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Mekka für Spekulanten - zfd-online.net

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satirisch<br />

justizhörig<br />

experimentell<br />

wahrheitenliebend<br />

frei-volksherrschaftlich<br />

Freitag, 13.5.1994<br />

19. Kalenderwoche, 5. Jahrgang<br />

2 Eintrittsgeld<br />

<strong>für</strong> vergifteten Wald<br />

Vetterleswirtschaft<br />

im Bauverein<br />

3 Nacht- und Nebelaktion<br />

<strong>für</strong> Kulturschändung<br />

4 Hooligans:<br />

Keine Brutalosaurier<br />

5 Der Umwelt zuliebe<br />

das Erdgasauto<br />

6 Kein Gesetz gegen Männer<br />

7 Kunst in idyllischem Grün<br />

8 Artgerechte Müslimenschen<br />

9 Fascho-Kunst?<br />

10 Legitimes Recht auf Folter<br />

11 Teuere Sparpolitik<br />

12 Altbackene Provinz<br />

13 Von Bauchgrimmen<br />

zu Politclownerie<br />

14 Was, wenn es brennt?<br />

Nächste Ausgabe:<br />

Freitag, 27.5.1994<br />

alle 14 Tage<br />

Nummer 69<br />

<strong>Mekka</strong> <strong>für</strong> <strong>Spekulanten</strong><br />

Rot-Grüner Beschluß: Haus Lichtenbergstraße 73 wird gekauft<br />

Von einem „bösen Geschäft von<br />

<strong>Spekulanten</strong>“ sprach Dr. Harry<br />

Neß (SPD), als er in der Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

am 10.5. begründete,<br />

weshalb das Haus Lichtenbergstraße 73<br />

dennoch gekauft werden soll. „Davon<br />

geht eine Signalwirkung aus“ ähnlich<br />

wie beim Ankauf der Taunusburg in<br />

einem ähnlichen Fall. „Wir wollen<br />

Ruhe im Martinsviertel“ und der „Reiz<br />

des Stadtteils liegt in der Durchmischung“,<br />

dabei zählt Neß Ausländer<br />

auf, einen „Querschnitt durch alle Einkommensschichten“.<br />

Tatsächlich beschlossen<br />

Darmstadts Politiker mit den<br />

Stimmen der Grünen und der SPD, daß<br />

die Stadt kauft – „das ist ein guter<br />

Erfolg“, meinte Neß. Aus welchem<br />

Haushaltsposten das Geld kommen<br />

soll, wurde nicht erörtert. Dem Entschluß<br />

über den Kauf ging eine scharfe<br />

Debatte voraus, ausgetragen zwischen<br />

Stadtbaurat Dr. Wolfgang Rösch<br />

(CDU) und dem Bundestagsabgeord<strong>net</strong>en<br />

Eike Ebert (SPD). Er, der starke<br />

Mann in der SPD, hatte den MieterInnen<br />

der Lichtenbergstraße wiederholt<br />

zugesichert, die Stadt würde das Haus<br />

kaufen, sogar noch als der Magistrat<br />

dies im April mit den Stimmen der SPD<br />

und der Grünen abschlägig beschieden<br />

hatte (ZD-Ausgabe 68).<br />

AKW Biblis Block A:<br />

TÜV abgelaufen<br />

Doch am 10.5. zeigten die Fraktionen<br />

der SPD und der Grünen plötzlich wieder<br />

geschlossenes Engagement <strong>für</strong> den<br />

Ankauf. Kämmerer Otto Blöcker<br />

(SPD), der noch im Magistrat begründet<br />

hatte, weshalb nicht gekauft werden<br />

solle, schwieg sich aus. Einzig Rösch<br />

hielt seine Position und meinte, „die<br />

Stadt hat kein Vorkaufsrecht“, denn<br />

eine Sanierung sei nicht erforderlich.<br />

Als Chef der Stadtbauverwaltung ist<br />

Rösch zuständig <strong>für</strong> die Vergabe von<br />

sogenannten Abgeschlossenheitsbescheinigungen.<br />

☛ Fortsetzung Seite 3<br />

30.4.1994 – zwischen der Einweihung des „größten Atomkraftwerkes der Welt“, Biblis Block A (so die Betreiberin „RWE“<br />

1975), und der heutigen Demonstration <strong>für</strong> die „Stillegung“ – sind fast 20 Jahre vergangen. Auf zwanzig Jahre hatte die „RWE“<br />

oder die Siemens-Tochter „KWU“ – das läßt sich heute nicht mehr eindeutig rekonstruieren – die Betriebsdauer des Nuklear-<br />

Strom-Produzenten ausgelegt. Ebenso wie bei der Einweihung die breiten Proteste aus der Bevölkerung ausgeblieben waren,<br />

kommen auch heute nur 1.200 bis 1.500 DemonstrantInnen.<br />

☛ Fortsetzung Seite 2<br />

Sie lesen<br />

Kritik unerwünscht<br />

Pressefreiheit heißt doch wohl in<br />

erster Linie das Recht, Kritik üben<br />

zu dürfen: eine Erlaubnis, erteilt von<br />

Obrigkeits Gnaden. Schreibendes Lob<br />

<strong>für</strong> die Regierenden, Luisenhofberichterstattung,Dienstfertigkeitsjournalismus,<br />

Partei-Freundlichkeit und Ausgewogenheit<br />

hat noch niemand verbieten<br />

oder gar unter Strafe stellen wollen.<br />

Solange über Zeitungen Meinungen und<br />

Kritik verbreitet werden, solange gibt es<br />

allerdings auch Obrigkeiten, die eben<br />

solches unterbinden, verhindern, bestrafen<br />

wollen – dieser Fall ist gerade der<br />

„Zeitung <strong>für</strong> Darmstadt“ widerfahren.<br />

Noch in diesem Jahrhundert steckte man<br />

unliebsame Schreiberlinge kurzerhand<br />

ins Gefängnis; heute geht das nicht,<br />

davor stehen Grund- und Pressegesetze.<br />

Dennoch gibt es auch heute Methoden,<br />

unliebsame Kritiker abzuwürgen, das<br />

geschieht nur humanitärer, verdeckt:<br />

Über Strafbefehle, über endlose<br />

Gerichtsverfahren. Damals wie heute ist<br />

das Ziel das gleiche, die Kritiker abzuschaffen.<br />

Vor einem Jahr hatte die ZD über den<br />

Immobilien-Filz Darmstädter Politiker<br />

berichtet. Seit der Zeit folgt eine Verhandlung<br />

nach der anderen, eine staatsanwaltschaftliche<br />

Ermittlung nach der<br />

anderen – doch übrig bleibt heute ein<br />

Strafbefehl gegen die Berichterstatter,<br />

nicht gegen die Täter. Der Staatsanwaltschaft<br />

lagen schriftliche Belege <strong>für</strong> die<br />

Bereicherung vor – zwar hat sie „ermittelt“,<br />

aber nicht untersucht, stellte das<br />

Verfahren gegen die abkassierenden<br />

Herren ein und klagt nun die Presse an,<br />

die ans Tageslicht bringt, was an miesen<br />

Geschäften unter dem Deckmantel Politik<br />

in die eigene Tasche gewirtschaftet<br />

wird – zu Lasten der Allgemeinheit. Der<br />

Ausrufer wird Opfer der Justiz, der<br />

Täter geht frei aus. Das ist nichts Neues<br />

in den deutsch-bürgerlichen Republiken<br />

seit ihrer Gründung: Schon einmal in<br />

den Jahren 1933 bis 1945 erlebte das<br />

dritte Reich (nach der Verfassung auch<br />

eine Republik), wie kritische Presse<br />

zum Schweigen gebracht worden ist.<br />

Hat denn in dieser Demokratie niemand<br />

etwas dazugelernt?<br />

Eigentlich sollte man meinen, gerade<br />

die Juristen als Hüter eines der wesentlichen<br />

bürgerlichen Rechte, der Pressefreiheit<br />

(neben der Demokratie), müßten<br />

ein wachsames Auge darauf haben.<br />

Doch auch im heutigen Darmstadt ist<br />

dem nicht so. Nicht nur, daß die Staatsanwaltschaft<br />

gegenüber der Presse auf<br />

Anfragen erklärt, sie sei zur Auskunft<br />

nicht verpflichtet. Informationen werden<br />

immer gerade dorthin vergeben, wo<br />

Einzelpreis 5,50 DM<br />

Postfach 10 11 01, 64211 Darmstadt, Telefon 0 6151/71 98 96<br />

offen<br />

bissig<br />

kritisch<br />

unabhängig<br />

überparteilich<br />

D 11485 D<br />

Paradebeispiel <strong>für</strong> Zensur<br />

Staatsanwaltschaft verhängt Strafbefehl<br />

wg Beleidigung – auf Bewährung<br />

Ist<br />

es eine Beleidigung, jemandem<br />

vorzuhalten, daß er vom Parlamentarischen<br />

nichts hält? Ist es eine<br />

Beleidigung, jemandem vorzuhalten,<br />

daß er <strong>für</strong> seine Partei im richtigen<br />

Moment den Arm streckt? Ist es eine<br />

Beleidigung, jemandem vorzuhalten,<br />

daß ihn Gesetze nur interessieren, wo er<br />

sie zu seinen Zwecken nutzen kann?<br />

Und ist es eine Beleidigung, wenn dies<br />

nicht eine bestimmte Person betrifft,<br />

sondern Politiker im allgemeinen? Die<br />

Staatsanwaltschaft Darmstadt meint: Ja!<br />

„Die Staatsanwaltschaft Darmstadt<br />

klagt Sie an, in Darmstadt am 28.5.93<br />

einen anderen beleidigt zu haben.“ Als<br />

„Strafbefehl“ (auf Zahlung von 20<br />

Tagessätzen zu je 40 Mark) kennzeich<strong>net</strong><br />

die Staatsanwaltschaft ihre Anschuldigung.<br />

Der Herausgeber der ZD war<br />

zunächst erstaunt, hatte er doch zuvor<br />

nie solch ein Schreiben erhalten, erkundigte<br />

sich und erhielt zur Auskunft, daß<br />

beim Verhängen geringfügiger Strafen,<br />

ein Strafbefehl Regel sei, und daß auf<br />

Widerspruch hin ein Verhandlungstermin<br />

angesetzt werde.<br />

Der Beleidigte heiße Volker Schmidt<br />

und dieser sei beleidigt worden durch<br />

den Satz: „Da dieser sichtbar wohlhabende<br />

Mann vom Parlamentarischen<br />

nicht mehr hält, als im <strong>für</strong> die Partei<br />

richtigen Moment den Arm zu strecken<br />

oder unten zu lassen, interessieren ihn<br />

auch die Gesetze wohl nur soweit, wo er<br />

sie entweder direkt oder indirekt zu seinen<br />

Zwecken nutzen kann.“ So zitiert<br />

der Staatsanwalt unvollständig, denn der<br />

Satz der Ausgabe 49 der ZD geht weiter<br />

„– doch über seine Motive können wir<br />

nur spekulieren, das hat mit Tatsachen<br />

denn weniger zu tun.“<br />

Was dem Staatsanwalt ganz und gar entgangen<br />

ist, in demselben Artikel steht zu<br />

lesen: „Der Name? Spielt keine Rolle, er<br />

hat viele Namen.“<br />

Wer des Lesens kundig und des Abstrahierens<br />

fähig ist, dem kann kaum entgehen,<br />

daß in dem Kommentar versucht<br />

worden ist, ein Bild von vorteilnehmenden<br />

Politikern im allgemeinen, nicht<br />

bezogen auf eine Einzelperson, zu<br />

zeichnen. Der Staatsanwalt wird wohl<br />

kaum glauben, daß wir ihm abnehmen,<br />

er habe diesen Zusammenhang nicht<br />

erkannt. Was hat ihn dann zu dem Strafbefehl<br />

gebracht? Sollten nicht das<br />

Gesetz, bzw. geltendes Recht Pate bei<br />

dem Strafbefehl gestanden haben, sondern<br />

die Interessen einer unsäglich breit<br />

verfilzten SPD-Landschaft?<br />

Auch in Bezug auf das Gesetz wird der<br />

Staatsanwalt kaum mit Nicht-Verstanden-Haben<br />

argumentieren wollen. Im<br />

Grundgesetz, Artikel 5, heißt es unter<br />

dem „Recht der freien Meinungsäußerung“:<br />

„Jeder hat das Recht, seine Meinung<br />

in Wort … frei zu äußern und zu<br />

verbreiten … Eine Zensur findet nicht<br />

statt.“ Noch weiter geht das Hessische<br />

Pressegesetz: § 1 „Freiheit der Presse“:<br />

„Jedermann steht es frei, durch die Presse<br />

jede Ansicht zu äußern, zu verbreiten<br />

oder zu verteidigen“.<br />

In Sachen Filz und Vorteilnahmen war<br />

Darmstadts Staatsanwaltschaft stattdessen<br />

so politikerfreundlich, zwar Ermittlungen<br />

gegen Volker Schmidt einzuleiten,<br />

aber erst gar nicht untersuchend<br />

tätig zu werden (ZD Ausgabe 67), sie<br />

stellte die Ermittlungen wieder ein, einzig<br />

sich darauf verlassend, daß ein paar<br />

(möglicherweise falsche) Auskünfte<br />

von Behörden Untersuchungen überflüssig<br />

machen könnten.<br />

Ein Paradebeispiel <strong>für</strong> Zensur stellt der<br />

dem Strafbefehl beiliegende „Beschluß“<br />

dar: „Die Bewährungzeit beträgt ein<br />

Jahr“. Soll sich der Berichterstatter<br />

bewähren, indem er nicht mehr schreibt<br />

und publiziert? Gründlicher kann Zensur<br />

wohl kaum ausgeübt werden.<br />

Zusätzlich ist gleich noch eine Geldbuße<br />

auferlegt „in Höhe von 300 Mark“.<br />

Sollte der Richter (unterzeich<strong>net</strong> ist der<br />

Beschluß nicht) im Ernst meinen, <strong>für</strong><br />

schreibende und publizierende Tätigkeit<br />

sei eine Buße zu leisten? sb<br />

„Wie habe ich mich … bemüht, etwas zu finden,<br />

das lächerlicher wäre als die deutsche Zensur!<br />

Aber ich habe vergebens gesucht.“ Ludwig Börne<br />

es der Behörde opportun erscheint – ihre<br />

Auskunftsverteilereien verstoßen gegen<br />

Gesetz. In der Praxis gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

der Presse schlicht<br />

nichts: so etwa bekam der „Spiegel“<br />

Erlaubnis, die Angeklagten im Giftgasprozeß<br />

abzulichten – anderen Zeitungen<br />

wurde dies nicht genehmigt. Generell,<br />

auch aus anderem rechtlichem Grund,<br />

ist solches unzulässig.<br />

Gegen verfilzte Politiker erhebt Darmstadts<br />

Staatsanwaltschaft selbst bei<br />

Nachweis und Vorlage exakter Unterlagen<br />

keine Anklage. Ob es mal um einen<br />

Oberbürgermeister (Metzger) geht,<br />

gegen den wegen Verstoßes gegen<br />

Umweltschutz hätte verhandelt werden<br />

müssen, oder auch nur um „Stadtverord<strong>net</strong>e“<br />

– alles ist rechtens, richtig und vor<br />

Strafverfolgung geschützt.<br />

Was taugt der Rechtsstaat, wenn er nicht<br />

<strong>für</strong> die Einhaltung eigener Gesetze,<br />

eigenen Rechtes sorgt? Aufgabe der<br />

Staatsanwälte. Was, wenn sie versagen?<br />

Mit dem Rechtsstaat, der freiheitlich<br />

demokratischen Grundordnung geht es<br />

blitzschnell bergab, wird versucht, eines<br />

ihrer wesentlichen Grundrechte, das der<br />

freien Meinungsäußerung auf dem<br />

Wege der Gerichtsbarkeit zu knebeln,<br />

zu disziplinieren. Und: Wie weit reichen<br />

eigentlich die Arme der Parteien und<br />

ihrer Begünstigten?<br />

Zu denken gibt ein Brief an den Herausgeber:<br />

Ein Leser meinte, hier gehe doch<br />

alles mit rechten Dingen zu, wenn<br />

Anklage erhoben wird, dann folge dies<br />

dem Gesetz – wollen wir alle mit ihm<br />

FILZ<br />

hoffen, daß dem wieder so wird – heute<br />

kann davon keine Rede sein. Seit<br />

Erscheinen boykottiert die Stadt Darmstadt<br />

die ZD, schaltete keine einzige<br />

Anzeige (auch wenn Oberbürgermeister<br />

Benz dies nach der Wahl zugesagt hat),<br />

und fördert ungeniert „fremden Wettbewerb“<br />

wie das die Juristen nennen,<br />

sprich das „Darmstädter Echo“. Und<br />

dennoch findet sich in dieser Stadt seit<br />

mehr als drei Jahren kein Rechtsanwalt,<br />

der die Stadt verklagen wollte oder zu<br />

können meint …<br />

Stattdessen fühlen sich Staatsanwälte<br />

berufen, Strafbefehle verschicken zu<br />

lassen.<br />

Bonmot am Rande: Andere Juristen<br />

haben in derselben Angelegenheit gegen<br />

die ZD längst die Argumente gegen<br />

ihren Kollegen Staatsanwalt geliefert<br />

und entgegengesetzt entschieden – Kläger<br />

Schmidt hat in erster Privatklage-<br />

Instanz verloren. Nicht, daß er sich mit<br />

dem Urteil begnügte, nein, es geht um<br />

anderes als die Rehabilitierung eines<br />

angeblich Beleidigten, eines ehrbaren<br />

Politikers, es geht um den finanziellen<br />

Ruin einer unbequemen Zeitung. Mit<br />

hohen Streitwerten und Anwaltskosten<br />

wird versucht, das zu erreichen, was mit<br />

dem Boykott nicht zu schaffen ist: Endlich<br />

die Zeitung <strong>für</strong> Darmstadt abzuschaffen.<br />

Damit es in Darmstadt wieder<br />

ein Echo gibt, das weiß, wann und worüber<br />

es nach Wunsch seiner Gönner im<br />

Luisenhof zu schweigen hat.<br />

Gute Nacht Darmstadt.<br />

Der Herausgeber


☛ Fortsetzung von Seite 1 Über das Glück,<br />

Beziehungen<br />

zu haben<br />

AKW Biblis: TÜV …<br />

Das AKW Biblis war immer in der Vergangenheit<br />

von den großen Protesten<br />

gegen die Atomkraft verschont geblieben.<br />

Im Vergleich zum massiven Widerstand<br />

von Bauern und Bevölkerung<br />

gegen das AKW im badischen Wyhl,<br />

gegen das hamburgische Brokdorf oder<br />

das niedersächsische Grohnde, gegen das<br />

geplante Endlager in Gorleben, auch<br />

Wackersdorf sei nicht vergessen – Biblis<br />

war und blieb eine Oase friedlicher Proteste.<br />

Niemand versuchte, den Betonzaun<br />

einzureißen und das Gelände zu besetzen<br />

– der international als Renommier-Meiler<br />

dienende Gigant war kein Mal Ziel breiten<br />

Atomkraftwiderstandes, damals so<br />

wenig wie heute.<br />

Die Demonstrations-Redner am 30.4. tragen<br />

nur mehr bekannte Details wie<br />

Impressum<br />

Verleger und Herausgeber:<br />

Michael Grimm<br />

Unser Team :<br />

Uta Schmitt<br />

Eva Bredow<br />

Sanne Borghia<br />

Nicole Schneider<br />

Peter J. Hoffmann<br />

Rudolf Gold<br />

Ludwig v. Sinnen<br />

und freie AutorInnen<br />

Anzeigen:<br />

verantwortlich<br />

Heiner Schäfer<br />

Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 5<br />

Postanschrift:<br />

Zeitung <strong>für</strong> Darmstadt<br />

Postfach 10 11 01, 64211 Darmstadt<br />

Telefon 06151/719896<br />

Telefax 06151/719897<br />

Bankverbindungen:<br />

Volksbank Darmstadt<br />

BLZ 508 900 00, Konto 14 111301<br />

Spendenkonto:<br />

Postgiroamt Frankfurt<br />

BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601<br />

Druck:<br />

Caro Druck<br />

Kasseler Straße 1a, 60486 Frankfurt<br />

Durchschnittliche Auflage:<br />

10.000<br />

Abonnement:<br />

jährlich DM 90,00 incl. 7% MWSt.<br />

Nachdruck und Vervielfältigungen sind nur mit<br />

Genehmigung des Verlages gestattet.<br />

Für namentlich gekennzeich<strong>net</strong>e Artikel oder<br />

Presseberichte von Parteien, Verbänden und<br />

Vereinen übernehmen die jeweiligen AutorInnen<br />

die presserechtliche Verantwortung. Sie sind kein<br />

Spiegel <strong>für</strong> die Meinung der Redaktion.<br />

Personenbezogene Daten werden<br />

elektronisch gespeichert, ausschließlich intern<br />

<strong>für</strong> die Verwaltung eingesetzt und nach Ende<br />

des Zeitungsbezugs umgehend gelöscht.<br />

InformantInnen bleiben gemäß gesetzlicher<br />

Grundlage auf Wunsch anonym.<br />

Text und Bild sind mit „QuarkXPress“<br />

auf Apple Macintosh gesetzt und unter Omnis 5 -<br />

Verlagverwaltung organisiert.<br />

Redaktionsschluß<br />

<strong>für</strong> die nächste Ausgabe: 21.5.94<br />

Katastrophenpläne, und techno-politisch<br />

aktuelle Themen vor – allen fehlt das<br />

Überzeugende, das Mitreißende. Die<br />

wenigen konzentriert lauschenden ZuhörerInnen<br />

erfahren nichts Neues, auch keinen<br />

Einblick in die Geschichte des AKW<br />

– mühsam zusammmengetragene und<br />

formulierte Sonntagsreden, deren einziger<br />

Pep in der beklatschten Forderung<br />

nach „Stillegung“ – jeweils als endender<br />

Höhepunkt gedacht – die DemonstrantInnen<br />

zu müdem Beifall anspornt.<br />

Was ist es, das diesen Atommeiler so sehr<br />

dem Blick entschiedener Gegner bis heute<br />

entzogen hat?<br />

Zwischen 1974 und dem Heute liegt<br />

Tschernobyl, der so häufig beschworene<br />

und be<strong>für</strong>chtete Super-GAU (Größt<br />

anzunehmender Unfall). Obwohl in der –<br />

vergleichshalber zum Rhein-Main-<br />

Gebiet – dünn besiedelten Ukraine bis<br />

heute 8.000 Strahlentote (nach offiziellen<br />

Angaben) zu beklagen sind und über<br />

Mißgeburten ebenso wie über ungezählte<br />

Strahlenkranke immer wieder informiert<br />

wird, in Biblis ist alles ruhig. Die Auswirkungen<br />

der Tschernobyl-Katastrophe<br />

sind bis zu uns (in Form radioaktiven<br />

Niederschlags, kontaminierter Pilze und<br />

vieler nicht benannter Belastungen) vorgedrungen,<br />

dennoch finden sich bei der<br />

Demonstration am 30.4.94 nurmehr<br />

Initiativen aus der näheren Umgebung<br />

des AKW, vor allem DarmstädterInnen,<br />

ein. Für Frankfurter beispielsweise<br />

scheint Biblis ebenso weit weg wie die<br />

Ukraine. Dabei wären auch sie von einem<br />

GAU in Biblis betroffen.<br />

Sogar die Landesregierung hat bereits<br />

eingesehen: Es handelt sich beim Atomkraftwerk<br />

Biblis um veraltete Technologie,<br />

die neben Sicherheitsmängeln heutiger<br />

Anforderungen zusätzliche Materialschwächen<br />

und Konstruktionsmängel<br />

aufweist. Doch die Hunderttausende<br />

Menschen, die im Einzugsgebiet leben,<br />

bleiben gleichgültig. Obwohl die Auflagen<br />

(siehe ZD-Ausgabe 68) der Technischen<br />

Überwachungsvereine nicht erfüllt<br />

worden sind, läßt die Betreiberin „RWE“<br />

ihre Schrottmeiler unverändert weiter<br />

produzieren – mit Rückendeckung aus<br />

Bonn – und mit indirekter Unterstützung<br />

einer schweigenden Bevölkerung. Dabei<br />

steigt das Betriebs-Risiko des Schrottmeilers<br />

Block A mit jedem weiteren Produktionstag,<br />

die Pannen häufen sich. Wer<br />

würde sich schon mit einem alten Auto,<br />

bei dem die Bremsleitungen brüchig sind,<br />

auf die Straße wagen?<br />

Das Informationszentrum des AKW war<br />

am 30.4. geschlossen, zu sehr hätten sich<br />

die Technokraten mit ihren Fortschrittsbildchen<br />

blamiert. Da<strong>für</strong> setzt die<br />

„RWE“ auf die „Standort“-Debatte<br />

(Erhaltung der Arbeitsplätze), wie auf<br />

einem Transparent über dem Haupteingang<br />

ersichtlich war.<br />

Das Schrott-Auto ohne TÜV-Plakette<br />

kommt übrigens in die Schredderanlage<br />

und wird recycelt, der Schrottmeiler Biblis<br />

paßt in keine Schredder, heute weiß<br />

noch niemand, was mit dem ausgedienten<br />

radioaktiven Müll passieren soll. Er wird<br />

in der Landschaft stehen bleiben, gleich<br />

ob heute oder morgen. Wenn er durchbrennt?<br />

Dann wird nach Beispiel Tschernobyl<br />

noch mehr Beton in die Landschaft<br />

gegossen. Lassen Sie mal Ihr Schrottauto<br />

einfach stehen… mg<br />

Sozialwohnungen<br />

Michaelisstraße:<br />

Bauverein macht<br />

Vetterleswirtschaft<br />

Seit dem 17. April werden die Neubauten<br />

des Bauvereins in der Michaelisstraße<br />

bezogen. Doch, wer zieht da ein?<br />

Das Wohnungsamt der Stadt, dessen<br />

Leiter Rüdiger Bienstadt ist, soll <strong>für</strong> die<br />

Wohnungsvergabe zuständig gewesen<br />

sein – doch nicht die ehemaligen Mieter,<br />

die dort teils über 20 Jahre wohnenden<br />

Türken und Spanier bekamen die Wohnungen.<br />

Bienstadt hatte andere Ziele: Er<br />

vergab die Wohnungen an Aussiedler<br />

und andere, die auf städtische Kosten in<br />

Hotels untergebracht waren. Dagegen<br />

wäre nichts einzuwenden, denn die irrwitzig<br />

hohen Millionenbeträge, die an<br />

Steuergeldern <strong>für</strong> diese Leute jährlich<br />

verausgabt werden mußten und müssen,<br />

sollen und müssen eingespart werden.<br />

Mußte das aber unbedingt auf Kosten<br />

der ehemaligen Mieter der Michaelisstraße<br />

gehen? Ihr Viertel ist – wie Kritiker<br />

zu Recht von Anfang an be<strong>für</strong>chteten<br />

– zerstört worden. Schlimmer noch:<br />

Jetzt sitzen sie auf der Straße.<br />

Unter den neuen Mietern der Sozialwohnungen<br />

findet sich am Klingelschild<br />

unübersehbar beispielsweise auch ein<br />

Peter Dannenberg (siehe Foto). Wer das<br />

ist? Der Wirt der „Bessunger Turnhalle“.<br />

Wie kommt so jemand an einen Bindungsschein<br />

<strong>für</strong> eine Sozialwohnung?<br />

Da der Bauverein die Frage ebensowenig<br />

beantworten mag, wie der Liegenschaftsdezernent,<br />

respektive dessen<br />

Hinter-<br />

Wäldlereien<br />

Eintrittsgeld <strong>für</strong> den Wald – das ist<br />

keine Zeitungsente – Eintrittsgeld<br />

<strong>für</strong> den Wald will der Forstausschuß<br />

einer Interessengemeinschaft<br />

„Deutscher Kommunalwald“ ernsthaft<br />

erheben lassen. Frau/man stelle sich das<br />

so vor: Der vollständig eingezäunte<br />

Wald hat nur noch wenige Eintritts-<br />

Schneisen (nach Vorbild des Kranichsteiner<br />

Versuchsforsts), an denen künftig<br />

ein neuer Beamtenberuf Arbeitsplätze<br />

findet: Der Wald-Eintritts-Berechtigungs-Kontrolleur-Kassierer.<br />

Neben den neuen Arbeitsplätzen besitzt<br />

dieser Vorschlag bestechende Pluspunkte:<br />

WaldspaziergängerInnen würden<br />

endlich den Wert ihres sonntäglichen<br />

Ausfluges ins Grüne erkennen und markwert-schätzen<br />

lernen. Sie wüßten, wer<br />

das Abtransportieren des Holzes, das<br />

ordentliche Bekiesen der Wege, das Kalken<br />

der Waldböden, die Aufforstung, das<br />

Fällen der Bäume und die teuren Pestizide<br />

gegen lästiges Ungeziefer – wie Spinnen,<br />

Schlangen, Mäuse, Mai- und Borkenkäfer,<br />

Schmetterlinge, Rehe (noch<br />

wird das per Schußwaffe reguliert) –,<br />

bezahlt. Nämlich sie selbst. Weiterer<br />

Vorteil: Die Städte hätten wieder mehr<br />

Geld, um Beamte <strong>für</strong> die Bewirtschaftung<br />

der künftigen Kahlflächen einzustellen.<br />

Apropos Zäune: Es wird nicht<br />

allzu aufwendig werden, die paar Bäume<br />

der Zukunft zu kasernieren, wäre zudem<br />

nicht allzu teuer, im Wald liegt genug<br />

Baumaterial rum.<br />

Ein weiterer neuer Waldberuf ist im<br />

Kommen, ein derzeit aktuelles Beispiel:<br />

Das Beackern, das Pflügen der Waldböden.<br />

Je weiter der Wald fällt, desto mehr<br />

Wald-Bauern werden erforderlich, die<br />

da<strong>für</strong> zu sorgen haben, daß der Boden<br />

beispielsweise zur Schädlingsbekämpfung<br />

(durch Untermischen von Lindan)<br />

gepflügt wird. Was wären wir doch <strong>für</strong><br />

eine Kultur, die kulturelle Eingriffe<br />

unterläßt und sei es nur alle vier Jahre,<br />

um der wiederkehrenden „Jahrhundert-<br />

Plage“ der Maikäfer menschlich begrenzende<br />

Macht entgegenzusetzen – so<br />

geschehen im Westwald, Eschollbrückerstraße<br />

(Frühjahr 1994).<br />

Welch immense Arbeit der Wald heute<br />

erfordert, hat sogar unser derzeitiger<br />

darmstädtischer „Forstdezernent“ Heino<br />

Swyter (FDP) erkannt. Unser ehemaliger<br />

Umweltdezernent (unter Metzger) ist<br />

Amtsleiter Bienstadt, bleibt nur der<br />

plausible Rückschluß aus dem folgenden<br />

Zusammenhang. Die „Bessunger<br />

Turnhalle“ hat Heinz Reinhard (gerade<br />

erst pensionierter Chef des Bauvereins)<br />

an Dannenberg vermietet und auch …<br />

Den ehemaligen MieterInnen der Michaelisstraße<br />

aber war gesagt worden, nur<br />

wer über einen Bindungsschein verfügt,<br />

bekommt auch eine Wohnung – entgegen<br />

allen früheren Versprechen und<br />

Zusicherungen. Sie fühlen sich berech-<br />

heute spezialisiert auf das Ersinnen neuer<br />

Methoden: War nach einer Pressemeldung<br />

seines Hause nach dem Sturm<br />

„Wiebke“ im Jahr 1990 die „naturgemäße<br />

Waldbewirtschaftung“ angesagt,<br />

so ist es derzeit der „Sanierungswaldbau“<br />

– unser Vorschlag <strong>für</strong> die<br />

nächste Stufe in zwei oder drei Jahren:<br />

„Recyclingwaldbau“. Swyter weiß auch<br />

sehr deutlich – wie der eingangs zitierte<br />

Forstausschuß – auf die Mark hinzuweisen.<br />

„Eine wirkungsvolle Umsetzung der<br />

städtischen Beschlüsse zu waldbaulichen<br />

Maßnahmen ist auch abhängig von den<br />

zur Verfügung stehenden Geldmitteln.“<br />

Die sind wichtig, gerade zur Zeit, denn<br />

alle Waldbürokraten sind sich einig: Die<br />

asiatische Schwammspinnerraupe (ein<br />

gefräßiger Schmetterling) muß chemisch<br />

mit Dimilin – oder alternativ mit Btk (in<br />

Darmstadt) – bekämpft werden. Die<br />

Katastrophenmeldungen der Waldbeamten<br />

sind so regelmäßig wie die Berichte<br />

über das Sterben des Waldes. 1990<br />

waren es die Maikäfer, die vom Hubschrauber<br />

aus mit Gift beseitigt werden<br />

sollten – es wurde verhindert, die Bäume<br />

stehen noch heute. Heute sind es die<br />

Schwammspinner. Und morgen?<br />

„Zu ihrer eigenen Sicherheit – wegen<br />

möglicherweise durch Luftturbulenzen<br />

herabfallende trockene Äste – muß dieser<br />

Waldteil kurzfristig gesperrt werden“,<br />

lautet der O-Ton eines forstamtlichen<br />

Warnblattes. Informiert vom Hubschrauber-Gift-Einsatz<br />

waren wieder<br />

einmal nur die ohnehin ja-schreibenden<br />

Blätter unseres Zeitungswaldes, Kritik<br />

unerwünscht.<br />

„Bacillus Thuringiensis“ (Btk) soll die<br />

angeblich so massenhaft auftretenden,<br />

behaarten Raupen durch ihre Gefräßigkeit<br />

überlisten: Nicht nur sie fressen den<br />

Bazillus mit und ihr Darm bzw. die Raupe<br />

soll das nicht überleben. Der Verkäufer,<br />

die Chemiefirma „AgrEvo“ ist selbst<br />

davon nicht überzeugt (verkauft aber<br />

dennoch des lieben Geldes wegen). „Das<br />

war aber leider nix“, trockener Kommentar<br />

des Chefbiologen von „AgrEvo“ laut<br />

„FR“ über die Btk-Sprühaktionen 1993.<br />

So es denn nix war, können wir hoffen<br />

auf das Überleben der vielen Arten –<br />

zwar wollen das angeblich die Waldhüter,<br />

-schützer und Forstdezernenten auch<br />

– aber sie spielen dennoch mit nicht<br />

abwägbarem Risiko. Plausibel scheint da<br />

Ausgabe 69 13.5.1994 · Seite 2<br />

tigt hereingelegt. Ohne Benachrichtigung<br />

hatte das Wohnungsamt einfach<br />

einen Termin (18.4.94) festgesetzt, bis<br />

zu dem sich die Mieter <strong>für</strong> die neuen<br />

Wohnungen hätten bewerben sollen. Da<br />

sich die ehemaligen Anwohner auf die<br />

Politiker-Versprechen verlassen hatten,<br />

ziehen sie jetzt die Kürzeren – vor allem<br />

jene, die sich mit ihren Problemen zu<br />

weit an die Öffentlichkeit gewagt hatten.<br />

Bienstadt soll in diesem Sinne über<br />

ein besonderes Gespür <strong>für</strong> strafende<br />

Gerechtigkeit verfügen, wissen mehrere<br />

städtische Angestellte zu berichten (aus<br />

Angst vor Folgen ohne Namen).<br />

Aus der Forderung von WaldkolonistInnen,<br />

bei dem Bau der Wohnungen auch<br />

<strong>für</strong> kleine Geschäfte, beispielsweise<br />

Lebensmittel, zu sorgen, ist nichts<br />

geworden, mit einer Ausnahme: Die<br />

Sozialhilfeempfänger bedürfen offensichtlich<br />

dringendst einer Bank. Die<br />

Stadt- und Kreissparkasse hat deshalb<br />

gleich eine Filiale in den Sozialwohnungsbauten<br />

einrichten lassen. Ob das<br />

Finanzhaus auch über einen Bindungsschein<br />

verfügt – die Frage erübrigt sich,<br />

immerhin sind Banker seriös und zahlungskräftig.<br />

Brauchbar ist die Filiale<br />

<strong>für</strong> die Anwohner ganz sicher: Nur Geld<br />

macht heutzutage glücklich.<br />

Übrigens ist das Viertel nach Abschluß<br />

der Bauarbeiten sauber, ordentlich und<br />

die lauten Feste und die Herumlungerei<br />

auf dem ehemaligen Spielplatz haben<br />

endlich ein Ende. Demnächst werden<br />

die alten Pferdeställe (heute zum Teil<br />

noch bewohnt) weiteren Neubauten<br />

weichen dürfen, noch verschandeln sie<br />

die soziale Kleinbürgeridylle, fügen sich<br />

so gar nicht harmonisch ein in die 20.<br />

Jahrhundert-Schöner-Wohnen-Landschaft.<br />

Und die Bewohner? Ihnen wird<br />

wieder versprochen werden, sie bekommen<br />

eine Neubau-Wohnung (dann ist<br />

übrigens auch ihr Garten weg) und<br />

irgendwann gibt es wieder einen<br />

behördlich festgesetzen Termin und …<br />

Sanne Borghia<br />

• Eintrittsgebühr <strong>für</strong> den Wald<br />

• Gift gegen Raupen<br />

• Geld <strong>für</strong> Müll<br />

eher das von „Greenpeace“-Vertreterin<br />

Doris Rüger publizierte Argument: „Das<br />

Ziel des Artenreichtums durch Gift erreichen<br />

zu wollen, ist unverantwortlich“.<br />

Naivität kann ihr nicht unterstellt werden,<br />

hält sie es doch eher damit, daß<br />

„auch mit dem massivsten Einsatz nie<br />

alle Exemplare eines ,Schädlings‘ vernichtet<br />

werden und sich die Verantwortlichen<br />

ein Schwammspinnerdauerproblem<br />

einhandeln.“<br />

Wer’s da mit den Selbstregulierungskräften<br />

einer geschwächten Natur hält<br />

oder nicht – seit dem Waldsterben werden<br />

wir mit Gifteinsätzen konfrontiert. In<br />

Zukunft wird das noch mehr vorkommen,<br />

denn die Bäume sind nicht mehr<br />

widerstandsfähig und alles, was an Bäumen<br />

nagt, wird im Interesse des Baumschutzes<br />

zum Schädling: vom Reh über<br />

die Raupe und den Borkenkäfer, den<br />

Maikäfer bis hin zum Schmetterling –<br />

mit einer Ausnahme, wir. Das Auto ist<br />

tabu, wann wird das erste Gift gegen das<br />

Automobil und seine Fahrer eingesetzt?<br />

Nie! Also wird der Wald weiter sterben –<br />

ob schneller oder langsamer durch die<br />

Chemie-Keulen spielt kaum eine Rolle,<br />

denn aufzuhalten ist das Fallen der Bäume<br />

nicht.<br />

Wieviel uns der Wald wert ist? Danach<br />

werden wir doch nicht gefragt. Politiker<br />

entscheiden je nach Interessen (persönlichen<br />

oder parteilichen) und verkaufen<br />

ihren Wald. Für lächerliche 2,4 Millionen<br />

Mark will Groß-Zimmerns Parlament<br />

den gemeindeeigenen Wald vergessen.<br />

Eine Abfalldeponie soll dorthin.<br />

Statt auf mögliche und längst überfällige<br />

Müllsortierung und -vermeidung zu setzen,<br />

füllen die Herren das Stadtsäckel<br />

lieber mit Geld – was soll’s, der Wald<br />

fällt ohnehin. Oder sollten sie das gar<br />

nicht in Erwägung gezogen haben?<br />

Sicher ist: Solange der Wald noch steht,<br />

sieht niemand den Müllberg hinter dem<br />

Grün. Was weg ist, ist weg – aus kommunaler<br />

Sicht: ist da<strong>für</strong> noch Geld zu<br />

kriegen, dann ist, was weg ist, sogar noch<br />

einträglich und wen stört es schon, wenn<br />

irgendwann einmal wieder sichtbar ist,<br />

was heute weg und gut bezahlt ist? 2,4<br />

Millionen will die rot-grüne Landkreis-<br />

Regierung <strong>für</strong> das Stück Wald zahlen,<br />

die Gemeinde will einsacken, Einigkeit.<br />

Die einzige Lüge darin: Grün.<br />

M. Grimm


Abbruch am Sonntag<br />

Denkmalschänderisches bei der Bahn<br />

Mit dem Fortschritt haben es in Darmstadt<br />

(fast) alle PolitikerInnen. Dem<br />

Fortschritt sind aber auch andere verpflichtet,<br />

so die Bundesbahn. Sie kann<br />

offensichtlich nichts anfangen mit dem<br />

alten Gelersch, das seiner Funktion entledigt<br />

war, in starrendem Dreck und<br />

angegammeltem Zustand eher abstossend<br />

war. Mal war es ein Wasserturm,<br />

mal ein alter Bahnhof, heute ist es ein<br />

alter Poststeg.<br />

Obwohl Stimmen in der Öffentlichkeit<br />

laut geworden waren und einzelne Interessenten<br />

Nutzungskonzepte parat hatten<br />

– die Post wollte von dem Steg nichts<br />

mehr wissen. In einer <strong>für</strong> die Bahn ungewohnt<br />

schnellen Nacht- und Nebelaktion<br />

setzte sie mit einem Teilabbruch kurzerhand<br />

Fakten. Kaum war die Genehmigung<br />

vom Regierungspräsidenten <strong>für</strong><br />

den Abriß auf den Schreibtischen der<br />

Bahnokraten gelandet, erteilten sie der<br />

Nation Europa?<br />

Über den Begriff der „Nation“ wollte<br />

ein hochkarätiges (schwesterstädtisches)<br />

Podiumspublikum am 5.5. im<br />

Luisencenter auf Einladung der Stadt<br />

Darmstadt diskutieren. Die französischen<br />

Politiker und die deutschen Vertreter<br />

aber fanden nicht das Thema. So<br />

wand sich die Diskussion, schlängelte<br />

sich um peinliche Vorurteile bis hin zu<br />

persönlichen Erlebnissen und mündete<br />

schließlich in einen Streit, um die Frage<br />

über die Zahlen des bundesdeutschen<br />

Bruttosozialproduktes: Ist es ein Resultat<br />

der Staatengemeinschaft Europas<br />

oder nicht? Der eine hatte Zahlen, der<br />

andere hatte Zahlen – wie immer ging’s<br />

um die Wirtschaft, ums Geld, um die<br />

Mark, die alles beherrschende. Und<br />

Europa?<br />

Wird es nun eine Föderationsgemeinschaft<br />

selbständiger Nationalstaaten?<br />

Oder geben die Nationen ihre Eigenständigkeit<br />

auf? Was ist französischer<br />

Nationalismus? Und was deutscher? –<br />

nur mehr Allgemeinplätze. Sicher ist: In<br />

dieser Diskussionsrunde fehlte es an der<br />

Geschichte (deutsch-französische Erbfeindschaft)<br />

ebenso wie an fundiert vorbereiteter<br />

Sachkenntnis. Den rund 60<br />

ZuhörerInnen wurde ein peinliches<br />

Spektakel der Unbedarftheiten geboten,<br />

weshalb wir auf einen ausführlichen<br />

Bericht verzichten. sb<br />

☛ Fortsetzung von Seite 1<br />

Dieses Behördenpapier bestätigt, daß es<br />

sich um Einzel-Wohnungen handelt –<br />

die Verwaltung Röschs verteilte sie freizügig.<br />

Gleich welcher Spekulant, welche<br />

schnellen Geldgeschichten verfolgt,<br />

gleich, ob städtische Satzungen andere<br />

politische Ziele setzen (Erhaltung preiswerten<br />

Mietwohnraumes), sogar als die<br />

Rechtsprechung eine Verweigerung der<br />

<strong>für</strong> <strong>Spekulanten</strong> wichtigen Abgeschlossenheitserklärung<br />

noch ermöglichte,<br />

Rösch ließ sie ausstellen. Daß dadurch<br />

die Mieten unverhältnismäßig in die<br />

Höhe geschnellt waren, ist allen Herren<br />

zwar bekannt, aber von Rösch trotz<br />

Wohnungsnot und Mietpreisexplosion<br />

offensiv vorangetrieben und verteidigt.<br />

Nebenbei: Umso fataler wird es ab Mitte<br />

Juni, wenn Rösch sein Amt als Chef des<br />

größten Darmstädter Vermieters – des<br />

Bauvereins – antritt.<br />

Mißachtung des Parlamentes<br />

Eike Ebert deutete als Negativ-Beispiel<br />

<strong>für</strong> solch eine Entwicklung das Johannesviertel<br />

heraus, „da sind Fehler gelaufen<br />

und die Mieten in astronomische<br />

Höhen geschnellt“. In dem Stadtteil<br />

haben <strong>Spekulanten</strong> in den siebziger und<br />

achtziger Jahren die mehrgeschossigen<br />

Gründerzeit-Bauten aufgekauft, in<br />

Eigentumswohnungen unterteilt und <strong>für</strong><br />

meist mehr als den doppelten Preis binnen<br />

weniger Jahre weiter veräußert.<br />

Eine ähnliche Entwicklung hat vor<br />

wenigen Jahren auch im Martinsviertel<br />

eingesetzt: Die Lichtenbergstraße 73 ist<br />

ein Beispiel da<strong>für</strong>.<br />

Dort aber setzten sich die MieterInnen<br />

zur Wehr. Daraufhin und nach einem<br />

Wahlkampfversprechen hatten die<br />

Stadtverord<strong>net</strong>en den Ankauf schon einmal<br />

im Dezember 93 beschlossen und<br />

den Magistrat beauftragt, einen niedrigeren<br />

Preis auszuhandeln.<br />

Baufirma „Hoch-Tief“ den Auftrag, den<br />

Poststeg abzureißen. Nur: Nachtarbeit<br />

ist nicht erforderlich, Samstags- und<br />

Sonntagsarbeit reicht schon aus. Sind<br />

die Abbrucharbeiten weit genug vorangeschritten,<br />

wer wollte dann noch um<br />

den Erhalt eines „Ensembles“ kämpfen?<br />

Verärgert sinniert der Grüne Christian<br />

Knölker (der selbsternannte Frauen- und<br />

Denkmalbeauftragte), „Hoch-Tief, diese<br />

Kulturschänder, müssen von der<br />

Stadt boykottiert werden“.<br />

Denkmalschützer sehen den Poststeg<br />

durchaus in einer erhaltenswerten Einheit<br />

mit dem Bahnhof. Das Regierungspräsidium,<br />

eine <strong>für</strong> viele Problemkreise<br />

unsensible Behörde (jetzt auch in<br />

Sachen Denkmalschutz), ist eben da<strong>für</strong><br />

längst bekannt. Die behördliche Genehmigung<br />

war denn auch das eigentliche<br />

Initial <strong>für</strong> den Abbruch. Selbst ein Oberbürgermeister<br />

vermag da nicht mehr viel<br />

auszurichten; in diesem Falle nichts.<br />

Dabei hatte der Darmstädter Hauptbahnhof<br />

einst einen reichsweiten Ruf –<br />

nicht nur, weil er den Charakter einer<br />

<strong>für</strong>stlich großherzöglichen Schloßanlage<br />

vermitteln sollte, galt er bis zum<br />

Abbruch des Poststeges auch als eine<br />

der best erhaltenen Gesamtanlagen in<br />

der heutigen Bundesrepublik. Der Poststeg<br />

als Teil dieses Ensembles war einst<br />

(1912) architektonisch hoch gelobt –<br />

zum einen als Vorläufer der Bauhausarchitektur,<br />

zum anderen wegen seiner<br />

Funktionalität. Die Post wurde von den<br />

Bahnsteigen direkt in das Postamt über<br />

den Steg getragen.<br />

Das <strong>für</strong>stliche Ambiente ist – abgesehen<br />

von Vorplatz und Eingangshalle – schlafende<br />

Vergangenheit. Im Wartesaal residiert<br />

Mac Donalds und die Bahnsteige<br />

sind bahntypisch verdreckt, versaut,<br />

verwatzt – kein Ort, an dem ein Aufenthalt<br />

einladen würde. Doch die Substanz,<br />

die noch vorhanden ist, wartet nur darauf,<br />

irgendwann liebevoll restauriert,<br />

ursprüngliche Größe und Pracht wieder<br />

zu entfalten – möglicherweise in einer<br />

Zeit, in der das Image der Bahn neues<br />

Gewicht erhält. Doch bei der Bahn<br />

beherrscht noch immer pflichtbeschränkte<br />

Beamten-Mentalität einen<br />

vermeintlichen Schleusenbetrieb <strong>für</strong><br />

Arm-Alt-Arbeitslos. Daß gerade der<br />

Charakter historischer Industriebauten<br />

einen Anreiz <strong>für</strong> BahnkundInnen bieten<br />

könnte, unter die blauen Uniformmützen<br />

paßt dies nicht, das steht in keinem<br />

Paragraphen.<br />

Der aber führte nicht aus, was ihm (als<br />

Spitze der städtischen Verwaltung) aufgetragen<br />

war, empfahl den Stadtverord<strong>net</strong>en<br />

stattdessen gegen ihren eigenen<br />

Beschluß, lieber nicht zu kaufen. „Das<br />

ist eine Mißachtung dieses Parlamentes“,<br />

kritisierte Ebert und ärgerte sich<br />

über den städtischen Gutachterausschuß,<br />

der einen irrwitzig hohen Preis<br />

von 1,27 Millionen Mark feststellen zu<br />

müssen glaubte: „Warum hat die Stadt<br />

nicht versucht, den Preis runter zu kriegen?“<br />

traf Ebert die städtische Achillesferse<br />

– es geht um Summen von 200.000<br />

bis 500.000 Mark, die hätten eingespart<br />

werden können. Obwohl <strong>für</strong> das Haus<br />

die Teilungsgenehmigung noch nicht<br />

beantragt war, ein weiteres Papier, um<br />

in Eigentumswohnungen unterteilt verkaufen<br />

zu können, hatten die städtischen<br />

Gutachter so geschätzt, als ob die Wohnungen<br />

bereits den Wert von Eigentumswohnungen<br />

hätten.<br />

Fader Beigeschmack<br />

Rösch verteidigte zwar die Gutachter als<br />

„unabhängig“ und meinte, „Einflußnahmen<br />

sind ausgeschlossen“, das ändert<br />

dennoch nichts an der Schlafmützigkeit<br />

des Magistrats und der rettungslosen<br />

Überbewertung des Hauses. Ein naheliegender<br />

Verdacht der Bestechung –<br />

von wem und an wen – muß hier Verdacht<br />

bleiben. Anhaltspunkte da<strong>für</strong> gibt<br />

es nicht, einmal abgesehen von dem<br />

faden Beigeschmack spekulationsfördernder<br />

städtischer Verwaltung. Ärger<br />

ob der Unbedarfheit des Gutachtens<br />

bleibt dennoch angesichts der vielen<br />

Initiativen auf kulturellem und sozialpolitischem<br />

Sektor, die sich um wesentlich<br />

niedrigere Förderungssummen (und<br />

nicht einmal <strong>für</strong> das Privat-Säckel)<br />

Die Abriß-Hast ist umso unverständlicher<br />

als es eine ganze Reihe von Interessenten<br />

<strong>für</strong> eine neue Funktion des<br />

unbrauchbar gewordenen Brückenstegs<br />

gab: Neben Stadtmuseumsfreunden,<br />

wollte der Café-Kesselhaus-Inhaber<br />

eine Poststeg-Disco gründen (und finanzieren),<br />

eine Kneipe war konzipiert, ein<br />

„Begegnungszentrum“ und sehr bahnbezogen,<br />

ein Fahrgastinformationszentrum<br />

vom Verein „Pro Bahn“. Doch bei<br />

den Bahnmanagern ist Werbung heute<br />

<strong>Mekka</strong> <strong>für</strong> <strong>Spekulanten</strong><br />

jahrelang bemüht haben und angesichts<br />

heutiger leerer Kassen noch weniger<br />

bekommen.<br />

Ein Top-Geschäft<br />

Da traf Karin Wolff (CDU-Oppositionsführerin)<br />

denn auch mit ihrer Kritik in<br />

der Immobilienhaie Metier, als sie<br />

meinte, die Stadt beteiligt sich mit dem<br />

Ankauf an der Preistreiberei, „auf diesem<br />

Weg wird die Spekulation gefördert“.<br />

Umso mehr noch, als die <strong>Spekulanten</strong><br />

Herbig/Wiera auf ihren frech<br />

hohen Preis von 1,35 Millionen Mark<br />

eine Maklerprovision von 77.625 Mark<br />

draufgesattelt haben.<br />

Die so gern beschworene „Signalwirkung“<br />

kann so nicht eintreten, im<br />

Gegenteil, jeder Spekulant, der seine<br />

Geschäfte einfach und schnell<br />

abwickeln will, verkauft selbstverständlich<br />

lieber zu teurem Preis an die Stadt,<br />

als sich den Ärger mit MieterInnen über<br />

Räumungsklagen aufzuhalsen; obendrein<br />

haben Herbig/Wiera die Kosten<br />

<strong>für</strong> ihre verkaufsnotwendigen Sanierungen<br />

eingespart sowie die Verhandlungen<br />

mit den Einzel-Kaufinteressenten –<br />

wahrlich ein Top-Geschäft, eine Empfehlung<br />

<strong>für</strong> alle künftigen <strong>Spekulanten</strong>:<br />

Die Stadt Darmstadt zahlt, die Preise<br />

müssen nur eingefordert werden.<br />

Einladung <strong>für</strong> <strong>Spekulanten</strong><br />

Nur eine harte Haltung, verbunden mit<br />

der Androhung bürokratisch organisierten<br />

Ärgers durch die Stadt (unter einem<br />

Rösch nicht denkbar), den <strong>Spekulanten</strong><br />

Probleme und Ärger zu machen, in Verbindung<br />

mit massivem Mieter-Widerstand<br />

und dem Ausschöpfen aller rechtlichen<br />

Möglichkeiten, hätte ein Signal<br />

gegen sogenannte Umwandlungsspeku-<br />

wie gestern eine Unbekannte, denn<br />

unerfüllbare Auflagen hinderten die<br />

Denkmalfreunde am sachlichen Vollzug<br />

ihrer Pläne. Ihnen erlegten die Bahnoberen<br />

auf: Stahlträger über die gesamte<br />

Poststeg-Länge einzubauen – wollten<br />

sie zum Zuge kommen. Eine unerfüllbare<br />

und darüberhinaus unsinnige Auflage,<br />

mit dem Ziel, den Poststeg möglichst<br />

schnell beseitigen zu können, bevor eine<br />

breitere Öffentlichkeit dies verhindert<br />

hätte.<br />

lation setzen können. Aber mit so einem<br />

verschlafenen Magistrat, einer ohnehin<br />

spekulationsfreundlichen CDU- und<br />

FDP-Opposition und MieterInnen, die<br />

selbst über den Ankauf von Eigentumswohnungen<br />

öffentlich laut nachdenken<br />

(auch wenn das Geld fehlt), ist <strong>Spekulanten</strong><br />

der Boden bereitet – kein Wunder,<br />

daß auswärtige, Wiesbadener<br />

Immobilienhaie nach Darmstadt kommen.<br />

Hier zahlt sogar die Stadt – offensichtlich<br />

jeden verlangten Preis (trotz<br />

leerer Kassen).<br />

Glück <strong>für</strong> alle?<br />

Schade um einen eigentlich gut gemeinten<br />

Ansatz, Wohnungspolitik <strong>für</strong> den<br />

Erhalt preiswerter Mieten zu betreiben,<br />

doch dazu gehört mehr Kampfgeist und<br />

handelndes Geschick.<br />

Der Termin <strong>für</strong> das Vorkaufsrecht läuft<br />

am 15.5. (Sonntag) aus; weshalb ein<br />

sehr schnelles Handeln der wie oben<br />

gezeigten schlafmützigen Stadtverwaltung<br />

erforderlich ist, sonst könnten sich<br />

Herbig/Wiera ihren Deal noch einmal<br />

anders überlegen, vielleicht einen noch<br />

höheren Preis herausschlagen wollen.<br />

Sicher würden sie sich bei Nichteinhalten<br />

des Termines von ihrer freundlichen<br />

Seite zeigen, denn sie ersparen sich …<br />

siehe oben …<br />

Glücklich macht der Ankauf neben den<br />

MieterInnen, die endlich wieder Ruhe<br />

haben, auch die <strong>Spekulanten</strong> und die<br />

Politiker, ob ihrer guten Tat (der dritten<br />

dieser Art im Darmstadt in den vergangenen<br />

20 Jahren), denn letztere haben<br />

ihr Wahlkampfversprechen entgegen<br />

sonstigen Gepflogenheiten eingehalten<br />

– so besehen könnten alle zufrieden<br />

sein. Bis auf diejenigen, bei denen an<br />

anderer Stelle da<strong>für</strong> gespart werden muß<br />

– aber sie wissen nichts von der Ursächlichkeit<br />

ihres Unglücks. M. Grimm<br />

Ausgabe 69 13.5.1994 · Seite 3<br />

Widerspruch unserer Zeit: Entgegen<br />

allem Konservatismus ist der Sinn <strong>für</strong><br />

Denkmalschutz unterentwickelt. Die<br />

Größen der Wirtschaft und der Politik<br />

schweigen dazu, weshalb sich eine private<br />

Initiative dazu berufen fühlt. Wer<br />

sich künftig an Protestaktionen in<br />

Sachen Denkmalschutz beteiligen<br />

möchte, kann telefonisch Kontakt aufnehmen<br />

unter der Nummer 293878 oder<br />

311644. mg<br />

Zehn Jahre Startbahn West: Brandanschlag<br />

Um Hessens größten Arbeitsplatz, den<br />

Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt,<br />

gibt es wieder öffentlich ausgetragene<br />

Kontroversen. Während die Unternehmerverbände<br />

von der Landesregierung<br />

einen „erheblichen Ausbau des Flughafens“<br />

fordern (wg. Standortsicherung)<br />

legten StartbahngegnerInnen am 1. Mai<br />

Feuer. Nachdem laut Auskunft der<br />

Frankfurter Polizei ein Tor mit Bolzenschneidern<br />

geöff<strong>net</strong> worden war, drangen<br />

etwa 50 Vermummte auf das Gelände<br />

der Startbahn West und sollen dort<br />

drei Wachtürme in Brand gesetzt haben.<br />

Die völlig überraschte und unvorbereitete<br />

Polizei konnte zunächst nicht mit<br />

Fahrzeugen anrücken, da Barrikaden die<br />

Zufahrtswege blockierten. Dennoch<br />

gelang es der Polizei mit Verzögerung<br />

zum Tor vorzudringen. Die Einsatzwagen<br />

wurden mit Stahlschleuder-<br />

Geschossen empfangen. Als eine Stunde<br />

– nach ersten Meldungen von Spaziergängern<br />

– gegen 17 Uhr Hubschrauber<br />

am Ort eintrafen, waren die StartbahngegnerInnen<br />

bereits im Wald verschwunden.<br />

Die Polizei nimmt an, daß<br />

sie sich unter 800 BesucherInnen eines<br />

Grillfestes gemischt haben.<br />

Festgenommen wurde niemand und<br />

unter den Polizisten gab es keine Verletzten.<br />

Am 12.4. vor zehn Jahren ist die<br />

Startbahn West nach massivem Widerstand<br />

der Bevölkerung von den Amerikanern<br />

in Betrieb genommen worden.<br />

Das Ende der bürgerkriegsähnlichen<br />

Zustände ist markiert von Schüssen auf<br />

Polizisten, bei denen zwei Beamte am<br />

2.11.1987 getötet worden waren. Die<br />

Polizei vermutet, daß „autonome linksextremistische<br />

Gruppen“ den Anschlag<br />

verübt haben. sb<br />

Am Rande<br />

Im Ausschuß <strong>für</strong> Sport und Freizeit steht<br />

am 27. April auch „Eissporthalle Darmstadt“<br />

auf der Tagesordnung. „Wirdberichtgewünschtdemistnichtso“,<br />

stellt<br />

Ausschußvorsitzender Walter Schmidt<br />

fest und braucht dazu keine drei Sekunden.<br />

Ja, liebe Leserinnen und Leser: da<br />

werd <strong>net</strong> gegaggert, da werd geschafft.<br />

Herrn Ludwig, einziges FDP-Mitglied<br />

im Ausschuß – je vier stellen SPD und<br />

CDU, drei die Grünen – geht das zu<br />

schnell. Und weil man sich kennt und im<br />

Ausschuß eine lockere Atmosphäre<br />

herrscht, reden ihm die anderen zu wie<br />

einem kranken Pferd. Im Rahmen der<br />

dadurch entstehenden Verzögerung fällt<br />

einem Mitglied immerhin ein, Stadtkämmerer<br />

Blöcker habe ihm gesagt, in<br />

der Magistratsvorlage müsse eine Kleinigkeit<br />

im Text geändert werden. 8.498<br />

Millionen Mark sei zwar richtig, aber<br />

nicht inklusive, sondern zuzüglich der<br />

844.000 Mark Kontokorrentkredit. Und,<br />

obwohl das nun wirklich pingelig ist,<br />

wird „inklusive“ brav in „zuzüglich“<br />

umgewandelt. Da können Sie mal sehen,<br />

mit was <strong>für</strong> Kleinigkeiten sich unsere<br />

VolksvertreterInnen rumärgern müssen.<br />

844.000 Mark zu übersehen: da steht<br />

unsereins doch drüber. P. J. Hoffmann


In Kürze<br />

Ausgabe 68 11.5.1994 · Seite 4


CHRONIK<br />

27.04.94 ZEHNTAUSENDE SCHÜLERINNEN demonstrieren<br />

gegen die Sparpolitik des Hamburger Senats.<br />

28.04.94 KEINE DOPPELTE STAATSBÜRGERSCHAFT:<br />

Mit den Stimmen der Union lehnt der Bundestag die<br />

Gesetzesvorschläge der SPD ab.<br />

29.04.94 WAHLEN IN SÜDAFRIKA: Wahlsieger ist, wie<br />

erwartet, ANC-Chef Nelson Mandela, doch mit 62,5 Prozent<br />

der Stimmen verfehlt der ANC die Zweidrittelmehrheit,<br />

um die neue Verfassung allein bestimmen zu können.<br />

De Klerks Nationale Partei erzielt 20,39 Prozent, die<br />

Inkatha Freedom Party 10,54%. Am 9.5. wählt das erste<br />

demokratisch von allen Südafrikanern gewählte Parlament<br />

Mandela zum Präsidenten.<br />

01.05.94 ABSCHIEBEWELLE NACH KROATIEN: In den<br />

nächsten Monaten werden 80.000 Bürgerkriegsflüchtlinge<br />

aus Kroatien in ihre Heimat zurückgeschickt. Für sie<br />

ist die „ausländerrechtliche Duldung“ abgelaufen.<br />

02.05.94 LÜBECKER ANSCHLAG: Die Polizei nimmt wegen<br />

des Brandanschlags auf die Lübecker Synagoge vier junge<br />

Tatverdächtige fest, die zur rechtsradikalen Szene<br />

gehören.<br />

BERNHARD RÖSSNER FREI: Bundespräsident<br />

Weizsäcker begnadigt den psychisch kranken, ehemaligen<br />

RAF-Anhänger und Stockholm-Attentäter nach 19<br />

Jahren Haft.<br />

04.05.94 DEUTSCHE WAFFEN FÜR DIE TÜRKEI: Bonn<br />

nimmt die ausgesetzten Waffenlieferungen wieder auf.<br />

Das Außenministerium wollte keine Beweise <strong>für</strong> Einsätze<br />

gegen KurdInnen sehen. Der Genozid mit deutschen<br />

Waffen geht weiter.<br />

GAZA-JERICHO-ABKOMMEN UNTERZEICHNET:<br />

Israels Premier Rabin und PLO-Chef Arafat unterzeichnen<br />

den Vertrag in Kairo, der die Autonomie der Palästinenser<br />

besiegelt.<br />

05.05.94 BÜRGERKRIEG IN JEMEN: Dem 1990 vereinigten<br />

Jemen droht erneut die Spaltung, nachdem süd-jemenitische<br />

Kampfflugzeuge auf die Hauptstadt Sanaa im nördlichen<br />

Jemen geschossen haben. Alle Ausländer werden<br />

evakuiert.<br />

BÜRGERKRIEG IN RUANDA: Die Vereinten Nationen<br />

zählen über 200.000 Tote. Bonn gab 1,5 Millionen<br />

Mark <strong>für</strong> die ruandischen Flüchtlinge in Tansania; im<br />

„weltgrößten Flüchtlingslager“ herrschen katastrophale<br />

Verhältnisse.<br />

10.05.94 70 KILO PLUTONIUM sind aus dem japanischen<br />

Reaktor Tokaimura verschwunden.<br />

11.05.24 ZUR BEKÄMPFUNG DER WOHNUNGSNOT<br />

gründet die Landesregierung in Darmstadt eine „Wohnungs<strong>für</strong>sorgegesellschaft<br />

<strong>für</strong> Hessen.“<br />

Was tun <strong>für</strong> die Täter?<br />

Fanprojekt beim „SV Darmstadt 98“<br />

Darmstadt kriegt ein Fanprojekt, da sind<br />

sich alle einig, die beim Hearing des<br />

Ausschusses <strong>für</strong> Sport und Freizeit<br />

dabeiwaren. Wie schön. Denn entgegen<br />

der landläufig in der Presse verbreiteten<br />

Ansicht, sind Hooligans keine archaischen<br />

Brutalosaurier aus dem Bodensatz<br />

der Gesellschaft, sondern ein repräsentativer<br />

Querschnitt dieser. „Die sitzen<br />

nicht nur vorm Aldi“, wußte Thomas<br />

Schneider von der Deutschen Sportjugend<br />

zu berichten. Unter der Woche<br />

angepaßt als Bankkaufmann arbeiten<br />

und am Wochenende kontrolliert die<br />

Sau rauslassen, das sei nicht die Ausnahme.<br />

So dürfen die bürgerlichen<br />

Mamas und Papas, die versuchen, das<br />

mittelschichtorientierte Freizeitverhalten<br />

zu prägen, darauf hoffen, daß auch<br />

ihrem Sprößling ein Sozialarbeiter<br />

zugute kommt.<br />

Fanprojekte gibt es überall in der Republik,<br />

in den Oberligen sind sie allerdings<br />

die Ausnahme. Hier gebe es Probleme,<br />

wenn Mannschaften aus dem bezahlten<br />

Fußball absteigen und ihre Fans in die<br />

niedere Klasse mitnähmen, erläuterte<br />

Gerhard Hilgers vom Hessischen Fußballverband.<br />

Gerold Hartmann, der vor<br />

einigen Jahren das Fanprojekt bei Eintracht<br />

Frankfurt aufbaute, sieht die<br />

Funktion der Fanprojekte in einer Vermittlerrolle<br />

zwischen zwei Parteien, die<br />

nicht mehr miteinander reden. Das Bild<br />

der verschüchterten, unverstandenen<br />

Jüngelchen voller Minderwertigkeitskomplexe,<br />

die in ihrem Sozialarbeiter<br />

einen Bruder- oder Vaterersatz suchen,<br />

was in einigen Redebeiträgen anklang,<br />

wurde vor allem von jenen gemalt, die<br />

so zu einem Job kommen, den Sozialpädagogen.<br />

300.000 Mark jährlich würde die Einrichtung<br />

eines Fanprojektes kosten.<br />

Gängiges Modell ist, daß die Kosten zu<br />

je einem Drittel von Land, Kommune<br />

und Verein getragen werden – und die<br />

98er haben ja kein Geld. Karlheinz Pfister,<br />

Chef der Darmstädter Schupos, hält<br />

das Projekt <strong>für</strong> eine vernünftige Sache,<br />

mit der er im übrigen nichts zu tun haben<br />

möchte: Die Polizei hat anderweitig<br />

genug zu tun. Seine Taktik der Deeskalation,<br />

durch zuviel Polizeipräsenz nicht<br />

zu provozieren, hat im vergangenen Jahr<br />

Erfolg gezeigt. Das konnte Rolf Kaiser<br />

vom Präsidium des Sportvereins bestätigen.<br />

Da auch das Land Hessen Wohlwollen<br />

signalisiert, dürfte Darmstadt<br />

also ein Fanprojekt kriegen.<br />

Ein – unfreiwilliges – Beispiel <strong>für</strong> die<br />

Faszination von Gewalt gab ein anwesender<br />

Sozialpädagoge: Berauscht<br />

vom Erlebnis, mit den<br />

harten Eintrachtfanclubs eine<br />

Intercityreise zum Spiel in<br />

Dresden mitgemacht zu<br />

haben und persönlich mit den<br />

starken Typen von „Preßwerk“<br />

und „Adlerfront“ geredet<br />

zu haben, schwallte der<br />

sozial anpädagogisierte Motorradfuzzi<br />

seine begeisterte<br />

Fansicht ohne Punkt und<br />

Komma – aber vor allem ohne<br />

Gedankenstrich in die Runde<br />

und ließ es sich nicht nehmen,<br />

seine Eintrachtfans als antifaschistische<br />

Speerspitze zu feiern.<br />

Der Mann gehört ins<br />

Betreuungsangebot.<br />

P. J. Hoffmann<br />

Karikatur : Harm Bengen; aus:<br />

„Grüße aus Deutschland: Satiren und<br />

Karikaturen gegen rechts“, Hrsg.:<br />

Jörg Petersen, Verlag: Die Werkstatt,<br />

Göttingen, 1994<br />

Nummer 69 13.5.1994 · Seite 4<br />

Kein Recht auf Rausch<br />

Das Karlsruher Urteil beeinflußte OB Benz nicht –<br />

das „Cannabis-Weekend“ ist verboten und findet dennoch statt<br />

„Beim Mittagsmahle erörterte ich mit<br />

Schillern die wunderliche Bitte welche<br />

so unter seinen Studiosi Einzug erhalten,<br />

nämlich mittels einer Pfeife ein süßliches<br />

orientalisches Harz abzubrennen,<br />

über dessen erheiternde Kraft viel Lob<br />

zu hören sei … Man schilderte mir, daß<br />

man die Pflanzen, eine Abart von Hanf<br />

… in liebevoller Kleingärtnerei selbst<br />

gezogen, geerntet und getrock<strong>net</strong> habe<br />

… Darüber ward schon die gekrümmte<br />

Pfeife gestopft und von Bierbichel mittels<br />

Fidibus in Gang gebracht … Ich<br />

(nahm) die Pfeife in Empfang und (sog)<br />

den Rauch (ein) … Während sich ein<br />

eigentümliches Gefühl, begleitet von<br />

einem tiefen Summen in meinem Kopf<br />

breitmachte … brachte (Bierbichel) darauf<br />

(Wunderlichkeiten) … hervor, als er<br />

durch ein eigentümliches krankhaftes<br />

Kichern Schillers unterbrochen wurde,<br />

in welches die anderen sofort einstimmten,<br />

ich unfreiwillig mit einbegriffen.“<br />

Wer dies schrieb? Das war Johann<br />

Wolfgang Goethe.<br />

Heute rauchen, so die offizielle – freilich<br />

geschätzte – Zahl, drei bis vier Millionen<br />

Menschen in Deutschland regelmäßig<br />

Cannabis (Hanf). Anfang Mai hat<br />

das Bundesverfassungsgericht entschieden,<br />

daß Erwerb und Konsum des<br />

Rauschmittels in kleinen Mengen zwar<br />

weiter verboten sind, aber nicht mehr<br />

strafrechtlich verfolgt werden sollen.<br />

All jene, die sich über dieses Urteil freuten,<br />

merkten schnell, daß es lediglich die<br />

schon lange angewandte Praxis von<br />

Polizei und Staatsanwaltschaft sanktioniert:<br />

Auch vor dem Urteil des höchsten<br />

deutschen Gerichts gingen Konsumenten<br />

in der Regel straffrei aus. Es bleibt<br />

dabei: Kein Recht auf Rausch, bestraft<br />

werden weiterhin jene, die verkaufen,<br />

Hanf bleibt als Nutzpflanze verboten.<br />

Die Richter vergaßen auch, wie groß die<br />

kleine, straffreie Menge sein darf; darum<br />

sollen sich nun die Länder kümmern.<br />

Mal wieder so eine<br />

Erfolgsmeldung<br />

In der jüngsten „Erfolgsmeldung“<br />

von Stadt und Polizei wg. Drogenbekämpfung,<br />

datiert vom 10.5.,<br />

heißt es: Die Polizei sei an „den<br />

Brennpunkten täglich präsent“, habe<br />

eine „AG Lui“ gegründet, „die<br />

jedoch keineswegs nur den Luisenplatz<br />

im Auge behält“ und „ihr Klientel<br />

im Griff hat.“<br />

Ihr Vorgehen: Wenn Betroffene<br />

bereits polizeilich aufgefallen sind<br />

und wieder Kontakt zu Händlern<br />

und Konsumenten suchen, erhalten<br />

sie einen Platzverweis – und dürfen<br />

sich zwischen 11 und 1 Uhr nicht an<br />

den Brennpunkten aufhalten. Wird<br />

der vierwöchige Verweis nicht eingehalten,<br />

sind 200 Mark Zwangsgeld<br />

fällig. Bei der Registrierung<br />

soll jetzt ein Computer mit Software<br />

helfen, den OB Benz der Einsatztruppe<br />

überreicht hat.<br />

„Asylbewerber, die sich in Darmstadt<br />

mit wenig hehren Zielen illegal<br />

aufhalten und aufgegriffen werden,<br />

begleitet die ,AG Lui‘ übrigens<br />

höchstpersönlich zum Bahnhof und<br />

setzt sie in den Zug Richtung Sammellager.“<br />

Damit „(leiste) … die<br />

,AG Lui‘ auch einen nicht unerheblichen<br />

Beitrag gegen Ausländerfeindlichkeit“.<br />

Wie das geht, erklärt<br />

Benz zitiert: „Das Gros unserer ausländischen<br />

Mitbürger ist bestürzt<br />

darüber, daß Menschen ihrer Nationalitäten<br />

hier dem Rauschgifthandel<br />

nachgehen und sie in Verruf bringen.<br />

Sie distanzieren sich von ihnen,<br />

wollen mit den Kriminellen nichts<br />

zu tun haben. Und unser Gemeinwesen,<br />

vertreten durch die Polizei, muß<br />

auch im Interesse der ausländischen<br />

Mitbürger reagieren, damit kleine<br />

Gruppen Krimineller keinen Keil<br />

zwischen die ausländische und deutsche<br />

Bevölkerung treiben können.<br />

Die ,AG Lui‘ leistet somit einen<br />

wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung.“<br />

Hut ab, vor solch Dialektik!<br />

Ihr Ludwig von Sinnen<br />

Enttäuschung über das Urteil<br />

Eigentlich hatten sich viele von den<br />

Karlsruher Richtern mehr erhofft – sie<br />

wollten eine Freigabe der Droge Cannabis<br />

und damit aus der Illegalität herauskommen<br />

ebenso wie aus dem internationalen<br />

Drogenhandel. Schon lange fordern<br />

viele eine Umkehr der Drogenpolitik,<br />

die bisher darin besteht, durch<br />

Illegalität einen Schwarzmarkt zu protegieren,<br />

der Basis <strong>für</strong> organisierte Verbrechen<br />

ist. Das, so ihre Argumentation,<br />

habe noch jede Prohibition mit sich<br />

gebracht. Heute übervölkern Hanf-<br />

Händler die Gefängnisse, beschäftigen<br />

jene, die im Kampf gegen die organisierte<br />

Kriminalität dringend gebraucht<br />

würden – so sehen das auch Polizeipräsidenten,<br />

Staatsanwälte, Drogenfachleute<br />

und Ärzte. Wenn Haschfreunde ihren<br />

Stoff nicht mehr bei den Dealern kaufen<br />

müßten, die auch harte Drogen im<br />

Angebot haben, wäre außerdem die<br />

Gefahr, auf Härteres umzusteigen,<br />

wesentlich geringer – dies ein weiterer<br />

positiver Effekt der Entkriminalisierung,<br />

so die Be<strong>für</strong>worter. Der „Spiegel“<br />

(Nr. 18 vom 2.5.94) titelte falsch: „Wende<br />

in der Drogenpolitik – Hasch <strong>für</strong>s<br />

Volk“ – davon kann keine Rede sein.<br />

Benz bleibt bei seinem Verbot<br />

So weit wollten die höchsten Richter<br />

nicht gehen. Und Darmstadts Oberbürgermeister<br />

Peter Benz (SPD) ließ sich<br />

von diesem Urteil schon gar nicht beeinflussen:<br />

Er verbot das „Cannabis-Weekend“<br />

der „AG Hanf“, geplant am 14./15.<br />

Mai, auf dem über die Nutzpflanze Hanf<br />

informiert werden sollte, aus der, neben<br />

dem Rauschmittel, auch Papier oder<br />

Stoffe hergestellt werden können. Die<br />

Darmstädter Studenten erwarteten –<br />

nach eigenen Angaben – 50.000 Gleichgesinnte.<br />

Doch auch nach dem Verbot<br />

äußerten sie zunächst trotzig: „Das<br />

Cannabis-Weekend findet auf jeden Fall<br />

statt, weil die Leuten kommen werden,<br />

die sind gar nicht mehr aufzuhalten“,<br />

von 10.000 Leuten sprach die „AG<br />

Hanf“.<br />

Doch am 10. 5. hieß es dann in einer<br />

Pressemitteilung der Stadt, die Veranstalter<br />

hätten „von ihrem Vorhaben<br />

Abstand genommen“. Markus van der<br />

Kolk erklärt am 11.5. das Einlenken so:<br />

„Wir wollten viel Druck wegnehmen<br />

und außerdem das Festival lieber verschieben.“<br />

Wegen des offiziellen Verbots<br />

der Stadt hätten die Musikgruppen<br />

und andere Gäste um Vorkasse gebeten<br />

– bis auf eine Berliner Band, die auf<br />

jeden Fall kommen und spielen will –,<br />

was die „AG Hanf“ nicht hätte leisten<br />

können.<br />

Was am 14./15. Mai nun in Darmstadt<br />

läuft? „Das ändert sich jeden Tag“, sagt<br />

van der Kolk. Aktueller Stand: „Wir<br />

treffen uns am Karolinenplatz und werden<br />

darauf hinweisen, daß die Veranstaltung<br />

über die Nutzpflanze Hanf in<br />

die Bessunger Knabenschule verlagert<br />

wurde. Die Grünen bemühen sich derzeit,<br />

eine Genehmigung <strong>für</strong> ein Konzert<br />

am Böllenfalltor zu kriegen.“<br />

Gefährdung der Sicherheit<br />

Warum das Verbot? In einer Mitteilung<br />

von Pressesprecher Volker Rinnert heißt<br />

es: „ … nach Ansicht des Stadtoberhauptes<br />

(ist) die Sicherheit <strong>für</strong> die Stadt<br />

und ihre Bürgerschaft nicht gewährleistet.<br />

Es kann auch nicht ausgeschlossen<br />

werden, daß anläßlich des Cannabis-<br />

Wochenendes, bei dem auch über<br />

Haschisch als Droge informiert werden<br />

soll, harte Drogen gehandelt werden.<br />

Die ganze Veranstaltung, so der Oberbürgermeister,<br />

würde die gemeinsamen<br />

und erfolgreichen Bemühungen von<br />

Stadt und Polizei ad absurdum führen,<br />

den Konsum und Handel von Rauschgift<br />

in Darmstadt, vornehmlich in der Innenstadt,<br />

auszumerzen“.<br />

Auch die Darmstädter Polizei gibt regelmäßig<br />

solche „Erfolgsmeldungen“ im<br />

Kampf gegen Drogen heraus. Doch dieser<br />

Erfolg ist, genau betrachtet, äußerst<br />

gering. In Wahrheit handelt es sich um<br />

bloße Kosmetik, die unerwünschte Szene<br />

wird verdrängt, dahin verbannt, wo<br />

sie nicht mehr so auffällt. Jetzt treffen<br />

sich die Drogenfreunde und -händler<br />

eben nicht mehr am Luisenplatz, sondern<br />

etwa am Karlshof.<br />

OB Benz (SPD) hatte auch schon eine<br />

Protestkundgebung der „AG Hanf“ am<br />

2. Mai auf dem Luisenplatz verbieten<br />

lassen. Begründung: „Weder die Polizei<br />

noch die Veranstalter seien in der Lage,<br />

Dealer von Konsumenten bei der Demo<br />

zu trennen, Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz<br />

könnten nicht ausgeschlossen<br />

werden.“ Trotzdem sammelten<br />

sich einige Leute auf dem Luisenplatz,<br />

friedlich.<br />

Die Grünen vermitteln<br />

Rund 150 „AG Hanf“-Leute und<br />

Anhänger kamen dort auch am Montag<br />

(9.) um 17.30 Uhr zusammen, zu einer<br />

nicht genehmigten Demonstration. Den<br />

Grünen Jürgen Barth und Daniela Wagner<br />

ist es wohl zu verdanken, daß es keine<br />

Auseinandersetzungen mit der Polizei<br />

gab, denn die hatte ein großes Aufgebot,<br />

ausgerüstet mit kugelsicheren<br />

Westen und Helmen, im Schloßhof<br />

bereitstehen – „wohl 60 Mann“, sagt<br />

Christian W. Schmidt, einer der AG-<br />

Aktiven. Die Grünen hatten tags zuvor<br />

das Audi-Max der Technischen Hochschule<br />

<strong>für</strong> eine Informationsveranstaltung<br />

über Hanf angemietet und es<br />

gelang ihnen, mit Unterstützung der<br />

„AG-Hanf“-Aktivisten, die Demonstranten<br />

dorthin umzuleiten – „sonst<br />

machen uns die Bullen platt“. Polizisten<br />

filmten den Umzug mit Fotoapparaten<br />

und Videokameras. Von der eingeladenen<br />

SPD, so Schmidt, kam niemand<br />

in den Saal, in dem bis nach sieben Uhr<br />

geredet worden war.<br />

Absolute Unaufgeklärtheit<br />

Die „AG Hanf“ sieht die Sache in einer<br />

der zahlreichen Pressefaxe so: „Mit der<br />

Verbotstaktik in letzter Minute hat sich<br />

die Stadt selbst ins Aus manövriert. Die<br />

absolute Unaufgeklärtheit von Benz und<br />

seiner Mannschaft beweisen geradezu,<br />

… daß umfassende Information lebensnotwendig<br />

<strong>für</strong> unsere Gesellschaft ist.<br />

Illegalität bedeutet immer Lüge und<br />

Mafia, und nur deshalb haben wir ein<br />

Drogenproblem. Jeder der heute noch<br />

von ,Mörderdrogen‘ und ,Einstiegsdrogen‘<br />

redet, macht sich der selbstverschuldeten<br />

Unmündigkeit (nach I. Kant)<br />

und dem Verrat an der Jugend verantwortlich<br />

und sollte lieber schweigen.“<br />

Harte Töne, doch im Kern haben die<br />

jungen Leute recht: Die Stadt Darmstadt<br />

täte besser daran, gesellschaftspolitisch<br />

strittigen und schwierigen Themen ein<br />

offenes Forum zu geben, zu informieren<br />

und aufzuklären – das wäre auch im Fall<br />

Sironi die glücklichere Lösung gewesen.<br />

Benz soll gegen das „Image einer altbackenen<br />

Provinzstadt … Weltoffenheit<br />

und Liberalität“ zeigen, so schreibt der<br />

AStA der TH Darmstadt (siehe Briefe<br />

an die Redaktion), der sich mit der<br />

Initiative solidarisch erklärte, wie auch<br />

die Studentenvertretungen der Evangelischen<br />

Fachhochschule sowie der<br />

Frankfurter Fachhochschule und dem<br />

Juso-Bundesvorstand, der <strong>für</strong> den 14.<br />

Mai eine Pro-Hanf-Aktion in Darmstadt<br />

vorhat.<br />

Der schreibt: „Die Begründungen zum<br />

Verbot … sind haltlos … Es kann an<br />

keinem deutschen Ort ausgeschlossen<br />

werden, daß sogenannte harte Drogen<br />

gehandelt werden, genausowenig wie<br />

wir sicher sein können, daß an keinem<br />

Ort Cannabis geraucht wird. Fest steht:<br />

Die Entscheidung des Oberbürgermeisters<br />

muß in einer Bierlaune entstanden<br />

sein.“<br />

Ob Bierlaune am Samstag auf dem Luisenplatz<br />

aufkommt, wenn Vater Benz<br />

und Sohn Hanno aufeinandertreffen?<br />

Denn Hanno sitzt im Juso-Bundesvorstand<br />

und ist der dortige Drogenfachmann,<br />

respektive Hanfbe<strong>für</strong>worter …<br />

Ludwig von Sinnen


Umweltzerstörer Nummer eins sind unsere<br />

Fortbewegungs-Karossen. Die ungeheuren<br />

Mengen an Abgasen aus 40 Millionen<br />

zugelassenen Autos in der BRD haben sogar<br />

auch bei beschlipsten KonsumentInnen zur<br />

ungeliebt notwendigen Einsicht geführt: so<br />

geht es nicht weiter. Das Umdenken unserer<br />

Wirtschaftsmagnaten setzt immer erst ein,<br />

wenn der Umsatz stagniert, das Geld nicht so<br />

fließt, wie erhofft. Erste vorsichtige Einsicht<br />

zieht sogar in den Mercedes-Benz-Etagen<br />

ein, vor allem wegen fehlender Umsätze bei<br />

der S-Klasse: Heute tauchen in Zeitschriften<br />

Werbeanzeigen auf, in denen die Stuttgarter<br />

Automobilbauer ankündigen, „Das werden<br />

wir tun (Bild eines Kleinwagens Studie A) –<br />

Das werden wir nicht lassen (Bild eines S-<br />

Klasse Dinosauriers)“. Darin spiegelt sich<br />

immer noch ein schneckentempohaftes<br />

Umdenken arroganter, unzeitgemäßer Industriemanager<br />

– muß denn den Herren der<br />

Baum erst auf den Kopf fallen?<br />

Das Anrecht auf Rückständigkeit nimmt<br />

auch Darmstadts Oberbürgermeister Peter<br />

Benz (SPD) <strong>für</strong> sich in Anspruch: Am Samstag<br />

(7.5.) weihte er wieder einmal die chromglitzernde<br />

Automobilausstellung in der Wilhelminenstraße<br />

ein. („Wir wollen uns die<br />

Freude am Autofahren nicht vermiesen lassen“).<br />

Gläubigkeit war schon von jeher<br />

Hemmnis <strong>für</strong> alle Weiterentwicklung, weshalb<br />

Benz den verunsicherten Automobil-<br />

Enthusiasten predigt: „Das Auto ist nicht der<br />

Beelzebub“ – vergessen hat er dabei die<br />

kopflosen LenkerInnen.<br />

Tags zuvor hatte Benz eine Einladung der<br />

„Südhessische Gas und Wasser AG“ ausgeschlagen.<br />

Dort wurde eine bemerkenswerte<br />

Entwicklung vorgestellt: Das Automobil, das<br />

mit Erdgas angetrieben wird. Zwar gibt es<br />

schon lange Autos, die mit Flüssiggas fahren<br />

– jedoch bei uns nicht mit Erdgas. Während<br />

„Greenpeace“ noch auf das Auto mit einem<br />

Verbrauch von etwas weniger als drei Liter<br />

Benzin je 100 Kilometer setzt, um die gigantischen<br />

Mengen an Schadstoffen zu reduzieren,<br />

kommt ein erdgasbetriebenes Fortbewegungsmittel<br />

auf noch viel weniger Emissionen.<br />

Auch wenn Benz sich als rückständig<br />

erweist, liegt er mit seiner Haltung durchaus<br />

in einer Linie mit den Prognosen <strong>für</strong> die weitere<br />

Entwicklung im Straßenverkehr: Bis zum<br />

Jahr 2000 werden in der Bundesrepublik<br />

nach einer Studie der „Shell AG“ 52 Millionen<br />

Pkw rollen, mithin die Emissionen um<br />

weitere 25% zunehmen werden.<br />

Keine Serienfertigung<br />

Die Mitgesellschafterin der Südhessischen,<br />

die „Rhenag“ (wiederum eine RWE-Tochter),<br />

ist seit zwei Jahren dahinter her, das Erdgas-<br />

Auto zu etablieren. Erstaunlich daran: das<br />

geht heute schon mit entsprechend umgerüsteten<br />

Serien-Pkw; bei der Südhessischen<br />

sind zwei der nicht stinkenden, umweltfreundlichen,<br />

entsprechend umgebauten<br />

Volkswagen am 6.5. in Betrieb genommen<br />

worden. Die technische Änderung ist eine<br />

Kleinigkeit, lediglich <strong>für</strong> den sperrigen Tank<br />

muß Platz gefunden und geopfert werden.<br />

Noch ist das <strong>für</strong> den Normalverbraucher zu<br />

teuer: Für die Umrüstung sind je Auto 7.000<br />

bis 8.000 Mark zu berappen, „weil dies noch<br />

nicht in Serie, sondern per Hand erfolgt“,<br />

erklärt Jochen Günter, ein Sachbearbeiter der<br />

„Rhenag“. Er kündigt an, „geht der Umbau in<br />

Serie, sind etwa 2.000 bis 3.000 Mark Aufpreis<br />

zu zahlen“. Das Auto käme aber nur<br />

wenig teurer, denn die Kosten <strong>für</strong> einen Katalysator<br />

können eingespart werden.<br />

Teuer ist heute auch noch die Tankstelle,<br />

gleichzeitig der Clou: An die im Haus liegende<br />

Gasleitung (35% der Haushalte hängen<br />

am Gas<strong>net</strong>z) wird ein Kompressor angeschlossen.<br />

Eine Schnellkopplung an das<br />

Auto gehängt – das war’s, allerdings braucht<br />

die Haustanke drei bis fünf Stunden <strong>für</strong> das<br />

Füllen einer Gasflasche. Doch auch hier sind<br />

noch unrealistisch hohe Summen zu zahlen:<br />

Die Gas-Tankstelle im Eigenheim kostet<br />

6.000 Mark. Auch hier gilt, in Serie gefertigt,<br />

sinken die Kosten rapide – im Werkzeughandel<br />

gibt es heute Kompressoren bereits <strong>für</strong><br />

weniger als 1.000 Mark.<br />

„Noch sind diese Autos nichts <strong>für</strong> den Privatverbraucher“,<br />

resümiert Günter, „wir wenden<br />

uns an Großbetriebe wie die HEAG (ein<br />

interessierter Vertreter war da), an die Stadtverwaltungen,<br />

Taxi-Unternehmen, die Gütertransportunternehmen,<br />

UPS und andere<br />

Großverbraucher.“ Wäre irgendwann ein<br />

Tankstellen<strong>net</strong>z aufgebaut, dort dauert das<br />

Tanken aufgrund anderer Technik lediglich<br />

zwei bis fünf Minuten.<br />

Sicherheit: Kein Problem<br />

Ist so ein Auto sicher? Auch darauf weiß der<br />

„Rhenag“-Sachbearbeiter die Antworten:<br />

„Die bei den Technischen Überwachungsver-<br />

einen (TÜV) beschäftigten Ingenieure wissen<br />

doch vom Erdgas nur, daß es brennt“, seine<br />

Polemik entspringt dem Ärger mit den<br />

Behörden: Der Sicherheitsauflagen halber<br />

muß heute jedes umgebaute Fahrzeug extra<br />

vom TÜV abgenommen werden. Galt die<br />

TÜV-Abnahme bis vor kurzem gerade mal <strong>für</strong><br />

ein halbes Jahr, ist sie heute auf zwei Jahre<br />

verlängert – aber halt immer noch nur nach<br />

Einzelabnahme. Er weiß zu berichten, daß<br />

„erdgasbetriebene Fahrzeuge heute sicherer<br />

sind als Dieselautos“ und beschreibt technische<br />

Einzelheiten der Erdgastanks. Das Beispiel<br />

eines Großbrandes in Belgien, wo Diesel-<br />

und Erdgasautos in Flammen standen,<br />

zeigt: Die Erdgastanks waren trotz abgebrannter<br />

Wracks nicht explodiert.<br />

Steuerentlastungen?<br />

Obwohl Gas-Technik nicht neu ist und schon<br />

vor über 100 Jahren im Fahrzeug- und Motorenbau<br />

Einsatz fand, stellte sich die Automobilindustrie<br />

noch „vor eineinhalb Jahren“<br />

taub und „gab dem Erdgas-Auto keine Chance“.<br />

Doch da ist ein Umdenken in Sicht. Drei<br />

Hersteller – DB, VW und BMW – sollen die<br />

Serienfertigung zugesagt haben. Die Erdgas-<br />

Lieferanten wollen erreichen, daß Gas-Autos<br />

große Verbreitung finden. Deshalb hatte die<br />

Südhessische auch Staatssekretär Rainer<br />

Baake vom hessischen Umweltministerium<br />

eingeladen. An ihn richtete Heinz Kern, Vorstandsvorsitzender<br />

der Südhessischen, die<br />

Aufforderung als Bitte formuliert: „Wir hoffen,<br />

daß Sie sich <strong>für</strong> eine steuerliche Entlastung<br />

einsetzen“. Auf dem Erdgas liegt eine<br />

Steuer von 50%.<br />

Baake vermag zwar „keine Alternative <strong>für</strong><br />

eine Wende in der Verkehrspolitik durch das<br />

Erdgasauto“ zu erkennen, aber attestiert<br />

„daß deutlich weniger Schadstoffe emittiert<br />

werden“. Für die Erdgaslieferanten könnte<br />

ein Senken der Steuern zu wirtschaftlicher<br />

Wettbewerbsfähigkeit führen. In Anbetracht<br />

der massiven Umweltschäden durch benzinoder<br />

dieselbetriebene Fahrzeuge, könnten<br />

alternativ höhere Steuern auf Erdöl zu dem<br />

gleichen Effekt der Wirtschaftlichkeit führen.<br />

Die heutigen noch teuren Umbaukosten in<br />

Verbindung mit höheren Verbrauchskosten<br />

liegen bei einem Dieselfahrzeug zwischen 15<br />

bis 30% – allerdings gibt es Zuschüsse vom<br />

Umweltbundesamt (Berlin) in Höhe von 50%<br />

<strong>für</strong> die Investitionen.<br />

Gesperrte Innenstädte<br />

Kern prophezeit, ganz sicher zutreffend, daß<br />

die Innenstädte (als erster Schritt) wegen der<br />

ständig steigenden Schadstoffbelastung <strong>für</strong><br />

diesel- und benzingetriebene Fahrzeuge gesperrt<br />

werden müssen – die große Chance<br />

<strong>für</strong> die einfach und schnell umrüstbare Erdgastechnik.<br />

Einen weiteren entscheidenden Vorteil verbuchen<br />

die industriellen Protegés des Gasautos<br />

<strong>für</strong> sich: Die gigantischen Öl-Tanker<br />

mit ihren regelmäßig wiederkehrenden<br />

Umweltkatastrophen nach Unfällen gehörten<br />

ebenso der Vergangenheit an, wie die Raffinerien<br />

und die Lkw-Flotten, die den Sprit an<br />

die einzelnen Tankstellen anliefern. Ebenso<br />

wie einstmals die Ölheizungen dem Erdgas<br />

weichen mußten, könnte dies ein Trend sein,<br />

der unter heutigen technischen Bedingungen<br />

einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung<br />

der (Um-)welt beitragen könnte – viel<br />

schneller als es <strong>für</strong> die internationalen Erdölgesellschaften<br />

wünschenswert wäre.<br />

Weltweit sollen bereits 800.000 solch<br />

umgerüsteter Fahrzeuge laufen – in der Bundesrepublik<br />

noch nicht einmal 200, von denen<br />

allein die „Rhenag“ 40 im Einsatz hat.<br />

Hierzulande hält man zwar viel auf Technologie<br />

und Fortschritt, hinkt aber wieder einmal<br />

hinterher. „In den USA sorgte die Umweltschutzgesetzgebung<br />

(,clean air act‘) <strong>für</strong> ein<br />

Umdenken im Verkehrswesen“, weiß eine<br />

Arbeitsgemeinschaft der Erdgaslieferanten<br />

zu berichten, „die Gesetzgebung in den USA<br />

geht so weit, daß größere Städte verpflichtet<br />

werden, <strong>für</strong> öffentliche und gewerbliche<br />

Fuhrparks nur noch ,cleanfuel‘ Fahrzeuge anzuschaffen“<br />

– was soviel heißt wie Erdgas als<br />

Treibstoff.<br />

Übergangslösung<br />

Ein Manko hat das Gasauto noch: Die Motoren<br />

sind auf das Fahren mit Benzin oder Diesel<br />

optimiert, damit ist der Verbrauch an Erdgas<br />

höher als er sein müßte. Eine Tankfüllung<br />

reicht heute nur <strong>für</strong> 150 bis 250 Kilometer,<br />

je nach Wagentyp. Dies ist jedoch kein<br />

Hemmnis, denn durch einen einfachen Umschalter<br />

im Armaturenbrett kann zwischen<br />

Benzin- und Gas-Treibstoff gewählt werden.<br />

Damit ist diese Technik der Realisierung<br />

einen deutlichen Schritt weiter als die der<br />

Elektroautos. Ob die Automobil-Industrie ihre<br />

Zusage einhält und tatsächlich in den<br />

nächsten zwei Jahren erste Serienfahrzeuge<br />

auf den Markt bringt? Zu wünschen wäre es,<br />

Mercedes-Benz Werbung <strong>für</strong> die S-Klasse<br />

Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 5<br />

„Die Freude am Auto<br />

nicht vermiesen lassen“<br />

bevor die Städte noch stinkender und unwirtlicher<br />

werden und der Wald nur noch aus<br />

Baumgerippen besteht.<br />

Für uns Verbraucher heißt dies: Den Kauf<br />

eines neuen Autos möglichst lange herauszuschieben,<br />

bis energiesparende Fahrzeuge<br />

im Verbund mit Erdgastechnik die Umweltbelastung<br />

auf ein Minimum senken. Ein<br />

durch sparsame Motoren auf drei Liter Benzin<br />

gesenkter Verbrauch in Verbindung mit<br />

Erdgas als Treibstoff könnte die Schadstoffe<br />

radikal senken.<br />

Umweltbilanz<br />

Im Vergleich Diesel/Erdgas sinken nach<br />

Angaben der Erdgaslieferanten die Emissionen<br />

bei:<br />

• Kohlenmonoxiden (CO) um 58%<br />

• Stickoxiden (NOx) um 80%<br />

• reaktiven Kohlenwasserstoffen (NMHC) um<br />

80%<br />

• Schwefeldioxiden über 90% (derzeit sorgen<br />

bis zu 90 Millionen Tonnen pro Jahr <strong>für</strong><br />

den Treibhauseffekt)<br />

• Rußpartikeln über 90%<br />

• Kohlendioxid (CO2) bleibt unverändert.<br />

Im Vergleich Benzin-Erdgas ergibt sich noch<br />

eine<br />

• Senkung der Kohlendioxide um 20%.<br />

Der erdgasbetriebene Motor wird vom Wirkungsgrad<br />

her besehen zwischen dem Benziner<br />

und dem Diesel anzusiedeln sein, denn<br />

der Diesel „ist in seinem Wirkungsgrad unerreichbar“,<br />

beschreibt Ingenieur Ganser<br />

(„Rhenag“).<br />

Die weniger emittierten Stickoxide in Verbindung<br />

mit den deutlich weniger erzeugten<br />

reaktiven Kohlenwasserstoffen drängen die<br />

• bodennahe Ozonbildung um über 80 %<br />

zurück.<br />

Der höchste Wert von bodennaher Ozonkonzentration<br />

wurde in der Bundesrepublik 1992<br />

im Rhein-Main-Gebiet mit 383 Mikrogramm<br />

je Kubikmeter gemessen.<br />

Ein Manko allerdings bleibt: Die als Treibhausgase<br />

bezeich<strong>net</strong>en Schadstoffe (Kohlendioxid<br />

in Verbindung mit Methan u.a.)<br />

sinken nur um 13% im Vergleich mit dem<br />

Benzin-Motor; den Hauptteil, der auch durch<br />

Katalysatoren nicht weiter verringerbaren<br />

Treibhausgase, stellt das Kohlendioxid mit<br />

über 80%. Letzter Vorteil: Erdgas ist klopf-<br />

Zitat Oberbürgermeister Peter Benz anläßlich seiner Eröffnungsrede bei der Automobilausstellung in der Wilhelminenstraße<br />

Alle Jahre wieder: Protestiert haben BUND-Jugend und ein Teil der Grünen gegen die Automobilausstellung auf der Wilhelminenstraße am 7. Mai (Fotos: HS)<br />

Erdgas<br />

statt Benzin und Diesel<br />

fest, es werden demnach keine Additive<br />

gebraucht, weniger Blei, weniger Ölwechsel.<br />

Ende des Gestanks?<br />

Umso unverständlicher ist, daß wieder einmal<br />

nur die Großverbraucher angesprochen<br />

sind – warum versuchen die Erdgaslieferanten<br />

nicht, die umweltfreundliche Antriebsenergie<br />

<strong>für</strong> alle einzuführen? Auch <strong>für</strong> den Normalverbraucher<br />

ist Erdgas interessant. Wer<br />

hat sich nicht schon über seinen Diesel oder<br />

den unglaublich stinkenden Katalysator seines<br />

Vordermannes geärgert und im Stau vergebens<br />

nach frischer Luft geschnappt? Erdgas<br />

verbrennt nicht nur umweltfreundlicher,<br />

vollständiger, sondern auch geruchsfrei und<br />

die Motoren laufen erheblich viel leiser.<br />

Sicher würden viele zweimal überlegen, ob<br />

ein Verzicht auf Metallic-Lack oder sonstigen<br />

Schnickschnack nicht besser im Gasantrieb<br />

angelegt wäre. Wer den Wald im Auge hat,<br />

<strong>für</strong> sie oder ihn gäbe es ohnehin nur eine Entscheidung:<br />

<strong>für</strong> Erdgas. Und dies nicht erst in<br />

einigen Jahren, wenn die umweltfeindliche<br />

Automobilindustrie endlich die saubere<br />

Technologie anbieten wird, am liebsten<br />

schon vor Jahrzehnten…<br />

M. Grimm


„Mißtrauensschürung<br />

gegen Män ner“ Zitat einer Frau – aus der CDU<br />

Das hessische Gleichberechtigungsgesetz:<br />

Chance oder Bürokratismus?<br />

Kaum ein Gesetz hat zu solch hitzigen<br />

Debatten geführt wie das Hessische<br />

Gleichberechtigungsgesetz. Die einen wittern<br />

einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung<br />

und zu hohe Kosten, die anderen<br />

sehen darin die einzige Chance, daß die verfassungsrechtlich<br />

garantierte Gleichberechtigung<br />

von Frauen und Männern endlich verwirklicht<br />

wird – wenn auch nur im öffentlichen<br />

Dienst, auf den sich das Gesetz<br />

beschränkt. Es sieht bei Einstellungen und<br />

Beförderungen verbindliche Quoten und Zielvorgaben<br />

zur Förderung von Frauen und <strong>für</strong><br />

alle Bereiche des öffentlichen Dienstes Frauenbeauftragte<br />

vor, die ein aufschiebendes<br />

Vetorecht mit zwingender Wirkung haben;<br />

und geht damit wesentlich weiter als der im<br />

April beschlossene Gesetzentwurf <strong>für</strong> die<br />

Bundesangestellten des öffentlichen Dienstes<br />

von Bundesfrauenministerin Angela<br />

Merkel (CDU). Es ist offiziell zwar seit dem<br />

31. Dezember 1993 in Kraft – und betrifft<br />

damit etwa 400.000 Menschen, die in Verwaltungen<br />

des Landes oder der 21 Landkreise<br />

mit 426 Städten und Gemeinden, in den<br />

Sparkassen, dem Hessischen Rundfunk, den<br />

Universitäten und Hochschulen arbeiten –<br />

räumt aber eine Frist von fünf Monaten ein,<br />

bis zu der die Frauenbeauftragten im Amt<br />

sein müssen. Diese Zeit ist in gut zwei<br />

Wochen um. In Darmstadt hat es bisher aber<br />

nur zwei Ausschreibungen gegeben: bei den<br />

städtischen Kliniken und bei der Technischen<br />

Hochschule – abgesehen von Landesdienststellen.<br />

Die Stadt tut darüber hinaus<br />

wenig, sie wartet erst einmal auf die Ausführungsbestimmungen,<br />

die diese Tage in<br />

den Verwaltungen eintrudeln sollen.<br />

Ob dieses Gesetz „Chancen <strong>für</strong> viele Frauen?!“<br />

bietet, darüber diskutierten am 27.4.,<br />

Das Gesetz im Wortlaut:<br />

Wir zitieren in Auszügen<br />

§ 1 Ziel des Gesetzes: Ziel dieses Gesetzes ist der gleiche<br />

Zugang von Frauen und Männern zu öffentlichen<br />

Ämtern. Bis zur Erreichung dieses Zieles werden durch<br />

berufliche Förderung von Frauen auf der Grundlage<br />

von Frauenförderplänen mit verbindlichen Zielvorgaben<br />

die Zugangs- und Aufstiegsbedingungen sowie die<br />

Arbeitsbedingungen <strong>für</strong> Frauen verbessert …<br />

§ 3 Grundsätze: (1) Die Dienststellen sind verpflichtet,<br />

durch Frauenförderpläne … auf die Gleichstellung<br />

von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst<br />

sowie die Beseitigung von Unterrepräsentanz von<br />

Frauen hinzuwirken und Diskriminierungen … zu<br />

beseitigen.<br />

(2) Frauen sind unterrepräsentiert, wenn innerhalb<br />

des Geltungsbereiches eines Frauenförderplanes (§4)<br />

in einer Lohngruppe, Vergütungsgruppe oder Besoldungsgruppe<br />

einer Laufbahn weniger Frauen als<br />

Männer beschäftigt sind …<br />

§4 Aufstellung von Frauenförderplänen: (1) Frauenförderpläne<br />

werden <strong>für</strong> jeweils sechs Jahre <strong>für</strong> jede<br />

Dienststelle aufgestellt. Personalstellen mehrerer<br />

Dienststellen können nach Maßgabe der Abs. 2 bis 4<br />

in einem Frauenförderplan zusammengefaßt werden.<br />

(3) Für jede Gemeinde und jeden Gemeindeverband<br />

ausschließlich der Eigenbetriebe und Krankenanstalten<br />

wird mindestens je ein Frauenförderplan aufgestellt<br />

…<br />

§5 Inhalt des Frauenförderplanes: (1) Gegenstand<br />

des Frauenförderplanes sind die Förderung der<br />

Gleichstellung von Frauen und Männern …<br />

(2) Grundlage des Frauenförderplanes ist eine<br />

Bestandsaufnahme und Analyse der Beschäftigtenstruktur<br />

sowie eine Schätzung der im Geltungsbereich<br />

des Frauenförderplanes zu besetzenden Personalstellen<br />

und möglichen Beförderungen …<br />

(3) Der Frauenförderplan enthält <strong>für</strong> jeweils zwei Jahre<br />

verbindliche Zielvorgaben bezogen auf den Anteil<br />

der Frauen bei Einstellungen und Beförderungen zur<br />

Erhöhung des Frauenanteils in Bereichen, in denen<br />

Frauen unterrepräsentiert sind …<br />

(4) In jedem Frauenförderplan sind jeweils mehr als<br />

die Hälfte der zu besetzenden Personalstellen eines<br />

Bereichs, in dem Frauen unterrepräsentiert sind, zur<br />

Besetzung durch Frauen vorzusehen …<br />

(6) Der Frauenförderplan enthält auch Maßnahmen<br />

zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie zur<br />

Aufwertung von Tätigkeiten überwiegend mit Frauen<br />

besetzten Arbeitsplätzen, soweit dies erforderlich ist,<br />

um einen dem Gleichberechtigungsgrundsatz widersprechenden<br />

Zustand zu beseitigen …<br />

auf Einladung der Frauenbeauftragten Trautel<br />

Baur, Frauenministerin Ilse Stiewitt (SPD)<br />

und die Landespolitikerinnen Inge Felter<br />

(CDU), Lisa Vollmer (SPD), Ruth Wagner<br />

(FDP) und Daniela Wagner (Grüne) im<br />

Georg-Moller-Haus.<br />

In Darmstadt, so Baur, sind 5.362 weibliche<br />

und männliche Angestellte der Stadtverwaltungen<br />

(inkl. Eigenbetriebe, ohne die städtischen<br />

Kliniken) von der Neuregelung betroffen<br />

– in erster Linie die 60,4 Prozent weiblichen;<br />

in Zahlen: 3.432 Frauen. Vier bis fünf<br />

Frauenbeauftragte hat die Stadt Darmstadt,<br />

so Baur, einzustellen. Diese sollen, nach<br />

ihrem Wunsch, alle gemeinsam in einem<br />

großen kommunalen Frauenbüro arbeiten –<br />

das empfiehlt auch das Gesetz. „Wir Frauenbeauftragten<br />

haben Frauenpolitik öffentlich<br />

gemacht. Jetzt liegt das Gesetz auf unseren<br />

Schultern, aber es darf nicht zu unseren<br />

Lasten gehen“, deshalb fordert sie <strong>für</strong> das<br />

Kreisfrauenbüro fünf ganze und eine halbe<br />

Stelle – „ein sichtbarer Machtzuwachs“. Der<br />

notwendig ist, da die Stadt der Frauenbeauftragten<br />

bislang die notwendigen Hilfskräfte<br />

schlicht vorenthalten hat.<br />

Überflüssiges Gesetz?<br />

„Mit Hilfe des Gesetzes sollen insgesamt die<br />

Arbeitsbedingungen verbessert werden“,<br />

interpretiert die Frauenbeauftragte und erklärt,<br />

es gehe um flexiblere Arbeitszeitmodelle,<br />

Teilzeitarbeitsstellen und Aufwertung der<br />

Familienarbeitsplätze, gegen sexuelle Belästigung<br />

und schreibe unter anderem auch<br />

vor, daß zukünftig alle (auch neugeschaffenen)<br />

Beiräte, Kommissionen und Gremien<br />

mit mindestens 50 Prozent Frauen besetzt<br />

sein müssen – das hätte auch Oberbürgermeister<br />

Peter Benz (SPD) bei der Besetzung<br />

§7 Vergabe von Ausbildungsplätzen: (1) In Ausbildungsberufen<br />

… sind sie bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen<br />

mindestens zur Hälfte zu berücksichtigen<br />

…<br />

§8 Ausschreibungen: (1) In allen Bereichen, in denen<br />

Frauen unterrepräsentiert sind, sind zu besetzende<br />

Personalstellen grundsätzlich in den Dienststellen, in<br />

nach- und übergeord<strong>net</strong>en Behörden sowie öffentlich<br />

auszuschreiben …<br />

(2) In Ausschreibungen ist darauf hinzuweisen, daß<br />

Vollzeitstellen grundsätzlich teilbar sind. Soweit eine<br />

Verpflichtung zur Erhöhung des Frauenanteils auf<br />

Grund eines Frauenförderplanes besteht, ist dies in<br />

der Ausschreibung zu erwähnen …<br />

§9 Vorstellungsgespräch: (1) In Bereichen, in denen<br />

Frauen unterrepräsentiert sind, werden mindestens<br />

ebenso viele Frauen wie Männer oder alle Bewerberinnen<br />

zum Vorstellungsgespräch eingeladen …<br />

(2) Fragen nach einer bestehenden oder geplanten<br />

Schwangerschaft und danach, wie die Betreuung von<br />

Kindern neben der Berufstätigkeit gewährleistet werden<br />

kann, sind unzulässig.<br />

§10 Auswahlentscheidungen: (1) … Bei der Qualifikationsbeurteilung<br />

sind Fähigkeiten und Erfahrungen,<br />

die durch die Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen<br />

im häuslichen Bereich (Familienarbeit)<br />

erworben wurden, zu berücksichtigen, soweit ihnen<br />

<strong>für</strong> die Eignung, Leistungen und Befähigung der<br />

Bewerberinnen Bedeutung zukommt. Dies gilt auch,<br />

wenn Familienarbeit neben der Erwerbstätigkeit geleistet<br />

wurde.<br />

(2) Dienstalter, Lebensalter und der Zeitpunkt der<br />

letzten Beförderung dürfen nur insoweit Berücksichtigung<br />

finden, als ihnen <strong>für</strong> die Eignung, Leistung und<br />

Befähigung der Bewerberinnen und Bewerber Bedeutung<br />

zukommt.<br />

(3) Familienstand oder Einkommen des Partners oder<br />

der Partnerin dürfen nicht berücksichtigt werden.<br />

Teilzeitbeschäftigungen, Beurlaubungen und Verzögerungen<br />

beim Abschluß der Ausbildung auf Grund der<br />

Betreuung von Kindern oder von nach ärztlichem<br />

Zeugnis pflegebedürftigen Angehörigen dürfen sich<br />

nicht nachteilig auf die dienstliche Beurteilung auswirken<br />

…<br />

(4) Werden die Zielvorgaben des Frauenförderplanes<br />

<strong>für</strong> jeweils zwei Jahre nicht erfüllt, bedarf bis zu ihrer<br />

Erfüllung jede weitere Einstellung oder Beförderung<br />

eines Mannes in einem Bereich, in dem Frauen unterrepräsentiert<br />

sind, der Zustimmung der Stelle, die<br />

dem Frauenförderplan zugestimmt hat …<br />

(5) Solange kein Frauenförderplan aufgestellt ist,<br />

dürfen in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert<br />

sind, keine Einstellungen und Beförderungen<br />

vorgenommen werden.<br />

seines neuen Planungsstabes befolgen müssen,<br />

denn so steht es im Gesetz, §14 sowie<br />

10, Absatz 5 (Wortlaut siehe unten). Von<br />

ihrem Vetorecht hat die Frauenbeauftragte<br />

keinen Gebrauch gemacht – eine Ausschreibung<br />

hielt der OB ebenfalls <strong>für</strong> überflüssig,<br />

denn er wollte wohl Parteifreunde entlohnen.<br />

Das Gesetz steht und fällt mit Einsatz und<br />

dem Widerstandsgeist der Frauenbeauftragten.<br />

Als einzige hat sie heute die Möglichkeit,<br />

bei jeder Postenvergabe eine öffentliche Ausschreibung<br />

zu fordern, die Auswahl der BewerberInnen<br />

zu kontrollieren und der Stellenvergabe<br />

ihr Ja und Amen zu geben. Übrigens:<br />

Ihre Stellung ist dermaßen stark, daß sie als<br />

einzige in den Behörden Opposition gegen<br />

den regierenden Magistrat leisten kann und<br />

auch von jeder Pressezensur freigestellt ist.<br />

Verweigerungshaltung<br />

Was hat sich seit dem 31.12.93 in Hessen<br />

getan? Stiewitt: „Das Gesetz ist nicht in den<br />

Schubladen verschwunden, daran wird gearbeitet.“<br />

Da es eine vorausschauende Personalplanung<br />

erfordert – „was bisher nicht<br />

überall üblich war“ – führe es zu „gravierenden<br />

Änderungen <strong>für</strong> das übliche Verwaltungshandeln“<br />

und werde sich „innovativ auf<br />

die Verwaltung auswirken“ und Diskriminierungen<br />

sichtbar machen. Probleme bereite<br />

die Umsetzung aus Kostengründen, gibt sie<br />

zu. Aber: „Alle Versäumnisse kosten, denken<br />

wir nur an den Umweltschutz“. Sicher ist sie,<br />

daß die „Verweigerungshaltung einiger<br />

Kommunen und Landkreise noch aufgeweicht<br />

werden kann“.<br />

Ganz anders bewertet die CDU-Politikerin<br />

Felter, Vorsitzende des Arbeitskreises Frauenarbeit<br />

und Sozialordnung der CDU-Landtagsfraktion,<br />

das „Herzstück der rot-grünen<br />

§11 Fortbildung: … (2) Für weibliche Beschäftigte<br />

werden besondere Fortbildungsmaßnahmen angeboten,<br />

die eine Weiterqualifikation ermöglichen und auf<br />

die Übernahme von Tätigkeiten, bei denen Frauen<br />

unterrepräsentiert sind, vorbereiten …<br />

§12 Familiengerechte Arbeitszeit und Beurlaubung:<br />

(1) Die Dienststellen sollen verstärkt Arbeitszeiten<br />

anbieten, die den Bedürfnissen der Beschäftigten<br />

Rechnung tragen, die Familienpflichten wahrnehmen<br />

…<br />

(2) Anträgen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern<br />

auf Teilzeitbeschäftigung, Beurlaubung oder<br />

flexible Arbeitszeit zur Betreuung von Kindern oder<br />

von nach ärztlichem Zeugnis pflegebedürftigen<br />

Angehörigen ist zu entsprechen, soweit nicht dringende<br />

dienstliche Belange entgegenstehen …<br />

(3) Bei Teilzeitbeschäftigungen und Beurlaubungen<br />

aus den in Abs. 2 genannten familiären Gründen<br />

sowie <strong>für</strong> die Zeit des Beschäftigungsverbotes nach<br />

§6 des Mutterschutzgesetzes und §6 der Mutterschutzverordnung<br />

ist ein personeller Ausgleich vorzunehmen.<br />

§13 Teilzeitbeschäftigung: (1) Teilzeitbeschäftigten<br />

sind die gleichen beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten<br />

und Fortbildungschancen einzuräumen wie Vollzeitbeschäftigten<br />

…<br />

§14 Gremien: Bei der Besetzung von Kommissionen,<br />

Beiräten, Verwaltungs- und Aufsichtsräten sowie<br />

sonstigen Gremien sollen mindestens die Hälfte der<br />

Mitglieder Frauen sein …<br />

§15 Sexuelle Belästigung: (1) Die Dienststellen sind<br />

verpflichtet, sexuellen Belästigungen vorzubeugen<br />

und bekanntgewordene sexuelle Belästigungen als<br />

Dienstvergehen im Sinne der Hessischen Disziplinarordnung<br />

oder der entsprechenden arbeitsrechtlichen<br />

Regelungen zu verfolgen. Vorgesetzte sind verpflichtet,<br />

bekanntgewordene sexuelle Belästigungen der<br />

Dienststellenleitung zu melden.<br />

(2) Sexuelle Belästigungen sind unerwünschte sexuelle<br />

Annäherungsversuche und Körperkontakte sowie<br />

sexuell abfällige oder abwertende Bemerkungen,<br />

Gesten oder Darstellungen, die von der betroffenen<br />

Person als beleidigend, erniedrigend oder belästigend<br />

empfunden werden.<br />

(3) Beschwerden über sexuelle Belästigung dürfen<br />

nicht zur Benachteiligung der belästigten Person<br />

führen.<br />

§16 Bestellung von Frauenbeauftragten: (1) Jede<br />

Dienststelle mit mehr als zwanzig Beschäftigten<br />

bestellt eine Frauenbeauftragte. In den Gemeinden,<br />

Gemeindeverbänden und bei kommunalen Zweckverbänden<br />

mit zwanzig oder mehr Beschäftigten wird je<br />

mindestens eine Frauenbeauftragte bestellt. Die Aufgabe<br />

kann dem Frauenbüro… zugeord<strong>net</strong> werden. In<br />

Koalitionsvereinbarung“. Ihre These: Das<br />

Gesetz beinhaltet keine Chance <strong>für</strong> viele<br />

Frauen“. Während sie von „Bürokratismus,<br />

Überreglementierung, Kostentreiberei, Wettbewerbsverzerrung,<br />

Eingriff in die Selbstverwaltung<br />

der Kommunen und Mißtrauensschürung<br />

gegen Männer und den Betriebsfrieden“<br />

spricht und auch noch verfassungsrechtliche<br />

Bedenken äußert, wird das<br />

überwiegend weibliche Publikum zunehmend<br />

unruhig und unwirsch. Schallendes<br />

Lachen quittiert ihre Aussage: „Ich habe viel<br />

Ablehnung der einseitigen Bevorzugung<br />

erlebt. Auch Frauen wollen die nicht, sondern<br />

wollen wegen ihrer Leistung anerkannt werden“.<br />

Widerspricht sich das?<br />

Ein Gesetz <strong>für</strong> Männer<br />

Daß 60 Prozent der Frauen weniger als 1.800<br />

Mark im Monat verdienen (was laut<br />

Sozialämtern unter dem Existenzminimum<br />

liegt), und das obwohl Frauen beim Bildungsniveau<br />

in den vergangenen 20 Jahren<br />

erheblich aufgeholt haben, so daß heute<br />

kaum noch Defizite zu Männern bestünden,<br />

das sei die Ausgangslage <strong>für</strong> das Gleichstellungsgesetz<br />

gewesen, erklärt die Vorsitzende<br />

des Arbeitskreises Frauenarbeit und Sozialordnung<br />

der SPD-Landtagsfraktion Vollmer.<br />

Dort würde das allererste Mal in einem<br />

Gesetz Familienarbeit als Arbeit gewürdigt –<br />

ein Anfang, meint Vollmer und fordert unter<br />

lautem Applaus: „Wir bräuchten ein Gesetz,<br />

das Männer mit Familie verpflichtet, sich<br />

daran zu beteiligen.“<br />

Sogar Ruth Wagner (FDP) begrüßt einige<br />

Bestimmungen, wie etwa die, daß alle Stellen<br />

teilbar sein müssen. Dies sorge <strong>für</strong> „Flexibilität<br />

und Teamgeist, was bisher an den Verwaltungen<br />

allzu oft vorbeigegangen“ wäre.<br />

diesem Falle ist eine entsprechende personelle Verstärkung<br />

des Frauenbüros oder der ähnlichen Stelle<br />

vorzunehmen …<br />

(2) Zur Frauenbeauftragten<br />

darf<br />

nur eine Frau<br />

bestellt werden.<br />

Ein Interessenwiderstreit<br />

mit<br />

ihren sonstigendienstlichen<br />

Aufgaben<br />

ist auszuschließen.<br />

Sie muß<br />

die zur Erfüllung<br />

ihrer<br />

Aufgabe<br />

erforderliche<br />

Sachkenntnis<br />

und Zuverlässigkeit<br />

besitzen und in<br />

einem unbefristetenBeschäftigungsverhältnis<br />

stehen. Die Bestellung<br />

von Frauenbeauftragten<br />

erfolgt auf Grund<br />

einer Ausschreibung<br />

in der Dienststelle …<br />

§17 Dauer der Bestellung und Abberufung: (1) Die<br />

Frauenbeauftragte und ihre Stellvertreterin werden<br />

<strong>für</strong> je sechs Jahre bestellt …<br />

§18 Aufgaben und Rechte der Frauenbeauftragten:<br />

(1) Die Frauenbeauftragte überwacht die Durchführung<br />

dieses Gesetzes und unterstützt die Dienststellenleitung<br />

bei seiner Umsetzung. Sie hat das<br />

Recht, an den diesbezüglichen Maßnahmen beteiligt<br />

zu werden, insbesondere an 1. der Aufstellung und<br />

Änderung des Frauenförderplanes, der Personalstellen<br />

ihrer Dienststelle betrifft … 3. Stellenausschreibungen<br />

und am Auswahlverfahren sowie an Vorstellungsgesprächen<br />

<strong>für</strong> Personalstellen der Dienststelle,<br />

<strong>für</strong> die sie bestellt wurde, sowie 4. an sonstigen Maßnahmen<br />

der Durchführung des Frauenförderplanes …<br />

(2) Die Frauenbeauftragte erhält auf Verlangen Einsicht<br />

in alle Akten, die Maßnahmen, an denen sie zu<br />

beteiligen ist, betreffen …<br />

§19 Widerspruchsrecht: (1) Ist die Frauenbeauftragte<br />

der Auffassung, daß Maßnahmen oder ihre Unterlassung<br />

gegen dieses Gesetz verstoßen oder infolge<br />

von solchen Maßnahmen die Erfüllung des Frauenförderplanes<br />

gefährdet ist, kann sie innerhalb einer<br />

Frist von zwei Wochen ab Kenntnis bei der Dienststellenleitung<br />

widersprechen …<br />

§20 Dienstliche Stellung: (1) Die Frauenbeauftragte<br />

nimmt ihre Aufgaben und Befugnisse als dienstliche<br />

Tätigkeit wahr. Dabei ist sie von fachlichen Weisun-<br />

Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 6<br />

Dennoch: Auch sie äußerte verfassungsrechtliche<br />

Bedenken gegen die Zielvorgabe,<br />

die sie „<strong>für</strong> eher kontraproduktiv“ hält. Daß<br />

das Gesetz <strong>für</strong> Darmstadt vier bis fünf Frauenbeauftragte<br />

nach sich ziehe, führe in Zeiten<br />

leerer Kassen zu Frauenfeindlichkeiten,<br />

prophezeit sie.<br />

Dem Argument der Überreglementierung<br />

entgeg<strong>net</strong> Daniela Wagner verteidigend: „Mir<br />

wäre es ja auch recht, wenn alle Verkehrsteilnehmer<br />

ohne Straßenverkehrsordnung friedlich<br />

und <strong>net</strong>t fahren würden, aber dem ist ja<br />

nicht so.“ Und gegen Felter polemisiert sie:<br />

„Ich treffe immer mehr Frauen, die keine<br />

Lust mehr haben, trotz ihrer Leistung<br />

benachteiligt zu werden.“ Und kommt zum<br />

Schluß: „Ohne Quote läuft nix!“<br />

Ein Stellenpool darf nicht sein<br />

Aus dem Publikum meldet sich die Leiterin<br />

der Sozialverwaltung, Wilma Mohr (SPD):<br />

„Ohne Quote geht es nicht. Aber das Gesetz<br />

genügt nicht, wenn nicht auch Finanzen<br />

bereitgestellt werden. Ganz im Gegenteil<br />

be<strong>für</strong>chte ich, daß wir es aufgrund der ökonomischen<br />

Situation mit immer weniger<br />

Frauen zu tun haben werden.“ Als Beispiel<br />

führt sie die in Darmstadt praktizierte Neuregelung<br />

an, wonach freiwerdende Stellen (wg.<br />

Schwangerschaften) in den Stellenpool wandern.<br />

Das, so Frauenministerin Stiewitt, „darf<br />

nicht sein“. Auch die CDU-Kreisvorsitzende<br />

Eva Ludwig meint, <strong>für</strong> die Verwirklichung<br />

des Gesetzes sei kein Geld vorhanden. Daniela<br />

Wagner entgeg<strong>net</strong> dieser Kritik: „Warum<br />

haben wir Frauen im Stadtparlament es nicht<br />

fraktionsübergreifend geschafft, teure Männerhobbies<br />

abzuschaffen wie den SV 98?“<br />

Außerdem stünden im Landeshaushalt Mittel<br />

in Höhe von 8,1 Millionen Mark <strong>für</strong> den<br />

„nachgeburtlichen Mutterschutz“ bereit.<br />

Ein Rätsel gibt das Gesetz auf: mit seiner<br />

Anforderung, daß alle Stellen <strong>für</strong> die Frauenbeauftragten<br />

„kostenneutral“ geschaffen<br />

werden sollen. Wie das gehen soll? Daran<br />

wird hessenweit noch lange geknobelt.<br />

Bei allem Gezeter um das Gesetz geht es nur<br />

um eins: Um (Parteien/ Männer-) Macht, um<br />

Einfluß und ums liebe Geld. Was den einen<br />

nicht genommen wird, kann den anderen<br />

nicht gegeben werden. Warum sollte Mann<br />

das Gesetz durchsetzen wollen? Ein hartes<br />

Stück künftiger Arbeit <strong>für</strong> die Frauenbeauftragte.<br />

Eva Bredow<br />

Grafiken entnommen aus: „Halbe-Halbe – Der Streit<br />

um die Quotierung“, Hrsg. Mechtild Jansen, Berlin,<br />

Elefantenpress, 1986<br />

gen frei. Sie ist im erforderlichen Umfang von den<br />

übrigen dienstlichen Aufgaben zu entlasten und mit<br />

den zur Erfüllung<br />

ihrer Aufgabennotwendigen<br />

räumlichen,personellen<br />

und sachlichen Mitteln auszustatten.<br />

(2) In Dienststellen mit mehr als 200<br />

Beschäftigten ist <strong>für</strong> die Tätigkeit der<br />

Frauenbeauftragten mindestens eine<br />

Stelle mit der Hälfte der regelmäßigen<br />

Wochenarbeitszeit zur Verfügung<br />

zu stellen, in Dienststellen mit mehr<br />

als 500 Beschäftigten eine volle<br />

Stelle. In Dienststellen mit mehr<br />

als 800 Beschäftigten ist der<br />

Frauenbeauftragten eine Mitarbeiterin<br />

mit der Hälfte der<br />

regelmäßigen Arbeitszeit<br />

zuzuordnen,<br />

in<br />

Dienststellen<br />

mit mehr als<br />

1000<br />

Beschäftigten<br />

eine Mitarbeiterin<br />

mit der vollen<br />

Regelarbeitszeit …<br />

§21 Übergangsvorschriften:<br />

(1) Frauenförderpläne<br />

sind innerhalb<br />

von neun Monaten<br />

nach dem Inkrafttreten<br />

dieses Gesetzes aufzustellen<br />

…<br />

(2) Die Frauenbeauftragten<br />

sind erstmals bis zum Ablauf<br />

von fünf Monaten nach<br />

Inkrafttreten dieses<br />

Gesetzes zu<br />

bestellen …


J<br />

edes Jahr organisiert die Künstlervereinigung<br />

Darmstädter Sezession eine<br />

große Ausstellung – mal auf der Mathildenhöhe<br />

(Malerei), mal auf der Ziegelhütte<br />

(Plastik). Dabei zeich<strong>net</strong> sie im Wechsel<br />

Bildhauer und Maler mit dem bundesweiten<br />

„Preis <strong>für</strong> junge Künstler“ aus. Dieses Jahr<br />

lädt die Sezession wieder ins idyllische<br />

Grün der Ziegelhütte ein, zur 12. Freiplastikausstellung<br />

mit dem Titel „Vom Block<br />

zur Figuration“. Neben 27 Sezessionsmitgliedern<br />

stellen dort 25 Bewerber sowie<br />

Andreas Frömberg, Preisträger von 1992,<br />

und die Förderpreisträger von 1988 bis 92<br />

– Hermann Kerkhoff,<br />

Karoline<br />

Bernesga, Reinhard<br />

Haverkamp<br />

und<br />

Simon P.<br />

Schrieber<br />

– insgesamt<br />

120 Plastiken aus. Das Kunstpreisgeld<br />

in Höhe von 8.000 Mark<br />

spendet seit Jahren die HEAG, seit<br />

1987 stiftet die Kunstgießerei Jörg Grundhöfer,<br />

Niedernberg, 2.000 Mark <strong>für</strong> einen<br />

Förderpreis.<br />

Dieses Jahr feiert die Sezession ein besonderes<br />

Jubiläum: sie existiert seit 75 Jahren.<br />

Oberbürgermeister Peter Benz (SPD) übergab<br />

deshalb bei der Ausstellungseröffnung<br />

am 7. Mai Sezessionspräsident Pit Ludwig<br />

<strong>für</strong> die Künstlervereinigung die silberne Ehrenplakette<br />

der Stadt Darmstadt, die „höchste<br />

Auszeichnung des Magistrats“ (Benz).<br />

Im Gründungsmanifest von 1919 heißt es:<br />

„Die radikalen Künstler Darmstadts<br />

und der Peripherie<br />

haben sich zu einer Sezession<br />

zusammengeschlossen,<br />

haben die längst erforderliche<br />

Reinigung von bourgeoiser<br />

Verschmutzung vollzogen …<br />

Ihre Vereinung bedeutet die<br />

Evakuierung des Geistes<br />

aus dem bürgerlichen Leben.<br />

Ihr Zusammenschluß ist Kampf …<br />

Die radikalen Künstler haben auf<br />

ihre Fahne geschrieben:<br />

Erreichung des politischen,<br />

künstlerischen Kontakts.<br />

Tod aller Isolation.“<br />

Kämpferisch und radikal traten sie im Juni<br />

1919 an die Öffentlichkeit, die Gründung<br />

der Darmstädter Sezession zu verkünden<br />

und damit Beispielen wie in Wien, Berlin<br />

und Düsseldorf zu folgen. Sie, das waren<br />

Maler, Bildhauer und Schriftsteller, die sich<br />

zusammengeschlossen hatten, um Ausstellungen<br />

zu organisieren, der neuen Literatur<br />

ein Forum zu geben und gemeinsam<br />

die Kunst, das Leben, die Gesellschaft nach<br />

dem 1. Weltkrieg, der die großbürgerlichen<br />

Ideale in Frage gestellt und zerstört hatte,<br />

radikal zu erneuern. Kasimir Edschmid war<br />

ihr erster Präsident; Max Beckmann, Carl<br />

Gunschmann, Theodor Haubach, Bernhard<br />

Hoetger, Ludwig Meidner, Wilhelm Michel,<br />

Carlo Mierendorff, Hans Schiebelhuth, Fritz<br />

Usinger und Pepy Würth waren Gründungsmitglieder.<br />

Ihre erste Ausstellung zeigte die Sezession<br />

drei Monate später in der Darmstädter<br />

Kunsthalle; der Bogenschütze kündigte das<br />

Geschehen auf Plakaten an – Ernst Moritz<br />

Engerts Scherenschnitt blieb das Sig<strong>net</strong>,<br />

bis es der Arheilger Grafiker Helmut Lortz<br />

variierte. Die zweite Präsentation brachte<br />

bereits große Bekanntheit und Bedeutung<br />

weit über Darmstadt hinaus. In den renovierten<br />

Hallen der Mathildenhöhe hatte die<br />

Sezession unter dem Titel „Deutscher<br />

Expressionismus. Darmstadt 1920“ mehr<br />

als 600 Kunstwerke zusammengetragen.<br />

Das Anliegen der Künstler, sich zu vereinen<br />

und die Isolation zu überwinden, fand 1933<br />

ein jähes Ende, als Nationalsozialisten die<br />

Darmstädter Sezession verboten – wer <strong>für</strong><br />

das Verbot in Darmstadt verantwortlich<br />

zeich<strong>net</strong>e, war in Festschriften und Unterlagen<br />

der Sezession nicht zu entdecken. Viele<br />

flüchteten ins Exil oder zogen sich in die<br />

schweigende Privatsphäre zurück. Nach<br />

dem Zusammenbruch des „tausendjährigen<br />

Reiches“, das zwölf Jahre dauerte, fanden<br />

sich einige Künstler wieder in Darmstadt<br />

zusammen: Paul Thesing, Willi Hofferbert<br />

und Kurt Heyd gründeten 1946 die<br />

„Neue Darmstädter Sezession“. Wiederum<br />

sammelte die Aufbruchstimmung einer<br />

Nachkriegszeit Künstler, Komponisten,<br />

Schriftsteller, Architekten und Kunsthistoriker.<br />

Damals rief die Sezession die „Darmstädter<br />

Gespräche“ ins Leben.<br />

Und heute? Da feiert die Sezession ihre<br />

ersten 75 Jahre. Sezessionen gab es einmal<br />

viele, doch nur wenige andere haben ein<br />

solch hohes Alter<br />

erreicht. Viele<br />

haben es nicht<br />

über so eine lange<br />

Zeit ver-<br />

mocht, ihre alten<br />

Mitglieder<br />

bei Laune zu<br />

halten und zu<br />

gleich beim<br />

Nachwuchs<br />

auf Interesse zu stoßen.<br />

Künstler – vereinen? Künstler sind vor<br />

allem Individualisten und nicht unbedingt<br />

unkomplizierte Menschen. In diesen<br />

Grüppchen tummeln sich viele Extreme:<br />

verschlossene Eigenbrötler und enervierende<br />

Geltungssüchtige, Gschaftelhuber und<br />

Faulenzer neben Aktivisten und Highlights.<br />

Manche treffen mit ihrer Kunst eine Zeitlang<br />

den Geschmack des Marktes, einige produzieren<br />

ausschließlich da<strong>für</strong> und damit <strong>für</strong><br />

den eigenen Geldbeutel und ihren Ruhm.<br />

Und wieder andere machen Kunst nur <strong>für</strong><br />

sich und manche von ihnen fristen ihr<br />

Leben in höchster Armut. Künstler mögen<br />

größere Freiheiten haben als viele andere<br />

Berufstätige, ihr Leben und ihre Arbeit nach<br />

eigenem Gusto zu gestalten, dennoch ist ihr<br />

Lebensweg meist beschwerlicher. Ihre Existenz<br />

ist voller Spannungen zwischen<br />

Rationalem und Irrationalem; materielle<br />

Not, Geringschätzung, Selbstzweifel, Isolation<br />

– viele kennen und plagt das.<br />

All jenen muß eine Künstlervereinigung<br />

gerecht werden und Gemeinsames bieten.<br />

Ihre Aufgaben sieht die Sezession darin,<br />

„die künstlerischen Interessen ihrer Mitglieder<br />

und Freunde zu vertreten und zu fördern<br />

sowie in der Kunstpflege im weitesten<br />

Sinne“, so heißt es in ihren Statuten. 125<br />

Mitglieder hat die Sezession heute. Seit<br />

1975 vergibt sie jedes Jahr den „Preis der<br />

Neuen Darmstädter Sezession <strong>für</strong> junge<br />

Künstler“ an jene, die unter 40 Jahren sind<br />

und bisher weder eine große Einzelausstellung<br />

gehabt, noch einen Förder- oder<br />

Kunstpreis erhalten haben. Ihnen bietet sie<br />

auch die Mitgliedschaft an – mit ein Weg,<br />

der sie bisher davor bewahrt hat, das<br />

Schicksal so vieler Vereine zu teilen, deren<br />

Mitglieder alle die sechzig schon überschritten<br />

haben und die Verjüngung vergaßen.<br />

Dennoch, die meisten Sezessionsmitglieder<br />

sind über 50 und schon seit Jahren<br />

dabei. Und es ist auch meist immer die<br />

selbe handvoll Aktiver, die die Ausstellungen<br />

mitorganisiert, auswählt, aufbaut …<br />

„Wir kämpfen seit 14 Tagen, es ist eine reine<br />

Katastrophe“, sagte Pit Ludwig noch<br />

zwei Tage vor Ausstellungseröffnung. Die<br />

FEUILLETON I<br />

Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 7<br />

„O.T.“, Haselnuß, Gaze, 300x65x60, 1993 von Monika Schmid – eine der 26 BewerberInnen <strong>für</strong> den „Preis <strong>für</strong> junge Künstler“ (Alle Fotos: H. Schäfer)<br />

„Tod aller Isolation“<br />

Kunst im idyllischen Grün auf der Ziegelhütte<br />

und ein Jubiläum: 75 Jahre Darmstädter Sezession<br />

Sezession hat alle Transporte bezahlt und<br />

organisiert. Das Maximum-Gewicht sollte<br />

500 Kilo sein, doch einige Kunstwerke – die<br />

nach Fotos von einer Jury im Januar ’94<br />

ausgewählt worden waren – waren dann<br />

doch 1,5 Tonnen schwer. „Das kann nicht<br />

mehr so weiter gehen. Unser Ausstellungsetat<br />

ist von 100.000 Mark auf 67.000 Mark<br />

gekürzt worden. In Zukunft werden die<br />

Künstler einen Transportweg selbst bezahlen<br />

müssen“, orakelte Ludwig.<br />

Letztes Jahr hatte es um die Auswahl der<br />

Bewerber <strong>für</strong> die Malerei-Ausstellung auf<br />

der Mathildenhöhe einen kleinen Eklat gegeben,<br />

der durch deutsche Kunstzeitungen<br />

huschte (siehe ZD vom 9.4.93). Damals war<br />

Liane Palesch Geschäftsführerin der Sezession.<br />

Sie formulierte ein Absageschreiben,<br />

das viele Künstler als Affront auffassen<br />

mußten. Pit Ludwig: „Da<strong>für</strong> mußte sie sich<br />

entschuldigen (siehe ZD-Ausgabe 48) – wir<br />

wußten nichts von dem Schreiben.“ Vielleicht<br />

liegt darin der Grund, weshalb dieses<br />

Jahr 100 Bewerbungen weniger als vor zwei<br />

Jahren eingingen? Vielleicht lag es aber<br />

auch am früheren Anmeldeschluß.<br />

Liane Palesch ist im September ’93 als Geschäftsführerin<br />

aus der Sezession ausge-<br />

beim<br />

„KinderTheaterMai“ in der<br />

Bessunger Knabenschule<br />

Gibt es in Darmstadt zuwenig Theaterangebote<br />

<strong>für</strong> Kinder? Manchen Eltern mag das<br />

so erscheinen. Sicher bringt das Staatstheater<br />

alljährlich sein Weihnachtsmärchen,<br />

im Foyer passiert ab und zu mal was,<br />

auch Dieter Rummel vom „TAP“ und<br />

Roland Hotz vom „Kikeriki“-Theater stellen<br />

schon mal ihr Herz <strong>für</strong> Kinder unter Beweis,<br />

daneben gibt’s Aktivitäten im Nachbarschaftsheim<br />

Prinz-Emil-Garten und im<br />

„HalbNeun-Theater“. Daß sich damit – was<br />

sicher nicht allen Eltern bekannt ist – das<br />

Angebot keineswegs erschöpft, zeigt im<br />

Laufe dieses Monats eine Initiativ-Gruppe,<br />

die den „KinderTheaterMai 1994“ ins Leben<br />

gerufen hat.<br />

In der Bessunger Knabenschule werden in<br />

zwölf Aufführungen sieben Gruppen bzw.<br />

Solokünstler vorgestellt, die auch Kindertheater<br />

machen, allerdings nicht über<br />

eigene Aufführungsräume verfügen. Alleiniger<br />

Sponsor ist die Stadt Darmstadt mit<br />

ihrem Kulturamt. Die ersten Vorstellungen<br />

Der Bogenschütze von Ernst-Moritz Engert zierte das<br />

Plakat der ersten Ausstellung der Darmstädter Sezession<br />

im Jahr 1919. Dieser Scherenschnitt blieb das<br />

Sig<strong>net</strong> der Künstlervereinigung, bis es der Arheilger<br />

Grafiker Helmut Lortz variierte (siehe unten)<br />

sind bereits gelaufen, fanden lebhaften<br />

Zuspruch, auch von Politikerseite, und verbuchten<br />

einige unbeabsichtigte Lacherfolge<br />

unter der Rubrik Künstlerpech – das<br />

Bühneninventar der Bessunger Knabenschule<br />

bedürfte mal einer Generalüberholung<br />

(dies nur als Wink an die Sponsoren).<br />

Was gab’s denn bisher? Die Pantomimen<br />

Klaus Lavies und Till Reinke von der Gruppe<br />

„Hobjes“ setzten Prokofjews „Peter und<br />

der Wolf“ sowie ihr neues Bibelstück „Die<br />

Arche Noah“ in Szene, Peter Fehr brachte<br />

eine eigenwillige Deutung des Liedchens<br />

„Hänschen klein“ und eine Neu-Interpretation<br />

eines pädagogischen Klassikers unter<br />

dem Motto „Wer erzieht eigentlich wen im<br />

Alltag von Struwwelpeter und seiner<br />

Mama?”.<br />

Was ist <strong>für</strong> den Rest des Monats noch angesagt?<br />

Ute Helbig erzählt am Sonntag, 15.,<br />

um 11 Uhr Märchen aus aller Welt, unter<br />

anderem von Christian Andersen und den<br />

Gebrüdern Grimm. Am selben Tag um 15<br />

Uhr gibt’s die „Public-Show <strong>für</strong> Kinder“ von<br />

den Darmstädter JongleurInnen, eine lustige<br />

Geschichte mit viel Akrobatik und Jonglage<br />

von einem Zirkus, dem die Requisiten<br />

schieden – nach über zwanzig Jahren. Eine<br />

offizielle Begründung da<strong>für</strong> gibt es von ihr<br />

nicht. Nachfolgerin ist Katja Epes als geschäftsführende<br />

Sekretärin – nicht als Geschäftsführerin<br />

oder gar als zweite Vorsitzende<br />

wie Palesch zur Überraschung der Sezessionsmitglieder<br />

das Entschuldigungsschreiben<br />

der Sezession unterzeich<strong>net</strong> hatte.<br />

Liane Palesch hat am 29. April ’94 von Oberbürgermeister<br />

Peter Benz (SPD) die „Ehrenurkunde<br />

<strong>für</strong> verdiente Bürger“ erhalten –<br />

<strong>für</strong> „ehrenamtliche Arbeit im gesellschaftlichen<br />

und kulturellen Bereich“. Heute arbeitet<br />

sie mit Alt-OB Günther Metzger (SPD) im<br />

Heinerfest-Ausschuß und leitet und verwaltet<br />

den Verein „Künstlerhaus auf der Ziegelhütte“,<br />

den die Sezession Anfang der achtziger<br />

Jahre als eigenständigen und gemeinnützigen<br />

Verein gegründet hatte, und der das<br />

Haus in der Kranichsteiner Straße von der<br />

Stadt in Erbbaupacht überlassen bekam.<br />

Eva Bredow<br />

Abb.: links oben: „Das Summen der Mücken über dem<br />

Hochmoor“, Stahl, Keramik, 1993 von Magdalena<br />

Drebber; darunter: „Anja“, „Britta“, „Kleine sitzende<br />

Figur“, Bronze, 1990 von Marco Baré<br />

Die Ausstellung in der Kranichsteiner Straße 110<br />

ist Di bis So von 10 - 18h geöff<strong>net</strong> – noch bis zum<br />

14. August. Der Katalog kostet 10 Mark.<br />

Viel Theater <strong>für</strong>s Kind im Mai<br />

abhanden gekommen sind. Ein Privatdetektiv<br />

wird beauftragt, sie wiederzufinden, doch<br />

auch die Kinder können dabei mithelfen. Die<br />

Gruppe „Theater im Hof“ zeigt am Dienstag,<br />

17., um 10.30 Uhr und um 15 Uhr, was sie<br />

derzeit im Repertoire hat, nämlich das Märchen<br />

vom „Teufel mit den drei goldenen<br />

Haaren“, die spannende Story vom armen<br />

Müllersburschen, der liebreizenden Prinzessin,<br />

dem fiesen König und – ja, natürlich –<br />

vom bösen Teufel. Am Donnerstag, 19.,<br />

ebenfalls um 10.30 Uhr und um 15 Uhr, bietet<br />

die Theatergruppe „Kannitverstan“ die<br />

unterhaltsame Tierparabel „Der fabelhafte<br />

Kröterich und seine Freunde vom Fluß“ nach<br />

Motiven von Ken<strong>net</strong>h Grahame an, in der es<br />

um „tierische“ Eigenheiten geht, die ziemlich<br />

menschlich anmuten. Alle diese noch anstehenden<br />

Aufführungen eignen sich übrigens<br />

<strong>für</strong> Kinder ab 6 Jahren. Schließlich beendet<br />

der in unserer Gegend als Kinderunterhalter<br />

wohlbekannte Zauberer Dixon am Dienstag,<br />

31. um 15 Uhr mit seiner Show diesen „KinderTheaterMai“,<br />

von dem die Veranstalter<br />

hoffen, daß er in Zukunft regelmäßig stattfinden<br />

wird.<br />

Jo Trillig<br />

INTERNAT. TAPETEN<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ


„Bei der<br />

Bundeswehr<br />

sind bald auch<br />

die Helme blau“<br />

Kabarett muß mit der Zeit gehen; wenn<br />

nicht vorneweg, dann hinterher. Der<br />

Tübinger Kabarettist Adalbert Sedlmeier<br />

hatte sich <strong>für</strong> den Mittelweg entschieden<br />

und rollte zum Beginn des Programms „Der<br />

Experte“ auf einem Einrad durch das niedrige<br />

Gewölbe. Bewegung kommt gut zur Zeit,<br />

Paar-Reim immer schon: „Oh Gott, ich<br />

armes Schwein, ich werd’ doch nicht in<br />

Darmstadt sein“ – schließt er sein Intro. Die<br />

rosa Bäckchen unter der Melone dezent auf<br />

Clown geschminkt, verkörperte Sedlmeier<br />

in den viel zu großen Dummeraugustschuhen<br />

den Typus des artistischen Kleinkunstdienstleisters,<br />

der von der Erwartungshaltung<br />

des Publikums die Schnauze gestrichen<br />

voll hat.<br />

Beispielsweise Mitmachnummern: Acht<br />

dankbare Zuschauer erhalten je einen Strick<br />

<strong>für</strong> ein „Vertrauensspiel“. Richtig zuzuziehen<br />

hat sich dann doch keiner getraut.<br />

Wenige Minuten später stehen die gleichen<br />

Helden auf der Bühne. Ihre Erwartung,<br />

Sedlmeier würde auf einem von ihnen<br />

gehaltenen Seil tanzen, erfüllt sich nicht; er<br />

schaukelt behaglich zwischen den beiden<br />

Quartetten und erklärt den ZuhörerInnen<br />

süffisant: „Diese Nummer geht mit Intellektuellen<br />

eine dreiviertel Stunde.“ So werden<br />

die durch fahrlässige Dauerglotze andressierten<br />

Verhaltensmuster des Publikums<br />

immer wieder treffend ironisiert. Als die<br />

Leute nach einer Jonglagenummer mit<br />

Holzhammer, Apfel und Hut applaudieren,<br />

diagnostiziert der Kabarettist eine Identifikation<br />

mit den Lebensverhältnissen: Sie<br />

hätten wohl auch schon Tage mit der Erlernung<br />

einer vollkommen sinnlosen Tätigkeit<br />

verbracht. Zum Thema Esoterik präsentiert<br />

Scharlatan Sedlmeier einen Kartentrick auf<br />

piktogrammkompatiblem Niveau – offensichtlich<br />

dümmer geht es nicht.<br />

Doch hinter dem groben Format verbirgt<br />

sich eine feine Form der Ironie. Das Beiläufige,<br />

scheinbar nebensächlich Dahergesagte<br />

gelingt Sedlmeier gut. „Bei der Bundeswehr<br />

sind bald auch die Helme blau“ oder<br />

„man braucht die RAF nicht mehr, seit<br />

Rostock geht die Gewalt wieder vom Volke<br />

aus“ kommen nicht als Pointen, sondern<br />

als locker eingestreute Bagatellen – und<br />

desto wirksamer.<br />

Schade, daß sich Sedlmeier nicht auf seine<br />

Stärken – Medienparodie und Conference –<br />

FEUILLETON II<br />

Der Tübinger Kabarettist Adalbert Sedlmeier als „Der Experte“<br />

im Darmstädter Schloßkeller<br />

(Foto: P. Neumann)<br />

konzentriert. Denn beim Rollenspiel ist er<br />

voll von derselben. Der bayrische Verkehrsminister<br />

im Lodenjanker und mit – ehrlich –<br />

Brett vorm Kopf hätte den Narhallamarsch<br />

verdient. Sedlmeiers verschuschelt scherwaschenesch<br />

Schüddeutsch war ein mit<br />

etwas Training vermeidbares Rezeptionshindernis.<br />

Im Zusammenklang mit seiner<br />

fatalen Neigung zum Reim ergeben sich<br />

dann – hier die hochdeutsch transkribierte<br />

Fassung – solche Kleinstkunstmonster:<br />

„Wie, Papa, soll ich dir vertrauen, um sechs<br />

Uhr wolltest mich verhauen, und jetzt um<br />

halbe acht, ist immer noch nichts g’macht.“<br />

Der Volksmund würde hier von einer<br />

semantisch redundanten Intentionskonfusion<br />

sprechen, der Kritiker sagt: Aua.<br />

An diesem Abend kam dazu, daß der Akteur<br />

indisponiert, unausgeschlafen, überfressen,<br />

in Gedanken woanders, sein Haustier<br />

erkrankt, das Auto gestohlen, der Urlaub<br />

geplatzt, wie auch immer – jedenfalls ohne<br />

Präsenz sein Garn abspulte; sonst hätte<br />

man sicherlich noch stärker erkennen können,<br />

bei allen Einschränkungen: der Mann<br />

hat Talent.<br />

P. J. Hoffmann<br />

Vom Ölbild zum „Dokudrama“<br />

Filmporträt über Edward Hopper vom Darmstädter Wolfgang Hastert<br />

chau hin bis zur Faszination und<br />

„S wende dich nicht ab. Vertraue darauf,<br />

daß du etwas sehen wirst, wenn du nur<br />

lange genug davorstehst, um dich zu verlieren.<br />

Und wenn du lernst, zu warten, dann<br />

werden die Dinge … langsam in dein<br />

Bewußtsein sinken und ein Gewicht, eine<br />

Bedeutung erlangen, die in Farbe und Gefühl<br />

aufgewogen werden können …“ Diesem<br />

Goethe zugeschriebenen Satz ist Hopper<br />

mehr als gerecht geworden. Er hat seiner<br />

Arbeit diese Zeilen als Motto und Leitlinie<br />

vorangestellt. Hopper ist damit einer der<br />

wenigen Maler, die nie eine Realität nur<br />

abbildeten, sondern in einer sehr absoluten<br />

sinnlichen Intensität in der Lage waren, die<br />

„Wahrheit“ zu „sehen“.<br />

Mit großer Verspätung haben Hoppers Bildwerke<br />

in Europa Anerkennung gefunden,<br />

da<strong>für</strong> jedoch mit ungewöhnlicher Neugierde<br />

und posthumer Sympathie. In den Vereinigten<br />

Staaten dagegen war der 1882 geborene<br />

New Yorker Hopper bereits in den dreißiger<br />

Jahren <strong>für</strong> die künstlerische Identität seines<br />

Heimatlandes von erheblicher Bedeutung.<br />

Sein Werk strahlt eine große, innere Ruhe<br />

und Kontinuität aus, lebt von einer selten<br />

expressiven Strahlkraft. Und vollkommen<br />

anders als seine ebenfalls realistisch arbeitenden<br />

Malerkollegen aus den USA, etwa seine<br />

Zeitgenossen Stuart Davis, Rockwell Kent<br />

oder Grant Wood, leistet Hopper weder konservativer<br />

Wehmut und drögen ruralem<br />

Pathos (Wood) noch idealisierender Naturtümelei<br />

(Kent) Vorschub. Auch seine Interpretation<br />

des sozialen Aktionsraumes Stadt<br />

stellt sich quer zu allen vergleichbaren Formen<br />

der Verherrlichung der Metropole als<br />

Zentrum von Lebendigkeit, Aktivität, Energie.<br />

Dreizehn Jahre nach der Entdeckung Hoppers<br />

auf dem alten Kontinent scheint es fast<br />

überfällig, daß jemand mit europäischem<br />

Blickwinkel die Initiative zu einer filmischen<br />

Dokumentation ergriff. Der junge Darmstädter<br />

Filmemacher Wolfgang Hastert nutzte die<br />

Zeit als Atelierkünstler im Frankfurter Mousonturm<br />

(1991-1993), um sein Hopper-Projekt<br />

auf den Weg zu bringen. Hasterts Filmporträt<br />

versucht in rund sechzig Minuten das<br />

quasi Unmögliche sichtbar zu machen: Hoppers<br />

Leben und Werk nicht nur zu skizzieren,<br />

sondern auch die eigentümlich aufrühreri-<br />

sche Faszination seiner Bilder lebendig werden<br />

zu lassen. Die Faszination der von cinematographischen<br />

Grundsätzen geprägten<br />

Bilder Hoppers hat beispielsweise auch<br />

Alfred Hitchcock dazu inspiriert, Gestalt,<br />

Form und Betrachtungsperspektive eines<br />

Hauses zum Thriller-Gegenstand zu machen<br />

(„Psycho“, 1960). Hoppers „House by the<br />

railroad“ (1925) ist das Vor-Bild: Es dämonisiert<br />

mit den gleichen visuellen Manipulationstechniken<br />

wie Hitchcocks „Psycho“ den<br />

Ort eines Geschehens – oder auch nur eines<br />

potentiellen Geschehens.<br />

Wolfgang Hastert, 1961 in Michelstadt geboren,<br />

studierte an der Fachhochschule Darmstadt<br />

Fotodesign und vertiefte später mit<br />

einem Fulbright-Stipendium an der California<br />

State University in Los Angeles seine Studien<br />

in Sachen Video und Film. Mit dem nun vorliegenden<br />

„Dokudrama“ verbindet Hastert<br />

geschickt Recherche, Assoziation und Interpretation.<br />

Mit nachgestellten Spielszenen an<br />

möglichen Originalschauplätzen in New York<br />

und auf der Halbinsel Cape Cod soll die filmkompositorische<br />

Perspektive von Hoppers<br />

Ölmalerei tatsächlich zu Film werden. Viel<br />

Detailliebe und gezielt inszeniertes atmosphärisches<br />

Kolorit bietet Hastert auf, um die<br />

Storyboards von Bildern wie „Gas“ (1940)<br />

oder den berühmten „Nighthawks“ (1942) in<br />

bewegte Bilder zu übersetzen.<br />

Wenn Hastert sich in ein Bild wie „Western<br />

Motel“ (1957) hineinversenkt, wird deutlich,<br />

wie sehr die Regievorbilder <strong>für</strong> Hastert –<br />

Wim Wenders, David Lynch oder auch Jim<br />

Jarmusch – ebenfalls den „Hopper-Blick“ in<br />

ihrer Bildersprache anwenden. Hoppers<br />

„Western Motel“ verneint geradezu jeden<br />

Hinweis auf die <strong>für</strong> die Kultur Nordamerikas<br />

so entscheidende Essenz der Rastlosigkeit.<br />

Vielmehr werden das Mobiliar des Motels,<br />

die Straße und das charakteristisch ausschnitthaft<br />

gezeigte Automobil versteinern<br />

zu einem Stilleben trostloser Pseudo-Mobilität<br />

– als wär’s eine Szene aus „Paris,<br />

Texas“. Hastert gelingen aufbauend auf diesem<br />

Grundthema der Vermittlung von Innenund<br />

Außenwelt einige Sequenzen von großer<br />

Dichte und assoziativem Charisma.<br />

Wenn einerseits das Konzept „Dokudrama“<br />

gegenüber der reinen Dokumentarfilm-Rezeptur<br />

erheblich größeren Reiz besitzt, so gibt<br />

es andererseits auch Defizite in der Übersetzung<br />

von Bild zu Film. Das Unlösbare kann<br />

tatsächlich nicht gelöst werden: „Office at<br />

night“ etwa, eine Büroszene, macht in der<br />

Filmversion wenig Sinn und überlistet sich in<br />

„Zimmer in New York“ von Edward Hopper 1932 (Foto: Archiv)<br />

Jesulein<br />

contra<br />

Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 8<br />

göttliche Gabi?<br />

Diskussionsveranstaltung<br />

über „Universelles Leben“<br />

im Kulturzentrum Bessunger Knabenschule<br />

ut zum Leben“ heißt der Stand auf<br />

„G dem Darmstädter Marktplatz. Dort<br />

gibt es Biofutter <strong>für</strong> die artgerechte Müslimenschenhaltung<br />

zu Preisen, die dem Budget<br />

eines säkularisierten Studienrates angemessen<br />

sind. Das Sektenblättchen „Christusstaat“<br />

ist auf besserem Papier als diese<br />

Zeitung gedruckt und steht in punkto Frömmelei<br />

den Publikationen der Johannes-, Petrus-<br />

oder St. Elisabethgemeinde weder vor<br />

noch nach. In annähernd zweihundert „Christusbetrieben“,<br />

vornehmlich Bauernhöfen,<br />

Bäckereien, Gemüseläden und vegetarischen<br />

Imbißlokalen, knechtet sich die glückliche<br />

Schar der Gläubigen teilweise <strong>für</strong> den<br />

Gotteslohn von zweihundert Mark im Monat.<br />

Das ist auch nichts Neues, wie die lieben<br />

Klosterbrüder und Diakonissen bestätigen<br />

könnten. Beim Stichwort totalitäre Herrschaft<br />

würde mir spontan auch nicht die<br />

universelle Prophetin Gabriele Wittek einfallen,<br />

sondern Papst Johannes Paul II. Und<br />

daß Menschen, die öffentlich die unbefleckte<br />

Empfängnis, Jungfrauengeburt und die<br />

Wiederauferstehung von den Toten<br />

behaupten, in unserem Land unbeaufsichtigt<br />

ein Kraftfahrzeug führen und wählen<br />

dürfen, läuft ja auch nicht unter gesellschaftlicher<br />

Integration psychisch Kranker,<br />

sondern weltanschaulicher Toleranz.<br />

zitierender Genauigkeitsliebe selbst. Der typische<br />

Ausdruck von Vereinsamung, Verunsicherung<br />

und Orientierungslosigkeit in den<br />

Gesichtern der Hopper-Figuren gewinnt eben<br />

gerade in seiner statischen Fixiertheit Rang<br />

und Gewicht. Die Dramatik menschlicher Beziehungslosigkeit<br />

im soziokulturellen Milieu<br />

der depressiven dreißiger und fortschrittsskeptischen<br />

vierziger Jahre ist zwar zu schauspielern,<br />

ohne Frage, aber eben genau um den<br />

Preis, der das Original von der Kopie unterscheidet.<br />

Die filmische Umsetzung zieht hier –<br />

fast gezwungenermaßen – den Kürzeren.<br />

Prägnanz gewinnt Hasterts Porträt, wenn er<br />

Zeugen befragt (etwa den Porträt-Photographen<br />

Hoppers). Es wird nicht simultan übersetzt,<br />

sondern mit kleiner Zeitverzögerung,<br />

was der Spurensuche viel originäre Spannung<br />

und Authentizität verleiht. Der Film mit<br />

dem Untertitel „Der schweigsame Zeuge“<br />

hätte jedoch mehr verweisen können auf<br />

das, wo<strong>für</strong> der „Zeuge“ Hopper steht. Denn<br />

sein Schweigen ist sehr beredet. Und obschon<br />

sein Werk keine bewußt-strategische<br />

Ausrichtung nach außen aufweist, also etwa<br />

gesellschaftskritische Imperative umsetzt,<br />

ist Hopper wider alle Absicht ein sozialer<br />

Seismograph. Er fungiert als Dokumentator<br />

der Inhaltsleere der Moderne im 20. Jahrhundert.<br />

Gar kein einfacher Fall, dieser Hopper,<br />

aller figürlichen Einfachheit, Klarheit und<br />

Reduktion seiner Bildinhalte zum Trotze.<br />

Hastert spürt dem äußerlich fast geheimnisvoll<br />

spröden, im Grunde jedoch ganz auf<br />

Empfindung aufgebauten Leben und Werk<br />

Hoppers sachte und sensibel nach. Schon<br />

das geschilderte, lange Graben in US-Fernseharchiven,<br />

um ein paar bewegte Bilder mit<br />

Hopper zu erhaschen, spricht Bände über<br />

den Porträtierten. Hopper wollte sehen, nicht<br />

gesehen werden. Einige seiner Blicke auf alltägliche<br />

amerikanische Abgründe wurden zu<br />

Ikonen eines Gefühls der Entfremdung.<br />

Wolfgang Hasterts Filmporträt verweist<br />

mit vielen gelungenen Einstellungen und<br />

Einsichten auf die Aktualität dieses suggestiven<br />

Symbolismus namens Hopper.<br />

Paul-Hermann Gruner<br />

Wolfgang Hasterts Filmporträt „Edward Hopper – Der<br />

schweigsame Zeuge“ kommt in diesem Jahr zweimal<br />

ins Fernsehen: Am 17. Juli in arte, am 4. September im<br />

ZDF, jeweils um 23 Uhr<br />

Ist die Aufregung über die christliche Sekte<br />

„Universelles Leben“ also nicht ein bißchen<br />

übertrieben? Das haben sich die Leute vom<br />

Infoladen, die im Rahmen der „Horizontewochen“<br />

zu dieser Diskussionsveranstaltung<br />

eingeladen hatten, nicht gefragt. Sie<br />

hatten nämlich am 10. Dezember 1993 in<br />

der ARD die Reportage „Das Seelenkartell –<br />

geheime Machenschaften einer Sekte“<br />

gesehen. Der Film wurde vor der Diskussion<br />

noch einmal gezeigt und wenn ich<br />

mich nach dem Anschauen hätte entscheiden<br />

müssen, würde ich es dann doch lieber<br />

noch mal als Meßdiener versuchen.<br />

Als Nachfolger des 1977 gegründeten<br />

„Heimholungswerk Jesu Christi“ hat das<br />

„Universelle Leben“ seit 1984 mittlerweile<br />

ca. 40.000 AnhängerInnen in der Bundesrepublik<br />

gewonnen. Konzentriert um Würzburg<br />

hat „Universelles Leben“ Land und<br />

Baugrundstücke teilweise über Strohmänner<br />

gekauft. Etwa 700 AnhängerInnen leben<br />

bereits in diesen Monokulti-Enklaven, Tendenz<br />

steigend. Ihnen wird ein Komplettangebot<br />

von der Wiege bis zur Bahre geboten:<br />

Kindergärten, Christusschule in Esselbach,<br />

Christusbetriebe, Naturheilklinik – bis hin<br />

zur Altenbetreuung versorgt „Universelles<br />

Leben“ seine Schäfchen rundum und volldrauf<br />

mit dem, was „Universelles Leben“ so<br />

einzigartig macht: Uneigentlichkeit. Denn<br />

Gemeinnutz geht vor Eigennutz, das Unpersönliche<br />

ist gut, das Individuelle böse. Kinder<br />

sollten möglichst früh von ihren Eltern<br />

getrennt werden und heult die kleine Maus<br />

mal im Kindergarten, dann liegt das daran<br />

daß die egoistische Mutter gerade an ihr<br />

Kind denkt.“ So ein Zitat im Film.<br />

„Das ist mein Wort“, „Ich berate – nimmst<br />

Du an?“, „Ich erkläre – machst Du mit“,<br />

„Göttliches Prophetisches Heilen“ und<br />

„Vaterworte auch an Dich“ sind einige der<br />

Titel aus Gabriele Witteks Offenbarungswerk.<br />

Darin finden sich Perlen des abendländischen<br />

Aphorismus, wie: „Willst du, du,<br />

du, Mein Kind, freiwillig, mit offenem Herzen<br />

zu Mir kommen? – Dann bereite dort,<br />

wo du bist, dein Kommen vor!“ Da kann<br />

kein sterblicher Alphabetisierter von selbst<br />

drauf kommen, das muß der göttlichen<br />

Gabi einer geflüstert haben. Hat es auch: ER<br />

höchstselbst nämlich.<br />

In der anschließenden Diskussion ging es<br />

nicht nur um „Universelles Leben“ – beispielsweise<br />

die pseudowissenschaftlichen<br />

Aussagen zur Gentechnik oder den Antisemitismusvorwurf<br />

gegenüber der Sekte,<br />

sondern auch darum, wie es kommt, daß<br />

Menschen in Sekten eintreten. Wie muß<br />

eine Gesellschaft beschaffen sein, daß sie<br />

eine solche Entwicklung begünstigt. Ziel<br />

der InitiatorInnen, die sich im Würzburgischen<br />

umgesehen hatten, ist es, neben dem<br />

„Universellen Leben“ den Esoterikboom<br />

und die Akzeptanz offensichtlicher Irrationalität<br />

zu untersuchen.<br />

Die DiskussionsteilnehmerInnen konstatierten<br />

Wissenschafts- und Technologiefeindlichkeit<br />

der Linken, beklagten den<br />

Rückzug ins Private und erörterten die Konsequenzen<br />

eines unhinterfragten Naturbegriffes,<br />

der den Menschen als außerhalb<br />

der Natur stehend konzipiert und „Natürlichkeit“<br />

als obersten Wert setzt. Die Gruppe<br />

über „Universelles Leben“ und Esoterik<br />

ist <strong>für</strong> Interessierte offen und will weiterarbeiten.<br />

Derweil<br />

hängt im Flur der<br />

Knabenschule ein<br />

kleines Plakat und<br />

wirbt <strong>für</strong> „BiodynamischeAuraarbeit“.<br />

Adresse:<br />

Infoladen, dienstags<br />

20 Uhr, Binger<br />

Straße 10.<br />

P. J. Hoffmann


Der Hausherr, in weißen Jeans, hellem<br />

Hemd und Schlips, war sichtlich<br />

nervös, am Freitag vormittag<br />

(6. Mai) kurz vor elf Uhr: „Es haben<br />

sich so viele angemeldet, wo sind<br />

die jetzt?“, fragte er unruhig und<br />

suchte sich zu beruhigen: „Es sind<br />

noch ein paar Minuten…“ 400<br />

Gäste hatten sich zwar die kostenlosen Karten<br />

<strong>für</strong> das „III. Gesprächsforum auf der<br />

Mathildenhöhe“ im Informationsstand im<br />

Luisencenter abgeholt – doch wie es mit<br />

kostenlosen Sachen in unserer raffgierigen<br />

Zeit so oft passiert, werden sie zwar<br />

genommen, aber nicht genutzt. In zwei<br />

Ausstellungsräumen des Instituts hatte<br />

dessen Leiter und Kulturreferent Dr. Klaus<br />

Wolbert Stühle aufreihen lassen. Da die<br />

geladenen Herren – Wolbert: „Ich habe keine<br />

Frauen bekommen“ – ja nur in einem<br />

Raum auf dem Podium sitzen konnten,<br />

wurde ihr Antlitz per Videokamera in den<br />

zweiten übertragen. Doch dort saß so gut<br />

wie niemand – obwohl sich ein (Wolbert<br />

gut bekannter) Lehrer* mit seiner Schulklasse<br />

extra angekündigt hatte.<br />

Insgesamt kamen nur etwa einhundert, um<br />

sich die wissenschaftlich-theoretischen<br />

Ausführungen über „Kunst und Faschismus“<br />

anzuhören. Es sprachen: Hermann<br />

Glaser (Vorsitzender des Deutschen Werkbundes),<br />

Peter Ulrich Hein (Dozent an der<br />

Uni Köln), Iring Fetscher (Professor <strong>für</strong><br />

Politologie in Frankfurt), Hans-Ulrich Thamer<br />

(Direktor des Historischen Seminars<br />

der Uni Münster) und Jens Petersen (stellvertretender<br />

Direktor des Deutschen Historischen<br />

Instituts in Rom).<br />

Unter den rund 100 ZuhörerInnen jene, die<br />

immer kommen, wenn in Darmstadt die<br />

Kunst ruft: Künstler und Künstlerinnen, der<br />

Darmstädter Darmstadt-Buch-Verleger<br />

nebst Gattin, die ketterauchende Stadträtin,<br />

der Kunstlehrer, der auch Museumspädagoge<br />

ist, unser OB und ja selbst der<br />

Institutsleiter a.D. war da*. Versammelt:<br />

„die Darmstädter Kunstprominenz“, wie ein<br />

Anglistik-Professor schelmisch meinte. Tja,<br />

und dann noch die sogenannten „Normalen“<br />

– und die, so schiens waren eigentlich<br />

nur deshalb gekommen, weil sie hofften,<br />

etwas über den „Fall Sironi“ zu hören.<br />

Doch ob darüber überhaupt gesprochen<br />

werden soll oder darf, das hatte im Vorfeld<br />

der Veranstaltung zu Hin und Her geführt –<br />

mal wurde in den städtischen Pressemeldungen<br />

mit Sironi <strong>für</strong> die Veranstaltung<br />

geworben, dann wieder ließ OB Peter Benz<br />

(SPD) verlauten: „Es ist allerdings kein<br />

Forum Sironi“ oder gar <strong>für</strong>chterlich<br />

umwunden und verschnörkelt: „Die <strong>für</strong><br />

internationales Aufsehen gesorgte Absage,<br />

der <strong>für</strong> dieses Frühjahr vorgesehenen Ausstellung<br />

mit Gemälden des Mussolini-Fans<br />

Mario Sironi in Darmstadt, ist nicht Ursache<br />

dieser Veranstaltung, hat aber den<br />

Oberbürgermeister und den Kulturreferen-<br />

ten in ihrer Ansicht bestärkt, eine Diskussion<br />

über die Wertfreiheit der Kunst und die<br />

Auswirkungen der Differenzierung zwischen<br />

Faschismus und Neofaschismus auf<br />

die geistigen Hervorbringungen namens<br />

Kunst zu führen.“<br />

Klar ist, ohne die spektakuläre Absage der<br />

Sironi-Ausstellung Ende letzten Jahres hätte<br />

es dieses Gespräch wohl kaum gegeben.<br />

Und klar wurde am Freitag vormittag auch<br />

sehr schnell, daß dieses Thema in den<br />

Darmstädter Köpfen weiter kocht, sich viele<br />

eine Klärung von Benz und Wolbert versprochen<br />

hatten und mit den – nur teils<br />

kurzweiligen – theoretischen Auseinandersetzungen<br />

nicht allzulange und gerne<br />

beschäftigen wollten.<br />

Was ist faschistische Kunst? Was genau<br />

das Faschistische an der faschistischen<br />

Kunst? Was war an den Werken Sironis<br />

faschistisch? Hätte man ihn doch ausstellen<br />

sollen? Und wenn, wie? Das<br />

Gesprächsforum – mit dem Benz an die<br />

Tradition der „Darmstädter Gespräche“<br />

anknüpfen will – sollte die Verwobenheit<br />

von Kultur, Gesellschaft und Politik<br />

beleuchten. Doch richtig klären konnte es<br />

wenig.<br />

Hermann Glaser sprach über die Zerstörung<br />

des Geistes im 19. und 20. Jahrhundert.<br />

Seine These: Der Nationalsozialismus<br />

hat mentalitätsgeschichtlich weit<br />

zurückreichende Wurzeln, die in der von<br />

den „Stützen und Spitzen“ der Gesellschaft<br />

betriebenen „ideologischen Vereinfachung<br />

kultureller Komplexität“ liegen. Das Bildungsbürgertum,<br />

geprägt vom Humanismus,<br />

sei dem Nationalismus verfallen und<br />

habe eine „Spießerideologie“ entwickelt –<br />

so lautet auch ein Buch-Titel Glasers –, von<br />

der der Nationalismus in abgründiger Weise<br />

profitierte und die zur „Bestialität“ führte.<br />

Die „offizielle Kultur“ habe versagt, 1933<br />

eine Weltanschauung triumphiert, „in der<br />

die Kultur nur noch Fassade war und die mit<br />

Hilfe der Ästhetisierung der Barbarei größte<br />

Zustimmung fand“.<br />

Kultursoziologe Peter Ulrich Hein zeigte<br />

völkische und konservative Motive in der<br />

Kunst von der Jahrhundertwende bis zum<br />

sog. Dritten Reich, vermochte aber wenig<br />

„Aus der<br />

NS-Ideologie<br />

ist kein einziges<br />

Kunstwerk<br />

entstanden“<br />

III. Gesprächsforum<br />

auf der Mathildenhöhe<br />

über „Kunst und Faschismus“<br />

und über den „Fall Sironi“<br />

die Wandlung etwa von bloßer Abbildung<br />

deutscher Landschaften hin zu volksverherrlichender,<br />

rassenwahnsinniger,<br />

deutschtümelnder Kunst verständlich darzustellen.<br />

Wo sollen und können Grenzen<br />

gezogen werden?<br />

Munter wurden die Zuhörer erst, als Moderator<br />

und TH-Präsident Helmut Böhme<br />

fragte: „War es richtig, Sironi nicht zu zeigen?<br />

Oder anders gefragt: Sind Ausstellungen<br />

dazu in der Lage, Völker in den<br />

Schwachsinn zu treiben?“ Der Frankfurter<br />

Kunsthistoriker Georg Bussmann antwortete:<br />

„Die Ausstellung hätte gemacht werden<br />

müssen, aber …“ Er sprach von seiner Fassungslosigkeit<br />

gegenüber „dieser politischen<br />

Gegenwart“ und seiner Verunsicherung,<br />

„wie man auf Neonazis reagiert“.<br />

Glaser sah das ähnlich mit seiner Empfehlung:<br />

„Jede Ausstellung soll den Anstand<br />

verletzen und erregen“. Sein Vorschlag lautete:<br />

„Mit Geld hätte ich zwei Ausstellungen<br />

gemacht. Eine mit den Werken Sironis und<br />

eine darüber, warum man die Werke zeigt<br />

und wie sie politisch und kunsthistorisch<br />

einzuordnen sind. Mit dieser diskursiven<br />

Ästhetik hat man dann das Ziel erreicht.“<br />

Überhaupt seien die Kunstvermittler viel<br />

entscheidender als die Künstler. „Gegen<br />

die, die den Geist vorbereiten, gilt es anzugehen.“<br />

Es sei eine „romantische Vorstellung,<br />

daß ein guter Künstler auch ein guter<br />

Mensch ist. Das stimmt nicht“. Fest stehe,<br />

„daß aus der NS-Ideologie kein einziges<br />

Kunstwerk entstanden ist.“ Doch so einfach<br />

darf der Satz nicht genommen werden: Er<br />

meint das „große Kunstwerk“, gewissermaßen<br />

das Geniushafte des klassischen<br />

Kunstbegriffs.<br />

Jens Petersen kam mit seinem Vortrag über<br />

„Faschismus und Kultur: der Fall Mario<br />

Sironi“ den Bedürfnissen des Publikums<br />

am ehesten entgegen. Er sprach über die<br />

Unterschiede zwischen nationalsozialistischer<br />

und italienisch-faschistischer Kunstund<br />

Staatsdoktrin. Ein Beispiel: die<br />

Geschehnisse um die 1937 in Berlin<br />

geplante Ausstellung italienischer Kunst –<br />

Titel: „Malerei und Skulptur von 1800 bis<br />

zur Gegenwart“. Das Ereignis habe sich mit<br />

„Hitlers Generalattacke auf die moderne<br />

Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 9<br />

„Bereitschaft“ heißt diese elf Meter hohe Skulptur von Arno Breker aus dem Jahr 1939 – eine typische<br />

NS-Plastik (Abb.: Katalog)<br />

Kunst“ und ihrer Verdammung überschnitten.<br />

Zahlreiche Ausstellungsstücke durften<br />

damals nicht gezeigt werden, darunter<br />

waren auch einige Werke Sironis, der dann<br />

entschieden dagegen protestierte, überhaupt<br />

in Deutschland ausgestellt zu werden,<br />

so Petersen.<br />

Er konstatierte, daß im totalitären Italien mit<br />

Monarchie, katholischer Kirche und Kultur<br />

eine Reihe von Freiräumen blieben, die der<br />

Faschismus nicht zu erobern verstand. „Das<br />

Regime erhob zwar seit Ende der zwanziger<br />

Jahre den Anspruch, eine eigene faschistische<br />

Kultur geschaffen zu haben, und nutzte<br />

die ihm zur Verfügung stehenden Massenmedien,<br />

um eine teils traditionalistisch, teil<br />

nationalistisch geprägte Volkskultur zu verbreiten,<br />

ließ aber der Elitenkultur einen relativ<br />

großen Spielraum.“ Sironi selbst sei<br />

einer der Starkünstler des faschistischen<br />

Regimes gewesen und habe als Maler, Illustrator,<br />

Karikaturist, Grafiker, Frescomaler,<br />

Architekt und Ausstellungsorganisator die<br />

Faschismus- und Mussolini-Mythen<br />

wesentlich mitgeprägt. Später erschien er<br />

„nur noch als Propagandist, viele seiner<br />

Wandgemälde wurden vernichtet“.<br />

Mit der größten je von ihm gezeigten Ausstellung<br />

in Rom (93/94) sei jetzt „im Zeichen<br />

einer strikten Trennung von historisch-politischem<br />

und ästhetischem Urteil<br />

(seine) Rehabilitierung“ erfolgt – Sironi gelte<br />

inzwischen als einer der größten italieni-<br />

schen Künstler des 20. Jahrhunderts, so<br />

Petersen. Doch auch jene Ausstellung sei<br />

einer „offenen Diskussion ausgewichen, in<br />

dem sie den Propagandisten und Ideologen<br />

Sironi fast völlig ausgespart hat“. Desgleichen<br />

habe sich Deutschland (Darmstadt)<br />

mit der Absage der Sironi-Ausstellung der<br />

Möglichkeit beraubt, zu zeigen, warum ein<br />

Künstler Faschist wurde und worin sich dieses<br />

zeige.<br />

Das mulmige Gefühl, das die Absage der<br />

Ausstellung im November verursacht hatte,<br />

vermochte auch das Gesprächsforum nicht<br />

wegzuwischen. Und ein zweifacher Ärger<br />

bleibt immer noch: Warum fehlt es den<br />

Darmstädter (Kultur-) Politikern und Ausstellungsmachern<br />

an Kreativität und Mut,<br />

solche Ausstellungen so zu arrangieren,<br />

daß eben das Brisante inhaltlich zum Ausdruck<br />

kommt und einer unserer Zeit angemessen<br />

offenen und öffentlichen Diskussion<br />

zur Kritik anheim gestellt wird?<br />

Besonderer Fauxpas: Nicht nur, daß uns<br />

DarmstädterInnen die Mündigkeit abgesprochen<br />

wurde, ist erst unsere Neugier<br />

angeheizt und dann getrogen worden. Die<br />

inhaltliche Klärung über Kunst im Faschismus<br />

– vor allem, worin der Faschismus in<br />

der Kunst sichtbar wird – genau die steht<br />

bis heute unbeantwortet im Raum.<br />

Eva Bredow<br />

* Alle Namen sind der Redaktion bekannt<br />

RAUMGESTALTUNG<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ


Wir fordern<br />

einen festen Platz<br />

DIE „WAGENBURG KLABAUTA“ MUSS NACH DEM WILLEN<br />

EINIGER NACHBARN SCHON WIEDER UMZIEHEN – UND DAS<br />

NACH NUR DREI MONATEN. DER VON DER STADT GESETZTE<br />

TERMIN AM 30.4. VERSTRICH BISHER OHNE ZWANGSRÄU-<br />

MUNG<br />

(Foto: Heiner Schäfer)<br />

Nachdem wir nach langwierigen Verhandlungen mit der Stadt uns<br />

endlich auf einen dauerhaften Platz einigen konnten, müssen wir jetzt,<br />

nach drei Monaten, diesen im Tiefen See 65 – auf Aufforderung der<br />

Stadt zum 30.4.1994 – räumen. Begründet wird diese Maßnahme von<br />

dem Liegenschaftsdezernenten Blöcker (i.A. Fröhner) damit, daß alle<br />

anliegenden Gewerbetreibenden Beschwerde gegen uns bei der Stadt<br />

eingereicht hätten.<br />

Da wir solche Behauptungen von der Stadt nicht ungeprüft hinnehmen,<br />

wir auch die Beschwerden als solche genauer hören wollten, um<br />

diese, soweit es geht, gemeinsam in Übereinkunft mit den Firmen aus<br />

dem Weg zu räumen, besuchten wir daraufhin alle anliegenden Firmen<br />

im Tiefen See und am Otto-Röhm-Ring. Bei den Gesprächen mit<br />

den Firmenleitungen stellt sich heraus, daß von den ca. 20 Anliegerfirmen<br />

lediglich zwei – und die massiv – sich gegen die Wagenburg<br />

Klabauta aussprachen. Die restlichen akzeptieren und tolerieren unseren<br />

jetzigen Standplatz.<br />

Trotz langen Auseinandersetzungen mit Herrn Wittmack („Digital-<br />

Analog“) und Herrn Haag („Contel“-Hotelbesitzer), in denen wir<br />

weitgehende Zugeständnisse zusicherten, ließen die beiden Herren<br />

nicht von ihren intoleranten und unsozialen Standpunkten ab, unsere<br />

Kompromißbereitschaft fiel auf unfruchtbaren Boden und wurde zerstampft.<br />

Sie, die beiden Herren, begannen damit, massiv Druck auf die Stadt<br />

auszuüben, so daß die Stadt uns jetzt den Platz am Tiefen See zum<br />

Ende der Woche aufgekündigt hat und wir verschwinden sollen.<br />

Das Paradoxe an dieser Situation ist, daß zwei von 20 Gewerbetreibenden<br />

mehr Rechte und eine gewichtigere Position zugebilligt wird,<br />

als den anderen 18 Gewerbetreibenden, die in der Lage sind, mit dem<br />

Wagenplatz zu leben und den 25 Menschen, die Im Tiefen See ein<br />

Zuhause gefunden haben. Aber was zählen in einer solchen Stadt wie<br />

Darmstadt schon Projekte, die alternativ zur Stadt selbst auf soziale<br />

Belange eingehen?<br />

Noch dazu windet sich die Stadt nun aus ihrer gewissen Verantwortlichkeit<br />

und Fürsorgepflicht, die sie in den vorangegangen Verhandlungen<br />

minimal angefangen hatte wahrzunehmen, billig heraus. Denn<br />

ein akzeptables Ersatzgelände zum Ausweichen hat die Stadt natürlich<br />

nicht parat. Mal wieder will sich die Stadt auf die billigste Art und<br />

Weise und auf dem Rücken der Betroffenen eines ihrer sozialpolitischen<br />

Probleme entledigen. Es geht nicht an, daß wir in den ca. fünf<br />

Jahren, die es die Wagenburg Klabauta schon gibt, an sieben verschiedenen<br />

Plätzen (herumgeschoben, geräumt, hingezwungen oder<br />

besetzt) leben mußten. Und diesmal sogar nur drei Monate.<br />

Es geht nicht an, daß wir ständig diesen Aufwand dieser Rumschiebereien<br />

tragen sollen, Aufwand, der viel Zeit und Geld kostet und Streß<br />

ist <strong>für</strong> uns, da auch wir reguläre Arbeitsstellen besuchen, studieren<br />

oder Ausbildung machen. Auch unseren Kindern hier kann eine solche<br />

„Kopf-in-den-Sand-stecken-Haltung“ der Stadt nicht lange zugemutet<br />

werden – wenn sich ständig Einzugsbereich von Kindergarten<br />

und Schule ändern, das soziale Umfeld wechselt und Freundschaften<br />

mit Nachbarskindern auseinandergerissen werden.<br />

Wir fordern einen festen Platz, auf dem wir, unsere Kinder, unsere<br />

Hunde, unsere Gänse und unsere Ziege leben können und auf dem<br />

langfristig Spielplatz, Beete, Klärteiche und andere Projekte verwirklicht<br />

werden können. Diese Rumschieberei muß ein Ende haben.<br />

Die BewohnerInnen der Wagenburg Klabauta<br />

Das legitime Recht<br />

der Türkei<br />

OFFENER BRIEF U.A. AN BUNDESAUSSENMINISTER KLAUS<br />

KINKEL (FDP). BETREFF: MITVERANTWORTUNG DER<br />

BUNDESREGIERUNG FÜR DIE MENSCHENRECHTSWIDRIGE<br />

VERFOLGUNG DER KURDEN DURCH WAFFENLIEFERUNGEN<br />

AN DIE TÜRKEI – UND EINE ANTWORT AUS DEM BUNDES-<br />

KANZLERAMT. DANACH SIEHT DIE BUNDESREGIERUNG KEI-<br />

NE EINDEUTIGEN BEWEISE FÜR EINEN VÖLKERMORD AN<br />

KURDEN MIT DEUTSCHEN WAFFEN<br />

Sehr geehrter Herr Minister Kinkel!<br />

Seit Jahren wird in aller Ausführlichkeit in in- und ausländischen<br />

Medien nicht nur über fortwährende schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen<br />

in der Türkei berichtet, die von der dortigen<br />

BRIEFE AN DIE REDAKTION I<br />

Regierung unter dem Vorwand des Kampfes gegen die PKK begangen<br />

werden. Es verstärkt sich der Eindruck, daß die Verfolgung der<br />

kurdischen Volksgruppe Ausmaß und Charakter eines Völkermordes<br />

anzunehmen beginnt.<br />

Die Türkei erhält als Mitgliedsstaat der NATO umfangreiche Waffenlieferungen<br />

aus Deutschland unter der Auflage, diese gemäß den<br />

NATO-Statuten, das heißt zur Verteidigung gegen Angriffe von<br />

außen zu verwenden – und verstößt permanent und massiv gegen diese<br />

Auflage. Der Bundesregierung liegt seit langer Zeit eine Fülle von<br />

Beweismaterial vor, das Sie immer nur „prüfen“, ohne zu einem<br />

Ergebnis zu kommen.<br />

Die Unruhen und Demonstrationen der letzten Wochen zeigen nicht<br />

nur, daß unter der kurdischen Volksgruppe radikale Elemente sind,<br />

die sich auf deutschem Boden gewalttätig verhalten, sie zeigt auch,<br />

daß die Kurden völlig verzweifelt sind und sich von der sogenannten<br />

internationalen Staatengemeinschaft alleingelassen fühlen: zu Recht.<br />

Währenddessen scheint die Bundesregierung mehr Aufmerksamkeit<br />

auf die Frage zu verwenden, wie man die Kurden abschieben, am<br />

besten das ganze Problem abschieben kann, oder wie man ein gutes<br />

Einvernehmen gegenüber einer gänzlich unnachgiebigen türkischen<br />

Regierung wahren kann, während tagtäglich in Türkisch-Kurdistan<br />

Menschen mit deutschen Gewehren erschossen, Dörfer von Panzern<br />

deutscher Herkunft niedergewalzt werden.<br />

Mutige Reporter, wie kürzlich wieder ein WDR-Team des Magazins<br />

„Monitor“, berichten unter hohem Risiko <strong>für</strong> das eigene Leben aus<br />

dem Südosten der Türkei über die widerwärtigen Einsätze türkischer<br />

„Sicherheitskräfte“ gegen kurdische Zivilisten. Ich weiß, daß Sie viel<br />

besser und genauer informiert sind als wir einfachen Bürger. Schließlich<br />

haben Sie Ihren Geheimdienst – und das macht Ihre Hinhaltetaktik<br />

umso unerträglicher.<br />

Man mag Außenpolitik, auch Bündnispolitik, auf diese oder auf jene<br />

Weise betrachten und betreiben, auch was die umstrittene Forderung<br />

nach einem unabhängigen Kurdistan betrifft. Auch ist es selbstverständlich,<br />

daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland sich<br />

nicht über Gebühr in die Angelegenheiten unserer Nachbarstaaten<br />

einmischt. Der Dialog mit der türkischen Regierung soll und muß<br />

aufrechterhalten werden. Jedoch gibt es gute Gründe, die diplomatische<br />

Zurückhaltung nicht so weit zu treiben, daß der Eindruck entsteht,<br />

die Bundesregierung unterstütze Folter und Mord bewußt und<br />

aktiv durch Waffenlieferungen in ein Krisengebiet. Das demonstrative<br />

Wegschauen angesichts permanenter Menschenrechtsverletzungen<br />

beschädigt nicht nur die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung<br />

und das Ansehen unseres Landes, sondern stellt das unverzichtbare<br />

Minimum eines gemeinsamen demokratischen und humanen<br />

Selbstverständnisses in unserem Land zur Disposition.<br />

Für einen Angehörigen einer Generation, die sich zumindest in Teilen<br />

nicht auf die Gnade einer späten Geburt beruft, sondern mit Bildern<br />

des nationalsozialistischen und des stalinistischen Terrors als<br />

Mahnung aufgewachsen ist, ist es schlicht unverständlich, daß unsere<br />

gewählten Repräsentanten, also auch Sie, Herr Minister, es fertigbringen,<br />

diplomatische und strategische Erfordernisse so sehr in den<br />

Vordergrund zu stellen, daß <strong>für</strong> bedrohte Menschen in Ihren Überlegungen<br />

gerade nur soviel Raum bleibt, wie es nötig ist, um den<br />

Schein zu wahren. Jedoch: dieser Schein ist löcherig geworden. Die<br />

türkische Regierung hat lange und oft genug gezeigt, was sie von<br />

internationalen Vereinbarungen hält, und ich möchte nicht unterstellen,<br />

daß es zwischen Ihnen, der Bundesregierung, und der türkischen<br />

Regierung Absprachen gibt, die zu Ihren Beteuerungen in der Öffentlichkeit,<br />

sich <strong>für</strong> die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber der<br />

kurdischen Minderheit einzusetzen, im Widerspruch stehen.<br />

Das deutsche Volk will und darf sich nicht weiterhin in dieser Weise<br />

mitschuldig machen. Jeder Tag, den Sie zögern, kostet weitere Menschenleben.<br />

Stoppen Sie die Waffenlieferungen in die Türkei – nicht<br />

nur vorübergehend und unter Vorbehalt, sondern endgültig. Machen<br />

Sie auch Ihren Einfluß auf die NATO in diesem Sinne geltend.<br />

Jetzt ist Ihr Gewissen gefragt, Herr Minister – handeln Sie!<br />

Peter Horn<br />

Keine eindeutigen Beweise<br />

Sehr geehrter Herr Horn,<br />

der Herr Bundeskanzler hat mich beauftragt, Ihnen <strong>für</strong> Ihr Schreiben<br />

vom 15. April 1994 zu danken und Ihnen zu antworten.<br />

Die Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern richtet<br />

sich in Deutschland nach den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung“<br />

vom 28. April 1982. Für die Genehmigungspraxis hinsichtlich<br />

des Exports von Kriegswaffen wird zwischen NATO- und<br />

NATO-gleichgestellten Staaten einerseits sowie sonstigen Drittländern<br />

andererseits unterschieden. Lieferungen in NATO-Staaten werden<br />

grundsätzlich genehmigt, es sei denn, daß ausnahmsweise besondere<br />

Umstände einer Genehmigung entgegenstehen.<br />

Bei Lieferungen von Kriegswaffen in Drittländer sind stets die Umstände<br />

des Einzelfalls <strong>für</strong> eine evtl. Genehmigung ausschlaggebend.<br />

Nach den Grundsätzen der Bundesregierung müssen in diesen Fällen<br />

„vitale Interessen“ Deutschlands festgestellt werden, damit eine Genehmigung<br />

erteilt werden kann. Eine Genehmigungserteilung scheidet<br />

grundsätzlich aus, wenn die innere Lage des Empfängerlandes den<br />

Export von Kriegswaffen oder sonstigen Rüstungsgütern nicht erlaubt<br />

(z.B. bei bürgerkriegsähnlichen Zuständen) oder wenn bestehende<br />

Spannungen zu Nachbarstaaten durch diese Lieferung erhöht würden.<br />

Die Menschenrechtslage in dem jeweiligen Empfängerland spielt bei<br />

Prüf- und Entscheidungsverfahren zu Kriegswaffenausfuhren stets eine<br />

wesentliche Rolle. Auch Kriegswaffenexporte in NATO-Partnerstaaten<br />

werden nicht genehmigt, wenn zu be<strong>für</strong>chten ist, daß die gelieferten<br />

Waffen Verwendung bei Menschenrechtsverletzungen finden könnten.<br />

Deutschland leistet der Türkei – wie auch Griechenland und Portugal<br />

– im Rahmen des NATO-Bündnisses seit 1964 auf Empfehlung<br />

des NATO-Rats Verteidigungshilfe. Mit dieser Hilfe soll die Verteidigungsfähigkeit<br />

der Empfängerländer gesichert werden, damit sie ihre<br />

im Rahmen des Bündnisses eingegangenen Verpflichtungen erfüllen<br />

können.<br />

Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 10<br />

Die Bundesregierung hat gegenüber der Türkei stets darauf hingewiesen,<br />

daß das im Rahmen der Verteidigungshilfe gelieferte Material<br />

nur in Übereinstimmung mit dem NATO-Vertrag eingesetzt werden<br />

darf. Die türkische Regierung hat sich wiederholt – auch schriftlich<br />

– zur Einhaltung dieser Bedingung verpflichtet.<br />

Der Bundesregierung liegen bisher keine eindeutigen Beweise vor,<br />

daß die Türkei seit der Wiederaufnahme der zwischenzeitlich<br />

gestoppten Lieferungen im Jahre 1992 gegen die o.a. Bestimmungen<br />

verstoßen hat. Unter Beachtung ihrer außenpolitischen Gesamtverantwortung<br />

kann die Bundesregierung den Vorwurf der Vertragsverletzung<br />

gegenüber der Türkei aber nur auf zweifelsfrei zu beweisenden<br />

Tatsachen gründen. Selbstverständlich geht die Bundesregierung<br />

aber jedem Hinweis auf mögliche Vertragsverletzungen nach. In diesem<br />

Zusammenhang hat sie kürzlich auch eine anstehende Lieferung<br />

von Rüstungsgütern an die Türkei zunächst verschoben, um erneut<br />

aufgetauchte Hinweise auf einen vertragswidrigen Einsatz von<br />

Rüstungsgütern, die im Rahmen der NATO-Verteidigungshilfe geliefert<br />

wurden, zu überprüfen. Sollten sich Beweise <strong>für</strong> einen Verstoß<br />

gegen die Bedingungen <strong>für</strong> die deutschen Lieferungen in diesem Rahmen<br />

ergeben, wird die Bundesregierung daraus die erforderlichen<br />

Konsequenzen ziehen.<br />

Im übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, daß der finanzielle Rahmen<br />

<strong>für</strong> die NATO-Verteidigungshilfe aufgrund der angespannten Haushaltslage<br />

sowie der geänderten sicherheitspolitischen Lage nach der<br />

Auflösung des Warschauer Paktes und dem Zusammenbruch der<br />

Sowjetunion erheblich gekürzt worden ist. 1995 wird die Verteidigungshilfe<br />

dann auslaufen.<br />

Ich möchte Ihnen außerdem versichern, daß die Bundesregierung die<br />

Menschenrechtslage und die Situation der Minderheiten in der Türkei<br />

aufmerksam beobachtet und bei ihren politischen Gesprächen mit<br />

Vertretern der türkischen Regierung immer wieder darauf hinweist,<br />

daß sie von der Türkei als Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft<br />

eine strikte Beachtung der Menschen- und Minderheitenrechte<br />

in allen Landesteilen erwartet. Dies hat der Herr Bundeskanzler<br />

auch bei seinem Besuch in der Türkei im Mai 1993 und bei seinen<br />

Gesprächen mit der türkischen Ministerpräsidentin Çiller in Bonn im<br />

September 1993 deutlich gemacht.<br />

Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß die gewaltsamen Auseinandersetzungen<br />

zwischen der terroristischen PKK und den türkischen<br />

Sicherheitskräften im Südosten der Türkei insbesondere die<br />

dort lebende Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen. Die Bundesregierung<br />

ist immer <strong>für</strong> eine friedliche Lösung des Konfliktes eingetreten,<br />

ohne daß sie jedoch das legitime Recht der Türkei in Frage<br />

stellt, gegen terroristische Aktivitäten im eigenen Land mit allen<br />

rechtsstaatlichen Mitteln vorzugehen. Auch die territoriale Integrität<br />

des türkischen Staates steht aus Sicht der Bundesregierung nicht zur<br />

Disposition.<br />

Die Bundesregierung kann es allerdings nicht hinnehmen, daß die<br />

Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat<br />

auf ihrem Territorium mit gewaltsamen Mitteln und unter Mißachtung<br />

der deutschen Gesetze fortgesetzt werden. Sie wird deshalb mit<br />

allen rechtsstaatlichen Mitteln dagegen vorgehen.<br />

Ich kann Ihnen nochmals versichern, daß die Bundesregierung sich<br />

auch weiterhin <strong>für</strong> eine Verbesserung der Menschenrechtssituation<br />

und der Lage der Minderheiten in der Türkei einsetzen wird.<br />

Im Auftrag: Dr. Dengg<br />

Zornig und bitter!<br />

OFFENER BRIEF AN AUSSENMINISTER DR. KLAUS KINKEL<br />

ÜBER DIE ZYNISCHE, MENSCHENVERACHTENDE POLITIK DER<br />

BUNDESREGIERUNG IM KURDISTAN-KONFLIKT<br />

Vor einigen Wochen haben wir dem Auswärtigen Amt Fotos, Videos<br />

und Zeugenaussagen vorgelegt, die den Einsatz deutscher Rüstungsgüter<br />

in Kurdistan beweisen. Wir wollten damit die Mindestbedingungen<br />

des NATO-Vertrages einklagen, die einen Einsatz der Waffen in<br />

internen Konflikten untersagen. Wir erwarteten, die Bundesregierung<br />

würde ihren Teil an Verantwortung <strong>für</strong> den Völkermord an KurdInnen<br />

übernehmen und auf den NATO-Partner Türkei einwirken, um politische<br />

Lösungen des Konfliktes zu ermöglichen. Diese Erwartung hat<br />

sich als falsch erwiesen.<br />

Die Bundesregierung erkennt die übergebenen Beweismittel nicht an.<br />

In einem Telefonat fragte ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, „ob<br />

auf unseren Fotos geschossen würde.“ Wenn nicht, hätten sie kein<br />

Interesse daran. Was ist das <strong>für</strong> eine Politik, die von den Opfern und<br />

deren VertreterInnen Tatfotos verlangen, statt selbständig zu ermitteln<br />

und zu prüfen? Waren wir politisch naiv, eine solche Prüfung zu<br />

fordern? Seit Monaten erhalten Menschen, die bei Ihnen gegen die<br />

Rüstungslieferungen in die Türkei protestieren, nichtssagende Formbriefe<br />

oder überhaupt keine Antwort mehr. Menschen spielen keine<br />

Rolle <strong>für</strong> politische Entscheidungen, es geht um Bündnispolitik und<br />

Machterhalt. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses bezeich<strong>net</strong>e<br />

die Menschenrechtsdelegationen als voreingenommen. Tatsächlich,<br />

wir sind es: Wir halten an altmodischen Regelungen wie den<br />

Menschenrechten fest, die die Bundesregierung offensichtlich bereits<br />

hinter sich gelassen hat.<br />

Währenddessen wird in der Türkei davon gesprochen, daß das Kurdenproblem<br />

bald gelöst sei. Äußerungen von Regierung und Militär<br />

klingen uns noch im Ohr, die von „Ausrottung“ sprachen. Die Bundesregierung<br />

interessiert sich nicht <strong>für</strong> zerstörte Dörfer, ermordete<br />

ZivilistInnen und Unterdrückung der Opposition. Es gibt keine Moral,<br />

es gibt auch kein Erinnern an das Kapitel in unserer Geschichte, in<br />

dem schon einmal ein ganzes Volk ausgerottet und ein „Problem<br />

gelöst“ werden sollte. Herr Kinkel, wir klagen Sie an, mit deutschen<br />

Rüstungslieferungen Beihilfe zur ethnischen Vernichtung der Kurd-<br />

Innen zu leisten.<br />

Wir sind zornig und bitter, aber wir werden nicht aufhören, die zyni-<br />

☛ Fortsetzung auf folgender Seite


sche, menschenverachtende Politik der Bundesregierung im Kurdistan-Konflikt<br />

anzuprangern.<br />

Ute Schäfer, Kampagne „Produzieren <strong>für</strong> das Leben – Rüstungsexporte<br />

stoppen!“, Idstein, Uwe Strobach, BUKO-Kampagne „Stoppt<br />

den Rüstungsexport“, Bremen, Alexander Kauz, Rüstungsinformationsbüro<br />

Baden-Württemberg, Freiburg, Thomas Klein, Rüstungsarchiv<br />

des KOMZI e.V., Idstein, Paul Russmann, „Ohne Rüstung<br />

Leben“, Stuttgart, Martin Herndlhofer, „Pax Christi“, Bad Vilbel<br />

Städtische Sparpolitik:<br />

Planlos, uneffektiv<br />

und teuer<br />

MASSIVE KRITIK AN DER DERZEITIGEN PERSONAL-SPAR-<br />

POLITIK DER STADT DARMSTADT ÜBEN ÖTV-VER-<br />

TRAUENSLEUTE DER STÄDTISCHEN SOZIALVERWALTUNG<br />

Jede freiwerdende Stelle, egal ob durch Krankheit oder Schwangerschaft,<br />

Stellenwechsel oder Pensionierung, wird nicht wieder besetzt<br />

und wandert in einen Stellenpool. Die Vertreter der gewerkschaftlich<br />

organisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der städtischen Sozialverwaltung,<br />

in der fast 800 Beschäftigte tätig sind, halten diese<br />

Sparpolitik, bei der Stellenstreichungen nach der Rasenmähermethode<br />

erfolgen, nicht nur <strong>für</strong> wirkungslos, sondern auch <strong>für</strong> sehr teuer.<br />

Neben Einschränkungen sozialer Dienstleistungen, besonders <strong>für</strong><br />

arme und hilfsbedürftige Darmstädter Bürger und massiven Verschlechterungen<br />

der Arbeitsbedingungen städtischer Beschäftigter,<br />

führt diese Sparpolitik, die diesen Namen nicht verdient, zu hohen<br />

finanziellen Belastungen <strong>für</strong> den städtischen Haushalt.<br />

So z.B. wenn Sachbearbeiterstellen gestrichen werden, deren Aufgabe<br />

es wäre, Menschen von Sozialhilfe unabhängig zu machen und<br />

wieder in Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln, die aber auch <strong>für</strong><br />

die Durchsetzung finanzieller Ansprüche der Stadt z.B. gegenüber<br />

unterhaltspflichtigen Angehörigen und anderen Kostenträgern<br />

zuständig sind. Dies führt zwangsläufig gegenüber den eingesparten<br />

Personalkosten zu einem Vielfachen an zusätzlichen Kosten bei<br />

Sozialhilfeaufwendungen und durch Einnahmeausfälle. Enorme Aufwendungen<br />

entstehen auch bei unzureichender sozialer Betreuung<br />

und Beratung, z.B. bei Familien, Kindern und Jugendlichen durch die<br />

Nichtbesetzung von Sozialarbeiterstellen. So kostet z.B. jede dadurch<br />

zusätzlich nötig werdende Heimunterbringung monatlich zwischen<br />

7.000 und 10.000 Mark.<br />

Wenn gespart werden muß, so die ÖTV-Vertrauensleute, dann nicht<br />

nach dem Zufallsprinzip, sondern mit Überlegung und Konzept. Auch<br />

kann sinnvolle Sparpolitik nur unter Einbeziehung der Erfahrungen<br />

der Beschäftigten und Mitwirkung des Personalrates erfolgen. Angesichts<br />

des jüngsten städtischen Zuschusses in Höhe von 9 Millionen<br />

Mark alleine zum Erhalt der Eissporthalle, wird die städtische Sparwut<br />

den betroffenen Bürgern und Beschäftigten gegenüber allerdings<br />

nicht gerade glaubhafter.<br />

Die ÖTV-Mitglieder der Sozialverwaltung haben ihre große Besorgnis<br />

bei den Fehlentwicklungen der Sparpraxis in ausführlichen<br />

Gesprächen den Stadtverord<strong>net</strong>en der Fraktion der SPD und den Grünen<br />

zur Sprache gebracht und sind dabei auf überraschend viel Verständnis<br />

und breite Zustimmung gestoßen. Auch mit den Stadtverord<strong>net</strong>en<br />

der FDP- und CDU-Fraktionen sollen in den nächsten Wochen<br />

Gespräche stattfinden.<br />

Bestätigt in ihrer Kritik sehen sich die Gewerkschaftler aber auch von<br />

der kritischen Distanz, die Stadtkämmerer Blöcker inzwischen seinem<br />

eigenen Sparkurs gegenüber einnimmt. Auch Blöcker habe<br />

inzwischen erkannt, daß das, „was auf der einen Seite eingespart wird,<br />

andererseits z.B. durch drastisch steigende Sozialausgaben wieder mit<br />

vollen Händen ausgegeben wird“. Auch Blöcker fordert nun, ebenso<br />

wie die Gewerkschaftler der Sozialverwaltung, eine Umkehr bei der<br />

Sparpolitik, weg von ungerechten Zufallsentscheidungen, hin zu<br />

schlüssigen Sparkonzepten und Prioritätsentscheidungen.<br />

Dies muß, so die ÖTV-Vertrauensleute, in Zeiten schlechter Konjunktur<br />

und steigender Arbeitslosigkeit auch heißen, mit verstärkten<br />

sozialen und personellen Investitionen Arbeitslosigkeit und steigenden<br />

Sozialausgaben entgegenzusteuern. So zum Beispiel, indem Arbeitslose<br />

in Beschäftigungs- und Ausbildungsverhältnisse vermittelt<br />

werden, zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten im Rahmen der zur Verfügung<br />

stehenden Programme „Hilfen zur Arbeit“ geschaffen werden<br />

und Menschen intensiv zu beraten und zu betreuen, um sie nicht noch<br />

tiefer in persönliche und finanzielle Notlagen stürzen zu lassen.<br />

Albert Wallmann, ÖTV-Kreisverwaltung Darmstadt<br />

Noch ein Jahr<br />

nur mit dem Bus<br />

ZWISCHEN ASCHAFFENBURG, DARMSTADT UND WIES-<br />

BADEN SOLLEN 1995 SONNTAGS WIEDER ZÜGE FAHREN,<br />

TEILT DER FAHRGASTVERBAND „PRO BAHN“ MIT<br />

Noch ein Jahr müssen die Bahn-Fahrgäste<br />

zwischen Woog und Main an Sonntagen<br />

mit dem Bus vorliebnehmen. Dies hat der<br />

Fahrgastverband Pro Bahn von der Gründungsgesellschaft <strong>für</strong> den<br />

Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) erfahren. Ab 1995 sieht sich<br />

der RMV in der Lage, auf der Bahnstrecke Darmstadt-Dieburg-<br />

Babenhausen-Aschaffenburg endlich wieder sonntags Zügen fahren<br />

zu lassen. Die frühere Bundesbahn hatte den Sonntagsverkehr in den<br />

70er Jahren aufgegeben und stattdessen Busse eingesetzt, die <strong>für</strong> die<br />

44 km 90 Minuten benötigen.<br />

„Die Züge legen die Strecke in nur 42 Minuten zurück“, weiß Pro<br />

Bahn-Vorsitzender Dr. Gottlob Gienger. „Ohne Zweifel ist der Zug<br />

BRIEFE AN DIE REDAKTION II<br />

das attraktivere Verkehrsmittel.“ Zudem auch schneller als das Auto –<br />

besonders, wenn die vom RMV vorgesehene „Produktpalette“ ab Mai<br />

1995 zum Tragen kommt. Dann nämlich sollen nach den Planungen<br />

des Verbundes an allen Wochentagen zwei Züge pro Stunde fahren.<br />

Ein Eilzug, der zwischendurch in Dieburg und Babenhausen hält und<br />

Woog und Main in nur 30 Minuten verbindet, sowie wie bisher ein<br />

Nahverkehrszug. Voraussetzung ist allerdings, daß die anliegenden<br />

Gebietskörperschaften wie z. B. der Kreis Darmstadt-Dieburg und die<br />

Stadt Darmstadt ihren Obolus hierzu leisten.<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> die Umwandlung dieser Züge in „Markenartikel“<br />

ist der Einsatz modernisierter Waggons, die teilweise schon heute zu<br />

Gast sind. Der Eilzug heißt dann „RegionalExpress“, der Nahverkehrszug<br />

„RegionalBahn“. Wie in den 70er Jahren sollen dann die<br />

Züge durchgehend von Aschaffenburg über Darmstadt bis nach<br />

Mainz und Wiesbaden fahren. Von diesen Zügen hat die Strecke auch<br />

ihren Namen – „Main-Rhein-Bahn“. Diese Verbindung ist sogar zwischen<br />

Aschaffenburg und Mainz schneller als die InterCitys – und<br />

preiswerter, weil kein IC-Zuschlag fällig wird.<br />

Dr. Gottlob Gienger, Vorstandsvorsitzender Pro Bahn e. V.<br />

Tag des Baumes<br />

500 EIBEN PFLANZTE DIE „SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUT-<br />

SCHER WALD“ AUF DER LUDWIGSHÖHE<br />

Zum „Tag des Baumes“ hatte der Kreisverband Darmstadt-Dieburg<br />

der Schutzgemeinschaft Deutscher<br />

Wald seine Mitglieder, Bürger und Politiker aufgerufen,<br />

auf der Ludwigshöhe, einem beliebten Ausflugsort<br />

der Darmstädter, gemeinsam diesen Tag mit einer<br />

Pflanzung von 500 Eiben-Jungpflanzen, dem Baum<br />

des Jahres 1994, zu begehen. Die Pflanzen – taxus baccata – wurden<br />

vom Kreisverband finanziert.<br />

Der Vorsitzende Konrad Heinrich Leißler konnte über 40 Helfer, darunter<br />

u. a. Oberbürgermeister Peter Benz und Stadtverord<strong>net</strong>e verschiedener<br />

Fraktionen, zu dieser bürgerschaftlichen Aktion begrüßen.<br />

Nach Erläuterungen und Anweisungen vom zuständigen Revierförster<br />

Peter Fischer zur Pflanzung mit der im Forst gebräuchlichen Wiedehopf-Hacke<br />

waren alle mit großem Eifer dabei, die kleinen Büsche<br />

im dortigen Waldbereich in den Boden zu bringen. Bei frühlingshaft<br />

schönem Wetter mußte schnell gearbeitet werden, damit die Pflanzen<br />

nicht notlitten. Als kleinen Dank an die Helfer erklärte sich die „Bürgeraktion<br />

Ludwigshöhe“, deren Vorsitzender Ferdi Kindinger mit<br />

von der Partie war, bereit, den trocken gewordenen Kehlen durch<br />

Zuführung von entsprechendem Flüssigen wieder Stimme zu geben.<br />

Beeindruckend war die Aktion <strong>für</strong> ein Fernsehteam des Hessischen<br />

Rundfunks, das Dreharbeiten <strong>für</strong> eine Sendereihe über die Natur und<br />

die Probleme des Waldes im Forstamt Darmstadt durchführte.<br />

Horst Mederake, Schutzgemeinschaft Deutscher Wald<br />

Hilfsaktion <strong>für</strong><br />

das Flüchtlingslager<br />

Spensko<br />

INSGESAMT KAMEN SPENDEN IM WERT VON 28.000<br />

MARK ZUSAMMEN, AM 12. MAI STARTETE DER KONVOI<br />

RICHTUNG ZAGREB<br />

Im Plenum des Odenwälder Friedensforums fand jetzt im evangelischen<br />

Gemeindehaus in Michelstadt eine Bestandsaufnahme seiner<br />

bevorstehenden Hilfsaktion <strong>für</strong> das Flüchtlingslager Spensko in Zagreb<br />

statt. Man war über das erfreuliche Ergebnis überrascht, vor<br />

allem, wenn man zusätzlich bedenkt, daß im Odenwaldkreis auch<br />

andere Gruppen Hilfsaktivitäten <strong>für</strong> Flüchtlinge und vom Krieg<br />

betroffene Zivilisten organisieren. So wurden insgesamt 154 Lebensmittelpakete<br />

im Einzelwert von 80 Mark gespendet.<br />

Die finanziellen Beiträge, die zweckgebunden <strong>für</strong> diese Aktion geleistet<br />

wurden, belaufen sich bisher auf 6.200 Mark. Davon konnten zusätzliche<br />

Hilfsgüter wie Waschpulver, Unterwäsche und Strümpfe gekauft werden.<br />

Insgesamt wurden 130 Paar Schuhe gestiftet, die ausnahmslos in<br />

tadellosem Zustand oder oft sogar neu sind. Hinzu kommen ca. 50 kg<br />

Wolle, was in dem von über 60 Prozent Frauen bewohnten Flüchtlingslager<br />

nicht nur Ablenkung, sondern auch die Möglichkeit zum Herstellen<br />

von Kleidungsstücken bedeutet. Zahlreiche Geldspenden sind von kleineren<br />

und größeren Geschäften eingegangen, die allesamt nicht genannt<br />

werden wollen, ebenso wie ein breites Spielzeug- und Malutensilien-<br />

Sortiment von Odenwälder Bankfilialen. Grob geschätzt beläuft sich der<br />

Wert aller Spenden auf ca. 28.000 Mark.<br />

Ein kleiner Konvoi setzte sich am Himmelfahrtstag (12.) von Schönnen<br />

aus in Bewegung. Dabei kommt dem Friedensforum zugute, daß<br />

das DRK-Odenwaldkreis einen 7,5-Tonner und seine Mitarbeiter<br />

Marco Burghardt (Erbach) und Thomas Schroth (Weiten-Gesäß) zur<br />

Verfügung stellt. Diese großzügige Hilfe des Roten Kreuzes wurde<br />

im Plenum des Friedensforums mit dankbarem Beifall bedacht. Vom<br />

Friedensforum werden an der Mission teilnehmen: Adolf Berger<br />

(Schönnen), Christel Eifert (Brensbach), Boris Frentzel (Würzberg),<br />

Dieter Gerlach (Fränkisch-Crumbach), Thomas Reuter (Kirchbrombach)<br />

sowie Hanne und Klaus Vack (Sensbachtal). Da das Volumen<br />

der Spenden das Fassungsvermögen des DRK-Fahrzeugs überschreitet,<br />

wird in drei weiteren Fahrzeugen gefahren, zur Beförderung der<br />

restlichen Güter und der Teilnehmer an der Aktion. Begleitet wird der<br />

Konvoi von Edin Sarcevic, einem Diplomaten aus der Friedensbewegung<br />

von Sarajewo, der sich auf seine juristische Dissertation über<br />

das deutsche Grundgesetz vorbereitet.<br />

Beabsichtigt ist, in Zagreb frisches Gemüse und Obst einzukaufen, sowohl<br />

<strong>für</strong> das Lager Spensko als auch <strong>für</strong> das Lager Samobor. Desweiteren<br />

gehören u.a. zum Programm eine Diskussion mit Vertretern der Antikriegskampagne<br />

Zagreb und eine Visite der Frauenambulanz „<strong>für</strong> die<br />

Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 11<br />

Ärmsten der Armen“, die sich in der Moschee in Zagreb befindet.<br />

Selbstverständlich soll eine Stadtbesichtigung nicht ausgespart werden.<br />

Zagreb ist von direkten Kriegseinwirkungen verschont geblieben<br />

und verfügt über eine historische Altstadt und viele Sehenswürdigkeiten.<br />

Das Odenwälder Friedensforum dankt allen Spendern, die bis jetzt<br />

schon so großzügig geholfen haben, um das Leid einiger hundert<br />

Kriegsflüchtlinge zu lindern. Geldspenden <strong>für</strong> weitere Aktivitäten können<br />

eingezahlt werden auf das Konto des Friedensforums bei der Volksbank<br />

Odenwald, Kto. 191450, BLZ 50863513, Stichwort: Spensko.<br />

Hanne Vack<br />

Untätigkeit,<br />

Phantasielosigkeit und<br />

hohle Macht<br />

MENSCHENRECHTLICHE POLITIK IN DER BUNDESREPUBLIK –<br />

EINE ERKLÄRUNG DER MITGLIEDERVERSAMMLUNG DES<br />

„KOMITEES FÜR GRUNDRECHTE UND DEMOKRATIE“, BEI<br />

DER KLAUS VACK UND ANDREAS BURO NICHT WIEDER<br />

KANDIDIERT HABEN<br />

Weltweite Gefahren blockieren und verkehren die Menschenrechte.<br />

Die Konkurrenz um Wohlstand und Überleben in den einzelnen Ländern<br />

und zwischen denselben nimmt zu. Entsprechend wächst die<br />

Ungleichheit. Gewalt und Konflikte mit tödlichem Ausgang greifen<br />

trotz allem internationalen Gerede von den Menschenrechten um sich.<br />

Auf letztere beruft man sich nur dann, wenn sie den eigenen bornierten<br />

Interessen dienen. Inmitten aller Beschlüsse zur Handelsfreiheit,<br />

die angeblich allgemeinen Wohlstand weltweit fördern, dominieren<br />

inner- und zwischengesellschaftlich Rücksichtslosigkeiten aller Art.<br />

In dieser Situation gibt die Mitgliederversammlung des Komitees <strong>für</strong><br />

Grundrechte und Demokratie folgende grundsätzliche Erklärung zur<br />

eigenen Politik ab:<br />

1. Unsicherheiten sind überall gegenwärtig. Neuen nationalistischen<br />

und ethnozentristischen Fixierungen, Ausdruck radikaler Verunsicherung,<br />

stehen zumeist hilflose Versuche multi-ethnischer Organisierung<br />

gegenüber.<br />

Ausländer und Menschen, die anders denken und anders leben, werden<br />

erfahren, als stellten sie eine Bedrohung dar. Ihnen wird mit Vorurteilen,<br />

Diskriminierungen und tödlicher Gewalt begeg<strong>net</strong>. Darin<br />

äußert sich eine tiefgründige Verunsicherung hinsichtlich des eigenen<br />

Lebens. Dieselbe schließt die eigene Person und ihre kaum gebändigte<br />

Aggression ein. Letztere wird konsequent auf alle projiziert, die<br />

von der eigenen angstbesetzten Normalität abweichen.<br />

Arbeit, der Haltepfeiler von Existenz und Selbstbewußtsein in der<br />

gegenwärtigen Gesellschaft, bricht weg, wird prekär und systematisch<br />

ungleich verteilt. Der Neid um den Arbeitsplatz, den alle benötigen,<br />

wird national und international zum Motiv von Aggressionen. Friedliche<br />

Umgangsformen unter Menschen und zwischen Gesellschaften,<br />

gestern noch von vielen wenigstens als ihre prinzipielle Orientierung<br />

geteilt, werden in Frage gestellt. Gewalt – so hallt es allerorten. Gewalt<br />

gegen den Nächsten, der die eigene Existenz zu bedrohen scheint,<br />

Gewalt des Staates gegen Gruppen von Menschen, die zuvor keine<br />

zureichende Chance hatten, selbstbewußt leben zu können. Gewalt<br />

gegen oppositionelle Gruppen, die mit ihrem gewaltfreien Widerstand<br />

gegen staatliche Willkür protestieren. Gewalt als Mittel der Intervention<br />

von Staaten gegen Gewaltkonflikte inmitten einzelner Staaten oder<br />

zwischen Staaten, um angeblich dem Frieden eine Gasse zu öffnen.<br />

In dieser Situation geradezu radikaler Verunsicherungen tut gegenwärtig<br />

etablierte Politik in dieser neu-alten Bundesrepublik nahezu<br />

alles, um selbige zu verschlimmern. Untätigkeit, Phantasielosigkeit,<br />

Abbau von Bürgerrechten, brutal zukunftsloser Opportunismus und<br />

ein konzeptionsloses Spiel um die längst hohle Macht sind Trumpf.<br />

Darin besteht die eigentliche Korruption gegenwärtiger Politik. Im<br />

eitlen Spiel um nichtsnutze Positionen, in dem niemand mehr die Forderungen<br />

des Tages und der Zukunft ernst nimmt, wird Politik zum<br />

Akzeptanzmanagement, zum populistischen „Als Ob“. Kein Wunder,<br />

daß Rattenfängerformeln und Rattenfängersymbole zirkulieren. Sie<br />

greifen nicht zuletzt bei vielen allein gelassenen, jungen Menschen.<br />

2. Das Komitee <strong>für</strong> Grundrechte und Demokratie hält fest an einer<br />

unverkürzten menschenrechtlich-demokratischen Politik ohne modische<br />

Verbeugung vor dem „Zeitgeist“. Diese Politik allein verspricht<br />

hier und heute ein alle Menschen achtendes, sich selbst und andere<br />

ernst nehmendes Morgen. Eine solche Politik ist sich des engen<br />

Zusammenhangs von Zielen und Mitteln dauernd bewußt. Gleichheit<br />

wird nicht durch Ungleichheit, Freiheit nicht durch Unterdrückung,<br />

Frieden wird nicht durch Gewalt herbeigeführt.<br />

Wer sich nicht zuletzt um der eigenen Person willen einer solchen Politik<br />

verpflichtet und sich darum nicht mehr auf die vergebliche Suche<br />

nach falschen, Gewalt freisetzenden „Identitäten“ begibt, muß nüchterne<br />

Konsequenzen ziehen. Sie und er müssen die gegenwärtigen Probleme<br />

in ihrer bedrückenden Massivität unverkürzt wahrnehmen. Nicht<br />

Fluchtversuche in Pseudowahrheiten und Ersatzhandlungen sind angezeigt.<br />

Will man den weltweiten Problemen, die sich überall niederschlagen,<br />

gerecht werden, ist unser aller Phantasie gefordert. Vonnöten<br />

ist es, mutige neue Lösungswege zu beschreiten. An erster Stelle ist zu<br />

begreifen, daß die herkömmlichen Institutionen liberaler Demokratie<br />

und freien Kapitalismus gerade um ihrer ursprünglichen Versprechungen<br />

willen heute nicht mehr ausreichend funktionieren können. Von<br />

den früheren humanen Kosten der „Marktwirtschaft“ einmal zu<br />

schweigen. Im Gegenteil. Soll in global gewordenen Zusammenhängen<br />

nicht der sozialdarwinistische, andere ab- und ausgrenzende Kampf das<br />

Motto der Zukunft sein, muß liberale Demokratie durch neue Beteiligungsformen<br />

und Dezentralisierung belebt werden.<br />

☛ Fortsetzung auf folgender Seite<br />

DESIGNERTEPPICHE<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ


Ebenso muß die private und machtvoll organisierte Ökonomie öffentlich,<br />

das heißt bürger- und umweltverantwortlich koordiniert werden.<br />

Nur wenn neue Einrichtungen der Balance von unten geschaffen werden,<br />

die die Bürgerinnen und Bürger endlich ernst nehmen, nur dann<br />

besteht Hoffnung, daß eine offene Welt auch <strong>für</strong> die Menschen und<br />

nicht nur <strong>für</strong> Kapitalgüter, Dienstleistungen, <strong>für</strong> Menschen- und<br />

Umweltzerstörung offen werden. Klar und eindeutig ist, daß nur eine<br />

Politik zu friedlichen Zukünften führt, die endlich strikt auf das Mittel<br />

kriegerischer Gewalt zugunsten ziviler Konfliktbearbeitung verzichtet.<br />

Solange Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln<br />

ist, werden die schweren Probleme zwischen den Gesellschaften weiter<br />

hin- und hergeschoben, bis der Stärkere im Krieg die Lösung sucht<br />

oder der Schwächere vor Aggressionen platzt.<br />

Politik ist – und wir alle sind – mehr gefordert denn je. Die menschenrechtlichdemokratische<br />

Orientierung und der menschenrechtlichdemokratische<br />

Weg zum Ziel sind durch menschheitsgeschichtliche<br />

Erfahrungen noch und noch bestätigt. Sie sind ohne Alternative.<br />

Ansonsten jedoch müssen wir uns phantasievoll dehnen und strecken,<br />

herkömmliche Institutionen und Prozeduren um- und umdrehen,<br />

damit nicht bald, allem Gerede zum Trotz, von der Antiquiertheit der<br />

Menschenrechte und ihres Trägers, des Menschen, die Rede sein muß.<br />

3. Mit dieser Stellungnahme, im Wechsel der Zeiten unbeirrt, unterstreicht<br />

das Komitee <strong>für</strong> Grundrechte und Demokratie seine eigene<br />

Kontinuität. Dieselbe wird problem- und wandlungsoffen bewahrt,<br />

obwohl zwei der wichtigsten Vertreter des Komitees, die das Komitee<br />

wie niemand anders verkörpern, in die zweite Reihe zurücktreten:<br />

Andreas Buro und Klaus Vack. Im Leben von Institutionen und Menschen<br />

gibt es Einschnitte, die institutionell und persönlich unvermeidlich<br />

sind. Institutionen und Personen zeichnen sich dadurch aus, wie<br />

sie solche Einschnitte bewältigen. Klaus Vack und Andreas Buro werden<br />

dem Komitee in der „zweiten Reihe“ erhalten bleiben. Und das<br />

Komitee wird von ihrem Rat, der bei beiden die Tat immer mit einschloß,<br />

noch und noch lernen und Gewinn haben. Selbst wenn diese<br />

beiden langjährigen Repräsentanten ein wenig innehalten und nominell<br />

nicht dauernd in Erscheinung treten.<br />

Diese Erklärung wurde von der Komitee-Mitgliederversammlung diskutiert<br />

und einmütig beschlossen.<br />

Im Auftrag der Mitgliederversammlung: Roland Roth, Wolf-Dieter<br />

Narr, geschäftsführender Vorstand des Komitees <strong>für</strong> Grundrechte<br />

und Demokratie<br />

Musik aus dem Schtetl<br />

IM JUNI FINDET IN DER BESSUNGER KNABENSCHULE EIN<br />

KLEZMER-SEMINAR STATT<br />

Klezmer-Musik, das ist die über Jahrhunderte<br />

tradierte, typische Musik aus<br />

dem „Schtetl“ des zerstörten Ostjudentums.<br />

Popularisiert und damit dem Vergessen<br />

entrissen hat die Klezmer-Tradition<br />

der Klari<strong>net</strong>tenvirtuose Giora<br />

Feidman. Zusammen mit ausgewiesenen<br />

Künstlern und Dozenten und unter<br />

der Leitung von Irith Gabriely wird<br />

jetzt ein Klezmer-Seminar in Darmstadt angeboten.<br />

Irith Gabriely, Feidman-Schülerin in Tel Aviv zwischen 1968 und<br />

1972, macht seit 1986 mit ihrem Klezmer-Quartett „COLALAILA“<br />

Furore und gilt unumstritten als Koryphäe des Klezmer-Revivals.<br />

Vom 9. bis zum 12. Juni wird nun im Kulturzentrum Bessunger Knabenschule<br />

dem Phänomen Klezmer ethnisch-historisch, musiktheoretisch<br />

und -praktisch nachgespürt. Ein Seminar, das in Ausrichtung<br />

und Konzeption seinesgleichen sucht.<br />

Ergänzt wird das Seminar-Programm durch öffentliche Konzerte, u.a.<br />

durch die Aufführung des „Dibuk“ (nach dem jüdischen Mysterienspiel<br />

von An-Ski) mit einem extra hier<strong>für</strong> zusammengestellten, kammermusikalischen<br />

Septett. Interessenten <strong>für</strong> das Seminar können sich<br />

anmelden unter der Telefonnummer 52382.<br />

Paul-Hermann Gruner<br />

Medizinische Hilfe <strong>für</strong><br />

Gorazde<br />

EIN LKW-KONVOI DES „KOMITEES FÜR GRUNDRECHTE UND<br />

DEMOKRATIE“ HAT MEDIKAMENTE IM WERT VON ZWEI MIL-<br />

LIONEN MARK IN DIE BOSNISCHE STADT GELIEFERT<br />

Klaus Vack, verantwortlich <strong>für</strong> die humanitäre Hilfe des „Komitees<br />

<strong>für</strong> Grundrechte und Demokratie“ gibt bekannt, daß ein Konvoi von<br />

drei Lastern von Split (Kroatien) über Sarajewo die monatelang belagerte<br />

bosnische Stadt Gorazde erreicht hat. Es sind dringend benötigte<br />

Medikamente im Wert von etwa zwei Millionen Mark geliefert worden,<br />

die bereits vor einigen Wochen dem Krankenhaus Gorazde ausgegangen<br />

waren.<br />

Das Komitee stellte <strong>für</strong> die Aktion seinen in Zagreb stationierten Lkw<br />

zur Verfügung. Je ein weiterer Lkw gehören einer Friedensgruppe aus<br />

Frankreich und aus Großbritannien. Die Fahrer seien deutsche, vom<br />

Komitee „angeheuerte“ Kriegsdienstverweigerer, die solche schwierigen<br />

Fahrten gegen ein geringes Salär übernommen haben und jüngst<br />

innerhalb von 14 Tagen drei Fahrten von Zagreb in die bosnische<br />

Stadt Tuzla und zurück gemacht haben. Die Medikamente waren von<br />

dem muslimischen Roten Halbmond Merhamed und von etwa 30 kleineren<br />

Hilfsorganisationen aus neun westeuropäischen Ländern gespendet<br />

worden. Das Komitee hatte <strong>für</strong> etwa 140.000 Mark bei einem<br />

renommierten Pharmagrossisten eingekauft, und zwar vor allem Narkosemittel,<br />

Antibiotika und Blutersatzstoffe. Diese sind sofort nach<br />

Split geflogen worden. Unterstützt wurde diese Schnellaktion von der<br />

Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die sowohl eine Niederlassung in<br />

Split hat, als auch ein Team zur Beratung der Ärzte in Gorazde stellt,<br />

BRIEFE AN DIE REDAKTION III Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 12<br />

das während der ganzen Zeit in der belagerten Stadt weilte.<br />

Wie Klaus Vack am 3. Mai telefonisch mitgeteilt wurde, sind die drei<br />

Lkw und ihre Fahrer wieder wohlbehalten in Split angekommen und<br />

würden im Anschluß nach Zagreb fahren, um Lebensmitteln <strong>für</strong> einen<br />

Hilfstransport nach Tuzla neu zu laden. Der Eindruck der Fahrer: „Die<br />

Situation in Tuzla ist weitaus schlimmer als in Gorazde, weil in und<br />

um Tuzla, neben den etwa 80.000 Einwohnern, über 500.000 Flüchtlinge<br />

leben, die im Frühjahr vergangenen Jahres dorthin geflohen sind<br />

und täglich sterben Menschen an Unterernährung.“ Klaus Vack beabsichtigt,<br />

Mitte Mai <strong>für</strong> einige Tage nach Tuzla zu fahren.<br />

Das Komitee <strong>für</strong> Grundrechte und Demokratie ruft erneut zu Spenden<br />

auf: Medizinische Hilfe <strong>für</strong> Bosnien, Volksbank Odenwald eG, 64743<br />

Beerfelden, Kontonummer 8024618, BLZ 50863513.<br />

Klaus Vack, Komitee <strong>für</strong> Grundrechte und Demokratie<br />

1994, das Jahr<br />

der Familie – aber wo?<br />

EINE „ELTERN-KIND-GRUPPE“ DER FAMILIEN-BILDUNGS-<br />

STÄTTE HAT RAUMPROBLEME<br />

Eine Zielsetzung in der Bundesrepublik zu diesem Beschluß der Uno<br />

ist u.a. „…eine stärkere Sensibilisierung <strong>für</strong> die Belange von Familien<br />

in den alten und neuen Bundesländern…“. So habe ich es im Jahresprogramm<br />

1993/94 der Familien-Bildungsstätte der Stadt Darmstadt<br />

nachgelesen. Die Umsetzung solch hehrer Ziele in die Tat ist nicht so<br />

einfach, und mit der Sensibilisierung der Institution ist es m.E. nicht<br />

allzuweit her. Auch die Annahme, daß der Bürger vom Sparkurs der<br />

Stadt noch wenig spürt (nachzulesen im „Darmstädter Echo“ vom<br />

26.4.1994), halte ich <strong>für</strong> bloße Theorie.<br />

Als Mutter eines zweijährigen Kindes bin ich seit November 1993 teil<br />

einer „Eltern-Kind-Gruppe“ in der Außenstelle Oettinger Villa der<br />

Familien-Bildungsstätte. Die Kinder lernen hier Spielideen und Gruppenverhalten<br />

kennen und entwickeln mit der Zeit eine eigenständige<br />

stabile Persönlichkeit. Eine gewisse Kontinuität bezüglich der Gruppenzusammensetzung<br />

und Treffpunkt ist da<strong>für</strong> natürlich Voraussetzung.<br />

Nun wurde unserer Gruppe bereits seit Dezember 1993<br />

angekündigt, daß wir, bzw. die Familien-Bildungsstätte, den Raum in<br />

der Oettinger Villa räumen müssen. Mehrmals wurde umdisponiert,<br />

einige Alternativen wurden vorgestellt und verworfen, von Woche zu<br />

Woche mußte der nächste Treffpunkt erfragt werden.<br />

Das erste Treffen nach der Osterpause fand – entgegen den vorigen<br />

Aussagen – dann doch wieder in der Oettinger Villa statt. Uns erwartete<br />

ein Raum, in dem alle Möbel zusammengeschoben, der Teppichboden<br />

eingerollt und sämtliche Spielsachen in große Kisten verpackt<br />

waren. An eine sinnvolle Durchführung unseres Treffens, das ja<br />

bereits bezahlt ist, war nicht zu denken. Die Familien-Bildungsstätte<br />

hat keinen Platz <strong>für</strong> das Jahr der Familie? Massiver Protest bei den<br />

wirklich zuständigen Stellen der Stadt Darmstadt (es war gar nicht so<br />

ein einfach, die zu finden!) ergab, daß wir vielleicht bis zur Sommerpause<br />

in der Oettinger Villa bleiben dürfen. Eine Fortsetzung des Kurses<br />

nach den Ferien ist in Frage gestellt. Für mich sind es die vielversprechenden<br />

und sicherlich gut gemeinten Aussagen der <strong>für</strong> das städtische<br />

Sozialwesen Verantwortlichen auch. Und mein Vorschlag zur<br />

Lösung des Problems: Kann denn allem städtepolitischen Zuständigkeitsgerangel<br />

zum Trotz das in der riesigen Oettinger Villa neu einzurichtende<br />

Jugendzentrum nicht einen einzigen Raum erübrigen, in<br />

dem sich vormittags! heute die Jugend von morgen trifft?<br />

Angelika Treibmann<br />

Image einer altbackenen<br />

Provinzstadt<br />

IN EINER STELLUNGNAHME FORDERT DER<br />

ASTA DER TH DARMSTADT VOM OBER-<br />

BÜRGERMEISTER PETER BENZ (SPD),<br />

WELTOFFENHEIT UND LIBERALITÄT ZU<br />

ZEIGEN, UND DAS „CANNABIS-<br />

WEEKEND“ ZU GENEHMIGEN<br />

Der Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt hat das Cannabis-Weekend<br />

der AG Hanf verbieten lassen. Auch die Protestkundgebung<br />

gegen dieses Verbot wurde verboten. Soweit die Begründungen dieser<br />

Verbote über bloße Vermutungen hinausgehen, verhöhnen sie alle<br />

Versuche, eine den Problemen angemessene und <strong>für</strong> alle Betroffenen<br />

– KonsumentInnen, Polizei und BürgerInnen – vorteilhaften Umgang<br />

mit Drogen und Sucht zu etablieren. Die Dogmen konservativster<br />

Drogenpolitik ersticken jede ernsthafte Diskussion im Keim. Völlig<br />

übersehen wird von den politisch Verantwortlichen, daß es der AG<br />

Hanf um die gesamten Möglichkeiten der Nutzpflanze Hanf geht,<br />

zum Beispiel ihre Verwendung zu umweltverträglichen Papierherstellung<br />

oder als ökologischer Dämmstoff.<br />

Oberbürgermeister Peter Benz jedoch will nur die Droge sehen und<br />

verschanzt sich hinter Paragraphen, anstatt die politischen Akzente zu<br />

setzen, die im Programm seiner Partei und sogar in deren Regierungsprogramm<br />

formuliert sind. Die Leitung der TH Darmstadt schließt<br />

sich dieser Einstellung leider an und will keine Räume <strong>für</strong> die Ausstellungen<br />

und Diskussionsveranstaltungen zur Verfügung stellen.<br />

Auch wenn man sich nur auf den Drogenaspekt beschränkt, gibt es<br />

gute Gründe, den Argumenten der AG Hanf ein Forum zu bieten. Drogen-<br />

und Suchtprobleme sind Symptome <strong>für</strong> soziale Defizite und Entfremdung<br />

im Zusammenleben der Menschen. Deshalb lassen sie sich<br />

nicht durch Verbote lösen. Stattdessen schaffen Verbote erst einen<br />

Teil der mit Drogenkonsum verbundenen Probleme. Wie die Alkoholprohibition<br />

der 20er Jahre in den USA zeigte, hat jegliches Verbot von<br />

Drogen einen Schwarzmarkt zur Folge, der die finanzielle Basis <strong>für</strong><br />

das organisierte Verbrechen schafft. Großdealer profitieren im Han-<br />

del mit illegalen Drogen von phantastischen Gewinnspannen. Bei harten<br />

Drogen ist die Folge eine Beschaffungskriminalität, die mittlerweile<br />

über 30% aller Eigentumsdelikte ausmacht und den Süchtigen<br />

den Rückweg in die Gesellschaft erschwert. Diese Delikte binden<br />

einen Großteil der Kräfte, die bei der Bekämpfung des organisierten<br />

Verbrechens fehlen.<br />

Die immer wieder aufgestellte Behauptung von der „Einstiegsdroge<br />

Haschisch“ ist nicht durch die Eigenschaften des Stoffes gerechtfertigt.<br />

Wenn überhaupt Haschisch den Weg zu härteren Drogen eröff<strong>net</strong>,<br />

dann durch die Illegalität des Erwerbs, die die nötigen Kontakte<br />

mit sich bringt.<br />

Die Einstiegslegende verbreitet auch die CDU in einer Erklärung, die<br />

wir leider nur auszugsweise aus der Presse entnehmen konnten. Dort<br />

wird die Studierendenschaft der TH Darmstadt auch aufgefordert, die<br />

AG Hanf nicht weiter zu unterstützen. Stattdessen stünde es dem AStA<br />

besser an, sich <strong>für</strong> Gesundheitsaufklärung und Suchtvorbeugung zu<br />

engagieren und sowohl öffentlich als auch innerhalb der Studierendenschaft<br />

<strong>für</strong> eine gesundheitsbewußte Lebensweise zu werben.<br />

Indem wir die AG Hanf in ihrer Initiative unterstützen, wollen wir<br />

tatsächlich einen Beitrag zur Suchtaufklärung leisten. Wir können uns<br />

aber schlecht eine Gesundheitsaufklärung vorstellen, die sich in<br />

gebetsmühlenhafter Wiederholung von „Weisheiten“ erschöpft.<br />

Unser Anspruch ist, durch eine realitätsnahe Diskussion über Drogen<br />

und Sucht den bewußten und vernünftigen Umgang mit Drogen zu<br />

fördern. Wir meinen, auf diese Weise den besseren Beitrag zur Suchtvermeidung<br />

zu leisten.<br />

Die gegenwärtige Drogenpolitik muß grundsätzlich in Frage gestellt<br />

werden. Als erster Schritt zu einer Drogenpolitik <strong>für</strong> mündige Menschen<br />

ist eine aufgeklärte öffentliche Diskussion dringend notwendig.<br />

Deshalb fordern wir:<br />

– vom Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt: pflegen Sie nicht das<br />

Image einer altbackenen Provinzstadt, sondern zeigen Sie, daß die<br />

Weltoffenheit und Liberalität Darmstadts nicht auf die Prospekte<br />

ihres Informationsamtes beschränkt ist. Genehmigen Sie die Veranstaltungen<br />

des Cannabis-Weekends!<br />

– von den Verantwortlichen der TH Darmstadt: Ermöglichen Sie die<br />

Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen der AG Hanf!<br />

Markus Thelle und Uli Franke, <strong>für</strong> den AStA der TH Darmstadt<br />

Der Künstler legt sich<br />

nicht fest<br />

MISCHTECHNIKEN UND SKULPTUREN VON ROMAN<br />

PIETRZAK PRÄSENTIERT KARIN FEUCHTINGER IN DER<br />

GALERIE TRIGON, SOPHIENSTR. 12 IN EBERSTADT<br />

Der Künstler kam aus Brüssel angereist, wo im Sommer sein Stipendium<br />

an der Kunsthochschule zu Ende geht. Der bisher „jüngste<br />

Künstler“, 1963 in Nowy Targ (Polen) geboren, legte 1990 sein Examen<br />

an der Kunstakademie Warschau ab, wo er seither Assistent ist.<br />

Roman Pietrzak macht es seinen Besuchern nicht leicht. „Er legt sich<br />

nämlich nicht fest“, erklärte Karin Feuchtinger schon bei der Begrüßung<br />

der Vernissagegäste. Deshalb finden die Trigon-Besucher<br />

denn auch keine andere Hilfestellung als die Bemerkung „Ohne<br />

Titel“. Pietrzaks Bilder sind erstaunlich preiswert. Sie bewegen sich<br />

in dreistelligen, seine Skulpturen in vierstelligen Bereichen.<br />

In der Tat lösen die Bilder des polnischen Künstlers Neugierde aus.<br />

Welche Rolle spielen die erotischen Symbole? Wen stellt die Skulptur<br />

dar, die mit verkrüppelten Füßen auf einem Flitzbogen schaukelt?<br />

Roman Pietrzak gibt seine letzten Geheimnisse nicht preis. Nur: „Ich<br />

habe diese Arbeiten nicht so begonnen, wie es akademischer Gewohnheit<br />

entspricht. Also nicht erst über eine Idee nachgedacht und sie<br />

dann weiterentwickelt. Meine Gedanken waren in den vergangenen<br />

Monaten fast immer bei meiner Frau und meinen beiden Kindern.“ Die<br />

Bilder und Skulpturen dieser Ausstellung sind völlig spontan entstanden,<br />

versichert der Künstler. Eine „Botschaft“ – gewöhnlich unabdingbare<br />

Vokabel im Umgang mit Malern – habe er nicht. „Meine Gedanken<br />

haben sich aneinandergereiht von den Papierschiffchen <strong>für</strong> Kinder<br />

bis zu der Amazone da hinten. Wissen Sie, was das ist, une amazone?“<br />

Die Ausstellung dauert bis 12. Juni. Sie ist mittwochs von 16-20 Uhr<br />

und nach telefonischer Vereinbarung ( 53 72 39) geöff<strong>net</strong>.<br />

km<br />

Jetzt sind die Banken<br />

dran<br />

ERSTE ERFOLGE, SO DIE HANDWERKSKAMMER RHEIN-<br />

MAIN, ZEIGT DIE FORDERUNG NACH BEGLEICHUNG ALLER<br />

HANDWERKERRECHNUNGEN IM FALL SCHNEIDER<br />

Die Zusage des Vorstandes der Deutschen Bank AG, offene Handwerkerrechnungen<br />

im Zusammenhang mit dem Schneider-Konkurs<br />

zu begleichen, ist nicht zuletzt auf das massive Eintreten der Handwerkskammer<br />

Rhein-Main <strong>für</strong> die betroffenen Betriebe zurückzuführen.<br />

Dies erklärte Handwerkskammerpräsident Horst Abt zu den<br />

Erklärungen, wonach die Deutsche Bank AG, Frankfurt, Forderungen<br />

der Handwerker an von ihr finanzierten Schneiderobjekten begleichen<br />

will. Die Kammer fordert die anderen beteiligten Banken auf, genauso<br />

zu handeln.<br />

Worauf es jetzt ankommt ist schnelles Handeln, auch im Sinne der<br />

Fortführung der begonnenen Bauobjekte und dem finanziellen Ausgleich<br />

von Restforderungen. Für eine Koordination bietet die Handwerkskammer<br />

Rhein-Main <strong>für</strong> die von ihr betreuten Betriebe ihre<br />

Zusammenarbeit an.<br />

Handwerkskammer Rhein-Main


Abstriche bei PCB-<br />

Sanierung …<br />

Eine Verschleppung der PCB-<br />

Sanierung an der Käthe-Kollwitz-Schule und<br />

der Christian-Morgenstern-Schule aus<br />

finanziellen Gründen vermutet die CDU-Fraktionsvorsitzende<br />

Karin Wolff hinter einem<br />

Magistratsbeschluß vom 27.4.1994. Auf<br />

einer Magistratssitzung Ende April hätten<br />

dem Magistrat endlich die beiden Sanierungsvorlagen<br />

von Stadtrat Dr. Wolfgang<br />

Rösch <strong>für</strong> die betreffenden Schulen vorgelegen.<br />

Gegen die Stimmen von CDU und FDP<br />

habe der Magistrat – wie von Oberbürgermeister<br />

Peter Benz beantragt – beschlossen,<br />

daß eine Controlling-Stelle erst prüfen soll,<br />

welche Sanierungsteile eingespart werden<br />

könnten.<br />

Die CDU-Fraktionsvorsitzende Wolff erinnert<br />

daran, daß es Oberbürgermeister Peter Benz<br />

als damaliger Schuldezernent war, der im<br />

September 1992 die beiden PCB-verseuchten<br />

Schulen hat schließen lassen. Der jetzige<br />

Magistratsbeschluß bedeute eine weitere<br />

Verzögerung der PCB-Sanierung. Außerdem<br />

lägen dem Beschluß nicht mehr fachliche<br />

Geschichtspunkte zugrunde, sondern rein<br />

fiskalische. Die CDU-Politikerin wirft der<br />

Darmstädter SPD „Heuchelei“ während des<br />

Wahlkampfs vor und bescheinigt den Grünen<br />

eine Kehrtwendung um 180 Grad. Die<br />

CDU habe <strong>für</strong> die nächste Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

am 10. Mai einen Antrag vorgelegt,<br />

in dem gefordert wird, im Rahmen<br />

der vorhandenen Mittel des Haushalts 1994<br />

zum technisch frühestmöglichen Zeitpunkt<br />

mit der PCB-Sanierung der Käthe-Kollwitz-<br />

Schule und der Christian-Morgenstern-<br />

Schule zu beginnen. „Benz und seine rotgrüne<br />

Koalition können nicht erst die Schulen<br />

schließen, dann Landesdarlehen beantragen<br />

(je 500.000 Mark wurden gewährt,<br />

sind im Haushalt festgeschrieben) und<br />

schließlich die Sanierung völlig infrage stellen“,<br />

stellte Karin Wolff fest.<br />

… und eine Kehrtwende<br />

um 180<br />

Grad?<br />

Zur politischen Arbeit der<br />

Darmstädter Grünen gehört es, mit den Bürgerinnen<br />

und Bürgern zu reden, um Entscheidungen<br />

transparent zu machen oder<br />

Anregungen und Hinweise zu erhalten. Bei<br />

einem Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern<br />

von PCB-Begleitgruppen an Darmstädter<br />

Schulen konnten die Grünen ihre<br />

Haltung in der Frage der PCB-Sanierung<br />

deutlich machen.<br />

Günter Mayer, der Fraktionsvorsitzende der<br />

Grünen, stellt fest, daß in den letzten Jahren<br />

die Information der Öffentlichkeit über die<br />

PCB-Sanierung nicht gut war: „Da ist<br />

Mißtrauen gegen die Verwaltung und die<br />

Parteien entstanden.“ Er fordert deshalb<br />

eine Umkehr. Das Verfahren muß offen sein,<br />

alle Daten müssen auf den Tisch, es darf keine<br />

Tricks und Geheimniskrämereien geben.<br />

PCB-belastete Schulen sanieren zu müssen,<br />

ist <strong>für</strong> die Darmstädter Verwaltung eine neue<br />

Erfahrung. Deshalb müßte die Verwaltung<br />

das Interesse haben, Eltern, LehrerInnen,<br />

ExpertInnen miteinzubeziehen. „In dieser<br />

Frage ist ein breiter Konsens nicht unwichtig“,<br />

so Günter Mayer.<br />

Klaus Feuchtinger, der Vorsitzende des<br />

Umweltausschusses, sagte, daß die Grünen<br />

nach wie vor die Position vertreten würden,<br />

<strong>für</strong> die sie sich auch in der Opposition eingesetzt<br />

hätten. Die betroffenen Schulen müßten<br />

ordentlich saniert werden, um Gesundheitsgefährdungen<br />

<strong>für</strong> SchülerInnen und<br />

LehrerInnen auszuschließen.<br />

Nach Ansicht der Grünen muß deshalb mit<br />

der Sanierung der Käthe-Kollwitz und der<br />

Christian-Morgenstern-Schule noch in diesem<br />

Jahr begonnen werden. Die Schulen<br />

sind seit September 1992 geschlossen. Die<br />

Kollwitz-Schule soll bei Sanierung vorgezogen<br />

werden. Die Bedingungen, unter denen<br />

ihre SchülerInnen seit der Schließung unterrichtet<br />

werden, sind nicht mehr tragbar, da<br />

der Unterricht in Containern stattfindet. Aus<br />

pädagogischer Sicht kann das weder den<br />

SchülerInnen, noch den LehrerInnen länger<br />

zugemutet werden. Zumal die LehrerInnen<br />

ohne jegliches Unterrichtsmaterial auskommen<br />

müssen. Landkarten, Bücher, Schautafeln<br />

etc. sind unter Verschluß, weil man<br />

davon ausgehen kann, daß sie ebenfalls<br />

PCB-belastet sind. „Ein ordentlicher Unterricht<br />

kann unter diesen Umständen nicht<br />

stattfinden“, so Klaus Feuchtinger weiter.<br />

Die Grünen stellen deshalb in der nächsten<br />

Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung den Antrag,<br />

daß die fehlenden Unterrichtsmaterialien<br />

neu angeschafft werden. Das ist eine Sofortmaßnahme,<br />

die die bestehende Situation<br />

etwas verbessern soll. Für die Neuanschaffung<br />

sind Mittel in Höhe von 70.000 Mark<br />

nötig.<br />

Bauchgrimmen beim<br />

Eishallen-Deal …<br />

Nur mit Bauchgrimmen können<br />

die Grünen nach Ansicht von Ulrich<br />

Pakleppa dem Millionen-Deal zwischen<br />

Stadt und der TSG 1846 zustimmen. Langfristig<br />

ist die Übernahme der 9,5 Millionen<br />

Schulden des Sportvereins <strong>für</strong> die Stadt aber<br />

am günstigsten. „Unter dem Strich ist es<br />

richtig, daß sich die Stadt hier engagiert und<br />

sich um den Betrieb der Halle kümmert, um<br />

das jährliche Defizit zu verringern“, meint<br />

Ulrich Pakleppa. Er kritisiert, daß der Vertrag<br />

zwischen TSG und der Stadt, in dem die<br />

Kommune sich verpflichtet, bei einem Konkurs<br />

des Vereins <strong>für</strong> die Eishallen-Schulden<br />

aufzukommen, keine andere Möglichkeit<br />

läßt. „In der Wirtschaft wäre derjenige, der<br />

einen solchen Vertrag abgeschlossen hätte,<br />

da<strong>für</strong> entlassen worden“, so der Stadtverord<strong>net</strong>e<br />

der Grünen weiter.<br />

Die Grünen sehen es nicht ein, warum im<br />

Beirat der Eissporthalle GmbH, die die Eishalle<br />

betreiben soll, der Verein und die Stadt<br />

paritätisch vertreten sein sollen. „Der Verein<br />

hat bisher kein überzeugendes Konzept auf<br />

die Reihe gebracht, wie der Betrieb der Eishalle<br />

weniger defizitär gestaltet werden<br />

könnte. Warum sollte ihm das jetzt gelingen?“<br />

Außerdem liege die finanzielle Verantwortung<br />

bei der Stadt, die deshalb auch entscheiden<br />

müsse. Für die Grünen steht fest,<br />

daß sich eine derartige Interessenpolitik zum<br />

Nachteil der Bürgerschaft in Darmstadt nicht<br />

wiederholen darf.<br />

… Liberale verlangen<br />

Akteneinsicht …<br />

Ein Vertrag, den niemand<br />

kennt und ein Gutachten, das unter Verschluß<br />

gehalten wird: das Thema Eissporthalle<br />

ist <strong>für</strong> die FDP-Fraktion noch lange<br />

nicht vom Tisch. Wie berichtet, hat der<br />

Magistrat beschlossen, die defizitäre Eissporthalle<br />

des TSG 1846 <strong>für</strong> neun Millionen<br />

zu übernehmen und den Verein damit schuldenfrei<br />

zu stellen. Grundlage dieses Deals ist<br />

ein Vertrag, der 1981 vom TSG-Vorsitzenden<br />

Herbert Reißer mit der damaligen SPD-<br />

WGD-Koalition ausgehandelt, den Stadtverord<strong>net</strong>en<br />

aber nicht vorgelegt wurde. Die<br />

zentrale Klausel des Vertrags besagt offenbar,<br />

daß im Falle eines Konkurses der Eissportgesellschaft<br />

eine Heimfallverpflichtung<br />

in Kraft tritt, nach der die Stadt gezwungen<br />

ist, die Halle zu kaufen.<br />

Nun sollen die Stadtverord<strong>net</strong>en der Übernahmevorlage<br />

des Magistrats zustimmen:<br />

ohne Kenntnis des Vertrages und des Gutachtens<br />

zum Betrieb der Eissporthalle eine<br />

glatte Zumutung, wie die Liberalen erklären.<br />

Die Fraktion wird deshalb in der nächsten<br />

Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung Einsicht in<br />

die Akten verlangen – eine Forderung, die<br />

nicht verweigert werden darf. Möglicherweise,<br />

so Fraktionsvorsitzender Dr. Dierk Molter,<br />

könnten nach einer genauen Prüfung der<br />

Vertragsbestimmungen Haftungsfragen<br />

geklärt und preisgünstigere Alternativen <strong>für</strong><br />

die Stadt gefunden werden. Von dem Gutachten<br />

versprechen sich die Liberalen auch<br />

Anstöße <strong>für</strong> eine effektivere Neuorganisation,<br />

als sie in der Magistratsvorlage vorgeschlagen<br />

wird. Es sei zum Beispiel überhaupt<br />

nicht einzusehen, weshalb die Stadt<br />

als potentielle Eigentümerin bei der Eissportgesellschaft<br />

als Betreiberin der Halle<br />

nur zu 50 Prozent beteiligt werden solle, auf<br />

der anderen Seite aber jährlich bis zu einer<br />

halben Million zuschießen müsse. „Diese<br />

Magistratsvorlage ist so, wie sie vorliegt,<br />

PARTEIEN - STANDPUNKTE I<br />

nicht beratungsfähig!“, urteilt die FDP-Fraktion.<br />

Es gehe nicht darum, Sünden der Vergangenheit<br />

aufzurechnen. Sie aber nun vorschnell<br />

und „sträflich dilettantisch“ in die<br />

Zukunft fortschreiben zu wollen, müsse verhindert<br />

werden.<br />

… ein politischer<br />

Bumerang?<br />

Die SPD wird sich nicht<br />

gegen eine FDP-Initiative zur Akteneinsichtnahme<br />

in Sachen Eissporthalle wenden.<br />

Dies teilt der Vorsitzende der SPD Fraktion<br />

Horst Knechtel mit. Knechtel erinnert an die<br />

Historie des Projekts und daran, daß die<br />

SPD es jahrelang abgelehnt und in der Zeit<br />

der sogenannten „Elefantenkoalition“ nur<br />

sehr widerwillig, als „politischen Preis“, <strong>für</strong><br />

diese damals als notwendig betrachtete<br />

Zusammenarbeit auch mit der CDU mitgetragen<br />

habe. Auch sei es kein Geheimnis,<br />

daß die SPD-Fraktion über die endgültigen<br />

Vertragsmodalitäten hinsichtlich des „Heimfalls“<br />

der Halle an die Stadt weder informiert<br />

gewesen sei, noch diesen gar zugestimmt<br />

habe. Die FDP sei jedoch mit ihrem jetzigen<br />

Vorgehen aus dreierlei Gründen absolut<br />

unglaubwürdig. Seien doch einerseits wichtige<br />

Ämter des FDP-geführten Dezernates<br />

teilweise maßgeblich und federführend an<br />

der Vorbereitung und Durchführung der<br />

Baumaßnahme beteiligt gewesen, und habe<br />

der ihr angehörende hauptamtliche Stadtrat<br />

bei allen wichtigen Besprechungen und Entscheidungen<br />

beratend mitgewirkt – andererseits<br />

sei es aber gerade auch die FDP gewesen,<br />

die in den Zeiten der Dreier-Kooperation<br />

die CDU gegen die Unwilligkeit der SPD bei<br />

der Realisierung dieses Projektes unterstützt<br />

habe, um den von ihr gewünschten Kunsthallenbau<br />

durchzubringen. Und schließlich<br />

müsse darauf hingewiesen werden, daß der<br />

gegenwärtige Vorsitzende der FDP-Fraktion<br />

Dr. Molter vom 1. August 1986 bis Ende<br />

April 1993 ehrenamtliches Mitglied des<br />

Magistrats gewesen ist und somit alle Unterlagen<br />

über dieses Projekt zumindest damals<br />

gekannt haben muß, bzw. an ihrem Zustandekommen<br />

sogar mitgewirkt hat. Wenn Dr.<br />

Molter jetzt behaupten sollte, er habe diese<br />

Unterlagen nicht gelesen, müsse er sich grobe<br />

Pflichtwidrigkeiten vorhalten lassen. Der<br />

Baubeginn der Halle erfolgte im Juni 1988.<br />

Dr. Molter sei also gerade in der entscheidenden<br />

Phase vor dem Baubeginn Magistratsmitglied<br />

gewesen. Sein Antrag auf<br />

Akteneinsicht stelle somit auch einen Antrag<br />

auf Ermittlungen in eigener Sache und damit<br />

gegen sich selbst dar. Wenn sich also<br />

tatsächlich bewahrheiten sollte, daß Haftungen<br />

zu übernehmen seien, werde auch auf<br />

ihn zurückgegriffen werden müssen. Und<br />

wenn, wie von ihm behauptet, „Zumutungen<br />

<strong>für</strong> die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung“<br />

sichtbar werden sollten, müsse auch er zur<br />

Rechenschaft gezogen werden. Insgesamt,<br />

prophezeit Knechtel, stelle die von Dr. Molter<br />

vorgetragene FDP-Initiative somit einen<br />

ziemlich mißglückten Versuch <strong>für</strong> eine Fundamentalopposition<br />

dar, der sich zum politischen<br />

Bumerang entwickeln wird.<br />

HEAG-Hallen:<br />

Ein beispielloser<br />

Ausverkauf<br />

Eine völlige Umkehrung der<br />

Zielsetzung und ein beispielloser Ausverkauf:<br />

einigermaßen fassungslos hat die FDP-<br />

Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion die jüngsten<br />

Beschlüsse der rot-grünen Koalition zum<br />

HEAG-Hallen-Komplex zur Kenntnis genommen.<br />

„Die einzigen, die sich freuen dürfen,<br />

sind die Investoren“, erklärt Fraktionsvorsitzender<br />

Dr. Dierk Molter in einer Presseerklärung,<br />

„sie bekommen eine ganze Straße<br />

<strong>für</strong> 5,3 Millionen Mark geschenkt!“<br />

Der geplante Deal – die Halle B bleibt komplett<br />

kultureller Nutzung vorbehalten, da<strong>für</strong><br />

erhalten die Investoren zum theoretischen<br />

Kaufpreis von 27 Millionen die Luisenstraße<br />

vom Luisenplatz bis zur Schuchardstraße –<br />

ist nach Ansicht der Liberalen ein exemplarischer<br />

Fall nicht nur <strong>für</strong> die Kommunalaufsicht<br />

durch den Regierungspräsidenten,<br />

sondern zusätzlich <strong>für</strong> eine Rentierlichkeitsprüfung<br />

durch übergeord<strong>net</strong>e Stellen, zum<br />

Beispiel durch den Landesrechnungshof.<br />

Allein die Tatsache, daß auf die Stadt Mietausgaben<br />

in Höhe von 9,5 Millionen Mark<br />

<strong>für</strong> Räume zukommen, die ihr bis jetzt noch<br />

gehören, sei ein Skandal. Darüber hinaus<br />

sind die 5,3 Millionen, die nach Abzug der<br />

Kompensation <strong>für</strong> die Investoren und des<br />

städtischen Bauanteils noch übrig bleiben<br />

sollen, nach Ansicht der Liberalen „keinen<br />

Pfifferling wert“. Ruth Wagner, Kulturpolitikerin<br />

der Darmstädter Liberalen: „Was<br />

immer die Koalition sich unter Kultur in der<br />

Halle B vorstellt – sie wird teuerer als 5,3<br />

Millionen.“<br />

Verärgert erinnert Ruth Wagner daran, daß<br />

es die Liberalen waren, die seinerzeit den<br />

Sozialdemokraten eine professionelle kulturelle<br />

Nutzung der zweiten Halle „Meter um<br />

Meter abgerungen“ hatten. Das schließlich<br />

im Dezember 1992 vom damaligen Magistrat<br />

und den Investoren unterschriebene<br />

Vertragswerk habe garantiert, was als Ziel<br />

aller Verhandlungen von vornherein feststand:<br />

aus dem Kern der beiden historischen<br />

Hallen einen attraktiven und lebendigen Ort<br />

städtischen Lebens zu machen, dessen Ausstrahlung<br />

auch die „Schale“ des kommerziellen<br />

Umfeldes fördert. Geplant werde von<br />

der rot-grünen Koalition nun das genaue<br />

Gegenteil: „Die Schale wird poliert, der Kern<br />

fault weiter“, so Ruth Wagner. Als nächsten<br />

Schritt werden die Liberalen eine Große<br />

Anfrage in die Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

einbringen, die vor allem die finanziellen<br />

Hintergründe und Auswirkungen der<br />

Koalitionsbeschlüsse klären soll.<br />

Mehr Parkraum<br />

ist nicht nötig<br />

„Die Argumentation der IHK<br />

zum HEAG-Hallen-Kompromiß überzeugt<br />

nicht“, sagt Günter Mayer, der Fraktionsvorsitzende<br />

der Grünen. Mehr Kunden, aber<br />

weniger Parkplätze ist nur dann widersprüchlich,<br />

wenn man längst überholte Verkehrspolitik<br />

betreibt, die ausschließlich auf<br />

den Individualverkehr setzt. Die Rechnung<br />

der IHK – mehr Kunden bedeuten mehr Verkehr,<br />

deshalb benötige man mehr Parkplätze<br />

– ist deshalb nicht richtig.<br />

In der Innenstadt gibt es genug Parkraum in<br />

öffentlichen Parkhäusern und Tiefgaragen.<br />

Nur parken dort zu 40% Dauerparker,<br />

hauptsächlich Berufspendler. Dieser<br />

blockierte Parkraum kann besser ausgenutzt<br />

werden, indem die Zahl derjenigen, die mit<br />

dem Auto zur Arbeit nach Darmstadt fahren,<br />

verringert wird. Das wird durch die<br />

Umwandlung von Langzeitparkplätzen in<br />

Kurzzeitparkplätze und durch die Förderung<br />

des ÖPNV erreicht.<br />

Zur Zeit werden diejenigen bestraft, die sich<br />

ökologisch vernünftig verhalten und Busse<br />

und Bahnen benutzen. Denn die Preise <strong>für</strong><br />

den ÖPNV sind oft höher als die Parkgebühren.<br />

Solange man in Darmstadt aber so<br />

günstig parken kann, steigt niemand auf<br />

öffentliche Verkehrsmittel um. Das ist auch<br />

der Grund, warum viele Darmstädter aus<br />

den Stadtteilen mit dem Auto wenige Kilometer<br />

in die Stadt fahren, obwohl sie auch<br />

problemlos Bus oder Straßenbahn benutzen<br />

könnten.<br />

Durch die Umwandlung von Lang- in Kurzzeitparkplätze<br />

und die Erhöhung der Parkgebühren<br />

würde nicht nur die Belastung durch<br />

den Autoverkehr verringert, in der Innenstadt<br />

würden außerdem auch Parkplätze <strong>für</strong><br />

Besucher aus dem Umland frei.<br />

Mehr Parkplätze tragen auf keinen Fall dazu<br />

bei, die Innenstadt attraktiver zu machen.<br />

Wie sollen Autos zu den zusätzlichen Stellplätzen<br />

kommen, wenn in der rush-hour die<br />

Straßen jetzt schon verstopft sind? „Ich<br />

glaube kaum, daß Kunden aus dem Umland<br />

Lust haben, vor ihrem Einkaufsbummel in<br />

Darmstadt stundenlang im Stau zu stehen,<br />

um dann durch Abgasschwaden zu marschieren“,<br />

so Günter Mayer weiter. Verkehrsströme<br />

müssen so gelenkt werden,<br />

daß diejenigen, die ihr Auto ohne Schwierigkeiten<br />

stehen lassen können, aufs Auto verzichten<br />

und in erster Linie nur diejenigen, die<br />

aufs Auto angewiesen sind, nach Darmstadt<br />

fahren. Es ist der politische Wille der Koalition,<br />

die erheblichen Belastungen zu verringern,<br />

die der Autoverkehr verursacht. „Die<br />

Schaffung weiterer Parkplätze in der Innenstadt<br />

und die Reduzierung des Autoverkehrs<br />

schließen sich aber gegenseitig aus“, so<br />

Günter Mayer weiter.<br />

Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 13<br />

Riesenflaute bei<br />

Investitionen<br />

„Statt darüber zu sprechen,<br />

was eine Stadt tun kann, um <strong>für</strong> Arbeitsplätze<br />

zu sorgen, sollte Oberbürgermeister Peter<br />

Benz lieber handeln“, so kommentiert die<br />

CDU-Kreisvorsitzende Eva Ludwig den Dialog<br />

zum 1. Mai zwischen DGB und SPD. Die<br />

beste Beschäftigungspolitik sei immer noch<br />

eine Kommunalpolitik, die zu Investitionen<br />

ermutigt, so Eva Ludwig.<br />

Auf diesem Gebiet herrsche aber in der rotgrünen<br />

Koalition eine „Riesenflaute“. Die<br />

von der rot-grünen Koalition verabschiedete<br />

„Stellplatzsatzung“ sei <strong>für</strong> die Darmstädter<br />

City-Entwicklung und das Investitionsklima<br />

tödlich: „In einer Stadt, wo ein privater Investor<br />

auf einem Grundstück Stellplätze nicht<br />

bauen darf, sie aber bezahlen muß, braucht<br />

man über Wirtschaftsförderung nicht weiter<br />

zu reden“, sagte sie. Man dürfe sich daher<br />

nicht wundern, wenn Firmen aufgrund der<br />

standortschädigenden Verkehrspolitik ins<br />

Umland abwanderten. Die desolate Haushaltssituation<br />

wirke sich ebenfalls nicht<br />

positiv auf den Wirtschaftsstandort Darmstadt<br />

aus. Die Stadt erwirtschafte kein Geld<br />

mehr <strong>für</strong> dringende Investitionen im Bereich<br />

des Umweltschutzes oder <strong>für</strong> die Sanierung<br />

von öffentlichen Gebäuden, so Eva Ludwig.<br />

Stattdessen hielten zu hohe städtische<br />

Gebühren – wie zum Beispiel <strong>für</strong> den Müll –<br />

mögliche Investoren fern. „Nicht öffentlich<br />

finanzierte Programme sichern Arbeitsplätze,<br />

sondern ein politisches Klima, das den<br />

beginnenden Aufschwung unterstützt durch<br />

Wirtschaftsförderung und Stärkung des<br />

Oberzentrums“, stellte die CDU-Kreisvorsitzende<br />

fest.<br />

Polit-Clown<br />

Jürgen Barth<br />

Eine dicke Rüge vom Rechnungsprüfungsamt<br />

erhielt die Bessunger<br />

Knabenschule. Wie der finanzpolitische<br />

Sprecher der CDU-Fraktion Klaus von Prümmer<br />

weiter mitteilt, würden Rechnungen mit<br />

zwei- bis dreijähriger Verspätung vorgelegt,<br />

eine ordnungsgemäße Finanzverwaltung finde<br />

nicht statt. Erhebliche Mängel hätten dem<br />

Rechnungsprüfungsamt die Arbeit fast<br />

unmöglich gemacht. Offenbar sei der grüne<br />

Stadtrat Jürgen Barth als Geschäftsführer<br />

hoffnungslos überfordert. „Barth hat seine<br />

Stärke als ‚Polit-Clown‘, aber ein sorgfältiger<br />

Verwalter von Steuergeld ist er offenbar<br />

nicht“, rügt Klaus von Prümmer.<br />

Das Rechnungsprüfungsamt habe dem Verein<br />

ins Stammbuch geschrieben, „daß seitens<br />

des Vereins erhebliche Bemühungen<br />

notwendig sind, um künftig eine ordnungsgemäße<br />

Buchführung und damit den Nachweis<br />

einer zweckentsprechenden Verwendung<br />

der von der Stadt geleisteten Zuschüsse<br />

zu gewährleisten.“ Da diese Vorwürfe<br />

bereits seit mehreren Jahren erhoben würden,<br />

sei es an der Zeit, den Zuschuß <strong>für</strong> die<br />

Knabenschule solange zu sperren, bis ordnungsgemäße<br />

Rechnungen <strong>für</strong> die Vorjahre<br />

vorgelegt werden, fordert die CDU.<br />

Aufruf an alle<br />

zur Europawahl<br />

Bei der Europawahl am 12.<br />

Juni 1994 wird es erstmals möglich sein,<br />

daß in Deutschland lebende Mitbürgerinnen<br />

und Mitbürger aus der Europäischen Union<br />

hier in der Bundesrepublik wählen können.<br />

Die Darmstädter Europaabgeord<strong>net</strong>e Barbara<br />

Schmidbauer ruft alle Betroffenen auf,<br />

von diesem Recht Gebrauch zu machen.<br />

Barbara Schmidbauer: „Alle hier lebenden<br />

ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger<br />

sollten bei der Europawahl von ihrem<br />

Wahlrecht Gebrauch machen. Durch ihre<br />

Stimme können Sie mit dazu beitragen, daß<br />

rechtsextreme und ausländerfeindliche Parteien<br />

nicht im Europäischen Parlament vertreten<br />

sind.“<br />

☛ Fortsetzung auf folgender Seite<br />

NEPAL-TEPPICHE<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ


Bedauerlich findet die Abgeord<strong>net</strong>e, daß die<br />

Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung<br />

<strong>für</strong> dieses „Ausländerwahlrecht“ sehr zu<br />

wünschen übrig läßt. Nicht zuletzt aufgrund<br />

der Desinformationspolitik der Bundesregierung<br />

wurde im Europäischen Parlament der<br />

Antrag gestellt, die Fristen <strong>für</strong> die Eintragung<br />

in die Wählerverzeichnisse (9. Mai) neu zu<br />

eröffnen.<br />

Es geht voran<br />

Nach Auffassung des CDU-<br />

Bundestagskandidaten im Wahlkreis 143,<br />

Andreas Storm (Weiterstadt), zeigt das Ende<br />

April vorgelegte Frühjahrsgutachten der<br />

Wirtschaftsforschungsinstitute, daß die<br />

deutsche Wirtschaft wieder Tritt gefaßt hat.<br />

Die Wirtschaftsforscher schätzten <strong>für</strong> dieses<br />

Jahr die gesamtdeutsche Wachstumsrate<br />

des Bruttoinlandsprodukts auf 1,5 Prozent.<br />

Diese Erwartung liege sogar an der Obergrenze<br />

der von der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht<br />

am Jahresanfang<br />

genannten Spanne!<br />

Die positiven Meldungen mehrten sich, so<br />

Storm: Die Geschäftserwartungen in der<br />

westdeutschen Industrie, ein wichtiger<br />

Frühindikator <strong>für</strong> die Konjunktur, hätten sich<br />

beträchtlich verbessert. Auch die Kapazitätsauslastung<br />

der Industrie nehme seit Ende<br />

1993 wieder zu. „Bestellungen beim Verarbeitenden<br />

Gewerbe waren in den ersten beiden<br />

Monaten dieses Jahres real um 2,5 Prozent<br />

höher als vor Jahresfrist und die Auslandsaufträge<br />

sind sogar real um neun<br />

Prozent gestiegen“, stellte der CDU-Bundestagskandidat<br />

fest. In der Wohnungswirtschaft<br />

rechne man 1994 mit der Fertigstellung<br />

von rund 500.000 Wohnungen (Vorjahr<br />

480.000). Allein im vergangenen Jahr wurden<br />

mehr als 600.000 Baugenehmigungen<br />

erteilt. Außerdem seien die Zinsen merklich<br />

niedriger als vor einem Jahr. Positive Signale<br />

gebe es auch von der Preisfront: So rechne<br />

der Bundesverband der Deutschen Volksund<br />

Raiffeisenbanken mit einem Rückgang<br />

der Inflationsrate unter drei Prozent zur Jahresmitte.<br />

Für das kommende Jahr werde allgemein<br />

eine weitere Abnahme des Preisauftriebs<br />

auf etwa zwei Prozent erwartet. Das<br />

bedeute Preisstabilität.<br />

„Natürlich gebe es noch große Probleme,<br />

vor allem auf dem Arbeitsmarkt“, räumte der<br />

Diplom-Volkswirt ein. Es gehöre zu den ökonomischen<br />

Binsenweisheiten, daß eine konjunkturelle<br />

Erholung sich stets erst mit zeitlicher<br />

Verzögerung in einem Anstieg der<br />

Beschäftigung und in einem Rückgang der<br />

Arbeitslosigkeit niederschlage. Storm:<br />

„Auch in den achtziger Jahren habe sich die<br />

gebetsmühlenartig in der SPD wiederholten<br />

Behauptungen, der Aufschwung gehe am<br />

Arbeitsmarkt vorbei, als falsch erwiesen.“<br />

Richtig sei vielmehr, daß vom Frühjahr 1983<br />

bis zum Frühjahr 1992 die Zahl der Erwerbstätigen<br />

in Westdeutschland um rund 3,25<br />

Millionen ausgeweitet werden konnte. Mit<br />

dem Aktionsprogramm der Bundesregierung<br />

<strong>für</strong> mehr Wachstum und Beschäftigung<br />

seien die Grundlagen <strong>für</strong> die Wende am<br />

Arbeitsmarkt gelegt. Die Verabschiedung<br />

des Beschäftigungsförderungsgesetzes im<br />

Deutschen Bundestag am 14. April mache<br />

deutlich, daß die CDU der Entwicklung der<br />

Arbeitslosigkeit nicht tatenlos zusehe. Trotz<br />

knapper Kassen werde die Arbeitsmarktpolitik<br />

ständig weiterentwickelt. Gleichzeitig setze<br />

der Aufschwung ein: „Es geht voran!“, so<br />

Storms Fazit.<br />

Antwort vom<br />

Brandschutzamt<br />

Ende Februar erschien die<br />

letzte Ausgabe von „Blickpunkt Kranichstein“<br />

mit der Frage „Was wäre, wenn’s hier<br />

mal brennt?“ unter einem Bild des Komplexes<br />

Pfannmüllerweg 40 - 46. Zwei<br />

Wochen später, am frühen Samstag des 12.<br />

März, wurde diese Frage schon Realität. Eine<br />

Wohnung im 13 . Stock brannte aus, das<br />

ganze ging noch einigermaßen glimpflich<br />

mit einer leichten Rauchvergiftung ab. Soll<br />

man sich jetzt zufrieden zurücklehnen? Die<br />

DKP Kranichstein hatte im Februar in Form<br />

eines offenen Briefes einige Fragen zum<br />

Brandschutz in Kranichstein an das Brandschutzamt<br />

gerichtet. Leider hat nur die „Zeitung<br />

<strong>für</strong> Darmstadt“ diesen Brief veröffent-<br />

licht (das „Darmstädter Echo“, ebenso die<br />

„Arheilger Post“ hüllten sich in Schweigen).<br />

Um so höher ist es zu bewerten, daß das<br />

Brandschutzamt Darmstadt in einem Brief<br />

detailliert auf unsere Fragen antwortete. Herr<br />

Brandoberrat Stein teilte mit, daß in den<br />

Gebäuden Grundstraße 31 und 33 keine<br />

Brandmeldeanlagen vorhanden und diese<br />

<strong>für</strong> Wohnhochhäuser auch nicht vorgeschrieben<br />

sind. Er bestätigte, daß die Drehleiter<br />

mit Korb der Berufsfeuerwehr im<br />

Pfannmüllerweg nur bis zum 6. bzw. 7.<br />

Obergeschoß reicht. Kontakte zu den Wohnungsbauunternehmen<br />

gäbe es, leider wäre<br />

es schwierig, in Einsatzfällen sofort einen<br />

Verantwortlichen zu erreichen.<br />

Er teilte weiterhin mit, daß bei der letzten<br />

Brandverhütungsschau im Pfannmüllerweg<br />

40-46 Sicherheitsbeleuchtungen gefordert<br />

wurden. Die Bewohner von Hochhäusern<br />

könnten selbst wesentlich zur Brandsicherheit<br />

beitragen, wenn sie wesentlich weniger<br />

brennbares Gut in ihren Kellern einlagerten,<br />

die Flure von Fahrrädern, Einkaufs- und Kinderwagen<br />

sowie anderen, brennbaren<br />

Gegenständen freihielten. Außerdem wurde<br />

ein viersprachiges Merkblatt in Aussicht<br />

gestellt.<br />

Soweit der Brief des Brandschutzamtes. In<br />

der Berichterstattung im „DE“ über den<br />

Brand am 12. März wird aufgrund der Tatsache,<br />

daß die Drehleiter nur bis zum 7. OG<br />

reicht, den Mietern empfohlen, sich sogenannte<br />

„Fluchthauben“ zuzulegen (das Stück<br />

<strong>für</strong> 200 Mark!). Wie sich das eine Familie leisten<br />

soll, darüber schweigt der Autor.<br />

Die DKP wird den Eigentümer der in der letzten<br />

Zeit von Bränden betroffenen Objekte<br />

den Brief des Brandschutzamtes zuleiten<br />

und sich <strong>für</strong> folgende Maßnahmen einsetzen:<br />

Sofortige Installierung der Sicherheitsbeleuchtungen<br />

im Komplex Pfannmüllerweg<br />

und wo dies bis jetzt noch nicht geschehen<br />

ist. Sofortige Umsetzung, falls noch nicht<br />

geschehen, der viersprachigen Broschüre<br />

des Brandschutzamtes, Maßnahmen, um zu<br />

gewährleisten, daß in Notfällen wie Bränden<br />

etc., ein Verantwortlicher sofort zu erreichen<br />

ist. Zentrale Beschaffung von sogenannten<br />

Fluchthauben <strong>für</strong> die Mieterinnen und Mieter<br />

der Kranichsteiner Hochhausobjekte. Beteiligung<br />

der Mieterinnen und Mieter an der<br />

nächsten Brandverhütungsschau, bzw. zur<br />

Nachschau. Desweiteren soll abgeprüft werden,<br />

ob das Brandschutzamt in der Lage<br />

wäre, regelmäßige Bürgerberatungen (Info-<br />

Mobil o.ä.), sowie Schulungen zur Brandbekämpfung<br />

in Kranichstein durchzuführen.<br />

Ein weiterer Punkt ist die Frage, ob ein entsprechendes<br />

Fahrzeug angeschafft werden<br />

kann, die eine Evakuierung betroffener Mieterinnen<br />

und Mieter aller Stockwerke in Kranichstein<br />

ermöglicht. Alle Mieterinnen und<br />

Mieter können weitere Anregungen, Kritiken<br />

und Beschwerden der DKP Kranichstein mitteilen,<br />

ebenso den vollständigen Brief des<br />

Brandschutzamtes anfordern. Adresse: DKP,<br />

Binger Straße 10; 64295 Darmstadt<br />

Die Zeitung <strong>für</strong> Darmstadt druckt Parteienmeldungen<br />

grundsätzlich unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und<br />

Grammatikfehler sowie Wiederholungen. Inhaltliche auch<br />

politische Änderungen werden nicht angebracht und auch<br />

nichts hinzugefügt. Die Briefe geben nicht die Meinung der<br />

Redaktion wieder.<br />

Eine Gedenktafel <strong>für</strong><br />

Zwangsarbeiter-<br />

Innen<br />

1995 jährt sich zum fünfzigsten<br />

Mal der Tag, an dem Deutschland und<br />

Europa von der nationalsozialistischen Diktatur<br />

befreit wurden. Dieser Tag ist Anlaß,<br />

der Opfer der Nazis zu gedenken. Ein Kapitel<br />

wird dabei oft ausgeklammert: die Leiden<br />

der nach Deutschland verschleppten<br />

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.<br />

In Darmstädter Betrieben mußten während<br />

des zweiten Weltkrieges zwischen 4.500 und<br />

7.000 Menschen Sklavenarbeit leisten. Das<br />

ergab ein Forschungsprojekt der Arbeitsstelle<br />

<strong>für</strong> Erwachsenenbildung der Evangelischen<br />

Kirche in Hessen und Nassau. Mehr<br />

als 60 Lager <strong>für</strong> die zynischerweise so<br />

genannten Zivilarbeiter gab es in Darmstadt.<br />

Die Lager befanden sich oft auf dem Gelände<br />

von Firmen, Handwerksbetrieben oder Gaststätten.<br />

Bei der Reichsbahn mußten die meisten<br />

der nach Darmstadt verschleppten<br />

Zwangsarbeiter arbeiten. Sie wurden aber<br />

PARTEIEN - STANDPUNKTE II Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite XX<br />

auch bei Merck, der HEAG, bei Röhm &<br />

Haas, der Goebel-AG, der Firma Donges, der<br />

Maschinenfabrik Schenk und anderen<br />

Betrieben eingesetzt.<br />

„Diese dunkle Seite der Darmstädter<br />

Geschichte ist den meisten Bürgerinnen und<br />

Bürgern nicht bekannt“, sagt Günter Mayer,<br />

der Fraktionsvorsitzende der Grünen. Seiner<br />

Ansicht nach ist es aber gerade in der heutigen<br />

Zeit besonders wichtig, sich der Verbrechen<br />

der Nazis zu erinnern. „Die Ideologie<br />

der Nazis war menschenverachtend. Das<br />

muß insbesondere jungen Menschen verdeutlicht<br />

werden, die auf die Parolen der<br />

Rechtsextremisten hereinfallen.<br />

Günter Mayer hat deshalb eine Anregung der<br />

Arbeitsstelle <strong>für</strong> Erwachsenenbildung und<br />

der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-<br />

Regimes (VVN) aufgegriffen, die sich seit<br />

langem da<strong>für</strong> einsetzen, zur Erinnerung an<br />

die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter<br />

in Darmstadt eine Gedenktafel zu errichten.<br />

Der Koalitionspartner SPD hat seine<br />

Zustimmung signalisiert, so daß die Koalitionsfraktionen<br />

in die nächste Sitzung der<br />

Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung einen<br />

gemeinsamen Antrag einbringen werden.<br />

Die Tafel soll spätestens zum Tag der<br />

50jährigen Wiederkehr des Kriegsendes am<br />

Bahnhofsvorplatz in der Nähe der Bus- und<br />

Bahnhaltestelle gegenüber dem ehemaligen<br />

Postgebäude angebracht werden.<br />

Bäderordnung:<br />

Preise besser<br />

senken<br />

„Die Erhöhung der Eintrittspreise<br />

ist ein bequemer, aber nicht immer<br />

ein sinnvoller Weg, um an Mehreinnahmen<br />

zu kommen“, dies stellte der sportpolitische<br />

Sprecher der CDU-Stadtverord<strong>net</strong>enfraktion<br />

Alfred Aldenhoff fest. Bei den höheren Eintrittspreisen<br />

in den Schwimmbädern könne<br />

es leicht geschehen, daß am Ende durch<br />

weniger Besucher auch weniger Geld in der<br />

Kasse sei, erläuterte er.<br />

Die CDU stehe der schlichten Preiserhöhung<br />

skeptisch gegenüber und fordere stattdessen<br />

eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise.<br />

Wenn mehr Besucher kämen,<br />

reduzierten sich die Defizite von selbst. Der<br />

geplante Eintrittspreis <strong>für</strong> Kinder von 2,50<br />

Mark gestalte sich nach Meinung der CDU-<br />

Fraktion als zu hoch. Die CDU schlage genau<br />

die Hälfte des geplanten Eintrittspreises <strong>für</strong><br />

Erwachsene, also zwei Mark vor. Sollte es<br />

zur Aufstellung von Automaten kommen, sei<br />

der gerade Betrag auch in der Praxis leichter<br />

handhabbar. Um die Besucherzahlen zu steigern,<br />

müssen man Dauerkartenbenutzer als<br />

Stammkundschaft durch höhere Rabatte<br />

gewinnen und halten. Mit geschicktem Marketing<br />

könnten bestimmte Zielgruppen <strong>für</strong><br />

die einzelnen Bäder geworben werden;<br />

Familien, Sportler, Senioren usw. mit entsprechenden<br />

Zusatzangeboten, die auch<br />

einen Extrapreis rechtfertigten. Mit dem<br />

simplen „Treibt mehr Sport“ lasse sich niemand<br />

mehr ins Schwimmbad locken. Der<br />

Eigenbetrieb Bäder dürfe nicht nur den Mangel<br />

verwalten, sondern müsse sich am Markt<br />

und an der Nachfrage orientieren.<br />

Deshalb sei es Unsinn, so Aldenhoff, ausgerech<strong>net</strong><br />

das Nordbad vormittags zu<br />

schließen, obwohl gerade dieses Bad die<br />

hohen Besucherzahlen aufweise. Eine sinnvollere<br />

Verkürzung der Betriebszeiten müsse<br />

<strong>für</strong> jedes Bad eine Analyse der Besucherzahlen<br />

zur Voraussetzung haben. Das Nordbad<br />

sei Anlaufstelle vor allem <strong>für</strong> Kranichsteiner<br />

und Arheilger Badegäste. Es gebe <strong>für</strong> sie keine<br />

Ausweichmöglichkeit: „Die CDU ist deshalb<br />

gegen die Schließung am Vormittag“,<br />

sagte Aldenhoff.<br />

Aktiv gegen<br />

Neofaschismus<br />

Der Kreis Darmstadt-Dieburg<br />

soll eine Plakatserie über das Vernichtungslager<br />

Auschwitz erwerben, so die Fraktion<br />

von Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag<br />

an den Kreistag. In Form einer Ausstellung<br />

soll sie dann in den Landratsämtern Darmstadt<br />

und Dieburg gezeigt sowie der Kreisju-<br />

gendpflege, den Schulen im Kreis und den<br />

Kreiskrankenhäusern zur Verfügung gestellt<br />

werden.<br />

Anlaß des Antrags waren die in jüngster Zeit<br />

wieder aufzunehmenden öffentlichen Äußerungen,<br />

die das Vorhandensein von Konzentrationslagern<br />

und der Massenvernichtung<br />

der Juden u.a. in der Zeit des deutschen<br />

Faschismus in Frage stellen oder leugnen.<br />

Solche Äußerungen sind nach Meinung von<br />

Bündnis 90/Die Grünen ob ihrer Geschichtsfälschung<br />

unerträglich und beleidigen Opfer<br />

und Überlebende. Derartige Propaganda<br />

habe volksverhetzenden Charakter mit menschenverachtenden<br />

Folgen, wie erst kürzlich<br />

der Anschlag auf eine jüdische Synagoge<br />

gezeigt habe. Durch die Ausstellung solle die<br />

geschichtliche Wahrheit in Erinnerung gerufen<br />

werden und Menschen, die die Zeit des<br />

Nationalsozialismus nicht selbst erlebt<br />

haben, ein Informationsangebot gemacht<br />

werden. Weiterhin regt die Grüne Fraktion<br />

an, die Ausstellung durch Veranstaltungen<br />

der Kreisvolkshochschule und des Jugendbildungswerkes<br />

zu begleiten.<br />

Die Plakatserie besteht aus Fotografien, die<br />

zwischen 1987 und 1992 auf dem Gelände<br />

der Gedenkstätte Auschwitz aufgenommen<br />

wurden. Ihnen sind Zitate von Opfern und<br />

Überlebenden gegenübergestellt. Der Reinerlös<br />

aus dem Verkauf der Plakatserie<br />

kommt dem Erhalt der Gedenkstätte<br />

Auschwitz zugute. Herausgegeben wird die<br />

Plakatserie vom „Fritz-Bauer-Institut“,<br />

einem Lern- und Dokumentationszentrum,<br />

das sich mit der Aufarbeitung des Holocausts<br />

beschäftigt.<br />

Armutsbericht<br />

Vor dem Hintergrund einer<br />

zunehmenden, versteckten Armut durch<br />

Dauerarbeitslosigkeit und Sozialabbau, fordern<br />

die Fraktionen von SPD und Grünen<br />

vom Darmstädter Magistrat die jährliche<br />

Vorlage eines sogenannten Armutsberichtes.<br />

In diesem Bericht, so der sozialpolitische<br />

Sprecher der SPD-Fraktion Dr. Harry<br />

Neß, soll der Magistrat im Rahmen seiner<br />

statistischen Möglichkeiten, Aufschlüsse<br />

über die jeweilige Entwicklung der Wohnsituation,<br />

der Höhe und Art von Einkommen,<br />

der Lage von Familien und von Arbeitsmarkt-<br />

und Berufsproblemen sozialer Problemgruppen<br />

geben. Sinn dieses Berichtes<br />

soll es nicht sein, die ohnehin schon arg<br />

belastete Sozialverwaltung mit überflüssiger<br />

Arbeit zu beschäftigen, sondern vor allem<br />

das sozialpolitische Entscheidungsinstrumentarium<br />

des Stadtparlaments zu verbessern.<br />

Es sei ein „Unding“, so Dr. Neß, daß<br />

das Stadtparlament jährlich über den größten<br />

Einzelhaushalt der Stadt befinde, der z.B.<br />

<strong>für</strong> 1994 eine Gesamtausgabebedarf von<br />

rund 170 Millionen Mark habe, ohne daß an<br />

den verschiedensten Stellen Datenmaterial<br />

zur Verfügung stehe. Gerade auch in den<br />

Zeiten knapper werdender Haushaltsmittel<br />

sei die Stadt verpflichtet, darauf zu achten,<br />

daß diese dort ankommen, wo sie hingehören<br />

und, daß sie so sinnvoll und effektiv<br />

als möglich eingesetzt werden.<br />

Benz’ ganz eigene<br />

Drogenpolitik<br />

Die Stadt Darmstadt hat das<br />

<strong>für</strong> den 14./15. Mai geplante Cannabis-<br />

Weekend verboten, denn Bürgermeister<br />

Benz verfolgt seine ganz eigene Drogenpolitik:<br />

Er habe „die Drogenszene in der Innenstadt<br />

ausgemerzt“, läßt er stolz in einer<br />

Erklärung an die AG Hanf verlauten. Auch an<br />

höherer Stelle bleibt man/frau arrogant: Das<br />

jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

lehnt eine Legalisierung von<br />

Haschisch ab, gebietet aber in Fällen des<br />

gelegentlichen und geringfügigen Eigenkonsums<br />

von einer Strafverfolgung abzusehen.<br />

Mit dieser doppelzüngigen Entscheidung<br />

wird – ähnlich wie beim Abtreibungsrecht –<br />

versucht, die große Masse der Be<strong>für</strong>worter<br />

einer Legalisierung zu spalten und ruhig zu<br />

halten. Dabei gibt es genug gute Gründe <strong>für</strong><br />

eine Legalisierung, denn die Cannabispflanze<br />

könnte die Zukunft des Pla<strong>net</strong>en Erde<br />

bedeuten:<br />

– Hanf wächst auf fast allen Böden ohne<br />

auch nur annähernd soviel Unkrautvernich-<br />

tungsmittel wie andere Pflanzen<br />

– Aus einem Hektar Hanf läßt sich soviel<br />

Papier herstellen wie aus vier Hektar Wald –<br />

eine von mehreren Ursachen <strong>für</strong> die Prohibition<br />

des Hanf<br />

– Hanf könnte als Grundstoff <strong>für</strong> Nahrungsmittel,<br />

Brennstoff, Textilien, Arzneimittel und<br />

noch viel mehr genutzt werden – wären<br />

Anbau und Besitz nicht verboten.<br />

Die Legalisierung von Cannabis und seinen<br />

Produkten könnte dazu beitragen, die ökologische<br />

Katastrophe aufzuhalten und die<br />

großen Chemie-, Textil- und Erdölkonzerne<br />

in ihrem Profitstreben aufzuhalten. Damit<br />

nicht genug: Durch die Legalisierung von<br />

Hanf würde auch die Drogenpolitik entkrampft<br />

werden. Die momentane Drogenpolitik<br />

ist schizophren und beschränkt sich nur<br />

auf Desinformation und Repression:<br />

– Alkohol, Nikotin, Tranquilizer, Beruhigungsmittel<br />

und vieles mehr treiben Menschen<br />

in Abhängigkeit und Tod. Allein Alkohol<br />

fordert pro Jahr 40.000 Tote.<br />

– Cannabisprodukte im freien Verkauf können<br />

den Dealern den Wind aus den Segeln<br />

nehmen und zudem Süchtigen eine sinnvolle<br />

Alternative bieten.<br />

– Die legale Abgabe von Haschisch brächte<br />

außerdem den Wegfall des Abenteuerlichen<br />

mit sich.<br />

Deshalb: Sofortige Legalisierung von Hanf<br />

und seinen Produkten, Entkriminalisierung<br />

aller Drogen, staatliche Kontrolle und Abgabe<br />

aller Drogen, Werbeverbot <strong>für</strong> alle Drogen.<br />

Wir wissen, daß eine solche Politik nur<br />

die Symptome, nicht aber die Ursachen des<br />

Drogenkonsums bekämpft, deswegen kann<br />

sie nur eine Übergangslösung darstellen.<br />

Wir wollen eine Gesellschaft, in der niemand<br />

mehr Drogen nehmen will und muß.<br />

Über Hanfverbot<br />

neu diskutieren<br />

„Nach dem Urteil des<br />

Bundesverfassungsgerichts zum Haschrauchen,<br />

muß über die Hanfprohibition neu diskutiert<br />

werden“, sagt Ulrich Pakleppa, Stadtverord<strong>net</strong>er<br />

der Grünen. Seiner Ansicht nach<br />

muß dabei der Schwerpunkt auf den ökologischen<br />

und ökonomischen Nutzen der<br />

Cannabis-Pflanze gelegt werden.<br />

Der bisherige Streit dreht sich eindimensional<br />

um Cannabis als Rauschmittel und die<br />

gesellschaftlichen Folgen seiner Freigabe.<br />

Das ist Ulrich Pakleppa eine viel zu eingeschränkte<br />

Sicht. Er erinnert daran, daß das<br />

renommierte Kölner Katalyse-Institut <strong>für</strong><br />

angewandte Umweltforschung eine Studie<br />

über Cannabis als Nutzpflanze erstellt hat.<br />

Demnach ist Hanf <strong>für</strong> die Papiergewinnung<br />

effizienter als Holz und enthält im Gegensatz<br />

zu Bäumen nicht das Umweltgift Lignin, das<br />

die Gewässer belastet. Als Textilrohstoff ist<br />

Hanf haltbarer als Baumwolle. Die Pflanze ist<br />

außerdem weitgehend schädlingsresistent<br />

und schnellwüchsig. Von der Einsaat bis zur<br />

Ernte vergehen nur 100 Tage. Schließlich<br />

sind Hanfprodukte auch eine wirkungsvolle<br />

Alternative zu chemischen Arzneimitteln.<br />

Nach dem Kölner Institut komme man kaum<br />

umhin, andere Faserlieferanten zu finden,<br />

um das Abholzen von Wäldern zu verhindern.<br />

Der Ertrag von Hanf liege pro Hektar<br />

und Jahr deutlich über Baumplantagen oder<br />

Wäldern, die Kosten <strong>für</strong> die Herstellung von<br />

Papier seien bei einjährigen Cannabispflanzen<br />

niedriger als bei Holz. Durch dichten<br />

Anbau könne auch der THC-Gehalt, die die<br />

Rauschwirkung hervorruft, verringert werden.<br />

„Vor diesem Hintergrund sollte die Stadt<br />

Darmstadt nochmal über das Verbot des<br />

Cannabis-Wochenendes am 14. und 15. Mai<br />

nachdenken“, so Ulrich Pakleppa. Er begrüßt<br />

es, daß über Cannabis als Nutzpflanze informiert<br />

und <strong>für</strong> die Legalisierung ihres Anbaus<br />

geworben werden soll. „Natürlich ist zu vermuten,<br />

daß manche Teilnehmer dieses<br />

Wochenendes einen anderen Schwerpunkt<br />

setzten, und sich mehr <strong>für</strong> das Rauschmittel<br />

interessieren.“ Das könne man aber angesichts<br />

des Verfassungsurteiles tolerieren.<br />

Pakleppa zieht auch eine Parallele zu verschiedenen<br />

Darmstädter Festen. Auf dem<br />

Weinfest, dem Heinerfest werden ja auch<br />

eine Droge in erheblichen Mengen konsumiert<br />

– Alkohol –, ohne daß diese Veranstaltungen<br />

in Frage gestellt würden.

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