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Mekka für Spekulanten - zfd-online.net

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Der Hausherr, in weißen Jeans, hellem<br />

Hemd und Schlips, war sichtlich<br />

nervös, am Freitag vormittag<br />

(6. Mai) kurz vor elf Uhr: „Es haben<br />

sich so viele angemeldet, wo sind<br />

die jetzt?“, fragte er unruhig und<br />

suchte sich zu beruhigen: „Es sind<br />

noch ein paar Minuten…“ 400<br />

Gäste hatten sich zwar die kostenlosen Karten<br />

<strong>für</strong> das „III. Gesprächsforum auf der<br />

Mathildenhöhe“ im Informationsstand im<br />

Luisencenter abgeholt – doch wie es mit<br />

kostenlosen Sachen in unserer raffgierigen<br />

Zeit so oft passiert, werden sie zwar<br />

genommen, aber nicht genutzt. In zwei<br />

Ausstellungsräumen des Instituts hatte<br />

dessen Leiter und Kulturreferent Dr. Klaus<br />

Wolbert Stühle aufreihen lassen. Da die<br />

geladenen Herren – Wolbert: „Ich habe keine<br />

Frauen bekommen“ – ja nur in einem<br />

Raum auf dem Podium sitzen konnten,<br />

wurde ihr Antlitz per Videokamera in den<br />

zweiten übertragen. Doch dort saß so gut<br />

wie niemand – obwohl sich ein (Wolbert<br />

gut bekannter) Lehrer* mit seiner Schulklasse<br />

extra angekündigt hatte.<br />

Insgesamt kamen nur etwa einhundert, um<br />

sich die wissenschaftlich-theoretischen<br />

Ausführungen über „Kunst und Faschismus“<br />

anzuhören. Es sprachen: Hermann<br />

Glaser (Vorsitzender des Deutschen Werkbundes),<br />

Peter Ulrich Hein (Dozent an der<br />

Uni Köln), Iring Fetscher (Professor <strong>für</strong><br />

Politologie in Frankfurt), Hans-Ulrich Thamer<br />

(Direktor des Historischen Seminars<br />

der Uni Münster) und Jens Petersen (stellvertretender<br />

Direktor des Deutschen Historischen<br />

Instituts in Rom).<br />

Unter den rund 100 ZuhörerInnen jene, die<br />

immer kommen, wenn in Darmstadt die<br />

Kunst ruft: Künstler und Künstlerinnen, der<br />

Darmstädter Darmstadt-Buch-Verleger<br />

nebst Gattin, die ketterauchende Stadträtin,<br />

der Kunstlehrer, der auch Museumspädagoge<br />

ist, unser OB und ja selbst der<br />

Institutsleiter a.D. war da*. Versammelt:<br />

„die Darmstädter Kunstprominenz“, wie ein<br />

Anglistik-Professor schelmisch meinte. Tja,<br />

und dann noch die sogenannten „Normalen“<br />

– und die, so schiens waren eigentlich<br />

nur deshalb gekommen, weil sie hofften,<br />

etwas über den „Fall Sironi“ zu hören.<br />

Doch ob darüber überhaupt gesprochen<br />

werden soll oder darf, das hatte im Vorfeld<br />

der Veranstaltung zu Hin und Her geführt –<br />

mal wurde in den städtischen Pressemeldungen<br />

mit Sironi <strong>für</strong> die Veranstaltung<br />

geworben, dann wieder ließ OB Peter Benz<br />

(SPD) verlauten: „Es ist allerdings kein<br />

Forum Sironi“ oder gar <strong>für</strong>chterlich<br />

umwunden und verschnörkelt: „Die <strong>für</strong><br />

internationales Aufsehen gesorgte Absage,<br />

der <strong>für</strong> dieses Frühjahr vorgesehenen Ausstellung<br />

mit Gemälden des Mussolini-Fans<br />

Mario Sironi in Darmstadt, ist nicht Ursache<br />

dieser Veranstaltung, hat aber den<br />

Oberbürgermeister und den Kulturreferen-<br />

ten in ihrer Ansicht bestärkt, eine Diskussion<br />

über die Wertfreiheit der Kunst und die<br />

Auswirkungen der Differenzierung zwischen<br />

Faschismus und Neofaschismus auf<br />

die geistigen Hervorbringungen namens<br />

Kunst zu führen.“<br />

Klar ist, ohne die spektakuläre Absage der<br />

Sironi-Ausstellung Ende letzten Jahres hätte<br />

es dieses Gespräch wohl kaum gegeben.<br />

Und klar wurde am Freitag vormittag auch<br />

sehr schnell, daß dieses Thema in den<br />

Darmstädter Köpfen weiter kocht, sich viele<br />

eine Klärung von Benz und Wolbert versprochen<br />

hatten und mit den – nur teils<br />

kurzweiligen – theoretischen Auseinandersetzungen<br />

nicht allzulange und gerne<br />

beschäftigen wollten.<br />

Was ist faschistische Kunst? Was genau<br />

das Faschistische an der faschistischen<br />

Kunst? Was war an den Werken Sironis<br />

faschistisch? Hätte man ihn doch ausstellen<br />

sollen? Und wenn, wie? Das<br />

Gesprächsforum – mit dem Benz an die<br />

Tradition der „Darmstädter Gespräche“<br />

anknüpfen will – sollte die Verwobenheit<br />

von Kultur, Gesellschaft und Politik<br />

beleuchten. Doch richtig klären konnte es<br />

wenig.<br />

Hermann Glaser sprach über die Zerstörung<br />

des Geistes im 19. und 20. Jahrhundert.<br />

Seine These: Der Nationalsozialismus<br />

hat mentalitätsgeschichtlich weit<br />

zurückreichende Wurzeln, die in der von<br />

den „Stützen und Spitzen“ der Gesellschaft<br />

betriebenen „ideologischen Vereinfachung<br />

kultureller Komplexität“ liegen. Das Bildungsbürgertum,<br />

geprägt vom Humanismus,<br />

sei dem Nationalismus verfallen und<br />

habe eine „Spießerideologie“ entwickelt –<br />

so lautet auch ein Buch-Titel Glasers –, von<br />

der der Nationalismus in abgründiger Weise<br />

profitierte und die zur „Bestialität“ führte.<br />

Die „offizielle Kultur“ habe versagt, 1933<br />

eine Weltanschauung triumphiert, „in der<br />

die Kultur nur noch Fassade war und die mit<br />

Hilfe der Ästhetisierung der Barbarei größte<br />

Zustimmung fand“.<br />

Kultursoziologe Peter Ulrich Hein zeigte<br />

völkische und konservative Motive in der<br />

Kunst von der Jahrhundertwende bis zum<br />

sog. Dritten Reich, vermochte aber wenig<br />

„Aus der<br />

NS-Ideologie<br />

ist kein einziges<br />

Kunstwerk<br />

entstanden“<br />

III. Gesprächsforum<br />

auf der Mathildenhöhe<br />

über „Kunst und Faschismus“<br />

und über den „Fall Sironi“<br />

die Wandlung etwa von bloßer Abbildung<br />

deutscher Landschaften hin zu volksverherrlichender,<br />

rassenwahnsinniger,<br />

deutschtümelnder Kunst verständlich darzustellen.<br />

Wo sollen und können Grenzen<br />

gezogen werden?<br />

Munter wurden die Zuhörer erst, als Moderator<br />

und TH-Präsident Helmut Böhme<br />

fragte: „War es richtig, Sironi nicht zu zeigen?<br />

Oder anders gefragt: Sind Ausstellungen<br />

dazu in der Lage, Völker in den<br />

Schwachsinn zu treiben?“ Der Frankfurter<br />

Kunsthistoriker Georg Bussmann antwortete:<br />

„Die Ausstellung hätte gemacht werden<br />

müssen, aber …“ Er sprach von seiner Fassungslosigkeit<br />

gegenüber „dieser politischen<br />

Gegenwart“ und seiner Verunsicherung,<br />

„wie man auf Neonazis reagiert“.<br />

Glaser sah das ähnlich mit seiner Empfehlung:<br />

„Jede Ausstellung soll den Anstand<br />

verletzen und erregen“. Sein Vorschlag lautete:<br />

„Mit Geld hätte ich zwei Ausstellungen<br />

gemacht. Eine mit den Werken Sironis und<br />

eine darüber, warum man die Werke zeigt<br />

und wie sie politisch und kunsthistorisch<br />

einzuordnen sind. Mit dieser diskursiven<br />

Ästhetik hat man dann das Ziel erreicht.“<br />

Überhaupt seien die Kunstvermittler viel<br />

entscheidender als die Künstler. „Gegen<br />

die, die den Geist vorbereiten, gilt es anzugehen.“<br />

Es sei eine „romantische Vorstellung,<br />

daß ein guter Künstler auch ein guter<br />

Mensch ist. Das stimmt nicht“. Fest stehe,<br />

„daß aus der NS-Ideologie kein einziges<br />

Kunstwerk entstanden ist.“ Doch so einfach<br />

darf der Satz nicht genommen werden: Er<br />

meint das „große Kunstwerk“, gewissermaßen<br />

das Geniushafte des klassischen<br />

Kunstbegriffs.<br />

Jens Petersen kam mit seinem Vortrag über<br />

„Faschismus und Kultur: der Fall Mario<br />

Sironi“ den Bedürfnissen des Publikums<br />

am ehesten entgegen. Er sprach über die<br />

Unterschiede zwischen nationalsozialistischer<br />

und italienisch-faschistischer Kunstund<br />

Staatsdoktrin. Ein Beispiel: die<br />

Geschehnisse um die 1937 in Berlin<br />

geplante Ausstellung italienischer Kunst –<br />

Titel: „Malerei und Skulptur von 1800 bis<br />

zur Gegenwart“. Das Ereignis habe sich mit<br />

„Hitlers Generalattacke auf die moderne<br />

Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 9<br />

„Bereitschaft“ heißt diese elf Meter hohe Skulptur von Arno Breker aus dem Jahr 1939 – eine typische<br />

NS-Plastik (Abb.: Katalog)<br />

Kunst“ und ihrer Verdammung überschnitten.<br />

Zahlreiche Ausstellungsstücke durften<br />

damals nicht gezeigt werden, darunter<br />

waren auch einige Werke Sironis, der dann<br />

entschieden dagegen protestierte, überhaupt<br />

in Deutschland ausgestellt zu werden,<br />

so Petersen.<br />

Er konstatierte, daß im totalitären Italien mit<br />

Monarchie, katholischer Kirche und Kultur<br />

eine Reihe von Freiräumen blieben, die der<br />

Faschismus nicht zu erobern verstand. „Das<br />

Regime erhob zwar seit Ende der zwanziger<br />

Jahre den Anspruch, eine eigene faschistische<br />

Kultur geschaffen zu haben, und nutzte<br />

die ihm zur Verfügung stehenden Massenmedien,<br />

um eine teils traditionalistisch, teil<br />

nationalistisch geprägte Volkskultur zu verbreiten,<br />

ließ aber der Elitenkultur einen relativ<br />

großen Spielraum.“ Sironi selbst sei<br />

einer der Starkünstler des faschistischen<br />

Regimes gewesen und habe als Maler, Illustrator,<br />

Karikaturist, Grafiker, Frescomaler,<br />

Architekt und Ausstellungsorganisator die<br />

Faschismus- und Mussolini-Mythen<br />

wesentlich mitgeprägt. Später erschien er<br />

„nur noch als Propagandist, viele seiner<br />

Wandgemälde wurden vernichtet“.<br />

Mit der größten je von ihm gezeigten Ausstellung<br />

in Rom (93/94) sei jetzt „im Zeichen<br />

einer strikten Trennung von historisch-politischem<br />

und ästhetischem Urteil<br />

(seine) Rehabilitierung“ erfolgt – Sironi gelte<br />

inzwischen als einer der größten italieni-<br />

schen Künstler des 20. Jahrhunderts, so<br />

Petersen. Doch auch jene Ausstellung sei<br />

einer „offenen Diskussion ausgewichen, in<br />

dem sie den Propagandisten und Ideologen<br />

Sironi fast völlig ausgespart hat“. Desgleichen<br />

habe sich Deutschland (Darmstadt)<br />

mit der Absage der Sironi-Ausstellung der<br />

Möglichkeit beraubt, zu zeigen, warum ein<br />

Künstler Faschist wurde und worin sich dieses<br />

zeige.<br />

Das mulmige Gefühl, das die Absage der<br />

Ausstellung im November verursacht hatte,<br />

vermochte auch das Gesprächsforum nicht<br />

wegzuwischen. Und ein zweifacher Ärger<br />

bleibt immer noch: Warum fehlt es den<br />

Darmstädter (Kultur-) Politikern und Ausstellungsmachern<br />

an Kreativität und Mut,<br />

solche Ausstellungen so zu arrangieren,<br />

daß eben das Brisante inhaltlich zum Ausdruck<br />

kommt und einer unserer Zeit angemessen<br />

offenen und öffentlichen Diskussion<br />

zur Kritik anheim gestellt wird?<br />

Besonderer Fauxpas: Nicht nur, daß uns<br />

DarmstädterInnen die Mündigkeit abgesprochen<br />

wurde, ist erst unsere Neugier<br />

angeheizt und dann getrogen worden. Die<br />

inhaltliche Klärung über Kunst im Faschismus<br />

– vor allem, worin der Faschismus in<br />

der Kunst sichtbar wird – genau die steht<br />

bis heute unbeantwortet im Raum.<br />

Eva Bredow<br />

* Alle Namen sind der Redaktion bekannt<br />

RAUMGESTALTUNG<br />

DARMSTADT<br />

ROSSDÖRFER PLATZ

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