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OB-Wahl: Nur die Hälfte geht zur Urne - zfd-online.net

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satirisch<br />

justizhörig<br />

experimentell<br />

wahrheitenliebend<br />

frei-volksherrschaftlich<br />

Freitag, 14.5.1993<br />

19. Kalenderwoche, 4. Jahrgang<br />

Sie lesen<br />

2 Frauen<br />

und lackierte<br />

Fingernägel<br />

3 Umwelt-Skandal<br />

unter den Augen<br />

der Behörden<br />

4 60.000 Autos<br />

sind abzuschaffen<br />

5 Wissen wir,<br />

was wir essen?<br />

GEN-Food<br />

6 Wer nicht arbeitete<br />

mußte hungern:<br />

Ausnahme Nazis<br />

7 Europa-Klischees<br />

und<br />

indianische Kultur<br />

8 Keine Tränen für<br />

Snobs: La Bohème<br />

9 Net mit Dreck werfe<br />

Leser-Ärger<br />

über Zeitungsleute<br />

11 CDU sieht<br />

tiefgreifende<br />

Verfilzung<br />

20 Radio für Darmstadt<br />

eine Utopie?<br />

Unterschreiben<br />

auch Sie!<br />

Nächste Ausgabe:<br />

Freitag, 28. 5. 93<br />

alle 14 Tage Tage<br />

Ausgabe 48<br />

Einzelpreis 2,70 DM<br />

Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt, Telefon 0 6151/71 98 96<br />

offen<br />

bissig<br />

kritisch<br />

unabhängig<br />

überparteilich<br />

D 11485 D<br />

Ergebnis der ersten Direktwahl: Die DarmstädterInnen konnten sich nicht zwischen Benz (33%) und Pfeffermann 29,6 % entscheiden, soweit sie überhaupt den Gang <strong>zur</strong> <strong>Urne</strong> unternahmen (50,7%) Metamorphose: PI©MAR<br />

<strong>OB</strong>-<strong>Wahl</strong>: <strong>Nur</strong> <strong>die</strong> <strong>Hälfte</strong> <strong>geht</strong> <strong>zur</strong> <strong>Urne</strong><br />

Stichwahl am 6. Juni wird entscheiden – Wer bekommt <strong>die</strong> Stimmen der Grünen und der F.D.P.?<br />

Neuanfang? Alles bleibt beim Alten – Postenvergabe ist der Angelpunkt<br />

Die Fraktion der NichtwählerInnen ist<br />

<strong>die</strong> stärkste, das hat <strong>die</strong> <strong>Wahl</strong> am 9. Mai<br />

gezeigt: Von 100.058 wahlberechtigten<br />

Darmstädtern sind nur 50.692 (50,7%)<br />

wählen gegangen – unsere FreundInnen<br />

und Mitbürger, <strong>die</strong> von den Behörden<br />

als Ausländer geführt werden, immerhin<br />

18% der Bevölkerung, hatten nicht das<br />

Recht mitzubestimmen, wer unser neuer<br />

Oberbürgermeister wird.<br />

Von den Berechtigten stimmten 16.500<br />

für Peter Benz (SPD), das entspricht<br />

gerade einmal 11,7% der Gesamtbevölkerung.<br />

Gerhard 0. Pfeffermann (CDU)<br />

liegt mit nur 1.712 Stimmen weniger<br />

(14.788 = 29,5%) dicht hinter Benz.<br />

Zwischen beiden Kandidaten findet, da<br />

keiner <strong>die</strong> benötigten 50 % erreichte,<br />

eine Stichwahl am 6. Juni statt. Die<br />

Chancen für Benz, mehr als <strong>die</strong> <strong>Hälfte</strong><br />

der Stimmen zu sammeln, stehen gut:<br />

Von den 9.031 Stimmen Michael Sieberts<br />

(18,0%) wird er wahrscheinlich<br />

viele auf sich ziehen, spätestens dann,<br />

wenn <strong>die</strong> rot-grüne Koalition in Kompromissen<br />

gebacken ist. Die Stimmen<br />

der F.D.P.-WählerInnen – Ruth Wagner<br />

Fischer<br />

droht<br />

Dualem System<br />

Der Hessische Umweltminister Joschka<br />

Fischer hat dem Dualen System<br />

Deutschland (DSD) mit einem Zwangsgeld<br />

von 50.000 Mark gedroht. Es wird<br />

fällig, sollte <strong>die</strong> DSD nicht innerhalb<br />

von zwei Wochen ihrer Verpflichtung<br />

nachkommen, <strong>die</strong> „formgerechten Zertifizierungsunterlagen“<br />

für <strong>die</strong> Anlagen<br />

vorzulegen, in denen Kunststoffverpackungen<br />

aus Hessen stofflich wiederverwertet<br />

werden.<br />

Hessisches Umweltministerium<br />

konnte 7.152 von sich überzeugen,<br />

immerhin 14,3% (7.152 Stimmen) –<br />

bleiben für beide Kandidaten das große<br />

Rätsel.<br />

Von den drei nicht parteigebundenen<br />

Kandidaten erreichte Jörg Dillmann mit<br />

knapp 2.000 Stimmen und 3,9% ein<br />

beachtliches Ergebnis, seine zwei Mitbewerber<br />

waren weit abgeschlagen:<br />

Kronewirt Peter Gleichauf erhielt 503<br />

Stimmen und Kioskinhaber Gerhard<br />

Mestekemper noch ganze 126.<br />

Parteienwahl<br />

Diese erste Direkt-<strong>Wahl</strong> zeigt, daß es<br />

doch wieder eine Parteienwahl war; <strong>die</strong><br />

Ergebnisse liegen dicht an den Prozen-<br />

Weniger Müll? Teures Theater<br />

Wegen sinkender Abfallmengen hat <strong>die</strong><br />

HIM (Hessische Industrie-Müll) den<br />

Antrag für den Bau eines dritten Ofens<br />

in der Sonderabfallverbrennungsanlage<br />

Biebesheim <strong>zur</strong>ückgezogen. Das Hessische<br />

Umweltministerium begrüßt <strong>die</strong>se<br />

Entscheidung. In einer Presseinfo heißt<br />

es: „Diese Erfolge sind im wesentlichen<br />

auf das vom Land Hessen geschaffene<br />

Instrument der Sonderabfallabgabe und<br />

das konsequent umgesetzte Reststoffvermeidungsprogramm<strong>zur</strong>ückzuführen.“<br />

Ob tatsächlich weniger Sondermüll<br />

entsteht? Oder wird er nur<br />

mehr in andere Länder, wie Frankreich,<br />

Rumänien, Polen etc exportiert? red<br />

ten der SPD und CDU bei der Kommunalwahl<br />

im März. Ihr persönlicher Einsatz<br />

hat sich bei Ruth Wagner in fast<br />

einer Stimmverdoppelung bemerkbar<br />

gemacht, bei Michael Siebert sprangen<br />

6.209 WählerInnen ab.<br />

Was hat <strong>die</strong> Nichtwähler <strong>zur</strong> stärksten<br />

Fraktion werden lassen: Politikverdrossenheit<br />

oder Gleichgültigkeit? Eindeutig<br />

wird <strong>die</strong>se Frage nie zu beantworten<br />

sein, aber das radikale Absacken der<br />

SPD in der Kommunalwahl und jetzt<br />

auch wieder in der <strong>OB</strong>-<strong>Wahl</strong> sind eindeutige<br />

Anzeichen für Unzufriedenheit<br />

und eine klare Absage an <strong>die</strong> Politik der<br />

letzten Jahre. Glück für alle KandidatInnen,<br />

daß kein ernstzunehmender parteiloser<br />

Kandidat angetreten war.<br />

Verdrossenheit<br />

oder Gleichgültigkeit?<br />

Bundespräsident Richard von Weizsäcker<br />

interpretiert <strong>die</strong> <strong>Wahl</strong>verweigerer<br />

(auf Bundesebene 30%) durchaus nicht<br />

als der Politik überdrüssig, sondern<br />

warnt vor einem „Zeichen von wacher<br />

Politik“. Dieses ließe sich unschwer<br />

Mit einem „Schnupper-Abo“ will Intendant<br />

Peter Girth seine abtrünnigen Abonnenten<br />

wieder gewinnen: Für 30 Mark<br />

gibt es drei Aufführungen zu sehen. Girth<br />

gab <strong>die</strong> jüngsten Zahlen bekannt: Die<br />

Besucherzahlen sind von September 92<br />

bis Ende April 93 von 74,7 Prozent auf<br />

69,5 Prozent gesunken. Aufgeschlüsselt<br />

auf <strong>die</strong> drei Sparten heißt <strong>die</strong>s: Oper/Ballett/Musical<br />

sind um vier Prozent in der<br />

Publikumsgunst von 65,8 auf 61,8 Prozent<br />

gesunken; im Schauspiel sogar um<br />

10 Prozent: von 85,4 auf 75,4 Prozent.<br />

Einzig <strong>die</strong> Konzerte waren besser besucht<br />

als in der vorigen Spielzeit. Die Zuschüsse<br />

mußten auf 50 Mio erhöht werden. red<br />

auch auf Darmstadt übertragen, spätestens,<br />

wenn der Filz der vergangenen<br />

Jahrzehnte in seiner ganzen Breite und<br />

Verflechtung an <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />

gedrungen wäre. Da gibt es jedoch noch<br />

ein weites Feld für <strong>die</strong> Presse, denn Vorteilnahme<br />

und ökonomische Abhängigkeit<br />

einzelner ParteigängerInnen haben<br />

ein Ausmaß angenommen, das auch auf<br />

<strong>die</strong> Praxis politischer Kommunal-Entscheidungen<br />

nachhaltig durchschlägt,<br />

wenn auch <strong>die</strong> Hintergründe heutzutage<br />

leider meist im Dunkeln bleiben. Doch<br />

soviel läßt sich schon heute sagen:<br />

Wenn <strong>die</strong> NichtwählerInnen ein Zeichen<br />

setzen wollten, dann ist <strong>die</strong>s nur<br />

glaubhaft, wenn sie selbst aktiv werden<br />

und öffentlich für ihre Interessen eintreten.<br />

Dazu scheint <strong>die</strong> Zeit jedoch nicht<br />

reif.<br />

Bundeskanzler Kohl setzt mit Presseschelte<br />

ein und meint, <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n hätten<br />

durch das Geschreibsel über <strong>die</strong> Parteiverdrossenheit<br />

<strong>die</strong> Wähler verschreckt.<br />

Konsequent fordert Kohl mehr Hofberichterstattung<br />

– im Gegensatz zu Darmstadts<br />

Größen benennt er das wenigstens<br />

offen, in Darmstadt wird schweigend<br />

Macht ausgeübt und Presse zensiert.<br />

Benz sieht kritische Zeitungsmache gar<br />

als seine Schrulle (siehe ZD Ausgabe<br />

47), <strong>die</strong> er am liebsten loswerden möchte.<br />

Wie wohl?<br />

Welcher Teil der Nicht-WählerInnen<br />

künftig <strong>die</strong> REP wählt, welcher aus<br />

Ärger über profillose Persönlichkeiten<br />

und Parteien-Filz und welcher aus<br />

Gleichgültigkeit der <strong>Wahl</strong>urne fernbleibt<br />

– <strong>die</strong>s wird uns Darmstädtern keine<br />

Noelle-Neumann in Zahlenspielen<br />

vorführen.Gewißheit darüber kann es<br />

nicht geben.<br />

Gibst Du mir, so geb’ ich Dir…<br />

Das <strong>Wahl</strong>ergebnis vom 9. Mai hat <strong>die</strong><br />

Weichen für <strong>die</strong> künftige Regierungsmannschaft<br />

gestellt: Es wird voraussichtlich<br />

eine rot-grüne Koalition geben,<br />

jedenfalls meldeten <strong>die</strong> Grünen am<br />

11.5., daß sie <strong>die</strong> Verhandlungen mit der<br />

CDU zugunsten der SPD abbrechen<br />

wollen.<br />

Der einzig denkbare Weg jedoch, <strong>die</strong><br />

Filz-Huberei und Vorteilnahme-Politik<br />

der Führungsclique der Sozialdemokraten<br />

zu beenden, hätte nur über eine<br />

Absprache zwischen Grünen und CDU<br />

durchgesetzt werden können. Auch<br />

wenn beide Parteien nicht ins Koalitionsbett<br />

steigen wollen, wäre dennoch<br />

eine wechselseitige Vereinbarung denkbar<br />

gewesen, daß keine der beiden Parteien<br />

mit der SPD zusammen <strong>die</strong> Regierung<br />

bildet. Dann hätte <strong>die</strong> SPD mit 34,2<br />

Prozent regieren müssen, und es wären<br />

endlich am politischen Sachinteresse<br />

orientierte Mehrheitsverhältnisse Wirklichkeit<br />

geworden – eine selten günstige<br />

Gelegenheit, <strong>die</strong> Parteien an demokratische<br />

Grundsätze zu erinnern.<br />

☛ Fortsetzung Seite 2


☛ Fortsetzung von Seite 1<br />

<strong>OB</strong>-<strong>Wahl</strong>:<br />

<strong>Nur</strong> <strong>die</strong> <strong>Hälfte</strong>…<br />

Das, was <strong>die</strong> Grünen nach ihrem <strong>Wahl</strong>ergebnis<br />

euphorisch als Neuanfang verkündet<br />

hatten, mit einer Koalition rotgrün<br />

wird es verspielt. Noch sind <strong>die</strong><br />

Verhandlungen zwischen SPD und Grünen<br />

nicht in das kritische Stadium getreten:<br />

Das Verhandeln über Posten und<br />

Finanzen, <strong>die</strong> große und wesentliche,<br />

wenn nicht einzige, Kunst der Metzger-<br />

Ebert-Clique steht noch bevor. Zweifel,<br />

daß <strong>die</strong> Grünen <strong>die</strong>s werden beenden<br />

können, sind angebracht. Der Filzhut<br />

wird keine Beine bekommen, was allerdings<br />

viel journalistische Kleinarbeit in<br />

Zukunft erweisen muß.<br />

Woher kommt das Geld?<br />

Eine erstaunlich breite Werbekampagne<br />

begleitet den <strong>OB</strong>-<strong>Wahl</strong>kampf. Kaum,<br />

daß ein Baum, eine Plakatwand oder<br />

irgendein Holzpfosten am Rand der<br />

vielbefahrenen Straßen nicht mit Sympathie<br />

heischendem Lächeln behängt<br />

wäre. Noch erstaunlicher allerdings der<br />

massive Werbeaufwand, mit dem für<br />

den SPD-Spitzenkandidaten Peter Benz<br />

geworben wird, desgleichen für CDU-<br />

Pfeffermann, aber auch Ruth Wagner<br />

und <strong>die</strong> Grünen stehen nicht <strong>zur</strong>ück.<br />

Woher wohl das viele Geld kommt?<br />

Wird es kleine Parteispenden-Affären<br />

geben, <strong>die</strong> unendlich sprudelnde,<br />

womöglich öffentliche Geldquellen ans<br />

Tageslicht fördern? Bauvereinsdirektor<br />

Reinhard meinte nur, wie es zu erwarten<br />

war, „keine müde Mark gibt es für so<br />

etwas von uns“.<br />

Die „Pro Benz“-Initiativen beeindrucken<br />

in ihrer schier unerschöpflichen<br />

Breite. Ob wohl alle, <strong>die</strong> da öffentlich<br />

unterzeich<strong>net</strong> haben (oft hier nicht einmal<br />

wahlberechtigt), wollten, daß unsere<br />

verfilzten Sozis weiterhin Pfründe<br />

und Posten behalten und auch weiterhin<br />

vergeben können?<br />

Dies ist <strong>die</strong> erste Direktwahl – also eine<br />

Personenwahl. Müßten da nicht der<br />

Fairneß halber alle KandidatInnen glei-<br />

Impressum<br />

Verleger und Herausgeber:<br />

Michael Grimm<br />

Unser Team :<br />

Uta Schmitt<br />

Eva Bredow<br />

Sanne Borghia<br />

Bernhard Kopp<br />

Astrid Nungeßer<br />

Nicole Schneider<br />

Peter J. Hoffmann<br />

Gerhard Kölsch<br />

Ludwig v. Sinnen<br />

Anzeigen:<br />

verantwortlich Peter Horn,<br />

Heiner Schäfer<br />

Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 5<br />

Postanschrift:<br />

Zeitung für Darmstadt<br />

Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt<br />

Telefon 06151/719896<br />

Telefax 06151/719897<br />

Bankverbindungen:<br />

Volksbank Darmstadt<br />

BLZ 508 900 00, Konto 14 111301<br />

Spendenkonto:<br />

Postgiroamt Frankfurt<br />

BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601<br />

Druck:<br />

Caro Druck<br />

Kasseler Straße 1a, 6000 Frankfurt 1<br />

Durchschnittliche Auflage:<br />

10.000<br />

Abonnement:<br />

jährlich DM 60,00 incl. 7% MWSt.<br />

Nachdruck und Vervielfältigungen sind nur mit<br />

Genehmigung des Verlages gestattet.<br />

Für namentlich gekennzeich<strong>net</strong>e Artikel oder<br />

Presseberichte von Parteien, Verbänden und<br />

Vereinen übernehmen <strong>die</strong> jeweiligen AutorInnen<br />

<strong>die</strong> presserechtliche Verantwortung. Sie sind kein<br />

Spiegel für <strong>die</strong> Meinung der Redaktion.<br />

Personenbezogene Daten werden<br />

elektronisch gespeichert, ausschließlich intern<br />

für <strong>die</strong> Verwaltung eingesetzt und nach Ende<br />

des Zeitungsbezugs umgehend gelöscht.<br />

Informanten bleiben gemäß gesetzlicher Grundlage<br />

auf Wunsch anonym.<br />

Text und Bild sind mit „QuarkXPress“<br />

auf Apple Macintosh gesetzt und unter Omnis 5 -<br />

Verlagverwaltung organisiert.<br />

Redaktionsschluß<br />

für <strong>die</strong> nächste Ausgabe<br />

22.5.1993<br />

che Chancen, also alle <strong>die</strong> gleichen Gelder<br />

für <strong>die</strong> Werbung haben? Doch wer<br />

wollte heute schon solche urdemokratischen<br />

Grundsätze wie <strong>die</strong> Gleichheit<br />

anmelden wollen? Peter Benz wäre bei<br />

dem Werbeaufwand (der sicher ein paar<br />

hunderttausend Mark gekostet hat) übrigens<br />

privat pleite gegangen, hätte er das<br />

alles aus eigener Tasche berappen müssen.<br />

Gibt es keine KandidatInnen?<br />

Macht aber in <strong>die</strong>sem <strong>Wahl</strong>kampf auch<br />

nichts: Er bietet ein beschämendes Bild.<br />

Außer den FavoritInnen der Parteien,<br />

boten <strong>die</strong> drei unabhängigen Kandidaten<br />

ein eher trauriges Bild von Darmstadt.<br />

Zwar hatte <strong>OB</strong>-Bewerber Dillmann flotte<br />

Sprüche und lustige Schlagfertigkeit<br />

parat, aber keiner verfügte auch nur über<br />

periphere Einblicke in kommunale Problempunkte:<br />

Da lag Moderator Uwe<br />

Günzler (HR) wohl richtig als er am<br />

6.Mai nach öffentlicher KandidatInnen-<br />

Kür meinte, „vielleicht war es ja gut so,<br />

daß Sie nicht mehr Fragen beantworten<br />

mußten“.<br />

Die vielfältigen Bemühungen im vergangenen<br />

Jahr, einen ernsthaften, parteiunabhängigen<br />

Kandidaten zu finden und<br />

zu ermuntern, waren fehlgeschlagen.<br />

Dabei bot sich erstmals <strong>die</strong> Chance für<br />

einen parteipolitisch unabhängigen,<br />

neuen Kurs ohne Parteien-Klüngel.<br />

Doch behaupte jetzt nur niemand, in<br />

Darmstadt fehle es an profilierten BürgerInnen<br />

– es gibt sie und sie hätten<br />

Chancen gehabt. Vielleicht beim nächsten<br />

Mal. Heute ist eine, wenn auch kleine<br />

Chance für ein Stückchen Mehr an<br />

Demokratie verschenkt worden.<br />

Es wird sicher interessant zu beobachten,<br />

wie <strong>die</strong> Parteien jetzt weiter bis zum<br />

6.Juni agieren: Wird <strong>die</strong> F.D.P. Peter<br />

Benz öffentlich unterstützen, um ihren<br />

Umweltdezernenten zu retten? Angeboten<br />

hat <strong>die</strong>s Ruth Wagner noch am<br />

<strong>Wahl</strong>abend. Werden <strong>die</strong> Grünen vorher<br />

in <strong>die</strong> Koalition einwilligen und ihre<br />

Mitglieder <strong>zur</strong> <strong>Wahl</strong> von Peter Benz<br />

ermuntern, um den Bürgermeister und<br />

vielleicht ein oder zwei Magistratsposten<br />

zu besetzen, <strong>die</strong> ihnen nach den<br />

Mehrheitsverhältnissen ohnehin zustehen?<br />

M. Grimm<br />

Büchner-Preis<br />

für Rühmkorf<br />

Die Jury der „Deutschen Akademie für<br />

Sprache und Dichtung“ hat den mit<br />

60.000 Mark dotierten Georg-Büchner-<br />

Preis 1993 dem Schriftsteller Peter<br />

Rühmkorf zuerkannt. Der mit 20.000<br />

Mark dotierte Siegmund-Freund-Preis<br />

für wissenschaftliche Prosa <strong>geht</strong> an den<br />

Literaturwissenschaftler Norbert Miller,<br />

der Johann-Heinrich-Merck-Preis für<br />

literarische Kritik (ebenfalls mit 20.000<br />

Mark dotiert) an den Literaturkritiker<br />

und Essayisten Hans Egon Holthusen.<br />

Die Preise werden am 16. Oktober im<br />

Staatstheater Darmstadt verliehen.<br />

Deutsche Akademie<br />

für Sprache und Dichtung<br />

Parlament<br />

für Jugendliche<br />

Am 6. Mai traf sich das „Darmstädter<br />

Jugendforum <strong>zur</strong> Errichtung eines<br />

Jugendparlaments“ zum zweiten Mal.<br />

Seine Idee ist es, in Darmstadt ein<br />

Jugendparlament zu gründen, indem<br />

Schüler zwischen 10 und 17 Jahren ihre<br />

Vertreter – je nach Schulgröße eine<br />

bestimmte Anzahl – in ein regelmäßig<br />

tagendes Parlament wählen. Dieses sollte<br />

dann seine Ideen und Beschlüsse an<br />

Magistrat und Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />

weiterleiten. Ob sich <strong>die</strong><br />

hohen Herren (und Damen) der Stadt <strong>die</strong><br />

Wünsche, Forderungen und Anregungen<br />

der Jugend allerdings zu Herzen<br />

nehmen werden, bleibt freilich fraglich<br />

– gebunden sind sie daran jedenfalls<br />

nicht. vro<br />

Tag X erneut verschoben<br />

Wie das „Darmstädter Bündnis gegen<br />

Rassismus und rechtsextreme Tendenzen“<br />

mitteilte, ist der Tag der Abstimmung<br />

über den Asylkompromiß in Bonn<br />

erneut verschoben worden: Der Tag X<br />

wird voraussichtlich der 26. Mai sein.<br />

An <strong>die</strong>sem Tag ruft das Bündnis zu einer<br />

Protestkundgebung auf dem Luisenplatz<br />

ab 17.30 Uhr auf. Wer an <strong>die</strong>sem Tag in<br />

Bonn protestieren will, kann mit dem<br />

Bus um 3 Uhr losfahren. Karten gibt es<br />

für 20 Mark in der „Büchergilde Gutenberg“,<br />

Marktplatz 10, oder im Büro des<br />

Bündnisses, Wilhelm-Leuschner-Straße<br />

39, Telefon 20480. Es ist montags von<br />

18 bis 19.30 und donnerstags von 17 bis<br />

21 Uhr offen. Darmstädter Bündnis<br />

Auf dem Cityring demonstrierten am Samstag (9.5.) rund 120<br />

bis 150 überwiegend Jugendliche gegen <strong>die</strong> Auto-Ausstellung<br />

in der Wilhelminenstraße. Organisatoren waren <strong>die</strong> BUND<br />

jugend und eine „Initiative für eine lebenswerte Umwelt“.<br />

Eigentlich wollten sie auf dem Luisenplatz demonstrieren, das<br />

Ausgabe 48 14.5.1993 · Seite 2<br />

untersagte jedoch das Ordnungsamt. Währenddessen herrschte<br />

großes Gedränge um <strong>die</strong> Blechkarossen von lediglich sechs<br />

Autohäusern.VielInteresse fanden <strong>die</strong> zwei Elektro-Fahrzeuge<br />

und <strong>die</strong> Fahrräder, <strong>die</strong> von zwei Händlern ausgestellt wurden<br />

(siehe Briefe an <strong>die</strong> Redaktion). Foto: H.Schäfer<br />

Fingernägel sind nicht nur zum Lackieren da<br />

Zehn Jahre SEFO:<br />

Ein Projekt kommt in <strong>die</strong> Jahre – mit ihm <strong>die</strong> Frauen<br />

Wie weit ist es her mit dem Feminismus,<br />

seit Rita Süssmuth öffentlich für Fraueninteressen<br />

eintritt, Alice Schwarzer<br />

bei ,Was bin ich’ schäkert oder Pfarrerinnen<br />

in lila Talaren ihren Gott in eine<br />

Göttin mutieren lassen? Er ist gesellschaftsfähig<br />

geworden, der kleine<br />

Unterschied, und erregt allenfalls noch<br />

im tiefschwarzen bayerischen Wald<br />

Aufsehen.<br />

Frauenhäuser, Frauenkulturhäuser,<br />

Frauenbegegnungsstätten, Frauenzentren<br />

allenthalben und in jeder mindestens<br />

50.000 EinwohnerInnen zählenden<br />

Stadt eine Frauenbeauftragte mit<br />

mindestens einem Doktortitel in...? Völlig<br />

egal. Hauptsache, er hat entfernt mit<br />

Frauenforschung zu tun. Kurzum, der<br />

Feminismus hat sich institutionalisiert<br />

und ist in gesellschaftliche Bereiche eingedrungen,<br />

<strong>die</strong> selbst für Karrierefrauen<br />

lange tabu waren. Und <strong>die</strong>s ist zweifelsohne<br />

den Frauen zu verdanken, <strong>die</strong> in<br />

den frühen 70er Jahren öffentlich ihre<br />

BHs verbrannten, den Gynäkologen <strong>die</strong><br />

Gefolgschaft verweigerten und verhöhnt,<br />

diffamiert und lächerlich<br />

gemacht für ihre Interessen kämpften.<br />

Ihre Interessen, fragt mann? Die waren<br />

und sind, patriarchaler Welt einen frauenspezifischen<br />

Gesichtspunkt entgegenzuhalten,<br />

eigene Verletzungen aufzuarbeiten,<br />

Fremddefinitionen abzulegen<br />

und sich einen eigenen selbstbestimmten<br />

Zugang <strong>zur</strong> Wirklichkeit zu erarbeiten.<br />

Dafür aber braucht frau ,Ihr Zimmer<br />

für sich allein‘, wie es bereits 1928 Virginia<br />

Woolf im Blick auf schreibende<br />

Frauen formulierte.<br />

Keine Selbstausbeutung mehr<br />

1983 hatten Maria Späh und Rita Bender<br />

<strong>die</strong> Idee, ein Zentrum zu gründen, in<br />

dem Frauen unter sich erfahren und lernen<br />

können ihr Leben in <strong>die</strong> eigene<br />

Hand zu nehmen. Die autonome Frauenhausbewegung,<br />

in der beide zuvor aktiv<br />

gewesen waren, löste sich auf durch <strong>die</strong><br />

Entscheidung der Stadt Darmstadt, das<br />

Frauenhaus unter <strong>die</strong> Trägerschaft des<br />

Frauenrings zu stellen. Nachdem sie<br />

jahrelang mit hohem persönlichen Einsatz<br />

auch private Frauenbetreuung<br />

betrieben hatten, was desöfteren auch<br />

bedeutete, Frauen bei sich nächtigen zu<br />

lassen, wollten sie, wie Späh sagte, vom<br />

„Konzept der Selbstausbeutung“ wegkommen.<br />

Die beiden aus dem pädagogischen<br />

Bereich gründeten mit sechs weiteren<br />

Frauen das SEFO (Selbsthilfe- und<br />

Fortbildungszentrum e.V.), mittlerweile<br />

in der Wienerstraße 78 ansässig.<br />

Kuschelige<br />

Selbsterfahrungskurse<br />

Aus dem bescheidenen Anfangsprogramm<br />

– zehn Kurse, angefangen bei<br />

Eßproblemen von dicken Frauen, über<br />

Gymnastik für Ältere, Selbsterfahrung<br />

für häuslich Tätige bis hin zum biederputzig<br />

anmutenden „Gestalten mit<br />

Wolle“ für alle – ist ein beachtliches,<br />

mittlerweile ca. 70 Kurse umfassendes<br />

Heft geworden. Freilich findet längst<br />

nicht alles statt, was da von 40 Honorarkräften<br />

angeboten wird. Da <strong>geht</strong> es dem<br />

SEFO ähnlich wie der Volkshochschule,<br />

<strong>die</strong> inzwischen auch <strong>die</strong> Randgruppe<br />

„Frau“ entdeckt hat. Und ebenso wie<br />

dort sind kuschelige Selbsterfahrungskurse,<br />

gemeinsame Spielenachmittage<br />

oder themenzentriertes Wohlfühlen mit<br />

warmen Socken und Jogging-Anzug<br />

eher gefragt denn Bildung. Während<br />

aber das SEFO einen dezi<strong>die</strong>rt feministischen<br />

Standpunkt vertritt, hat das Kursangebot<br />

der VHS für Frauen einen mehr<br />

eklektischen Charakter.<br />

Keine konkreten Zahlen<br />

Neben den Abendkursen bietet das<br />

SEFO Beratung und Therapie für Frauen<br />

in Problemsituationen. Das reicht<br />

von einer telefonischen Auskunft für<br />

Adressen anderer Fraueneinrichtungen<br />

bis hin zu psychotherapeutischer<br />

Betreuung. Monatliche Veranstaltungen<br />

bieten frau <strong>die</strong> Möglichkeit, sich in Diskussionen<br />

und Vorträgen über aktuelle<br />

Frauen-Probleme zu informieren. Seit<br />

1984 werden sogenannte Orientierungskurse<br />

angeboten, <strong>die</strong> sich an Frauen<br />

richten, <strong>die</strong> nach einer längeren Berufsunterbrechung<br />

wieder erwerbstätig<br />

werden wollen. Eine spezielle Beratung<br />

für erwerblose Frauen befindet sich derzeit<br />

im Aufbau. Da das SEFO anerkannter<br />

Bildungsträger ist, sind auch Bildungsurlaube<br />

möglich.<br />

Die finanzielle Situation möchte Maria<br />

Späh nicht in konkreten Zahlen ausdrücken.<br />

<strong>Nur</strong> soviel: aus einer kläglichen<br />

ABM-Stelle 1983 konnten bereits<br />

vier Jahre später 5 feste Stellen geschaffen<br />

werden. Kein schlechtes Ergebnis,<br />

manch vergleichbare Institution bekäme<br />

da Tränen des Neids. Seit 1989 ist <strong>die</strong><br />

steigende Tendenz aber rückläufig. So<br />

sind derzeit nur drei Vollzeitstellen<br />

bezahlbar (von den beiden Gründerfrauen<br />

und der Soz.-Päd. Ulla Kurz besetzt).<br />

Dies liegt nicht an einer Mittelkürzung,<br />

wie Späh erklärt, sondern an mangelnder<br />

Aufstockung der Finanzen. Den<br />

Hauptbrocken der Unterstützung trägt<br />

das Land, von Stadt und Landkreis kommen<br />

lediglich ein paar Kleckerbeträge.<br />

Von der idealistischen Vorstellung, der<br />

Beschäftigung mit Frauenproblemen in<br />

kleinen Kreisen, mußte das SEFO im<br />

Laufe der Jahre Abschied nehmen.<br />

Fraglos, und hier bewertet Späh ihre<br />

Arbeit und <strong>die</strong> ihrer Kolleginnen wohl<br />

zu Recht als innovativ, gelang es erst,<br />

durch solche und ähnliche Projekte <strong>die</strong><br />

Frauenfrage zu etablieren in den Institutionen<br />

– nur, und <strong>die</strong>s ist <strong>die</strong> andere Seite,<br />

sie auch als Alibi mißbrauchen zu<br />

lassen. Erwiesen sich kleine Zusagen<br />

nicht gelegentlich als Danaergeschenke,<br />

mit denen sich Frauen in eine <strong>net</strong>te<br />

Nische <strong>zur</strong>ückziehen und vergessen<br />

konnten, daß Fingernägel nicht nur zum<br />

Lackieren benutzt werden können?<br />

Recht verstanden, das bisher Erreichte<br />

ist nicht zu gering zu bewerten, nur,<br />

reicht es aus, wenn sich an den harten<br />

sexistischen Fakts in unserer Gesellschaft<br />

nichts ändert? Aus der Frauenbewegung<br />

ist eine Frauenszene geworden,<br />

deren altbackener Ruf „Frauen sind <strong>die</strong><br />

<strong>Hälfte</strong> der Menschheit“ von lächelnden,<br />

smarten Mittvierzigern goutiert wird.<br />

Und <strong>die</strong> bestimmt auch keine Probleme<br />

damit haben, ihre Angetrauten zum<br />

Babymassage-Kurs zu fahren. Läßt sich<br />

überhaupt eine weibliche Kultur in einer<br />

patriarchalen Gesellschaft entwickeln<br />

ohne <strong>die</strong>se mit radikalen Forderungen<br />

zu konfrontieren. Fragen über Fragen.<br />

Das SEFO will dranbleiben.<br />

Betty Buletti<br />

Weniger Geld<br />

für Deutsch-Kurse<br />

Bonn hat <strong>die</strong> Darmstädter Zuschüsse für<br />

Deutsch-Kurse von 48.000 auf 23.000<br />

Mark im Jahr 93 gekürzt. Von 16 Kursen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Volkshochschule im Herbst<br />

anbieten wollte, sind nun 10 gefährdet.<br />

<strong>OB</strong> Günther Metzger (SPD) befürchtet<br />

Einschränkungen bei der Integration<br />

ausländischer Bürger in <strong>die</strong> bundesdeutsche<br />

Gesellschaft, denn <strong>die</strong> Stadt „würde<br />

sich nicht in der Lage sehen, für <strong>die</strong><br />

ausgefallenen Bundesgelder einzuspringen“.<br />

Dies wolle er nicht widerspruchslos<br />

hinnehmen. Er hat deshalb einen<br />

Brief an Bundessozialminister Norbert<br />

Blüm (CDU) geschickt. Presseamt<br />

Millionen<br />

für Asbestsanierung<br />

115 Millionen Mark wird das Land Hessen<br />

<strong>die</strong> Asbestsanierung in landeseigenen<br />

Gebäuden kosten. Das ergab <strong>die</strong><br />

jüngste Kostenermittlung. Damit <strong>die</strong><br />

schwierige und kostenspielige Asbestsanierung<br />

fachgerecht durchgeführt<br />

werden kann, hat <strong>die</strong> Staatsbauverwaltung<br />

auf einem Fortbildungsseminar<br />

Sachbearbeiter aus allen hessischen<br />

Staatsbauämtern über <strong>die</strong> geeig<strong>net</strong>en<br />

Maßnahmen dafür informiert.<br />

Hessisches Finanzministerium<br />

Steine gegen<br />

Asylbewerberheim<br />

In der Nacht zum 2. Mai haben Unbekannte<br />

in Münster bei Dieburg mehrere<br />

Fensterscheiben in einem Heim für<br />

Asylbewerber mit Steinen eingeworfen.<br />

Eine Glastür und Scheiben eines Autos<br />

gingen zu Bruch, verletzt wurde niemand.<br />

Über <strong>die</strong> Täter gibt es keine Hinweise.<br />

Polizei-Pressestelle


Illegale Müllablagerung<br />

Brandgefahr bei ehemaligem<br />

Altpapierverwerter<br />

Meterhoch stapeln sich auf dem Gelände des früheren<br />

Altpapierverwerters Efremidis in der Mainzer<br />

Straße Plastiabfälle. Unverkennbar ist, daß sie<br />

schon einmal gebrannt haben, somit den Behörden<br />

bekannt sind.<br />

Auf dem frei zugänglichen Gelände stehen weitere<br />

25 Tonnen, zum Teil mit Altöl und anderen undefinierbaren,<br />

stinkenden Flüssigkeiten gefüllt. Einige<br />

Fässer sind angerostet und nicht verschlossen.<br />

Offensichtlich wird das Gelände in jüngster Zeit als<br />

illegale Kippe auch für Hausmüll benutzt. Vor dem<br />

riesigen Areal <strong>die</strong>nen alte Container als Lagerstätte<br />

für ausge<strong>die</strong>nte Fernseher, Kanister mit Verdünnung,<br />

abgelegte Kleidungsstücke und anderem.<br />

Obwohl <strong>die</strong>s bereits an <strong>die</strong> Behörden gemeldet worden<br />

ist, hat sich bis heute nichts getan. In der Vergangenheit<br />

wurde <strong>die</strong> Firma des Altpapierverwerters<br />

mehrfach in der Öffentlichkeit bekannt, weil<br />

Großbrände das Altpapier beseitigten. Auch heute<br />

besteht <strong>die</strong> Gefahr, daß <strong>die</strong> Plastikberge in Brand<br />

gesetzt werden. Obdachlose nächtigen in den ausge<strong>die</strong>nten<br />

und verwüsteten Büroräume.<br />

Hier zeigt sich: Die Behörden sind mit dem Verfolgen<br />

kleinerer Umweltverstöße schnell <strong>zur</strong> Hand.<br />

Wenn beispielsweise jemand kleinere Mengen an<br />

Hausmüll wild entsorgt, läßt man des Echo darüber<br />

in aller Breite berichten, gegenüber Handel und<br />

Industrie aber wird unverständliche Zurückhaltung<br />

geübt. Wir sind gespannt, wie lange es dauert, bis<br />

<strong>die</strong> Behörden tätig werden. Wer <strong>die</strong> Behörden sind:<br />

Über Polizei, Feuerwehr, Regierungspräsident,<br />

Umweltdezernat waren alle schon mal damit befaßt<br />

- falls eine Behörde fehlt, möge sie sich bitte melden.<br />

Sanne Borghia / Fotos as<br />

Abtreibungspille<br />

für Deutschland<br />

Die Hoechst AG muß ihre Blockade<br />

gegenüber dem Abtreibungsmittel RU<br />

486 in der Bundesrepublik schnellstens<br />

aufgeben, forderte <strong>die</strong> hessische Ministerin<br />

für Jugend, Familie und Gesundheit<br />

Iris Blaul (Grüne). Der Pharmakonzern<br />

soll endlich dem Beschluß der<br />

GesundheitsministerInnenkonferenz<br />

vom vergangenen Oktober Rechnung<br />

tragen, daß <strong>die</strong>ses Abtreibungsmittel<br />

nun auch den Frauen in der BRD <strong>zur</strong><br />

Verfügung stehen muß. Es könne nicht<br />

angehen, daß aus ideologischen Gründen<br />

ein großes Chemieunternehmen, das<br />

über das Abtreibungsmittel RU 486 verfügt,<br />

<strong>die</strong>ses <strong>zur</strong>ückhalte, erklärte Blaul.<br />

Sie kritisierte, daß Roussel Uclaf, eine<br />

Tochterfirma der Hoechst AG, nach wie<br />

vor ihre Entscheidung über <strong>die</strong> Einführung<br />

des Abtreibungsmittels RU 486<br />

offenbar vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

zum zukünftigen Abtreibungsrecht<br />

in der BRD abhängig mache.<br />

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes,<br />

wann eine Abtreibung<br />

rechtlich zulässig ist oder nicht, habe<br />

mit der Einführung einer Abtreibungsmethode<br />

überhaupt nichts zu tun. RU<br />

486 müsse als Alternative zum chirurgischen<br />

Eingriff für <strong>die</strong> nach jetzigem<br />

Gesetz legalen Abtreibungen den Frauen<br />

und ÄrztInnen <strong>zur</strong> Verfügung stehen.<br />

Offensichtlich werde in der Diskussion<br />

ein Zusammenhang hergestellt, der<br />

unsachlich und unzulässig sei. Blaul:<br />

„Ich halte es für nicht länger vertretbar,<br />

daß Frauen <strong>die</strong> Möglichkeit eines schonenden<br />

Abtreibungsmittels verweigert<br />

wird.“ Ministerium für Jugend,<br />

Familie und Gesundheit<br />

MELDUNGEN<br />

Ausgabe 48 · 14.5.1993 · Seite 3<br />

Feudale Postenvergabe<br />

Viel Wirbel hat unser Bericht „Pro Benz“ in der letzte Ausgabe in der<br />

Stadtverwaltung verursacht. Kritik daran wurde lediglich deshalb<br />

geäußert, weil Wilma Mohr, derzeit Leiterin der Sozialverwaltung, von<br />

Peter Benz nicht nur das Dezernat für Jugend und Familie im Magistrat<br />

zugesagt worden ist für ihre Parteihilfe, sondern vorbehaltlich des Ausgangs<br />

der Kommunalwahl sogar der Posten des Bürgermeisters (siehe<br />

auch Briefe an <strong>die</strong> Redaktion). Es handelt sich bei <strong>die</strong>ser Meldung keinesfalls<br />

um ein Gerücht, das weitergegeben wird. Die Informationen<br />

waren im übrigen auch dem DE zugänglich gemacht worden, dort entschloß<br />

man sich offensichtlich zu höfischem Schweigen. Wie vieler<br />

Nachrichten bedarf es eigentlich, um gesetzeswidrige und undemokratische<br />

Vorgänge verständlich-glaubhaft an <strong>die</strong> Öffentlichkeit zu bringen<br />

und Lernprozesse in Gang zu setzen? mg<br />

Wieder an der Kandare<br />

Nach dem niederschmetternden Ergebnis der Kommunalwahl öff<strong>net</strong>e<br />

sich für den kurzen Zeitraum von zwei Wochen <strong>die</strong> harte Phalanx der<br />

SPDler. Erstmals gingen Anrufe bei der Redaktion ein. Parteigenossinnen<br />

beschwerten sich über <strong>die</strong> Praktiken innerhalb der SPD und boten<br />

Zusammenarbeit an. Sogar LeserInnen der ZD widerfuhr erstaunliche<br />

Anteilnahme seitens ansonsten hartleibiger SPD-GenossInnen. Doch<br />

kaum war der erste Schock verflogen und <strong>die</strong> Parteimanager hatten ihre<br />

Fäden im Hintergrund gezogen, herrschte wieder das mauernd untätige<br />

Schweigen gegenüber interessierter Öffentlichkeit. Eike Ebert und<br />

einige an Einfluß und anderem Reiche haben wieder alles unter Kontrolle.<br />

Das dürfte ihnen auch nicht schwer gefallen sein, denn zu viele<br />

GenossInnen stehen in direktem Abhängigkeitsverhältnis (was noch im<br />

einzelnen zu belegen ist und wird). Mal ist es der Job, von Parteioberen<br />

Gnaden verliehen, mal der Kredit, mal das Häusle und bei wieder anderen<br />

<strong>die</strong> Erwartung dessen, was <strong>die</strong> Zukunft an privater Vorteilnahme<br />

bringen wird. M. Grimm<br />

Strafkeule<br />

Wo sich <strong>die</strong> Politik nicht mehr mit Totschweigen zu behelfen weiß,<br />

greift sie zu schärferen Mitteln. Eike Ebert (Mitglied des Bundestages,<br />

Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher, Rechtsanwalt und SPD-Manager) schwingt<br />

zum zweiten Mal <strong>die</strong> Keule der Strafanzeige gegen den Herausgeber<br />

der ZD. Vergangene Woche hat er Strafantrag wegen „übler Nachrede“<br />

eingereicht, weil – der genaue Anzeigetext liegt der ZD noch nicht vor<br />

– in der Ausgabe 44 gedruckt stand, daß ein SPD-Mitglied von Hamburg<br />

nach Darmstadt geflogen worden war, um dem rechten Flügel der<br />

SPD Stimmenmehrheit zu verschaffen. Ebert hat keine Gegendarstellung<br />

verlangt, ist somit an einer Richtigstellung (falls es sich um eine<br />

solche handeln sollte) auch gar nicht interessiert.<br />

Strafrecht als Mittel parteipolitisch begründeter<br />

Einschüchterungstaktik ist grober<br />

Mißbrauch der Justiz. M. Grimm<br />

Aus für alte Heizkessel<br />

Heizungsanlagen, <strong>die</strong> vor dem 1. Januar<br />

1983 eingebaut wurden, müssen ab Oktober<br />

<strong>die</strong> neuen, reduzierten Schadstoffwerte einhalten,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Bundesimmissionsschutzverordnung<br />

festlegt. Kann der alte Heizkessel<br />

<strong>die</strong>se Werte dann nicht einhalten, muß ein<br />

neuer her. Davon dürften nach Angaben der<br />

Südhessische Gas und Wasser AG rund<br />

500.000 Anlagen betroffen sein. Der überwiegende<br />

Teil davon habe nur einen Wirkungsgrad<br />

von 70 Prozent. Moderne Erdgas-Heizkessel<br />

würden dagegen über 90<br />

Prozent schaffen – das entlaste langfristig<br />

den Geldbeutel.<br />

Erdgas trage maßgeblich <strong>zur</strong> Umweltschonung<br />

bei. Denn beim Verbrennen von Erdgas<br />

gelangten pro Kilowattstunde lediglich<br />

0,2 kg Kohlendioxid – verantwortlich für<br />

den Treibhauseffekt – durch den Schornstein<br />

ins Freie, bei Heizöl sind es 0,26 kg,<br />

bei Braunkohle gar 0,40 kg.<br />

Südhessische Gas und Wasser AG<br />

Steigende Bodenpreise<br />

1992 haben <strong>die</strong> 1296 in Darmstadt veräußerten<br />

Immobilien 566,5 Millionen Mark<br />

gebracht. Das waren zehn Prozent weniger<br />

Verkäufe als im Vorjahr. Diese Daten gab<br />

der Gutachterausschuß für Grundstückswerte<br />

bekannt.<br />

Der durchschnittliche Quadratmeterpreis<br />

von unbebautem Wohnbauland lag bei 880<br />

Mark (1991: 826). Die Preise für Ein- und<br />

Zweifamilienhäuser lagen meist zwischen<br />

400.000 und 600.000 Mark. Umgewandelte<br />

Mietwohnungen älteren Baujahres wurden<br />

zu einem Mittelpreis von 3.500 Mark pro<br />

Quadratmeter verkauft (1991: 2.900). Für<br />

Wohnungen ab Baujahr 1970 lag der Quadratmeterpreis<br />

im Mittel bei 4.200 Mark<br />

(1991: 3.200). 1992 wurden insgesamt 83 in<br />

Eigentumswohnungen umgewandelte Mietwohnungen<br />

verkauft. Presseamt<br />

Neues im Kabelstreit<br />

Der Hessische Rundfunk reagierte mit<br />

Genugtuung auf eine vorläufige Gerichtsentscheidung<br />

des Frankfurter Verwaltungsgerichts,<br />

wonach „Hessen Drei“ im Frankfurter<br />

und Friedberger Kabel<strong>net</strong>z wieder auf<br />

Kanal 6 verbreitet werden muß. Der Kabelstreit<br />

in Hessen schwelt seit Jahresbeginn.<br />

Damals hatte <strong>die</strong> Landesanstalt für privaten<br />

Rundfunk <strong>die</strong> Belegung in den Kabel<strong>net</strong>zen<br />

verändert und „Hessen Drei“ von seinem<br />

angestammten Kanal 6 auf Kanal 4 verschoben.<br />

Seitdem erschien der Nachrichtensender<br />

„Vox“ auf Kanal 6. hr<br />

Die Depesche<br />

ist eine Kriegserklärung…<br />

Pressefreiheit und Pressevielfalt<br />

ist (Über)Leben.<br />

Keine hundert Jahre ist es her,<br />

daß unsere Vorfahren für <strong>die</strong><br />

Preß-Freiheit ihr<br />

Leben gelassen haben.<br />

Keine fünfzig Jahre sind vergangen,<br />

daß wir sie nach vollkommenem<br />

Verlust wieder erhalten<br />

haben – und wieder sind<br />

wir dabei, sie zu verlieren,<br />

weil sie verkauft wird: an<br />

Krämerseelen, <strong>die</strong> um des Geldes<br />

willen <strong>die</strong> Nachrichten und<br />

ihre Meinung dem Meistbietenden<br />

anpassen.<br />

Für eine unabhängige,<br />

unzensierte, freie und<br />

an Wahrheiten orientierte<br />

Presse haben wir <strong>die</strong><br />

Darmstädter<br />

Initiative<br />

für <strong>die</strong><br />

Vielfalt<br />

der Presse<br />

gegründet:<br />

• für eine Kontrolle<br />

über Parlamente<br />

• für ein öffentliches<br />

Forum der Leserinnen<br />

• für ein Mehr<br />

an Demokratie.<br />

Verschlafen Sie nicht<br />

wie viele MitbürgerInnen<br />

<strong>die</strong> schleichende Inflation der<br />

Meinungs- und Pressefreiheit!<br />

Beteiligen Sie sich<br />

an unserer Initiative!<br />

V.i.S.d.P. Folkmar Rasch.<br />

Weitere Informationen erteilt<br />

<strong>die</strong> „Zeitung für Darmstadt“<br />

Postfach 104323<br />

6100 Darmstadt


Jeder Tritt aufs Gaspedal kostet ein Stück Wald<br />

10 Jahre Waldschadenforschung<br />

80 Prozent<br />

zuviel Stickoxide<br />

60.000 Autos zuviel<br />

und was in Darmstadt getan wird<br />

Das Bundesforschungsministerium veröffentlicht <strong>die</strong> Ergebnisse von mehr<br />

als 800 Wissenschaftlern, <strong>die</strong> im Auftrag der Bundesregierung 10 Jahre<br />

lang versuchten, hinter <strong>die</strong> Ursachen für das Waldsterben zu kommen.<br />

Glaube nur niemand: Was <strong>geht</strong> das mich an, das ist doch nur etwas für<br />

Waldschrate und alte Leute. Die Grundlagen unseres Lebens, <strong>die</strong> Luft und<br />

vor allem unser Grundwasser sind höchst gefährdet. Überleben <strong>die</strong><br />

Wälder nicht, dann haben auch wir nur noch geringe Aussichten auf ein<br />

gesundes Leben. Das Ergebnis der Stu<strong>die</strong>.<br />

„Einschneidende Maßnahmen sind<br />

nötig, um <strong>die</strong> Belastung auf ein verträgliches<br />

Maß zu senken“. Gemeint sind<br />

damit <strong>die</strong> Autofahrer, denn während „bei<br />

Kraftwerken und Industrieanlagen deutliche<br />

Erfolge“ beim Rückgang der Stickoxide<br />

verzeich<strong>net</strong> wurden (seit 1982 um<br />

70 Prozent) stiegen <strong>die</strong> Abgase aus PKW<br />

so stark an, daß eine Minderung „weitgehend<br />

aufgehoben “ wurde – trotz Katalysator.<br />

In Darmstadt sind über 80.000<br />

Autos für 55.000 Haushalte zugelassen –<br />

mindestens 60.000 zuviel, denn „grobe<br />

Schätzungen haben ergeben…, daß<br />

Schwefeldioxide um 80 bis 90% reduziert<br />

werden müßten“, so <strong>die</strong> Bundesregierung.<br />

Es ist nicht so, wie viele denken,<br />

„was macht es schon, wenn ich mit meinem<br />

Auto fahre“ – <strong>die</strong> Vielzahl der<br />

PKW-Bewegungen ad<strong>die</strong>rt sich zu ungeheuren<br />

Mengen an Schadstoffen.<br />

Das alles ist nicht neu, und allein mit<br />

dem Bewußtsein <strong>die</strong>ser platten Erkenntnis<br />

leben, heißt, den Wald weiter sterben<br />

lassen.<br />

Ein Spaziergang im Winter durch den<br />

Wald läßt das Ausmaß erst erkennen:<br />

Der Bestand ist stark gelichtet, und wo<br />

ehedem <strong>die</strong> Neugier angespornt war, wie<br />

es wohl hinter <strong>die</strong>sen Tannen oder jenen<br />

Lärchen aussehen mag, ist in wenigen<br />

Jahren <strong>die</strong> Durchsicht Regel, wie heute<br />

bereits im Westwald.<br />

Baumkrankheiten wie „Storchennester“<br />

(flache, breite Baumkronen), „Angstreiser“<br />

in Armhöhe an normalerweise<br />

schlanken Buchenstämmen, fehlende<br />

Seitentriebe in den Kronen, entlaubte<br />

Zweige, fallende Rinden - <strong>die</strong> Liste ist<br />

lang. Kein Vorbei gibt es an den vielen<br />

bereits wieder gefallenen Bäumen, <strong>die</strong><br />

trotz emsiger Abräumarbeiten der Forstleute<br />

überall im Wald zu finden sind –<br />

auch ohne Sturm.<br />

Obwohl bereits in den sechziger Jahren<br />

Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen<br />

im norddeutschen Forschungs-<br />

Projekt „Solling“ wesentliche Ursachen<br />

und Symptome erkannt und gewarnt hatten,<br />

trat <strong>die</strong> Bundesregierung erst 1981<br />

auf den Plan. Sie beauftragte an verschiedenen<br />

Standorten Wissenschaftler mit<br />

exakteren Untersuchungen, denn <strong>die</strong> bis<br />

dahin vorliegenden Erkenntnisse<br />

beschrieben keinen Ausweg aus der<br />

hoffnunglosen Zukunftsperspektive.<br />

Sehr schnell wurde klar, es ist nicht das<br />

Schwefeldioxyd allein oder das Ozon, es<br />

kamen sehr schnell weitere schädigende<br />

Chemikalien hinzu, <strong>die</strong> als Folge von<br />

landwirtschaftlicher, industrieller Produktion<br />

und vor allem des Verkehrs eine<br />

Vielzahl ineinander wirkender schädlicher<br />

Einflüsse für unsere Wälder darstellen.<br />

Die von Wissenschaftlern erstmals in<br />

den siebziger Jahren vorgetragene<br />

Bezeichnung „Ökosystem“ (auch als<br />

Biosystem bezeich<strong>net</strong>), und von der Politik<br />

als grüne Spinnerei belächelte Vokabel,<br />

ist in <strong>die</strong> ernsthafte politische Vorgabe<br />

der Erforschung des „Ökosystems<br />

Wald“ eingegangen. Exaktes Beobachten<br />

der Veränderung verschiedener Baumarten<br />

in unterschiedlich belasteten<br />

Regionen erwies sich sehr schnell als<br />

nicht ausreichend, denn es besagte nichts<br />

über <strong>die</strong> Ursachen. So blieb das Kiefernsterben<br />

ebenso wie das Fallen der Tannen<br />

in Süddeutschland zunächst „rätselhaft“.<br />

Erst als auch Fichten und Laubbäume<br />

ähnliche Symptome zeigten, kam<br />

man auf <strong>die</strong> Idee, auch einmal unter der<br />

Erde an den Wurzeln Forschung zu<br />

betreiben.<br />

Sicher war zu dem damaligen Zeitpunkt<br />

lediglich der Zusammenhang zwischen<br />

Luftschadstoffen (<strong>die</strong>s wird bereits seit<br />

1870 erfolgreich im Erzgebirge bestaunt)<br />

und dem Fallen der Bäume. Biologen<br />

und Chemiker waren jetzt gefordert:<br />

Was passiert, wenn ein Baum aus der<br />

Luft oder dem Wasser (und damit dem<br />

Boden) Nährstoffe und mit ihnen Chemikalien<br />

aufnimmt? Neue Beobachtungsverfahren<br />

wurden entwickelt, und so<br />

kann heute <strong>die</strong> Nährstoff-Aufnahme von<br />

der Wurzelspitze bis in <strong>die</strong> letzte Zelle<br />

verfolgt werden. Weniger eindeutig sind<br />

<strong>die</strong> Erkenntnisse: das Problem bilden<br />

chemische Verbindungen und deren Folgen.<br />

Allein aus dem Auspufftopf eines<br />

PKW kommen „neben den Gasen …<br />

weitere, zum Teil stark giftige Stoffe,<br />

wie nitrierte und halogenierte Aromaten<br />

… dreißig verschiedene hat man am<br />

Rande der Straße“ bis heute nachweisen<br />

können. Aber während man noch auf der<br />

Suche nach den Schadstoffen selbst ist,<br />

muß sich <strong>die</strong> Wissenschaft gleichzeitig<br />

damit beschäftigen, in welchen Wechselwirkungen<br />

<strong>die</strong>se und andere Schadstoffe<br />

im komplizierten Lebenshaushalt Waldboden,<br />

Kleingetier, Photosynthese (Nahrungsaufnahme<br />

des Baumes) und Waldsterben<br />

stehen.<br />

Ein Baum braucht lange zum Wachsen,<br />

und Schäden aus mangelhafter oder verseuchter<br />

Nahrungsaufnahme müssen<br />

über lange Zeiträume beobachtet werden,<br />

bevor Zusammenhänge erkennbar<br />

sind – und dann bestehen kräftige Zweifel,<br />

ob das Erkannte auch richtig ist.<br />

Um <strong>die</strong>sen vielfältigen Verflechtungen<br />

auf <strong>die</strong> Spur zu kommen, <strong>geht</strong> es nicht<br />

ohne Chemie: Schwefeldioxid, Stickoxide,<br />

Ammoniak, Kadmium, Salpeter,<br />

Salzsäure, Magnesium, Ozon, Kalk und<br />

viele andere gehen Verbindungen ein,<br />

deren Kenntnis überhaupt erst ein Verständnis<br />

ermöglichen, wie ein Ökosystem<br />

Namens Wald funktioniert, und<br />

warum es gestört ist.<br />

Die Naturwissenschaft<br />

spricht heute nicht mehr<br />

von Kausalketten, sondern<br />

von Wirkungssystemen,.<br />

Es <strong>geht</strong> nicht mehr allein um<br />

das Sterben einzelner Bäume,<br />

sondern ganzer Wälder,<br />

der in ihnen lebenden Kleintiere<br />

und um verseuchtes Wasser<br />

„Die Notwendigkeit des ver<strong>net</strong>zten, des<br />

ökologischen Denkens ist auch und gerade<br />

durch <strong>die</strong> Waldschäden offenkundig<br />

geworden“, schreibt das Bundesforschungsministerium.<br />

„Auf und unter einem Quadratmeter<br />

Waldboden leben etwa 250 Regenwürmer,<br />

mehrere hundert Bodenspinnen,<br />

30.000 bis 60.000 Springschwänze…<br />

mehrere hunderttausend Nematoden,<br />

vorwiegend Bakterien und mehrere Millionen<br />

von Einzellern“ (so der Bericht).<br />

Ebenso groß wie ihre Zahl ist und so<br />

vielfältig ihre Funktionen untereinander<br />

sind in dem Gleichgewicht „Ökosystem“,<br />

ebenso viel Arbeit wird <strong>die</strong> Wissenschaft<br />

haben, um – wenn überhaupt –<br />

jemals klare Aussagen darüber treffen zu<br />

können, wie <strong>die</strong>ses komplexe System<br />

arbeitet. Dies aber ist <strong>die</strong> Voraussetzung<br />

dafür, daß das Waldsterben auf lange<br />

Sicht erfolgreich beendet werden kann.<br />

Wäre es da nicht sinnvoller, lieber öfter<br />

und immer öfter auf das Auto zu verzichten?<br />

Was passiert in Darmstadt?<br />

Darmstadt rangiert mit einem fast vollständig<br />

geschädigten Wald (96%) heute<br />

mit an vorderster Stelle in der Bundesrepublik,<br />

nach Sachsen: 8.000 Hektar<br />

Wald sind dort bereits eine verseuchte,<br />

tote Mondlandschaft,„für Deutschland<br />

ein trauriger Rekord“. Ende März stellte<br />

Darmstadts Umweltdezernent Heino<br />

Swyter (F.D.P.) den „Forstbericht 1992“<br />

vor. Die nahezu gleichen Aussagen wie<br />

im zuvor veröffentlichten Waldschadensbericht<br />

des Hessischen Forstamtes<br />

verleiteten einen der Urheber zu dem<br />

Kommentar, das ist doch nur abgekupfert“.<br />

Doch ganz wird <strong>die</strong>ser Kommentar<br />

dem Bericht (aufgesetzt von Gartenbaudirektor<br />

Ruoff) nicht gerecht, denn<br />

er hat erkannt, daß <strong>die</strong> „besonders hohe<br />

NOx-Belastung, verursacht durch <strong>die</strong><br />

sehr hohe innerörtliche Verkehrsbelastung<br />

und <strong>die</strong> Pendlerströme … reduziert<br />

werden muß“. Dies soll durch<br />

„Geschwindigkeitsbeschränkungen auf<br />

Straßen und Autobahnen, <strong>die</strong> durch<br />

Verhandlungen über einen Baum, der bereits gefällt ist<br />

Um einen Götterbaum, ein Stückchen<br />

Lebensqualität ging es den AnliegerInnen<br />

des Hauses Rhönring 17, als sie<br />

Widerspruch gegen <strong>die</strong> Fällgenehmigung<br />

der Stadt am 25.2. eingelegt hatten.<br />

Vergebens war ihr Gesuch bei den<br />

Behörden, denn dort wurde ihnen kein<br />

schriftlicher Bescheid erteilt, so daß<br />

Architekt Volker Schmidt (SPD) den<br />

Baum am 8.3. fällen lassen konnte (siehe<br />

ZD 46). Große Überraschung bei den<br />

AnliegerInnen: im April kamen vom<br />

Rechtsamt der Stadt Einladungen,<br />

am 11.5. über den Widerspruch zu<br />

verhandeln; „obwohl der Baum nicht<br />

mehr steht?“ fragten sie sich. Karl-<br />

Heinz Zuber nahm den Termin wahr<br />

und stellte der Assessorin des Rechtsamtes,<br />

Frau Demes, <strong>die</strong> Frage: „Worüber<br />

wollen wir denn verhandeln, der<br />

Baum ist doch gefällt?“<br />

Mit formalen Gründen antwortete sie:<br />

„Wir müssen Verhandlung über jeden<br />

Widerspruch führen“. Sie meinte, der<br />

Bescheid sei zu Recht ergangen, denn<br />

er, Zuber, habe als Dritter gar kein<br />

Widerspruchsrecht. Wer Widerspruch<br />

einlegen darf, ist in der Baumschutzsat-<br />

Nummer 48 · 14.5..1993 · Seite 4<br />

Noch ist der Wald nur licht und mit Halbschatten durchsetzt. Im Westwald zeich<strong>net</strong> sich heute jedoch schon <strong>die</strong> weitere Entwicklung<br />

ab, dort fallen immer mehr Bäume und in wenigen Jahren enstehen Kahlflächen. Im Frühjahr werden <strong>die</strong> Krankheiten<br />

durch das Grün ein wenig kaschiert. Foto as<br />

Waldgebiete der Stadt führen“, erreicht<br />

werden. Gleichzeitig schränkt Swyter<br />

ein, „es ist ja doch nur eine Frage von<br />

Sekunden, bis <strong>die</strong> Schnellfahrer wieder<br />

im Stau stehen“. Nebenbei erwähnt er<br />

auch <strong>die</strong> Müllverbrennungsanlage als<br />

NOx-Verursacher. Zahlen für <strong>die</strong><br />

Abgas-Minderung beispielsweise durch<br />

Untersuchungen, bei welchen Tempo-<br />

Beschränkungen wieviel Schadstoffe<br />

eingespart werden, hat das Umweltamt<br />

nicht parat. Auch ist kein Wort von Verminderung<br />

des Verkehrs zu lesen, gar<br />

von einem generellen Stop im Straßenbau,<br />

nicht einmal <strong>die</strong> Forderung wird<br />

aufgestellt. Auf der Roßdörfer Autobahn,<br />

dem Darmstädter Kreuz und der<br />

B3 soll Tempo 70 eingeführt werden -<br />

so ein Magistratsbeschluß vom 26.3.93,<br />

der trotz Zusage der ZD nicht zugestellt<br />

worden ist.<br />

Swyter und Ruoff erklären übereinstimmend:<br />

„Die Stadt Darmstadt hat … eine<br />

Vorreiterrolle übernommen“. Diese<br />

sehen unsere städtischen Umweltschützer<br />

eher in der „Festlegung der Wirtschaftsziele“<br />

bezogen auf das Fällen von<br />

Bäumen und das Verkaufen des Holzes,<br />

im Rahmen des „Verzichtes auf Kostendeckung<br />

im Forstbereich“.<br />

Dr. Arnulf Rosenstock vom Hessischen<br />

Forstamt sieht <strong>die</strong>s anders: „Der Wald<br />

ist für <strong>die</strong>se hohen Belastungen eine<br />

Fehlkonstruktion“, er spricht von einem<br />

„aberwitzigen Szenario“ und kritisiert<br />

<strong>die</strong> „Gesellschaft, <strong>die</strong> einen weiten<br />

Bogen um ihre Probleme macht. Die<br />

Grenzen des Wachstums“, so Rosenstock,<br />

„sind überschritten“. In krassem<br />

Gegensatz zu den Interessen der Stadt<br />

(<strong>die</strong> mehr Gewerbe ansiedeln und mehr<br />

Arbeitsplätze und Wohngebiete ausweisen<br />

möchte) steht seine Forderung an<br />

eben <strong>die</strong> Stadt, <strong>die</strong> „an den Regierungspräsidenten<br />

herantreten und andere Ziele<br />

im Regionalen Raumordnungsplan<br />

festhalten lassen sollte.“<br />

Den RROP-Entwurf hat <strong>die</strong> ZD bislang<br />

vergebens beim Regierungspräsidenten<br />

angefordert. M. Grimm<br />

zung (vom 22.9.83) jedoch nicht geregelt.<br />

Bislang hat Architekt Schmidt keinen<br />

Ersatzbaum pflanzen lassen, obwohl<br />

ihm <strong>die</strong>s <strong>zur</strong> Auflage in der Genehmigung<br />

gemacht worden war.<br />

Pikantes Bonmot am Rande: Das<br />

Rechtsamt hat weitere zahlreiche EinwenderInnen<br />

zu laden, denn sie waren<br />

alle nicht erschienen. Wozu denn auch,<br />

wenn der Baum gefällt ist, und sowohl<br />

<strong>die</strong> Behörden, als auch das Rechtsamt<br />

nicht für das Einhalten ihrer eigenen<br />

Satzungen sorgen. sb


Wer<br />

erinnert sich nicht an das Jahr<br />

1987, das Jahr vom Tschernobyl-Gau.<br />

Spätestens damals waren wir VerbraucherInnen<br />

verunsichert. Cäsium, Strontium,<br />

Becquerel; Radioaktivität in Pilzen und<br />

Wild, in Milch und Joghurts. Was können wir<br />

überhaupt noch gefahrlos essen, fragten sich<br />

Millionen. Die schlechten Nachrichten häuften<br />

sich: Skandale bei Eiernudeln, Würmer in<br />

Fischen, verseuchte Austern und und und.<br />

Schadstoffe in Lebensmitteln,<br />

das sorgte für viele heiße Diskussionen,<br />

noch mehr Verunsicherungen und für einen<br />

Boom der Naturkost- und Ökoläden.<br />

Das Hessische Landwirtschaftsministerium<br />

bemüht sich in einer neuen Broschüre <strong>die</strong><br />

Wogen zu glätten. Da heißt es: „Die in <strong>die</strong>sem<br />

Bericht dokumentierten Ergebnisse zeigen,<br />

daß <strong>die</strong> Belastung der Nahrungsmittel<br />

mit Schadstoffen seit Ende der 70er Jahre<br />

deutlich <strong>zur</strong>ückgegangen ist“. Da ist <strong>die</strong><br />

Rede davon, daß <strong>die</strong> öffentliche Verwaltung<br />

<strong>die</strong> Verpflichtung hat, ausreichend gesunde<br />

Ernährung sicherzustellen. Dies schließe <strong>die</strong><br />

Aufgabe ein, gesundheitsgefährdende Auswirkungen<br />

möglichst auszuschließen. Dafür<br />

würden gesetzliche Regelungen sorgen –<br />

beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und<br />

der Tierarznei, durch Untersuchungen bei<br />

landwirtschaftlichen Betrieben und mit Hilfe<br />

der Futtermittelüberwachung. Beruhigt?<br />

Wer weiß schon noch, was drin ist?<br />

Schon längst wissen wir, daß wir nicht wissen,<br />

was wir mit einem Apfel, einer Kartoffel<br />

oder einem Stück Fleisch oder Wurst so alles<br />

mitschlucken. Auch unsere Cornflakes, <strong>die</strong><br />

uns laut Werbung morgens so unglaublich fit<br />

und glücklich machen, sind ein Kunstprodukt.<br />

Vorbei <strong>die</strong> Zeit, als sie noch aus<br />

gewalzten und gerösteten Maiskörnern<br />

bestanden. Der mit allem möglichen versetzte,<br />

geschundene Brei kommt aus einem<br />

fleischwolfähnlichem Gerät. Unser TV-Knabbersnack<br />

ist dank Wolf und zusätzlicher Wärme<br />

meist luftig – das Resultat solcher<br />

Behandlungen: Verkleisterung der Stärke,<br />

Denaturierung der Proteine, Inaktivierung<br />

von Enzymen, Bräunung, Abtöten von Mikroorganismen<br />

und Bilden von komplexen<br />

Reaktionsprodukten.<br />

Schokolade, Babynahrung, Tierfutter, Spaghetti<br />

– alles passiert den Mischer. Aus Nahrungsresten<br />

oder Abfall – etwa Tierblut (in<br />

„Nutella“), Geflügelfedern, Algen, Rinderhaaren,<br />

Käsewasser – wird billiges Protein für<br />

<strong>die</strong> Lebensmittelproduktion gewonnen, kostengünstige<br />

Rohstoffe <strong>zur</strong> Gewinnmaximierung.<br />

So wird Eiweiß, das aus Hühnerfedern<br />

gewonnen wird, als Pulver und Paste verschiedenen<br />

Nahrungsmitteln zugesetzt, unter<br />

anderem Suppen und Backwaren. Fertigprodukte<br />

und Schnellkoch-Suppen entstammen<br />

der chemischen Laborküche. Guten Appetit.<br />

Eine neue Verunsicherung<br />

Seit Anfang des Jahres kommen bestrahlte,<br />

genmanipulierte oder imitierte Lebensmittel<br />

unkontrolliert in unsere Supermärkte. Zwar<br />

besteht in Deutschland das Verbot der<br />

Bestrahlung weiter, aber dank der Öffnung<br />

des EG-Binnenmarktes können so behandelte<br />

Waren unkontrolliert importiert werden.<br />

Eigentlich hatten sich <strong>die</strong> Eurokraten bis zum<br />

Jahreswechsel darauf einigen wollen, daß<br />

radioaktiv bestrahlte Lebensmittel in allen<br />

Mitgliedsstaaten deutlich gekennzeich<strong>net</strong><br />

sein müssen. Das ist ihnen bis jetzt aber<br />

nicht gelungen. Und so kaufen wir VerbraucherInnen,<br />

ohne es zu wissen, herrlich frisch<br />

aussehende Lebensmittel, <strong>die</strong> womöglich<br />

schon Wochen alt sind. Weil man Strahlen<br />

nun mal weder sieht, noch schmeckt, noch<br />

riecht, landen jetzt Garnelen aus Frankreich<br />

in unserem Einkaufskorb, <strong>die</strong> durch Radonbestrahlungen<br />

keimfrei gemacht wurden,<br />

Zwiebeln, Knoblauchzehen und Kartoffeln<br />

aus Italien, <strong>die</strong> ewig trieblos bleiben, und<br />

durch Bestrahlung gereinigte Kräuter und<br />

Gewürze aus Dänemark.<br />

Es gibt keine Beweise dafür, daß <strong>die</strong>se<br />

bestrahlten Lebensmittel gefährlich sind.<br />

Manche mögen es sogar besser finden,<br />

keimfreie Garnelen zu essen als vielleicht<br />

bakterienverseuchte aus einem verdreckten<br />

Meer. Laut Weltgesundheitsbehörde sind<br />

solche Waren unschädlich. Auch das Bundesgesundheitsamt<br />

gibt Entwarnung für<br />

jene, <strong>die</strong> bei Strahlen sofort an Krebs denken.<br />

Die Angst davor sei unbegründet.<br />

„Novel-Food“: was steckt dahinter?<br />

Erheblich weniger als über bestrahlte<br />

Lebensmittel weiß man über jene, <strong>die</strong> per<br />

Gentechnik auf längere Haltbarkeit, schnelleres<br />

Wachsen, intensiven Geschmack oder<br />

Insektenresistenz getrimmt werden. Sie tragen<br />

den schönen Namen „Novel-Food“ (=<br />

neuartige Lebensmittel). Niemand kann bisher<br />

mit Sicherheit sagen, wie sich <strong>die</strong> genmanipulierten<br />

Mikroorganismen auf Mensch<br />

und Umwelt auswirken.<br />

Die Hessische Landesregierung steht dem<br />

Einsatz von gentechnisch erzeugten Stoffen<br />

kritisch gegenüber. Sie will sich, so steht es<br />

auch in der Broschüre, für eine entsprechende<br />

Kennzeichungspflicht einsetzen und vertritt<br />

<strong>die</strong> Auffassung, daß den Verbraucher-<br />

Innen <strong>die</strong>se Informationen zustehen. Doch<br />

das ist Zukunftsmusik, denn <strong>die</strong> EG diskutiert<br />

auch darüber noch. Der jüngste EG-<br />

Kommissionsentwurf sieht über<strong>die</strong>s keine<br />

Kennzeichnung vor.<br />

Die Novel-Food-Lebensmittel wachsen unterdessen<br />

in vielen EG-Laboren auf Steinwolle<br />

oder Kunststoff-Folien; sie werden umspült<br />

von Nährstofflösungen, besprüht mit<br />

Insektiziden, beschienen von Kunstsonne –<br />

vierundzwanzig Stunden am Tag. Geerntet<br />

werden <strong>die</strong> Früchte, <strong>die</strong> sich alle wie <strong>die</strong> eineiigen<br />

Zwillinge gleichen, zunehmend von<br />

Robotern.<br />

Nie mehr Hunger?<br />

Die Gentechnik, so <strong>die</strong> Wissenschaftler,<br />

verspricht Lösungen, wenn sich<br />

bei der industriellen Produktion von<br />

Lebensmitteln Probleme stellen: so<br />

können dank englischer Wissenschaftler<br />

genmanipulierte polygalacturonase-freie<br />

Tomaten (<strong>die</strong>ses<br />

Enzym führt zum Matschigwerden)<br />

reif geerntet und trotzdem<br />

Tausende von Kilometern transportiert<br />

werden.<br />

Hauptziel der Genforschung,<br />

so wird ins Feld<br />

geführt, sei nicht so sehr<br />

<strong>die</strong> Ertragssteigerung –<br />

<strong>die</strong> ist wohl nur ein <strong>net</strong>ter<br />

Nebeneffekt? –, sondern das<br />

Ziel, Lebensmittel gegen Krankheitserreger<br />

resistent zu machen.<br />

In Holland kümmern sich<br />

Wissenschaftler um <strong>die</strong><br />

Bintje-Kartoffel. Sie wollen<br />

<strong>die</strong> Knolle gegen das Y-Virus<br />

widerstandsfähig machen – bis<br />

zu 80 Prozent der Kartoffelernten<br />

werden zuweilen von <strong>die</strong>sem Krankheitserreger<br />

zerstört („Folio“ der Neuen Züricher Zeitung,<br />

Feb. 93).<br />

Heute entzieht sich fast keine Nutzpflanze<br />

mehr dem verändernden Zugriff des Gentechnikers:<br />

über 40 sind bereits manipuliert<br />

worden, vom Tabak zum Mais oder Reis.<br />

Bei der Joghurtproduktion reichen <strong>die</strong><br />

Visionen der Forscher bis zum Einbau<br />

von Genen für Fruchtgeschmack,<br />

etwa Ananas, Erdbeere, Aprikose<br />

oder Banane. Dies würde<br />

nachträglich untergemischte<br />

(natürliche oder naturidentische)<br />

Aromastoffe überflüssig<br />

machen. Fruchtjoghurts ohne<br />

Früchte – welch Wunder der<br />

Technik. Ob wir <strong>die</strong>se Technik-<br />

Segnungen wirklich brauchen?<br />

Die Vorteile für <strong>die</strong> Produzenten<br />

liegen auf der Hand: Wenn Obst<br />

und Gemüse äußerlich unbeschadet<br />

länger gelagert werden können,<br />

wird weniger wegge-<br />

Frisch<br />

aus dem Labor<br />

Bestrahlte und<br />

gentechnisch<br />

veränderte Lebensmittel<br />

erobern seit<br />

Öffnung des<br />

EG-Binnenmarktes<br />

unsere Supermärkte.<br />

Niemand weiß<br />

heute, wie sich<br />

<strong>die</strong> manipulierten<br />

Mikroorganismen<br />

auf Mensch und<br />

Umwelt auswirken<br />

schmissen. Das verkennt aber <strong>die</strong> Realität:<br />

Heute werden Millionen Tonnen Lebensmittel<br />

jährlich in der EG vernichtet, nicht etwa, weil<br />

sie verdorben sind, sondern aus marktwirtschaftlichen<br />

Gründen. Wenn Fische schneller<br />

wachsen, können teure Rohstoffe gespart<br />

werden, lautet ein anderes Argument der Verfechter.<br />

Gentechniker sprechen sogar davon,<br />

den Hunger der Welt zu stillen. Die Fachleute<br />

urteilen fast einhellig: Novel-Food sei gesund<br />

und würde schmecken.<br />

Unwägbare Risiken<br />

Der „Spiegel“ (15/93) schreibt dagegen:<br />

„Was da an lebenden Mikroorganismen in<br />

<strong>die</strong> Gedärme rutscht, birgt ein unabweisbares<br />

Gefahrenpotential. Seit einiger Zeit erst<br />

wissen <strong>die</strong> Molekularbiologen, daß einige<br />

Bakterien <strong>die</strong> Fähigkeit haben, ihr Erbgut auf<br />

andere Einzeller zu übertragen … Da fast alle<br />

genmanipulierten Einzeller aus labortechnischen<br />

Gründen mit Antibiotikaresistenzgenen<br />

ausgestattet werden müssen, fürchten<br />

<strong>die</strong> Gegner der Gentechnik eine unheilvolle<br />

Allianz: Die verspeisten Genorganismen<br />

wandern Richtung Darmflora, treffen dort<br />

auf menschliche Krankheitskeime und<br />

stecken ihnen <strong>die</strong> Abwehrformel gegen Antibiotika<br />

zu. Aus medizinisch leicht zu<br />

bekämpfenden Plagen könnten theoretisch<br />

neue unheilbare Krankheiten entstehen – für<br />

Mediziner eine Horrorvision.“<br />

Trotz alledem: in der Bundesrepublik wird<br />

schon kräftig geforscht. In Braunschweig<br />

bei der „Deutschen Sammlung von<br />

Mikroorganismen und Zellkulturen“<br />

lagern 10.000<br />

Arten von<br />

Lebewesen<br />

– Kunst-<br />

geschöpfe<br />

etwa <strong>zur</strong><br />

Herstellung von<br />

immerknusprigem<br />

Brot (Spiegel ).<br />

Nordrhein-Westfalen hat<br />

jetzt (FR 6.5.) erfolgreich<br />

<strong>die</strong> Zulassung von Käse verhindert,<br />

der mit dem gentechnisch<br />

hergestellten Labferment<br />

Chymosin produziert<br />

wird. Die Firma Lorenz<br />

aus Unna, <strong>die</strong> das vom<br />

Unternehmen Gist-Brocades<br />

hergestellte Chymosin<br />

in Deutschland vertreiben<br />

wollte, hat deshalb<br />

vorerst auf <strong>die</strong>ses<br />

Vorhaben verzichtet.<br />

Das Umweltmini-<br />

sterium<br />

argumentierte, daß in<br />

Deutschland <strong>die</strong> Akzeptanz<br />

der Verbraucher für solch genmanipulierten<br />

Käse fehle. Ein Teilerfolg<br />

– wenn auch zu vermuten ist, daß<br />

<strong>die</strong>ser im Ausland produzierte Käse schon<br />

längst bei uns im Handel ist. So werden Schätzungen<br />

zufolge etwa schon 50 Prozent vor<br />

allem der Hartkäse in den USA (Italien 20 Prozent)<br />

mit Chymosin produziert. Ein Sprecher<br />

des hessischen Gesundheitsministeriums<br />

räumte gegenüber der „FR“ ein, daß <strong>die</strong> Auseinandersetzung<br />

um <strong>die</strong> Zulassung des Chymosins<br />

auch eine politische Dimension besitzt<br />

– es hätte eine „Türöffnerfunktion für <strong>die</strong><br />

ganze Bundesrepublik“ gehabt.<br />

Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 5<br />

Freilandversuche genehmigt<br />

Mitte April hat das Bundesgesundheitsamt<br />

erstmals drei Freilandversuche mit gentechnisch<br />

veränderten Nahrungsmitteln genehmigt<br />

– trotz insgesamt über 3.000 Einwendungen<br />

aus ethischen, religiösen oder wissenschaftlichen<br />

Gründen (taz vom 10.5.).<br />

Das „Institut für genbiologische Forschung“<br />

in Berlin darf zwei auf zwei Jahre begrenzte<br />

Versuche mit gentechnisch veränderten Kartoffeln<br />

unternehmen und <strong>die</strong> Firma Planta<br />

einen Versuch mit Zuckerrüben. Geprüft<br />

werden derzeit zwei weitere Anträge von der<br />

Technischen Uni München – für Mais und<br />

Reis. Weltweit soll es heute über 1.100 solcher<br />

Versuche auf rund 1.500 Feldern geben.<br />

Auf dem Klostergut Wetze in Niedersachsen,<br />

wo rund 100 Mitarbeiter der Kleinwanzlebener<br />

Saatzucht (KWS) aus Einbeck angefangen<br />

haben, gentechnisch manipulierte Kartoffeln<br />

zu pflanzen, gab es bereits einen Zwischenfall:<br />

Die seit sechs Wochen neben den<br />

Versuchsfeldern campierenden GegnerInnen<br />

sollen, laut „taz“, von KWS-Arbeitern brutal<br />

<strong>zur</strong>ückgeworfen und auf übelste Weise<br />

beschimpft worden sein.<br />

Bisher, so heißt es offiziell, haben noch keine<br />

deutschen Firmen gentechnisch hergestellte<br />

Lebensmittel auf den Markt gebracht. Doch,<br />

wie gesagt, solche Waren lagern auch hier<br />

längst im Supermarkt.<br />

Auch <strong>die</strong> Hoechst AG unternimmt Anstrengungen,<br />

mit Hilfe der Gentechnik <strong>die</strong> gewerbliche<br />

Herstellung von Humaninsulin in<br />

Deutschland zu etablieren. Ein Antrag ist<br />

kurz vor Ostern gestellt worden. Der „Bund<br />

der pharmazeutischen Industrie“ hat kürzlich<br />

in Berlin eine Pressekonferenz zum Thema<br />

„Verpaßt Deutschland <strong>die</strong> Gentechnik?“ veranstaltet<br />

(taz vom 28. April). Tenor: Die<br />

Techniker könnten ja noch viel mehr Projekte<br />

in Angriff nehmen, wenn man sie nur ließe.<br />

Vom verpaßten Weltanschluß war da <strong>die</strong><br />

Rede, Deutschland gerate ins Hintertreffen.<br />

Der Bundestag plant mit Blick auf <strong>die</strong> Chemie-Lobby<br />

eine Novellierung des Gentechnikgesetzes<br />

und begründet <strong>die</strong>s damit, daß<br />

<strong>die</strong> derzeitige Verfahrensdauer für <strong>die</strong> Genehmigung<br />

gentechnischer Anlagen eine Gefährdung<br />

des Forschungs- und Wirtschaftsstandortes<br />

Deutschland darstelle.<br />

Das hessische Umweltministerium lehnt <strong>die</strong>se<br />

Novelle ab. In einer Presseinfo (vom<br />

14.4.) heißt es: „Die Analyse der jüngsten<br />

Störfälle in verschiedenen Produktionsbereichen<br />

der Firma Hoechst zeigt<br />

jedoch, daß eine Gefährdung des Industriestandortes<br />

… letztlich ausschließlich<br />

in der Nicht-Beherrschung von Gefahrenpotentialen<br />

zu suchen ist. Diese …<br />

stellt eine akute Gesundheitsgefährdung<br />

von Beschäftigten und Anwohnern in der<br />

dichtbesiedelten Bundesrepublik dar.“ Das<br />

Schreiben schließt: „Der Zweck des Gentechnikgesetzes,<br />

Leben und Gesundheit von Menschen,<br />

Tieren, Pflanzen sowie <strong>die</strong> sonstige<br />

Umwelt vor möglichen Gefahren zu schützen<br />

und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen,<br />

wird mit dem vorliegenden Novellierungsentwurf<br />

der Bundesregierung nicht<br />

erfüllt.“<br />

In <strong>die</strong>se Argumentationskette reiht sich auch<br />

das „Katalyse-Institut“ in Köln ein. Arno Todt<br />

sagte gegenüber <strong>die</strong>ser Zeitung, eine Kennzeichnungspflicht<br />

für genmanipulierte und<br />

bestrahlte Lebensmittel würde von ihnen<br />

absolut gefordert. Auch den jetzt genehmigten<br />

Freilandversuchen stehe das Institut kritisch<br />

gegenüber: „Die Wissenschaft ist nicht<br />

in der Lage, <strong>die</strong> Folgen solcher Versuche<br />

abzuschätzen, deshalb ist eine Lockerung<br />

nicht zu verantworten.“<br />

Wer stoppt<br />

<strong>die</strong> Wissenschaftler? Wir!<br />

Die Wissenschaftler wollen forschen, alles,<br />

was möglich ist, auch ausprobieren. Daß das<br />

nicht immer zum Wohl der Menschheit<br />

ist, wissen wir spätestens seit Erfindung<br />

der Atomwaffe. Was wollen<br />

wir? An der Entwicklung von Novel-<br />

Food sind wir VerbraucherInnen<br />

nicht ganz unschuldig. Fragen Sie<br />

sich selbst: Wie oft greifen Sie zum<br />

perfekt gestylten Gemüse?<br />

Doch immer mehr Menschen denken um<br />

und decken sich beim Erzeuger selbst ein.<br />

Ob das Schule macht? Solange gentechnisch<br />

veränderte Lebensmittel nicht als solche<br />

gekennzeich<strong>net</strong> werden, ist <strong>die</strong>s <strong>die</strong> einzige<br />

Möglichkeit, sie vom Essenstisch zu<br />

verbannen. <strong>Nur</strong> so könnten auch <strong>die</strong> Produzenten<br />

<strong>zur</strong> Umkehr gezwungen werden –<br />

denn langfristig werden nur solche Waren<br />

produziert, <strong>die</strong> zu verkaufen sind.<br />

Eva Bredow<br />

Über „Katalyse“ in Köln ist <strong>die</strong> Broschüre<br />

„EG-Grenzenlos kulinarisch“ für 15 Mark zu<br />

beziehen: Mauritiuswall 24-26, 5000 Köln 1.<br />

„Schadstoffe in der Nahrungskette“ kann<br />

kostenlos angefordert werden: beim Hess.<br />

Landwirtschaftsministerium, Hölderlinstr. 1-3,<br />

6200 Wiesbaden, Telefon 06 11 / 8 17 23 94


Darmstadt<br />

soll wiedererstehen<br />

Ein Stück Aufbau und der Entzug von Lebensmittelkarten<br />

Der Darmstädter Architekt Philipp Benz schildert<br />

Erlebnisse aus der Nachkriegszeit und seine<br />

Erfahrungen mit der fehlgelaufenen Entnazifizierung<br />

„Darmstadt soll wiedererstehen“, war der<br />

Wunsch aller Bürger der Stadt und der auf<br />

ihren Zuzug Wartenden in den Landgemeinden,<br />

am Kriegsende. <strong>Nur</strong> <strong>die</strong> Familien, <strong>die</strong><br />

eine Wohnung nachweisen konnten, durften<br />

in ihre Heimatstadt <strong>zur</strong>ückkehren. In der Innenstadt<br />

waren <strong>die</strong> ehemals breiten Straßen<br />

zu schwer begehbaren Trampelpfaden<br />

geschrumpft und nur notdürftig geräumte<br />

Häuser-Ruinen waren schwer zugänglich. Es<br />

war unmöglich, Instandsetzungsarbeiten,<br />

vor allem an weniger beschädigten Gebäuden,<br />

vorzuziehen. Die Bürgerausschüsse in<br />

der Stadt und den Vororten Arheilgen und<br />

Eberstadt vorwiegend Sozialdemokraten und<br />

Kommunisten waren sich mit dem damaligen<br />

Oberbürgermeister Ludwig Metzger<br />

einig, daß für den Neubeginn eine radikale<br />

und umfassende Aktion erforderlich sei.<br />

Das Ergebnis der gemeinsamen Beratungen<br />

war der Aufruf vom 6. Mai 1946: „Darmstadt<br />

soll wieder erstehen. Wir setzen alle Kräfte<br />

dafür ein, daß unsere Vaterstadt leben kann.<br />

Mancherlei ist bereits geschehen. Die ersten<br />

Trümmerhaufen in unserer Stadt sind zum<br />

Teil beseitigt. Leben kann wieder pulsieren.<br />

Aber es ist noch nicht genug geschehen.<br />

Jeder Arbeitsfähige muß helfen, daß wir weiterkommen.<br />

Die Bevölkerung wird aufgefordert,<br />

sich an dem Gemeinschaftswerk (…)<br />

mit aller Kraft zu beteiligen. Es ist eine Ehre,<br />

sich für unsere Stadt einzusetzen.“<br />

Entzug von Lebensmittelkarten<br />

Von den 8 Punkten des Aufrufes, ver<strong>die</strong>nen<br />

zwei besondere Beachtung: Punkt 1 verpflichtet<br />

„jeden Einwohner und jeden in der<br />

Stadt Beschäftigten männlichen Geschlechts<br />

im Alter von 16 bis einschließlich 60 Jahren“,<br />

Arbeit im Interesse des Wiederaufbaus der<br />

Stadt zu leisten. Es ist vorgesehen, daß jeder<br />

mindestens einen Tag pro Monat arbeitet.<br />

„Ausgenommen von der Arbeitspflicht sind<br />

Kriegsversehrte der Versehrtenstufe II und<br />

III und alle im Baugewerbe Tätigen. Im Zweifelsfalle<br />

entscheidet das städtische Tiefbauamt.“<br />

Unterlagen (für eine Freistellung) sind<br />

<strong>die</strong>sem Amt vorzulegen.<br />

Punkt 3 informiert unmißverständlich über<br />

<strong>die</strong> Folgen von Arbeitsverweigerung: „Bei der<br />

Ausgabe von Lebensmittelkarten ist <strong>die</strong> Kontrollkarte<br />

ohne Anfordern vorzulegen, und<br />

zwar erstmals bei der Ausgabe <strong>zur</strong> neunzigsten<br />

Zuteilungsperiode. Lebensmittelkarten<br />

werden an Arbeitsverpflichtete nur dann ausgegeben,<br />

wenn <strong>die</strong> Arbeitsleistung oder <strong>die</strong><br />

Befreiung von der Arbeitsverpflichtung in der<br />

Kontrollkarte vermerkt ist.“<br />

Der Aufruf findet <strong>die</strong> Zustimmung der Darmstädter<br />

Bevölkerung, auch <strong>die</strong> Drohung des<br />

Lebensmittelkarten-Entzugs wird billigend in<br />

Kauf genommen.<br />

Gezeich<strong>net</strong> war <strong>die</strong>ser Aufruf von dem Sozialdemokraten<br />

Zinnkann, von dem Christdemokraten<br />

von Brentano, für <strong>die</strong> kommunistische<br />

Partei unterschrieb Wörtge, <strong>die</strong> Industrie-<br />

und Handelskammer Darmstadt war<br />

vertreten von Dr. Hüfner, <strong>die</strong> Handwerkskammer<br />

von Gisbert und <strong>die</strong> Zentralgewerkschaft<br />

Darmstadt von A. Mayer, außerdem<br />

unterstützten <strong>die</strong> Pfarrer Weinberger und Dr.<br />

Michel den Aufruf.<br />

Der Wille aller Parteien<br />

Die Praxis der Räumaktion war jedoch nicht<br />

so, wie Ludwig Metzger sie in seinen Erinnerungen<br />

(Darmstädter Echo vom 17. März<br />

1992) beschrieb: „Ich entschloß mich, <strong>die</strong><br />

gesamte männliche Bevölkerung zwischen<br />

16 und 60 Jahren auf<strong>zur</strong>ufen, sich an der<br />

Räumung der Straßen der Stadt zu beteiligen.“<br />

Der oben zitierte Aufruf entsprach zwar<br />

dem öffentlich bekundeten Willen aller Parteien,<br />

doch <strong>die</strong> Praxis entwickelte sich<br />

anders.<br />

„Nicht jeder wollte sich <strong>die</strong> Finger<br />

schmutzig machen“<br />

Die spätere Weigerung von Verpflichteten an<br />

der Trümmerräumung hatte gewichtige<br />

Gründe, <strong>die</strong> auch Oberbürgermeister Ludwig<br />

Metzger mitzuverantworten hatte. Der Protest<br />

erhob sich nicht wegen schmutziger Finger<br />

oder ungewohnter körperlicher Arbeit,<br />

sondern weil Leute, <strong>die</strong> sich während der<br />

Naziherrschaft <strong>die</strong> Hände schmutzig gemacht<br />

hatten, sich durch fadenscheinige<br />

Freistellungsbescheide dem Arbeitseinsatz<br />

entzogen. Beziehungen und behördliche Duldung<br />

ermöglichten <strong>die</strong>se Drückebergerei.<br />

Ich war mit als erster aufgerufen, dem auch<br />

von mir gebilligten Arbeitseinsatz nachzukommen.<br />

Dabei fiel nicht nur mir, sondern<br />

auch dem Vater des heutigen Bürgermeisters,<br />

Peter Heinrich Benz, auf, daß nicht<br />

wenige ehemalige prominente Nazis, uns<br />

namentlich bekannt, abwesend waren. Nachfragen<br />

bestätigten den Verdacht, daß <strong>die</strong>se<br />

Leute als unabkömmlich oder mit den schon<br />

erwähnten Freistellungsbescheiden als entschuldigt<br />

galten.<br />

Bei dem ersten Einsatz beließen wir es bei<br />

einem Protest, den der Einsatzleiter vom<br />

Tiefbauamt ungerührt entgegennahm. Als<br />

aber beim zweiten Einsatz wieder <strong>die</strong> uns<br />

bekannten ehemaligen „Hoheitsträger“ fehl-<br />

ten, blieb es nicht nur bei einer nachdrücklichen<br />

Intervention, wir stellten außerdem in<br />

Aussicht, <strong>die</strong> Arbeit zu verweigern. Mittlerweile<br />

hatten sich unserem Protest auch<br />

andere Arbeitswillige angeschlossen. Offensichtlich<br />

gab es wieder Privilegierte und<br />

Begünstigte. Methoden, <strong>die</strong> nicht nur wir,<br />

sondern auch <strong>die</strong> Mehrzahl der Bevölkerung<br />

nach zwölfjähriger Naziherrschaft nicht mehr<br />

bereit waren hinzunehmen.<br />

Die Beweise<br />

Nach der ersten Kommunalwahl am 26. 5.<br />

1946 scheiterten <strong>die</strong> Kommunisten an der<br />

damals noch gültigen 15 %-Hürde, dennoch<br />

wurde ich als deren Vertreter mit Sitz und<br />

Stimme in den Bauausschuß der Stadtverord<strong>net</strong>en-Versammlung<br />

delegiert. Wir hatten<br />

<strong>die</strong> Aufgabe, Grundsatzfragen, <strong>die</strong> den Wiederaufbau<br />

berührten, wie Eigentum an Grund<br />

und Boden und <strong>die</strong> von der Verwaltung vorgelegten<br />

Bebauungs-Fluchtlinien, zu beraten.<br />

So war es mir möglich, <strong>die</strong> Listen des<br />

aufsichtsführenden Bauleiters des Tiefbauamtes<br />

einzusehen, um konkrete Beweise zu<br />

erhalten. Heinrich Benz war stellvertretender<br />

Betriebsratsvorsitzender bei Merck und<br />

gewann Kenntnisse über Freistellungen in<br />

seinem Umfeld, mit denen wir dann unsere<br />

Verweigerung für <strong>die</strong> Arbeitseinsätze<br />

begründeten.<br />

Entzug von Lebensmittelkarten<br />

Bei der nächsten Ausgabe von Lebensmittelkarten<br />

wurden wir und alle, <strong>die</strong> sich unserer<br />

Aktion angeschlossen hatten, gesperrt. Die<br />

Verantwortlichen, einschließlich des Oberbürgermeisters<br />

Ludwig Metzger, dachten<br />

nicht daran, unseren Vorwürfen nachzugehen<br />

gar für Abhilfe zu sorgen. Das zog Folgen<br />

nach sich, mit denen er nicht gerech<strong>net</strong><br />

hatte. Er glaubte sich im Recht, wenn er<br />

gleich das letzte Druckmittel einsetzte, um<br />

uns zu disziplinieren. Nun waren wir<br />

gezwungen, uns zu wehren. Der Öffentlichkeit<br />

mußten unsere Beweggründe erklärt<br />

werden, und rechtliche Schritte sollten <strong>die</strong><br />

Sachlage klären. Die Begleitumstände des<br />

Lebensmittelkartenentzugs hatten schon für<br />

genügend Aufsehen gesorgt, und <strong>die</strong><br />

Rechtslage konnte nur in Wiesbaden bei der<br />

Hessischen Landesregierung geklärt werden.<br />

Mit <strong>die</strong>ser Aufgabe wurden Friedrich<br />

Avemarie und ich beauftragt. Unser<br />

Ansprechpartner war Innenminister Zinnkann,<br />

dem wir unsere Beschwerden und <strong>die</strong><br />

Sachlage vortrugen. Wir schilderten <strong>die</strong><br />

Ursachen des Konflikts, der durch <strong>die</strong><br />

Ignoranz der Darmstädter Verwaltung<br />

einschließlich des Oberbürgermeisters entstanden<br />

war. Nachdrücklich forderten wir<br />

Gleichbehandlung, denn der Aufruf hatte alle<br />

Bürger, gleich welchen Standes oder Ranges,<br />

nicht nur Arbeiter und Arbeitslose, ein-<br />

bezogen. Nach langer Verhandlung erhielten<br />

wir ein vom Staatssekretär verfaßtes und<br />

vom Minister unterzeich<strong>net</strong>es Schreiben an<br />

Oberbürgermeister Metzger, in dem ihm mitgeteilt<br />

wurde, daß der Lebensmittelkartenentzug<br />

ungesetzlich und sofort rückgängig<br />

zu machen sei.<br />

Das Wohl der Stadt steht obenan<br />

Durch ihre Nazivergangenheit belastete Spitzenbeamte<br />

konnten in versteckten Büros,<br />

wie dem damaligen Holzhof in der Kasinostraße,<br />

auf ihre Rehabilitierung warten.<br />

Oberbürgermeister Metzger fand <strong>die</strong>se<br />

Methoden entschuldbar, wenn er von sich<br />

sagte: „... aber ich mache keinen Hehl daraus,<br />

daß ich bei Entscheidungen das Wohl<br />

der Stadt höher veranschlagte als Bestimmungen.”<br />

Es darf gefragt werden, wessen<br />

Wohl er förderte.<br />

Trotz <strong>die</strong>ser bekannten Sachlage engagierten<br />

sich viele der in der Naziherrschaft Verfolgten<br />

und Benachteiligten in Verwaltungen und<br />

Betrieben. In allen Bereichen arbeiteten Sozialdemokraten,<br />

Christen und Kommunisten<br />

gemeinsam in der ersten hessischen Regierung,<br />

in den Landkreisen und Kommunen,<br />

um <strong>die</strong> dringendsten Probleme zu bewältigen.<br />

Gegenseitiger Austausch von Grußadressen<br />

bei Veranstaltungen der beiden<br />

Arbeiterparteien gehörten zum Ritual und<br />

erweckten Erwartungen, <strong>die</strong> aber bald versandeten.<br />

Die Folge war eine langsam sich<br />

vollziehende Entfremdung, deren Ursachen<br />

auf einer höheren Ebene lagen.<br />

Die Führung der SPD unter Kurt Schuhmacher<br />

grenzte sich gegenüber den Kommuni-<br />

Bilder von links nach<br />

rechts:<br />

Darmstadts Altstadt nach<br />

der Bombar<strong>die</strong>rung 1944.<br />

Daneben der Aufruf der<br />

Parteien, Kammern,<br />

Gewerkschaften und Kirchen<br />

zum Wiederaufbau<br />

Bild rechts: Trümmerfrauen<br />

und -männer bei ihrer<br />

Arbeit.<br />

Alle Abbildungen sind<br />

entnommen aus „Darmstadts<br />

Geschichte“, Gesamtredaktion<br />

Eckhard G. Franz,<br />

Eduard Roether Verlag<br />

Darmstadt, 1984)<br />

Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 6<br />

sten ab und verweigerte mit Hilfe der westlichen<br />

Militärregierungen Kontakte mit ihren<br />

Genossen aus den Ostgebieten. Nach und<br />

nach verschwanden Kommunisten aus den<br />

Verwaltungen, manche gingen freiwillig,<br />

andere wurden gegangen; auch in Darmstadt<br />

war es nicht anders.<br />

Die Großen ließ man laufen<br />

In den Spruchkammern, <strong>die</strong> sich nach der<br />

Verkündung des Gesetzes <strong>zur</strong> Befreiung vom<br />

Nationalsozialismus konstituierten, waren<br />

KPD-Mitglieder, wie andere Parteiangehörige<br />

auch, Vorsitzende, Ankläger, Ermittler<br />

und Beisitzer. Die Beschuldigten waren nach<br />

fünf Kategorien einzuordnen: Hauptschuldige,<br />

Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und<br />

Nichtbetroffene. Daß mit Hilfe <strong>die</strong>ser Spruchkammern<br />

eine befriedigende Entnazifizierung<br />

möglich sei, stellte sich bald als Illusion<br />

heraus. Persilscheine, gefälschte Fragebögen<br />

und gekaufte Zeugen ließen Altnazis in<br />

der Regel ungeschoren. Die kleinen Rädchen<br />

im faschistischen Getriebe, wie Briefträger<br />

oder Schrankenwärter, erschienen meist<br />

ohne rechtlichen Beistand und kamen deshalb<br />

nicht so glimpflich davon. In aller Deutlichkeit<br />

konnte jeder sehen, wohin <strong>die</strong> Reise<br />

ging: Die Großen ließ man laufen, <strong>die</strong> Kleinen<br />

wurden bestraft. Aus <strong>die</strong>sem Grunde stellten<br />

<strong>die</strong> Kommunisten ihre Mitarbeit in den<br />

Spruchkammern ein, um nicht mitschuldig<br />

an einer Entwicklung zu werden, <strong>die</strong> nicht<br />

mehr aufzuhalten war.<br />

Philipp Benz


Begriffe sind bisweilen höchst zwielichtige<br />

Gestalten: zum einen erscheinen<br />

sie unabdingbar, um Erfahrungen<br />

gedanklich verarbeiten und sprachlich ausdrücken<br />

zu können, und zum anderen beinhalten<br />

sie stets auch den listigen Stolperstein<br />

einer wertenden Beurteilung, <strong>die</strong> in<br />

jedem Begriff zwar unbewußt, doch aufgrund<br />

kultureller Überlieferung steckt. Ein<br />

treffliches Beispiel aus dem Bereich der<br />

Völkerkunde: Der Sammelbegriff „Indianer“,<br />

der alle eingeborenen Völker des amerikanischen<br />

Kontinents vom Nordpol bis<br />

fast hinunter zum Südpol charakterisieren<br />

soll. Als <strong>die</strong>ser Begriff eher zufällig entstand,<br />

da Kolumbus 1492 glaubte, In<strong>die</strong>n<br />

entdeckt zu haben und <strong>die</strong> Menschen des<br />

Landes „Indios“ nannte, während Amerika<br />

nach dem Seefahrer Amerigo Vespucci<br />

benannt wurde, war bereits ein konträres<br />

Begriffspaar geprägt. „Indianer“ für das alte<br />

Volk und „Amerika“ für das neue Land und<br />

seine Eroberer stehen sich seitdem<br />

gespannt gegenüber wie Katz und Maus.<br />

Man mag heute noch beim Wort Indianer<br />

zunächst an den mörderischen Missionarseifer<br />

der frühen Landerbeuter denken,<br />

bevor <strong>die</strong> romantischen Vorstellungen von<br />

Büffeljagd und Lagerfeuer aufkommen.<br />

Aber auch der Begriff der „Native Americans“,<br />

mit dem Aktivisten für bedrohte ethnische<br />

Minderheiten <strong>zur</strong> Abgrenzung gegen<br />

<strong>die</strong> offiziellen Jubiläumsfeiern des Kolumbusjahres<br />

aufwarteten, erscheint den Betroffenen<br />

ebenso von unserer Kultur aufoktroyiert,<br />

wie er recht unscharf bleibt. Ein<br />

Latoka oder ein Pueblo wird sich zunächst<br />

selbst über seine Stammeszugehörigkeit begreifen,<br />

während er alle anderen Stämme in<br />

Abgrenzung gegen <strong>die</strong> weiße Kultur durchaus<br />

als „indianisch“ bezeichnen würde.<br />

Insofern dürfte <strong>die</strong> Ausstellung der <strong>die</strong>sjährigen<br />

Ingelheimer internationalen Tage<br />

den allgemeinen Bemühungen um eine<br />

späte Gerechtigkeit nachkommen und <strong>die</strong><br />

Sprache von „den Indianern in Nordamerika“<br />

keineswegs diskriminierend sein –<br />

zumal man im Alten Rathaus ein vielschichtiges<br />

Panorama der unterschiedlichen Kulturen<br />

skizziert. Es läßt ebenso Raum für <strong>die</strong><br />

klischeehaften Vorstellungen der Europäer<br />

wie für <strong>die</strong> Historie und <strong>die</strong> Gegenwart der<br />

Indianer. Erfreulich stimmen auch <strong>die</strong> überlegte<br />

und ansprechende Gestaltung des<br />

begrenzten Raumes und <strong>die</strong> eingehende,<br />

doch nie schulmeisterliche Didaktik der<br />

Ausstellung.<br />

FEUILLETON I<br />

Federgeschmückte Coyoten<br />

in Turnschuhen<br />

Begegnung mit der indianischen Kultur bei den „Internationalen Tagen“ in Ingelheim<br />

Das Bild des edlen, rothäutigen Wilden, der<br />

zu Pferde durch <strong>die</strong> Prärie reitet und dessen<br />

Kopfschmuck aus Adlerfedern vom Kampfesmut<br />

im Krieg der Stämme gegeneinander<br />

kündet, ist in Ingelheim in Form kolorierter<br />

Kupferdrucke von Karl Bodmer<br />

belegt, der 1832 zu einer Exkursion zu den<br />

Plain- und Prärieindianern aufbrach, und<br />

dessen illustrierter Reisebericht den<br />

Europäern <strong>die</strong> erste authentische Darstellung<br />

vom Leben der Rothäute vermittelte.<br />

Interessanterweise wird <strong>die</strong> leise Vorstellung<br />

von Abenteuer und Freiheit durch <strong>die</strong><br />

exzellenten Schaustücke aus dem reichen<br />

Fundus der Berliner und Berner Völkerkundemuseen<br />

eher genährt, bestätigen uns <strong>die</strong><br />

wuchtige Bärenkrallenkette, <strong>die</strong> bunten,<br />

perlenbestickten Mokassins und Westen<br />

oder das bemalte Schild der Sioux eher in<br />

unserer wunschhaften Vorstellungswelt,<br />

als daß sie kritische Reflexion gebieten.<br />

Von hier führt geradezu ein roter Faden zu<br />

dem lauten Klischeebild des Indianers auf<br />

den Filmplakaten von „Lederstrumpf“ und<br />

von „Der mit dem Wolf tanzt“. Wie ernsthaft<br />

erscheinen dagegen <strong>die</strong> Portraitfotos, <strong>die</strong><br />

Edward Sheriff Curtis gleich nach der Jahrhundertwende<br />

von rund achtzig Indianerstämmen<br />

anfertigte und deren stumme,<br />

von Falten wie vom Leben gezeich<strong>net</strong>e<br />

Gesichter ein ganz anderes Bild der roten<br />

Männer und Frauen vermitteln.<br />

Vielleicht benötigen wir neue, magische<br />

Eindrücke von der indianischen Kultur, um<br />

liebgewonnene romantische Vorstellungen<br />

zu überdenken oder den philanthropischen<br />

Eifer für <strong>die</strong> ewig bedroht Erscheinenden<br />

als unser eindimensionales Denken zu<br />

begreifen. Konzentrierter und eindrucksvoller<br />

als in Ingelheim lassen sich <strong>die</strong> materiellen<br />

Zeugen einer Kultur kaum vermitteln. In<br />

einem blau ausgeleuchteten Raum stehen<br />

sich drei Stämme gegenüber, verkünden<br />

<strong>die</strong> fragil wirkenden, aus erdig bemaltem<br />

Holz und Federn gefertigten Tanzmasken<br />

der Eskimos aus Alaska von dem Kult der<br />

Schamanen und werfen lange Schlagschatten<br />

wie in der Polarnacht. Mit kräftigen, <strong>die</strong><br />

ganze Fläche überwuchernden Farbornamenten<br />

sind dagegen <strong>die</strong> Tiermasken und<br />

Wappenpfähle der Stämme an der Nordwestküste<br />

bemalt, deren seßhafte und auf<br />

den Fischfang ausgerichtete Lebensweise<br />

in Holzhäusern sich auffällig von dem Bild<br />

des nomadisierenden Jäger unterscheidet.<br />

Ganz mystisch wirken dagegen <strong>die</strong> aus einfachen,<br />

geometrischen Formen konstruierten<br />

Acoma-Figuren der Pueblos aus dem<br />

Südwesten, <strong>die</strong> ebenso wie <strong>die</strong> anderen<br />

ausgestellten Figuren spirituellen Zeremonien<br />

<strong>die</strong>nten.<br />

Man hat <strong>die</strong>se Objekte in Ingelheim ganz<br />

bewußt als ästhetisierende Kunstwerke<br />

ausgestellt und begnügt sich folglich mit<br />

essentiellen, jedoch hinreichenden Erläuterungen.<br />

Die Faszination, <strong>die</strong> von den „primitiven“<br />

Formen <strong>die</strong>ser Kunst auf Protagonisten<br />

der Moderne wie Paul Klee oder Max<br />

Ernst ausging, wurde im vergangenen Jahrzehnt<br />

bereits <strong>zur</strong> Genüge in Ausstellungen<br />

belegt, weshalb <strong>die</strong> fotografische Andeutung<br />

in Ingelheim vollauf befriedigt, ja<br />

selbst <strong>die</strong> ausgestellten Graphikzyklen mit<br />

indianischen Motiven, archaisierend bei<br />

Horst Antes und in verfremdenden Zitaten<br />

bei Andy Warhol, beinahe überflüssig<br />

erscheinen.<br />

Weit interessanter ist <strong>die</strong> kleine Auswahl<br />

moderner indianischer Kunst. Lange Zeit in<br />

Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 7<br />

traditionellen Formen befangen, wie <strong>die</strong><br />

Graphiken einiger Künstler aus British<br />

Columbia belegen, hat <strong>die</strong> indianische<br />

Kunst seit der Gründung des „Institute of<br />

American Indian Arts“ in Santa Fe vor rund<br />

dreißig Jahren zu Neuansätzen finden können.<br />

Genannt seien <strong>die</strong> Stahlplastiken von<br />

Bob Haozous, der Tradition und heutige<br />

Lebenswelt, einen Truck und <strong>die</strong> große<br />

Schlange einander humorvoll gegenüberstellt,<br />

oder <strong>die</strong> Gemälde von Harry Fonseca,<br />

dessen Holzfigur eines Coyoten in Federschmuck<br />

und Turnschuhen fast wie eine<br />

naive Variante der Pop-Art anmutet. Man<br />

mag einwenden, daß <strong>die</strong> Beschäftigung<br />

einiger Indianer mit Folklore und Kunsthandwerk<br />

wenig <strong>zur</strong> Verbesserung des<br />

größtenteils noch elenden Lebens der<br />

Stammesbrüder am Rande der amerikanischen<br />

Gesellschaft beiträgt. Daß jedoch <strong>die</strong><br />

Kunst <strong>die</strong> Spannungen der indianischen<br />

Lebenssituation verdeutlichen kann und<br />

einen eigenständigen Beitrag bei der Suche<br />

nach einer neuen Identität zu leisten vermag,<br />

belegen <strong>die</strong>se Werke in ebenso exemplarischer<br />

wie unpathetischer Weise.<br />

Gerhard Kölsch<br />

Die Ausstellung ist im Alten Rathaus von<br />

Nieder-Ingelheim bis zum 20. Juni,<br />

Di bis So von 10 - 20 Uhr zu sehen,<br />

der Katalog kostet 40 Mark. Ein<br />

ausführliches Begleitprogramm kann unter<br />

Tel. 0 61 32 / 77 43 36 angefordert werden.<br />

Princess Angeline, 1899, Tochter des Häuptlings Seattle, war viele Jahre eine bekannte Figur in<br />

Seattle. Eine der ältesten und berühmtesten Aufnahmen von Edward Sheriff Curtis (Abb.: Katalog) Porträt von Wako’yami, nördlicher Cheyenne (Abb.: Katalog)<br />

Düstere Farbfelder und lyrische<br />

Innenansichten<br />

Wieder einmal bemüht, Darmstädter<br />

Künstler vergangener Jahrzehnte vor<br />

dem kollektiven Vergessen zu retten und<br />

ihre Werke dem Publikum von heute <strong>zur</strong><br />

Diskussion zu stellen, ist der Galerist Claus<br />

Netuschil. Nach einer Präsentation lokaler<br />

Meister der Neuen Sachlichkeit im vergangenen<br />

Jahr versucht er <strong>die</strong>smal, <strong>die</strong> Zeit um<br />

1960 als Jahre des malerischen Aufbruchs<br />

für vier damals in Darmstadt wirkende<br />

Künstler darzustellen.<br />

Dabei scheint es außerordentlich schwierig,<br />

sich als Spätgeborener in <strong>die</strong> Stimmung<br />

jener Zeit zu versetzen. Beherrschten<br />

damals noch <strong>die</strong> Grabenkämpfe zwischen<br />

den Abstrakten und den Figurativen, wie in<br />

den Jahren direkt nach dem Krieg, <strong>die</strong> Diskussion<br />

um einen künstlerischen Weg in<br />

<strong>die</strong> Zukunft? Wie reagierte zu jener Zeit <strong>die</strong><br />

Öffentlichkeit auf provokante Positionen?<br />

Fast scheint es, <strong>die</strong> hier vorgestellten vier<br />

Maler seien nur in einer äußerst gemäßigten,<br />

zögerlichen Rolle aufgetreten.<br />

Da wären etwa <strong>die</strong> dunklen, fast düsteren<br />

Farbfelder von H. O. Müller-Erbach, der seit<br />

1953 der neu gegründeten Darmstädter<br />

Sezession verbunden war und Bilder wie<br />

den „Schwarzen Horizont“ durch Raum-<br />

Galerie Netuschil zeigt<br />

Darmstädter Kunst aus den Sechzigern<br />

schichten wie Samtvorhänge strukturiert<br />

oder in der „Begegnung“ eine graue und<br />

grauschwarze, kosmische Vision, wie von<br />

Pla<strong>net</strong>enansichten aus dem All wirkend, in<br />

sanddurchmengter, reliefstarker Ölfarbe<br />

entwirft. Oder <strong>die</strong> lyrischen Innenansichten<br />

des Berliners Peter Steinforth, ab 1956 hier<br />

ansässig, der unter dem Titel „Seegetier“<br />

1959 tiefe, abstrakte Formenwelten noch<br />

mit einem Getümmel aus Rudimenten<br />

munterer Tierdarstellungen kombiniert,<br />

aber ein Jahr später bereits zu reinen, prismatischen<br />

Farbsystemen und rasterhaften<br />

Linienstrukturen findet.<br />

Die markanteste Position unter <strong>die</strong>sen<br />

Malern dürfte der erst vergangenes Jahr<br />

gestorbene Wolf Hoppe innehaben, dessen<br />

kristalline, feinnervige Formphantasien im<br />

Gemälde „Phantome“ bald schon zu flächig<br />

gehaltenen, bildbestimmend werdenden,<br />

roten Formgebilden mutierten, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen<br />

Einzelgänger bald bekannt machen sollten.<br />

Verharren <strong>die</strong>se drei Maler noch in den reinen<br />

Kategorien klassischer Malerei und<br />

einem nach-informell geprägten Formempfinden,<br />

so markieren Etzel Klomsdorffs<br />

Bildtafeln den Ausbruch aus einem solch<br />

geschlossenen Bildsystem. Vor allem<br />

dann, wenn er auf roten, gelben oder blauen<br />

Bildgrund eine Reihe erdfarbener Farbtupfen<br />

setzte, <strong>die</strong> ebenso reliefartig wirken,<br />

wie sie emotionale, malerische Strukturen<br />

zugunsten einer beginnenden Durchordnung<br />

der Kunst vernachlässigen. Diesem<br />

Ansatz war leider keine große Nachwirkung<br />

mehr beschert, als sich Klomsdorff nach<br />

vier Jahren in Darmstadt 1966 in <strong>die</strong> Provinz<br />

<strong>zur</strong>ückzog und dort <strong>die</strong> Malerei aufgab.<br />

Andere Künstler machten an anderen Orten<br />

<strong>zur</strong> gleichen Zeit weit mehr Furore.<br />

Der Frankfurter Peter Roehr hatte bereits<br />

seine radikale serielle Ordnung zum absoluten<br />

Stilprinzip erhoben. Die in Düsseldorf<br />

konzentrierte Kunstgruppe namens „Zero“,<br />

darunter Günther Uecker, konnte ab 1960<br />

mit der hellen Ästhetik des Lichtes und<br />

spektakulären, vielleicht auch etwas lauten<br />

Aktionen <strong>die</strong> schwelende Düsternis der<br />

nachinformellen Malerei in fast spielerischer<br />

Weise überwinden. Diese Positionen<br />

sollte man jedenfalls im Hinterkopf behalten,<br />

wenn man zu einer rechten Beurteilung<br />

der vorgestellten Darmstädter Künstler finden<br />

will. Gerhard Kölsch<br />

Die Ausstellung ist noch bis zum 29. Mai<br />

zu sehen<br />

Kriegsalltag und Friedensträume<br />

Kinderzeichnungen im Hessischen Landesmuseum<br />

n Sarajewo fließt Blut und <strong>die</strong> Flüsse<br />

„Isind rot“ – „Häuser werden zerstört,<br />

Menschen verlassen ihr Dorf“ – „Ich bin<br />

traurig. Mein Dorf ist abgebrannt“ – „Ich<br />

wünsche mir, daß Herzen statt Bomben fallen“<br />

– „Heute ist es bewölkt, aber morgen<br />

wird <strong>die</strong> Sonne scheinen und Vögel werden<br />

singen“. Mit <strong>die</strong>sen Zeilen betitelten<br />

Markop, Vinko, Branimir, Maja und Jasno<br />

ihre Zeichnungen, <strong>die</strong> sie in einem Flüchtlingslager<br />

an der dalmatinischen Küste<br />

geschaffen haben. Wir erfahren nicht, ob<br />

<strong>die</strong>se siebenjährigen Kinder aus Kroatien<br />

und Bosnien-Herzegowina Christen oder<br />

Moslems sind, wir wissen kaum etwas über<br />

ihr persönliches Schicksal – aber ihre Bilder<br />

erzählen von dem Versuch, das Erlebte zu<br />

verarbeiten, sich zu öffnen, und zeugen<br />

zugleich von einem ungebrochenen<br />

Lebenswillen. Neben den zerstörten<br />

Häusern, den Flugzeugen<br />

und Bomben sind es <strong>die</strong> lachenden<br />

Rot-Kreuz-Frauen und hier und da<br />

Vögel und Blumen, <strong>die</strong> dann wie<br />

Chiffren der Hoffnung erscheinen.<br />

Angeregt und organisiert wurde <strong>die</strong><br />

Ausstellung im Hessischen Landesmuseum<br />

von der Darmstädterin<br />

Traudel Damjanic, <strong>die</strong> selbst mit<br />

einem Kroaten verheiratet ist und<br />

seit bereits zwei Jahren Hilfsgütertransporte<br />

für <strong>die</strong>se Kinder begleitet. Die<br />

Zeichnungen, Briefe und Gedichte der Kinder<br />

richten sich direkt gegen unsere Blindheit,<br />

erzeugt vom optischen Bombardement<br />

der Schreckensfotos und der Filmberichterstattung;<br />

sie setzen gegen <strong>die</strong> starre<br />

Reproduktion der Greueltaten einen persönlichen,<br />

eindringlichen Duktus und ein<br />

direktes Zeugnis. Weitere Stationen der<br />

Präsentation, unter anderem in Fulda, sind<br />

geplant.<br />

Bis zum 23. Mai; Frau Damjanic bittet um<br />

Spenden für <strong>die</strong> medizinische und phsychologische<br />

Betreuung der Kinder bei der<br />

Spaarkasse Darmstadt (BLZ 508 501 50),<br />

Konto Nr. 2 000 130, Kennwort Flüchtlingskinder,<br />

Dekanat Darmstadt HST 036.<br />

Gerhard Kölsch


mit, daß das, was gesagt wird, zu dem, was<br />

zu sehen ist, gar nicht paßt.<br />

So spricht Marcello etwa gleich zu Beginn<br />

von der schneidenden Kälte im Künstleratelier<br />

– aus der armseligen Mansarde ist allerdings<br />

ein schickes „Loft“ geworden, ein<br />

Ambiente, das sich allenfalls ein vielbeschäftigter<br />

Gesellschaftsmaler leisten kann,<br />

– , <strong>die</strong> ihn immerhin dazu zwingt, eines seiner<br />

geliebten Bilder im Ofen zu verfeuern;<br />

gleichzeitig liegt ein nacktes Modell auf<br />

dem Diwan, dem offensichtlich keineswegs<br />

fröstelig zumute ist. Überhaupt <strong>die</strong> leichten<br />

Mädchen: Der Regisseur läßt zu jeder ihm<br />

passend scheinenden Gelegenheit Halbweltdamen,<br />

Cancan-Girls oder, wie wir heute<br />

sagen würden, „groupies“ auftreten.<br />

Frauen, will er wohl andeuten, sind bei<br />

Bohémiens, gestern wie heute, beliebig<br />

austauschbar. Bei Murger ist dem keineswegs<br />

so. Rodolfo aber wird, als er im drit-<br />

FEUILLETON II<br />

Keine Tränen für Snobs<br />

„La Bohème” von Giacomo Puccini im Staatstheater Darmstadt<br />

Kommod, allzu kommod und<br />

beiläufig stirbt’s sich in der<br />

neuen Version von Giacomo<br />

Puccinis Oper „La Bohème”<br />

am Staatstheater<br />

Darmstadt. Rodolfo stößt<br />

nach Mimis Tod sein<br />

markerschütterndes,<br />

von Orchesterfanfaren<br />

dramatisch untermaltes<br />

„Mimi … Mimi…!“<br />

heraus und <strong>geht</strong> dann<br />

auf den Balkon, wohl<br />

um ein Glas Sekt zu<br />

trinken.<br />

Schluß, Ende. Um das<br />

Finale der Oper kann<br />

sich Regisseur Peter<br />

Wunderlich halt nicht<br />

drücken, wenn’s auch<br />

<strong>zur</strong> Hauptidee seiner<br />

Inszenierung paßt wie<br />

<strong>die</strong> Faust aufs Auge. Diese<br />

Hauptidee besteht schlicht<br />

darin, daß er <strong>die</strong> Bohémiens<br />

zwar in ihrer Zeit beläßt, aber –<br />

schwups – vom unteren ans obere<br />

Ende der gesellschaftlichen Skala befördert.<br />

Und das war’s dann: Aus armen Teufeln<br />

werden spleenige Snobs.<br />

Wunderlich, dem Augenschein nach selbst<br />

ein Edel-Yuppie wie aus einem Film von<br />

Doris Dörrie entsprungen, will den Stoff<br />

scheinbar zeitgemäß rüberbringen, eben<br />

ein bißchen aktualisieren. Aber es langt –<br />

neben der Marotte, in jeder Szene zeitgenössische<br />

Fotoapparate unterzubringen<br />

– nur zu <strong>die</strong>ser einen Idee, und daraus läßt<br />

sich kein tragfähiges Regiekonzept ableiten.<br />

Vielleicht wollte der Regisseur der<br />

Geschichte sozusagen bloß seine persönliche<br />

Duftnote aufdrücken mit dem veröffentlichten<br />

Eingeständnis: „Seht her, auch<br />

ich war ein Bohémien!“ Aber <strong>die</strong>se moderne<br />

Spielart der Bohème hatte natürlich nicht<br />

am Hungertuch zu nagen, da war eher<br />

zuviel als zu wenig Geld vorhanden, da<br />

reimt sich Bohème auf mondän, und da<br />

wird auch Spießers Schlußfolgerung<br />

bestätigt, wo’s mondän zugehe, sei immer<br />

auch ein Schuß demi-monde im Spiel.<br />

Attitüden <strong>die</strong>ser Art stülpt Wunderlich<br />

jedenfalls über Puccinis populären Stoff<br />

und gibt ihn damit im Grunde der Lächerlichkeit<br />

preis.<br />

Das hat er nicht ver<strong>die</strong>nt, denn sowohl in<br />

der Romanvorlage Henry Murgers wie auch<br />

in Puccinis Adaption wird <strong>die</strong> Hauptfigur,<br />

der arme Bohémien als „Lebenskünstler“,<br />

ernstgenommen, zusammen mit seinem<br />

Ringen um <strong>die</strong> Kunst und um <strong>die</strong> materielle<br />

Bewältigung seines Daseins. Gewiß ist <strong>die</strong><br />

Geschichte auch ein sehr eigenwilliges<br />

Gemisch aus Sentimentalität und Pathos,<br />

doch wird <strong>die</strong>s gemildert durch Ironie und<br />

einen genau beobachteten Realismus. Murger,<br />

der Erfinder des Stoffes und selbst ein<br />

Bohémien, hatte im Paris der Mitte des 19.<br />

Jahrhunderts sein soziales Umfeld<br />

zunächst in einer Anzahl von Feuilletonskizzen<br />

geschildert, <strong>die</strong> dann gesammelt als<br />

Buch erschienen und auch zu einem sehr<br />

erfolgreichen Theaterstück verarbeitet wurden.<br />

Dieses „Prosagedicht vom heiteren<br />

Elend“, wie es ein Zeitgenosse nannte,<br />

bekam Puccini vierzig Jahre später in <strong>die</strong><br />

Hände und war sofort wie elektrisiert, fand<br />

er doch Szenen und Gefühle, <strong>die</strong> ihn zu lyrischen<br />

Einfällen inspirierten, <strong>die</strong> bald um <strong>die</strong><br />

Welt gingen. Bis heute ist <strong>die</strong> vielgespielte<br />

Oper „was fürs Herz“ geblieben, wurde<br />

zwar nicht selten des Kitsches verdächtigt,<br />

aber einem geschickten Inszenator wird es<br />

nicht zuletzt im Verein mit Puccinis ungemein<br />

subtiler und delikater Klangkunst<br />

immer gelingen, <strong>die</strong>se zweifellos vorhandene<br />

Klippe erfolgreich zu umschiffen. Der<br />

Gedanke an Kitsch kann bei Regisseur<br />

Wunderlich, der auch für <strong>die</strong> gesamte Ausstattung<br />

verantwortlich ist, immerhin nirgends<br />

aufkommen, dafür jagt er mit seiner<br />

Idee, aus den Helden schnöde Schickimickis<br />

zu machen, aber auch jeden Anflug<br />

von „Herz-Betroffenheit“ beim Publikum<br />

zum Teufel. Über das Schicksal von Snobs<br />

vergießt man keine Tränen. Und Gefühle,<br />

<strong>die</strong> der Regisseur nicht ernst nimmt, kann<br />

er auch nicht über <strong>die</strong> Rampe bringen. Hinzu<br />

kommen <strong>die</strong> unvermeidlichen Stilbrüche<br />

in Details. Was ein Glück, daß <strong>die</strong> italienische<br />

Originalversion gesungen wird – so<br />

bekommt nicht jeder Zuhörer auf Anhieb<br />

Michail Michailowitsch, Bruno Caproni, Jeffrey Dowd und Francesch Chico-Bo<strong>net</strong> (Foto: Barbara Aumüller)<br />

ten Bild eifersüchtig nach Mimi sucht,<br />

natürlich gleich in Begleitung irgendeiner<br />

Kokotte gezeigt. Und auch Mimis gräflicher<br />

Galan, obwohl im Libretto nur dezent<br />

erwähnt, erscheint auf der Bildfläche. Die<br />

Austauschbarkeit der Partner, <strong>die</strong> angebliche,<br />

entwertet vollständig <strong>die</strong> wirklich<br />

große Liebe, <strong>die</strong> Mimi und Rodolfo zueinander<br />

empfinden.<br />

Genau wie Marcellos Freundin Musetta<br />

zieht es doch auch Mimi nur deshalb zeitweise<br />

zu geldschweren Verehrern, um nicht<br />

ständig <strong>die</strong>ses „eiskalte Händchen“ haben<br />

zu müssen. Pariserinnen denken da praktisch.<br />

Für sie ist Treue kein Wert an sich.<br />

Den wahren Gefühlen muß das nicht schaden.<br />

Aber <strong>die</strong> negiert ja der Regisseur, und<br />

so wirkt Mimis Tod lediglich wie ein peinlicher<br />

Betriebsunfall. Konsequent wäre<br />

gewesen, Wunderlich hätte <strong>die</strong> Szene<br />

gestrichen.<br />

Die grundsätzliche Fehldeutung des Sujets<br />

wird im Ergebnis gemildert durch <strong>die</strong><br />

durchweg beachtlichen Leistungen der<br />

Sängerinnen und Sänger, durch ein gut disponiertes<br />

Orchester unter der straffen Leitung<br />

von Stephan Tetzlaff und – das muß<br />

natürlich auch gesagt werden – dem handwerklichen<br />

Können des Regisseurs. Wie er<br />

im zweiten Akt <strong>die</strong> Massenszenen des Quartier<br />

Latins in der Art eines gut einstu<strong>die</strong>rten<br />

Dressurakts vorführt, ver<strong>die</strong>nt Anerkennung.<br />

Chor, Kinderchor, Statisterie, Akrobaten<br />

wirken aufs Trefflichste zusammen.<br />

Daß er den dritten Akt von der Zollschranke<br />

am Pariser Stadtrand in den Hinterhof des<br />

Café Momus verlegt hat, ist gewiß auch<br />

kein schlechter Einfall, damit könnte der<br />

Verdichtung der Handlung Vorschub geleistet<br />

werden. Der Regisseur nutzt <strong>die</strong> Ortsveränderung<br />

aber nur dazu, <strong>die</strong> Stimmung<br />

von Düsternis und Melancholie zu ent-<br />

Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 8<br />

schärfen, <strong>die</strong> ursprünglich in <strong>die</strong>sem<br />

Bild angelegt ist. Bloß nicht<br />

zuviel Gefühl! Auch wenn <strong>die</strong><br />

Musik eine ganz andere<br />

Sprache spricht. Vollends<br />

manifest wird<br />

<strong>die</strong>ses Mißverhältnis,<br />

wenn im vierten Akt<br />

<strong>die</strong> elende Mansarde<br />

zu einem Fotoatelier<br />

aufgepept erscheint.<br />

Der Regisseur will<br />

uns damit das<br />

„Posieren im Leben<br />

der Bohémiens<br />

nach dem Scheitern<br />

ihrer Beziehungen“,<br />

so sein Kommentar,<br />

vor Augen führen.<br />

Und tatsächlich verharren<br />

sie ständig in<br />

Posen und versuchen,<br />

sich gegenseitig auf Zelluloid<br />

zu bannen, auch<br />

wenn es für vier Leute gerade<br />

einen einzigen Hering zu essen<br />

gibt. Noch kurz vor Mimis Tod nestelt<br />

Musetta am Objektiv herum, das auf <strong>die</strong><br />

Todkranke gerichtet ist, um dann plötzlich<br />

auf <strong>die</strong> Knie zu fallen und das vom Libretto<br />

hier vorgesehene Gebet an <strong>die</strong> „gebenedeite<br />

Jungfrau Maria“ zu richten. Hier<br />

heben sich Bild und Text gegenseitig auf.<br />

Wie reagierte das Publikum? Neben (wenigen)<br />

Buhrufen für den Regisseur gab’s kurzen,<br />

kompakten Applaus, mittelstarken Beifall<br />

für <strong>die</strong> Orchesterleistung, ver<strong>die</strong>nte Bravos<br />

für <strong>die</strong> Hauptinterpreten, besonders für<br />

Doris Brüggemann (Mimi) und Jeffrey<br />

Dowd (Rodolfo). Man ist ja inzwischen im<br />

Staatstheater schon zufrieden, wenn<br />

ordentlich gesungen wird, wenn <strong>die</strong> Szenerie<br />

was für’s Auge bietet und wenn nicht<br />

zuviel mehr oder weniger gepflegte Langeweile<br />

verbreitet wird. Das immerhin kann<br />

der neuen Darmstädter „Bohème“ nicht<br />

vorgeworfen werden.<br />

Jo Trillig<br />

Die Vorstellungen von „La Bohème“<br />

im Mai: 15., 21., 26., 31. Beginn jeweils 19.30 Uhr<br />

Dauer: 2 1/2 Stunden mit Pause<br />

Rosa Torso zwischen Akelei und Buchsbaum<br />

Zwei Bildhauerinnen<br />

in der Galerie Garten<br />

Man darf auf Entdeckungsreise gehen: Am Rand der Fläche aus<br />

knirschendem Kies, zwischen blühenden Akeleistauden und<br />

Steingartengewächsen haben sich urtümliche Gestalten eingefunden,<br />

aus rosafarbenem, porösen Tuffstein, teilweise grob<br />

behauen, doch immer zu rundlichen, organischen, verschlungenen<br />

Formen findend. Die in der Galerie Garten aufgestellten<br />

Skulpturen der Frankfurter Bildhauerin Moni Jahn mögen, oberflächlich<br />

betrachtet an <strong>die</strong> Venus von Willendorf erinnern, jene<br />

eben daumengroße, heute im Wiener Naturhistorischen Museum<br />

ausgestellte steinzeitliche Idolfigur, welche bisweilen von argen<br />

Feministinnen zum matriarchalischen Kult-Objekt stilisiert wurde.<br />

Doch Moni Jahns Figuren sind eigenständiger, wenn sie in<br />

stetiger Metamorphose ihrer verschlungenen Formen verschiedene<br />

Erfahrungen beim Betrachter anregen und als „Camille“<br />

oder „Eva“, „Atlantin“ oder „Königin“ betitelt, direkten Bezug<br />

auf Frauengestalten unserer Vorstellungswelt nehmen.<br />

Weich und organisch dagegen setzt Ulrike Gölner aus Bremen<br />

<strong>die</strong> kantigen, kraftvollen Formen ihrer bisweilen mannshohen<br />

Eichenholzskulpturen. Da stehen „Drei Schwestern“ auf der<br />

Terrasse, scheinbar in den Garten blickend und selbst einen<br />

Blickpunkt bildend, kubische, dreieckige, viereckige oder runde<br />

Gebilde, <strong>die</strong> sich aus dem massiven Baumstamm heraus kristallisieren<br />

und doch voller Bewegtheit sind. An einigen Stellen bleibt<br />

<strong>die</strong> Rinde des Stammes stehen, daneben erscheinen <strong>die</strong> geometrischen<br />

Formflächen aus dem rohen Holz und schaffen ein<br />

besonderes Spannungsfeld zu den natürlichen Rissen des arbeitenden<br />

Materials. Man möchte <strong>die</strong> Skulpturen vielleicht ganz still<br />

für sich entdecken, weniger darüber reden, als vielmehr sich auf<br />

<strong>die</strong> besondere Stimmung des Gartens einlassen, wenn am Abend<br />

<strong>die</strong> Schatten der Bildwerke länger werden oder wenn der Regen<br />

dem Tuffstein und dem Eichenholz neue Farbnuancen verleiht.<br />

Gerhard Kölsch<br />

(Abb.: Moni Jahn: „Kleine Wartende“, Lavatuff, 1992, 40x35x30 cm)


BRIEFE AN DIE REDAKTION I<br />

26.4.1986: Super-GAU in Tschernobyl Uffbasse jo – awwer <strong>net</strong> mit Dreck werfe<br />

Am 26.4. demonstrierten BUNDjugend und <strong>die</strong> „Darmstädter Initiative für <strong>die</strong> Abschaltung aller Atomanlagen“ auf<br />

dem Luisenplatz gegen <strong>die</strong> uneingeschränkt fortgesetzte Nutzung der Atomenergie. (red, Foto: H. Schäfer)<br />

26.4.1993:<br />

Katastrophenstimmung in Darmstadt, radioaktiver<br />

Niederschlag, verstrahlte Menschen,<br />

Tote, Tausende auf der Flucht. Dieses<br />

Szenario ist keine Panikmache, sondern<br />

könnte schneller Realität werden, als es<br />

Ihnen lieb ist, denn vor 7 Jahren geschah,<br />

was jederzeit wieder geschehen kann: ein<br />

Super-GAU – damals im Atomkraftwerk<br />

Tschernobyl. Und morgen?<br />

Mit dem Super-GAU in Tschernobyl traten<br />

<strong>die</strong> schlimmsten Befürchtungen der Anti-<br />

AKW-Bewegung ein. Bis heute sind <strong>die</strong><br />

Auswirkungen der Katastrophe nur abzuschätzen.<br />

In der Ukraine und in Bjelo-Rußland<br />

leiden rund zwei Millionen Erwachsene<br />

und fast eine Million Kinder unter verschiedenen<br />

Formen der Strahlenkrankheit. Von<br />

den sogenannten Liquidatoren, <strong>die</strong> <strong>zur</strong> Eindämmung<br />

der Katastrophe aus der ganzen<br />

Sowjetunion herbeibefohlen wurden und<br />

ihre Aufräumarbeiten fast schutzlos durchführen<br />

mußten, sind inzwischen Tausende<br />

gestorben.<br />

Der Super-GAU von Tschernobyl brachte<br />

uns in Deutschland damals nicht nur eine<br />

erhöhte Strahlung, sondern zeigte auch <strong>die</strong><br />

Hilflosigkeit offizieller Stellen, mit einem<br />

atomaren Störfall umzugehen. Der Super-<br />

GAU von Tschernobyl war 1.200 km weit<br />

weg. Das Atomkraftwerk Biblis ist ganz nah.<br />

AKW-Betreiber und viele PolitikerInnen sprechen<br />

immer wieder von den sicheren „Deutschen<br />

Atomkraftwerken“, doch was verbirgt<br />

sich hinter <strong>die</strong>ser Behauptung? Die beiden<br />

Blöcke des AKW Biblis haben es im Laufe<br />

ihrer Betriebszeit schon auf über 500 offiziell<br />

gemeldete Störfalle gebracht. Dabei wurde<br />

auch <strong>die</strong> Sicherheit der Anlage mehrfach aufs<br />

schwerste gefährdet. Exemplarisch wären<br />

hier der Beinahe-GAU vom Dezember 1987<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

es scheint der deutschen Bundesregierung<br />

tatsächlich zu gelingen, den Widerstand der<br />

deutschen Bevölkerung gegen eine erneute<br />

Beteiligung an militärischen Aktionen<br />

außerhalb der deutschen Grenzen „schäublesweise“<br />

zu durchbrechen. Die Deutschen<br />

sollen sich also (wieder einmal) <strong>die</strong> Finger<br />

schmutzig machen. Pazifisten passen eben<br />

nicht in <strong>die</strong> „Neue Weltordnung“ des<br />

großen amerikanischen Bruders. Und kaum<br />

jemand scheint zu durchschauen, daß auch<br />

im Falle Somalia <strong>die</strong> angeblich so humanitären<br />

Interessen in Wirklichkeit nur vorgeschoben<br />

sind.<br />

Was zog denn <strong>die</strong> Amerikaner nach Somalia?<br />

War es wirklich nur der Drang, hungernden<br />

Menschen zu helfen? Weshalb<br />

wurde dann im letzten Jahr der erfolgreiche<br />

UNO-Sondergesandte Mohammed Sahnoun<br />

plötzlich abberufen, nachdem er in<br />

bemerkenswerter Weise zwischen den verschiedenen<br />

Parteien vermittelt hatte? Wäre<br />

es nicht leichter gewesen, einen Spitzendiplomaten<br />

dort zu belassen als Tausende<br />

von Soldaten einzufliegen? Wie <strong>die</strong> britische<br />

Zeitung „The Guardian“ Anfang<br />

Dezember 1992 berichtete, war das Land zu<br />

<strong>die</strong>sem Zeitpunkt keineswegs, wie überall<br />

verkündet wurde, in vollständiger Anarchie<br />

versunken. Auch <strong>die</strong> genannten Zahlen von<br />

Verhungernden seien weit übertrieben<br />

oder <strong>die</strong> Notabschaltung während des Erdbebens<br />

vor einem Jahr zu nennen.<br />

Wer übernimmt <strong>die</strong> Verantwortung für <strong>die</strong><br />

jeden Tag mögliche Katastrophe wie in<br />

Tschernobyl? Die RWE als Betreiber? Ihr<br />

scheint <strong>die</strong> Sicherheit des AKW jedenfalls<br />

nicht besonders wichtig zu sein. Nach dem<br />

Störfall von 1987 wurden 9 Auflagen <strong>zur</strong><br />

Verbesserung der Anlage angeord<strong>net</strong>. Von<br />

<strong>die</strong>sen wurde von der RWE bis heute nicht<br />

eine umgesetzt. Gegen den Einbau einer<br />

Notstandswarte wird sogar aus Kostengründen<br />

geklagt.<br />

Die rot-grüne Landesregierung? Sie hat bisher<br />

weder <strong>die</strong> 49 Auflagen durchgesetzt, geschweige<br />

denn Schritte in Richtung einer<br />

Abschaltung eingeleitet. Hier bleibt nur <strong>die</strong><br />

Frage: ist <strong>die</strong> Landesregierung unwillig oder<br />

unfähig?<br />

Und auf Bundesebene? Da treffen sich derzeit<br />

AKW-Betreiber, PolitikerInnen, GewerkschafterInnen<br />

sowie einige Umweltverbände<br />

zu sogenannten „Konsensgesprächen“.<br />

Verhandelt wird über <strong>die</strong><br />

Zukunft der Atomkraft in der BRD. Das<br />

Interesse der AKW-Betreiber ist nach wie<br />

vor <strong>die</strong> maximale Ausweitung der Betriebsdauer<br />

und der mögliche Neubau weiterer<br />

AKW. Fest verknüpft ist <strong>die</strong> Forderung nach<br />

Genehmigung der umstrittenen Endlager.<br />

Atommüll strahlt 10 Tausende bis 1 Mio.<br />

Jahre, eine sichere Endlagerung ist nicht<br />

möglich. Die einzige verantwortliche Forderung<br />

kann deshalb nur sein:<br />

Sofortige Stillegung aller Atomanlagen<br />

BUNDjugend Darmstadt und DIFA<br />

(Darmstädter Initiative für <strong>die</strong> Abschaltung<br />

aller Atomanlagen) Tel.: Da. 27426<br />

Entsendung deutscher Truppen<br />

nach Somalia<br />

gewesen. Eine noch bestehende örtliche<br />

Struktur aus Clanältesten, Entwicklungshelfern<br />

und anderen beherzten Menschen<br />

wäre mit entsprechender Unterstützung in<br />

der Lage gewesen, das Land allmählich in<br />

bessere Zeiten zu führen.<br />

Doch <strong>die</strong> USA wollten es anders. Ein Blick<br />

auf <strong>die</strong> Landkarte zeigt schon <strong>die</strong> strategische<br />

Bedeutung <strong>die</strong>ses äußerlich so karg<br />

erscheinenden Landes, das jedoch immerhin<br />

über eine der größten Start- und Landebahnen<br />

in Afrika (Berbera) verfügt. Und vor<br />

allem: Unter dem Wüstenboden wird sehr,<br />

sehr viel Öl vermutet! Amerikanische<br />

Gesellschaften haben sich nach Auskunft<br />

der „International Herald Tribune“ bereits in<br />

den achtziger Jahren Landkonzessionen<br />

und Vorrechte überschreiben lassen, <strong>die</strong> sie<br />

nun endlich wahrnehmen möchten. In einer<br />

1991 veröffentlichten Stu<strong>die</strong> der Weltbank<br />

wird Somalia an erster Stelle unter denjenigen<br />

afrikanischen Staaten aufgeführt, in<br />

denen reiche Erdölvorkommen vermutet<br />

werden!<br />

Weshalb hört man von all dem nichts? Vielleicht,<br />

weil dann auch dem letzten Bundesbürger<br />

klar wäre, weshalb der Deutsche<br />

Michel wieder einmal brav hinter dem amerikanischen<br />

Onkel hinterhertrotteln soll. Ich<br />

für meinen Teil sage jetzt schon: Ohne<br />

Mich(el)!<br />

Gudrun Albrecht<br />

Seit einigen Monaten bin ich Abonnent der<br />

ZD, weil eine solche Zeitung in Darmstadt<br />

dringend notwendig ist, als kritisches Korrektiv<br />

zum Darmstädter Echo und als Plattform<br />

für <strong>die</strong> vielen Gruppen und Initiativen.<br />

Was <strong>die</strong> Themenwahl anbelangt, wird <strong>die</strong> ZD<br />

<strong>die</strong>ser Funktion auch gerecht. Enttäuscht, ja<br />

erschreckt bin ich bisweilen über den Stil.<br />

Als Beispiel des Artikels „Pro Benz: ein Literaturhaus<br />

und sein Direktor“ läßt sich meine<br />

Kritik exemplarisch festmachen: Hier<br />

wird ein Mindestmaß an gesicherter Information<br />

verquickt mit einem Maximum an<br />

Spekulation und Unterstellung. Die<br />

Behauptung, Fritz Deppert sei ein Direktorenposten<br />

als Lohn für seine <strong>Wahl</strong>unterstützung<br />

pro Benz versprochen worden,<br />

wird zwar in den Konjunktiv gesetzt („Benz<br />

soll ihm versprochen haben … “), grenzt<br />

aber dennoch an Rufschädigung. Solche<br />

Verdächtigungen werden ausgerech<strong>net</strong><br />

gegen Menschen ausgesprochen, <strong>die</strong> ihre<br />

Integrität auch in der Ära Metzger nicht verloren<br />

haben.<br />

Daß Fritz und Gabriele Deppert <strong>die</strong> Hauptträger<br />

der Initiative „Pro Benz“ sind, ist<br />

sicher berichtenswert. Die ZD versteht es<br />

aber <strong>die</strong>se schlichte Tatsache so darzustellen,<br />

als erführe man solches durch ein Netz<br />

verschworener Informanten. So kann man<br />

selbst Banalitäten den Geruch des Skandalösen<br />

verleihen. Der Bezug auf „mehrere<br />

Informanten“ und anonyme Zuträger taucht<br />

in vielen Artikeln auf. Er verweist eher auf<br />

eine konspirative Gerüchteküche denn auf<br />

eine Redaktion mit dem Anspruch auf<br />

Seriosität. Der einfache journalistische<br />

Grundsatz, daß Information und Meinung<br />

zu trennen sind, wird unablässig durchbrochen.<br />

Die Attribute, <strong>die</strong> <strong>die</strong> ZD sich selber<br />

zuschreibt, treffen nur zum Teil:<br />

- satirisch ist sie nicht, vielmehr verkniffen<br />

und humorlos<br />

- wahrheitsliebend vielleicht, aber nicht<br />

immer wahrheitssuchend<br />

- offen ist sie, wenn sie <strong>die</strong>sen Leserbrief<br />

veröffentlicht<br />

- bissig ist sie, aber zieht keine Grenze<br />

<strong>zur</strong> Gehässigkeit<br />

- kritisch sicherlich, aber nicht<br />

selbstkritisch<br />

- überparteilich ist sie vielleicht, was aber<br />

nicht das Recht verleiht, parteigebundene<br />

Menschen a priori für unanständig zu<br />

erklären.<br />

mit kritischem, aber trotz der harten Vorwürfe<br />

solidarischem Gruß<br />

Hans Scharrer, nicht parteigebunden<br />

Die Wahrheit gleicht<br />

einem Tausendfüßler<br />

Sehr geehrter Hans Scharrer,<br />

unser Hinweis auf <strong>die</strong> Aktivitäten von Fritz<br />

Deppert in der Aktion „Pro Benz“ entstammen<br />

durchaus nicht irgendwelchen Gerüchteküchen,<br />

wie es auf Grund der Berichterstattung<br />

den Anschein haben mag. Das<br />

Problem besteht darin, daß wir bei Veröffentlichung<br />

der Quellen – und das sollte zu<br />

denken geben – Arbeitsstelle und Karriere<br />

unserer InformantInnen gefährden, deshalb<br />

wollen wir sie nicht namentlich nennen.<br />

Schon mehrfach haben Berichte der<br />

ZD dazu geführt, daß von Behördenleitern<br />

umfangreiche Frage- und Suchaktion eingesetzt<br />

haben. Der Quellenschutz ist aus<br />

<strong>die</strong>sen Gründen auch gesetzlich verankert.<br />

Die Seriosität, gemeint ist wohl journalistische<br />

Sorgfalt, ist dadurch keineswegs verletzt.<br />

Die ZD nimmt es sehr genau mit dem<br />

Trennen von Gerücht und verbürgter Information.<br />

Dies wird daraus ersichtlich, daß in<br />

dem dreijährigen Erscheinen der ZD zahlreiche<br />

juristische Überprüfungen immer<br />

damit endeten, daß <strong>die</strong> Juristen vor dem Erheben<br />

von Straf-Anzeigen und in Verhandlungen<br />

<strong>die</strong> Verbürgtheit der Informationen<br />

bestätigen konnten.<br />

Das „Wahrheitenliebend“ schließt das Suchen<br />

nach der Wahrheit aus, da <strong>die</strong> Wirklichkeit<br />

viele Wahrheiten kennt. Am Beispiel<br />

„Pro Benz“: Aus Sicht von LeserInnen handelt<br />

es sich bei einer solchen Werbe-Aktion<br />

um eine schlichte Nachricht. Aus Sicht von<br />

Fritz Deppert möglicherweise (er hat dazu<br />

keine Stellung bezogen) um <strong>die</strong> gerechte<br />

Entlohnung einer aufwendigen Arbeit. Aus<br />

Sicht von Peter Benz um eine erfreuliche<br />

Unterstützung seiner <strong>OB</strong>-Kandidatur (auch<br />

er ist dem Bericht nicht entgegengetreten).<br />

Aus Sicht der Literaturfreunde um <strong>die</strong> mögliche<br />

Erfüllung des langgehegten Wunsches<br />

nach einem eigenen Literaturhaus. Aus parlamentarischer<br />

Sicht um <strong>die</strong> vorab zugesagte<br />

Verteilung knapper Haushaltsmittel.<br />

Aus polemischer Sicht um Filz. Die Wahrheit<br />

gleicht einem Tausendfüßler, mit ebenso<br />

viel Beinen wie Betrachtungsstandpunkten…<br />

Die Attribute der ZD siehe oben. Selbstkritik<br />

der Presse ist erfahrbar durch das Publizieren<br />

von Gegendarstellungen.<br />

M. Grimm<br />

Undank als der Welten Lohn?<br />

Sehr geehrter Herr Deppert,<br />

an Sie als Schuldirektor und als Literaten<br />

wende ich mich im Interesse unserer LeserInnen<br />

mit der Frage: Was ist für Sie der<br />

Grund, <strong>die</strong> <strong>Wahl</strong>kampf-Initiative „Pro Benz“<br />

zu organisieren?<br />

Wie uns mitgeteilt worden ist, haben Sie in<br />

Ihrer Schule unseren Artikel „Pro Benz, ein<br />

Literaturhaus und sein Direktor“ (siehe ZD<br />

Ausgabe 47) vervielfältigt und ausgehängt.<br />

Gleichzeitig wurde uns erklärt, daß Sie sich<br />

durch den Bericht ungerecht behandelt<br />

fühlten als jemand, der sich für jemanden<br />

anderen einsetzt. Darf ich daraus schließen,<br />

daß <strong>die</strong> an uns weitergeleiteten Informationen<br />

nicht mit Ihrer Sicht der Dinge übereinstimmen<br />

sollten? Wenn <strong>die</strong>s so ist, bieten<br />

wir Ihnen gern <strong>die</strong> Möglichkeit, Stellung zu<br />

beziehen.<br />

Mit einem freundlichen<br />

Guten Morgen für Darmstadt<br />

M. Grimm<br />

Pfeffermann (CDU), Michael Siebert<br />

(Grüne), Ruth Wagner (FDP)<br />

Sehr geehrte/r<br />

OberbürgermeisterkandidatIn,<br />

unter lebhaftem Me<strong>die</strong>necho hatten Herr<br />

Benz und Herr Ebert gemeinsam mit anderen<br />

Darmstädter PolitikerInnen im Oktober ’92<br />

<strong>die</strong> Darmstädter Bürger <strong>zur</strong> Gründung einer<br />

Arbeitsgruppe gegen Rechtsradikalismus<br />

eingeladen. Etwa 500 BürgerInnen kamen.<br />

Das Folgetreffen im November fand in Form<br />

eines „Runden Tisches“ statt. Dazu war<br />

bereits nicht mehr <strong>die</strong> gesamte Öffentlichkeit<br />

eingeladen, sondern nur noch Vertreter<br />

von Parteien, von kirchlichen Organisationen<br />

und der jüdischen Gemeinde, vom<br />

Stadtschüler- und Stadtelternbeirat sowie<br />

aus der AGAR und vom Bündnis gegen<br />

Rassismus und rechtsextreme Tendenzen.<br />

(Wenn ich Teilnehmer vergessen haben<br />

sollte, war <strong>die</strong>s keine Absicht). Die interessierte<br />

Allgemeinheit war zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />

also bereits ausgeschlossen.<br />

Ein weiteres Treffen war für den 15. Dezember<br />

1992 vereinbart, fand aber – im übrigen<br />

ohne Absage – nicht statt. Seitdem wurde<br />

der Runde Tisch – trotz wiederholter Aufforderungen<br />

einiger daran beteiligter Gruppen<br />

– nicht mehr einberufen. Die interessierte<br />

Allgemeinheit ist weiterhin ausgeschlossen.<br />

Es begab sich aber <strong>zur</strong> österlichen Zeit, daß<br />

am 24.3. d.J. '93 vor einem Wohnblock des<br />

Bauvereins (just gegenüber dem Amtsgericht<br />

in der Julius-Reiber-Straße) eine<br />

Ambulanz stand, deren seriös aussehenden<br />

älteren Fahrer ich fragte, ob man etwa Herrn<br />

Walter fortbrächte, der mir doch so energisch<br />

immer wieder kund getan, daß er<br />

daheim sterben wolle. Wohl sein letzter<br />

(mündlicher) Wille. Nein, er sei nur gefallen,<br />

und er liege in seiner Wohnung. Es sei alles<br />

in Ordnung. Herr Christian Walter und ich,<br />

wir mögen uns. Wir sind beide etwas ruppig.<br />

Er wegen Stalingrad. Er war einer der<br />

6.000, <strong>die</strong> <strong>zur</strong>ückkamen. Also – wartete ich<br />

darauf, ihn wieder Einkauf machen (schlurfen)<br />

zu sehen. Gestern, am 27.4. d.J. ’93<br />

fliegen <strong>die</strong> Matratzen aus dem dritten Stock<br />

in den Garten. Heute abgeholt von der<br />

Stadt. Gestern konnte ich sicherstellen im<br />

Amtsgericht, daß Herr Walter (noch) nicht<br />

unter Pfleg- oder gar Vormundschaft steht.<br />

Schwer genug – im Haus wußte man nur<br />

Nebulöses – fand ich heraus, daß Herr Walter<br />

in Jugenheim im Krankenhaus sei. Herr<br />

Dr. Scholz von der dortigen Internistischen<br />

konnte nur <strong>die</strong> Entlassung zum 14.4.d.J.93<br />

bestätigen. Wohin, dokumentiere man<br />

Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 9<br />

„Aus der Luft gegriffen“<br />

Sehr geehrter Herr Grimm,<br />

ich fange mit dem Erfreulicheren an, nämlich,<br />

daß Sie nun direkt um eine Stellungnahme<br />

bitten, nachdem Sie es vor der Veröffentlichung<br />

der Gerüchte seitens Informanten<br />

(à la Stasi?) unterlassen haben.<br />

Nun das wenig Erfreuliche. Ich halte, um es<br />

sanftmütig auszudrücken, nichts von einem<br />

Journalismus, der mit Gerüchten arbeitet,<br />

und warne meine Schüler und Schülerinnen<br />

vor Zeitungen, <strong>die</strong> Nachricht und Meinung<br />

nicht trennen können. Die Unterstellung,<br />

ich sollte/wollte Direktor eines Literaturhauses<br />

werden, ist frei und mit Absicht so<br />

kurz vor der <strong>Wahl</strong> (ohne Möglichkeit <strong>zur</strong><br />

rechtzeitigen Gegendarstellung) aus der<br />

Luft gegriffen worden. Ich bleibe Leiter der<br />

Bertold-Brecht-Schule.<br />

Die Gründe, warum meine Frau und ich <strong>die</strong><br />

Initiative pro Benz ins Leben gerufen haben,<br />

sind politisches Engagement, Freundschaft<br />

und Sorge um Darmstadts Zukunft als<br />

soziale Kulturstadt. Nicht alle, <strong>die</strong> in unserer<br />

Republik Farbe bekennen, tun <strong>die</strong>s wegen<br />

eines äußeren Gewinns.<br />

Ich hätte Ihre freundliches Guten Morgen<br />

für Darmstadt gern mit einem nix fer ungud<br />

beantwortet, aber das kann ich nicht angesichts<br />

solcher Gerüchtemacherei.<br />

Mit Grüßen also<br />

Fritz Deppert<br />

PS.: ich bin mit einer Veröffentlichung <strong>die</strong>ses<br />

Briefes nur einverstanden, wenn sie<br />

ungekürzt erfolgt. Seit dem PEN-Bericht<br />

habe ich „Respekt“ vor der Zitierpraxis in<br />

der Zeitung für Darmstadt<br />

Asyl: Guten Ideen mangelts am Geld<br />

Nun könnte ich sagen „Schade“ und das<br />

Ganze vergessen. Allerdings kann ich mich<br />

noch sehr gut an Artikel erinnern (es muß<br />

ungefähr um <strong>die</strong> Jahreswende gewesen<br />

sein), daß dem Runden Tisch vom Darmstädter<br />

Unternehmer Mengler DM 20.000,gespendet<br />

wurden. Das Stadtparlament hat<br />

<strong>die</strong>sen Betrag um weitere DM 50.000.- aufgestockt.<br />

Herr Ebert hatte damals angekündigt,<br />

daß mit dem Geld u.a. Veranstaltungen<br />

und Aktionen <strong>zur</strong> Aufklärung über<br />

Fremdenhaß und Rechtsradikalismus<br />

finanziert würden.<br />

Ich fordere Sie auf, der Darmstädter Öffentlichkeit<br />

Rechenschaft über <strong>die</strong> bisherige<br />

Verwendung <strong>die</strong>ser Gelder abzugeben.<br />

Außerdem fordere ich Sie auf, gemeinsam<br />

mit den entsprechenden Vertretern der<br />

anderen Parteien dafür zu sorgen, daß der<br />

Runde Tisch in der ursprünglichen Besetzung<br />

wieder zusammenkommt und Kriterien<br />

für <strong>die</strong> Vergabe der Gelder ausarbeitet.<br />

In Darmstadt sind schließlich zahlreiche<br />

Initiativen gegen Rechtsextremismus,<br />

gegen Rassismus und gegen Ausländerhaß<br />

aktiv, <strong>die</strong> häufig gute Ideen mangels ausreichender<br />

Finanzen nicht umsetzen können.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Regina Hagen (aktiv im Darmstädter<br />

Bündnis gegen Rassismus und<br />

rechtsextreme Tendenzen)<br />

Ein Deutsches Frühlingsmärchen<br />

nicht, aber Dr. Klotz in der Bismarckstr.<br />

(neben dem Bauverein) sei sein Hausarzt.<br />

Es war <strong>die</strong> Tochter, <strong>die</strong> lächelnd gestand,<br />

<strong>die</strong> „Schandtat“ (der Einlieferung) zum 24.<br />

3. d.J. begangen zu haben. Ja, nachdenklicher<br />

Blick in sich hinein, er habe auch ihr<br />

betont, er wolle zuhause sterben. Er sei nun<br />

in der Nußbaumallee in Eberstadt, im<br />

Altersheim. Das „Drei-Stufen-Heim“ war es.<br />

Schwester Helga als Leiterin bekundete, sie<br />

sei in Jugenheim zu Herrn Walter gekommen,<br />

und er habe „freiwillig“ unterschrieben.<br />

Ja, Herr Walter, Christian – freute sich,<br />

als er mir ins blaue Auge sah. Wünschte mir<br />

frech weg, daß ich auch 84 Jahre alt werden<br />

möge, und wir lachten einander soldatisch<br />

ins traurige Gesicht. Oh ja, es gehe ihm gut,<br />

er sei gerne hier. Ich versprach ihm, möglichst<br />

84 Jahre alt zu werden. Das Märchen<br />

ist noch nicht ausgestanden, aber vielleicht<br />

rührt es als Zeitungsente wenigstens einige<br />

zu Tränen – vor Lachen (?).<br />

Romano Hausen M.A., Gymnasiallehrer<br />

Der Autor hat „Strafanzeige gegen Unbekannt<br />

wegen dringendem Verdacht der Willensbeschneidung<br />

bzw. -Manipulation des<br />

Herrn Christian Walter“ beim Amtsgericht<br />

Darmstadt eingereicht. red


„Das war ein Fehler“<br />

Liane Palesch zu ihrem Absagebrief an<br />

Bewerber beim Preis für junge Künstler:<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

den Brief habe ich zu verantworten. Ich<br />

arbeite seit 20 Jahren für <strong>die</strong> Darmstädter<br />

Sezession und bin seit 1975 bei der Fotoauswahl<br />

und der Jury dabei. Wenn Sie all<br />

<strong>die</strong> Ungereimtheiten gesehen hätten, könnten<br />

Sie vielleicht den Unmut verstehen.<br />

Es ist ein deutlicher Niveauverlust gegenüber<br />

der letzten Ausschreibung für Malerei<br />

vor zwei Jahren zu verzeichnen. Jetzt reichte<br />

<strong>die</strong> Skala von Weihnachtskarten über das<br />

Rehlein am Waldrand, Batik, bis <strong>zur</strong> Marienerscheinung.<br />

Bei <strong>die</strong>sem Bewerberkreis<br />

ist sicher grundsätzlich etwas falsch verstanden<br />

worden.<br />

Da wir ja nicht ahnen konnten, wie das<br />

Ergebnis aussehen wird, haben wir alle<br />

Ablehnungen zusammengestapelt. Das war<br />

ein Fehler, denn so war keine Differenzierung<br />

mehr möglich, ohne daß wir alles<br />

noch einmal hätten durcharbeiten müssen.<br />

Entschuldigen möchte ich mich bei den vie-<br />

Die Jury für <strong>die</strong><br />

Vergabe der beiden<br />

Förderpreise<br />

für junge Künstler<br />

traf sich am 28.<br />

April 1993 in der<br />

Kunsthalle am<br />

Steubenplatz.<br />

32 Malerinnen und<br />

Maler waren Anfang des Jahres aus rund<br />

1.000 Fotobewerbungen in <strong>die</strong> engere <strong>Wahl</strong><br />

gekommen und zeigen jetzt jeweils zwei<br />

Arbeiten in der Kunsthallen-Ausstellung, <strong>die</strong><br />

noch bis zum 16. Mai zu sehen ist. Der Preis<br />

war bundesweit für Malerei ausgeschrieben.<br />

Es waren zwei Preise zu vergeben: einmal<br />

der mit 8.000 Mark dotierte Sezessionspreis<br />

sowie ein mit 2.000 Mark dotierter Förderpreis.<br />

Die Jury entschied sich mit Mehrheit für den<br />

in Köln lebenden Maler Franz Baumgartner.<br />

Der Preisträger ist 31 Jahre alt, in Kleve<br />

geboren, machte 1981 sein Abitur und daran<br />

anschließend eine Ausbildung im Gartenbau<br />

und leistete seinen Zivil<strong>die</strong>nst ab. 1985<br />

begann er sein Studium der freien Kunst an<br />

der Fachhochschule Köln und wechselte<br />

dann an <strong>die</strong> Kunstakademie Düsseldorf, wo<br />

er bei Professor Dieter Krieg stu<strong>die</strong>rte.<br />

Seit 1986 beteiligte er sich an Ausstellungen,<br />

teils in selbstorganisierten Räumlichkeiten<br />

oder über <strong>die</strong> Akademie. 1991 war er an einer<br />

Galerieausstellung in Frankfurt beteiligt: „Die<br />

Klasse Krieg“.<br />

Der mit 2.000 Mark ausgestattete Förderpreis,<br />

der von dem Kunstgießer Jörg Grundhöfer<br />

aus Aschaffenburg gestiftet ist, wurde<br />

dem Berliner Maler Manfred Fuchs zugesprochen.<br />

Fuchs wurde 1961 in Kassel geboren,<br />

machte 1980 sein Abitur, leistete von<br />

1980-82 seinen Zivil<strong>die</strong>nst und stu<strong>die</strong>rte von<br />

1982-87 an der Technischen Universität Berlin.<br />

Von 1987-92 setzte er seine Stu<strong>die</strong>n an<br />

der Hochschule der Künste in Berlin fort, ab<br />

1988 bei Professor Karl Oppermann. 1992<br />

Absolventenprüfung und Zulassung zum<br />

Meisterschülerstudium.<br />

Seit 1990 beteiligte er sich an Ausstellungen,<br />

darunter einmal in den Foyers des Staats-<br />

Grüner Heiligenschein<br />

An <strong>die</strong><br />

Fahrradläden „Radhaus“,<br />

„Fahrrad-Dietrich“ und „Fahrrad Brunner“<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

schockiert lasen wir, daß Sie sich an der<br />

geplanten Automobilausstellung in der Wilhelminenstraße<br />

mit einer Fahrradsonderschau<br />

beteiligen wollen. Wir denken, daß<br />

Sie den Veranstaltern damit helfen, einen<br />

grünen Heiligenschein über der Automobilausstellung<br />

schweben zu lassen. In einer<br />

Zeit von Waldsterben, Treibhauseffekt,<br />

Ozonloch, Luft- und Wasserverschmutzung<br />

ist es an der Zeit, etwas gegen <strong>die</strong>sen<br />

Wahnsinn zu unternehmen. Gerade das<br />

Auto steht exemplarisch für <strong>die</strong> Zerstörung<br />

von Umwelt, das Sterben von Tausenden<br />

von Menschen (von 1950-1990, starben<br />

500.000 Menschen im Straßenverkehr),<br />

sowie <strong>die</strong> Verschwendung von wertvollen<br />

Rohstoffen. Durch Ihr Angebot, eine parallele<br />

Fahrradausstellung zu organisieren, hat<br />

der Veranstalter das geschafft, was er<br />

schon immer erreichen wollte: Das Fahrrad<br />

len ernstzunehmenden Bewerbern, <strong>die</strong> einfach<br />

der Beschränkung der Ausstellungsmöglichkeiten<br />

zum Opfer fallen mußten und<br />

<strong>die</strong> eben leider auch den Brief erhalten<br />

haben.<br />

Die Auswahl aus den Fotobewerbungen<br />

bedeutet für <strong>die</strong> Vorstandsmitglieder in<br />

jedem Jahr 3-4 Tage Arbeit, <strong>die</strong> sie ehrenamtlich<br />

leisten und <strong>die</strong> sie sicher lieber in<br />

ihrem Atelier zubrächten. Die Darmstädter<br />

Sezession ist kein kapitalkräftiges Unternehmen,<br />

sondern eine Vereinigung, wo<br />

Künstler etwas für Künstler tun. Ich weiß<br />

nicht, wo <strong>die</strong>s auf solche Weise noch<br />

geschieht.<br />

Wir haben den Preis von Anfang an bewußt<br />

offen gehalten, weil wir uns gerade aus dem<br />

nicht akademischen Bereich junge Talente<br />

erhofften. Jetzt klafft <strong>die</strong> Schere aber sehr<br />

weit auseinander. Wir müssen erst beraten,<br />

wie wir das in Zukunft handhaben können.<br />

Für das Jahr 1993 galt <strong>die</strong> seitherige Regelung.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Liane Palesch, 2. Vorsitzende<br />

Sezessions-Preis für Franz Baumgartner<br />

theaters Darmstadt, wo sich <strong>die</strong> „Klasse<br />

Oppermann“ präsentierte.<br />

In <strong>die</strong> besondere Beachtung und Bewertung<br />

der Juroren kamen neben den Preisträgern<br />

folgende Malerinnen und Maler: Michael<br />

Lankes aus Düren, Heike Kürzel aus Berlin,<br />

Jürgen Liefmann aus Hamburg, Margareta<br />

Hesse aus Arnsberg, Julia Philipps aus<br />

Darmstadt und Stephan Guber aus Niddatal.<br />

Die Darmstädter Sezession will <strong>die</strong>sem<br />

Künstlerkreis auch in Zukunft Beachtung<br />

schenken.<br />

Der Jury gehörten an: Direktor Horst Blechschmidt<br />

von der Heag, <strong>die</strong> den Sezessionspreis<br />

stiftet, Kulturreferent Dr. Klaus Wolbert,<br />

Stadträtin Renate Wingler in Vertretung<br />

von Oberbürgermeister Günther Metzger, als<br />

kunstinteressierte Bürger (<strong>die</strong> jährlich wechseln)<br />

Dr. Sybille Ebert-Schifferer und Direktor<br />

Hermann Kießling; von der Darmstädter<br />

Sezession Pit Ludwig, Liane Palesch, Barbara<br />

Bredow, Thomas Duttenhofer und Gotthelf<br />

Schlotter (vom Vorstand) sowie Bruno Erdmann,<br />

Robert Preyer und Ernst Schonnefeld.<br />

Die beiden Preise wurden am Samstag (8.)<br />

um 17.00 Uhr in der Ausstellung in der<br />

Kunsthalle am Steubenplatz überreicht.<br />

Darmstädter Sezession<br />

wird nicht etwa als Alternative zum Auto,<br />

sondern als Nebensache dargestellt. Motto:<br />

„Für da, wo man mit dem Auto nicht hinkommt“.<br />

Das Fahrrad in Kombination mit<br />

Bus und Bahn stellt aber eine Alternative<br />

dar, <strong>die</strong> durch das Zusammenspiel von<br />

Autoausstellung- und Fahrradausstellung<br />

bewußt vertuscht werden soll.<br />

Wir fordern Sie hiermit auf, der Ausstellung<br />

eine Absage zu erteilen und sich somit nicht<br />

zu beteiligen.<br />

Mit umweltfreundlichen Grüßen<br />

Bastian Ripper, BUNDjugend,<br />

Oppenheimerstr. 5, 6100 Darmstadt<br />

Parallel zu <strong>die</strong>sem offenen Brief sammelt<br />

<strong>die</strong> BUNDjugend Unterschriften gegen<br />

künftige Automobil-Ausstellungen.<br />

Die Zeitung für Darmstadt<br />

!<br />

druckt Briefe an <strong>die</strong> Redaktion<br />

grundsätzlich unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und<br />

Grammatikfehler sowie Wiederholungen. Für Kürzungen wird<br />

<strong>die</strong> Zustimmung der AutorInnen eingeholt. Inhaltliche auch<br />

politische Änderungen werden nicht angebracht und auch<br />

nichts hinzugefügt. Die Briefe geben nicht <strong>die</strong> Meinung der<br />

Redaktion wieder.<br />

BRIEFE AN DIE REDAKTION II<br />

Mehr Sensibilität für grausame Schicksale<br />

„Schon lange sind meine Gedanken bei<br />

dem grausamen Bürgerkrieg in Jugoslawien.<br />

Was könnte ich dagegen tun? Die<br />

Macht, <strong>die</strong>sen Wahnsinn schnellstens zu<br />

beenden oder <strong>die</strong> Zeit <strong>zur</strong>ückzudrehen,<br />

habe ich nicht. Aber im Rahmen meiner<br />

kleinen Möglichkeiten grübelte ich nach<br />

einer Hilfeleistung um etwas Linderung zu<br />

bringen. Also organisierte ich einen Saal für<br />

eine öffentliche Veranstaltung, trommelte<br />

künstlerische Gruppen und Solisten aus<br />

acht Ländern zusammen, <strong>die</strong> ehrenamtlich<br />

auftraten und vieles mehr an Organisation.<br />

Die Benefizveranstaltung am 17. 4 trug den<br />

Namen „ Folklore der Welt“ zugunsten der<br />

Waisenkinder und der vergewaltigten Frauen.<br />

Jeder weiß, daß gerade <strong>die</strong> Kinder und<br />

<strong>die</strong> Frauen dringend Hilfe brauchen. Die<br />

Besucher zahlten keinen Eintritt und spendeten<br />

freiwillig. Die Frauenbeauftragte der<br />

Stadt Darmstadt, Trautl Baur, leitete inzwischen<br />

<strong>die</strong> kompletten Spenden von<br />

1.564,03 DM an zwei sehr engagierte Helferinnen<br />

vor Ort weiter. Zeitungen aus Darm-<br />

Es besteht Anlaß, <strong>die</strong> Bücherverbrennung<br />

vom 10. Mai 1933 nicht als eine einmalige,<br />

längst abgetane Monströsität zu betrachten.<br />

Noch immer werden in aller Welt<br />

Bücher verboten, Meinungen unterdrückt,<br />

oppositionelle Verlautbarungen nicht veröffentlicht,<br />

Publizisten verfolgt und Schriftsteller<br />

an Leib und Leben bedroht. Wer am<br />

10. Mai 1933 spricht, hat Salman Rush<strong>die</strong>s<br />

zu gedenken und sich ihm solidarisch zu<br />

erklären. Wer <strong>die</strong> Scheiterhaufen, auf denen<br />

<strong>die</strong> Bücher Siegmund Freuds oder Carl von<br />

Ossietzkys verbrannten, als Schande für<br />

unser Land versteht, wird unglaubwürdig,<br />

wenn er nicht <strong>die</strong> Partei jener Autoren<br />

ergreift, <strong>die</strong> heute, zwischen China und der<br />

Türkei in Gefängnissen gefoltert werden,<br />

weil sie <strong>die</strong> Mächtigen mit der Wahrheit des<br />

freien Wortes konfrontierten.<br />

Wer an den 10. Mai 1933 erinnert, hat aber<br />

auch zu bedenken: Die in der Weimarer Republik<br />

von langer Hand in deutschnationalen<br />

Kreisen vorbereitete Ausmerzung demokratischer<br />

Autoren hat Spuren hinterlassen.<br />

Spuren, <strong>die</strong> heute wie damals zu Sachwaltern<br />

der Reaktion führten, <strong>die</strong> sobald sie<br />

an der Macht sind, das Geschäft den Henkern<br />

überlassen. Nicht nur an <strong>die</strong> SA-Horden<br />

sondern auch an <strong>die</strong> Wegbereiter der<br />

Diktatur, <strong>die</strong> den Nationalsozialisten durch<br />

<strong>die</strong> Preisgabe von Liberalität und Toleranz<br />

stadt und Umgebung kündigten <strong>die</strong> Veranstaltung<br />

großzügig an.<br />

Nach der Veröffentlichung rief mich der<br />

Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher Eike Ebert an<br />

und bot mir seine Unterstützung, weil er<br />

mein Vorhaben für sehr wichtig und sehr<br />

menschlich hielt. Ich nahm dankbar an und<br />

bat ihn um 300 DM für mir entstehende<br />

Saal-Versicherungs- und Reisekosten einer<br />

weit anreisenden Profigruppe. Er ließ mir<br />

am Tag darauf 500 DM aushändigen. Auch<br />

das Darmstädter SPD-Büro bot Unterstützung<br />

an und Bürgermeister Peter Benz<br />

überwies 300 DM.<br />

Ich freute mich sehr über <strong>die</strong>se Entlastung,<br />

weil dadurch <strong>die</strong> Hilfe größer wurde. Jetzt<br />

konnte ich viel leichter Plakate, Handzettel<br />

und Saalmiete finanzieren.<br />

Ich möchte <strong>die</strong>sen Politikern danken, denen<br />

trotz ihrer jetzigen Belastung ihre Beziehung<br />

<strong>zur</strong> Menschlichkeit erhalten geblieben<br />

ist; <strong>die</strong> von sich aus Hilfe anboten und han-<br />

Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 10<br />

Zum 60. Tag der Bücherverbrennung am 10. Mai<br />

Die AG Ratio konstituiert sich an der THD<br />

In der Darmstädter Kommunalpolitik ten<strong>die</strong>rt<br />

<strong>die</strong> Bürgerbeteiligung gegen null.<br />

Politiker und Parteien entscheiden einsam<br />

und allein über das Wohl aller Darmstädter.<br />

Die einzige Form der Bürgerbeteiligung ist<br />

<strong>zur</strong> Zeit sich in Form einer Bürgerinitiative<br />

gegen Schwachsinn der Politiker und Parteien<br />

zu wehren. Bürger können also nur<br />

versuchen, grobe Fehler der Politik zu verhindern.<br />

Dies ist in der Vergangenheit<br />

tatsächlich teilweise gelungen. Diese Form<br />

der Bürgerbeteiligung ist jedoch destruktiv.<br />

Die Bürger können eben nur verhindern.<br />

Warum muß solch ein Schwachsinn erst<br />

entstehen? Warum haben Bürger beim<br />

Erstellen von Plänen und Vorhaben kein<br />

Mitwirkungsrecht? Warum bleibt <strong>die</strong>ses<br />

Recht den Parteien vorbehalten? Die Antwort<br />

auf <strong>die</strong>se Frage ist eigentlich ganz einfach.<br />

In Darmstadt hat <strong>die</strong> AG Ratio den Eindruck,<br />

daß sich ein Sumpf entwickelt hat,<br />

der zu seinem eigenen Vorteil Politik macht.<br />

Man kann <strong>die</strong>s nicht beweisen. Was bleibt,<br />

ist ein merkwürdiger Nachgeschmack.<br />

Warum hält Metzger <strong>die</strong> Kaufverträge über<br />

<strong>die</strong> Heag-Hallen <strong>zur</strong>ück?<br />

Warum gibt es geheime Magistratsvorlagen?<br />

Warum zensiert <strong>die</strong> Stadt Darmstadt <strong>die</strong><br />

ZD?<br />

Warum verhängt Metzger dem Darmstädter<br />

Ausländerbeirat einen Maulkorb?<br />

Warum bekommt ein Herr Mengler Bauaufträge?<br />

Die Antwort ist einfach: Sumpf! Leider kann<br />

man es nicht beweisen, aber der Eindruck<br />

bleibt. Die Liste der Fragen ließe sich beliebig<br />

verlängern. Wie sieht eine Alternative<br />

der AG Ratio aus?<br />

Stadtplanung muß als konstruktiver und<br />

kreativer Prozeß aller Bürger begriffen werden.<br />

Engagement und Beteiligung darf nicht<br />

nur aus Frust, sondern sollte aus Interesse<br />

an der eigenen Stadt heraus erfolgen. Das<br />

Gestalten des eigenen Lebensraums muß<br />

für <strong>die</strong> Menschen <strong>die</strong>ser schönen Stadt<br />

ohne den Umweg über <strong>die</strong> Parteien möglich<br />

sein. Es kann einfach nicht sein, daß Parteien<br />

das Planungsmonopol besitzen.<br />

Die AG Ratio will also ein Forum sein, in<br />

dem Menschen konstruktiv Stadtplanung<br />

betreiben können. Sozusagen eine vorbeugende<br />

Verhinderung von politischem Unfug.<br />

Die AG Ratio hat als Schwerpunkt ihrer<br />

praktischen Arbeit den Verkehr gewählt.<br />

Hier liegt in Darmstadt sehr viel im Argen.<br />

in <strong>die</strong> Hände arbeiteten, ist heute im Zeichen<br />

wachsender kultureller Gegenaufklärung<br />

zu erinnern, <strong>die</strong> geprägt ist durch<br />

<strong>die</strong> Mythisierung der Geschichte, durch <strong>die</strong><br />

Ausgrenzung der Fremden und Anderen<br />

und politisch Mißliebigen. Die Schriftsteller,<br />

<strong>die</strong> das Erbe Lessings und Heines nicht<br />

zum Gespött zu machen gedenken, haben<br />

allen Grund, wachsam zu sein.<br />

Am Vorabend seiner Jahrestagung, am 12.<br />

Mai 1993, 19.30 Uhr hat der bundesdeut-<br />

Schon im Januar <strong>die</strong>sen Jahres befürchtete<br />

ich, daß <strong>die</strong> Partei mit den starken rechtsextremen<br />

Anteilen im Bundestag – <strong>die</strong> CDU –<br />

eine Tochter oder Sohn in der Bundestagsfraktion<br />

hat, <strong>die</strong> für und mit der Partei „Die<br />

Republikaner“ zusammenarbeiten.<br />

Nachdem der CDU-Bundestagsabgeord<strong>net</strong>e<br />

Krause-Bonese seine „Denkschrift zu<br />

deutschen nationalen Fragen“ verfaßt hatte,<br />

wurde er von großen Teilen der CDU<br />

<strong>zur</strong>ückgepfiffen. Wie sich jetzt gezeigt hat,<br />

läßt sich ein Krause-Bonese nicht <strong>zur</strong>ückpfeifen,<br />

wohlig trällert und pfeift er sein<br />

m.E. widerliches deutschnationales Gedankengut.<br />

Ein Hampelmann von Schönhuber<br />

und stolz erzählt er mir am Telefon: „Im<br />

Fernsehen war ich auch schon.“<br />

delten – mit der ausdrücklichen Bitte, sie<br />

bei der Veranstaltung nicht zu erwähnen.<br />

Heute frage ich mich, wo sind eigentlich <strong>die</strong><br />

übrigen „christlichen familien- und kinderfreundlichen,<br />

grünen oder liberalen“ Volksvertreter<br />

geblieben? Keiner war da, keiner<br />

spendete, keiner unterstützte in irgend<br />

einer Weise. Auch <strong>die</strong> „erste Frau für Darmstadt“<br />

, <strong>die</strong> sich bei ihrem Ausländerbeirat<br />

noch nie hat sehen lassen, obwohl sie ihm<br />

angehört, gab keinen Ton und keine Spendenmark<br />

von sich. Ich hätte von einer Frau,<br />

<strong>die</strong> erste Oberbürgermeisterin Darmstadts<br />

werden will, mehr Sensibilität gegenüber<br />

grausamen Schicksalen von Kindern und<br />

Frauen erwartet.<br />

Wenn sich ausländische Bürger, <strong>die</strong> nicht<br />

wählen dürfen, auf <strong>die</strong> Unterstützung sozial<br />

engagierter Politiker verlassen können,<br />

dann können <strong>die</strong>s erst recht alle Darmstädter.<br />

Dies sollten sie bei der <strong>Wahl</strong> eines neuen<br />

Oberbürgermeisters beachten.<br />

Gianina Ragazzi-Rack<br />

sche P.E.N. des 60. Jahrestages der<br />

Bücherverbrennung mit einer Lesung<br />

gedacht. Katja Behrens, Christa Dericum,<br />

Margarete Hannsmann, Gert Heidenreich,<br />

Gerhard Schoenberner, Friedrich Schorlemmer,<br />

Elsbeth Wolffheim und Ursula Setzer<br />

lesen Texte von verbotenen und vertriebenen<br />

Autoren. Johannes Mario Simmel<br />

erinnerte an das Schicksal der literarischen<br />

Emigration.<br />

P.E.N.<br />

Die Republikaner im Bundestag<br />

Als erstes organisiert <strong>die</strong> AG Ratio eine<br />

Bestandsaufnahme der Darmstädter Verkehrsverhältnisse.<br />

Das Ergebnis <strong>die</strong>ser<br />

Bestandsaufnahem wird in einer öffentlichen<br />

Ausstellung allen Menschen <strong>die</strong>ser<br />

Stadt zugänglich gemacht.<br />

Weiterhin will <strong>die</strong> AG Ratio <strong>die</strong> Verbindung<br />

zwischen TH und den Menschen <strong>die</strong>ser<br />

Stadt herstellen. Die AG Ratio will auch alles<br />

Wissen, das notwendig ist, um Stadtplanung<br />

zu betreiben, allen interessierten Menschen<br />

vereinfacht <strong>zur</strong> Verfügung stellen. Die<br />

AG Ratio ist für alle Menschen <strong>die</strong>ser Stadt<br />

offen.<br />

Weiterhin behauptet <strong>die</strong> AG Ratio: Gesunder<br />

Menschenverstand und Phantasie sind <strong>die</strong><br />

wichtigsten Fähigkeiten, <strong>die</strong> Menschen<br />

brauchen, um Stadtplanung zu betreiben<br />

mit dem Argument: „Ihr Menschen, ihr habt<br />

keinen Sachverstand und ihr seid nicht in<br />

der Lage, Politik zu verstehen“ haben <strong>die</strong><br />

Parteien lange genug <strong>die</strong> Macht an sich<br />

gerissen.<br />

Den notwenigen Sachverstand stellt <strong>die</strong> AG<br />

Ratio <strong>zur</strong> Verfügung. Das einzige, was sonst<br />

noch fehlt, um Politik zu machen, ist Selbstvertrauen.<br />

Wir, <strong>die</strong> Menschen <strong>die</strong>ser Stadt,<br />

müssen es uns einfach zutrauen, Politik zu<br />

machen.<br />

Das ist das ganze Geheimnis. Stellt euch<br />

vor, jeder würde denken, Politik ist einfach.<br />

Wir könnten ja <strong>die</strong> Politiker wirkungsvoll kritisieren.<br />

Wir könnten sie gar kontrollieren.<br />

Ein Alptraum für einige unserer Politiker.<br />

Politik ist einfach. Wir Menschen können<br />

Politik machen.<br />

AG Ratio<br />

Kontakt: Claudia Götz, Kranichsteiner Str. 53,<br />

Tel.: 78 18 99 und Christian Schmitt,<br />

Neckarstr. 15, App. 117, Tel.: 31 98 76<br />

Mit seiner ersten Denkschrift hat Krause<br />

gesät und darauf folgten <strong>die</strong>, wie er mir mitteilt<br />

über 700 Briefe, <strong>die</strong> Saat. Ein Ermittlungsverfahren<br />

wird nicht aufgenommen.<br />

M.E. und nach Erachten des RCDS-Vorsitzenden<br />

von Sachsen-Anhalt Jörg Brochnow<br />

hat sich Krause strafrechtlich wegen Volksverhetzung<br />

zu verantworten.<br />

Bis das gegen Krause eingeleitete Parteiausschlußverfahren<br />

rechtskräftig abgeschlossen<br />

ist, hat derselbe als Schönhubers<br />

Hampelmann – m.E. ist sich Krause<br />

über <strong>die</strong>se seine Funktion nicht bewußt –<br />

ausge<strong>die</strong>nt. In der nächsten Legislaturperiode<br />

ist er nicht mehr MdB.<br />

Markus Volker Braum<br />

AStA protestiert<br />

„Durch <strong>die</strong> Zusammensetzung der hessischen<br />

Strukturkommission und durch <strong>die</strong> vom Ministerium<br />

vorgegebenen Prämissen ist der Rahmen<br />

längst vorgegeben, in dem sich das<br />

Ergebnis der Untersuchungen bewegen wird.<br />

Die Kommission soll nur dazu <strong>die</strong>nen, <strong>die</strong> Vorstellungen<br />

des Ministeriums durch Expert-<br />

Innen zu bestätigen und eventuell Maßnahmen<br />

<strong>zur</strong> Umsetzung herauszufinden und zu<br />

formulieren. (…)<br />

Ihre Informationen bekommt <strong>die</strong> Kommission<br />

durch Kurzbesuche an Hochschulen, ProfessorInnen<br />

sollen heute in Kurzreferaten von der<br />

Lage bestimmter Fachbereiche berichten, ein<br />

ehemaliger Stu<strong>die</strong>render soll einen Rückblick<br />

auf sein Studium vermitteln und das Konzept<br />

der Lernzentren soll vorgestellt werden. Am<br />

Nachmittag zieht sich <strong>die</strong> Kommission <strong>zur</strong><br />

internen Diskussion hinter verschlossene Türen<br />

<strong>zur</strong>ück. Danach werden <strong>die</strong> StrukturberaterInnen<br />

auseinandergehen und wieder als<br />

Vorsitzender des Wissenschaftsrats, als UniversitätspräsidentIn<br />

oder einfach nur als ProfessorIn<br />

mit anderen Dingen beschäftigt sein.<br />

Ist ernsthaft anzunehmen, daß auch nur ein<br />

einziges Mitglied der Kommission wirklich <strong>die</strong><br />

Zeit aufbringen kann, den gestellten Fragen<br />

gründlich nachzugehen? Was kann ein Teilzeit-<br />

BeraterInnengremium von außerhessischen<br />

ProfessorInnen und Hochschul-FunktionärInnen<br />

leisten außer für <strong>die</strong> in den Köpfen vorhandene<br />

Ideologie <strong>die</strong> hessischen Fakten zu finden.<br />

Wir wollen keine Strukturkommission, <strong>die</strong> beauftragt<br />

ist, <strong>die</strong> grundlegenden Probleme zu ignorieren<br />

und mit einem Fragenkatalog zu arbeiten,<br />

der <strong>die</strong> Thesen des Wissenschaftsrats<br />

impliziert. Wir wollen überhaupt keine Strukturkommission.<br />

Wir wehren uns gegen inhaltliche<br />

und strukturelle Reformen, <strong>die</strong> uns von „oben“<br />

aufgedrückt werden. Wir wollen eine Autonomie<br />

der Hochschulen ohne ProfessorInnenmehrheit.<br />

Wir wollen nicht befragt und analysiert<br />

werden, wir wollen mit bestimmen.<br />

AStA THD


PARTEIEN - STANDPUNKTE<br />

Wahrheit bleibt auf der Strecke Bauverein läßt den Bagger rollen –<br />

Ein Musterbeispiel für Arroganz<br />

Zur Berichterstattung über<br />

das Postamt in der Robert-<br />

Schneider-Straße erklärt der<br />

Darmstädter Abgeord<strong>net</strong>e und<br />

Oberbürgermeisterkandidat<br />

Gerhard O. Pfeffermann: „<strong>Wahl</strong>kampf ist<br />

eine Zeit, wo mancher sich verführen läßt,<br />

den politischen Gegner mit Unterstellungen<br />

und Diffamierungen zu bekämpfen, statt mit<br />

Argumenten. Dabei bleibt <strong>die</strong> Wahrheit auf<br />

der Strecke.“ Bürgermeister Benz sei rasch<br />

bei der Hand, wenn es darum gehe dem<br />

CDU-Abgeord<strong>net</strong>en Gerhard O. Pfeffermann<br />

<strong>die</strong> Mitschuld für <strong>die</strong> Schließungsabsicht in<br />

<strong>die</strong> Schuhe zu schieben, sein Parteifreund<br />

Eike Ebert, ebenfalls Mitglied im Postausschuß,<br />

sei dagegen unerwähnt geblieben.<br />

Gerhard O. Pfeffermann habe sofort nach<br />

Bekanntwerden der Maßnahmen in Darmstadt<br />

„höchste Alarmstufe“ beim Vorstand<br />

der Post und im Postausschuß gegeben und<br />

auf <strong>die</strong> negativen Folgen der geplanten<br />

Schließung für <strong>die</strong> Bevölkerung im Norden<br />

Darmstadts aufmerksam gemacht. Seiner<br />

Intervention sei es zu danken, daß <strong>die</strong> Kündigung<br />

der Räume und <strong>die</strong> Schließungsabsicht<br />

<strong>zur</strong>ückgenommen sei. Leider habe der Kollege<br />

Ebert den Postausschuß bereits wieder<br />

verlassen gehabt, als <strong>die</strong> Sache <strong>zur</strong> Sprache<br />

kam. Nachdem das Postamt Darmstadt<br />

durch den Vorstand angewiesen sei, <strong>die</strong><br />

Kündigung <strong>zur</strong>ückzunehmen, entbehrten <strong>die</strong><br />

unredlichen Anwürfe von Peter Benz jeder<br />

sachlichen Grundlage. Ob solche Art <strong>Wahl</strong>kampf<br />

<strong>die</strong> Wähler zu überzeugen vermag,<br />

bleibe abzuwarten.<br />

Frauenthemen auf den Tisch<br />

Dr. Sissy Geiger, Vorsitzende<br />

der Frauenunion, vermißt<br />

unter den Sachfragen in den<br />

Koalitionsgesprächen das<br />

Thema „Frauenpolitik“. Sie<br />

forderte ihre CDU-Kolleginnen und Kollegen<br />

auf, das Thema „Kommunalpolitik für<br />

Frauen“ gewissenhaft „abzuarbeiten“,<br />

bevor Bündnisentscheidungen getroffen<br />

würden.<br />

Es gehe bei den Verhandlungen ums Bauen<br />

und ums Autofahren oder Nichtfahren, aber<br />

mit den Frauenthemen habe man sich noch<br />

nicht auseinandergesetzt. Besonders <strong>die</strong><br />

Grünen, moniert Dr. Sissy Geiger, würden<br />

Wein predigen und Wasser servieren. Die<br />

CDU-Frauen, <strong>die</strong> 43% der neuen Fraktion<br />

stellen, halten es für wichtig, daß auch im<br />

hauptamtlichen Magistrat eine oder mehrere<br />

Frauen Verantwortung übernehmen und<br />

den männlichen Kollegen bei der Initiative<br />

„frauenfreundliche Stadt“ und deren<br />

Umsetzung auf <strong>die</strong> Finger schauen würde.<br />

Um der Frauenpolitik Nachdruck zu verleihen,<br />

muß außerdem unbedingt <strong>die</strong> Frauenkommission<br />

wieder eingesetzt werden, <strong>die</strong><br />

aus repräsentativen Darmstädter Frauenverbänden<br />

gebildet wird und seinerzeit von<br />

der SPD zerschlagen wurde. „Was kann<br />

einer Stadt besseres passieren, als daß sich<br />

Bürgerinnen für <strong>die</strong> eigene Sache engagieren“,<br />

fragt Dr. Geiger.<br />

Umbau der Oberen<br />

Rheinstraße<br />

vorantreiben<br />

Kein Verständnis hat <strong>die</strong> CDU-<br />

Fraktion für weitere Verzögerungen<br />

beim Ausbau der oberen<br />

Rheinstraße. Die Pläne<br />

seien baureif ausgearbeitet,<br />

das Geld im städtischen Haushalt bereitgestellt.<br />

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr.<br />

Rüdiger Moog hält ein weiteres Zuwarten<br />

für unbegründet. Moog: „Es kommt darauf<br />

an, daß wir mit den Baumaßnahmen in<br />

überschaubarer Zeit fertig werden, damit<br />

<strong>die</strong> Behinderung des Verkehrs und des Einzelhandels<br />

in Grenzen gehalten werden“.<br />

Der Abriß der Außentreppe am Kaufhof sei<br />

wünschenswert, aber kein Anlaß mit dem<br />

Umbau der Rheinstraße zu warten. Notfalls<br />

müßte der Kaufhof für spätere Demontage<br />

einstehen, wenn <strong>die</strong> Treppe nicht rechtzeitig<br />

abgebrochen werden könne. Für <strong>die</strong><br />

Behindertentoilette macht <strong>die</strong> CDU einen<br />

Vorschlag: Sie begrüßt es sehr, daß <strong>die</strong><br />

Garage über einen behindertengerechten<br />

Aufzug erschlossen wird. Dies eröffne aber<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit, das Örtchen unter <strong>die</strong> Erde<br />

zu verlegen, denn dort sei es auch für Rollstuhlfahrer<br />

problemlos zu erreichen.<br />

Die Umgestaltung des Friedensplatzes nach<br />

den Plänen des Architekten Udo Nieper finde<br />

den Beifall der CDU-Kommunalpolitiker.<br />

Eine offenere Blick- und Wegebeziehung<br />

zwischen dem Weißen Turm und dem<br />

Museum bedeute einen Zuwachs an Urbanität.<br />

Niemand brauche in der Dunkelheit<br />

<strong>die</strong>sen Durchgang zu fürchten, jetzt meiden<br />

viele <strong>die</strong> unübersichtlichen Ecken dort.<br />

Dr. Moog fordert den Magistrat auf, ohne<br />

weitere Verzögerung mit dem Abriß der<br />

Pavillons und dem Ausbau der Rheinstraße<br />

zu beginnen. „Der nächste Schritt muß<br />

dann der Marktplatz sein“, stellt Dr. Moog<br />

fest, „es wird eine Hauptaufgabe der nächsten<br />

vier Jahre sein, aus dem vergammelten<br />

Marktplatz ein innerstädtisches<br />

Schmuckstück zu machen“.<br />

Die CDU werde sich für breite Bürgerinnenbeteiligung<br />

stark machen. Als wichtige<br />

Sachthemen nennt Dr. Geiger <strong>die</strong> Umsetzung<br />

des Programms frauenfreundliche<br />

Stadt, Sicherheit für Frauen, etwa durch<br />

Videoüberwachung und gute Ausleuchtung<br />

von Parks und Wohnstraßen, sowie gezielte<br />

Hilfen für junge Familien, insbesondere bei<br />

der Wohnungsversorgung.<br />

Ein schweres Baufahrzeug<br />

zerstört Gärten in der Michaelisstraße.<br />

Die Bauverein AG<br />

hatte <strong>die</strong> Mieter erst kurz vorher<br />

von <strong>die</strong>ser Maßnahme<br />

informiert. Für <strong>die</strong> Grünen ist das wieder ein<br />

Musterbeispiel, mit welcher Arroganz der<br />

Bauverein seine Mieter behandelt.<br />

Wo vor kurzem noch eine Kleingartenidylle<br />

herrschte, verlaufen nun <strong>die</strong> breiten Spuren<br />

eines Raupenbaggers, <strong>die</strong> sich in den Boden<br />

gefressen haben. Die Kleingärten vor den<br />

Häusern an der Michaelisstraße 16c-r gibt es<br />

nicht mehr. Ein Bagger hat sie umgepflügt.<br />

Der Bauverein baut auf <strong>die</strong>sem Gelände 83<br />

Sozialwohnungen. Empörte Anwohner und<br />

Anwohnerinnen haben den Grünen mitgeteilt,<br />

mit welcher Rücksichtslosigkeit der<br />

Bauverein dabei vor<strong>geht</strong>. Am 5. Mai gegen<br />

12 Uhr läßt der Bauverein ein Schreiben in<br />

<strong>die</strong> Briefkasten der Häuser Michaelisstraße<br />

16c-r werfen. Den sehr geehrten Mietern<br />

wird mitgeteilt, daß „im Rahmen der Baumaßnahmen<br />

eine Zufahrt für Baufahrzeuge<br />

gebraucht wird“ und „da vor den Gebäuden<br />

Gärten angelegt sind, müssen wir <strong>die</strong> betreffenden<br />

Mieter leider auffordern, sämtliche<br />

Gerätschaften von dem Gelände zu entfer-<br />

nen.“ Unterzeich<strong>net</strong> – mit freundlichen<br />

Grüßen – Bauverein AG.<br />

Doch schon zwei Stunden später – gegen 14<br />

Uhr – rollt der Bagger an und verwüstet <strong>die</strong><br />

Gärten. Es werden vollendete Tatsachen<br />

geschaffen; <strong>die</strong> meisten Mieter sind an ihren<br />

Arbeitsplätzen und haben keine Möglichkeit,<br />

auf das Schreiben zu reagieren. Als sie von<br />

der Arbeit kommen, bietet sich ihnen ein<br />

schrecklicher Anblick. Die Gärten, in <strong>die</strong> sie<br />

vor kurzem noch neue Pflanzen eingesät<br />

haben, sind untergepflügt.<br />

Für <strong>die</strong> Mieter der Michaelisstraße ist das<br />

Vorgehen des Bauvereins ein reiner Willkürakt,<br />

der zeigt, daß der Bauverein nicht mit<br />

ihnen zusammenarbeiten will. Dieser<br />

Umgang des Bauvereins mit seinen Mietern<br />

ist nach Ansicht der Grünen nicht mehr tolerierbar.<br />

Die Grünen fordern, daß der Bauverein<br />

<strong>die</strong> Anwohner in seine Bauplanung miteinbezieht,<br />

damit sie ihre Interessen in <strong>die</strong>sem<br />

Bauprojekt einbringen können. Denn<br />

nur so könnten Konflikte im Vorfeld beigelegt<br />

werden, <strong>die</strong> entstehen, weil der Bauverein als<br />

Investor das Gelände maximal ausnutzen<br />

will, <strong>die</strong> Anwohner aber natürlich Wert auf<br />

Qualität der neuen Wohneinheiten legen.<br />

Newroz – Kein Fest des Friedens und der Freude<br />

Nach einem einwöchigen Aufenthalt<br />

als Teilnehmerlnnen<br />

einer internationalen Beobachterdelegation<br />

in türkisch<br />

Kurdistan erklären Angelika<br />

Beer, Mitglied im Bundesvorstand <strong>die</strong> Grünen<br />

und Claudia Roth, Grüne Europaabgeord<strong>net</strong>e<br />

und Abgesandte des Unterausschusses<br />

für Menschenrechte des Europaparlamentes:<br />

Der von den Grünen unterstützte Aufruf, als<br />

Beobachter am <strong>die</strong>sjährigen Newroz-Fest in<br />

türkisch Kurdistan teilzunehmen, hatte zum<br />

Ziel, sich über <strong>die</strong> aktuelle Menschenrechtssituation<br />

in der Region zu informieren sowie<br />

durch <strong>die</strong> internationale Aufmerksamkeit der<br />

kurdischen Bevölkerung Schutz vor einer<br />

Wiederholung des Blutbades im Jahr 1992 zu<br />

bieten. Ca. 40 internationale Beobachterlnnen<br />

aus sechs Ländern (Norwegen, Finnland,<br />

Deutschland, Niederlande, Belgien und der<br />

Schweiz) waren zwischen dem 18. und 26.<br />

März in verschiedenen kurdischen Dörfern<br />

und Städten. Zu den Delegationen zählten Abgeord<strong>net</strong>e<br />

nationaler Parlamente, des Europaparlaments,<br />

von Länderparlamenten, Vertreterlnnen<br />

von Parteien, der Friedensbewegung,<br />

von Universitäten, Kirchen, Menschenrechtsorganisationen,<br />

Presse und Me<strong>die</strong>n.<br />

1. Augenzeugenberichte der Beobachterlnnen<br />

und andere Quellen, wie Berichte von<br />

Menschenrechtsorganisationen, Zeitungen,<br />

Radio und Fernsehen lassen uns zu folgendem<br />

Ergebnis kommen:<br />

• Bereits vor dem Newroz-Fest am 21.03. ist<br />

es zu massiven Einschüchterungsversuchen<br />

und Übergriffen der türkischen Militär- und<br />

Polizeieinheiten gekommen. Kurdische<br />

Städte wie Van wurden militärisch umstellt.<br />

Die Bevölkerung des im letzten Herbst von<br />

der Türkei zerstörten Dorfes Sirnak wurde<br />

gezwungen, <strong>die</strong> Region zu verlassen. Es kam<br />

zu zahlreichen Festnahmen und Verhaftungen<br />

vor und während des Tages. Eine Kinderdemonstration<br />

in Cizre, wo <strong>die</strong> türkischen<br />

Sicherheitskräfte im März 1992 ein Blutbad<br />

anrichteten, wurde militärisch unter Einsatz<br />

von Schußwaffen – auch gegen eine Gruppe<br />

von Journalisten – aufgelöst. Nach vorläufigen<br />

Berichten der kurdischen Menschenrechtsvereine<br />

gibt es zwei Tote in den kurdischen<br />

Provinzen. Es ist von mindestens 200<br />

Verhaftungen auszugehen. Eine noch nicht<br />

bekannte Zahl von Menschen wird bis heute<br />

in den Gefängnissen festgehalten.<br />

Die internationalen Beobachter und Journalisten<br />

wurden in ihrer Arbeit behindert und<br />

pausenlos von bewaff<strong>net</strong>en Zivilpolizisten<br />

verfolgt, <strong>die</strong> offensichtlich den direkten Kontakt<br />

<strong>zur</strong> Bevölkerung verhindern wollten.<br />

Die vor allem aus NVA- und US-Beständen<br />

stammenden Panzer <strong>zur</strong> „Verteidigung“ der<br />

Türkei richteten ihre Zielrohre auf zivile Projekte<br />

(Busstationen, Privatwohnungen,<br />

Hotels). In Diyarbakir wurden in der Nacht<br />

des 21.03. zwei Wohnblöcke mit Panzerartillerie<br />

und Maschinengewehrsalben unter<br />

Beschuß genommen.<br />

• Die Aufmerksamkeit der internationalen<br />

Öffentlichkeit meidend, hat der Einsatz türkischer<br />

Sicherheitskräfte gegen das Newroz-<br />

Fest in Adana, Westtürkei, zu vier Todesopfern<br />

und zahlreichen Verwundeten<br />

(Schußverletzungen) geführt.<br />

• Trotz des militärischen Belagerungszustandes<br />

und zahlreichen Provokationen von<br />

staatlicher Seite ist es dem Verhalten des<br />

kurdischen Volkes und dem zuvor von der<br />

PKK verkündeten einseitigen Waffenstillstand<br />

zu verdanken, daß es anläßlich des<br />

Newroz-Festes nicht zu der von der türkischen<br />

Regierung angekündigten militärischen<br />

Lösung des „Kurdenproblems“<br />

gekommen ist.<br />

• Das kurdische Volk hat in <strong>die</strong>sen Tagen eindrucksvoll<br />

gezeigt, daß es den Frieden will<br />

und nicht Gewalt. Es hat sich trotz aller Versuche<br />

von türkischer staatlicher Seite nicht<br />

provozieren lassen.<br />

Newroz war nicht das Fest des Friedens und<br />

der Freude. Newroz 1993 war nicht ein Tag,<br />

an dem <strong>die</strong> Kurdlnnen feiern und ihr Recht<br />

auf Ausdrucksfreiheit wahrnehmen konnten.<br />

Dennoch hat das kurdische Volk alles getan,<br />

seine Dialogbereitschaft mit dem türkischen<br />

Staat unter Beweis stellen.<br />

2. Wir sind der festen Überzeugung, daß das<br />

kurdische Volk in der Türkei endlich uneingeschränkt<br />

seine legitimen Rechte bekommen<br />

muß. Wir sind davon überzeugt, daß <strong>die</strong>se<br />

Rechte und <strong>die</strong> den Kurdlnnen zustehenden<br />

Freiheiten nur durch einen politischen Dialog<br />

zu erreichen sind. Aus <strong>die</strong>sem Grunde begrüßen<br />

wir <strong>die</strong> Erklärung eines einseitig befristeten<br />

Waffenstillstands durch den Generalsekretär<br />

der PKK. Sowohl das Angebot der<br />

PKK, keinen unabhängigen kurdischen Staat<br />

losgelöst von der Türkei anzustreben als auch<br />

ihr Vorschlag, sich am Verhandlungstisch für<br />

<strong>die</strong> Rechte der Kurdlnnen einzusetzen, eröffnen<br />

<strong>die</strong> vielleicht einmalige historische Chance<br />

für einen Frieden in türkisch Kurdistan. Ein<br />

Hoffnungsschimmer im schmutzigen Krieg,<br />

der seit vielen Jahren tobt.<br />

<strong>Nur</strong> wenn <strong>die</strong> türkische Regierung ihre nationalistisch-chauvinistische<br />

Haltung aufgibt,<br />

nur wenn sie <strong>die</strong>ses Angebot als solches<br />

annimmt, nur wenn sie ab<strong>geht</strong> von der fatalen<br />

Auffassung, das kurdische Problem könne<br />

militärisch gelöst werden, nur dann wird<br />

es wirklich eine Perspektive für das kurdische<br />

und türkische Volk in der Türkei geben.<br />

Die Demokratisierung der Türkei ist nicht<br />

losgelöst von der friedlichen politischen<br />

Lösung der Kurdenfrage realisierbar.<br />

Wir appellieren an <strong>die</strong> türkische Regierung,<br />

<strong>die</strong>se Gelegenheit wahrzunehmen und<br />

tatsächlich einen ernsthafter politischen Dialog<br />

mit den Repräsentanten des kurdischen<br />

Volkes zu beginnen, der auf demokratischen<br />

Prinzipien beruhen muß und eine vollständige<br />

Verwirklichung der Rechte des kurdischen<br />

Volkes und <strong>die</strong> sofortige Beendigung<br />

der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen<br />

in der Türkei bedingt.<br />

Als Sofortmaßnahmen fordern wir von der<br />

türkischen Seite:<br />

• <strong>die</strong> Erwiderung des Waffenstillstandes<br />

• <strong>die</strong> Aufhebung des Ausnahmezustandes<br />

und den Rückzug aus den kurdischen Provinzen<br />

• <strong>die</strong> Abschaffung des „Dorfschützersystems“<br />

• <strong>die</strong> Abschaffung des Anti-Terror-Gesetzes<br />

• <strong>die</strong> Legalisierung und Zulassung der kurdischen<br />

Parteien<br />

• <strong>die</strong> uneingeschränkte Gewährung aller<br />

politischen und kulturellen Rechte für <strong>die</strong><br />

Kurden<br />

• <strong>die</strong> Aufklärung und Ahndung der Verbrechen,<br />

<strong>die</strong> von Sicherheitskräften, Sondereinheiten<br />

und Mitgliedern des Militärs begangen<br />

wurden<br />

• uneingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit<br />

• Wiederaufbau der über 300 zerstörten kurdischen<br />

Dörfer und Umsetzung eines wirtschaftlichen<br />

Förderprogrammes<br />

Wir fordern den UN-Generalsekretär auf, mit<br />

der türkischen Regierung zu vereinbaren,<br />

BeobachterInnen in alle kurdische Provinzen<br />

zu entsenden, um <strong>die</strong> Einführung und Einhaltung<br />

der Menschenrechte zu überprüfen.<br />

Die Grünen fordern <strong>die</strong> europäischen Regierungen<br />

auf, positiv auf <strong>die</strong>ses Waffenstillstandsangebot<br />

zu reagieren und ihren Einfluß<br />

auf <strong>die</strong> Türkei geltend zu machen, endlich<br />

<strong>die</strong>sen politischen Weg zu beschreiten.<br />

Darüber hinaus fordern wir alle Staaten –<br />

und hier insbesondere <strong>die</strong> Regierungen der<br />

USA, Rußlands und Deutschlands – auf, <strong>die</strong><br />

militärische Aufrüstung der Türkei sofort zu<br />

beenden und bereits bestehende Zusagen<br />

für weitere Waffenlieferungen zu revi<strong>die</strong>ren.<br />

Dies gilt insbesondere für <strong>die</strong> Lieferungen<br />

der Phantom-Jagdflugzeuge aus Deutschland.<br />

Wir fordern von der deutschen Bundesregierung<br />

und den Ländern:<br />

• politischen Druck auf <strong>die</strong> türkische Regierung<br />

auszuüben, den Waffenstillstand und<br />

das Verhandlungsangebot der PKK zu erwidern<br />

• den undemokratischen Prozeß nach § 129a<br />

gegen Mitglieder der PKK in Deutschland<br />

einzustellen<br />

• durch den sofortigen Stopp der Rüstungslieferungen<br />

<strong>die</strong> Voraussetzungen zu schaffen,<br />

daß der Waffenstillstand nicht mit aus<br />

Deutschland gelieferten Waffen gebrochen<br />

wird<br />

• daß keine Abschiebungen an <strong>die</strong> Türkei<br />

vorgenommen werden<br />

• Gewährung der kulturellen Rechte der bei<br />

uns lebenden Kurdlnnen, wie muttersprachlichen<br />

Unterricht, Radio und Fernsehsendungen.<br />

Die Grünen sehen bis <strong>zur</strong> Umsetzung <strong>die</strong>ser<br />

Forderungen keinen Grund <strong>zur</strong> Entwarnung.<br />

Bis <strong>zur</strong> Durchsetzung der Menschenrechte<br />

in der Türkei werden wir an dem Aufruf zum<br />

Tourismusboykott der Türkei festhalten und<br />

uns – wie mit der von uns gestellten Strafanzeige<br />

gegen <strong>die</strong> deutsche Bundesregierung<br />

wegen Beihilfe zum Völkermord – für einen<br />

generellen, zeitlich unbegrenzten Rüstungsexportstopp<br />

einsetzen.<br />

Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 11<br />

Standort<br />

Darmstadt nicht<br />

aufs Spiel setzen<br />

„Spannend, aber auch beunruhigend!“<br />

– Mit <strong>die</strong>ser Beurteilung<br />

der laufenden Koalitionsverhandlungen<br />

zwischen<br />

SPD, CDU und Grünen bringen<br />

<strong>die</strong> Darmstädter Liberalen ihre Sorge<br />

auf den Punkt, daß wichtige Grundsätze<br />

erfolgreicher Stadtentwicklung auf dem<br />

Altar grüner Idyllen geopfert werden könnten.<br />

Kaum zu verstehen sei zum Beispiel, so<br />

Ruth Wagner als <strong>OB</strong>-Kandidatin der FDP,<br />

daß sowohl <strong>die</strong> CDU als auch <strong>die</strong> Sozialdemokraten<br />

in Sachen Gewerbeansiedlung<br />

und Ausweisung neuer Wohngebiete den<br />

Grünen „extrem weit“ entgegengekommen<br />

seien.<br />

Dr. Dierk Molter, Fraktionsvorsitzender der<br />

FDP im Stadtparlament, teilt <strong>die</strong>se Meinung.<br />

Er hält es für unverantwortlich, in<br />

Zeiten schwieriger Konjunktur und gefährdeter<br />

Arbeitsplätze „auch im krisensicheren<br />

Darmstadt“ einen stadtwirtschaftlich so<br />

restriktiven Kurs zu fahren, wie <strong>die</strong> Grünen<br />

ihn als Preis für eine Koalition fordern.<br />

Anstatt den Raumordnungsplan mit seinem<br />

viel zu niedrigen Gewerbeansiedlungsmöglichkeiten<br />

zu korrigieren, verstünden sich<br />

<strong>die</strong> Darmstädter Grünen offenbar als verlängerter<br />

Arm ihrer Wiesbadener Kollegen.<br />

Und <strong>die</strong>s, obwohl auch den Grünen bekannt<br />

sein dürfte, daß <strong>zur</strong> ständig notwendigen<br />

Modernisierung von Arbeitsplätzen Platz<br />

für Gewerbeansiedlungen dringend<br />

gebraucht würde, betont Dr. Molter.<br />

Regelrecht alarmiert reagierten <strong>die</strong> Darmstädter<br />

Liberalen auf <strong>die</strong> bisherigen Verlautbarungen<br />

<strong>zur</strong> Verkehrspolitik. „Wer <strong>die</strong><br />

Nordostumgehung aufs Spiel setzt, zementiert<br />

das Verkehrschaos und <strong>die</strong> Belastung<br />

der Martinsviertler“, erklärt Ruth Wagner,<br />

<strong>die</strong> sich in Bonn und Wiesbaden für <strong>die</strong><br />

Wiederaufnahme <strong>die</strong>ser Straße in <strong>die</strong> Prioritätenliste<br />

des Bundes vehement eingesetzt<br />

hat und nun befürchtet, daß <strong>die</strong><br />

Straßenbaumaßnahme erneut „abrutscht“:<br />

das wäre dann das endgültige Aus für <strong>die</strong><br />

Nordostumgehung – und ein nicht wiedergutzumachender<br />

Schaden für <strong>die</strong> Stadt, so<br />

<strong>die</strong> <strong>OB</strong>-Kandidatin.<br />

Die F.D.P. fordert <strong>die</strong> Landesregierung, vor<br />

allem <strong>die</strong> Grünen in Wiesbaden auf, <strong>die</strong><br />

Nordostumgehung wieder in den Raumordnungsplan<br />

Südhessen aufzunehmen.<br />

„Die sich anbahnende rot-grüne Koalition in<br />

Darmstadt erfordert jetzt erst recht <strong>die</strong><br />

<strong>Wahl</strong> von Ruth Wagner <strong>zur</strong> Oberbürgermeisterin,<br />

<strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem verantwortungsvollen<br />

Amt mit ihrer Integrationskraft und liberalem<br />

Ausgleich eine negative Stadtentwicklung<br />

für Darmstadt verhindern kann“, so<br />

der Kreis- und Fraktionsvorsitzende<br />

Dr. Dierk Molter.<br />

Tiefgreifende<br />

Verfilzung<br />

Mangelnde Sensibilität wertet<br />

der CDU-Fraktionsvorsitzende<br />

Dr. Rüdiger Moog <strong>die</strong><br />

Bekenntnisse städtischer Mitarbeiter<br />

und der Direktoren<br />

städtischer Gesellschaften für den SPD-<br />

Kandidaten. Ein Indiz für <strong>die</strong> tiefgreifende<br />

Verfilzung zwischen Parteibindung und leitenden<br />

Posten im Dienste der Stadt werde<br />

hier deutlich. Was seien Bekenntnisse wert,<br />

<strong>die</strong> Mitarbeiter der Stadt gegenüber ihrem<br />

Arbeitgeber und Dienstvorgesetzten abgäben,<br />

fragt der CDU-Fraktionsvorsitzende.<br />

Es sei kein Zeichen von gutem Geschmack<br />

materiell Abhängige zu Solidaritätsadressen<br />

zu veranlassen.<br />

„Es kratzt uns wenig, daß ein großer Teil der<br />

Sympathisanten des SPD-Kandidaten im<br />

Umland wohnen und ihn gar nicht wählen<br />

können, wie <strong>die</strong> Anzeigen glauben machen<br />

wollen,“ stellt Dr. Moog fest. Wenn aber<br />

Direktor Blechschmidt, zugleich <strong>Wahl</strong>kampfleiter<br />

der SPD, hinter seinen Namen<br />

schlicht mit „HEAG“ firmiere, müßten sich<br />

Betriebsrat und Belegschaft verschaukelt<br />

vorkommen. Das Unternehmen mit seinen<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei<br />

schließlich mehr als ein Mann an der Spitze.<br />

Die Zeitung für Darmstadt druckt Parteienmeldungen grundsätzlich<br />

unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und Grammatikfehler<br />

sowie Wiederholungen. Inhaltliche auch politische Änderungen<br />

werden nicht angebracht und auch nichts hinzugefügt. Die Briefe<br />

geben nicht <strong>die</strong> Meinung der Redaktion wieder.


„Wer<br />

liest denn <strong>die</strong>se<br />

Zeitung überhaupt?“<br />

fragte <strong>die</strong><br />

Pressesprecherin der CDU. Die Antwort<br />

wollen wir ihr nach drei Jahren<br />

Erscheinens der ZD nicht schuldig<br />

bleiben: Es gibt DarmstädterInnen, <strong>die</strong><br />

kennen <strong>die</strong> ZD grundsätzlich nur als<br />

Kopie, da es sich bei Parteien und<br />

Behörden längst eingebürgert hat, daß<br />

frau/man zwar wissen will, was da<br />

gerade mal wieder drin steht, aber<br />

abonnieren? – so etwas kann man doch<br />

nicht unterstützen und wenn das erst<br />

der Vorgesetzte erfahren würde – nein,<br />

das <strong>geht</strong> nicht! Da <strong>die</strong> Exemplare auch<br />

an Kiosken meist ausverkauft sind,<br />

wird halt kurzerhand kopiert.<br />

Dennoch gibt es inzwischen mehr als<br />

1.500 DarmstädterInnen, <strong>die</strong> zum<br />

regelmäßig zahlenden LeserInnenkreis<br />

zählen und interessant ist, daß am<br />

Oberfeld prozentual <strong>die</strong> meisten Abonnenten<br />

sitzen, ansonsten verteilt sich<br />

der Bezug gründlich und gleichmäßig<br />

durch sämtliche Stadtteile – mit Ausnahme<br />

von Wixhausen. Dort lebt man<br />

wohl weiter von Darmstadt weg als in<br />

München, wo wir mehr LeserInnen<br />

haben.<br />

Wir möchten uns bei unseren Abonnent-Innen<br />

für <strong>die</strong> Treue bedanken –<br />

ohne sie gäbe es keine ZD mehr; auffällig<br />

ist, daß lediglich 23 Kündigungen<br />

seit Gründung zu verzeichnen<br />

waren. Das macht uns Mut und<br />

bestätigt, daß Darmstadt nicht so verschlafen<br />

und provinziell ist, wie es<br />

manche Leute glauben machen möchten.<br />

Da nur jeder Zehnte in der Bundesrepublik<br />

überhaupt Zeitung liest (und davon<br />

noch <strong>die</strong> meisten ihre morgendliche<br />

BILD), ist der Markt in Darmstadt bei<br />

55.000 Haushalten doch sehr eng. Auflagenprüfer<br />

rechnen bei Tageszeitungen<br />

im Durchschnitt mit 2,4 MitleserInnen<br />

und bei Wochenzeitungen gar<br />

mit nochmaliger Verdoppelung – so<br />

besehen hat <strong>die</strong> ZD schon zwischen<br />

7.000 bis 8.000 DarmstädterInnen, <strong>die</strong><br />

mal mehr mal weniger erfreut sind über<br />

das, was wir wieder einmal an <strong>die</strong><br />

Öffentlichkeit gezerrt haben. Rein<br />

rechnerisch zählen somit schon mehr<br />

als 5% der knapp 140.000 DarmstädterInnen<br />

zu unserem Leserkreis. Sehr<br />

viel mehr Wachstum ist nicht drin, sollte<br />

man meinen.<br />

Doch es <strong>geht</strong> in steter Regelmäßigkeit<br />

mit rund 45% Zuwachs an Abos pro<br />

Jahr bergauf. Allein 1991 hat <strong>die</strong> ZD<br />

<strong>die</strong> <strong>Hälfte</strong> von 800 Echo-müden<br />

DarmstädterInnen als ZeitungsleserInnen<br />

retten können. Denn nicht Konkurrenz<br />

steht an, sondern Presse-Vielfalt.<br />

Zum einen ist <strong>die</strong> Redaktion der ZD<br />

viel zu klein, um auch nur annähernd<br />

mit der im Umfang auf das Doppelte<br />

angewachsenen Berichterstattung des<br />

DE mithalten zu können, und <strong>die</strong><br />

Aktualität macht eine Tageszeitung zu<br />

einem prinzipiell anderen Informationsträger.<br />

Dafür kann oder will <strong>die</strong> ZD<br />

kein Ersatz sein. Das sehen nicht alle<br />

unserer LeserInnen so: Vor zwei Jahren<br />

gab es 42% Prozent, <strong>die</strong> ihre ZD als<br />

einzige Darmstädter Zeitung gelesen<br />

haben, neuere Zahlen wird <strong>die</strong> jetzige<br />

Umfrage ergeben.<br />

Dennoch sorgen unter anderem <strong>die</strong><br />

Stadtverwaltung, der Regierungspräsident<br />

und viele andere für Benachteiligung<br />

der ZD-LeserInnen, indem<br />

sie ihre Zensur ungeachtet aller Gesetze<br />

weiter betreiben. Da so gut wie alle<br />

eingehenden Parteimeldungen veröffentlicht<br />

werden, sieht man es schwarz<br />

auf weiß: Von der SPD kommt seit<br />

<strong>Wahl</strong>kampfbeginn nichts mehr in der<br />

Redaktion an, nicht einmal mehr <strong>die</strong><br />

Termine von <strong>Wahl</strong>kampfveranstaltungen.<br />

Das ist heute aber nicht von großer<br />

Bedeutung, denn unsere Informant-<br />

Innen finden wir inzwischen überall.<br />

Allerdings schränkt <strong>die</strong> Zensur <strong>die</strong><br />

Berichterstattung ein, etwa wenn unsere<br />

Fragen für eigene Berichte gar nicht<br />

oder nur halb beantwortet werden.<br />

Wegen des <strong>OB</strong>-Wechsels haben wir<br />

juristische Schritte aufgeschoben, doch<br />

gilt <strong>die</strong> Metzger’sche Linie auch für <strong>die</strong><br />

Zukunft, dann werden <strong>die</strong> Juristen wieder<br />

viel zu tun haben.<br />

Viel härter als <strong>die</strong> inhaltliche Zensur<br />

trifft <strong>die</strong> ZD der gesetzwidrige Anzeigenboykott<br />

der stadteigenen Betriebe<br />

und der Stadtverwaltung selbst. In den<br />

drei Jahren, in denen <strong>die</strong> ZD erscheint,<br />

ist keine einzige Anzeige geschaltet<br />

worden; dagegen werden alle Zeitungen<br />

nicht nur von der Stadt- und Kreissparkasse,<br />

der Südhessischen, der<br />

HEAG und anderen finanzstarken städ-<br />

Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 20<br />

Wollen wir ein „Radio für Darmstadt“?<br />

Drei Jahre ZD: Geschichte eines anhaltenden Boykotts und fortgesetzter Gesetzesverstöße<br />

Für Pressevielfalt: Eine Umfrage, eine Petition und vielleicht ein neues Projekt<br />

✁<br />

Petition pro Lokalradio<br />

Wir, <strong>die</strong> UnterzeichnerInnen, bitten <strong>die</strong> Hessische Landesregierung, <strong>die</strong><br />

Zulassung von lokalen und regionalen Rundfunksendern in <strong>die</strong> Novelle des<br />

Landesrundfunkgesetzes aufzunehmen. Für <strong>die</strong> Erfüllung des Verfassungsauftrages<br />

halten wir <strong>die</strong> Freigabe von Lokal- und Regionalsendern für unumgänglich.<br />

In der Hessischen Verfassung heißt es in Artikel 10: „Niemand darf … in der<br />

Verbreitung seiner Werke gehindert werden“, und in § 1 des „Hessischen<br />

Gesetzes über Freiheit und Recht der Presse“ bestimmt der Gesetzgeber: „Die<br />

Presse ist frei. Sie ist befugt, sich Nachrichten … zu beschaffen und sie zu veröffentlichen<br />

… . Eine Zensur findet nicht statt“. Unter § 2, Zulassungsfreiheit,<br />

bestimmt der Gesetzgeber noch deutlicher: „Die Pressetätigkeit darf von<br />

keinerlei Zulassung abhängig gemacht werden“.<br />

Deshalb halten wir <strong>die</strong> Zulassung von Lokal- und Regionalsendern für eine<br />

wichtige Voraussetzung der gesetzlich zugesicherten Pressefreiheit.<br />

Nachname, Vorname Ort Unterschrift<br />

Bitte schicken an: Zeitung für Darmstadt, Postfach 10 43 23, W-6100 Darmstadt<br />

tischen Unternehmen (meist in den<br />

Führungspositionen mit Parteigänger-<br />

Innen besetzt) über Anzeigen gesponsert.<br />

Gerade so als ob der Grundsatz der<br />

Gleichbehandlung der Presse sich zwar<br />

auf dem Papier gut macht, aber mit der<br />

Wirklichkeit der parteipolitischen<br />

Machtverhältnisse nichts zu tun hätte.<br />

Gleich ob eine Stadtteil-Zeitung neu<br />

erscheint, ein Kinoblatt sich ganz aus<br />

dem politischen Geschehen <strong>zur</strong>ückzieht<br />

oder ein Heiner offen PR-<br />

Falschnachrichten verbreitet, gestützt<br />

wird alles. Sogar neu erscheinende<br />

Anzeigenblätter sponsert <strong>die</strong> Stadt.<br />

Direkte Zuschüsse erhält das Frauenblatt<br />

„Mathilde“.<br />

Die ZD war Ende vergangenen Jahres<br />

in der Kostendeckung, aber <strong>die</strong> offenen<br />

Drohungen von <strong>OB</strong>-Metzger gegen<br />

AnzeigenkundInnen der ZD („Wenn<br />

Sie in dem Blatt inserieren, bekommen<br />

sie keine städtischen Aufträge mehr“)<br />

und <strong>die</strong> langsam spürbar werdende<br />

Wirtschaftsflaute haben <strong>die</strong> Einnahmen<br />

kräftig verringert. Viele Geschäftsleute,<br />

<strong>die</strong> gern inserieren würden,<br />

fürchten noch immer mögliche<br />

Nachteile von seiten der Stadt. Gleichzeitig<br />

mußten wir eine erstaunliche<br />

Erfahrung machen: Viele LeserInnen<br />

interessieren sich zuerst für <strong>die</strong> Anzeigen<br />

als Informationsträger – für das,<br />

womit sich neue Wünsche erfüllen lassen,<br />

gerade so, als ob <strong>die</strong>s das Wichtigste<br />

sei.<br />

Nicht nur <strong>die</strong> Frage, wer das Blatt liest,<br />

auch warum wir es machen, wird<br />

immer wieder gestellt. Auch <strong>die</strong>se Antwort<br />

bleiben wir nicht schuldig: Wie<br />

kann sich eine Stadt weiter entwickeln,<br />

wie sich kritisches Bewußtsein formen,<br />

wenn nur eine Seite der Wirklichkeiten<br />

dargestellt wird? Außerdem macht uns,<br />

dem Zeitungsteam, der Job Spaß, und<br />

wir sind von der Notwendigkeit einer<br />

zweiten Zeitung überzeugt – für Vielfalt<br />

und gegen Einäugigkeit.<br />

Die Redaktion hat aus den genannten<br />

Gründen beschlossen, auf jeden Fall<br />

<strong>die</strong> ZD bis Dezember weiter erscheinen<br />

zu lassen und <strong>die</strong> LeserInnen um<br />

Unterstützung durch Abonnements und<br />

durch Beteiligung an der „Darmstädter<br />

Initiative für <strong>die</strong> Förderung der Pressevielfalt“<br />

zu bitten. Von 500 bis zu<br />

50.000 Mark können Einlagen gezeich-<br />

✁<br />

<strong>net</strong> werden, <strong>die</strong> jährlich mit sieben Prozent<br />

verzinst werden. Weitere Informationen<br />

erteilt <strong>die</strong> ZD auf Anfrage. Ob<br />

Darmstadt auch künftig eine zweite<br />

Zeitung haben wird, hängt somit vom<br />

Interesse und der Reaktion der LeserInnen<br />

ab.<br />

Gleichzeitig bitten wir, unsere Umfrage<br />

zu beantworten (siehe unten) und sie<br />

an <strong>die</strong> Redaktion zu schicken. Sie ist<br />

erforderlich, um eine Klage gegen den<br />

Innenminister des Landes Hessen zu<br />

begründen. Per Erlaß hat er angeord<strong>net</strong>,<br />

daß Zeitungen, <strong>die</strong> nicht wöchentlich<br />

erscheinen, von den öffentlichen<br />

Bekanntmachungen auszuschließen<br />

sind. Dies ist verfassungswidrig, denn<br />

auch unsere LeserInnen, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong><br />

Echo-Lektüre verzichten, haben den<br />

Anspruch, von Ausschreibungen, Stellenangeboten<br />

und Offenlegungen von<br />

Bauplänen u.a. informiert zu sein. Die<br />

Auswertung der beantworteten Fragen<br />

bleibt ganz sicher anonym.<br />

Die beiliegende Petition an den Landtag<br />

für <strong>die</strong> Zulassung von regionalen<br />

Radiosendern bitten wir, von möglichst<br />

vielen Bekannten, Verwandten und<br />

FreundInnen mit unterzeichnen zu<br />

lassen; <strong>die</strong> Listen veröffentlichen wir<br />

vollständig, bevor sie an <strong>die</strong> Landesregierung<br />

weitergeleitet werden.<br />

Im vielgeschmähten Bayern beispielsweise<br />

(oder auch in Baden-Württemberg)<br />

ist <strong>die</strong>s längst erlaubt. Der ZD<br />

gäbe ein eigener lokaler Sender <strong>die</strong><br />

Möglichkeit, auch aktuelle Nachrichten<br />

zu verbreiten. Derzeit berät <strong>die</strong><br />

Hessische Staatskanzlei über eine<br />

Novelle des Landesrundfunkgesetzes,<br />

das <strong>die</strong>s heute verbietet. Je breiter der<br />

öffentliche Wunsch nach Regionalsendern<br />

ist, desto eher bestehen Chancen,<br />

<strong>die</strong>s durchzusetzen. Helfen Sie mit, ein<br />

Mehr an Demokratie und ein Mehr an<br />

unzensierter Information durchzusetzen.<br />

Sowie uns <strong>die</strong> Erlaubnis für einen<br />

Regionalsender vorliegt, wird es ein<br />

„Radio für Darmstadt“ mit regelmäßigen<br />

Nachrichten geben.<br />

Übrigens: Darmstadts Grüne haben wir<br />

gebeten, den Grundsatz der Gleichbehandlung<br />

der Presse mit in ihre<br />

Koalitionsverhandlungen einzubeziehen<br />

– ob daraus etwas wird? Immerhin<br />

waren sie <strong>die</strong> einzige Partei, <strong>die</strong> bisher<br />

Werbung für Ihren <strong>OB</strong>-Kandidaten<br />

auch in der ZD geschaltet hat.<br />

Das Zeitungsteam<br />

Für wen schreiben wir? Umfrage der ZD<br />

Ich bin…<br />

❑ weiblich<br />

❑ männlich<br />

❑ unter 20 Jahre<br />

❑ 20 – 30 Jahre<br />

❑ 31 – 45 Jahre<br />

❑ 46 – 60 Jahre<br />

❑ über 60 Jahre<br />

❑ berufstätig<br />

❑ in Ausbildung<br />

Ich wohne in…<br />

❑ Darmstadt<br />

❑ Arheilgen<br />

❑ Eberstadt<br />

❑ Landkreis DA<br />

❑ Bergstraße<br />

❑ Odenwald<br />

❑ anderswo<br />

❑ Zweitwohnung<br />

Ich lese <strong>die</strong> ZD…<br />

❑ ab und zu<br />

❑ regelmäßig<br />

❑ bei FreundInnen<br />

❑ in Café/Kneipe/<br />

Arztpraxis etc.<br />

❑ wenn irgendwo<br />

eine rumliegt<br />

❑ Ich kaufe <strong>die</strong> ZD<br />

❑ Ich habe ein Abo<br />

Ich lese auch…<br />

❑ das DE<br />

❑ <strong>die</strong> FAZ<br />

❑ <strong>die</strong> FR<br />

❑ <strong>die</strong> taz<br />

❑ andere Tageszeitung<br />

❑ and. Wochenzeitung<br />

Aktuelle Nachrichten<br />

beziehe ich aus…<br />

❑ dem Fernsehen<br />

❑ Hörfunk hr1<br />

❑ Hörfunk hr3<br />

❑ Hörfunk hr4<br />

❑ Hörfunk FFH<br />

❑ Hörfunk RPR<br />

❑ …………………<br />

Folgende Themen interessieren mich besonders:<br />

…………………………………………………………………<br />

…………………………………………………………………<br />

Folgende Themen vermisse ich in der ZD:<br />

…………………………………………………………………<br />

…………………………………………………………………<br />

Ein Radio für Darmstadt wäre:<br />

…………………………………………………………………<br />

…………………………………………………………………<br />

Zur Vielfalt und Verbreitung der ZD<br />

will ich beitragen durch meine<br />

❑ privaten An- und Verkaufs-Anzeigen (gratis)<br />

❑ Stellengesuche (gratis), -angebote (halber Preis)<br />

❑ Familienanzeigen (halber Preis)<br />

❑ Gruß-/Spaß-Anzeigen (gratis, soweit Platz vorhanden)<br />

❑ Wohnungssuch- und -angebotsanzeigen (gratis)<br />

❑ bezahlten Geschäftsanzeigen<br />

(bitte schicken Sie mir eine Anzeigenpreisliste!)<br />

Die ZD ist mir lieb und teuer geworden:<br />

❑ für ein Jahres-Abo würde ich auch gern 90 DM bezahlen,<br />

wenn dadurch ihr Bestand zu sichern wäre (nur ’ne Frage!)<br />

❑ Bitte schicken Sie mir Unterlagen über <strong>die</strong><br />

Darmstädter Initiative für Pressevielfalt<br />

Ich lese <strong>die</strong> ZD…<br />

❑ vollständig<br />

❑ etwa <strong>zur</strong> <strong>Hälfte</strong><br />

an ……………………………………………………….………<br />

❑ einzelne Artikel<br />

……………………………………………………….………<br />

❑ Kulturkalender<br />

Adresse wird nur für den Versand der Unterlagen benötigt/verwendet!<br />

➔ Bitte bis 31. 5. 1993 einschicken an <strong>die</strong> Zeitung für Darmstadt, Postfach 10 43 23, W-6100 Darmstadt

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