörer Nummer eins sind unsere<br />
Fortbewegungs-Karossen. Die ungeheuren<br />
Mengen an Abgasen aus 40 Millionen<br />
zugelassenen Autos in der BRD haben sogar<br />
auch bei beschlipsten KonsumentInnen zur<br />
ungeliebt notwendigen Einsicht geführt: so<br />
geht es nicht weiter. Das Umdenken unserer<br />
Wirtschaftsmagnaten setzt immer erst ein,<br />
wenn der Umsatz stagniert, das Geld nicht so<br />
fließt, wie erhofft. Erste vorsichtige Einsicht<br />
zieht sogar in den Mercedes-Benz-Etagen<br />
ein, vor allem wegen fehlender Umsätze bei<br />
der S-Klasse: Heute tauchen in Zeitschriften<br />
Werbeanzeigen auf, in denen die Stuttgarter<br />
Automobilbauer ankündigen, „Das werden<br />
wir tun (Bild eines Kleinwagens Studie A) –<br />
Das werden wir nicht lassen (Bild eines S-<br />
Klasse Dinosauriers)“. Darin spiegelt sich<br />
immer noch ein schneckentempohaftes<br />
Umdenken arroganter, unzeitgemäßer Industriemanager<br />
– muß denn den Herren der<br />
Baum erst auf den Kopf fallen?<br />
Das Anrecht auf Rückständigkeit nimmt<br />
auch Darmstadts Oberbürgermeister Peter<br />
Benz (SPD) <strong>für</strong> sich in Anspruch: Am Samstag<br />
(7.5.) weihte er wieder einmal die chromglitzernde<br />
Automobilausstellung in der Wilhelminenstraße<br />
ein. („Wir wollen uns die<br />
Freude am Autofahren nicht vermiesen lassen“).<br />
Gläubigkeit war schon von jeher<br />
Hemmnis <strong>für</strong> alle Weiterentwicklung, weshalb<br />
Benz den verunsicherten Automobil-<br />
Enthusiasten predigt: „Das Auto ist nicht der<br />
Beelzebub“ – vergessen hat er dabei die<br />
kopflosen LenkerInnen.<br />
Tags zuvor hatte Benz eine Einladung der<br />
„Südhessische Gas und Wasser AG“ ausgeschlagen.<br />
Dort wurde eine bemerkenswerte<br />
Entwicklung vorgestellt: Das Automobil, das<br />
mit Erdgas angetrieben wird. Zwar gibt es<br />
schon lange Autos, die mit Flüssiggas fahren<br />
– jedoch bei uns nicht mit Erdgas. Während<br />
„Greenpeace“ noch auf das Auto mit einem<br />
Verbrauch von etwas weniger als drei Liter<br />
Benzin je 100 Kilometer setzt, um die gigantischen<br />
Mengen an Schadstoffen zu reduzieren,<br />
kommt ein erdgasbetriebenes Fortbewegungsmittel<br />
auf noch viel weniger Emissionen.<br />
Auch wenn Benz sich als rückständig<br />
erweist, liegt er mit seiner Haltung durchaus<br />
in einer Linie mit den Prognosen <strong>für</strong> die weitere<br />
Entwicklung im Straßenverkehr: Bis zum<br />
Jahr 2000 werden in der Bundesrepublik<br />
nach einer Studie der „Shell AG“ 52 Millionen<br />
Pkw rollen, mithin die Emissionen um<br />
weitere 25% zunehmen werden.<br />
Keine Serienfertigung<br />
Die Mitgesellschafterin der Südhessischen,<br />
die „Rhenag“ (wiederum eine RWE-Tochter),<br />
ist seit zwei Jahren dahinter her, das Erdgas-<br />
Auto zu etablieren. Erstaunlich daran: das<br />
geht heute schon mit entsprechend umgerüsteten<br />
Serien-Pkw; bei der Südhessischen<br />
sind zwei der nicht stinkenden, umweltfreundlichen,<br />
entsprechend umgebauten<br />
Volkswagen am 6.5. in Betrieb genommen<br />
worden. Die technische Änderung ist eine<br />
Kleinigkeit, lediglich <strong>für</strong> den sperrigen Tank<br />
muß Platz gefunden und geopfert werden.<br />
Noch ist das <strong>für</strong> den Normalverbraucher zu<br />
teuer: Für die Umrüstung sind je Auto 7.000<br />
bis 8.000 Mark zu berappen, „weil dies noch<br />
nicht in Serie, sondern per Hand erfolgt“,<br />
erklärt Jochen Günter, ein Sachbearbeiter der<br />
„Rhenag“. Er kündigt an, „geht der Umbau in<br />
Serie, sind etwa 2.000 bis 3.000 Mark Aufpreis<br />
zu zahlen“. Das Auto käme aber nur<br />
wenig teurer, denn die Kosten <strong>für</strong> einen Katalysator<br />
können eingespart werden.<br />
Teuer ist heute auch noch die Tankstelle,<br />
gleichzeitig der Clou: An die im Haus liegende<br />
Gasleitung (35% der Haushalte hängen<br />
am Gas<strong>net</strong>z) wird ein Kompressor angeschlossen.<br />
Eine Schnellkopplung an das<br />
Auto gehängt – das war’s, allerdings braucht<br />
die Haustanke drei bis fünf Stunden <strong>für</strong> das<br />
Füllen einer Gasflasche. Doch auch hier sind<br />
noch unrealistisch hohe Summen zu zahlen:<br />
Die Gas-Tankstelle im Eigenheim kostet<br />
6.000 Mark. Auch hier gilt, in Serie gefertigt,<br />
sinken die Kosten rapide – im Werkzeughandel<br />
gibt es heute Kompressoren bereits <strong>für</strong><br />
weniger als 1.000 Mark.<br />
„Noch sind diese Autos nichts <strong>für</strong> den Privatverbraucher“,<br />
resümiert Günter, „wir wenden<br />
uns an Großbetriebe wie die HEAG (ein<br />
interessierter Vertreter war da), an die Stadtverwaltungen,<br />
Taxi-Unternehmen, die Gütertransportunternehmen,<br />
UPS und andere<br />
Großverbraucher.“ Wäre irgendwann ein<br />
Tankstellen<strong>net</strong>z aufgebaut, dort dauert das<br />
Tanken aufgrund anderer Technik lediglich<br />
zwei bis fünf Minuten.<br />
Sicherheit: Kein Problem<br />
Ist so ein Auto sicher? Auch darauf weiß der<br />
„Rhenag“-Sachbearbeiter die Antworten:<br />
„Die bei den Technischen Überwachungsver-<br />
einen (TÜV) beschäftigten Ingenieure wissen<br />
doch vom Erdgas nur, daß es brennt“, seine<br />
Polemik entspringt dem Ärger mit den<br />
Behörden: Der Sicherheitsauflagen halber<br />
muß heute jedes umgebaute Fahrzeug extra<br />
vom TÜV abgenommen werden. Galt die<br />
TÜV-Abnahme bis vor kurzem gerade mal <strong>für</strong><br />
ein halbes Jahr, ist sie heute auf zwei Jahre<br />
verlängert – aber halt immer noch nur nach<br />
Einzelabnahme. Er weiß zu berichten, daß<br />
„erdgasbetriebene Fahrzeuge heute sicherer<br />
sind als Dieselautos“ und beschreibt technische<br />
Einzelheiten der Erdgastanks. Das Beispiel<br />
eines Großbrandes in Belgien, wo Diesel-<br />
und Erdgasautos in Flammen standen,<br />
zeigt: Die Erdgastanks waren trotz abgebrannter<br />
Wracks nicht explodiert.<br />
Steuerentlastungen?<br />
Obwohl Gas-Technik nicht neu ist und schon<br />
vor über 100 Jahren im Fahrzeug- und Motorenbau<br />
Einsatz fand, stellte sich die Automobilindustrie<br />
noch „vor eineinhalb Jahren“<br />
taub und „gab dem Erdgas-Auto keine Chance“.<br />
Doch da ist ein Umdenken in Sicht. Drei<br />
Hersteller – DB, VW und BMW – sollen die<br />
Serienfertigung zugesagt haben. Die Erdgas-<br />
Lieferanten wollen erreichen, daß Gas-Autos<br />
große Verbreitung finden. Deshalb hatte die<br />
Südhessische auch Staatssekretär Rainer<br />
Baake vom hessischen Umweltministerium<br />
eingeladen. An ihn richtete Heinz Kern, Vorstandsvorsitzender<br />
der Südhessischen, die<br />
Aufforderung als Bitte formuliert: „Wir hoffen,<br />
daß Sie sich <strong>für</strong> eine steuerliche Entlastung<br />
einsetzen“. Auf dem Erdgas liegt eine<br />
Steuer von 50%.<br />
Baake vermag zwar „keine Alternative <strong>für</strong><br />
eine Wende in der Verkehrspolitik durch das<br />
Erdgasauto“ zu erkennen, aber attestiert<br />
„daß deutlich weniger Schadstoffe emittiert<br />
werden“. Für die Erdgaslieferanten könnte<br />
ein Senken der Steuern zu wirtschaftlicher<br />
Wettbewerbsfähigkeit führen. In Anbetracht<br />
der massiven Umweltschäden durch benzinoder<br />
dieselbetriebene Fahrzeuge, könnten<br />
alternativ höhere Steuern auf Erdöl zu dem<br />
gleichen Effekt der Wirtschaftlichkeit führen.<br />
Die heutigen noch teuren Umbaukosten in<br />
Verbindung mit höheren Verbrauchskosten<br />
liegen bei einem Dieselfahrzeug zwischen 15<br />
bis 30% – allerdings gibt es Zuschüsse vom<br />
Umweltbundesamt (Berlin) in Höhe von 50%<br />
<strong>für</strong> die Investitionen.<br />
Gesperrte Innenstädte<br />
Kern prophezeit, ganz sicher zutreffend, daß<br />
die Innenstädte (als erster Schritt) wegen der<br />
ständig steigenden Schadstoffbelastung <strong>für</strong><br />
diesel- und benzingetriebene Fahrzeuge gesperrt<br />
werden müssen – die große Chance<br />
<strong>für</strong> die einfach und schnell umrüstbare Erdgastechnik.<br />
Einen weiteren entscheidenden Vorteil verbuchen<br />
die industriellen Protegés des Gasautos<br />
<strong>für</strong> sich: Die gigantischen Öl-Tanker<br />
mit ihren regelmäßig wiederkehrenden<br />
Umweltkatastrophen nach Unfällen gehörten<br />
ebenso der Vergangenheit an, wie die Raffinerien<br />
und die Lkw-Flotten, die den Sprit an<br />
die einzelnen Tankstellen anliefern. Ebenso<br />
wie einstmals die Ölheizungen dem Erdgas<br />
weichen mußten, könnte dies ein Trend sein,<br />
der unter heutigen technischen Bedingungen<br />
einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung<br />
der (Um-)welt beitragen könnte – viel<br />
schneller als es <strong>für</strong> die internationalen Erdölgesellschaften<br />
wünschenswert wäre.<br />
Weltweit sollen bereits 800.000 solch<br />
umgerüsteter Fahrzeuge laufen – in der Bundesrepublik<br />
noch nicht einmal 200, von denen<br />
allein die „Rhenag“ 40 im Einsatz hat.<br />
Hierzulande hält man zwar viel auf Technologie<br />
und Fortschritt, hinkt aber wieder einmal<br />
hinterher. „In den USA sorgte die Umweltschutzgesetzgebung<br />
(,clean air act‘) <strong>für</strong> ein<br />
Umdenken im Verkehrswesen“, weiß eine<br />
Arbeitsgemeinschaft der Erdgaslieferanten<br />
zu berichten, „die Gesetzgebung in den USA<br />
geht so weit, daß größere Städte verpflichtet<br />
werden, <strong>für</strong> öffentliche und gewerbliche<br />
Fuhrparks nur noch ,cleanfuel‘ Fahrzeuge anzuschaffen“<br />
– was soviel heißt wie Erdgas als<br />
Treibstoff.<br />
Übergangslösung<br />
Ein Manko hat das Gasauto noch: Die Motoren<br />
sind auf das Fahren mit Benzin oder Diesel<br />
optimiert, damit ist der Verbrauch an Erdgas<br />
höher als er sein müßte. Eine Tankfüllung<br />
reicht heute nur <strong>für</strong> 150 bis 250 Kilometer,<br />
je nach Wagentyp. Dies ist jedoch kein<br />
Hemmnis, denn durch einen einfachen Umschalter<br />
im Armaturenbrett kann zwischen<br />
Benzin- und Gas-Treibstoff gewählt werden.<br />
Damit ist diese Technik der Realisierung<br />
einen deutlichen Schritt weiter als die der<br />
Elektroautos. Ob die Automobil-Industrie ihre<br />
Zusage einhält und tatsächlich in den<br />
nächsten zwei Jahren erste Serienfahrzeuge<br />
auf den Markt bringt? Zu wünschen wäre es,<br />
Mercedes-Benz Werbung <strong>für</strong> die S-Klasse<br />
Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 5<br />
„Die Freude am Auto<br />
nicht vermiesen lassen“<br />
bevor die Städte noch stinkender und unwirtlicher<br />
werden und der Wald nur noch aus<br />
Baumgerippen besteht.<br />
Für uns Verbraucher heißt dies: Den Kauf<br />
eines neuen Autos möglichst lange herauszuschieben,<br />
bis energiesparende Fahrzeuge<br />
im Verbund mit Erdgastechnik die Umweltbelastung<br />
auf ein Minimum senken. Ein<br />
durch sparsame Motoren auf drei Liter Benzin<br />
gesenkter Verbrauch in Verbindung mit<br />
Erdgas als Treibstoff könnte die Schadstoffe<br />
radikal senken.<br />
Umweltbilanz<br />
Im Vergleich Diesel/Erdgas sinken nach<br />
Angaben der Erdgaslieferanten die Emissionen<br />
bei:<br />
• Kohlenmonoxiden (CO) um 58%<br />
• Stickoxiden (NOx) um 80%<br />
• reaktiven Kohlenwasserstoffen (NMHC) um<br />
80%<br />
• Schwefeldioxiden über 90% (derzeit sorgen<br />
bis zu 90 Millionen Tonnen pro Jahr <strong>für</strong><br />
den Treibhauseffekt)<br />
• Rußpartikeln über 90%<br />
• Kohlendioxid (CO2) bleibt unverändert.<br />
Im Vergleich Benzin-Erdgas ergibt sich noch<br />
eine<br />
• Senkung der Kohlendioxide um 20%.<br />
Der erdgasbetriebene Motor wird vom Wirkungsgrad<br />
her besehen zwischen dem Benziner<br />
und dem Diesel anzusiedeln sein, denn<br />
der Diesel „ist in seinem Wirkungsgrad unerreichbar“,<br />
beschreibt Ingenieur Ganser<br />
(„Rhenag“).<br />
Die weniger emittierten Stickoxide in Verbindung<br />
mit den deutlich weniger erzeugten<br />
reaktiven Kohlenwasserstoffen drängen die<br />
• bodennahe Ozonbildung um über 80 %<br />
zurück.<br />
Der höchste Wert von bodennaher Ozonkonzentration<br />
wurde in der Bundesrepublik 1992<br />
im Rhein-Main-Gebiet mit 383 Mikrogramm<br />
je Kubikmeter gemessen.<br />
Ein Manko allerdings bleibt: Die als Treibhausgase<br />
bezeich<strong>net</strong>en Schadstoffe (Kohlendioxid<br />
in Verbindung mit Methan u.a.)<br />
sinken nur um 13% im Vergleich mit dem<br />
Benzin-Motor; den Hauptteil, der auch durch<br />
Katalysatoren nicht weiter verringerbaren<br />
Treibhausgase, stellt das Kohlendioxid mit<br />
über 80%. Letzter Vorteil: Erdgas ist klopf-<br />
Zitat Oberbürgermeister Peter Benz anläßlich seiner Eröffnungsrede bei der Automobilausstellung in der Wilhelminenstraße<br />
Alle Jahre wieder: Protestiert haben BUND-Jugend und ein Teil der Grünen gegen die Automobilausstellung auf der Wilhelminenstraße am 7. Mai (Fotos: HS)<br />
Erdgas<br />
statt Benzin und Diesel<br />
fest, es werden demnach keine Additive<br />
gebraucht, weniger Blei, weniger Ölwechsel.<br />
Ende des Gestanks?<br />
Umso unverständlicher ist, daß wieder einmal<br />
nur die Großverbraucher angesprochen<br />
sind – warum versuchen die Erdgaslieferanten<br />
nicht, die umweltfreundliche Antriebsenergie<br />
<strong>für</strong> alle einzuführen? Auch <strong>für</strong> den Normalverbraucher<br />
ist Erdgas interessant. Wer<br />
hat sich nicht schon über seinen Diesel oder<br />
den unglaublich stinkenden Katalysator seines<br />
Vordermannes geärgert und im Stau vergebens<br />
nach frischer Luft geschnappt? Erdgas<br />
verbrennt nicht nur umweltfreundlicher,<br />
vollständiger, sondern auch geruchsfrei und<br />
die Motoren laufen erheblich viel leiser.<br />
Sicher würden viele zweimal überlegen, ob<br />
ein Verzicht auf Metallic-Lack oder sonstigen<br />
Schnickschnack nicht besser im Gasantrieb<br />
angelegt wäre. Wer den Wald im Auge hat,<br />
<strong>für</strong> sie oder ihn gäbe es ohnehin nur eine Entscheidung:<br />
<strong>für</strong> Erdgas. Und dies nicht erst in<br />
einigen Jahren, wenn die umweltfeindliche<br />
Automobilindustrie endlich die saubere<br />
Technologie anbieten wird, am liebsten<br />
schon vor Jahrzehnten…<br />
M. Grimm
„Mißtrauensschürung<br />
gegen Män ner“ Zitat einer Frau – aus der CDU<br />
Das hessische Gleichberechtigungsgesetz:<br />
Chance oder Bürokratismus?<br />
Kaum ein Gesetz hat zu solch hitzigen<br />
Debatten geführt wie das Hessische<br />
Gleichberechtigungsgesetz. Die einen wittern<br />
einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung<br />
und zu hohe Kosten, die anderen<br />
sehen darin die einzige Chance, daß die verfassungsrechtlich<br />
garantierte Gleichberechtigung<br />
von Frauen und Männern endlich verwirklicht<br />
wird – wenn auch nur im öffentlichen<br />
Dienst, auf den sich das Gesetz<br />
beschränkt. Es sieht bei Einstellungen und<br />
Beförderungen verbindliche Quoten und Zielvorgaben<br />
zur Förderung von Frauen und <strong>für</strong><br />
alle Bereiche des öffentlichen Dienstes Frauenbeauftragte<br />
vor, die ein aufschiebendes<br />
Vetorecht mit zwingender Wirkung haben;<br />
und geht damit wesentlich weiter als der im<br />
April beschlossene Gesetzentwurf <strong>für</strong> die<br />
Bundesangestellten des öffentlichen Dienstes<br />
von Bundesfrauenministerin Angela<br />
Merkel (CDU). Es ist offiziell zwar seit dem<br />
31. Dezember 1993 in Kraft – und betrifft<br />
damit etwa 400.000 Menschen, die in Verwaltungen<br />
des Landes oder der 21 Landkreise<br />
mit 426 Städten und Gemeinden, in den<br />
Sparkassen, dem Hessischen Rundfunk, den<br />
Universitäten und Hochschulen arbeiten –<br />
räumt aber eine Frist von fünf Monaten ein,<br />
bis zu der die Frauenbeauftragten im Amt<br />
sein müssen. Diese Zeit ist in gut zwei<br />
Wochen um. In Darmstadt hat es bisher aber<br />
nur zwei Ausschreibungen gegeben: bei den<br />
städtischen Kliniken und bei der Technischen<br />
Hochschule – abgesehen von Landesdienststellen.<br />
Die Stadt tut darüber hinaus<br />
wenig, sie wartet erst einmal auf die Ausführungsbestimmungen,<br />
die diese Tage in<br />
den Verwaltungen eintrudeln sollen.<br />
Ob dieses Gesetz „Chancen <strong>für</strong> viele Frauen?!“<br />
bietet, darüber diskutierten am 27.4.,<br />
Das Gesetz im Wortlaut:<br />
Wir zitieren in Auszügen<br />
§ 1 Ziel des Gesetzes: Ziel dieses Gesetzes ist der gleiche<br />
Zugang von Frauen und Männern zu öffentlichen<br />
Ämtern. Bis zur Erreichung dieses Zieles werden durch<br />
berufliche Förderung von Frauen auf der Grundlage<br />
von Frauenförderplänen mit verbindlichen Zielvorgaben<br />
die Zugangs- und Aufstiegsbedingungen sowie die<br />
Arbeitsbedingungen <strong>für</strong> Frauen verbessert …<br />
§ 3 Grundsätze: (1) Die Dienststellen sind verpflichtet,<br />
durch Frauenförderpläne … auf die Gleichstellung<br />
von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst<br />
sowie die Beseitigung von Unterrepräsentanz von<br />
Frauen hinzuwirken und Diskriminierungen … zu<br />
beseitigen.<br />
(2) Frauen sind unterrepräsentiert, wenn innerhalb<br />
des Geltungsbereiches eines Frauenförderplanes (§4)<br />
in einer Lohngruppe, Vergütungsgruppe oder Besoldungsgruppe<br />
einer Laufbahn weniger Frauen als<br />
Männer beschäftigt sind …<br />
§4 Aufstellung von Frauenförderplänen: (1) Frauenförderpläne<br />
werden <strong>für</strong> jeweils sechs Jahre <strong>für</strong> jede<br />
Dienststelle aufgestellt. Personalstellen mehrerer<br />
Dienststellen können nach Maßgabe der Abs. 2 bis 4<br />
in einem Frauenförderplan zusammengefaßt werden.<br />
(3) Für jede Gemeinde und jeden Gemeindeverband<br />
ausschließlich der Eigenbetriebe und Krankenanstalten<br />
wird mindestens je ein Frauenförderplan aufgestellt<br />
…<br />
§5 Inhalt des Frauenförderplanes: (1) Gegenstand<br />
des Frauenförderplanes sind die Förderung der<br />
Gleichstellung von Frauen und Männern …<br />
(2) Grundlage des Frauenförderplanes ist eine<br />
Bestandsaufnahme und Analyse der Beschäftigtenstruktur<br />
sowie eine Schätzung der im Geltungsbereich<br />
des Frauenförderplanes zu besetzenden Personalstellen<br />
und möglichen Beförderungen …<br />
(3) Der Frauenförderplan enthält <strong>für</strong> jeweils zwei Jahre<br />
verbindliche Zielvorgaben bezogen auf den Anteil<br />
der Frauen bei Einstellungen und Beförderungen zur<br />
Erhöhung des Frauenanteils in Bereichen, in denen<br />
Frauen unterrepräsentiert sind …<br />
(4) In jedem Frauenförderplan sind jeweils mehr als<br />
die Hälfte der zu besetzenden Personalstellen eines<br />
Bereichs, in dem Frauen unterrepräsentiert sind, zur<br />
Besetzung durch Frauen vorzusehen …<br />
(6) Der Frauenförderplan enthält auch Maßnahmen<br />
zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie zur<br />
Aufwertung von Tätigkeiten überwiegend mit Frauen<br />
besetzten Arbeitsplätzen, soweit dies erforderlich ist,<br />
um einen dem Gleichberechtigungsgrundsatz widersprechenden<br />
Zustand zu beseitigen …<br />
auf Einladung der Frauenbeauftragten Trautel<br />
Baur, Frauenministerin Ilse Stiewitt (SPD)<br />
und die Landespolitikerinnen Inge Felter<br />
(CDU), Lisa Vollmer (SPD), Ruth Wagner<br />
(FDP) und Daniela Wagner (Grüne) im<br />
Georg-Moller-Haus.<br />
In Darmstadt, so Baur, sind 5.362 weibliche<br />
und männliche Angestellte der Stadtverwaltungen<br />
(inkl. Eigenbetriebe, ohne die städtischen<br />
Kliniken) von der Neuregelung betroffen<br />
– in erster Linie die 60,4 Prozent weiblichen;<br />
in Zahlen: 3.432 Frauen. Vier bis fünf<br />
Frauenbeauftragte hat die Stadt Darmstadt,<br />
so Baur, einzustellen. Diese sollen, nach<br />
ihrem Wunsch, alle gemeinsam in einem<br />
großen kommunalen Frauenbüro arbeiten –<br />
das empfiehlt auch das Gesetz. „Wir Frauenbeauftragten<br />
haben Frauenpolitik öffentlich<br />
gemacht. Jetzt liegt das Gesetz auf unseren<br />
Schultern, aber es darf nicht zu unseren<br />
Lasten gehen“, deshalb fordert sie <strong>für</strong> das<br />
Kreisfrauenbüro fünf ganze und eine halbe<br />
Stelle – „ein sichtbarer Machtzuwachs“. Der<br />
notwendig ist, da die Stadt der Frauenbeauftragten<br />
bislang die notwendigen Hilfskräfte<br />
schlicht vorenthalten hat.<br />
Überflüssiges Gesetz?<br />
„Mit Hilfe des Gesetzes sollen insgesamt die<br />
Arbeitsbedingungen verbessert werden“,<br />
interpretiert die Frauenbeauftragte und erklärt,<br />
es gehe um flexiblere Arbeitszeitmodelle,<br />
Teilzeitarbeitsstellen und Aufwertung der<br />
Familienarbeitsplätze, gegen sexuelle Belästigung<br />
und schreibe unter anderem auch<br />
vor, daß zukünftig alle (auch neugeschaffenen)<br />
Beiräte, Kommissionen und Gremien<br />
mit mindestens 50 Prozent Frauen besetzt<br />
sein müssen – das hätte auch Oberbürgermeister<br />
Peter Benz (SPD) bei der Besetzung<br />
§7 Vergabe von Ausbildungsplätzen: (1) In Ausbildungsberufen<br />
… sind sie bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen<br />
mindestens zur Hälfte zu berücksichtigen<br />
…<br />
§8 Ausschreibungen: (1) In allen Bereichen, in denen<br />
Frauen unterrepräsentiert sind, sind zu besetzende<br />
Personalstellen grundsätzlich in den Dienststellen, in<br />
nach- und übergeord<strong>net</strong>en Behörden sowie öffentlich<br />
auszuschreiben …<br />
(2) In Ausschreibungen ist darauf hinzuweisen, daß<br />
Vollzeitstellen grundsätzlich teilbar sind. Soweit eine<br />
Verpflichtung zur Erhöhung des Frauenanteils auf<br />
Grund eines Frauenförderplanes besteht, ist dies in<br />
der Ausschreibung zu erwähnen …<br />
§9 Vorstellungsgespräch: (1) In Bereichen, in denen<br />
Frauen unterrepräsentiert sind, werden mindestens<br />
ebenso viele Frauen wie Männer oder alle Bewerberinnen<br />
zum Vorstellungsgespräch eingeladen …<br />
(2) Fragen nach einer bestehenden oder geplanten<br />
Schwangerschaft und danach, wie die Betreuung von<br />
Kindern neben der Berufstätigkeit gewährleistet werden<br />
kann, sind unzulässig.<br />
§10 Auswahlentscheidungen: (1) … Bei der Qualifikationsbeurteilung<br />
sind Fähigkeiten und Erfahrungen,<br />
die durch die Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen<br />
im häuslichen Bereich (Familienarbeit)<br />
erworben wurden, zu berücksichtigen, soweit ihnen<br />
<strong>für</strong> die Eignung, Leistungen und Befähigung der<br />
Bewerberinnen Bedeutung zukommt. Dies gilt auch,<br />
wenn Familienarbeit neben der Erwerbstätigkeit geleistet<br />
wurde.<br />
(2) Dienstalter, Lebensalter und der Zeitpunkt der<br />
letzten Beförderung dürfen nur insoweit Berücksichtigung<br />
finden, als ihnen <strong>für</strong> die Eignung, Leistung und<br />
Befähigung der Bewerberinnen und Bewerber Bedeutung<br />
zukommt.<br />
(3) Familienstand oder Einkommen des Partners oder<br />
der Partnerin dürfen nicht berücksichtigt werden.<br />
Teilzeitbeschäftigungen, Beurlaubungen und Verzögerungen<br />
beim Abschluß der Ausbildung auf Grund der<br />
Betreuung von Kindern oder von nach ärztlichem<br />
Zeugnis pflegebedürftigen Angehörigen dürfen sich<br />
nicht nachteilig auf die dienstliche Beurteilung auswirken<br />
…<br />
(4) Werden die Zielvorgaben des Frauenförderplanes<br />
<strong>für</strong> jeweils zwei Jahre nicht erfüllt, bedarf bis zu ihrer<br />
Erfüllung jede weitere Einstellung oder Beförderung<br />
eines Mannes in einem Bereich, in dem Frauen unterrepräsentiert<br />
sind, der Zustimmung der Stelle, die<br />
dem Frauenförderplan zugestimmt hat …<br />
(5) Solange kein Frauenförderplan aufgestellt ist,<br />
dürfen in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert<br />
sind, keine Einstellungen und Beförderungen<br />
vorgenommen werden.<br />
seines neuen Planungsstabes befolgen müssen,<br />
denn so steht es im Gesetz, §14 sowie<br />
10, Absatz 5 (Wortlaut siehe unten). Von<br />
ihrem Vetorecht hat die Frauenbeauftragte<br />
keinen Gebrauch gemacht – eine Ausschreibung<br />
hielt der OB ebenfalls <strong>für</strong> überflüssig,<br />
denn er wollte wohl Parteifreunde entlohnen.<br />
Das Gesetz steht und fällt mit Einsatz und<br />
dem Widerstandsgeist der Frauenbeauftragten.<br />
Als einzige hat sie heute die Möglichkeit,<br />
bei jeder Postenvergabe eine öffentliche Ausschreibung<br />
zu fordern, die Auswahl der BewerberInnen<br />
zu kontrollieren und der Stellenvergabe<br />
ihr Ja und Amen zu geben. Übrigens:<br />
Ihre Stellung ist dermaßen stark, daß sie als<br />
einzige in den Behörden Opposition gegen<br />
den regierenden Magistrat leisten kann und<br />
auch von jeder Pressezensur freigestellt ist.<br />
Verweigerungshaltung<br />
Was hat sich seit dem 31.12.93 in Hessen<br />
getan? Stiewitt: „Das Gesetz ist nicht in den<br />
Schubladen verschwunden, daran wird gearbeitet.“<br />
Da es eine vorausschauende Personalplanung<br />
erfordert – „was bisher nicht<br />
überall üblich war“ – führe es zu „gravierenden<br />
Änderungen <strong>für</strong> das übliche Verwaltungshandeln“<br />
und werde sich „innovativ auf<br />
die Verwaltung auswirken“ und Diskriminierungen<br />
sichtbar machen. Probleme bereite<br />
die Umsetzung aus Kostengründen, gibt sie<br />
zu. Aber: „Alle Versäumnisse kosten, denken<br />
wir nur an den Umweltschutz“. Sicher ist sie,<br />
daß die „Verweigerungshaltung einiger<br />
Kommunen und Landkreise noch aufgeweicht<br />
werden kann“.<br />
Ganz anders bewertet die CDU-Politikerin<br />
Felter, Vorsitzende des Arbeitskreises Frauenarbeit<br />
und Sozialordnung der CDU-Landtagsfraktion,<br />
das „Herzstück der rot-grünen<br />
§11 Fortbildung: … (2) Für weibliche Beschäftigte<br />
werden besondere Fortbildungsmaßnahmen angeboten,<br />
die eine Weiterqualifikation ermöglichen und auf<br />
die Übernahme von Tätigkeiten, bei denen Frauen<br />
unterrepräsentiert sind, vorbereiten …<br />
§12 Familiengerechte Arbeitszeit und Beurlaubung:<br />
(1) Die Dienststellen sollen verstärkt Arbeitszeiten<br />
anbieten, die den Bedürfnissen der Beschäftigten<br />
Rechnung tragen, die Familienpflichten wahrnehmen<br />
…<br />
(2) Anträgen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern<br />
auf Teilzeitbeschäftigung, Beurlaubung oder<br />
flexible Arbeitszeit zur Betreuung von Kindern oder<br />
von nach ärztlichem Zeugnis pflegebedürftigen<br />
Angehörigen ist zu entsprechen, soweit nicht dringende<br />
dienstliche Belange entgegenstehen …<br />
(3) Bei Teilzeitbeschäftigungen und Beurlaubungen<br />
aus den in Abs. 2 genannten familiären Gründen<br />
sowie <strong>für</strong> die Zeit des Beschäftigungsverbotes nach<br />
§6 des Mutterschutzgesetzes und §6 der Mutterschutzverordnung<br />
ist ein personeller Ausgleich vorzunehmen.<br />
§13 Teilzeitbeschäftigung: (1) Teilzeitbeschäftigten<br />
sind die gleichen beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten<br />
und Fortbildungschancen einzuräumen wie Vollzeitbeschäftigten<br />
…<br />
§14 Gremien: Bei der Besetzung von Kommissionen,<br />
Beiräten, Verwaltungs- und Aufsichtsräten sowie<br />
sonstigen Gremien sollen mindestens die Hälfte der<br />
Mitglieder Frauen sein …<br />
§15 Sexuelle Belästigung: (1) Die Dienststellen sind<br />
verpflichtet, sexuellen Belästigungen vorzubeugen<br />
und bekanntgewordene sexuelle Belästigungen als<br />
Dienstvergehen im Sinne der Hessischen Disziplinarordnung<br />
oder der entsprechenden arbeitsrechtlichen<br />
Regelungen zu verfolgen. Vorgesetzte sind verpflichtet,<br />
bekanntgewordene sexuelle Belästigungen der<br />
Dienststellenleitung zu melden.<br />
(2) Sexuelle Belästigungen sind unerwünschte sexuelle<br />
Annäherungsversuche und Körperkontakte sowie<br />
sexuell abfällige oder abwertende Bemerkungen,<br />
Gesten oder Darstellungen, die von der betroffenen<br />
Person als beleidigend, erniedrigend oder belästigend<br />
empfunden werden.<br />
(3) Beschwerden über sexuelle Belästigung dürfen<br />
nicht zur Benachteiligung der belästigten Person<br />
führen.<br />
§16 Bestellung von Frauenbeauftragten: (1) Jede<br />
Dienststelle mit mehr als zwanzig Beschäftigten<br />
bestellt eine Frauenbeauftragte. In den Gemeinden,<br />
Gemeindeverbänden und bei kommunalen Zweckverbänden<br />
mit zwanzig oder mehr Beschäftigten wird je<br />
mindestens eine Frauenbeauftragte bestellt. Die Aufgabe<br />
kann dem Frauenbüro… zugeord<strong>net</strong> werden. In<br />
Koalitionsvereinbarung“. Ihre These: Das<br />
Gesetz beinhaltet keine Chance <strong>für</strong> viele<br />
Frauen“. Während sie von „Bürokratismus,<br />
Überreglementierung, Kostentreiberei, Wettbewerbsverzerrung,<br />
Eingriff in die Selbstverwaltung<br />
der Kommunen und Mißtrauensschürung<br />
gegen Männer und den Betriebsfrieden“<br />
spricht und auch noch verfassungsrechtliche<br />
Bedenken äußert, wird das<br />
überwiegend weibliche Publikum zunehmend<br />
unruhig und unwirsch. Schallendes<br />
Lachen quittiert ihre Aussage: „Ich habe viel<br />
Ablehnung der einseitigen Bevorzugung<br />
erlebt. Auch Frauen wollen die nicht, sondern<br />
wollen wegen ihrer Leistung anerkannt werden“.<br />
Widerspricht sich das?<br />
Ein Gesetz <strong>für</strong> Männer<br />
Daß 60 Prozent der Frauen weniger als 1.800<br />
Mark im Monat verdienen (was laut<br />
Sozialämtern unter dem Existenzminimum<br />
liegt), und das obwohl Frauen beim Bildungsniveau<br />
in den vergangenen 20 Jahren<br />
erheblich aufgeholt haben, so daß heute<br />
kaum noch Defizite zu Männern bestünden,<br />
das sei die Ausgangslage <strong>für</strong> das Gleichstellungsgesetz<br />
gewesen, erklärt die Vorsitzende<br />
des Arbeitskreises Frauenarbeit und Sozialordnung<br />
der SPD-Landtagsfraktion Vollmer.<br />
Dort würde das allererste Mal in einem<br />
Gesetz Familienarbeit als Arbeit gewürdigt –<br />
ein Anfang, meint Vollmer und fordert unter<br />
lautem Applaus: „Wir bräuchten ein Gesetz,<br />
das Männer mit Familie verpflichtet, sich<br />
daran zu beteiligen.“<br />
Sogar Ruth Wagner (FDP) begrüßt einige<br />
Bestimmungen, wie etwa die, daß alle Stellen<br />
teilbar sein müssen. Dies sorge <strong>für</strong> „Flexibilität<br />
und Teamgeist, was bisher an den Verwaltungen<br />
allzu oft vorbeigegangen“ wäre.<br />
diesem Falle ist eine entsprechende personelle Verstärkung<br />
des Frauenbüros oder der ähnlichen Stelle<br />
vorzunehmen …<br />
(2) Zur Frauenbeauftragten<br />
darf<br />
nur eine Frau<br />
bestellt werden.<br />
Ein Interessenwiderstreit<br />
mit<br />
ihren sonstigendienstlichen<br />
Aufgaben<br />
ist auszuschließen.<br />
Sie muß<br />
die zur Erfüllung<br />
ihrer<br />
Aufgabe<br />
erforderliche<br />
Sachkenntnis<br />
und Zuverlässigkeit<br />
besitzen und in<br />
einem unbefristetenBeschäftigungsverhältnis<br />
stehen. Die Bestellung<br />
von Frauenbeauftragten<br />
erfolgt auf Grund<br />
einer Ausschreibung<br />
in der Dienststelle …<br />
§17 Dauer der Bestellung und Abberufung: (1) Die<br />
Frauenbeauftragte und ihre Stellvertreterin werden<br />
<strong>für</strong> je sechs Jahre bestellt …<br />
§18 Aufgaben und Rechte der Frauenbeauftragten:<br />
(1) Die Frauenbeauftragte überwacht die Durchführung<br />
dieses Gesetzes und unterstützt die Dienststellenleitung<br />
bei seiner Umsetzung. Sie hat das<br />
Recht, an den diesbezüglichen Maßnahmen beteiligt<br />
zu werden, insbesondere an 1. der Aufstellung und<br />
Änderung des Frauenförderplanes, der Personalstellen<br />
ihrer Dienststelle betrifft … 3. Stellenausschreibungen<br />
und am Auswahlverfahren sowie an Vorstellungsgesprächen<br />
<strong>für</strong> Personalstellen der Dienststelle,<br />
<strong>für</strong> die sie bestellt wurde, sowie 4. an sonstigen Maßnahmen<br />
der Durchführung des Frauenförderplanes …<br />
(2) Die Frauenbeauftragte erhält auf Verlangen Einsicht<br />
in alle Akten, die Maßnahmen, an denen sie zu<br />
beteiligen ist, betreffen …<br />
§19 Widerspruchsrecht: (1) Ist die Frauenbeauftragte<br />
der Auffassung, daß Maßnahmen oder ihre Unterlassung<br />
gegen dieses Gesetz verstoßen oder infolge<br />
von solchen Maßnahmen die Erfüllung des Frauenförderplanes<br />
gefährdet ist, kann sie innerhalb einer<br />
Frist von zwei Wochen ab Kenntnis bei der Dienststellenleitung<br />
widersprechen …<br />
§20 Dienstliche Stellung: (1) Die Frauenbeauftragte<br />
nimmt ihre Aufgaben und Befugnisse als dienstliche<br />
Tätigkeit wahr. Dabei ist sie von fachlichen Weisun-<br />
Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 6<br />
Dennoch: Auch sie äußerte verfassungsrechtliche<br />
Bedenken gegen die Zielvorgabe,<br />
die sie „<strong>für</strong> eher kontraproduktiv“ hält. Daß<br />
das Gesetz <strong>für</strong> Darmstadt vier bis fünf Frauenbeauftragte<br />
nach sich ziehe, führe in Zeiten<br />
leerer Kassen zu Frauenfeindlichkeiten,<br />
prophezeit sie.<br />
Dem Argument der Überreglementierung<br />
entgeg<strong>net</strong> Daniela Wagner verteidigend: „Mir<br />
wäre es ja auch recht, wenn alle Verkehrsteilnehmer<br />
ohne Straßenverkehrsordnung friedlich<br />
und <strong>net</strong>t fahren würden, aber dem ist ja<br />
nicht so.“ Und gegen Felter polemisiert sie:<br />
„Ich treffe immer mehr Frauen, die keine<br />
Lust mehr haben, trotz ihrer Leistung<br />
benachteiligt zu werden.“ Und kommt zum<br />
Schluß: „Ohne Quote läuft nix!“<br />
Ein Stellenpool darf nicht sein<br />
Aus dem Publikum meldet sich die Leiterin<br />
der Sozialverwaltung, Wilma Mohr (SPD):<br />
„Ohne Quote geht es nicht. Aber das Gesetz<br />
genügt nicht, wenn nicht auch Finanzen<br />
bereitgestellt werden. Ganz im Gegenteil<br />
be<strong>für</strong>chte ich, daß wir es aufgrund der ökonomischen<br />
Situation mit immer weniger<br />
Frauen zu tun haben werden.“ Als Beispiel<br />
führt sie die in Darmstadt praktizierte Neuregelung<br />
an, wonach freiwerdende Stellen (wg.<br />
Schwangerschaften) in den Stellenpool wandern.<br />
Das, so Frauenministerin Stiewitt, „darf<br />
nicht sein“. Auch die CDU-Kreisvorsitzende<br />
Eva Ludwig meint, <strong>für</strong> die Verwirklichung<br />
des Gesetzes sei kein Geld vorhanden. Daniela<br />
Wagner entgeg<strong>net</strong> dieser Kritik: „Warum<br />
haben wir Frauen im Stadtparlament es nicht<br />
fraktionsübergreifend geschafft, teure Männerhobbies<br />
abzuschaffen wie den SV 98?“<br />
Außerdem stünden im Landeshaushalt Mittel<br />
in Höhe von 8,1 Millionen Mark <strong>für</strong> den<br />
„nachgeburtlichen Mutterschutz“ bereit.<br />
Ein Rätsel gibt das Gesetz auf: mit seiner<br />
Anforderung, daß alle Stellen <strong>für</strong> die Frauenbeauftragten<br />
„kostenneutral“ geschaffen<br />
werden sollen. Wie das gehen soll? Daran<br />
wird hessenweit noch lange geknobelt.<br />
Bei allem Gezeter um das Gesetz geht es nur<br />
um eins: Um (Parteien/ Männer-) Macht, um<br />
Einfluß und ums liebe Geld. Was den einen<br />
nicht genommen wird, kann den anderen<br />
nicht gegeben werden. Warum sollte Mann<br />
das Gesetz durchsetzen wollen? Ein hartes<br />
Stück künftiger Arbeit <strong>für</strong> die Frauenbeauftragte.<br />
Eva Bredow<br />
Grafiken entnommen aus: „Halbe-Halbe – Der Streit<br />
um die Quotierung“, Hrsg. Mechtild Jansen, Berlin,<br />
Elefantenpress, 1986<br />
gen frei. Sie ist im erforderlichen Umfang von den<br />
übrigen dienstlichen Aufgaben zu entlasten und mit<br />
den zur Erfüllung<br />
ihrer Aufgabennotwendigen<br />
räumlichen,personellen<br />
und sachlichen Mitteln auszustatten.<br />
(2) In Dienststellen mit mehr als 200<br />
Beschäftigten ist <strong>für</strong> die Tätigkeit der<br />
Frauenbeauftragten mindestens eine<br />
Stelle mit der Hälfte der regelmäßigen<br />
Wochenarbeitszeit zur Verfügung<br />
zu stellen, in Dienststellen mit mehr<br />
als 500 Beschäftigten eine volle<br />
Stelle. In Dienststellen mit mehr<br />
als 800 Beschäftigten ist der<br />
Frauenbeauftragten eine Mitarbeiterin<br />
mit der Hälfte der<br />
regelmäßigen Arbeitszeit<br />
zuzuordnen,<br />
in<br />
Dienststellen<br />
mit mehr als<br />
1000<br />
Beschäftigten<br />
eine Mitarbeiterin<br />
mit der vollen<br />
Regelarbeitszeit …<br />
§21 Übergangsvorschriften:<br />
(1) Frauenförderpläne<br />
sind innerhalb<br />
von neun Monaten<br />
nach dem Inkrafttreten<br />
dieses Gesetzes aufzustellen<br />
…<br />
(2) Die Frauenbeauftragten<br />
sind erstmals bis zum Ablauf<br />
von fünf Monaten nach<br />
Inkrafttreten dieses<br />
Gesetzes zu<br />
bestellen …
J<br />
edes Jahr organisiert die Künstlervereinigung<br />
Darmstädter Sezession eine<br />
große Ausstellung – mal auf der Mathildenhöhe<br />
(Malerei), mal auf der Ziegelhütte<br />
(Plastik). Dabei zeich<strong>net</strong> sie im Wechsel<br />
Bildhauer und Maler mit dem bundesweiten<br />
„Preis <strong>für</strong> junge Künstler“ aus. Dieses Jahr<br />
lädt die Sezession wieder ins idyllische<br />
Grün der Ziegelhütte ein, zur 12. Freiplastikausstellung<br />
mit dem Titel „Vom Block<br />
zur Figuration“. Neben 27 Sezessionsmitgliedern<br />
stellen dort 25 Bewerber sowie<br />
Andreas Frömberg, Preisträger von 1992,<br />
und die Förderpreisträger von 1988 bis 92<br />
– Hermann Kerkhoff,<br />
Karoline<br />
Bernesga, Reinhard<br />
Haverkamp<br />
und<br />
Simon P.<br />
Schrieber<br />
– insgesamt<br />
120 Plastiken aus. Das Kunstpreisgeld<br />
in Höhe von 8.000 Mark<br />
spendet seit Jahren die HEAG, seit<br />
1987 stiftet die Kunstgießerei Jörg Grundhöfer,<br />
Niedernberg, 2.000 Mark <strong>für</strong> einen<br />
Förderpreis.<br />
Dieses Jahr feiert die Sezession ein besonderes<br />
Jubiläum: sie existiert seit 75 Jahren.<br />
Oberbürgermeister Peter Benz (SPD) übergab<br />
deshalb bei der Ausstellungseröffnung<br />
am 7. Mai Sezessionspräsident Pit Ludwig<br />
<strong>für</strong> die Künstlervereinigung die silberne Ehrenplakette<br />
der Stadt Darmstadt, die „höchste<br />
Auszeichnung des Magistrats“ (Benz).<br />
Im Gründungsmanifest von 1919 heißt es:<br />
„Die radikalen Künstler Darmstadts<br />
und der Peripherie<br />
haben sich zu einer Sezession<br />
zusammengeschlossen,<br />
haben die längst erforderliche<br />
Reinigung von bourgeoiser<br />
Verschmutzung vollzogen …<br />
Ihre Vereinung bedeutet die<br />
Evakuierung des Geistes<br />
aus dem bürgerlichen Leben.<br />
Ihr Zusammenschluß ist Kampf …<br />
Die radikalen Künstler haben auf<br />
ihre Fahne geschrieben:<br />
Erreichung des politischen,<br />
künstlerischen Kontakts.<br />
Tod aller Isolation.“<br />
Kämpferisch und radikal traten sie im Juni<br />
1919 an die Öffentlichkeit, die Gründung<br />
der Darmstädter Sezession zu verkünden<br />
und damit Beispielen wie in Wien, Berlin<br />
und Düsseldorf zu folgen. Sie, das waren<br />
Maler, Bildhauer und Schriftsteller, die sich<br />
zusammengeschlossen hatten, um Ausstellungen<br />
zu organisieren, der neuen Literatur<br />
ein Forum zu geben und gemeinsam<br />
die Kunst, das Leben, die Gesellschaft nach<br />
dem 1. Weltkrieg, der die großbürgerlichen<br />
Ideale in Frage gestellt und zerstört hatte,<br />
radikal zu erneuern. Kasimir Edschmid war<br />
ihr erster Präsident; Max Beckmann, Carl<br />
Gunschmann, Theodor Haubach, Bernhard<br />
Hoetger, Ludwig Meidner, Wilhelm Michel,<br />
Carlo Mierendorff, Hans Schiebelhuth, Fritz<br />
Usinger und Pepy Würth waren Gründungsmitglieder.<br />
Ihre erste Ausstellung zeigte die Sezession<br />
drei Monate später in der Darmstädter<br />
Kunsthalle; der Bogenschütze kündigte das<br />
Geschehen auf Plakaten an – Ernst Moritz<br />
Engerts Scherenschnitt blieb das Sig<strong>net</strong>,<br />
bis es der Arheilger Grafiker Helmut Lortz<br />
variierte. Die zweite Präsentation brachte<br />
bereits große Bekanntheit und Bedeutung<br />
weit über Darmstadt hinaus. In den renovierten<br />
Hallen der Mathildenhöhe hatte die<br />
Sezession unter dem Titel „Deutscher<br />
Expressionismus. Darmstadt 1920“ mehr<br />
als 600 Kunstwerke zusammengetragen.<br />
Das Anliegen der Künstler, sich zu vereinen<br />
und die Isolation zu überwinden, fand 1933<br />
ein jähes Ende, als Nationalsozialisten die<br />
Darmstädter Sezession verboten – wer <strong>für</strong><br />
das Verbot in Darmstadt verantwortlich<br />
zeich<strong>net</strong>e, war in Festschriften und Unterlagen<br />
der Sezession nicht zu entdecken. Viele<br />
flüchteten ins Exil oder zogen sich in die<br />
schweigende Privatsphäre zurück. Nach<br />
dem Zusammenbruch des „tausendjährigen<br />
Reiches“, das zwölf Jahre dauerte, fanden<br />
sich einige Künstler wieder in Darmstadt<br />
zusammen: Paul Thesing, Willi Hofferbert<br />
und Kurt Heyd gründeten 1946 die<br />
„Neue Darmstädter Sezession“. Wiederum<br />
sammelte die Aufbruchstimmung einer<br />
Nachkriegszeit Künstler, Komponisten,<br />
Schriftsteller, Architekten und Kunsthistoriker.<br />
Damals rief die Sezession die „Darmstädter<br />
Gespräche“ ins Leben.<br />
Und heute? Da feiert die Sezession ihre<br />
ersten 75 Jahre. Sezessionen gab es einmal<br />
viele, doch nur wenige andere haben ein<br />
solch hohes Alter<br />
erreicht. Viele<br />
haben es nicht<br />
über so eine lange<br />
Zeit ver-<br />
mocht, ihre alten<br />
Mitglieder<br />
bei Laune zu<br />
halten und zu<br />
gleich beim<br />
Nachwuchs<br />
auf Interesse zu stoßen.<br />
Künstler – vereinen? Künstler sind vor<br />
allem Individualisten und nicht unbedingt<br />
unkomplizierte Menschen. In diesen<br />
Grüppchen tummeln sich viele Extreme:<br />
verschlossene Eigenbrötler und enervierende<br />
Geltungssüchtige, Gschaftelhuber und<br />
Faulenzer neben Aktivisten und Highlights.<br />
Manche treffen mit ihrer Kunst eine Zeitlang<br />
den Geschmack des Marktes, einige produzieren<br />
ausschließlich da<strong>für</strong> und damit <strong>für</strong><br />
den eigenen Geldbeutel und ihren Ruhm.<br />
Und wieder andere machen Kunst nur <strong>für</strong><br />
sich und manche von ihnen fristen ihr<br />
Leben in höchster Armut. Künstler mögen<br />
größere Freiheiten haben als viele andere<br />
Berufstätige, ihr Leben und ihre Arbeit nach<br />
eigenem Gusto zu gestalten, dennoch ist ihr<br />
Lebensweg meist beschwerlicher. Ihre Existenz<br />
ist voller Spannungen zwischen<br />
Rationalem und Irrationalem; materielle<br />
Not, Geringschätzung, Selbstzweifel, Isolation<br />
– viele kennen und plagt das.<br />
All jenen muß eine Künstlervereinigung<br />
gerecht werden und Gemeinsames bieten.<br />
Ihre Aufgaben sieht die Sezession darin,<br />
„die künstlerischen Interessen ihrer Mitglieder<br />
und Freunde zu vertreten und zu fördern<br />
sowie in der Kunstpflege im weitesten<br />
Sinne“, so heißt es in ihren Statuten. 125<br />
Mitglieder hat die Sezession heute. Seit<br />
1975 vergibt sie jedes Jahr den „Preis der<br />
Neuen Darmstädter Sezession <strong>für</strong> junge<br />
Künstler“ an jene, die unter 40 Jahren sind<br />
und bisher weder eine große Einzelausstellung<br />
gehabt, noch einen Förder- oder<br />
Kunstpreis erhalten haben. Ihnen bietet sie<br />
auch die Mitgliedschaft an – mit ein Weg,<br />
der sie bisher davor bewahrt hat, das<br />
Schicksal so vieler Vereine zu teilen, deren<br />
Mitglieder alle die sechzig schon überschritten<br />
haben und die Verjüngung vergaßen.<br />
Dennoch, die meisten Sezessionsmitglieder<br />
sind über 50 und schon seit Jahren<br />
dabei. Und es ist auch meist immer die<br />
selbe handvoll Aktiver, die die Ausstellungen<br />
mitorganisiert, auswählt, aufbaut …<br />
„Wir kämpfen seit 14 Tagen, es ist eine reine<br />
Katastrophe“, sagte Pit Ludwig noch<br />
zwei Tage vor Ausstellungseröffnung. Die<br />
FEUILLETON I<br />
Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 7<br />
„O.T.“, Haselnuß, Gaze, 300x65x60, 1993 von Monika Schmid – eine der 26 BewerberInnen <strong>für</strong> den „Preis <strong>für</strong> junge Künstler“ (Alle Fotos: H. Schäfer)<br />
„Tod aller Isolation“<br />
Kunst im idyllischen Grün auf der Ziegelhütte<br />
und ein Jubiläum: 75 Jahre Darmstädter Sezession<br />
Sezession hat alle Transporte bezahlt und<br />
organisiert. Das Maximum-Gewicht sollte<br />
500 Kilo sein, doch einige Kunstwerke – die<br />
nach Fotos von einer Jury im Januar ’94<br />
ausgewählt worden waren – waren dann<br />
doch 1,5 Tonnen schwer. „Das kann nicht<br />
mehr so weiter gehen. Unser Ausstellungsetat<br />
ist von 100.000 Mark auf 67.000 Mark<br />
gekürzt worden. In Zukunft werden die<br />
Künstler einen Transportweg selbst bezahlen<br />
müssen“, orakelte Ludwig.<br />
Letztes Jahr hatte es um die Auswahl der<br />
Bewerber <strong>für</strong> die Malerei-Ausstellung auf<br />
der Mathildenhöhe einen kleinen Eklat gegeben,<br />
der durch deutsche Kunstzeitungen<br />
huschte (siehe ZD vom 9.4.93). Damals war<br />
Liane Palesch Geschäftsführerin der Sezession.<br />
Sie formulierte ein Absageschreiben,<br />
das viele Künstler als Affront auffassen<br />
mußten. Pit Ludwig: „Da<strong>für</strong> mußte sie sich<br />
entschuldigen (siehe ZD-Ausgabe 48) – wir<br />
wußten nichts von dem Schreiben.“ Vielleicht<br />
liegt darin der Grund, weshalb dieses<br />
Jahr 100 Bewerbungen weniger als vor zwei<br />
Jahren eingingen? Vielleicht lag es aber<br />
auch am früheren Anmeldeschluß.<br />
Liane Palesch ist im September ’93 als Geschäftsführerin<br />
aus der Sezession ausge-<br />
beim<br />
„KinderTheaterMai“ in der<br />
Bessunger Knabenschule<br />
Gibt es in Darmstadt zuwenig Theaterangebote<br />
<strong>für</strong> Kinder? Manchen Eltern mag das<br />
so erscheinen. Sicher bringt das Staatstheater<br />
alljährlich sein Weihnachtsmärchen,<br />
im Foyer passiert ab und zu mal was,<br />
auch Dieter Rummel vom „TAP“ und<br />
Roland Hotz vom „Kikeriki“-Theater stellen<br />
schon mal ihr Herz <strong>für</strong> Kinder unter Beweis,<br />
daneben gibt’s Aktivitäten im Nachbarschaftsheim<br />
Prinz-Emil-Garten und im<br />
„HalbNeun-Theater“. Daß sich damit – was<br />
sicher nicht allen Eltern bekannt ist – das<br />
Angebot keineswegs erschöpft, zeigt im<br />
Laufe dieses Monats eine Initiativ-Gruppe,<br />
die den „KinderTheaterMai 1994“ ins Leben<br />
gerufen hat.<br />
In der Bessunger Knabenschule werden in<br />
zwölf Aufführungen sieben Gruppen bzw.<br />
Solokünstler vorgestellt, die auch Kindertheater<br />
machen, allerdings nicht über<br />
eigene Aufführungsräume verfügen. Alleiniger<br />
Sponsor ist die Stadt Darmstadt mit<br />
ihrem Kulturamt. Die ersten Vorstellungen<br />
Der Bogenschütze von Ernst-Moritz Engert zierte das<br />
Plakat der ersten Ausstellung der Darmstädter Sezession<br />
im Jahr 1919. Dieser Scherenschnitt blieb das<br />
Sig<strong>net</strong> der Künstlervereinigung, bis es der Arheilger<br />
Grafiker Helmut Lortz variierte (siehe unten)<br />
sind bereits gelaufen, fanden lebhaften<br />
Zuspruch, auch von Politikerseite, und verbuchten<br />
einige unbeabsichtigte Lacherfolge<br />
unter der Rubrik Künstlerpech – das<br />
Bühneninventar der Bessunger Knabenschule<br />
bedürfte mal einer Generalüberholung<br />
(dies nur als Wink an die Sponsoren).<br />
Was gab’s denn bisher? Die Pantomimen<br />
Klaus Lavies und Till Reinke von der Gruppe<br />
„Hobjes“ setzten Prokofjews „Peter und<br />
der Wolf“ sowie ihr neues Bibelstück „Die<br />
Arche Noah“ in Szene, Peter Fehr brachte<br />
eine eigenwillige Deutung des Liedchens<br />
„Hänschen klein“ und eine Neu-Interpretation<br />
eines pädagogischen Klassikers unter<br />
dem Motto „Wer erzieht eigentlich wen im<br />
Alltag von Struwwelpeter und seiner<br />
Mama?”.<br />
Was ist <strong>für</strong> den Rest des Monats noch angesagt?<br />
Ute Helbig erzählt am Sonntag, 15.,<br />
um 11 Uhr Märchen aus aller Welt, unter<br />
anderem von Christian Andersen und den<br />
Gebrüdern Grimm. Am selben Tag um 15<br />
Uhr gibt’s die „Public-Show <strong>für</strong> Kinder“ von<br />
den Darmstädter JongleurInnen, eine lustige<br />
Geschichte mit viel Akrobatik und Jonglage<br />
von einem Zirkus, dem die Requisiten<br />
schieden – nach über zwanzig Jahren. Eine<br />
offizielle Begründung da<strong>für</strong> gibt es von ihr<br />
nicht. Nachfolgerin ist Katja Epes als geschäftsführende<br />
Sekretärin – nicht als Geschäftsführerin<br />
oder gar als zweite Vorsitzende<br />
wie Palesch zur Überraschung der Sezessionsmitglieder<br />
das Entschuldigungsschreiben<br />
der Sezession unterzeich<strong>net</strong> hatte.<br />
Liane Palesch hat am 29. April ’94 von Oberbürgermeister<br />
Peter Benz (SPD) die „Ehrenurkunde<br />
<strong>für</strong> verdiente Bürger“ erhalten –<br />
<strong>für</strong> „ehrenamtliche Arbeit im gesellschaftlichen<br />
und kulturellen Bereich“. Heute arbeitet<br />
sie mit Alt-OB Günther Metzger (SPD) im<br />
Heinerfest-Ausschuß und leitet und verwaltet<br />
den Verein „Künstlerhaus auf der Ziegelhütte“,<br />
den die Sezession Anfang der achtziger<br />
Jahre als eigenständigen und gemeinnützigen<br />
Verein gegründet hatte, und der das<br />
Haus in der Kranichsteiner Straße von der<br />
Stadt in Erbbaupacht überlassen bekam.<br />
Eva Bredow<br />
Abb.: links oben: „Das Summen der Mücken über dem<br />
Hochmoor“, Stahl, Keramik, 1993 von Magdalena<br />
Drebber; darunter: „Anja“, „Britta“, „Kleine sitzende<br />
Figur“, Bronze, 1990 von Marco Baré<br />
Die Ausstellung in der Kranichsteiner Straße 110<br />
ist Di bis So von 10 - 18h geöff<strong>net</strong> – noch bis zum<br />
14. August. Der Katalog kostet 10 Mark.<br />
Viel Theater <strong>für</strong>s Kind im Mai<br />
abhanden gekommen sind. Ein Privatdetektiv<br />
wird beauftragt, sie wiederzufinden, doch<br />
auch die Kinder können dabei mithelfen. Die<br />
Gruppe „Theater im Hof“ zeigt am Dienstag,<br />
17., um 10.30 Uhr und um 15 Uhr, was sie<br />
derzeit im Repertoire hat, nämlich das Märchen<br />
vom „Teufel mit den drei goldenen<br />
Haaren“, die spannende Story vom armen<br />
Müllersburschen, der liebreizenden Prinzessin,<br />
dem fiesen König und – ja, natürlich –<br />
vom bösen Teufel. Am Donnerstag, 19.,<br />
ebenfalls um 10.30 Uhr und um 15 Uhr, bietet<br />
die Theatergruppe „Kannitverstan“ die<br />
unterhaltsame Tierparabel „Der fabelhafte<br />
Kröterich und seine Freunde vom Fluß“ nach<br />
Motiven von Ken<strong>net</strong>h Grahame an, in der es<br />
um „tierische“ Eigenheiten geht, die ziemlich<br />
menschlich anmuten. Alle diese noch anstehenden<br />
Aufführungen eignen sich übrigens<br />
<strong>für</strong> Kinder ab 6 Jahren. Schließlich beendet<br />
der in unserer Gegend als Kinderunterhalter<br />
wohlbekannte Zauberer Dixon am Dienstag,<br />
31. um 15 Uhr mit seiner Show diesen „KinderTheaterMai“,<br />
von dem die Veranstalter<br />
hoffen, daß er in Zukunft regelmäßig stattfinden<br />
wird.<br />
Jo Trillig<br />
INTERNAT. TAPETEN<br />
DARMSTADT<br />
ROSSDÖRFER PLATZ
„Bei der<br />
Bundeswehr<br />
sind bald auch<br />
die Helme blau“<br />
Kabarett muß mit der Zeit gehen; wenn<br />
nicht vorneweg, dann hinterher. Der<br />
Tübinger Kabarettist Adalbert Sedlmeier<br />
hatte sich <strong>für</strong> den Mittelweg entschieden<br />
und rollte zum Beginn des Programms „Der<br />
Experte“ auf einem Einrad durch das niedrige<br />
Gewölbe. Bewegung kommt gut zur Zeit,<br />
Paar-Reim immer schon: „Oh Gott, ich<br />
armes Schwein, ich werd’ doch nicht in<br />
Darmstadt sein“ – schließt er sein Intro. Die<br />
rosa Bäckchen unter der Melone dezent auf<br />
Clown geschminkt, verkörperte Sedlmeier<br />
in den viel zu großen Dummeraugustschuhen<br />
den Typus des artistischen Kleinkunstdienstleisters,<br />
der von der Erwartungshaltung<br />
des Publikums die Schnauze gestrichen<br />
voll hat.<br />
Beispielsweise Mitmachnummern: Acht<br />
dankbare Zuschauer erhalten je einen Strick<br />
<strong>für</strong> ein „Vertrauensspiel“. Richtig zuzuziehen<br />
hat sich dann doch keiner getraut.<br />
Wenige Minuten später stehen die gleichen<br />
Helden auf der Bühne. Ihre Erwartung,<br />
Sedlmeier würde auf einem von ihnen<br />
gehaltenen Seil tanzen, erfüllt sich nicht; er<br />
schaukelt behaglich zwischen den beiden<br />
Quartetten und erklärt den ZuhörerInnen<br />
süffisant: „Diese Nummer geht mit Intellektuellen<br />
eine dreiviertel Stunde.“ So werden<br />
die durch fahrlässige Dauerglotze andressierten<br />
Verhaltensmuster des Publikums<br />
immer wieder treffend ironisiert. Als die<br />
Leute nach einer Jonglagenummer mit<br />
Holzhammer, Apfel und Hut applaudieren,<br />
diagnostiziert der Kabarettist eine Identifikation<br />
mit den Lebensverhältnissen: Sie<br />
hätten wohl auch schon Tage mit der Erlernung<br />
einer vollkommen sinnlosen Tätigkeit<br />
verbracht. Zum Thema Esoterik präsentiert<br />
Scharlatan Sedlmeier einen Kartentrick auf<br />
piktogrammkompatiblem Niveau – offensichtlich<br />
dümmer geht es nicht.<br />
Doch hinter dem groben Format verbirgt<br />
sich eine feine Form der Ironie. Das Beiläufige,<br />
scheinbar nebensächlich Dahergesagte<br />
gelingt Sedlmeier gut. „Bei der Bundeswehr<br />
sind bald auch die Helme blau“ oder<br />
„man braucht die RAF nicht mehr, seit<br />
Rostock geht die Gewalt wieder vom Volke<br />
aus“ kommen nicht als Pointen, sondern<br />
als locker eingestreute Bagatellen – und<br />
desto wirksamer.<br />
Schade, daß sich Sedlmeier nicht auf seine<br />
Stärken – Medienparodie und Conference –<br />
FEUILLETON II<br />
Der Tübinger Kabarettist Adalbert Sedlmeier als „Der Experte“<br />
im Darmstädter Schloßkeller<br />
(Foto: P. Neumann)<br />
konzentriert. Denn beim Rollenspiel ist er<br />
voll von derselben. Der bayrische Verkehrsminister<br />
im Lodenjanker und mit – ehrlich –<br />
Brett vorm Kopf hätte den Narhallamarsch<br />
verdient. Sedlmeiers verschuschelt scherwaschenesch<br />
Schüddeutsch war ein mit<br />
etwas Training vermeidbares Rezeptionshindernis.<br />
Im Zusammenklang mit seiner<br />
fatalen Neigung zum Reim ergeben sich<br />
dann – hier die hochdeutsch transkribierte<br />
Fassung – solche Kleinstkunstmonster:<br />
„Wie, Papa, soll ich dir vertrauen, um sechs<br />
Uhr wolltest mich verhauen, und jetzt um<br />
halbe acht, ist immer noch nichts g’macht.“<br />
Der Volksmund würde hier von einer<br />
semantisch redundanten Intentionskonfusion<br />
sprechen, der Kritiker sagt: Aua.<br />
An diesem Abend kam dazu, daß der Akteur<br />
indisponiert, unausgeschlafen, überfressen,<br />
in Gedanken woanders, sein Haustier<br />
erkrankt, das Auto gestohlen, der Urlaub<br />
geplatzt, wie auch immer – jedenfalls ohne<br />
Präsenz sein Garn abspulte; sonst hätte<br />
man sicherlich noch stärker erkennen können,<br />
bei allen Einschränkungen: der Mann<br />
hat Talent.<br />
P. J. Hoffmann<br />
Vom Ölbild zum „Dokudrama“<br />
Filmporträt über Edward Hopper vom Darmstädter Wolfgang Hastert<br />
chau hin bis zur Faszination und<br />
„S wende dich nicht ab. Vertraue darauf,<br />
daß du etwas sehen wirst, wenn du nur<br />
lange genug davorstehst, um dich zu verlieren.<br />
Und wenn du lernst, zu warten, dann<br />
werden die Dinge … langsam in dein<br />
Bewußtsein sinken und ein Gewicht, eine<br />
Bedeutung erlangen, die in Farbe und Gefühl<br />
aufgewogen werden können …“ Diesem<br />
Goethe zugeschriebenen Satz ist Hopper<br />
mehr als gerecht geworden. Er hat seiner<br />
Arbeit diese Zeilen als Motto und Leitlinie<br />
vorangestellt. Hopper ist damit einer der<br />
wenigen Maler, die nie eine Realität nur<br />
abbildeten, sondern in einer sehr absoluten<br />
sinnlichen Intensität in der Lage waren, die<br />
„Wahrheit“ zu „sehen“.<br />
Mit großer Verspätung haben Hoppers Bildwerke<br />
in Europa Anerkennung gefunden,<br />
da<strong>für</strong> jedoch mit ungewöhnlicher Neugierde<br />
und posthumer Sympathie. In den Vereinigten<br />
Staaten dagegen war der 1882 geborene<br />
New Yorker Hopper bereits in den dreißiger<br />
Jahren <strong>für</strong> die künstlerische Identität seines<br />
Heimatlandes von erheblicher Bedeutung.<br />
Sein Werk strahlt eine große, innere Ruhe<br />
und Kontinuität aus, lebt von einer selten<br />
expressiven Strahlkraft. Und vollkommen<br />
anders als seine ebenfalls realistisch arbeitenden<br />
Malerkollegen aus den USA, etwa seine<br />
Zeitgenossen Stuart Davis, Rockwell Kent<br />
oder Grant Wood, leistet Hopper weder konservativer<br />
Wehmut und drögen ruralem<br />
Pathos (Wood) noch idealisierender Naturtümelei<br />
(Kent) Vorschub. Auch seine Interpretation<br />
des sozialen Aktionsraumes Stadt<br />
stellt sich quer zu allen vergleichbaren Formen<br />
der Verherrlichung der Metropole als<br />
Zentrum von Lebendigkeit, Aktivität, Energie.<br />
Dreizehn Jahre nach der Entdeckung Hoppers<br />
auf dem alten Kontinent scheint es fast<br />
überfällig, daß jemand mit europäischem<br />
Blickwinkel die Initiative zu einer filmischen<br />
Dokumentation ergriff. Der junge Darmstädter<br />
Filmemacher Wolfgang Hastert nutzte die<br />
Zeit als Atelierkünstler im Frankfurter Mousonturm<br />
(1991-1993), um sein Hopper-Projekt<br />
auf den Weg zu bringen. Hasterts Filmporträt<br />
versucht in rund sechzig Minuten das<br />
quasi Unmögliche sichtbar zu machen: Hoppers<br />
Leben und Werk nicht nur zu skizzieren,<br />
sondern auch die eigentümlich aufrühreri-<br />
sche Faszination seiner Bilder lebendig werden<br />
zu lassen. Die Faszination der von cinematographischen<br />
Grundsätzen geprägten<br />
Bilder Hoppers hat beispielsweise auch<br />
Alfred Hitchcock dazu inspiriert, Gestalt,<br />
Form und Betrachtungsperspektive eines<br />
Hauses zum Thriller-Gegenstand zu machen<br />
(„Psycho“, 1960). Hoppers „House by the<br />
railroad“ (1925) ist das Vor-Bild: Es dämonisiert<br />
mit den gleichen visuellen Manipulationstechniken<br />
wie Hitchcocks „Psycho“ den<br />
Ort eines Geschehens – oder auch nur eines<br />
potentiellen Geschehens.<br />
Wolfgang Hastert, 1961 in Michelstadt geboren,<br />
studierte an der Fachhochschule Darmstadt<br />
Fotodesign und vertiefte später mit<br />
einem Fulbright-Stipendium an der California<br />
State University in Los Angeles seine Studien<br />
in Sachen Video und Film. Mit dem nun vorliegenden<br />
„Dokudrama“ verbindet Hastert<br />
geschickt Recherche, Assoziation und Interpretation.<br />
Mit nachgestellten Spielszenen an<br />
möglichen Originalschauplätzen in New York<br />
und auf der Halbinsel Cape Cod soll die filmkompositorische<br />
Perspektive von Hoppers<br />
Ölmalerei tatsächlich zu Film werden. Viel<br />
Detailliebe und gezielt inszeniertes atmosphärisches<br />
Kolorit bietet Hastert auf, um die<br />
Storyboards von Bildern wie „Gas“ (1940)<br />
oder den berühmten „Nighthawks“ (1942) in<br />
bewegte Bilder zu übersetzen.<br />
Wenn Hastert sich in ein Bild wie „Western<br />
Motel“ (1957) hineinversenkt, wird deutlich,<br />
wie sehr die Regievorbilder <strong>für</strong> Hastert –<br />
Wim Wenders, David Lynch oder auch Jim<br />
Jarmusch – ebenfalls den „Hopper-Blick“ in<br />
ihrer Bildersprache anwenden. Hoppers<br />
„Western Motel“ verneint geradezu jeden<br />
Hinweis auf die <strong>für</strong> die Kultur Nordamerikas<br />
so entscheidende Essenz der Rastlosigkeit.<br />
Vielmehr werden das Mobiliar des Motels,<br />
die Straße und das charakteristisch ausschnitthaft<br />
gezeigte Automobil versteinern<br />
zu einem Stilleben trostloser Pseudo-Mobilität<br />
– als wär’s eine Szene aus „Paris,<br />
Texas“. Hastert gelingen aufbauend auf diesem<br />
Grundthema der Vermittlung von Innenund<br />
Außenwelt einige Sequenzen von großer<br />
Dichte und assoziativem Charisma.<br />
Wenn einerseits das Konzept „Dokudrama“<br />
gegenüber der reinen Dokumentarfilm-Rezeptur<br />
erheblich größeren Reiz besitzt, so gibt<br />
es andererseits auch Defizite in der Übersetzung<br />
von Bild zu Film. Das Unlösbare kann<br />
tatsächlich nicht gelöst werden: „Office at<br />
night“ etwa, eine Büroszene, macht in der<br />
Filmversion wenig Sinn und überlistet sich in<br />
„Zimmer in New York“ von Edward Hopper 1932 (Foto: Archiv)<br />
Jesulein<br />
contra<br />
Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 8<br />
göttliche Gabi?<br />
Diskussionsveranstaltung<br />
über „Universelles Leben“<br />
im Kulturzentrum Bessunger Knabenschule<br />
ut zum Leben“ heißt der Stand auf<br />
„G dem Darmstädter Marktplatz. Dort<br />
gibt es Biofutter <strong>für</strong> die artgerechte Müslimenschenhaltung<br />
zu Preisen, die dem Budget<br />
eines säkularisierten Studienrates angemessen<br />
sind. Das Sektenblättchen „Christusstaat“<br />
ist auf besserem Papier als diese<br />
Zeitung gedruckt und steht in punkto Frömmelei<br />
den Publikationen der Johannes-, Petrus-<br />
oder St. Elisabethgemeinde weder vor<br />
noch nach. In annähernd zweihundert „Christusbetrieben“,<br />
vornehmlich Bauernhöfen,<br />
Bäckereien, Gemüseläden und vegetarischen<br />
Imbißlokalen, knechtet sich die glückliche<br />
Schar der Gläubigen teilweise <strong>für</strong> den<br />
Gotteslohn von zweihundert Mark im Monat.<br />
Das ist auch nichts Neues, wie die lieben<br />
Klosterbrüder und Diakonissen bestätigen<br />
könnten. Beim Stichwort totalitäre Herrschaft<br />
würde mir spontan auch nicht die<br />
universelle Prophetin Gabriele Wittek einfallen,<br />
sondern Papst Johannes Paul II. Und<br />
daß Menschen, die öffentlich die unbefleckte<br />
Empfängnis, Jungfrauengeburt und die<br />
Wiederauferstehung von den Toten<br />
behaupten, in unserem Land unbeaufsichtigt<br />
ein Kraftfahrzeug führen und wählen<br />
dürfen, läuft ja auch nicht unter gesellschaftlicher<br />
Integration psychisch Kranker,<br />
sondern weltanschaulicher Toleranz.<br />
zitierender Genauigkeitsliebe selbst. Der typische<br />
Ausdruck von Vereinsamung, Verunsicherung<br />
und Orientierungslosigkeit in den<br />
Gesichtern der Hopper-Figuren gewinnt eben<br />
gerade in seiner statischen Fixiertheit Rang<br />
und Gewicht. Die Dramatik menschlicher Beziehungslosigkeit<br />
im soziokulturellen Milieu<br />
der depressiven dreißiger und fortschrittsskeptischen<br />
vierziger Jahre ist zwar zu schauspielern,<br />
ohne Frage, aber eben genau um den<br />
Preis, der das Original von der Kopie unterscheidet.<br />
Die filmische Umsetzung zieht hier –<br />
fast gezwungenermaßen – den Kürzeren.<br />
Prägnanz gewinnt Hasterts Porträt, wenn er<br />
Zeugen befragt (etwa den Porträt-Photographen<br />
Hoppers). Es wird nicht simultan übersetzt,<br />
sondern mit kleiner Zeitverzögerung,<br />
was der Spurensuche viel originäre Spannung<br />
und Authentizität verleiht. Der Film mit<br />
dem Untertitel „Der schweigsame Zeuge“<br />
hätte jedoch mehr verweisen können auf<br />
das, wo<strong>für</strong> der „Zeuge“ Hopper steht. Denn<br />
sein Schweigen ist sehr beredet. Und obschon<br />
sein Werk keine bewußt-strategische<br />
Ausrichtung nach außen aufweist, also etwa<br />
gesellschaftskritische Imperative umsetzt,<br />
ist Hopper wider alle Absicht ein sozialer<br />
Seismograph. Er fungiert als Dokumentator<br />
der Inhaltsleere der Moderne im 20. Jahrhundert.<br />
Gar kein einfacher Fall, dieser Hopper,<br />
aller figürlichen Einfachheit, Klarheit und<br />
Reduktion seiner Bildinhalte zum Trotze.<br />
Hastert spürt dem äußerlich fast geheimnisvoll<br />
spröden, im Grunde jedoch ganz auf<br />
Empfindung aufgebauten Leben und Werk<br />
Hoppers sachte und sensibel nach. Schon<br />
das geschilderte, lange Graben in US-Fernseharchiven,<br />
um ein paar bewegte Bilder mit<br />
Hopper zu erhaschen, spricht Bände über<br />
den Porträtierten. Hopper wollte sehen, nicht<br />
gesehen werden. Einige seiner Blicke auf alltägliche<br />
amerikanische Abgründe wurden zu<br />
Ikonen eines Gefühls der Entfremdung.<br />
Wolfgang Hasterts Filmporträt verweist<br />
mit vielen gelungenen Einstellungen und<br />
Einsichten auf die Aktualität dieses suggestiven<br />
Symbolismus namens Hopper.<br />
Paul-Hermann Gruner<br />
Wolfgang Hasterts Filmporträt „Edward Hopper – Der<br />
schweigsame Zeuge“ kommt in diesem Jahr zweimal<br />
ins Fernsehen: Am 17. Juli in arte, am 4. September im<br />
ZDF, jeweils um 23 Uhr<br />
Ist die Aufregung über die christliche Sekte<br />
„Universelles Leben“ also nicht ein bißchen<br />
übertrieben? Das haben sich die Leute vom<br />
Infoladen, die im Rahmen der „Horizontewochen“<br />
zu dieser Diskussionsveranstaltung<br />
eingeladen hatten, nicht gefragt. Sie<br />
hatten nämlich am 10. Dezember 1993 in<br />
der ARD die Reportage „Das Seelenkartell –<br />
geheime Machenschaften einer Sekte“<br />
gesehen. Der Film wurde vor der Diskussion<br />
noch einmal gezeigt und wenn ich<br />
mich nach dem Anschauen hätte entscheiden<br />
müssen, würde ich es dann doch lieber<br />
noch mal als Meßdiener versuchen.<br />
Als Nachfolger des 1977 gegründeten<br />
„Heimholungswerk Jesu Christi“ hat das<br />
„Universelle Leben“ seit 1984 mittlerweile<br />
ca. 40.000 AnhängerInnen in der Bundesrepublik<br />
gewonnen. Konzentriert um Würzburg<br />
hat „Universelles Leben“ Land und<br />
Baugrundstücke teilweise über Strohmänner<br />
gekauft. Etwa 700 AnhängerInnen leben<br />
bereits in diesen Monokulti-Enklaven, Tendenz<br />
steigend. Ihnen wird ein Komplettangebot<br />
von der Wiege bis zur Bahre geboten:<br />
Kindergärten, Christusschule in Esselbach,<br />
Christusbetriebe, Naturheilklinik – bis hin<br />
zur Altenbetreuung versorgt „Universelles<br />
Leben“ seine Schäfchen rundum und volldrauf<br />
mit dem, was „Universelles Leben“ so<br />
einzigartig macht: Uneigentlichkeit. Denn<br />
Gemeinnutz geht vor Eigennutz, das Unpersönliche<br />
ist gut, das Individuelle böse. Kinder<br />
sollten möglichst früh von ihren Eltern<br />
getrennt werden und heult die kleine Maus<br />
mal im Kindergarten, dann liegt das daran<br />
daß die egoistische Mutter gerade an ihr<br />
Kind denkt.“ So ein Zitat im Film.<br />
„Das ist mein Wort“, „Ich berate – nimmst<br />
Du an?“, „Ich erkläre – machst Du mit“,<br />
„Göttliches Prophetisches Heilen“ und<br />
„Vaterworte auch an Dich“ sind einige der<br />
Titel aus Gabriele Witteks Offenbarungswerk.<br />
Darin finden sich Perlen des abendländischen<br />
Aphorismus, wie: „Willst du, du,<br />
du, Mein Kind, freiwillig, mit offenem Herzen<br />
zu Mir kommen? – Dann bereite dort,<br />
wo du bist, dein Kommen vor!“ Da kann<br />
kein sterblicher Alphabetisierter von selbst<br />
drauf kommen, das muß der göttlichen<br />
Gabi einer geflüstert haben. Hat es auch: ER<br />
höchstselbst nämlich.<br />
In der anschließenden Diskussion ging es<br />
nicht nur um „Universelles Leben“ – beispielsweise<br />
die pseudowissenschaftlichen<br />
Aussagen zur Gentechnik oder den Antisemitismusvorwurf<br />
gegenüber der Sekte,<br />
sondern auch darum, wie es kommt, daß<br />
Menschen in Sekten eintreten. Wie muß<br />
eine Gesellschaft beschaffen sein, daß sie<br />
eine solche Entwicklung begünstigt. Ziel<br />
der InitiatorInnen, die sich im Würzburgischen<br />
umgesehen hatten, ist es, neben dem<br />
„Universellen Leben“ den Esoterikboom<br />
und die Akzeptanz offensichtlicher Irrationalität<br />
zu untersuchen.<br />
Die DiskussionsteilnehmerInnen konstatierten<br />
Wissenschafts- und Technologiefeindlichkeit<br />
der Linken, beklagten den<br />
Rückzug ins Private und erörterten die Konsequenzen<br />
eines unhinterfragten Naturbegriffes,<br />
der den Menschen als außerhalb<br />
der Natur stehend konzipiert und „Natürlichkeit“<br />
als obersten Wert setzt. Die Gruppe<br />
über „Universelles Leben“ und Esoterik<br />
ist <strong>für</strong> Interessierte offen und will weiterarbeiten.<br />
Derweil<br />
hängt im Flur der<br />
Knabenschule ein<br />
kleines Plakat und<br />
wirbt <strong>für</strong> „BiodynamischeAuraarbeit“.<br />
Adresse:<br />
Infoladen, dienstags<br />
20 Uhr, Binger<br />
Straße 10.<br />
P. J. Hoffmann
Der Hausherr, in weißen Jeans, hellem<br />
Hemd und Schlips, war sichtlich<br />
nervös, am Freitag vormittag<br />
(6. Mai) kurz vor elf Uhr: „Es haben<br />
sich so viele angemeldet, wo sind<br />
die jetzt?“, fragte er unruhig und<br />
suchte sich zu beruhigen: „Es sind<br />
noch ein paar Minuten…“ 400<br />
Gäste hatten sich zwar die kostenlosen Karten<br />
<strong>für</strong> das „III. Gesprächsforum auf der<br />
Mathildenhöhe“ im Informationsstand im<br />
Luisencenter abgeholt – doch wie es mit<br />
kostenlosen Sachen in unserer raffgierigen<br />
Zeit so oft passiert, werden sie zwar<br />
genommen, aber nicht genutzt. In zwei<br />
Ausstellungsräumen des Instituts hatte<br />
dessen Leiter und Kulturreferent Dr. Klaus<br />
Wolbert Stühle aufreihen lassen. Da die<br />
geladenen Herren – Wolbert: „Ich habe keine<br />
Frauen bekommen“ – ja nur in einem<br />
Raum auf dem Podium sitzen konnten,<br />
wurde ihr Antlitz per Videokamera in den<br />
zweiten übertragen. Doch dort saß so gut<br />
wie niemand – obwohl sich ein (Wolbert<br />
gut bekannter) Lehrer* mit seiner Schulklasse<br />
extra angekündigt hatte.<br />
Insgesamt kamen nur etwa einhundert, um<br />
sich die wissenschaftlich-theoretischen<br />
Ausführungen über „Kunst und Faschismus“<br />
anzuhören. Es sprachen: Hermann<br />
Glaser (Vorsitzender des Deutschen Werkbundes),<br />
Peter Ulrich Hein (Dozent an der<br />
Uni Köln), Iring Fetscher (Professor <strong>für</strong><br />
Politologie in Frankfurt), Hans-Ulrich Thamer<br />
(Direktor des Historischen Seminars<br />
der Uni Münster) und Jens Petersen (stellvertretender<br />
Direktor des Deutschen Historischen<br />
Instituts in Rom).<br />
Unter den rund 100 ZuhörerInnen jene, die<br />
immer kommen, wenn in Darmstadt die<br />
Kunst ruft: Künstler und Künstlerinnen, der<br />
Darmstädter Darmstadt-Buch-Verleger<br />
nebst Gattin, die ketterauchende Stadträtin,<br />
der Kunstlehrer, der auch Museumspädagoge<br />
ist, unser OB und ja selbst der<br />
Institutsleiter a.D. war da*. Versammelt:<br />
„die Darmstädter Kunstprominenz“, wie ein<br />
Anglistik-Professor schelmisch meinte. Tja,<br />
und dann noch die sogenannten „Normalen“<br />
– und die, so schiens waren eigentlich<br />
nur deshalb gekommen, weil sie hofften,<br />
etwas über den „Fall Sironi“ zu hören.<br />
Doch ob darüber überhaupt gesprochen<br />
werden soll oder darf, das hatte im Vorfeld<br />
der Veranstaltung zu Hin und Her geführt –<br />
mal wurde in den städtischen Pressemeldungen<br />
mit Sironi <strong>für</strong> die Veranstaltung<br />
geworben, dann wieder ließ OB Peter Benz<br />
(SPD) verlauten: „Es ist allerdings kein<br />
Forum Sironi“ oder gar <strong>für</strong>chterlich<br />
umwunden und verschnörkelt: „Die <strong>für</strong><br />
internationales Aufsehen gesorgte Absage,<br />
der <strong>für</strong> dieses Frühjahr vorgesehenen Ausstellung<br />
mit Gemälden des Mussolini-Fans<br />
Mario Sironi in Darmstadt, ist nicht Ursache<br />
dieser Veranstaltung, hat aber den<br />
Oberbürgermeister und den Kulturreferen-<br />
ten in ihrer Ansicht bestärkt, eine Diskussion<br />
über die Wertfreiheit der Kunst und die<br />
Auswirkungen der Differenzierung zwischen<br />
Faschismus und Neofaschismus auf<br />
die geistigen Hervorbringungen namens<br />
Kunst zu führen.“<br />
Klar ist, ohne die spektakuläre Absage der<br />
Sironi-Ausstellung Ende letzten Jahres hätte<br />
es dieses Gespräch wohl kaum gegeben.<br />
Und klar wurde am Freitag vormittag auch<br />
sehr schnell, daß dieses Thema in den<br />
Darmstädter Köpfen weiter kocht, sich viele<br />
eine Klärung von Benz und Wolbert versprochen<br />
hatten und mit den – nur teils<br />
kurzweiligen – theoretischen Auseinandersetzungen<br />
nicht allzulange und gerne<br />
beschäftigen wollten.<br />
Was ist faschistische Kunst? Was genau<br />
das Faschistische an der faschistischen<br />
Kunst? Was war an den Werken Sironis<br />
faschistisch? Hätte man ihn doch ausstellen<br />
sollen? Und wenn, wie? Das<br />
Gesprächsforum – mit dem Benz an die<br />
Tradition der „Darmstädter Gespräche“<br />
anknüpfen will – sollte die Verwobenheit<br />
von Kultur, Gesellschaft und Politik<br />
beleuchten. Doch richtig klären konnte es<br />
wenig.<br />
Hermann Glaser sprach über die Zerstörung<br />
des Geistes im 19. und 20. Jahrhundert.<br />
Seine These: Der Nationalsozialismus<br />
hat mentalitätsgeschichtlich weit<br />
zurückreichende Wurzeln, die in der von<br />
den „Stützen und Spitzen“ der Gesellschaft<br />
betriebenen „ideologischen Vereinfachung<br />
kultureller Komplexität“ liegen. Das Bildungsbürgertum,<br />
geprägt vom Humanismus,<br />
sei dem Nationalismus verfallen und<br />
habe eine „Spießerideologie“ entwickelt –<br />
so lautet auch ein Buch-Titel Glasers –, von<br />
der der Nationalismus in abgründiger Weise<br />
profitierte und die zur „Bestialität“ führte.<br />
Die „offizielle Kultur“ habe versagt, 1933<br />
eine Weltanschauung triumphiert, „in der<br />
die Kultur nur noch Fassade war und die mit<br />
Hilfe der Ästhetisierung der Barbarei größte<br />
Zustimmung fand“.<br />
Kultursoziologe Peter Ulrich Hein zeigte<br />
völkische und konservative Motive in der<br />
Kunst von der Jahrhundertwende bis zum<br />
sog. Dritten Reich, vermochte aber wenig<br />
„Aus der<br />
NS-Ideologie<br />
ist kein einziges<br />
Kunstwerk<br />
entstanden“<br />
III. Gesprächsforum<br />
auf der Mathildenhöhe<br />
über „Kunst und Faschismus“<br />
und über den „Fall Sironi“<br />
die Wandlung etwa von bloßer Abbildung<br />
deutscher Landschaften hin zu volksverherrlichender,<br />
rassenwahnsinniger,<br />
deutschtümelnder Kunst verständlich darzustellen.<br />
Wo sollen und können Grenzen<br />
gezogen werden?<br />
Munter wurden die Zuhörer erst, als Moderator<br />
und TH-Präsident Helmut Böhme<br />
fragte: „War es richtig, Sironi nicht zu zeigen?<br />
Oder anders gefragt: Sind Ausstellungen<br />
dazu in der Lage, Völker in den<br />
Schwachsinn zu treiben?“ Der Frankfurter<br />
Kunsthistoriker Georg Bussmann antwortete:<br />
„Die Ausstellung hätte gemacht werden<br />
müssen, aber …“ Er sprach von seiner Fassungslosigkeit<br />
gegenüber „dieser politischen<br />
Gegenwart“ und seiner Verunsicherung,<br />
„wie man auf Neonazis reagiert“.<br />
Glaser sah das ähnlich mit seiner Empfehlung:<br />
„Jede Ausstellung soll den Anstand<br />
verletzen und erregen“. Sein Vorschlag lautete:<br />
„Mit Geld hätte ich zwei Ausstellungen<br />
gemacht. Eine mit den Werken Sironis und<br />
eine darüber, warum man die Werke zeigt<br />
und wie sie politisch und kunsthistorisch<br />
einzuordnen sind. Mit dieser diskursiven<br />
Ästhetik hat man dann das Ziel erreicht.“<br />
Überhaupt seien die Kunstvermittler viel<br />
entscheidender als die Künstler. „Gegen<br />
die, die den Geist vorbereiten, gilt es anzugehen.“<br />
Es sei eine „romantische Vorstellung,<br />
daß ein guter Künstler auch ein guter<br />
Mensch ist. Das stimmt nicht“. Fest stehe,<br />
„daß aus der NS-Ideologie kein einziges<br />
Kunstwerk entstanden ist.“ Doch so einfach<br />
darf der Satz nicht genommen werden: Er<br />
meint das „große Kunstwerk“, gewissermaßen<br />
das Geniushafte des klassischen<br />
Kunstbegriffs.<br />
Jens Petersen kam mit seinem Vortrag über<br />
„Faschismus und Kultur: der Fall Mario<br />
Sironi“ den Bedürfnissen des Publikums<br />
am ehesten entgegen. Er sprach über die<br />
Unterschiede zwischen nationalsozialistischer<br />
und italienisch-faschistischer Kunstund<br />
Staatsdoktrin. Ein Beispiel: die<br />
Geschehnisse um die 1937 in Berlin<br />
geplante Ausstellung italienischer Kunst –<br />
Titel: „Malerei und Skulptur von 1800 bis<br />
zur Gegenwart“. Das Ereignis habe sich mit<br />
„Hitlers Generalattacke auf die moderne<br />
Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 9<br />
„Bereitschaft“ heißt diese elf Meter hohe Skulptur von Arno Breker aus dem Jahr 1939 – eine typische<br />
NS-Plastik (Abb.: Katalog)<br />
Kunst“ und ihrer Verdammung überschnitten.<br />
Zahlreiche Ausstellungsstücke durften<br />
damals nicht gezeigt werden, darunter<br />
waren auch einige Werke Sironis, der dann<br />
entschieden dagegen protestierte, überhaupt<br />
in Deutschland ausgestellt zu werden,<br />
so Petersen.<br />
Er konstatierte, daß im totalitären Italien mit<br />
Monarchie, katholischer Kirche und Kultur<br />
eine Reihe von Freiräumen blieben, die der<br />
Faschismus nicht zu erobern verstand. „Das<br />
Regime erhob zwar seit Ende der zwanziger<br />
Jahre den Anspruch, eine eigene faschistische<br />
Kultur geschaffen zu haben, und nutzte<br />
die ihm zur Verfügung stehenden Massenmedien,<br />
um eine teils traditionalistisch, teil<br />
nationalistisch geprägte Volkskultur zu verbreiten,<br />
ließ aber der Elitenkultur einen relativ<br />
großen Spielraum.“ Sironi selbst sei<br />
einer der Starkünstler des faschistischen<br />
Regimes gewesen und habe als Maler, Illustrator,<br />
Karikaturist, Grafiker, Frescomaler,<br />
Architekt und Ausstellungsorganisator die<br />
Faschismus- und Mussolini-Mythen<br />
wesentlich mitgeprägt. Später erschien er<br />
„nur noch als Propagandist, viele seiner<br />
Wandgemälde wurden vernichtet“.<br />
Mit der größten je von ihm gezeigten Ausstellung<br />
in Rom (93/94) sei jetzt „im Zeichen<br />
einer strikten Trennung von historisch-politischem<br />
und ästhetischem Urteil<br />
(seine) Rehabilitierung“ erfolgt – Sironi gelte<br />
inzwischen als einer der größten italieni-<br />
schen Künstler des 20. Jahrhunderts, so<br />
Petersen. Doch auch jene Ausstellung sei<br />
einer „offenen Diskussion ausgewichen, in<br />
dem sie den Propagandisten und Ideologen<br />
Sironi fast völlig ausgespart hat“. Desgleichen<br />
habe sich Deutschland (Darmstadt)<br />
mit der Absage der Sironi-Ausstellung der<br />
Möglichkeit beraubt, zu zeigen, warum ein<br />
Künstler Faschist wurde und worin sich dieses<br />
zeige.<br />
Das mulmige Gefühl, das die Absage der<br />
Ausstellung im November verursacht hatte,<br />
vermochte auch das Gesprächsforum nicht<br />
wegzuwischen. Und ein zweifacher Ärger<br />
bleibt immer noch: Warum fehlt es den<br />
Darmstädter (Kultur-) Politikern und Ausstellungsmachern<br />
an Kreativität und Mut,<br />
solche Ausstellungen so zu arrangieren,<br />
daß eben das Brisante inhaltlich zum Ausdruck<br />
kommt und einer unserer Zeit angemessen<br />
offenen und öffentlichen Diskussion<br />
zur Kritik anheim gestellt wird?<br />
Besonderer Fauxpas: Nicht nur, daß uns<br />
DarmstädterInnen die Mündigkeit abgesprochen<br />
wurde, ist erst unsere Neugier<br />
angeheizt und dann getrogen worden. Die<br />
inhaltliche Klärung über Kunst im Faschismus<br />
– vor allem, worin der Faschismus in<br />
der Kunst sichtbar wird – genau die steht<br />
bis heute unbeantwortet im Raum.<br />
Eva Bredow<br />
* Alle Namen sind der Redaktion bekannt<br />
RAUMGESTALTUNG<br />
DARMSTADT<br />
ROSSDÖRFER PLATZ
Wir fordern<br />
einen festen Platz<br />
DIE „WAGENBURG KLABAUTA“ MUSS NACH DEM WILLEN<br />
EINIGER NACHBARN SCHON WIEDER UMZIEHEN – UND DAS<br />
NACH NUR DREI MONATEN. DER VON DER STADT GESETZTE<br />
TERMIN AM 30.4. VERSTRICH BISHER OHNE ZWANGSRÄU-<br />
MUNG<br />
(Foto: Heiner Schäfer)<br />
Nachdem wir nach langwierigen Verhandlungen mit der Stadt uns<br />
endlich auf einen dauerhaften Platz einigen konnten, müssen wir jetzt,<br />
nach drei Monaten, diesen im Tiefen See 65 – auf Aufforderung der<br />
Stadt zum 30.4.1994 – räumen. Begründet wird diese Maßnahme von<br />
dem Liegenschaftsdezernenten Blöcker (i.A. Fröhner) damit, daß alle<br />
anliegenden Gewerbetreibenden Beschwerde gegen uns bei der Stadt<br />
eingereicht hätten.<br />
Da wir solche Behauptungen von der Stadt nicht ungeprüft hinnehmen,<br />
wir auch die Beschwerden als solche genauer hören wollten, um<br />
diese, soweit es geht, gemeinsam in Übereinkunft mit den Firmen aus<br />
dem Weg zu räumen, besuchten wir daraufhin alle anliegenden Firmen<br />
im Tiefen See und am Otto-Röhm-Ring. Bei den Gesprächen mit<br />
den Firmenleitungen stellt sich heraus, daß von den ca. 20 Anliegerfirmen<br />
lediglich zwei – und die massiv – sich gegen die Wagenburg<br />
Klabauta aussprachen. Die restlichen akzeptieren und tolerieren unseren<br />
jetzigen Standplatz.<br />
Trotz langen Auseinandersetzungen mit Herrn Wittmack („Digital-<br />
Analog“) und Herrn Haag („Contel“-Hotelbesitzer), in denen wir<br />
weitgehende Zugeständnisse zusicherten, ließen die beiden Herren<br />
nicht von ihren intoleranten und unsozialen Standpunkten ab, unsere<br />
Kompromißbereitschaft fiel auf unfruchtbaren Boden und wurde zerstampft.<br />
Sie, die beiden Herren, begannen damit, massiv Druck auf die Stadt<br />
auszuüben, so daß die Stadt uns jetzt den Platz am Tiefen See zum<br />
Ende der Woche aufgekündigt hat und wir verschwinden sollen.<br />
Das Paradoxe an dieser Situation ist, daß zwei von 20 Gewerbetreibenden<br />
mehr Rechte und eine gewichtigere Position zugebilligt wird,<br />
als den anderen 18 Gewerbetreibenden, die in der Lage sind, mit dem<br />
Wagenplatz zu leben und den 25 Menschen, die Im Tiefen See ein<br />
Zuhause gefunden haben. Aber was zählen in einer solchen Stadt wie<br />
Darmstadt schon Projekte, die alternativ zur Stadt selbst auf soziale<br />
Belange eingehen?<br />
Noch dazu windet sich die Stadt nun aus ihrer gewissen Verantwortlichkeit<br />
und Fürsorgepflicht, die sie in den vorangegangen Verhandlungen<br />
minimal angefangen hatte wahrzunehmen, billig heraus. Denn<br />
ein akzeptables Ersatzgelände zum Ausweichen hat die Stadt natürlich<br />
nicht parat. Mal wieder will sich die Stadt auf die billigste Art und<br />
Weise und auf dem Rücken der Betroffenen eines ihrer sozialpolitischen<br />
Probleme entledigen. Es geht nicht an, daß wir in den ca. fünf<br />
Jahren, die es die Wagenburg Klabauta schon gibt, an sieben verschiedenen<br />
Plätzen (herumgeschoben, geräumt, hingezwungen oder<br />
besetzt) leben mußten. Und diesmal sogar nur drei Monate.<br />
Es geht nicht an, daß wir ständig diesen Aufwand dieser Rumschiebereien<br />
tragen sollen, Aufwand, der viel Zeit und Geld kostet und Streß<br />
ist <strong>für</strong> uns, da auch wir reguläre Arbeitsstellen besuchen, studieren<br />
oder Ausbildung machen. Auch unseren Kindern hier kann eine solche<br />
„Kopf-in-den-Sand-stecken-Haltung“ der Stadt nicht lange zugemutet<br />
werden – wenn sich ständig Einzugsbereich von Kindergarten<br />
und Schule ändern, das soziale Umfeld wechselt und Freundschaften<br />
mit Nachbarskindern auseinandergerissen werden.<br />
Wir fordern einen festen Platz, auf dem wir, unsere Kinder, unsere<br />
Hunde, unsere Gänse und unsere Ziege leben können und auf dem<br />
langfristig Spielplatz, Beete, Klärteiche und andere Projekte verwirklicht<br />
werden können. Diese Rumschieberei muß ein Ende haben.<br />
Die BewohnerInnen der Wagenburg Klabauta<br />
Das legitime Recht<br />
der Türkei<br />
OFFENER BRIEF U.A. AN BUNDESAUSSENMINISTER KLAUS<br />
KINKEL (FDP). BETREFF: MITVERANTWORTUNG DER<br />
BUNDESREGIERUNG FÜR DIE MENSCHENRECHTSWIDRIGE<br />
VERFOLGUNG DER KURDEN DURCH WAFFENLIEFERUNGEN<br />
AN DIE TÜRKEI – UND EINE ANTWORT AUS DEM BUNDES-<br />
KANZLERAMT. DANACH SIEHT DIE BUNDESREGIERUNG KEI-<br />
NE EINDEUTIGEN BEWEISE FÜR EINEN VÖLKERMORD AN<br />
KURDEN MIT DEUTSCHEN WAFFEN<br />
Sehr geehrter Herr Minister Kinkel!<br />
Seit Jahren wird in aller Ausführlichkeit in in- und ausländischen<br />
Medien nicht nur über fortwährende schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen<br />
in der Türkei berichtet, die von der dortigen<br />
BRIEFE AN DIE REDAKTION I<br />
Regierung unter dem Vorwand des Kampfes gegen die PKK begangen<br />
werden. Es verstärkt sich der Eindruck, daß die Verfolgung der<br />
kurdischen Volksgruppe Ausmaß und Charakter eines Völkermordes<br />
anzunehmen beginnt.<br />
Die Türkei erhält als Mitgliedsstaat der NATO umfangreiche Waffenlieferungen<br />
aus Deutschland unter der Auflage, diese gemäß den<br />
NATO-Statuten, das heißt zur Verteidigung gegen Angriffe von<br />
außen zu verwenden – und verstößt permanent und massiv gegen diese<br />
Auflage. Der Bundesregierung liegt seit langer Zeit eine Fülle von<br />
Beweismaterial vor, das Sie immer nur „prüfen“, ohne zu einem<br />
Ergebnis zu kommen.<br />
Die Unruhen und Demonstrationen der letzten Wochen zeigen nicht<br />
nur, daß unter der kurdischen Volksgruppe radikale Elemente sind,<br />
die sich auf deutschem Boden gewalttätig verhalten, sie zeigt auch,<br />
daß die Kurden völlig verzweifelt sind und sich von der sogenannten<br />
internationalen Staatengemeinschaft alleingelassen fühlen: zu Recht.<br />
Währenddessen scheint die Bundesregierung mehr Aufmerksamkeit<br />
auf die Frage zu verwenden, wie man die Kurden abschieben, am<br />
besten das ganze Problem abschieben kann, oder wie man ein gutes<br />
Einvernehmen gegenüber einer gänzlich unnachgiebigen türkischen<br />
Regierung wahren kann, während tagtäglich in Türkisch-Kurdistan<br />
Menschen mit deutschen Gewehren erschossen, Dörfer von Panzern<br />
deutscher Herkunft niedergewalzt werden.<br />
Mutige Reporter, wie kürzlich wieder ein WDR-Team des Magazins<br />
„Monitor“, berichten unter hohem Risiko <strong>für</strong> das eigene Leben aus<br />
dem Südosten der Türkei über die widerwärtigen Einsätze türkischer<br />
„Sicherheitskräfte“ gegen kurdische Zivilisten. Ich weiß, daß Sie viel<br />
besser und genauer informiert sind als wir einfachen Bürger. Schließlich<br />
haben Sie Ihren Geheimdienst – und das macht Ihre Hinhaltetaktik<br />
umso unerträglicher.<br />
Man mag Außenpolitik, auch Bündnispolitik, auf diese oder auf jene<br />
Weise betrachten und betreiben, auch was die umstrittene Forderung<br />
nach einem unabhängigen Kurdistan betrifft. Auch ist es selbstverständlich,<br />
daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland sich<br />
nicht über Gebühr in die Angelegenheiten unserer Nachbarstaaten<br />
einmischt. Der Dialog mit der türkischen Regierung soll und muß<br />
aufrechterhalten werden. Jedoch gibt es gute Gründe, die diplomatische<br />
Zurückhaltung nicht so weit zu treiben, daß der Eindruck entsteht,<br />
die Bundesregierung unterstütze Folter und Mord bewußt und<br />
aktiv durch Waffenlieferungen in ein Krisengebiet. Das demonstrative<br />
Wegschauen angesichts permanenter Menschenrechtsverletzungen<br />
beschädigt nicht nur die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung<br />
und das Ansehen unseres Landes, sondern stellt das unverzichtbare<br />
Minimum eines gemeinsamen demokratischen und humanen<br />
Selbstverständnisses in unserem Land zur Disposition.<br />
Für einen Angehörigen einer Generation, die sich zumindest in Teilen<br />
nicht auf die Gnade einer späten Geburt beruft, sondern mit Bildern<br />
des nationalsozialistischen und des stalinistischen Terrors als<br />
Mahnung aufgewachsen ist, ist es schlicht unverständlich, daß unsere<br />
gewählten Repräsentanten, also auch Sie, Herr Minister, es fertigbringen,<br />
diplomatische und strategische Erfordernisse so sehr in den<br />
Vordergrund zu stellen, daß <strong>für</strong> bedrohte Menschen in Ihren Überlegungen<br />
gerade nur soviel Raum bleibt, wie es nötig ist, um den<br />
Schein zu wahren. Jedoch: dieser Schein ist löcherig geworden. Die<br />
türkische Regierung hat lange und oft genug gezeigt, was sie von<br />
internationalen Vereinbarungen hält, und ich möchte nicht unterstellen,<br />
daß es zwischen Ihnen, der Bundesregierung, und der türkischen<br />
Regierung Absprachen gibt, die zu Ihren Beteuerungen in der Öffentlichkeit,<br />
sich <strong>für</strong> die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber der<br />
kurdischen Minderheit einzusetzen, im Widerspruch stehen.<br />
Das deutsche Volk will und darf sich nicht weiterhin in dieser Weise<br />
mitschuldig machen. Jeder Tag, den Sie zögern, kostet weitere Menschenleben.<br />
Stoppen Sie die Waffenlieferungen in die Türkei – nicht<br />
nur vorübergehend und unter Vorbehalt, sondern endgültig. Machen<br />
Sie auch Ihren Einfluß auf die NATO in diesem Sinne geltend.<br />
Jetzt ist Ihr Gewissen gefragt, Herr Minister – handeln Sie!<br />
Peter Horn<br />
Keine eindeutigen Beweise<br />
Sehr geehrter Herr Horn,<br />
der Herr Bundeskanzler hat mich beauftragt, Ihnen <strong>für</strong> Ihr Schreiben<br />
vom 15. April 1994 zu danken und Ihnen zu antworten.<br />
Die Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern richtet<br />
sich in Deutschland nach den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung“<br />
vom 28. April 1982. Für die Genehmigungspraxis hinsichtlich<br />
des Exports von Kriegswaffen wird zwischen NATO- und<br />
NATO-gleichgestellten Staaten einerseits sowie sonstigen Drittländern<br />
andererseits unterschieden. Lieferungen in NATO-Staaten werden<br />
grundsätzlich genehmigt, es sei denn, daß ausnahmsweise besondere<br />
Umstände einer Genehmigung entgegenstehen.<br />
Bei Lieferungen von Kriegswaffen in Drittländer sind stets die Umstände<br />
des Einzelfalls <strong>für</strong> eine evtl. Genehmigung ausschlaggebend.<br />
Nach den Grundsätzen der Bundesregierung müssen in diesen Fällen<br />
„vitale Interessen“ Deutschlands festgestellt werden, damit eine Genehmigung<br />
erteilt werden kann. Eine Genehmigungserteilung scheidet<br />
grundsätzlich aus, wenn die innere Lage des Empfängerlandes den<br />
Export von Kriegswaffen oder sonstigen Rüstungsgütern nicht erlaubt<br />
(z.B. bei bürgerkriegsähnlichen Zuständen) oder wenn bestehende<br />
Spannungen zu Nachbarstaaten durch diese Lieferung erhöht würden.<br />
Die Menschenrechtslage in dem jeweiligen Empfängerland spielt bei<br />
Prüf- und Entscheidungsverfahren zu Kriegswaffenausfuhren stets eine<br />
wesentliche Rolle. Auch Kriegswaffenexporte in NATO-Partnerstaaten<br />
werden nicht genehmigt, wenn zu be<strong>für</strong>chten ist, daß die gelieferten<br />
Waffen Verwendung bei Menschenrechtsverletzungen finden könnten.<br />
Deutschland leistet der Türkei – wie auch Griechenland und Portugal<br />
– im Rahmen des NATO-Bündnisses seit 1964 auf Empfehlung<br />
des NATO-Rats Verteidigungshilfe. Mit dieser Hilfe soll die Verteidigungsfähigkeit<br />
der Empfängerländer gesichert werden, damit sie ihre<br />
im Rahmen des Bündnisses eingegangenen Verpflichtungen erfüllen<br />
können.<br />
Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 10<br />
Die Bundesregierung hat gegenüber der Türkei stets darauf hingewiesen,<br />
daß das im Rahmen der Verteidigungshilfe gelieferte Material<br />
nur in Übereinstimmung mit dem NATO-Vertrag eingesetzt werden<br />
darf. Die türkische Regierung hat sich wiederholt – auch schriftlich<br />
– zur Einhaltung dieser Bedingung verpflichtet.<br />
Der Bundesregierung liegen bisher keine eindeutigen Beweise vor,<br />
daß die Türkei seit der Wiederaufnahme der zwischenzeitlich<br />
gestoppten Lieferungen im Jahre 1992 gegen die o.a. Bestimmungen<br />
verstoßen hat. Unter Beachtung ihrer außenpolitischen Gesamtverantwortung<br />
kann die Bundesregierung den Vorwurf der Vertragsverletzung<br />
gegenüber der Türkei aber nur auf zweifelsfrei zu beweisenden<br />
Tatsachen gründen. Selbstverständlich geht die Bundesregierung<br />
aber jedem Hinweis auf mögliche Vertragsverletzungen nach. In diesem<br />
Zusammenhang hat sie kürzlich auch eine anstehende Lieferung<br />
von Rüstungsgütern an die Türkei zunächst verschoben, um erneut<br />
aufgetauchte Hinweise auf einen vertragswidrigen Einsatz von<br />
Rüstungsgütern, die im Rahmen der NATO-Verteidigungshilfe geliefert<br />
wurden, zu überprüfen. Sollten sich Beweise <strong>für</strong> einen Verstoß<br />
gegen die Bedingungen <strong>für</strong> die deutschen Lieferungen in diesem Rahmen<br />
ergeben, wird die Bundesregierung daraus die erforderlichen<br />
Konsequenzen ziehen.<br />
Im übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, daß der finanzielle Rahmen<br />
<strong>für</strong> die NATO-Verteidigungshilfe aufgrund der angespannten Haushaltslage<br />
sowie der geänderten sicherheitspolitischen Lage nach der<br />
Auflösung des Warschauer Paktes und dem Zusammenbruch der<br />
Sowjetunion erheblich gekürzt worden ist. 1995 wird die Verteidigungshilfe<br />
dann auslaufen.<br />
Ich möchte Ihnen außerdem versichern, daß die Bundesregierung die<br />
Menschenrechtslage und die Situation der Minderheiten in der Türkei<br />
aufmerksam beobachtet und bei ihren politischen Gesprächen mit<br />
Vertretern der türkischen Regierung immer wieder darauf hinweist,<br />
daß sie von der Türkei als Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft<br />
eine strikte Beachtung der Menschen- und Minderheitenrechte<br />
in allen Landesteilen erwartet. Dies hat der Herr Bundeskanzler<br />
auch bei seinem Besuch in der Türkei im Mai 1993 und bei seinen<br />
Gesprächen mit der türkischen Ministerpräsidentin Çiller in Bonn im<br />
September 1993 deutlich gemacht.<br />
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß die gewaltsamen Auseinandersetzungen<br />
zwischen der terroristischen PKK und den türkischen<br />
Sicherheitskräften im Südosten der Türkei insbesondere die<br />
dort lebende Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen. Die Bundesregierung<br />
ist immer <strong>für</strong> eine friedliche Lösung des Konfliktes eingetreten,<br />
ohne daß sie jedoch das legitime Recht der Türkei in Frage<br />
stellt, gegen terroristische Aktivitäten im eigenen Land mit allen<br />
rechtsstaatlichen Mitteln vorzugehen. Auch die territoriale Integrität<br />
des türkischen Staates steht aus Sicht der Bundesregierung nicht zur<br />
Disposition.<br />
Die Bundesregierung kann es allerdings nicht hinnehmen, daß die<br />
Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat<br />
auf ihrem Territorium mit gewaltsamen Mitteln und unter Mißachtung<br />
der deutschen Gesetze fortgesetzt werden. Sie wird deshalb mit<br />
allen rechtsstaatlichen Mitteln dagegen vorgehen.<br />
Ich kann Ihnen nochmals versichern, daß die Bundesregierung sich<br />
auch weiterhin <strong>für</strong> eine Verbesserung der Menschenrechtssituation<br />
und der Lage der Minderheiten in der Türkei einsetzen wird.<br />
Im Auftrag: Dr. Dengg<br />
Zornig und bitter!<br />
OFFENER BRIEF AN AUSSENMINISTER DR. KLAUS KINKEL<br />
ÜBER DIE ZYNISCHE, MENSCHENVERACHTENDE POLITIK DER<br />
BUNDESREGIERUNG IM KURDISTAN-KONFLIKT<br />
Vor einigen Wochen haben wir dem Auswärtigen Amt Fotos, Videos<br />
und Zeugenaussagen vorgelegt, die den Einsatz deutscher Rüstungsgüter<br />
in Kurdistan beweisen. Wir wollten damit die Mindestbedingungen<br />
des NATO-Vertrages einklagen, die einen Einsatz der Waffen in<br />
internen Konflikten untersagen. Wir erwarteten, die Bundesregierung<br />
würde ihren Teil an Verantwortung <strong>für</strong> den Völkermord an KurdInnen<br />
übernehmen und auf den NATO-Partner Türkei einwirken, um politische<br />
Lösungen des Konfliktes zu ermöglichen. Diese Erwartung hat<br />
sich als falsch erwiesen.<br />
Die Bundesregierung erkennt die übergebenen Beweismittel nicht an.<br />
In einem Telefonat fragte ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, „ob<br />
auf unseren Fotos geschossen würde.“ Wenn nicht, hätten sie kein<br />
Interesse daran. Was ist das <strong>für</strong> eine Politik, die von den Opfern und<br />
deren VertreterInnen Tatfotos verlangen, statt selbständig zu ermitteln<br />
und zu prüfen? Waren wir politisch naiv, eine solche Prüfung zu<br />
fordern? Seit Monaten erhalten Menschen, die bei Ihnen gegen die<br />
Rüstungslieferungen in die Türkei protestieren, nichtssagende Formbriefe<br />
oder überhaupt keine Antwort mehr. Menschen spielen keine<br />
Rolle <strong>für</strong> politische Entscheidungen, es geht um Bündnispolitik und<br />
Machterhalt. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses bezeich<strong>net</strong>e<br />
die Menschenrechtsdelegationen als voreingenommen. Tatsächlich,<br />
wir sind es: Wir halten an altmodischen Regelungen wie den<br />
Menschenrechten fest, die die Bundesregierung offensichtlich bereits<br />
hinter sich gelassen hat.<br />
Währenddessen wird in der Türkei davon gesprochen, daß das Kurdenproblem<br />
bald gelöst sei. Äußerungen von Regierung und Militär<br />
klingen uns noch im Ohr, die von „Ausrottung“ sprachen. Die Bundesregierung<br />
interessiert sich nicht <strong>für</strong> zerstörte Dörfer, ermordete<br />
ZivilistInnen und Unterdrückung der Opposition. Es gibt keine Moral,<br />
es gibt auch kein Erinnern an das Kapitel in unserer Geschichte, in<br />
dem schon einmal ein ganzes Volk ausgerottet und ein „Problem<br />
gelöst“ werden sollte. Herr Kinkel, wir klagen Sie an, mit deutschen<br />
Rüstungslieferungen Beihilfe zur ethnischen Vernichtung der Kurd-<br />
Innen zu leisten.<br />
Wir sind zornig und bitter, aber wir werden nicht aufhören, die zyni-<br />
☛ Fortsetzung auf folgender Seite
sche, menschenverachtende Politik der Bundesregierung im Kurdistan-Konflikt<br />
anzuprangern.<br />
Ute Schäfer, Kampagne „Produzieren <strong>für</strong> das Leben – Rüstungsexporte<br />
stoppen!“, Idstein, Uwe Strobach, BUKO-Kampagne „Stoppt<br />
den Rüstungsexport“, Bremen, Alexander Kauz, Rüstungsinformationsbüro<br />
Baden-Württemberg, Freiburg, Thomas Klein, Rüstungsarchiv<br />
des KOMZI e.V., Idstein, Paul Russmann, „Ohne Rüstung<br />
Leben“, Stuttgart, Martin Herndlhofer, „Pax Christi“, Bad Vilbel<br />
Städtische Sparpolitik:<br />
Planlos, uneffektiv<br />
und teuer<br />
MASSIVE KRITIK AN DER DERZEITIGEN PERSONAL-SPAR-<br />
POLITIK DER STADT DARMSTADT ÜBEN ÖTV-VER-<br />
TRAUENSLEUTE DER STÄDTISCHEN SOZIALVERWALTUNG<br />
Jede freiwerdende Stelle, egal ob durch Krankheit oder Schwangerschaft,<br />
Stellenwechsel oder Pensionierung, wird nicht wieder besetzt<br />
und wandert in einen Stellenpool. Die Vertreter der gewerkschaftlich<br />
organisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der städtischen Sozialverwaltung,<br />
in der fast 800 Beschäftigte tätig sind, halten diese<br />
Sparpolitik, bei der Stellenstreichungen nach der Rasenmähermethode<br />
erfolgen, nicht nur <strong>für</strong> wirkungslos, sondern auch <strong>für</strong> sehr teuer.<br />
Neben Einschränkungen sozialer Dienstleistungen, besonders <strong>für</strong><br />
arme und hilfsbedürftige Darmstädter Bürger und massiven Verschlechterungen<br />
der Arbeitsbedingungen städtischer Beschäftigter,<br />
führt diese Sparpolitik, die diesen Namen nicht verdient, zu hohen<br />
finanziellen Belastungen <strong>für</strong> den städtischen Haushalt.<br />
So z.B. wenn Sachbearbeiterstellen gestrichen werden, deren Aufgabe<br />
es wäre, Menschen von Sozialhilfe unabhängig zu machen und<br />
wieder in Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln, die aber auch <strong>für</strong><br />
die Durchsetzung finanzieller Ansprüche der Stadt z.B. gegenüber<br />
unterhaltspflichtigen Angehörigen und anderen Kostenträgern<br />
zuständig sind. Dies führt zwangsläufig gegenüber den eingesparten<br />
Personalkosten zu einem Vielfachen an zusätzlichen Kosten bei<br />
Sozialhilfeaufwendungen und durch Einnahmeausfälle. Enorme Aufwendungen<br />
entstehen auch bei unzureichender sozialer Betreuung<br />
und Beratung, z.B. bei Familien, Kindern und Jugendlichen durch die<br />
Nichtbesetzung von Sozialarbeiterstellen. So kostet z.B. jede dadurch<br />
zusätzlich nötig werdende Heimunterbringung monatlich zwischen<br />
7.000 und 10.000 Mark.<br />
Wenn gespart werden muß, so die ÖTV-Vertrauensleute, dann nicht<br />
nach dem Zufallsprinzip, sondern mit Überlegung und Konzept. Auch<br />
kann sinnvolle Sparpolitik nur unter Einbeziehung der Erfahrungen<br />
der Beschäftigten und Mitwirkung des Personalrates erfolgen. Angesichts<br />
des jüngsten städtischen Zuschusses in Höhe von 9 Millionen<br />
Mark alleine zum Erhalt der Eissporthalle, wird die städtische Sparwut<br />
den betroffenen Bürgern und Beschäftigten gegenüber allerdings<br />
nicht gerade glaubhafter.<br />
Die ÖTV-Mitglieder der Sozialverwaltung haben ihre große Besorgnis<br />
bei den Fehlentwicklungen der Sparpraxis in ausführlichen<br />
Gesprächen den Stadtverord<strong>net</strong>en der Fraktion der SPD und den Grünen<br />
zur Sprache gebracht und sind dabei auf überraschend viel Verständnis<br />
und breite Zustimmung gestoßen. Auch mit den Stadtverord<strong>net</strong>en<br />
der FDP- und CDU-Fraktionen sollen in den nächsten Wochen<br />
Gespräche stattfinden.<br />
Bestätigt in ihrer Kritik sehen sich die Gewerkschaftler aber auch von<br />
der kritischen Distanz, die Stadtkämmerer Blöcker inzwischen seinem<br />
eigenen Sparkurs gegenüber einnimmt. Auch Blöcker habe<br />
inzwischen erkannt, daß das, „was auf der einen Seite eingespart wird,<br />
andererseits z.B. durch drastisch steigende Sozialausgaben wieder mit<br />
vollen Händen ausgegeben wird“. Auch Blöcker fordert nun, ebenso<br />
wie die Gewerkschaftler der Sozialverwaltung, eine Umkehr bei der<br />
Sparpolitik, weg von ungerechten Zufallsentscheidungen, hin zu<br />
schlüssigen Sparkonzepten und Prioritätsentscheidungen.<br />
Dies muß, so die ÖTV-Vertrauensleute, in Zeiten schlechter Konjunktur<br />
und steigender Arbeitslosigkeit auch heißen, mit verstärkten<br />
sozialen und personellen Investitionen Arbeitslosigkeit und steigenden<br />
Sozialausgaben entgegenzusteuern. So zum Beispiel, indem Arbeitslose<br />
in Beschäftigungs- und Ausbildungsverhältnisse vermittelt<br />
werden, zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten im Rahmen der zur Verfügung<br />
stehenden Programme „Hilfen zur Arbeit“ geschaffen werden<br />
und Menschen intensiv zu beraten und zu betreuen, um sie nicht noch<br />
tiefer in persönliche und finanzielle Notlagen stürzen zu lassen.<br />
Albert Wallmann, ÖTV-Kreisverwaltung Darmstadt<br />
Noch ein Jahr<br />
nur mit dem Bus<br />
ZWISCHEN ASCHAFFENBURG, DARMSTADT UND WIES-<br />
BADEN SOLLEN 1995 SONNTAGS WIEDER ZÜGE FAHREN,<br />
TEILT DER FAHRGASTVERBAND „PRO BAHN“ MIT<br />
Noch ein Jahr müssen die Bahn-Fahrgäste<br />
zwischen Woog und Main an Sonntagen<br />
mit dem Bus vorliebnehmen. Dies hat der<br />
Fahrgastverband Pro Bahn von der Gründungsgesellschaft <strong>für</strong> den<br />
Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) erfahren. Ab 1995 sieht sich<br />
der RMV in der Lage, auf der Bahnstrecke Darmstadt-Dieburg-<br />
Babenhausen-Aschaffenburg endlich wieder sonntags Zügen fahren<br />
zu lassen. Die frühere Bundesbahn hatte den Sonntagsverkehr in den<br />
70er Jahren aufgegeben und stattdessen Busse eingesetzt, die <strong>für</strong> die<br />
44 km 90 Minuten benötigen.<br />
„Die Züge legen die Strecke in nur 42 Minuten zurück“, weiß Pro<br />
Bahn-Vorsitzender Dr. Gottlob Gienger. „Ohne Zweifel ist der Zug<br />
BRIEFE AN DIE REDAKTION II<br />
das attraktivere Verkehrsmittel.“ Zudem auch schneller als das Auto –<br />
besonders, wenn die vom RMV vorgesehene „Produktpalette“ ab Mai<br />
1995 zum Tragen kommt. Dann nämlich sollen nach den Planungen<br />
des Verbundes an allen Wochentagen zwei Züge pro Stunde fahren.<br />
Ein Eilzug, der zwischendurch in Dieburg und Babenhausen hält und<br />
Woog und Main in nur 30 Minuten verbindet, sowie wie bisher ein<br />
Nahverkehrszug. Voraussetzung ist allerdings, daß die anliegenden<br />
Gebietskörperschaften wie z. B. der Kreis Darmstadt-Dieburg und die<br />
Stadt Darmstadt ihren Obolus hierzu leisten.<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> die Umwandlung dieser Züge in „Markenartikel“<br />
ist der Einsatz modernisierter Waggons, die teilweise schon heute zu<br />
Gast sind. Der Eilzug heißt dann „RegionalExpress“, der Nahverkehrszug<br />
„RegionalBahn“. Wie in den 70er Jahren sollen dann die<br />
Züge durchgehend von Aschaffenburg über Darmstadt bis nach<br />
Mainz und Wiesbaden fahren. Von diesen Zügen hat die Strecke auch<br />
ihren Namen – „Main-Rhein-Bahn“. Diese Verbindung ist sogar zwischen<br />
Aschaffenburg und Mainz schneller als die InterCitys – und<br />
preiswerter, weil kein IC-Zuschlag fällig wird.<br />
Dr. Gottlob Gienger, Vorstandsvorsitzender Pro Bahn e. V.<br />
Tag des Baumes<br />
500 EIBEN PFLANZTE DIE „SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUT-<br />
SCHER WALD“ AUF DER LUDWIGSHÖHE<br />
Zum „Tag des Baumes“ hatte der Kreisverband Darmstadt-Dieburg<br />
der Schutzgemeinschaft Deutscher<br />
Wald seine Mitglieder, Bürger und Politiker aufgerufen,<br />
auf der Ludwigshöhe, einem beliebten Ausflugsort<br />
der Darmstädter, gemeinsam diesen Tag mit einer<br />
Pflanzung von 500 Eiben-Jungpflanzen, dem Baum<br />
des Jahres 1994, zu begehen. Die Pflanzen – taxus baccata – wurden<br />
vom Kreisverband finanziert.<br />
Der Vorsitzende Konrad Heinrich Leißler konnte über 40 Helfer, darunter<br />
u. a. Oberbürgermeister Peter Benz und Stadtverord<strong>net</strong>e verschiedener<br />
Fraktionen, zu dieser bürgerschaftlichen Aktion begrüßen.<br />
Nach Erläuterungen und Anweisungen vom zuständigen Revierförster<br />
Peter Fischer zur Pflanzung mit der im Forst gebräuchlichen Wiedehopf-Hacke<br />
waren alle mit großem Eifer dabei, die kleinen Büsche<br />
im dortigen Waldbereich in den Boden zu bringen. Bei frühlingshaft<br />
schönem Wetter mußte schnell gearbeitet werden, damit die Pflanzen<br />
nicht notlitten. Als kleinen Dank an die Helfer erklärte sich die „Bürgeraktion<br />
Ludwigshöhe“, deren Vorsitzender Ferdi Kindinger mit<br />
von der Partie war, bereit, den trocken gewordenen Kehlen durch<br />
Zuführung von entsprechendem Flüssigen wieder Stimme zu geben.<br />
Beeindruckend war die Aktion <strong>für</strong> ein Fernsehteam des Hessischen<br />
Rundfunks, das Dreharbeiten <strong>für</strong> eine Sendereihe über die Natur und<br />
die Probleme des Waldes im Forstamt Darmstadt durchführte.<br />
Horst Mederake, Schutzgemeinschaft Deutscher Wald<br />
Hilfsaktion <strong>für</strong><br />
das Flüchtlingslager<br />
Spensko<br />
INSGESAMT KAMEN SPENDEN IM WERT VON 28.000<br />
MARK ZUSAMMEN, AM 12. MAI STARTETE DER KONVOI<br />
RICHTUNG ZAGREB<br />
Im Plenum des Odenwälder Friedensforums fand jetzt im evangelischen<br />
Gemeindehaus in Michelstadt eine Bestandsaufnahme seiner<br />
bevorstehenden Hilfsaktion <strong>für</strong> das Flüchtlingslager Spensko in Zagreb<br />
statt. Man war über das erfreuliche Ergebnis überrascht, vor<br />
allem, wenn man zusätzlich bedenkt, daß im Odenwaldkreis auch<br />
andere Gruppen Hilfsaktivitäten <strong>für</strong> Flüchtlinge und vom Krieg<br />
betroffene Zivilisten organisieren. So wurden insgesamt 154 Lebensmittelpakete<br />
im Einzelwert von 80 Mark gespendet.<br />
Die finanziellen Beiträge, die zweckgebunden <strong>für</strong> diese Aktion geleistet<br />
wurden, belaufen sich bisher auf 6.200 Mark. Davon konnten zusätzliche<br />
Hilfsgüter wie Waschpulver, Unterwäsche und Strümpfe gekauft werden.<br />
Insgesamt wurden 130 Paar Schuhe gestiftet, die ausnahmslos in<br />
tadellosem Zustand oder oft sogar neu sind. Hinzu kommen ca. 50 kg<br />
Wolle, was in dem von über 60 Prozent Frauen bewohnten Flüchtlingslager<br />
nicht nur Ablenkung, sondern auch die Möglichkeit zum Herstellen<br />
von Kleidungsstücken bedeutet. Zahlreiche Geldspenden sind von kleineren<br />
und größeren Geschäften eingegangen, die allesamt nicht genannt<br />
werden wollen, ebenso wie ein breites Spielzeug- und Malutensilien-<br />
Sortiment von Odenwälder Bankfilialen. Grob geschätzt beläuft sich der<br />
Wert aller Spenden auf ca. 28.000 Mark.<br />
Ein kleiner Konvoi setzte sich am Himmelfahrtstag (12.) von Schönnen<br />
aus in Bewegung. Dabei kommt dem Friedensforum zugute, daß<br />
das DRK-Odenwaldkreis einen 7,5-Tonner und seine Mitarbeiter<br />
Marco Burghardt (Erbach) und Thomas Schroth (Weiten-Gesäß) zur<br />
Verfügung stellt. Diese großzügige Hilfe des Roten Kreuzes wurde<br />
im Plenum des Friedensforums mit dankbarem Beifall bedacht. Vom<br />
Friedensforum werden an der Mission teilnehmen: Adolf Berger<br />
(Schönnen), Christel Eifert (Brensbach), Boris Frentzel (Würzberg),<br />
Dieter Gerlach (Fränkisch-Crumbach), Thomas Reuter (Kirchbrombach)<br />
sowie Hanne und Klaus Vack (Sensbachtal). Da das Volumen<br />
der Spenden das Fassungsvermögen des DRK-Fahrzeugs überschreitet,<br />
wird in drei weiteren Fahrzeugen gefahren, zur Beförderung der<br />
restlichen Güter und der Teilnehmer an der Aktion. Begleitet wird der<br />
Konvoi von Edin Sarcevic, einem Diplomaten aus der Friedensbewegung<br />
von Sarajewo, der sich auf seine juristische Dissertation über<br />
das deutsche Grundgesetz vorbereitet.<br />
Beabsichtigt ist, in Zagreb frisches Gemüse und Obst einzukaufen, sowohl<br />
<strong>für</strong> das Lager Spensko als auch <strong>für</strong> das Lager Samobor. Desweiteren<br />
gehören u.a. zum Programm eine Diskussion mit Vertretern der Antikriegskampagne<br />
Zagreb und eine Visite der Frauenambulanz „<strong>für</strong> die<br />
Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 11<br />
Ärmsten der Armen“, die sich in der Moschee in Zagreb befindet.<br />
Selbstverständlich soll eine Stadtbesichtigung nicht ausgespart werden.<br />
Zagreb ist von direkten Kriegseinwirkungen verschont geblieben<br />
und verfügt über eine historische Altstadt und viele Sehenswürdigkeiten.<br />
Das Odenwälder Friedensforum dankt allen Spendern, die bis jetzt<br />
schon so großzügig geholfen haben, um das Leid einiger hundert<br />
Kriegsflüchtlinge zu lindern. Geldspenden <strong>für</strong> weitere Aktivitäten können<br />
eingezahlt werden auf das Konto des Friedensforums bei der Volksbank<br />
Odenwald, Kto. 191450, BLZ 50863513, Stichwort: Spensko.<br />
Hanne Vack<br />
Untätigkeit,<br />
Phantasielosigkeit und<br />
hohle Macht<br />
MENSCHENRECHTLICHE POLITIK IN DER BUNDESREPUBLIK –<br />
EINE ERKLÄRUNG DER MITGLIEDERVERSAMMLUNG DES<br />
„KOMITEES FÜR GRUNDRECHTE UND DEMOKRATIE“, BEI<br />
DER KLAUS VACK UND ANDREAS BURO NICHT WIEDER<br />
KANDIDIERT HABEN<br />
Weltweite Gefahren blockieren und verkehren die Menschenrechte.<br />
Die Konkurrenz um Wohlstand und Überleben in den einzelnen Ländern<br />
und zwischen denselben nimmt zu. Entsprechend wächst die<br />
Ungleichheit. Gewalt und Konflikte mit tödlichem Ausgang greifen<br />
trotz allem internationalen Gerede von den Menschenrechten um sich.<br />
Auf letztere beruft man sich nur dann, wenn sie den eigenen bornierten<br />
Interessen dienen. Inmitten aller Beschlüsse zur Handelsfreiheit,<br />
die angeblich allgemeinen Wohlstand weltweit fördern, dominieren<br />
inner- und zwischengesellschaftlich Rücksichtslosigkeiten aller Art.<br />
In dieser Situation gibt die Mitgliederversammlung des Komitees <strong>für</strong><br />
Grundrechte und Demokratie folgende grundsätzliche Erklärung zur<br />
eigenen Politik ab:<br />
1. Unsicherheiten sind überall gegenwärtig. Neuen nationalistischen<br />
und ethnozentristischen Fixierungen, Ausdruck radikaler Verunsicherung,<br />
stehen zumeist hilflose Versuche multi-ethnischer Organisierung<br />
gegenüber.<br />
Ausländer und Menschen, die anders denken und anders leben, werden<br />
erfahren, als stellten sie eine Bedrohung dar. Ihnen wird mit Vorurteilen,<br />
Diskriminierungen und tödlicher Gewalt begeg<strong>net</strong>. Darin<br />
äußert sich eine tiefgründige Verunsicherung hinsichtlich des eigenen<br />
Lebens. Dieselbe schließt die eigene Person und ihre kaum gebändigte<br />
Aggression ein. Letztere wird konsequent auf alle projiziert, die<br />
von der eigenen angstbesetzten Normalität abweichen.<br />
Arbeit, der Haltepfeiler von Existenz und Selbstbewußtsein in der<br />
gegenwärtigen Gesellschaft, bricht weg, wird prekär und systematisch<br />
ungleich verteilt. Der Neid um den Arbeitsplatz, den alle benötigen,<br />
wird national und international zum Motiv von Aggressionen. Friedliche<br />
Umgangsformen unter Menschen und zwischen Gesellschaften,<br />
gestern noch von vielen wenigstens als ihre prinzipielle Orientierung<br />
geteilt, werden in Frage gestellt. Gewalt – so hallt es allerorten. Gewalt<br />
gegen den Nächsten, der die eigene Existenz zu bedrohen scheint,<br />
Gewalt des Staates gegen Gruppen von Menschen, die zuvor keine<br />
zureichende Chance hatten, selbstbewußt leben zu können. Gewalt<br />
gegen oppositionelle Gruppen, die mit ihrem gewaltfreien Widerstand<br />
gegen staatliche Willkür protestieren. Gewalt als Mittel der Intervention<br />
von Staaten gegen Gewaltkonflikte inmitten einzelner Staaten oder<br />
zwischen Staaten, um angeblich dem Frieden eine Gasse zu öffnen.<br />
In dieser Situation geradezu radikaler Verunsicherungen tut gegenwärtig<br />
etablierte Politik in dieser neu-alten Bundesrepublik nahezu<br />
alles, um selbige zu verschlimmern. Untätigkeit, Phantasielosigkeit,<br />
Abbau von Bürgerrechten, brutal zukunftsloser Opportunismus und<br />
ein konzeptionsloses Spiel um die längst hohle Macht sind Trumpf.<br />
Darin besteht die eigentliche Korruption gegenwärtiger Politik. Im<br />
eitlen Spiel um nichtsnutze Positionen, in dem niemand mehr die Forderungen<br />
des Tages und der Zukunft ernst nimmt, wird Politik zum<br />
Akzeptanzmanagement, zum populistischen „Als Ob“. Kein Wunder,<br />
daß Rattenfängerformeln und Rattenfängersymbole zirkulieren. Sie<br />
greifen nicht zuletzt bei vielen allein gelassenen, jungen Menschen.<br />
2. Das Komitee <strong>für</strong> Grundrechte und Demokratie hält fest an einer<br />
unverkürzten menschenrechtlich-demokratischen Politik ohne modische<br />
Verbeugung vor dem „Zeitgeist“. Diese Politik allein verspricht<br />
hier und heute ein alle Menschen achtendes, sich selbst und andere<br />
ernst nehmendes Morgen. Eine solche Politik ist sich des engen<br />
Zusammenhangs von Zielen und Mitteln dauernd bewußt. Gleichheit<br />
wird nicht durch Ungleichheit, Freiheit nicht durch Unterdrückung,<br />
Frieden wird nicht durch Gewalt herbeigeführt.<br />
Wer sich nicht zuletzt um der eigenen Person willen einer solchen Politik<br />
verpflichtet und sich darum nicht mehr auf die vergebliche Suche<br />
nach falschen, Gewalt freisetzenden „Identitäten“ begibt, muß nüchterne<br />
Konsequenzen ziehen. Sie und er müssen die gegenwärtigen Probleme<br />
in ihrer bedrückenden Massivität unverkürzt wahrnehmen. Nicht<br />
Fluchtversuche in Pseudowahrheiten und Ersatzhandlungen sind angezeigt.<br />
Will man den weltweiten Problemen, die sich überall niederschlagen,<br />
gerecht werden, ist unser aller Phantasie gefordert. Vonnöten<br />
ist es, mutige neue Lösungswege zu beschreiten. An erster Stelle ist zu<br />
begreifen, daß die herkömmlichen Institutionen liberaler Demokratie<br />
und freien Kapitalismus gerade um ihrer ursprünglichen Versprechungen<br />
willen heute nicht mehr ausreichend funktionieren können. Von<br />
den früheren humanen Kosten der „Marktwirtschaft“ einmal zu<br />
schweigen. Im Gegenteil. Soll in global gewordenen Zusammenhängen<br />
nicht der sozialdarwinistische, andere ab- und ausgrenzende Kampf das<br />
Motto der Zukunft sein, muß liberale Demokratie durch neue Beteiligungsformen<br />
und Dezentralisierung belebt werden.<br />
☛ Fortsetzung auf folgender Seite<br />
DESIGNERTEPPICHE<br />
DARMSTADT<br />
ROSSDÖRFER PLATZ
Ebenso muß die private und machtvoll organisierte Ökonomie öffentlich,<br />
das heißt bürger- und umweltverantwortlich koordiniert werden.<br />
Nur wenn neue Einrichtungen der Balance von unten geschaffen werden,<br />
die die Bürgerinnen und Bürger endlich ernst nehmen, nur dann<br />
besteht Hoffnung, daß eine offene Welt auch <strong>für</strong> die Menschen und<br />
nicht nur <strong>für</strong> Kapitalgüter, Dienstleistungen, <strong>für</strong> Menschen- und<br />
Umweltzerstörung offen werden. Klar und eindeutig ist, daß nur eine<br />
Politik zu friedlichen Zukünften führt, die endlich strikt auf das Mittel<br />
kriegerischer Gewalt zugunsten ziviler Konfliktbearbeitung verzichtet.<br />
Solange Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln<br />
ist, werden die schweren Probleme zwischen den Gesellschaften weiter<br />
hin- und hergeschoben, bis der Stärkere im Krieg die Lösung sucht<br />
oder der Schwächere vor Aggressionen platzt.<br />
Politik ist – und wir alle sind – mehr gefordert denn je. Die menschenrechtlichdemokratische<br />
Orientierung und der menschenrechtlichdemokratische<br />
Weg zum Ziel sind durch menschheitsgeschichtliche<br />
Erfahrungen noch und noch bestätigt. Sie sind ohne Alternative.<br />
Ansonsten jedoch müssen wir uns phantasievoll dehnen und strecken,<br />
herkömmliche Institutionen und Prozeduren um- und umdrehen,<br />
damit nicht bald, allem Gerede zum Trotz, von der Antiquiertheit der<br />
Menschenrechte und ihres Trägers, des Menschen, die Rede sein muß.<br />
3. Mit dieser Stellungnahme, im Wechsel der Zeiten unbeirrt, unterstreicht<br />
das Komitee <strong>für</strong> Grundrechte und Demokratie seine eigene<br />
Kontinuität. Dieselbe wird problem- und wandlungsoffen bewahrt,<br />
obwohl zwei der wichtigsten Vertreter des Komitees, die das Komitee<br />
wie niemand anders verkörpern, in die zweite Reihe zurücktreten:<br />
Andreas Buro und Klaus Vack. Im Leben von Institutionen und Menschen<br />
gibt es Einschnitte, die institutionell und persönlich unvermeidlich<br />
sind. Institutionen und Personen zeichnen sich dadurch aus, wie<br />
sie solche Einschnitte bewältigen. Klaus Vack und Andreas Buro werden<br />
dem Komitee in der „zweiten Reihe“ erhalten bleiben. Und das<br />
Komitee wird von ihrem Rat, der bei beiden die Tat immer mit einschloß,<br />
noch und noch lernen und Gewinn haben. Selbst wenn diese<br />
beiden langjährigen Repräsentanten ein wenig innehalten und nominell<br />
nicht dauernd in Erscheinung treten.<br />
Diese Erklärung wurde von der Komitee-Mitgliederversammlung diskutiert<br />
und einmütig beschlossen.<br />
Im Auftrag der Mitgliederversammlung: Roland Roth, Wolf-Dieter<br />
Narr, geschäftsführender Vorstand des Komitees <strong>für</strong> Grundrechte<br />
und Demokratie<br />
Musik aus dem Schtetl<br />
IM JUNI FINDET IN DER BESSUNGER KNABENSCHULE EIN<br />
KLEZMER-SEMINAR STATT<br />
Klezmer-Musik, das ist die über Jahrhunderte<br />
tradierte, typische Musik aus<br />
dem „Schtetl“ des zerstörten Ostjudentums.<br />
Popularisiert und damit dem Vergessen<br />
entrissen hat die Klezmer-Tradition<br />
der Klari<strong>net</strong>tenvirtuose Giora<br />
Feidman. Zusammen mit ausgewiesenen<br />
Künstlern und Dozenten und unter<br />
der Leitung von Irith Gabriely wird<br />
jetzt ein Klezmer-Seminar in Darmstadt angeboten.<br />
Irith Gabriely, Feidman-Schülerin in Tel Aviv zwischen 1968 und<br />
1972, macht seit 1986 mit ihrem Klezmer-Quartett „COLALAILA“<br />
Furore und gilt unumstritten als Koryphäe des Klezmer-Revivals.<br />
Vom 9. bis zum 12. Juni wird nun im Kulturzentrum Bessunger Knabenschule<br />
dem Phänomen Klezmer ethnisch-historisch, musiktheoretisch<br />
und -praktisch nachgespürt. Ein Seminar, das in Ausrichtung<br />
und Konzeption seinesgleichen sucht.<br />
Ergänzt wird das Seminar-Programm durch öffentliche Konzerte, u.a.<br />
durch die Aufführung des „Dibuk“ (nach dem jüdischen Mysterienspiel<br />
von An-Ski) mit einem extra hier<strong>für</strong> zusammengestellten, kammermusikalischen<br />
Septett. Interessenten <strong>für</strong> das Seminar können sich<br />
anmelden unter der Telefonnummer 52382.<br />
Paul-Hermann Gruner<br />
Medizinische Hilfe <strong>für</strong><br />
Gorazde<br />
EIN LKW-KONVOI DES „KOMITEES FÜR GRUNDRECHTE UND<br />
DEMOKRATIE“ HAT MEDIKAMENTE IM WERT VON ZWEI MIL-<br />
LIONEN MARK IN DIE BOSNISCHE STADT GELIEFERT<br />
Klaus Vack, verantwortlich <strong>für</strong> die humanitäre Hilfe des „Komitees<br />
<strong>für</strong> Grundrechte und Demokratie“ gibt bekannt, daß ein Konvoi von<br />
drei Lastern von Split (Kroatien) über Sarajewo die monatelang belagerte<br />
bosnische Stadt Gorazde erreicht hat. Es sind dringend benötigte<br />
Medikamente im Wert von etwa zwei Millionen Mark geliefert worden,<br />
die bereits vor einigen Wochen dem Krankenhaus Gorazde ausgegangen<br />
waren.<br />
Das Komitee stellte <strong>für</strong> die Aktion seinen in Zagreb stationierten Lkw<br />
zur Verfügung. Je ein weiterer Lkw gehören einer Friedensgruppe aus<br />
Frankreich und aus Großbritannien. Die Fahrer seien deutsche, vom<br />
Komitee „angeheuerte“ Kriegsdienstverweigerer, die solche schwierigen<br />
Fahrten gegen ein geringes Salär übernommen haben und jüngst<br />
innerhalb von 14 Tagen drei Fahrten von Zagreb in die bosnische<br />
Stadt Tuzla und zurück gemacht haben. Die Medikamente waren von<br />
dem muslimischen Roten Halbmond Merhamed und von etwa 30 kleineren<br />
Hilfsorganisationen aus neun westeuropäischen Ländern gespendet<br />
worden. Das Komitee hatte <strong>für</strong> etwa 140.000 Mark bei einem<br />
renommierten Pharmagrossisten eingekauft, und zwar vor allem Narkosemittel,<br />
Antibiotika und Blutersatzstoffe. Diese sind sofort nach<br />
Split geflogen worden. Unterstützt wurde diese Schnellaktion von der<br />
Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die sowohl eine Niederlassung in<br />
Split hat, als auch ein Team zur Beratung der Ärzte in Gorazde stellt,<br />
BRIEFE AN DIE REDAKTION III Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 12<br />
das während der ganzen Zeit in der belagerten Stadt weilte.<br />
Wie Klaus Vack am 3. Mai telefonisch mitgeteilt wurde, sind die drei<br />
Lkw und ihre Fahrer wieder wohlbehalten in Split angekommen und<br />
würden im Anschluß nach Zagreb fahren, um Lebensmitteln <strong>für</strong> einen<br />
Hilfstransport nach Tuzla neu zu laden. Der Eindruck der Fahrer: „Die<br />
Situation in Tuzla ist weitaus schlimmer als in Gorazde, weil in und<br />
um Tuzla, neben den etwa 80.000 Einwohnern, über 500.000 Flüchtlinge<br />
leben, die im Frühjahr vergangenen Jahres dorthin geflohen sind<br />
und täglich sterben Menschen an Unterernährung.“ Klaus Vack beabsichtigt,<br />
Mitte Mai <strong>für</strong> einige Tage nach Tuzla zu fahren.<br />
Das Komitee <strong>für</strong> Grundrechte und Demokratie ruft erneut zu Spenden<br />
auf: Medizinische Hilfe <strong>für</strong> Bosnien, Volksbank Odenwald eG, 64743<br />
Beerfelden, Kontonummer 8024618, BLZ 50863513.<br />
Klaus Vack, Komitee <strong>für</strong> Grundrechte und Demokratie<br />
1994, das Jahr<br />
der Familie – aber wo?<br />
EINE „ELTERN-KIND-GRUPPE“ DER FAMILIEN-BILDUNGS-<br />
STÄTTE HAT RAUMPROBLEME<br />
Eine Zielsetzung in der Bundesrepublik zu diesem Beschluß der Uno<br />
ist u.a. „…eine stärkere Sensibilisierung <strong>für</strong> die Belange von Familien<br />
in den alten und neuen Bundesländern…“. So habe ich es im Jahresprogramm<br />
1993/94 der Familien-Bildungsstätte der Stadt Darmstadt<br />
nachgelesen. Die Umsetzung solch hehrer Ziele in die Tat ist nicht so<br />
einfach, und mit der Sensibilisierung der Institution ist es m.E. nicht<br />
allzuweit her. Auch die Annahme, daß der Bürger vom Sparkurs der<br />
Stadt noch wenig spürt (nachzulesen im „Darmstädter Echo“ vom<br />
26.4.1994), halte ich <strong>für</strong> bloße Theorie.<br />
Als Mutter eines zweijährigen Kindes bin ich seit November 1993 teil<br />
einer „Eltern-Kind-Gruppe“ in der Außenstelle Oettinger Villa der<br />
Familien-Bildungsstätte. Die Kinder lernen hier Spielideen und Gruppenverhalten<br />
kennen und entwickeln mit der Zeit eine eigenständige<br />
stabile Persönlichkeit. Eine gewisse Kontinuität bezüglich der Gruppenzusammensetzung<br />
und Treffpunkt ist da<strong>für</strong> natürlich Voraussetzung.<br />
Nun wurde unserer Gruppe bereits seit Dezember 1993<br />
angekündigt, daß wir, bzw. die Familien-Bildungsstätte, den Raum in<br />
der Oettinger Villa räumen müssen. Mehrmals wurde umdisponiert,<br />
einige Alternativen wurden vorgestellt und verworfen, von Woche zu<br />
Woche mußte der nächste Treffpunkt erfragt werden.<br />
Das erste Treffen nach der Osterpause fand – entgegen den vorigen<br />
Aussagen – dann doch wieder in der Oettinger Villa statt. Uns erwartete<br />
ein Raum, in dem alle Möbel zusammengeschoben, der Teppichboden<br />
eingerollt und sämtliche Spielsachen in große Kisten verpackt<br />
waren. An eine sinnvolle Durchführung unseres Treffens, das ja<br />
bereits bezahlt ist, war nicht zu denken. Die Familien-Bildungsstätte<br />
hat keinen Platz <strong>für</strong> das Jahr der Familie? Massiver Protest bei den<br />
wirklich zuständigen Stellen der Stadt Darmstadt (es war gar nicht so<br />
ein einfach, die zu finden!) ergab, daß wir vielleicht bis zur Sommerpause<br />
in der Oettinger Villa bleiben dürfen. Eine Fortsetzung des Kurses<br />
nach den Ferien ist in Frage gestellt. Für mich sind es die vielversprechenden<br />
und sicherlich gut gemeinten Aussagen der <strong>für</strong> das städtische<br />
Sozialwesen Verantwortlichen auch. Und mein Vorschlag zur<br />
Lösung des Problems: Kann denn allem städtepolitischen Zuständigkeitsgerangel<br />
zum Trotz das in der riesigen Oettinger Villa neu einzurichtende<br />
Jugendzentrum nicht einen einzigen Raum erübrigen, in<br />
dem sich vormittags! heute die Jugend von morgen trifft?<br />
Angelika Treibmann<br />
Image einer altbackenen<br />
Provinzstadt<br />
IN EINER STELLUNGNAHME FORDERT DER<br />
ASTA DER TH DARMSTADT VOM OBER-<br />
BÜRGERMEISTER PETER BENZ (SPD),<br />
WELTOFFENHEIT UND LIBERALITÄT ZU<br />
ZEIGEN, UND DAS „CANNABIS-<br />
WEEKEND“ ZU GENEHMIGEN<br />
Der Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt hat das Cannabis-Weekend<br />
der AG Hanf verbieten lassen. Auch die Protestkundgebung<br />
gegen dieses Verbot wurde verboten. Soweit die Begründungen dieser<br />
Verbote über bloße Vermutungen hinausgehen, verhöhnen sie alle<br />
Versuche, eine den Problemen angemessene und <strong>für</strong> alle Betroffenen<br />
– KonsumentInnen, Polizei und BürgerInnen – vorteilhaften Umgang<br />
mit Drogen und Sucht zu etablieren. Die Dogmen konservativster<br />
Drogenpolitik ersticken jede ernsthafte Diskussion im Keim. Völlig<br />
übersehen wird von den politisch Verantwortlichen, daß es der AG<br />
Hanf um die gesamten Möglichkeiten der Nutzpflanze Hanf geht,<br />
zum Beispiel ihre Verwendung zu umweltverträglichen Papierherstellung<br />
oder als ökologischer Dämmstoff.<br />
Oberbürgermeister Peter Benz jedoch will nur die Droge sehen und<br />
verschanzt sich hinter Paragraphen, anstatt die politischen Akzente zu<br />
setzen, die im Programm seiner Partei und sogar in deren Regierungsprogramm<br />
formuliert sind. Die Leitung der TH Darmstadt schließt<br />
sich dieser Einstellung leider an und will keine Räume <strong>für</strong> die Ausstellungen<br />
und Diskussionsveranstaltungen zur Verfügung stellen.<br />
Auch wenn man sich nur auf den Drogenaspekt beschränkt, gibt es<br />
gute Gründe, den Argumenten der AG Hanf ein Forum zu bieten. Drogen-<br />
und Suchtprobleme sind Symptome <strong>für</strong> soziale Defizite und Entfremdung<br />
im Zusammenleben der Menschen. Deshalb lassen sie sich<br />
nicht durch Verbote lösen. Stattdessen schaffen Verbote erst einen<br />
Teil der mit Drogenkonsum verbundenen Probleme. Wie die Alkoholprohibition<br />
der 20er Jahre in den USA zeigte, hat jegliches Verbot von<br />
Drogen einen Schwarzmarkt zur Folge, der die finanzielle Basis <strong>für</strong><br />
das organisierte Verbrechen schafft. Großdealer profitieren im Han-<br />
del mit illegalen Drogen von phantastischen Gewinnspannen. Bei harten<br />
Drogen ist die Folge eine Beschaffungskriminalität, die mittlerweile<br />
über 30% aller Eigentumsdelikte ausmacht und den Süchtigen<br />
den Rückweg in die Gesellschaft erschwert. Diese Delikte binden<br />
einen Großteil der Kräfte, die bei der Bekämpfung des organisierten<br />
Verbrechens fehlen.<br />
Die immer wieder aufgestellte Behauptung von der „Einstiegsdroge<br />
Haschisch“ ist nicht durch die Eigenschaften des Stoffes gerechtfertigt.<br />
Wenn überhaupt Haschisch den Weg zu härteren Drogen eröff<strong>net</strong>,<br />
dann durch die Illegalität des Erwerbs, die die nötigen Kontakte<br />
mit sich bringt.<br />
Die Einstiegslegende verbreitet auch die CDU in einer Erklärung, die<br />
wir leider nur auszugsweise aus der Presse entnehmen konnten. Dort<br />
wird die Studierendenschaft der TH Darmstadt auch aufgefordert, die<br />
AG Hanf nicht weiter zu unterstützen. Stattdessen stünde es dem AStA<br />
besser an, sich <strong>für</strong> Gesundheitsaufklärung und Suchtvorbeugung zu<br />
engagieren und sowohl öffentlich als auch innerhalb der Studierendenschaft<br />
<strong>für</strong> eine gesundheitsbewußte Lebensweise zu werben.<br />
Indem wir die AG Hanf in ihrer Initiative unterstützen, wollen wir<br />
tatsächlich einen Beitrag zur Suchtaufklärung leisten. Wir können uns<br />
aber schlecht eine Gesundheitsaufklärung vorstellen, die sich in<br />
gebetsmühlenhafter Wiederholung von „Weisheiten“ erschöpft.<br />
Unser Anspruch ist, durch eine realitätsnahe Diskussion über Drogen<br />
und Sucht den bewußten und vernünftigen Umgang mit Drogen zu<br />
fördern. Wir meinen, auf diese Weise den besseren Beitrag zur Suchtvermeidung<br />
zu leisten.<br />
Die gegenwärtige Drogenpolitik muß grundsätzlich in Frage gestellt<br />
werden. Als erster Schritt zu einer Drogenpolitik <strong>für</strong> mündige Menschen<br />
ist eine aufgeklärte öffentliche Diskussion dringend notwendig.<br />
Deshalb fordern wir:<br />
– vom Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt: pflegen Sie nicht das<br />
Image einer altbackenen Provinzstadt, sondern zeigen Sie, daß die<br />
Weltoffenheit und Liberalität Darmstadts nicht auf die Prospekte<br />
ihres Informationsamtes beschränkt ist. Genehmigen Sie die Veranstaltungen<br />
des Cannabis-Weekends!<br />
– von den Verantwortlichen der TH Darmstadt: Ermöglichen Sie die<br />
Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen der AG Hanf!<br />
Markus Thelle und Uli Franke, <strong>für</strong> den AStA der TH Darmstadt<br />
Der Künstler legt sich<br />
nicht fest<br />
MISCHTECHNIKEN UND SKULPTUREN VON ROMAN<br />
PIETRZAK PRÄSENTIERT KARIN FEUCHTINGER IN DER<br />
GALERIE TRIGON, SOPHIENSTR. 12 IN EBERSTADT<br />
Der Künstler kam aus Brüssel angereist, wo im Sommer sein Stipendium<br />
an der Kunsthochschule zu Ende geht. Der bisher „jüngste<br />
Künstler“, 1963 in Nowy Targ (Polen) geboren, legte 1990 sein Examen<br />
an der Kunstakademie Warschau ab, wo er seither Assistent ist.<br />
Roman Pietrzak macht es seinen Besuchern nicht leicht. „Er legt sich<br />
nämlich nicht fest“, erklärte Karin Feuchtinger schon bei der Begrüßung<br />
der Vernissagegäste. Deshalb finden die Trigon-Besucher<br />
denn auch keine andere Hilfestellung als die Bemerkung „Ohne<br />
Titel“. Pietrzaks Bilder sind erstaunlich preiswert. Sie bewegen sich<br />
in dreistelligen, seine Skulpturen in vierstelligen Bereichen.<br />
In der Tat lösen die Bilder des polnischen Künstlers Neugierde aus.<br />
Welche Rolle spielen die erotischen Symbole? Wen stellt die Skulptur<br />
dar, die mit verkrüppelten Füßen auf einem Flitzbogen schaukelt?<br />
Roman Pietrzak gibt seine letzten Geheimnisse nicht preis. Nur: „Ich<br />
habe diese Arbeiten nicht so begonnen, wie es akademischer Gewohnheit<br />
entspricht. Also nicht erst über eine Idee nachgedacht und sie<br />
dann weiterentwickelt. Meine Gedanken waren in den vergangenen<br />
Monaten fast immer bei meiner Frau und meinen beiden Kindern.“ Die<br />
Bilder und Skulpturen dieser Ausstellung sind völlig spontan entstanden,<br />
versichert der Künstler. Eine „Botschaft“ – gewöhnlich unabdingbare<br />
Vokabel im Umgang mit Malern – habe er nicht. „Meine Gedanken<br />
haben sich aneinandergereiht von den Papierschiffchen <strong>für</strong> Kinder<br />
bis zu der Amazone da hinten. Wissen Sie, was das ist, une amazone?“<br />
Die Ausstellung dauert bis 12. Juni. Sie ist mittwochs von 16-20 Uhr<br />
und nach telefonischer Vereinbarung ( 53 72 39) geöff<strong>net</strong>.<br />
km<br />
Jetzt sind die Banken<br />
dran<br />
ERSTE ERFOLGE, SO DIE HANDWERKSKAMMER RHEIN-<br />
MAIN, ZEIGT DIE FORDERUNG NACH BEGLEICHUNG ALLER<br />
HANDWERKERRECHNUNGEN IM FALL SCHNEIDER<br />
Die Zusage des Vorstandes der Deutschen Bank AG, offene Handwerkerrechnungen<br />
im Zusammenhang mit dem Schneider-Konkurs<br />
zu begleichen, ist nicht zuletzt auf das massive Eintreten der Handwerkskammer<br />
Rhein-Main <strong>für</strong> die betroffenen Betriebe zurückzuführen.<br />
Dies erklärte Handwerkskammerpräsident Horst Abt zu den<br />
Erklärungen, wonach die Deutsche Bank AG, Frankfurt, Forderungen<br />
der Handwerker an von ihr finanzierten Schneiderobjekten begleichen<br />
will. Die Kammer fordert die anderen beteiligten Banken auf, genauso<br />
zu handeln.<br />
Worauf es jetzt ankommt ist schnelles Handeln, auch im Sinne der<br />
Fortführung der begonnenen Bauobjekte und dem finanziellen Ausgleich<br />
von Restforderungen. Für eine Koordination bietet die Handwerkskammer<br />
Rhein-Main <strong>für</strong> die von ihr betreuten Betriebe ihre<br />
Zusammenarbeit an.<br />
Handwerkskammer Rhein-Main
Abstriche bei PCB-<br />
Sanierung …<br />
Eine Verschleppung der PCB-<br />
Sanierung an der Käthe-Kollwitz-Schule und<br />
der Christian-Morgenstern-Schule aus<br />
finanziellen Gründen vermutet die CDU-Fraktionsvorsitzende<br />
Karin Wolff hinter einem<br />
Magistratsbeschluß vom 27.4.1994. Auf<br />
einer Magistratssitzung Ende April hätten<br />
dem Magistrat endlich die beiden Sanierungsvorlagen<br />
von Stadtrat Dr. Wolfgang<br />
Rösch <strong>für</strong> die betreffenden Schulen vorgelegen.<br />
Gegen die Stimmen von CDU und FDP<br />
habe der Magistrat – wie von Oberbürgermeister<br />
Peter Benz beantragt – beschlossen,<br />
daß eine Controlling-Stelle erst prüfen soll,<br />
welche Sanierungsteile eingespart werden<br />
könnten.<br />
Die CDU-Fraktionsvorsitzende Wolff erinnert<br />
daran, daß es Oberbürgermeister Peter Benz<br />
als damaliger Schuldezernent war, der im<br />
September 1992 die beiden PCB-verseuchten<br />
Schulen hat schließen lassen. Der jetzige<br />
Magistratsbeschluß bedeute eine weitere<br />
Verzögerung der PCB-Sanierung. Außerdem<br />
lägen dem Beschluß nicht mehr fachliche<br />
Geschichtspunkte zugrunde, sondern rein<br />
fiskalische. Die CDU-Politikerin wirft der<br />
Darmstädter SPD „Heuchelei“ während des<br />
Wahlkampfs vor und bescheinigt den Grünen<br />
eine Kehrtwendung um 180 Grad. Die<br />
CDU habe <strong>für</strong> die nächste Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
am 10. Mai einen Antrag vorgelegt,<br />
in dem gefordert wird, im Rahmen<br />
der vorhandenen Mittel des Haushalts 1994<br />
zum technisch frühestmöglichen Zeitpunkt<br />
mit der PCB-Sanierung der Käthe-Kollwitz-<br />
Schule und der Christian-Morgenstern-<br />
Schule zu beginnen. „Benz und seine rotgrüne<br />
Koalition können nicht erst die Schulen<br />
schließen, dann Landesdarlehen beantragen<br />
(je 500.000 Mark wurden gewährt,<br />
sind im Haushalt festgeschrieben) und<br />
schließlich die Sanierung völlig infrage stellen“,<br />
stellte Karin Wolff fest.<br />
… und eine Kehrtwende<br />
um 180<br />
Grad?<br />
Zur politischen Arbeit der<br />
Darmstädter Grünen gehört es, mit den Bürgerinnen<br />
und Bürgern zu reden, um Entscheidungen<br />
transparent zu machen oder<br />
Anregungen und Hinweise zu erhalten. Bei<br />
einem Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern<br />
von PCB-Begleitgruppen an Darmstädter<br />
Schulen konnten die Grünen ihre<br />
Haltung in der Frage der PCB-Sanierung<br />
deutlich machen.<br />
Günter Mayer, der Fraktionsvorsitzende der<br />
Grünen, stellt fest, daß in den letzten Jahren<br />
die Information der Öffentlichkeit über die<br />
PCB-Sanierung nicht gut war: „Da ist<br />
Mißtrauen gegen die Verwaltung und die<br />
Parteien entstanden.“ Er fordert deshalb<br />
eine Umkehr. Das Verfahren muß offen sein,<br />
alle Daten müssen auf den Tisch, es darf keine<br />
Tricks und Geheimniskrämereien geben.<br />
PCB-belastete Schulen sanieren zu müssen,<br />
ist <strong>für</strong> die Darmstädter Verwaltung eine neue<br />
Erfahrung. Deshalb müßte die Verwaltung<br />
das Interesse haben, Eltern, LehrerInnen,<br />
ExpertInnen miteinzubeziehen. „In dieser<br />
Frage ist ein breiter Konsens nicht unwichtig“,<br />
so Günter Mayer.<br />
Klaus Feuchtinger, der Vorsitzende des<br />
Umweltausschusses, sagte, daß die Grünen<br />
nach wie vor die Position vertreten würden,<br />
<strong>für</strong> die sie sich auch in der Opposition eingesetzt<br />
hätten. Die betroffenen Schulen müßten<br />
ordentlich saniert werden, um Gesundheitsgefährdungen<br />
<strong>für</strong> SchülerInnen und<br />
LehrerInnen auszuschließen.<br />
Nach Ansicht der Grünen muß deshalb mit<br />
der Sanierung der Käthe-Kollwitz und der<br />
Christian-Morgenstern-Schule noch in diesem<br />
Jahr begonnen werden. Die Schulen<br />
sind seit September 1992 geschlossen. Die<br />
Kollwitz-Schule soll bei Sanierung vorgezogen<br />
werden. Die Bedingungen, unter denen<br />
ihre SchülerInnen seit der Schließung unterrichtet<br />
werden, sind nicht mehr tragbar, da<br />
der Unterricht in Containern stattfindet. Aus<br />
pädagogischer Sicht kann das weder den<br />
SchülerInnen, noch den LehrerInnen länger<br />
zugemutet werden. Zumal die LehrerInnen<br />
ohne jegliches Unterrichtsmaterial auskommen<br />
müssen. Landkarten, Bücher, Schautafeln<br />
etc. sind unter Verschluß, weil man<br />
davon ausgehen kann, daß sie ebenfalls<br />
PCB-belastet sind. „Ein ordentlicher Unterricht<br />
kann unter diesen Umständen nicht<br />
stattfinden“, so Klaus Feuchtinger weiter.<br />
Die Grünen stellen deshalb in der nächsten<br />
Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung den Antrag,<br />
daß die fehlenden Unterrichtsmaterialien<br />
neu angeschafft werden. Das ist eine Sofortmaßnahme,<br />
die die bestehende Situation<br />
etwas verbessern soll. Für die Neuanschaffung<br />
sind Mittel in Höhe von 70.000 Mark<br />
nötig.<br />
Bauchgrimmen beim<br />
Eishallen-Deal …<br />
Nur mit Bauchgrimmen können<br />
die Grünen nach Ansicht von Ulrich<br />
Pakleppa dem Millionen-Deal zwischen<br />
Stadt und der TSG 1846 zustimmen. Langfristig<br />
ist die Übernahme der 9,5 Millionen<br />
Schulden des Sportvereins <strong>für</strong> die Stadt aber<br />
am günstigsten. „Unter dem Strich ist es<br />
richtig, daß sich die Stadt hier engagiert und<br />
sich um den Betrieb der Halle kümmert, um<br />
das jährliche Defizit zu verringern“, meint<br />
Ulrich Pakleppa. Er kritisiert, daß der Vertrag<br />
zwischen TSG und der Stadt, in dem die<br />
Kommune sich verpflichtet, bei einem Konkurs<br />
des Vereins <strong>für</strong> die Eishallen-Schulden<br />
aufzukommen, keine andere Möglichkeit<br />
läßt. „In der Wirtschaft wäre derjenige, der<br />
einen solchen Vertrag abgeschlossen hätte,<br />
da<strong>für</strong> entlassen worden“, so der Stadtverord<strong>net</strong>e<br />
der Grünen weiter.<br />
Die Grünen sehen es nicht ein, warum im<br />
Beirat der Eissporthalle GmbH, die die Eishalle<br />
betreiben soll, der Verein und die Stadt<br />
paritätisch vertreten sein sollen. „Der Verein<br />
hat bisher kein überzeugendes Konzept auf<br />
die Reihe gebracht, wie der Betrieb der Eishalle<br />
weniger defizitär gestaltet werden<br />
könnte. Warum sollte ihm das jetzt gelingen?“<br />
Außerdem liege die finanzielle Verantwortung<br />
bei der Stadt, die deshalb auch entscheiden<br />
müsse. Für die Grünen steht fest,<br />
daß sich eine derartige Interessenpolitik zum<br />
Nachteil der Bürgerschaft in Darmstadt nicht<br />
wiederholen darf.<br />
… Liberale verlangen<br />
Akteneinsicht …<br />
Ein Vertrag, den niemand<br />
kennt und ein Gutachten, das unter Verschluß<br />
gehalten wird: das Thema Eissporthalle<br />
ist <strong>für</strong> die FDP-Fraktion noch lange<br />
nicht vom Tisch. Wie berichtet, hat der<br />
Magistrat beschlossen, die defizitäre Eissporthalle<br />
des TSG 1846 <strong>für</strong> neun Millionen<br />
zu übernehmen und den Verein damit schuldenfrei<br />
zu stellen. Grundlage dieses Deals ist<br />
ein Vertrag, der 1981 vom TSG-Vorsitzenden<br />
Herbert Reißer mit der damaligen SPD-<br />
WGD-Koalition ausgehandelt, den Stadtverord<strong>net</strong>en<br />
aber nicht vorgelegt wurde. Die<br />
zentrale Klausel des Vertrags besagt offenbar,<br />
daß im Falle eines Konkurses der Eissportgesellschaft<br />
eine Heimfallverpflichtung<br />
in Kraft tritt, nach der die Stadt gezwungen<br />
ist, die Halle zu kaufen.<br />
Nun sollen die Stadtverord<strong>net</strong>en der Übernahmevorlage<br />
des Magistrats zustimmen:<br />
ohne Kenntnis des Vertrages und des Gutachtens<br />
zum Betrieb der Eissporthalle eine<br />
glatte Zumutung, wie die Liberalen erklären.<br />
Die Fraktion wird deshalb in der nächsten<br />
Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung Einsicht in<br />
die Akten verlangen – eine Forderung, die<br />
nicht verweigert werden darf. Möglicherweise,<br />
so Fraktionsvorsitzender Dr. Dierk Molter,<br />
könnten nach einer genauen Prüfung der<br />
Vertragsbestimmungen Haftungsfragen<br />
geklärt und preisgünstigere Alternativen <strong>für</strong><br />
die Stadt gefunden werden. Von dem Gutachten<br />
versprechen sich die Liberalen auch<br />
Anstöße <strong>für</strong> eine effektivere Neuorganisation,<br />
als sie in der Magistratsvorlage vorgeschlagen<br />
wird. Es sei zum Beispiel überhaupt<br />
nicht einzusehen, weshalb die Stadt<br />
als potentielle Eigentümerin bei der Eissportgesellschaft<br />
als Betreiberin der Halle<br />
nur zu 50 Prozent beteiligt werden solle, auf<br />
der anderen Seite aber jährlich bis zu einer<br />
halben Million zuschießen müsse. „Diese<br />
Magistratsvorlage ist so, wie sie vorliegt,<br />
PARTEIEN - STANDPUNKTE I<br />
nicht beratungsfähig!“, urteilt die FDP-Fraktion.<br />
Es gehe nicht darum, Sünden der Vergangenheit<br />
aufzurechnen. Sie aber nun vorschnell<br />
und „sträflich dilettantisch“ in die<br />
Zukunft fortschreiben zu wollen, müsse verhindert<br />
werden.<br />
… ein politischer<br />
Bumerang?<br />
Die SPD wird sich nicht<br />
gegen eine FDP-Initiative zur Akteneinsichtnahme<br />
in Sachen Eissporthalle wenden.<br />
Dies teilt der Vorsitzende der SPD Fraktion<br />
Horst Knechtel mit. Knechtel erinnert an die<br />
Historie des Projekts und daran, daß die<br />
SPD es jahrelang abgelehnt und in der Zeit<br />
der sogenannten „Elefantenkoalition“ nur<br />
sehr widerwillig, als „politischen Preis“, <strong>für</strong><br />
diese damals als notwendig betrachtete<br />
Zusammenarbeit auch mit der CDU mitgetragen<br />
habe. Auch sei es kein Geheimnis,<br />
daß die SPD-Fraktion über die endgültigen<br />
Vertragsmodalitäten hinsichtlich des „Heimfalls“<br />
der Halle an die Stadt weder informiert<br />
gewesen sei, noch diesen gar zugestimmt<br />
habe. Die FDP sei jedoch mit ihrem jetzigen<br />
Vorgehen aus dreierlei Gründen absolut<br />
unglaubwürdig. Seien doch einerseits wichtige<br />
Ämter des FDP-geführten Dezernates<br />
teilweise maßgeblich und federführend an<br />
der Vorbereitung und Durchführung der<br />
Baumaßnahme beteiligt gewesen, und habe<br />
der ihr angehörende hauptamtliche Stadtrat<br />
bei allen wichtigen Besprechungen und Entscheidungen<br />
beratend mitgewirkt – andererseits<br />
sei es aber gerade auch die FDP gewesen,<br />
die in den Zeiten der Dreier-Kooperation<br />
die CDU gegen die Unwilligkeit der SPD bei<br />
der Realisierung dieses Projektes unterstützt<br />
habe, um den von ihr gewünschten Kunsthallenbau<br />
durchzubringen. Und schließlich<br />
müsse darauf hingewiesen werden, daß der<br />
gegenwärtige Vorsitzende der FDP-Fraktion<br />
Dr. Molter vom 1. August 1986 bis Ende<br />
April 1993 ehrenamtliches Mitglied des<br />
Magistrats gewesen ist und somit alle Unterlagen<br />
über dieses Projekt zumindest damals<br />
gekannt haben muß, bzw. an ihrem Zustandekommen<br />
sogar mitgewirkt hat. Wenn Dr.<br />
Molter jetzt behaupten sollte, er habe diese<br />
Unterlagen nicht gelesen, müsse er sich grobe<br />
Pflichtwidrigkeiten vorhalten lassen. Der<br />
Baubeginn der Halle erfolgte im Juni 1988.<br />
Dr. Molter sei also gerade in der entscheidenden<br />
Phase vor dem Baubeginn Magistratsmitglied<br />
gewesen. Sein Antrag auf<br />
Akteneinsicht stelle somit auch einen Antrag<br />
auf Ermittlungen in eigener Sache und damit<br />
gegen sich selbst dar. Wenn sich also<br />
tatsächlich bewahrheiten sollte, daß Haftungen<br />
zu übernehmen seien, werde auch auf<br />
ihn zurückgegriffen werden müssen. Und<br />
wenn, wie von ihm behauptet, „Zumutungen<br />
<strong>für</strong> die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung“<br />
sichtbar werden sollten, müsse auch er zur<br />
Rechenschaft gezogen werden. Insgesamt,<br />
prophezeit Knechtel, stelle die von Dr. Molter<br />
vorgetragene FDP-Initiative somit einen<br />
ziemlich mißglückten Versuch <strong>für</strong> eine Fundamentalopposition<br />
dar, der sich zum politischen<br />
Bumerang entwickeln wird.<br />
HEAG-Hallen:<br />
Ein beispielloser<br />
Ausverkauf<br />
Eine völlige Umkehrung der<br />
Zielsetzung und ein beispielloser Ausverkauf:<br />
einigermaßen fassungslos hat die FDP-<br />
Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion die jüngsten<br />
Beschlüsse der rot-grünen Koalition zum<br />
HEAG-Hallen-Komplex zur Kenntnis genommen.<br />
„Die einzigen, die sich freuen dürfen,<br />
sind die Investoren“, erklärt Fraktionsvorsitzender<br />
Dr. Dierk Molter in einer Presseerklärung,<br />
„sie bekommen eine ganze Straße<br />
<strong>für</strong> 5,3 Millionen Mark geschenkt!“<br />
Der geplante Deal – die Halle B bleibt komplett<br />
kultureller Nutzung vorbehalten, da<strong>für</strong><br />
erhalten die Investoren zum theoretischen<br />
Kaufpreis von 27 Millionen die Luisenstraße<br />
vom Luisenplatz bis zur Schuchardstraße –<br />
ist nach Ansicht der Liberalen ein exemplarischer<br />
Fall nicht nur <strong>für</strong> die Kommunalaufsicht<br />
durch den Regierungspräsidenten,<br />
sondern zusätzlich <strong>für</strong> eine Rentierlichkeitsprüfung<br />
durch übergeord<strong>net</strong>e Stellen, zum<br />
Beispiel durch den Landesrechnungshof.<br />
Allein die Tatsache, daß auf die Stadt Mietausgaben<br />
in Höhe von 9,5 Millionen Mark<br />
<strong>für</strong> Räume zukommen, die ihr bis jetzt noch<br />
gehören, sei ein Skandal. Darüber hinaus<br />
sind die 5,3 Millionen, die nach Abzug der<br />
Kompensation <strong>für</strong> die Investoren und des<br />
städtischen Bauanteils noch übrig bleiben<br />
sollen, nach Ansicht der Liberalen „keinen<br />
Pfifferling wert“. Ruth Wagner, Kulturpolitikerin<br />
der Darmstädter Liberalen: „Was<br />
immer die Koalition sich unter Kultur in der<br />
Halle B vorstellt – sie wird teuerer als 5,3<br />
Millionen.“<br />
Verärgert erinnert Ruth Wagner daran, daß<br />
es die Liberalen waren, die seinerzeit den<br />
Sozialdemokraten eine professionelle kulturelle<br />
Nutzung der zweiten Halle „Meter um<br />
Meter abgerungen“ hatten. Das schließlich<br />
im Dezember 1992 vom damaligen Magistrat<br />
und den Investoren unterschriebene<br />
Vertragswerk habe garantiert, was als Ziel<br />
aller Verhandlungen von vornherein feststand:<br />
aus dem Kern der beiden historischen<br />
Hallen einen attraktiven und lebendigen Ort<br />
städtischen Lebens zu machen, dessen Ausstrahlung<br />
auch die „Schale“ des kommerziellen<br />
Umfeldes fördert. Geplant werde von<br />
der rot-grünen Koalition nun das genaue<br />
Gegenteil: „Die Schale wird poliert, der Kern<br />
fault weiter“, so Ruth Wagner. Als nächsten<br />
Schritt werden die Liberalen eine Große<br />
Anfrage in die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
einbringen, die vor allem die finanziellen<br />
Hintergründe und Auswirkungen der<br />
Koalitionsbeschlüsse klären soll.<br />
Mehr Parkraum<br />
ist nicht nötig<br />
„Die Argumentation der IHK<br />
zum HEAG-Hallen-Kompromiß überzeugt<br />
nicht“, sagt Günter Mayer, der Fraktionsvorsitzende<br />
der Grünen. Mehr Kunden, aber<br />
weniger Parkplätze ist nur dann widersprüchlich,<br />
wenn man längst überholte Verkehrspolitik<br />
betreibt, die ausschließlich auf<br />
den Individualverkehr setzt. Die Rechnung<br />
der IHK – mehr Kunden bedeuten mehr Verkehr,<br />
deshalb benötige man mehr Parkplätze<br />
– ist deshalb nicht richtig.<br />
In der Innenstadt gibt es genug Parkraum in<br />
öffentlichen Parkhäusern und Tiefgaragen.<br />
Nur parken dort zu 40% Dauerparker,<br />
hauptsächlich Berufspendler. Dieser<br />
blockierte Parkraum kann besser ausgenutzt<br />
werden, indem die Zahl derjenigen, die mit<br />
dem Auto zur Arbeit nach Darmstadt fahren,<br />
verringert wird. Das wird durch die<br />
Umwandlung von Langzeitparkplätzen in<br />
Kurzzeitparkplätze und durch die Förderung<br />
des ÖPNV erreicht.<br />
Zur Zeit werden diejenigen bestraft, die sich<br />
ökologisch vernünftig verhalten und Busse<br />
und Bahnen benutzen. Denn die Preise <strong>für</strong><br />
den ÖPNV sind oft höher als die Parkgebühren.<br />
Solange man in Darmstadt aber so<br />
günstig parken kann, steigt niemand auf<br />
öffentliche Verkehrsmittel um. Das ist auch<br />
der Grund, warum viele Darmstädter aus<br />
den Stadtteilen mit dem Auto wenige Kilometer<br />
in die Stadt fahren, obwohl sie auch<br />
problemlos Bus oder Straßenbahn benutzen<br />
könnten.<br />
Durch die Umwandlung von Lang- in Kurzzeitparkplätze<br />
und die Erhöhung der Parkgebühren<br />
würde nicht nur die Belastung durch<br />
den Autoverkehr verringert, in der Innenstadt<br />
würden außerdem auch Parkplätze <strong>für</strong><br />
Besucher aus dem Umland frei.<br />
Mehr Parkplätze tragen auf keinen Fall dazu<br />
bei, die Innenstadt attraktiver zu machen.<br />
Wie sollen Autos zu den zusätzlichen Stellplätzen<br />
kommen, wenn in der rush-hour die<br />
Straßen jetzt schon verstopft sind? „Ich<br />
glaube kaum, daß Kunden aus dem Umland<br />
Lust haben, vor ihrem Einkaufsbummel in<br />
Darmstadt stundenlang im Stau zu stehen,<br />
um dann durch Abgasschwaden zu marschieren“,<br />
so Günter Mayer weiter. Verkehrsströme<br />
müssen so gelenkt werden,<br />
daß diejenigen, die ihr Auto ohne Schwierigkeiten<br />
stehen lassen können, aufs Auto verzichten<br />
und in erster Linie nur diejenigen, die<br />
aufs Auto angewiesen sind, nach Darmstadt<br />
fahren. Es ist der politische Wille der Koalition,<br />
die erheblichen Belastungen zu verringern,<br />
die der Autoverkehr verursacht. „Die<br />
Schaffung weiterer Parkplätze in der Innenstadt<br />
und die Reduzierung des Autoverkehrs<br />
schließen sich aber gegenseitig aus“, so<br />
Günter Mayer weiter.<br />
Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 13<br />
Riesenflaute bei<br />
Investitionen<br />
„Statt darüber zu sprechen,<br />
was eine Stadt tun kann, um <strong>für</strong> Arbeitsplätze<br />
zu sorgen, sollte Oberbürgermeister Peter<br />
Benz lieber handeln“, so kommentiert die<br />
CDU-Kreisvorsitzende Eva Ludwig den Dialog<br />
zum 1. Mai zwischen DGB und SPD. Die<br />
beste Beschäftigungspolitik sei immer noch<br />
eine Kommunalpolitik, die zu Investitionen<br />
ermutigt, so Eva Ludwig.<br />
Auf diesem Gebiet herrsche aber in der rotgrünen<br />
Koalition eine „Riesenflaute“. Die<br />
von der rot-grünen Koalition verabschiedete<br />
„Stellplatzsatzung“ sei <strong>für</strong> die Darmstädter<br />
City-Entwicklung und das Investitionsklima<br />
tödlich: „In einer Stadt, wo ein privater Investor<br />
auf einem Grundstück Stellplätze nicht<br />
bauen darf, sie aber bezahlen muß, braucht<br />
man über Wirtschaftsförderung nicht weiter<br />
zu reden“, sagte sie. Man dürfe sich daher<br />
nicht wundern, wenn Firmen aufgrund der<br />
standortschädigenden Verkehrspolitik ins<br />
Umland abwanderten. Die desolate Haushaltssituation<br />
wirke sich ebenfalls nicht<br />
positiv auf den Wirtschaftsstandort Darmstadt<br />
aus. Die Stadt erwirtschafte kein Geld<br />
mehr <strong>für</strong> dringende Investitionen im Bereich<br />
des Umweltschutzes oder <strong>für</strong> die Sanierung<br />
von öffentlichen Gebäuden, so Eva Ludwig.<br />
Stattdessen hielten zu hohe städtische<br />
Gebühren – wie zum Beispiel <strong>für</strong> den Müll –<br />
mögliche Investoren fern. „Nicht öffentlich<br />
finanzierte Programme sichern Arbeitsplätze,<br />
sondern ein politisches Klima, das den<br />
beginnenden Aufschwung unterstützt durch<br />
Wirtschaftsförderung und Stärkung des<br />
Oberzentrums“, stellte die CDU-Kreisvorsitzende<br />
fest.<br />
Polit-Clown<br />
Jürgen Barth<br />
Eine dicke Rüge vom Rechnungsprüfungsamt<br />
erhielt die Bessunger<br />
Knabenschule. Wie der finanzpolitische<br />
Sprecher der CDU-Fraktion Klaus von Prümmer<br />
weiter mitteilt, würden Rechnungen mit<br />
zwei- bis dreijähriger Verspätung vorgelegt,<br />
eine ordnungsgemäße Finanzverwaltung finde<br />
nicht statt. Erhebliche Mängel hätten dem<br />
Rechnungsprüfungsamt die Arbeit fast<br />
unmöglich gemacht. Offenbar sei der grüne<br />
Stadtrat Jürgen Barth als Geschäftsführer<br />
hoffnungslos überfordert. „Barth hat seine<br />
Stärke als ‚Polit-Clown‘, aber ein sorgfältiger<br />
Verwalter von Steuergeld ist er offenbar<br />
nicht“, rügt Klaus von Prümmer.<br />
Das Rechnungsprüfungsamt habe dem Verein<br />
ins Stammbuch geschrieben, „daß seitens<br />
des Vereins erhebliche Bemühungen<br />
notwendig sind, um künftig eine ordnungsgemäße<br />
Buchführung und damit den Nachweis<br />
einer zweckentsprechenden Verwendung<br />
der von der Stadt geleisteten Zuschüsse<br />
zu gewährleisten.“ Da diese Vorwürfe<br />
bereits seit mehreren Jahren erhoben würden,<br />
sei es an der Zeit, den Zuschuß <strong>für</strong> die<br />
Knabenschule solange zu sperren, bis ordnungsgemäße<br />
Rechnungen <strong>für</strong> die Vorjahre<br />
vorgelegt werden, fordert die CDU.<br />
Aufruf an alle<br />
zur Europawahl<br />
Bei der Europawahl am 12.<br />
Juni 1994 wird es erstmals möglich sein,<br />
daß in Deutschland lebende Mitbürgerinnen<br />
und Mitbürger aus der Europäischen Union<br />
hier in der Bundesrepublik wählen können.<br />
Die Darmstädter Europaabgeord<strong>net</strong>e Barbara<br />
Schmidbauer ruft alle Betroffenen auf,<br />
von diesem Recht Gebrauch zu machen.<br />
Barbara Schmidbauer: „Alle hier lebenden<br />
ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger<br />
sollten bei der Europawahl von ihrem<br />
Wahlrecht Gebrauch machen. Durch ihre<br />
Stimme können Sie mit dazu beitragen, daß<br />
rechtsextreme und ausländerfeindliche Parteien<br />
nicht im Europäischen Parlament vertreten<br />
sind.“<br />
☛ Fortsetzung auf folgender Seite<br />
NEPAL-TEPPICHE<br />
DARMSTADT<br />
ROSSDÖRFER PLATZ
Bedauerlich findet die Abgeord<strong>net</strong>e, daß die<br />
Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung<br />
<strong>für</strong> dieses „Ausländerwahlrecht“ sehr zu<br />
wünschen übrig läßt. Nicht zuletzt aufgrund<br />
der Desinformationspolitik der Bundesregierung<br />
wurde im Europäischen Parlament der<br />
Antrag gestellt, die Fristen <strong>für</strong> die Eintragung<br />
in die Wählerverzeichnisse (9. Mai) neu zu<br />
eröffnen.<br />
Es geht voran<br />
Nach Auffassung des CDU-<br />
Bundestagskandidaten im Wahlkreis 143,<br />
Andreas Storm (Weiterstadt), zeigt das Ende<br />
April vorgelegte Frühjahrsgutachten der<br />
Wirtschaftsforschungsinstitute, daß die<br />
deutsche Wirtschaft wieder Tritt gefaßt hat.<br />
Die Wirtschaftsforscher schätzten <strong>für</strong> dieses<br />
Jahr die gesamtdeutsche Wachstumsrate<br />
des Bruttoinlandsprodukts auf 1,5 Prozent.<br />
Diese Erwartung liege sogar an der Obergrenze<br />
der von der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht<br />
am Jahresanfang<br />
genannten Spanne!<br />
Die positiven Meldungen mehrten sich, so<br />
Storm: Die Geschäftserwartungen in der<br />
westdeutschen Industrie, ein wichtiger<br />
Frühindikator <strong>für</strong> die Konjunktur, hätten sich<br />
beträchtlich verbessert. Auch die Kapazitätsauslastung<br />
der Industrie nehme seit Ende<br />
1993 wieder zu. „Bestellungen beim Verarbeitenden<br />
Gewerbe waren in den ersten beiden<br />
Monaten dieses Jahres real um 2,5 Prozent<br />
höher als vor Jahresfrist und die Auslandsaufträge<br />
sind sogar real um neun<br />
Prozent gestiegen“, stellte der CDU-Bundestagskandidat<br />
fest. In der Wohnungswirtschaft<br />
rechne man 1994 mit der Fertigstellung<br />
von rund 500.000 Wohnungen (Vorjahr<br />
480.000). Allein im vergangenen Jahr wurden<br />
mehr als 600.000 Baugenehmigungen<br />
erteilt. Außerdem seien die Zinsen merklich<br />
niedriger als vor einem Jahr. Positive Signale<br />
gebe es auch von der Preisfront: So rechne<br />
der Bundesverband der Deutschen Volksund<br />
Raiffeisenbanken mit einem Rückgang<br />
der Inflationsrate unter drei Prozent zur Jahresmitte.<br />
Für das kommende Jahr werde allgemein<br />
eine weitere Abnahme des Preisauftriebs<br />
auf etwa zwei Prozent erwartet. Das<br />
bedeute Preisstabilität.<br />
„Natürlich gebe es noch große Probleme,<br />
vor allem auf dem Arbeitsmarkt“, räumte der<br />
Diplom-Volkswirt ein. Es gehöre zu den ökonomischen<br />
Binsenweisheiten, daß eine konjunkturelle<br />
Erholung sich stets erst mit zeitlicher<br />
Verzögerung in einem Anstieg der<br />
Beschäftigung und in einem Rückgang der<br />
Arbeitslosigkeit niederschlage. Storm:<br />
„Auch in den achtziger Jahren habe sich die<br />
gebetsmühlenartig in der SPD wiederholten<br />
Behauptungen, der Aufschwung gehe am<br />
Arbeitsmarkt vorbei, als falsch erwiesen.“<br />
Richtig sei vielmehr, daß vom Frühjahr 1983<br />
bis zum Frühjahr 1992 die Zahl der Erwerbstätigen<br />
in Westdeutschland um rund 3,25<br />
Millionen ausgeweitet werden konnte. Mit<br />
dem Aktionsprogramm der Bundesregierung<br />
<strong>für</strong> mehr Wachstum und Beschäftigung<br />
seien die Grundlagen <strong>für</strong> die Wende am<br />
Arbeitsmarkt gelegt. Die Verabschiedung<br />
des Beschäftigungsförderungsgesetzes im<br />
Deutschen Bundestag am 14. April mache<br />
deutlich, daß die CDU der Entwicklung der<br />
Arbeitslosigkeit nicht tatenlos zusehe. Trotz<br />
knapper Kassen werde die Arbeitsmarktpolitik<br />
ständig weiterentwickelt. Gleichzeitig setze<br />
der Aufschwung ein: „Es geht voran!“, so<br />
Storms Fazit.<br />
Antwort vom<br />
Brandschutzamt<br />
Ende Februar erschien die<br />
letzte Ausgabe von „Blickpunkt Kranichstein“<br />
mit der Frage „Was wäre, wenn’s hier<br />
mal brennt?“ unter einem Bild des Komplexes<br />
Pfannmüllerweg 40 - 46. Zwei<br />
Wochen später, am frühen Samstag des 12.<br />
März, wurde diese Frage schon Realität. Eine<br />
Wohnung im 13 . Stock brannte aus, das<br />
ganze ging noch einigermaßen glimpflich<br />
mit einer leichten Rauchvergiftung ab. Soll<br />
man sich jetzt zufrieden zurücklehnen? Die<br />
DKP Kranichstein hatte im Februar in Form<br />
eines offenen Briefes einige Fragen zum<br />
Brandschutz in Kranichstein an das Brandschutzamt<br />
gerichtet. Leider hat nur die „Zeitung<br />
<strong>für</strong> Darmstadt“ diesen Brief veröffent-<br />
licht (das „Darmstädter Echo“, ebenso die<br />
„Arheilger Post“ hüllten sich in Schweigen).<br />
Um so höher ist es zu bewerten, daß das<br />
Brandschutzamt Darmstadt in einem Brief<br />
detailliert auf unsere Fragen antwortete. Herr<br />
Brandoberrat Stein teilte mit, daß in den<br />
Gebäuden Grundstraße 31 und 33 keine<br />
Brandmeldeanlagen vorhanden und diese<br />
<strong>für</strong> Wohnhochhäuser auch nicht vorgeschrieben<br />
sind. Er bestätigte, daß die Drehleiter<br />
mit Korb der Berufsfeuerwehr im<br />
Pfannmüllerweg nur bis zum 6. bzw. 7.<br />
Obergeschoß reicht. Kontakte zu den Wohnungsbauunternehmen<br />
gäbe es, leider wäre<br />
es schwierig, in Einsatzfällen sofort einen<br />
Verantwortlichen zu erreichen.<br />
Er teilte weiterhin mit, daß bei der letzten<br />
Brandverhütungsschau im Pfannmüllerweg<br />
40-46 Sicherheitsbeleuchtungen gefordert<br />
wurden. Die Bewohner von Hochhäusern<br />
könnten selbst wesentlich zur Brandsicherheit<br />
beitragen, wenn sie wesentlich weniger<br />
brennbares Gut in ihren Kellern einlagerten,<br />
die Flure von Fahrrädern, Einkaufs- und Kinderwagen<br />
sowie anderen, brennbaren<br />
Gegenständen freihielten. Außerdem wurde<br />
ein viersprachiges Merkblatt in Aussicht<br />
gestellt.<br />
Soweit der Brief des Brandschutzamtes. In<br />
der Berichterstattung im „DE“ über den<br />
Brand am 12. März wird aufgrund der Tatsache,<br />
daß die Drehleiter nur bis zum 7. OG<br />
reicht, den Mietern empfohlen, sich sogenannte<br />
„Fluchthauben“ zuzulegen (das Stück<br />
<strong>für</strong> 200 Mark!). Wie sich das eine Familie leisten<br />
soll, darüber schweigt der Autor.<br />
Die DKP wird den Eigentümer der in der letzten<br />
Zeit von Bränden betroffenen Objekte<br />
den Brief des Brandschutzamtes zuleiten<br />
und sich <strong>für</strong> folgende Maßnahmen einsetzen:<br />
Sofortige Installierung der Sicherheitsbeleuchtungen<br />
im Komplex Pfannmüllerweg<br />
und wo dies bis jetzt noch nicht geschehen<br />
ist. Sofortige Umsetzung, falls noch nicht<br />
geschehen, der viersprachigen Broschüre<br />
des Brandschutzamtes, Maßnahmen, um zu<br />
gewährleisten, daß in Notfällen wie Bränden<br />
etc., ein Verantwortlicher sofort zu erreichen<br />
ist. Zentrale Beschaffung von sogenannten<br />
Fluchthauben <strong>für</strong> die Mieterinnen und Mieter<br />
der Kranichsteiner Hochhausobjekte. Beteiligung<br />
der Mieterinnen und Mieter an der<br />
nächsten Brandverhütungsschau, bzw. zur<br />
Nachschau. Desweiteren soll abgeprüft werden,<br />
ob das Brandschutzamt in der Lage<br />
wäre, regelmäßige Bürgerberatungen (Info-<br />
Mobil o.ä.), sowie Schulungen zur Brandbekämpfung<br />
in Kranichstein durchzuführen.<br />
Ein weiterer Punkt ist die Frage, ob ein entsprechendes<br />
Fahrzeug angeschafft werden<br />
kann, die eine Evakuierung betroffener Mieterinnen<br />
und Mieter aller Stockwerke in Kranichstein<br />
ermöglicht. Alle Mieterinnen und<br />
Mieter können weitere Anregungen, Kritiken<br />
und Beschwerden der DKP Kranichstein mitteilen,<br />
ebenso den vollständigen Brief des<br />
Brandschutzamtes anfordern. Adresse: DKP,<br />
Binger Straße 10; 64295 Darmstadt<br />
Die Zeitung <strong>für</strong> Darmstadt druckt Parteienmeldungen<br />
grundsätzlich unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und<br />
Grammatikfehler sowie Wiederholungen. Inhaltliche auch<br />
politische Änderungen werden nicht angebracht und auch<br />
nichts hinzugefügt. Die Briefe geben nicht die Meinung der<br />
Redaktion wieder.<br />
Eine Gedenktafel <strong>für</strong><br />
Zwangsarbeiter-<br />
Innen<br />
1995 jährt sich zum fünfzigsten<br />
Mal der Tag, an dem Deutschland und<br />
Europa von der nationalsozialistischen Diktatur<br />
befreit wurden. Dieser Tag ist Anlaß,<br />
der Opfer der Nazis zu gedenken. Ein Kapitel<br />
wird dabei oft ausgeklammert: die Leiden<br />
der nach Deutschland verschleppten<br />
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.<br />
In Darmstädter Betrieben mußten während<br />
des zweiten Weltkrieges zwischen 4.500 und<br />
7.000 Menschen Sklavenarbeit leisten. Das<br />
ergab ein Forschungsprojekt der Arbeitsstelle<br />
<strong>für</strong> Erwachsenenbildung der Evangelischen<br />
Kirche in Hessen und Nassau. Mehr<br />
als 60 Lager <strong>für</strong> die zynischerweise so<br />
genannten Zivilarbeiter gab es in Darmstadt.<br />
Die Lager befanden sich oft auf dem Gelände<br />
von Firmen, Handwerksbetrieben oder Gaststätten.<br />
Bei der Reichsbahn mußten die meisten<br />
der nach Darmstadt verschleppten<br />
Zwangsarbeiter arbeiten. Sie wurden aber<br />
PARTEIEN - STANDPUNKTE II Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite XX<br />
auch bei Merck, der HEAG, bei Röhm &<br />
Haas, der Goebel-AG, der Firma Donges, der<br />
Maschinenfabrik Schenk und anderen<br />
Betrieben eingesetzt.<br />
„Diese dunkle Seite der Darmstädter<br />
Geschichte ist den meisten Bürgerinnen und<br />
Bürgern nicht bekannt“, sagt Günter Mayer,<br />
der Fraktionsvorsitzende der Grünen. Seiner<br />
Ansicht nach ist es aber gerade in der heutigen<br />
Zeit besonders wichtig, sich der Verbrechen<br />
der Nazis zu erinnern. „Die Ideologie<br />
der Nazis war menschenverachtend. Das<br />
muß insbesondere jungen Menschen verdeutlicht<br />
werden, die auf die Parolen der<br />
Rechtsextremisten hereinfallen.<br />
Günter Mayer hat deshalb eine Anregung der<br />
Arbeitsstelle <strong>für</strong> Erwachsenenbildung und<br />
der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-<br />
Regimes (VVN) aufgegriffen, die sich seit<br />
langem da<strong>für</strong> einsetzen, zur Erinnerung an<br />
die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter<br />
in Darmstadt eine Gedenktafel zu errichten.<br />
Der Koalitionspartner SPD hat seine<br />
Zustimmung signalisiert, so daß die Koalitionsfraktionen<br />
in die nächste Sitzung der<br />
Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung einen<br />
gemeinsamen Antrag einbringen werden.<br />
Die Tafel soll spätestens zum Tag der<br />
50jährigen Wiederkehr des Kriegsendes am<br />
Bahnhofsvorplatz in der Nähe der Bus- und<br />
Bahnhaltestelle gegenüber dem ehemaligen<br />
Postgebäude angebracht werden.<br />
Bäderordnung:<br />
Preise besser<br />
senken<br />
„Die Erhöhung der Eintrittspreise<br />
ist ein bequemer, aber nicht immer<br />
ein sinnvoller Weg, um an Mehreinnahmen<br />
zu kommen“, dies stellte der sportpolitische<br />
Sprecher der CDU-Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion<br />
Alfred Aldenhoff fest. Bei den höheren Eintrittspreisen<br />
in den Schwimmbädern könne<br />
es leicht geschehen, daß am Ende durch<br />
weniger Besucher auch weniger Geld in der<br />
Kasse sei, erläuterte er.<br />
Die CDU stehe der schlichten Preiserhöhung<br />
skeptisch gegenüber und fordere stattdessen<br />
eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise.<br />
Wenn mehr Besucher kämen,<br />
reduzierten sich die Defizite von selbst. Der<br />
geplante Eintrittspreis <strong>für</strong> Kinder von 2,50<br />
Mark gestalte sich nach Meinung der CDU-<br />
Fraktion als zu hoch. Die CDU schlage genau<br />
die Hälfte des geplanten Eintrittspreises <strong>für</strong><br />
Erwachsene, also zwei Mark vor. Sollte es<br />
zur Aufstellung von Automaten kommen, sei<br />
der gerade Betrag auch in der Praxis leichter<br />
handhabbar. Um die Besucherzahlen zu steigern,<br />
müssen man Dauerkartenbenutzer als<br />
Stammkundschaft durch höhere Rabatte<br />
gewinnen und halten. Mit geschicktem Marketing<br />
könnten bestimmte Zielgruppen <strong>für</strong><br />
die einzelnen Bäder geworben werden;<br />
Familien, Sportler, Senioren usw. mit entsprechenden<br />
Zusatzangeboten, die auch<br />
einen Extrapreis rechtfertigten. Mit dem<br />
simplen „Treibt mehr Sport“ lasse sich niemand<br />
mehr ins Schwimmbad locken. Der<br />
Eigenbetrieb Bäder dürfe nicht nur den Mangel<br />
verwalten, sondern müsse sich am Markt<br />
und an der Nachfrage orientieren.<br />
Deshalb sei es Unsinn, so Aldenhoff, ausgerech<strong>net</strong><br />
das Nordbad vormittags zu<br />
schließen, obwohl gerade dieses Bad die<br />
hohen Besucherzahlen aufweise. Eine sinnvollere<br />
Verkürzung der Betriebszeiten müsse<br />
<strong>für</strong> jedes Bad eine Analyse der Besucherzahlen<br />
zur Voraussetzung haben. Das Nordbad<br />
sei Anlaufstelle vor allem <strong>für</strong> Kranichsteiner<br />
und Arheilger Badegäste. Es gebe <strong>für</strong> sie keine<br />
Ausweichmöglichkeit: „Die CDU ist deshalb<br />
gegen die Schließung am Vormittag“,<br />
sagte Aldenhoff.<br />
Aktiv gegen<br />
Neofaschismus<br />
Der Kreis Darmstadt-Dieburg<br />
soll eine Plakatserie über das Vernichtungslager<br />
Auschwitz erwerben, so die Fraktion<br />
von Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag<br />
an den Kreistag. In Form einer Ausstellung<br />
soll sie dann in den Landratsämtern Darmstadt<br />
und Dieburg gezeigt sowie der Kreisju-<br />
gendpflege, den Schulen im Kreis und den<br />
Kreiskrankenhäusern zur Verfügung gestellt<br />
werden.<br />
Anlaß des Antrags waren die in jüngster Zeit<br />
wieder aufzunehmenden öffentlichen Äußerungen,<br />
die das Vorhandensein von Konzentrationslagern<br />
und der Massenvernichtung<br />
der Juden u.a. in der Zeit des deutschen<br />
Faschismus in Frage stellen oder leugnen.<br />
Solche Äußerungen sind nach Meinung von<br />
Bündnis 90/Die Grünen ob ihrer Geschichtsfälschung<br />
unerträglich und beleidigen Opfer<br />
und Überlebende. Derartige Propaganda<br />
habe volksverhetzenden Charakter mit menschenverachtenden<br />
Folgen, wie erst kürzlich<br />
der Anschlag auf eine jüdische Synagoge<br />
gezeigt habe. Durch die Ausstellung solle die<br />
geschichtliche Wahrheit in Erinnerung gerufen<br />
werden und Menschen, die die Zeit des<br />
Nationalsozialismus nicht selbst erlebt<br />
haben, ein Informationsangebot gemacht<br />
werden. Weiterhin regt die Grüne Fraktion<br />
an, die Ausstellung durch Veranstaltungen<br />
der Kreisvolkshochschule und des Jugendbildungswerkes<br />
zu begleiten.<br />
Die Plakatserie besteht aus Fotografien, die<br />
zwischen 1987 und 1992 auf dem Gelände<br />
der Gedenkstätte Auschwitz aufgenommen<br />
wurden. Ihnen sind Zitate von Opfern und<br />
Überlebenden gegenübergestellt. Der Reinerlös<br />
aus dem Verkauf der Plakatserie<br />
kommt dem Erhalt der Gedenkstätte<br />
Auschwitz zugute. Herausgegeben wird die<br />
Plakatserie vom „Fritz-Bauer-Institut“,<br />
einem Lern- und Dokumentationszentrum,<br />
das sich mit der Aufarbeitung des Holocausts<br />
beschäftigt.<br />
Armutsbericht<br />
Vor dem Hintergrund einer<br />
zunehmenden, versteckten Armut durch<br />
Dauerarbeitslosigkeit und Sozialabbau, fordern<br />
die Fraktionen von SPD und Grünen<br />
vom Darmstädter Magistrat die jährliche<br />
Vorlage eines sogenannten Armutsberichtes.<br />
In diesem Bericht, so der sozialpolitische<br />
Sprecher der SPD-Fraktion Dr. Harry<br />
Neß, soll der Magistrat im Rahmen seiner<br />
statistischen Möglichkeiten, Aufschlüsse<br />
über die jeweilige Entwicklung der Wohnsituation,<br />
der Höhe und Art von Einkommen,<br />
der Lage von Familien und von Arbeitsmarkt-<br />
und Berufsproblemen sozialer Problemgruppen<br />
geben. Sinn dieses Berichtes<br />
soll es nicht sein, die ohnehin schon arg<br />
belastete Sozialverwaltung mit überflüssiger<br />
Arbeit zu beschäftigen, sondern vor allem<br />
das sozialpolitische Entscheidungsinstrumentarium<br />
des Stadtparlaments zu verbessern.<br />
Es sei ein „Unding“, so Dr. Neß, daß<br />
das Stadtparlament jährlich über den größten<br />
Einzelhaushalt der Stadt befinde, der z.B.<br />
<strong>für</strong> 1994 eine Gesamtausgabebedarf von<br />
rund 170 Millionen Mark habe, ohne daß an<br />
den verschiedensten Stellen Datenmaterial<br />
zur Verfügung stehe. Gerade auch in den<br />
Zeiten knapper werdender Haushaltsmittel<br />
sei die Stadt verpflichtet, darauf zu achten,<br />
daß diese dort ankommen, wo sie hingehören<br />
und, daß sie so sinnvoll und effektiv<br />
als möglich eingesetzt werden.<br />
Benz’ ganz eigene<br />
Drogenpolitik<br />
Die Stadt Darmstadt hat das<br />
<strong>für</strong> den 14./15. Mai geplante Cannabis-<br />
Weekend verboten, denn Bürgermeister<br />
Benz verfolgt seine ganz eigene Drogenpolitik:<br />
Er habe „die Drogenszene in der Innenstadt<br />
ausgemerzt“, läßt er stolz in einer<br />
Erklärung an die AG Hanf verlauten. Auch an<br />
höherer Stelle bleibt man/frau arrogant: Das<br />
jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
lehnt eine Legalisierung von<br />
Haschisch ab, gebietet aber in Fällen des<br />
gelegentlichen und geringfügigen Eigenkonsums<br />
von einer Strafverfolgung abzusehen.<br />
Mit dieser doppelzüngigen Entscheidung<br />
wird – ähnlich wie beim Abtreibungsrecht –<br />
versucht, die große Masse der Be<strong>für</strong>worter<br />
einer Legalisierung zu spalten und ruhig zu<br />
halten. Dabei gibt es genug gute Gründe <strong>für</strong><br />
eine Legalisierung, denn die Cannabispflanze<br />
könnte die Zukunft des Pla<strong>net</strong>en Erde<br />
bedeuten:<br />
– Hanf wächst auf fast allen Böden ohne<br />
auch nur annähernd soviel Unkrautvernich-<br />
tungsmittel wie andere Pflanzen<br />
– Aus einem Hektar Hanf läßt sich soviel<br />
Papier herstellen wie aus vier Hektar Wald –<br />
eine von mehreren Ursachen <strong>für</strong> die Prohibition<br />
des Hanf<br />
– Hanf könnte als Grundstoff <strong>für</strong> Nahrungsmittel,<br />
Brennstoff, Textilien, Arzneimittel und<br />
noch viel mehr genutzt werden – wären<br />
Anbau und Besitz nicht verboten.<br />
Die Legalisierung von Cannabis und seinen<br />
Produkten könnte dazu beitragen, die ökologische<br />
Katastrophe aufzuhalten und die<br />
großen Chemie-, Textil- und Erdölkonzerne<br />
in ihrem Profitstreben aufzuhalten. Damit<br />
nicht genug: Durch die Legalisierung von<br />
Hanf würde auch die Drogenpolitik entkrampft<br />
werden. Die momentane Drogenpolitik<br />
ist schizophren und beschränkt sich nur<br />
auf Desinformation und Repression:<br />
– Alkohol, Nikotin, Tranquilizer, Beruhigungsmittel<br />
und vieles mehr treiben Menschen<br />
in Abhängigkeit und Tod. Allein Alkohol<br />
fordert pro Jahr 40.000 Tote.<br />
– Cannabisprodukte im freien Verkauf können<br />
den Dealern den Wind aus den Segeln<br />
nehmen und zudem Süchtigen eine sinnvolle<br />
Alternative bieten.<br />
– Die legale Abgabe von Haschisch brächte<br />
außerdem den Wegfall des Abenteuerlichen<br />
mit sich.<br />
Deshalb: Sofortige Legalisierung von Hanf<br />
und seinen Produkten, Entkriminalisierung<br />
aller Drogen, staatliche Kontrolle und Abgabe<br />
aller Drogen, Werbeverbot <strong>für</strong> alle Drogen.<br />
Wir wissen, daß eine solche Politik nur<br />
die Symptome, nicht aber die Ursachen des<br />
Drogenkonsums bekämpft, deswegen kann<br />
sie nur eine Übergangslösung darstellen.<br />
Wir wollen eine Gesellschaft, in der niemand<br />
mehr Drogen nehmen will und muß.<br />
Über Hanfverbot<br />
neu diskutieren<br />
„Nach dem Urteil des<br />
Bundesverfassungsgerichts zum Haschrauchen,<br />
muß über die Hanfprohibition neu diskutiert<br />
werden“, sagt Ulrich Pakleppa, Stadtverord<strong>net</strong>er<br />
der Grünen. Seiner Ansicht nach<br />
muß dabei der Schwerpunkt auf den ökologischen<br />
und ökonomischen Nutzen der<br />
Cannabis-Pflanze gelegt werden.<br />
Der bisherige Streit dreht sich eindimensional<br />
um Cannabis als Rauschmittel und die<br />
gesellschaftlichen Folgen seiner Freigabe.<br />
Das ist Ulrich Pakleppa eine viel zu eingeschränkte<br />
Sicht. Er erinnert daran, daß das<br />
renommierte Kölner Katalyse-Institut <strong>für</strong><br />
angewandte Umweltforschung eine Studie<br />
über Cannabis als Nutzpflanze erstellt hat.<br />
Demnach ist Hanf <strong>für</strong> die Papiergewinnung<br />
effizienter als Holz und enthält im Gegensatz<br />
zu Bäumen nicht das Umweltgift Lignin, das<br />
die Gewässer belastet. Als Textilrohstoff ist<br />
Hanf haltbarer als Baumwolle. Die Pflanze ist<br />
außerdem weitgehend schädlingsresistent<br />
und schnellwüchsig. Von der Einsaat bis zur<br />
Ernte vergehen nur 100 Tage. Schließlich<br />
sind Hanfprodukte auch eine wirkungsvolle<br />
Alternative zu chemischen Arzneimitteln.<br />
Nach dem Kölner Institut komme man kaum<br />
umhin, andere Faserlieferanten zu finden,<br />
um das Abholzen von Wäldern zu verhindern.<br />
Der Ertrag von Hanf liege pro Hektar<br />
und Jahr deutlich über Baumplantagen oder<br />
Wäldern, die Kosten <strong>für</strong> die Herstellung von<br />
Papier seien bei einjährigen Cannabispflanzen<br />
niedriger als bei Holz. Durch dichten<br />
Anbau könne auch der THC-Gehalt, die die<br />
Rauschwirkung hervorruft, verringert werden.<br />
„Vor diesem Hintergrund sollte die Stadt<br />
Darmstadt nochmal über das Verbot des<br />
Cannabis-Wochenendes am 14. und 15. Mai<br />
nachdenken“, so Ulrich Pakleppa. Er begrüßt<br />
es, daß über Cannabis als Nutzpflanze informiert<br />
und <strong>für</strong> die Legalisierung ihres Anbaus<br />
geworben werden soll. „Natürlich ist zu vermuten,<br />
daß manche Teilnehmer dieses<br />
Wochenendes einen anderen Schwerpunkt<br />
setzten, und sich mehr <strong>für</strong> das Rauschmittel<br />
interessieren.“ Das könne man aber angesichts<br />
des Verfassungsurteiles tolerieren.<br />
Pakleppa zieht auch eine Parallele zu verschiedenen<br />
Darmstädter Festen. Auf dem<br />
Weinfest, dem Heinerfest werden ja auch<br />
eine Droge in erheblichen Mengen konsumiert<br />
– Alkohol –, ohne daß diese Veranstaltungen<br />
in Frage gestellt würden.