OB-Wahl: Nur die Hälfte geht zur Urne - zfd-online.net
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satirisch<br />
justizhörig<br />
experimentell<br />
wahrheitenliebend<br />
frei-volksherrschaftlich<br />
Freitag, 14.5.1993<br />
19. Kalenderwoche, 4. Jahrgang<br />
Sie lesen<br />
2 Frauen<br />
und lackierte<br />
Fingernägel<br />
3 Umwelt-Skandal<br />
unter den Augen<br />
der Behörden<br />
4 60.000 Autos<br />
sind abzuschaffen<br />
5 Wissen wir,<br />
was wir essen?<br />
GEN-Food<br />
6 Wer nicht arbeitete<br />
mußte hungern:<br />
Ausnahme Nazis<br />
7 Europa-Klischees<br />
und<br />
indianische Kultur<br />
8 Keine Tränen für<br />
Snobs: La Bohème<br />
9 Net mit Dreck werfe<br />
Leser-Ärger<br />
über Zeitungsleute<br />
11 CDU sieht<br />
tiefgreifende<br />
Verfilzung<br />
20 Radio für Darmstadt<br />
eine Utopie?<br />
Unterschreiben<br />
auch Sie!<br />
Nächste Ausgabe:<br />
Freitag, 28. 5. 93<br />
alle 14 Tage Tage<br />
Ausgabe 48<br />
Einzelpreis 2,70 DM<br />
Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt, Telefon 0 6151/71 98 96<br />
offen<br />
bissig<br />
kritisch<br />
unabhängig<br />
überparteilich<br />
D 11485 D<br />
Ergebnis der ersten Direktwahl: Die DarmstädterInnen konnten sich nicht zwischen Benz (33%) und Pfeffermann 29,6 % entscheiden, soweit sie überhaupt den Gang <strong>zur</strong> <strong>Urne</strong> unternahmen (50,7%) Metamorphose: PI©MAR<br />
<strong>OB</strong>-<strong>Wahl</strong>: <strong>Nur</strong> <strong>die</strong> <strong>Hälfte</strong> <strong>geht</strong> <strong>zur</strong> <strong>Urne</strong><br />
Stichwahl am 6. Juni wird entscheiden – Wer bekommt <strong>die</strong> Stimmen der Grünen und der F.D.P.?<br />
Neuanfang? Alles bleibt beim Alten – Postenvergabe ist der Angelpunkt<br />
Die Fraktion der NichtwählerInnen ist<br />
<strong>die</strong> stärkste, das hat <strong>die</strong> <strong>Wahl</strong> am 9. Mai<br />
gezeigt: Von 100.058 wahlberechtigten<br />
Darmstädtern sind nur 50.692 (50,7%)<br />
wählen gegangen – unsere FreundInnen<br />
und Mitbürger, <strong>die</strong> von den Behörden<br />
als Ausländer geführt werden, immerhin<br />
18% der Bevölkerung, hatten nicht das<br />
Recht mitzubestimmen, wer unser neuer<br />
Oberbürgermeister wird.<br />
Von den Berechtigten stimmten 16.500<br />
für Peter Benz (SPD), das entspricht<br />
gerade einmal 11,7% der Gesamtbevölkerung.<br />
Gerhard 0. Pfeffermann (CDU)<br />
liegt mit nur 1.712 Stimmen weniger<br />
(14.788 = 29,5%) dicht hinter Benz.<br />
Zwischen beiden Kandidaten findet, da<br />
keiner <strong>die</strong> benötigten 50 % erreichte,<br />
eine Stichwahl am 6. Juni statt. Die<br />
Chancen für Benz, mehr als <strong>die</strong> <strong>Hälfte</strong><br />
der Stimmen zu sammeln, stehen gut:<br />
Von den 9.031 Stimmen Michael Sieberts<br />
(18,0%) wird er wahrscheinlich<br />
viele auf sich ziehen, spätestens dann,<br />
wenn <strong>die</strong> rot-grüne Koalition in Kompromissen<br />
gebacken ist. Die Stimmen<br />
der F.D.P.-WählerInnen – Ruth Wagner<br />
Fischer<br />
droht<br />
Dualem System<br />
Der Hessische Umweltminister Joschka<br />
Fischer hat dem Dualen System<br />
Deutschland (DSD) mit einem Zwangsgeld<br />
von 50.000 Mark gedroht. Es wird<br />
fällig, sollte <strong>die</strong> DSD nicht innerhalb<br />
von zwei Wochen ihrer Verpflichtung<br />
nachkommen, <strong>die</strong> „formgerechten Zertifizierungsunterlagen“<br />
für <strong>die</strong> Anlagen<br />
vorzulegen, in denen Kunststoffverpackungen<br />
aus Hessen stofflich wiederverwertet<br />
werden.<br />
Hessisches Umweltministerium<br />
konnte 7.152 von sich überzeugen,<br />
immerhin 14,3% (7.152 Stimmen) –<br />
bleiben für beide Kandidaten das große<br />
Rätsel.<br />
Von den drei nicht parteigebundenen<br />
Kandidaten erreichte Jörg Dillmann mit<br />
knapp 2.000 Stimmen und 3,9% ein<br />
beachtliches Ergebnis, seine zwei Mitbewerber<br />
waren weit abgeschlagen:<br />
Kronewirt Peter Gleichauf erhielt 503<br />
Stimmen und Kioskinhaber Gerhard<br />
Mestekemper noch ganze 126.<br />
Parteienwahl<br />
Diese erste Direkt-<strong>Wahl</strong> zeigt, daß es<br />
doch wieder eine Parteienwahl war; <strong>die</strong><br />
Ergebnisse liegen dicht an den Prozen-<br />
Weniger Müll? Teures Theater<br />
Wegen sinkender Abfallmengen hat <strong>die</strong><br />
HIM (Hessische Industrie-Müll) den<br />
Antrag für den Bau eines dritten Ofens<br />
in der Sonderabfallverbrennungsanlage<br />
Biebesheim <strong>zur</strong>ückgezogen. Das Hessische<br />
Umweltministerium begrüßt <strong>die</strong>se<br />
Entscheidung. In einer Presseinfo heißt<br />
es: „Diese Erfolge sind im wesentlichen<br />
auf das vom Land Hessen geschaffene<br />
Instrument der Sonderabfallabgabe und<br />
das konsequent umgesetzte Reststoffvermeidungsprogramm<strong>zur</strong>ückzuführen.“<br />
Ob tatsächlich weniger Sondermüll<br />
entsteht? Oder wird er nur<br />
mehr in andere Länder, wie Frankreich,<br />
Rumänien, Polen etc exportiert? red<br />
ten der SPD und CDU bei der Kommunalwahl<br />
im März. Ihr persönlicher Einsatz<br />
hat sich bei Ruth Wagner in fast<br />
einer Stimmverdoppelung bemerkbar<br />
gemacht, bei Michael Siebert sprangen<br />
6.209 WählerInnen ab.<br />
Was hat <strong>die</strong> Nichtwähler <strong>zur</strong> stärksten<br />
Fraktion werden lassen: Politikverdrossenheit<br />
oder Gleichgültigkeit? Eindeutig<br />
wird <strong>die</strong>se Frage nie zu beantworten<br />
sein, aber das radikale Absacken der<br />
SPD in der Kommunalwahl und jetzt<br />
auch wieder in der <strong>OB</strong>-<strong>Wahl</strong> sind eindeutige<br />
Anzeichen für Unzufriedenheit<br />
und eine klare Absage an <strong>die</strong> Politik der<br />
letzten Jahre. Glück für alle KandidatInnen,<br />
daß kein ernstzunehmender parteiloser<br />
Kandidat angetreten war.<br />
Verdrossenheit<br />
oder Gleichgültigkeit?<br />
Bundespräsident Richard von Weizsäcker<br />
interpretiert <strong>die</strong> <strong>Wahl</strong>verweigerer<br />
(auf Bundesebene 30%) durchaus nicht<br />
als der Politik überdrüssig, sondern<br />
warnt vor einem „Zeichen von wacher<br />
Politik“. Dieses ließe sich unschwer<br />
Mit einem „Schnupper-Abo“ will Intendant<br />
Peter Girth seine abtrünnigen Abonnenten<br />
wieder gewinnen: Für 30 Mark<br />
gibt es drei Aufführungen zu sehen. Girth<br />
gab <strong>die</strong> jüngsten Zahlen bekannt: Die<br />
Besucherzahlen sind von September 92<br />
bis Ende April 93 von 74,7 Prozent auf<br />
69,5 Prozent gesunken. Aufgeschlüsselt<br />
auf <strong>die</strong> drei Sparten heißt <strong>die</strong>s: Oper/Ballett/Musical<br />
sind um vier Prozent in der<br />
Publikumsgunst von 65,8 auf 61,8 Prozent<br />
gesunken; im Schauspiel sogar um<br />
10 Prozent: von 85,4 auf 75,4 Prozent.<br />
Einzig <strong>die</strong> Konzerte waren besser besucht<br />
als in der vorigen Spielzeit. Die Zuschüsse<br />
mußten auf 50 Mio erhöht werden. red<br />
auch auf Darmstadt übertragen, spätestens,<br />
wenn der Filz der vergangenen<br />
Jahrzehnte in seiner ganzen Breite und<br />
Verflechtung an <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />
gedrungen wäre. Da gibt es jedoch noch<br />
ein weites Feld für <strong>die</strong> Presse, denn Vorteilnahme<br />
und ökonomische Abhängigkeit<br />
einzelner ParteigängerInnen haben<br />
ein Ausmaß angenommen, das auch auf<br />
<strong>die</strong> Praxis politischer Kommunal-Entscheidungen<br />
nachhaltig durchschlägt,<br />
wenn auch <strong>die</strong> Hintergründe heutzutage<br />
leider meist im Dunkeln bleiben. Doch<br />
soviel läßt sich schon heute sagen:<br />
Wenn <strong>die</strong> NichtwählerInnen ein Zeichen<br />
setzen wollten, dann ist <strong>die</strong>s nur<br />
glaubhaft, wenn sie selbst aktiv werden<br />
und öffentlich für ihre Interessen eintreten.<br />
Dazu scheint <strong>die</strong> Zeit jedoch nicht<br />
reif.<br />
Bundeskanzler Kohl setzt mit Presseschelte<br />
ein und meint, <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n hätten<br />
durch das Geschreibsel über <strong>die</strong> Parteiverdrossenheit<br />
<strong>die</strong> Wähler verschreckt.<br />
Konsequent fordert Kohl mehr Hofberichterstattung<br />
– im Gegensatz zu Darmstadts<br />
Größen benennt er das wenigstens<br />
offen, in Darmstadt wird schweigend<br />
Macht ausgeübt und Presse zensiert.<br />
Benz sieht kritische Zeitungsmache gar<br />
als seine Schrulle (siehe ZD Ausgabe<br />
47), <strong>die</strong> er am liebsten loswerden möchte.<br />
Wie wohl?<br />
Welcher Teil der Nicht-WählerInnen<br />
künftig <strong>die</strong> REP wählt, welcher aus<br />
Ärger über profillose Persönlichkeiten<br />
und Parteien-Filz und welcher aus<br />
Gleichgültigkeit der <strong>Wahl</strong>urne fernbleibt<br />
– <strong>die</strong>s wird uns Darmstädtern keine<br />
Noelle-Neumann in Zahlenspielen<br />
vorführen.Gewißheit darüber kann es<br />
nicht geben.<br />
Gibst Du mir, so geb’ ich Dir…<br />
Das <strong>Wahl</strong>ergebnis vom 9. Mai hat <strong>die</strong><br />
Weichen für <strong>die</strong> künftige Regierungsmannschaft<br />
gestellt: Es wird voraussichtlich<br />
eine rot-grüne Koalition geben,<br />
jedenfalls meldeten <strong>die</strong> Grünen am<br />
11.5., daß sie <strong>die</strong> Verhandlungen mit der<br />
CDU zugunsten der SPD abbrechen<br />
wollen.<br />
Der einzig denkbare Weg jedoch, <strong>die</strong><br />
Filz-Huberei und Vorteilnahme-Politik<br />
der Führungsclique der Sozialdemokraten<br />
zu beenden, hätte nur über eine<br />
Absprache zwischen Grünen und CDU<br />
durchgesetzt werden können. Auch<br />
wenn beide Parteien nicht ins Koalitionsbett<br />
steigen wollen, wäre dennoch<br />
eine wechselseitige Vereinbarung denkbar<br />
gewesen, daß keine der beiden Parteien<br />
mit der SPD zusammen <strong>die</strong> Regierung<br />
bildet. Dann hätte <strong>die</strong> SPD mit 34,2<br />
Prozent regieren müssen, und es wären<br />
endlich am politischen Sachinteresse<br />
orientierte Mehrheitsverhältnisse Wirklichkeit<br />
geworden – eine selten günstige<br />
Gelegenheit, <strong>die</strong> Parteien an demokratische<br />
Grundsätze zu erinnern.<br />
☛ Fortsetzung Seite 2
☛ Fortsetzung von Seite 1<br />
<strong>OB</strong>-<strong>Wahl</strong>:<br />
<strong>Nur</strong> <strong>die</strong> <strong>Hälfte</strong>…<br />
Das, was <strong>die</strong> Grünen nach ihrem <strong>Wahl</strong>ergebnis<br />
euphorisch als Neuanfang verkündet<br />
hatten, mit einer Koalition rotgrün<br />
wird es verspielt. Noch sind <strong>die</strong><br />
Verhandlungen zwischen SPD und Grünen<br />
nicht in das kritische Stadium getreten:<br />
Das Verhandeln über Posten und<br />
Finanzen, <strong>die</strong> große und wesentliche,<br />
wenn nicht einzige, Kunst der Metzger-<br />
Ebert-Clique steht noch bevor. Zweifel,<br />
daß <strong>die</strong> Grünen <strong>die</strong>s werden beenden<br />
können, sind angebracht. Der Filzhut<br />
wird keine Beine bekommen, was allerdings<br />
viel journalistische Kleinarbeit in<br />
Zukunft erweisen muß.<br />
Woher kommt das Geld?<br />
Eine erstaunlich breite Werbekampagne<br />
begleitet den <strong>OB</strong>-<strong>Wahl</strong>kampf. Kaum,<br />
daß ein Baum, eine Plakatwand oder<br />
irgendein Holzpfosten am Rand der<br />
vielbefahrenen Straßen nicht mit Sympathie<br />
heischendem Lächeln behängt<br />
wäre. Noch erstaunlicher allerdings der<br />
massive Werbeaufwand, mit dem für<br />
den SPD-Spitzenkandidaten Peter Benz<br />
geworben wird, desgleichen für CDU-<br />
Pfeffermann, aber auch Ruth Wagner<br />
und <strong>die</strong> Grünen stehen nicht <strong>zur</strong>ück.<br />
Woher wohl das viele Geld kommt?<br />
Wird es kleine Parteispenden-Affären<br />
geben, <strong>die</strong> unendlich sprudelnde,<br />
womöglich öffentliche Geldquellen ans<br />
Tageslicht fördern? Bauvereinsdirektor<br />
Reinhard meinte nur, wie es zu erwarten<br />
war, „keine müde Mark gibt es für so<br />
etwas von uns“.<br />
Die „Pro Benz“-Initiativen beeindrucken<br />
in ihrer schier unerschöpflichen<br />
Breite. Ob wohl alle, <strong>die</strong> da öffentlich<br />
unterzeich<strong>net</strong> haben (oft hier nicht einmal<br />
wahlberechtigt), wollten, daß unsere<br />
verfilzten Sozis weiterhin Pfründe<br />
und Posten behalten und auch weiterhin<br />
vergeben können?<br />
Dies ist <strong>die</strong> erste Direktwahl – also eine<br />
Personenwahl. Müßten da nicht der<br />
Fairneß halber alle KandidatInnen glei-<br />
Impressum<br />
Verleger und Herausgeber:<br />
Michael Grimm<br />
Unser Team :<br />
Uta Schmitt<br />
Eva Bredow<br />
Sanne Borghia<br />
Bernhard Kopp<br />
Astrid Nungeßer<br />
Nicole Schneider<br />
Peter J. Hoffmann<br />
Gerhard Kölsch<br />
Ludwig v. Sinnen<br />
Anzeigen:<br />
verantwortlich Peter Horn,<br />
Heiner Schäfer<br />
Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 5<br />
Postanschrift:<br />
Zeitung für Darmstadt<br />
Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt<br />
Telefon 06151/719896<br />
Telefax 06151/719897<br />
Bankverbindungen:<br />
Volksbank Darmstadt<br />
BLZ 508 900 00, Konto 14 111301<br />
Spendenkonto:<br />
Postgiroamt Frankfurt<br />
BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601<br />
Druck:<br />
Caro Druck<br />
Kasseler Straße 1a, 6000 Frankfurt 1<br />
Durchschnittliche Auflage:<br />
10.000<br />
Abonnement:<br />
jährlich DM 60,00 incl. 7% MWSt.<br />
Nachdruck und Vervielfältigungen sind nur mit<br />
Genehmigung des Verlages gestattet.<br />
Für namentlich gekennzeich<strong>net</strong>e Artikel oder<br />
Presseberichte von Parteien, Verbänden und<br />
Vereinen übernehmen <strong>die</strong> jeweiligen AutorInnen<br />
<strong>die</strong> presserechtliche Verantwortung. Sie sind kein<br />
Spiegel für <strong>die</strong> Meinung der Redaktion.<br />
Personenbezogene Daten werden<br />
elektronisch gespeichert, ausschließlich intern<br />
für <strong>die</strong> Verwaltung eingesetzt und nach Ende<br />
des Zeitungsbezugs umgehend gelöscht.<br />
Informanten bleiben gemäß gesetzlicher Grundlage<br />
auf Wunsch anonym.<br />
Text und Bild sind mit „QuarkXPress“<br />
auf Apple Macintosh gesetzt und unter Omnis 5 -<br />
Verlagverwaltung organisiert.<br />
Redaktionsschluß<br />
für <strong>die</strong> nächste Ausgabe<br />
22.5.1993<br />
che Chancen, also alle <strong>die</strong> gleichen Gelder<br />
für <strong>die</strong> Werbung haben? Doch wer<br />
wollte heute schon solche urdemokratischen<br />
Grundsätze wie <strong>die</strong> Gleichheit<br />
anmelden wollen? Peter Benz wäre bei<br />
dem Werbeaufwand (der sicher ein paar<br />
hunderttausend Mark gekostet hat) übrigens<br />
privat pleite gegangen, hätte er das<br />
alles aus eigener Tasche berappen müssen.<br />
Gibt es keine KandidatInnen?<br />
Macht aber in <strong>die</strong>sem <strong>Wahl</strong>kampf auch<br />
nichts: Er bietet ein beschämendes Bild.<br />
Außer den FavoritInnen der Parteien,<br />
boten <strong>die</strong> drei unabhängigen Kandidaten<br />
ein eher trauriges Bild von Darmstadt.<br />
Zwar hatte <strong>OB</strong>-Bewerber Dillmann flotte<br />
Sprüche und lustige Schlagfertigkeit<br />
parat, aber keiner verfügte auch nur über<br />
periphere Einblicke in kommunale Problempunkte:<br />
Da lag Moderator Uwe<br />
Günzler (HR) wohl richtig als er am<br />
6.Mai nach öffentlicher KandidatInnen-<br />
Kür meinte, „vielleicht war es ja gut so,<br />
daß Sie nicht mehr Fragen beantworten<br />
mußten“.<br />
Die vielfältigen Bemühungen im vergangenen<br />
Jahr, einen ernsthaften, parteiunabhängigen<br />
Kandidaten zu finden und<br />
zu ermuntern, waren fehlgeschlagen.<br />
Dabei bot sich erstmals <strong>die</strong> Chance für<br />
einen parteipolitisch unabhängigen,<br />
neuen Kurs ohne Parteien-Klüngel.<br />
Doch behaupte jetzt nur niemand, in<br />
Darmstadt fehle es an profilierten BürgerInnen<br />
– es gibt sie und sie hätten<br />
Chancen gehabt. Vielleicht beim nächsten<br />
Mal. Heute ist eine, wenn auch kleine<br />
Chance für ein Stückchen Mehr an<br />
Demokratie verschenkt worden.<br />
Es wird sicher interessant zu beobachten,<br />
wie <strong>die</strong> Parteien jetzt weiter bis zum<br />
6.Juni agieren: Wird <strong>die</strong> F.D.P. Peter<br />
Benz öffentlich unterstützen, um ihren<br />
Umweltdezernenten zu retten? Angeboten<br />
hat <strong>die</strong>s Ruth Wagner noch am<br />
<strong>Wahl</strong>abend. Werden <strong>die</strong> Grünen vorher<br />
in <strong>die</strong> Koalition einwilligen und ihre<br />
Mitglieder <strong>zur</strong> <strong>Wahl</strong> von Peter Benz<br />
ermuntern, um den Bürgermeister und<br />
vielleicht ein oder zwei Magistratsposten<br />
zu besetzen, <strong>die</strong> ihnen nach den<br />
Mehrheitsverhältnissen ohnehin zustehen?<br />
M. Grimm<br />
Büchner-Preis<br />
für Rühmkorf<br />
Die Jury der „Deutschen Akademie für<br />
Sprache und Dichtung“ hat den mit<br />
60.000 Mark dotierten Georg-Büchner-<br />
Preis 1993 dem Schriftsteller Peter<br />
Rühmkorf zuerkannt. Der mit 20.000<br />
Mark dotierte Siegmund-Freund-Preis<br />
für wissenschaftliche Prosa <strong>geht</strong> an den<br />
Literaturwissenschaftler Norbert Miller,<br />
der Johann-Heinrich-Merck-Preis für<br />
literarische Kritik (ebenfalls mit 20.000<br />
Mark dotiert) an den Literaturkritiker<br />
und Essayisten Hans Egon Holthusen.<br />
Die Preise werden am 16. Oktober im<br />
Staatstheater Darmstadt verliehen.<br />
Deutsche Akademie<br />
für Sprache und Dichtung<br />
Parlament<br />
für Jugendliche<br />
Am 6. Mai traf sich das „Darmstädter<br />
Jugendforum <strong>zur</strong> Errichtung eines<br />
Jugendparlaments“ zum zweiten Mal.<br />
Seine Idee ist es, in Darmstadt ein<br />
Jugendparlament zu gründen, indem<br />
Schüler zwischen 10 und 17 Jahren ihre<br />
Vertreter – je nach Schulgröße eine<br />
bestimmte Anzahl – in ein regelmäßig<br />
tagendes Parlament wählen. Dieses sollte<br />
dann seine Ideen und Beschlüsse an<br />
Magistrat und Stadtverord<strong>net</strong>enversammlung<br />
weiterleiten. Ob sich <strong>die</strong><br />
hohen Herren (und Damen) der Stadt <strong>die</strong><br />
Wünsche, Forderungen und Anregungen<br />
der Jugend allerdings zu Herzen<br />
nehmen werden, bleibt freilich fraglich<br />
– gebunden sind sie daran jedenfalls<br />
nicht. vro<br />
Tag X erneut verschoben<br />
Wie das „Darmstädter Bündnis gegen<br />
Rassismus und rechtsextreme Tendenzen“<br />
mitteilte, ist der Tag der Abstimmung<br />
über den Asylkompromiß in Bonn<br />
erneut verschoben worden: Der Tag X<br />
wird voraussichtlich der 26. Mai sein.<br />
An <strong>die</strong>sem Tag ruft das Bündnis zu einer<br />
Protestkundgebung auf dem Luisenplatz<br />
ab 17.30 Uhr auf. Wer an <strong>die</strong>sem Tag in<br />
Bonn protestieren will, kann mit dem<br />
Bus um 3 Uhr losfahren. Karten gibt es<br />
für 20 Mark in der „Büchergilde Gutenberg“,<br />
Marktplatz 10, oder im Büro des<br />
Bündnisses, Wilhelm-Leuschner-Straße<br />
39, Telefon 20480. Es ist montags von<br />
18 bis 19.30 und donnerstags von 17 bis<br />
21 Uhr offen. Darmstädter Bündnis<br />
Auf dem Cityring demonstrierten am Samstag (9.5.) rund 120<br />
bis 150 überwiegend Jugendliche gegen <strong>die</strong> Auto-Ausstellung<br />
in der Wilhelminenstraße. Organisatoren waren <strong>die</strong> BUND<br />
jugend und eine „Initiative für eine lebenswerte Umwelt“.<br />
Eigentlich wollten sie auf dem Luisenplatz demonstrieren, das<br />
Ausgabe 48 14.5.1993 · Seite 2<br />
untersagte jedoch das Ordnungsamt. Währenddessen herrschte<br />
großes Gedränge um <strong>die</strong> Blechkarossen von lediglich sechs<br />
Autohäusern.VielInteresse fanden <strong>die</strong> zwei Elektro-Fahrzeuge<br />
und <strong>die</strong> Fahrräder, <strong>die</strong> von zwei Händlern ausgestellt wurden<br />
(siehe Briefe an <strong>die</strong> Redaktion). Foto: H.Schäfer<br />
Fingernägel sind nicht nur zum Lackieren da<br />
Zehn Jahre SEFO:<br />
Ein Projekt kommt in <strong>die</strong> Jahre – mit ihm <strong>die</strong> Frauen<br />
Wie weit ist es her mit dem Feminismus,<br />
seit Rita Süssmuth öffentlich für Fraueninteressen<br />
eintritt, Alice Schwarzer<br />
bei ,Was bin ich’ schäkert oder Pfarrerinnen<br />
in lila Talaren ihren Gott in eine<br />
Göttin mutieren lassen? Er ist gesellschaftsfähig<br />
geworden, der kleine<br />
Unterschied, und erregt allenfalls noch<br />
im tiefschwarzen bayerischen Wald<br />
Aufsehen.<br />
Frauenhäuser, Frauenkulturhäuser,<br />
Frauenbegegnungsstätten, Frauenzentren<br />
allenthalben und in jeder mindestens<br />
50.000 EinwohnerInnen zählenden<br />
Stadt eine Frauenbeauftragte mit<br />
mindestens einem Doktortitel in...? Völlig<br />
egal. Hauptsache, er hat entfernt mit<br />
Frauenforschung zu tun. Kurzum, der<br />
Feminismus hat sich institutionalisiert<br />
und ist in gesellschaftliche Bereiche eingedrungen,<br />
<strong>die</strong> selbst für Karrierefrauen<br />
lange tabu waren. Und <strong>die</strong>s ist zweifelsohne<br />
den Frauen zu verdanken, <strong>die</strong> in<br />
den frühen 70er Jahren öffentlich ihre<br />
BHs verbrannten, den Gynäkologen <strong>die</strong><br />
Gefolgschaft verweigerten und verhöhnt,<br />
diffamiert und lächerlich<br />
gemacht für ihre Interessen kämpften.<br />
Ihre Interessen, fragt mann? Die waren<br />
und sind, patriarchaler Welt einen frauenspezifischen<br />
Gesichtspunkt entgegenzuhalten,<br />
eigene Verletzungen aufzuarbeiten,<br />
Fremddefinitionen abzulegen<br />
und sich einen eigenen selbstbestimmten<br />
Zugang <strong>zur</strong> Wirklichkeit zu erarbeiten.<br />
Dafür aber braucht frau ,Ihr Zimmer<br />
für sich allein‘, wie es bereits 1928 Virginia<br />
Woolf im Blick auf schreibende<br />
Frauen formulierte.<br />
Keine Selbstausbeutung mehr<br />
1983 hatten Maria Späh und Rita Bender<br />
<strong>die</strong> Idee, ein Zentrum zu gründen, in<br />
dem Frauen unter sich erfahren und lernen<br />
können ihr Leben in <strong>die</strong> eigene<br />
Hand zu nehmen. Die autonome Frauenhausbewegung,<br />
in der beide zuvor aktiv<br />
gewesen waren, löste sich auf durch <strong>die</strong><br />
Entscheidung der Stadt Darmstadt, das<br />
Frauenhaus unter <strong>die</strong> Trägerschaft des<br />
Frauenrings zu stellen. Nachdem sie<br />
jahrelang mit hohem persönlichen Einsatz<br />
auch private Frauenbetreuung<br />
betrieben hatten, was desöfteren auch<br />
bedeutete, Frauen bei sich nächtigen zu<br />
lassen, wollten sie, wie Späh sagte, vom<br />
„Konzept der Selbstausbeutung“ wegkommen.<br />
Die beiden aus dem pädagogischen<br />
Bereich gründeten mit sechs weiteren<br />
Frauen das SEFO (Selbsthilfe- und<br />
Fortbildungszentrum e.V.), mittlerweile<br />
in der Wienerstraße 78 ansässig.<br />
Kuschelige<br />
Selbsterfahrungskurse<br />
Aus dem bescheidenen Anfangsprogramm<br />
– zehn Kurse, angefangen bei<br />
Eßproblemen von dicken Frauen, über<br />
Gymnastik für Ältere, Selbsterfahrung<br />
für häuslich Tätige bis hin zum biederputzig<br />
anmutenden „Gestalten mit<br />
Wolle“ für alle – ist ein beachtliches,<br />
mittlerweile ca. 70 Kurse umfassendes<br />
Heft geworden. Freilich findet längst<br />
nicht alles statt, was da von 40 Honorarkräften<br />
angeboten wird. Da <strong>geht</strong> es dem<br />
SEFO ähnlich wie der Volkshochschule,<br />
<strong>die</strong> inzwischen auch <strong>die</strong> Randgruppe<br />
„Frau“ entdeckt hat. Und ebenso wie<br />
dort sind kuschelige Selbsterfahrungskurse,<br />
gemeinsame Spielenachmittage<br />
oder themenzentriertes Wohlfühlen mit<br />
warmen Socken und Jogging-Anzug<br />
eher gefragt denn Bildung. Während<br />
aber das SEFO einen dezi<strong>die</strong>rt feministischen<br />
Standpunkt vertritt, hat das Kursangebot<br />
der VHS für Frauen einen mehr<br />
eklektischen Charakter.<br />
Keine konkreten Zahlen<br />
Neben den Abendkursen bietet das<br />
SEFO Beratung und Therapie für Frauen<br />
in Problemsituationen. Das reicht<br />
von einer telefonischen Auskunft für<br />
Adressen anderer Fraueneinrichtungen<br />
bis hin zu psychotherapeutischer<br />
Betreuung. Monatliche Veranstaltungen<br />
bieten frau <strong>die</strong> Möglichkeit, sich in Diskussionen<br />
und Vorträgen über aktuelle<br />
Frauen-Probleme zu informieren. Seit<br />
1984 werden sogenannte Orientierungskurse<br />
angeboten, <strong>die</strong> sich an Frauen<br />
richten, <strong>die</strong> nach einer längeren Berufsunterbrechung<br />
wieder erwerbstätig<br />
werden wollen. Eine spezielle Beratung<br />
für erwerblose Frauen befindet sich derzeit<br />
im Aufbau. Da das SEFO anerkannter<br />
Bildungsträger ist, sind auch Bildungsurlaube<br />
möglich.<br />
Die finanzielle Situation möchte Maria<br />
Späh nicht in konkreten Zahlen ausdrücken.<br />
<strong>Nur</strong> soviel: aus einer kläglichen<br />
ABM-Stelle 1983 konnten bereits<br />
vier Jahre später 5 feste Stellen geschaffen<br />
werden. Kein schlechtes Ergebnis,<br />
manch vergleichbare Institution bekäme<br />
da Tränen des Neids. Seit 1989 ist <strong>die</strong><br />
steigende Tendenz aber rückläufig. So<br />
sind derzeit nur drei Vollzeitstellen<br />
bezahlbar (von den beiden Gründerfrauen<br />
und der Soz.-Päd. Ulla Kurz besetzt).<br />
Dies liegt nicht an einer Mittelkürzung,<br />
wie Späh erklärt, sondern an mangelnder<br />
Aufstockung der Finanzen. Den<br />
Hauptbrocken der Unterstützung trägt<br />
das Land, von Stadt und Landkreis kommen<br />
lediglich ein paar Kleckerbeträge.<br />
Von der idealistischen Vorstellung, der<br />
Beschäftigung mit Frauenproblemen in<br />
kleinen Kreisen, mußte das SEFO im<br />
Laufe der Jahre Abschied nehmen.<br />
Fraglos, und hier bewertet Späh ihre<br />
Arbeit und <strong>die</strong> ihrer Kolleginnen wohl<br />
zu Recht als innovativ, gelang es erst,<br />
durch solche und ähnliche Projekte <strong>die</strong><br />
Frauenfrage zu etablieren in den Institutionen<br />
– nur, und <strong>die</strong>s ist <strong>die</strong> andere Seite,<br />
sie auch als Alibi mißbrauchen zu<br />
lassen. Erwiesen sich kleine Zusagen<br />
nicht gelegentlich als Danaergeschenke,<br />
mit denen sich Frauen in eine <strong>net</strong>te<br />
Nische <strong>zur</strong>ückziehen und vergessen<br />
konnten, daß Fingernägel nicht nur zum<br />
Lackieren benutzt werden können?<br />
Recht verstanden, das bisher Erreichte<br />
ist nicht zu gering zu bewerten, nur,<br />
reicht es aus, wenn sich an den harten<br />
sexistischen Fakts in unserer Gesellschaft<br />
nichts ändert? Aus der Frauenbewegung<br />
ist eine Frauenszene geworden,<br />
deren altbackener Ruf „Frauen sind <strong>die</strong><br />
<strong>Hälfte</strong> der Menschheit“ von lächelnden,<br />
smarten Mittvierzigern goutiert wird.<br />
Und <strong>die</strong> bestimmt auch keine Probleme<br />
damit haben, ihre Angetrauten zum<br />
Babymassage-Kurs zu fahren. Läßt sich<br />
überhaupt eine weibliche Kultur in einer<br />
patriarchalen Gesellschaft entwickeln<br />
ohne <strong>die</strong>se mit radikalen Forderungen<br />
zu konfrontieren. Fragen über Fragen.<br />
Das SEFO will dranbleiben.<br />
Betty Buletti<br />
Weniger Geld<br />
für Deutsch-Kurse<br />
Bonn hat <strong>die</strong> Darmstädter Zuschüsse für<br />
Deutsch-Kurse von 48.000 auf 23.000<br />
Mark im Jahr 93 gekürzt. Von 16 Kursen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Volkshochschule im Herbst<br />
anbieten wollte, sind nun 10 gefährdet.<br />
<strong>OB</strong> Günther Metzger (SPD) befürchtet<br />
Einschränkungen bei der Integration<br />
ausländischer Bürger in <strong>die</strong> bundesdeutsche<br />
Gesellschaft, denn <strong>die</strong> Stadt „würde<br />
sich nicht in der Lage sehen, für <strong>die</strong><br />
ausgefallenen Bundesgelder einzuspringen“.<br />
Dies wolle er nicht widerspruchslos<br />
hinnehmen. Er hat deshalb einen<br />
Brief an Bundessozialminister Norbert<br />
Blüm (CDU) geschickt. Presseamt<br />
Millionen<br />
für Asbestsanierung<br />
115 Millionen Mark wird das Land Hessen<br />
<strong>die</strong> Asbestsanierung in landeseigenen<br />
Gebäuden kosten. Das ergab <strong>die</strong><br />
jüngste Kostenermittlung. Damit <strong>die</strong><br />
schwierige und kostenspielige Asbestsanierung<br />
fachgerecht durchgeführt<br />
werden kann, hat <strong>die</strong> Staatsbauverwaltung<br />
auf einem Fortbildungsseminar<br />
Sachbearbeiter aus allen hessischen<br />
Staatsbauämtern über <strong>die</strong> geeig<strong>net</strong>en<br />
Maßnahmen dafür informiert.<br />
Hessisches Finanzministerium<br />
Steine gegen<br />
Asylbewerberheim<br />
In der Nacht zum 2. Mai haben Unbekannte<br />
in Münster bei Dieburg mehrere<br />
Fensterscheiben in einem Heim für<br />
Asylbewerber mit Steinen eingeworfen.<br />
Eine Glastür und Scheiben eines Autos<br />
gingen zu Bruch, verletzt wurde niemand.<br />
Über <strong>die</strong> Täter gibt es keine Hinweise.<br />
Polizei-Pressestelle
Illegale Müllablagerung<br />
Brandgefahr bei ehemaligem<br />
Altpapierverwerter<br />
Meterhoch stapeln sich auf dem Gelände des früheren<br />
Altpapierverwerters Efremidis in der Mainzer<br />
Straße Plastiabfälle. Unverkennbar ist, daß sie<br />
schon einmal gebrannt haben, somit den Behörden<br />
bekannt sind.<br />
Auf dem frei zugänglichen Gelände stehen weitere<br />
25 Tonnen, zum Teil mit Altöl und anderen undefinierbaren,<br />
stinkenden Flüssigkeiten gefüllt. Einige<br />
Fässer sind angerostet und nicht verschlossen.<br />
Offensichtlich wird das Gelände in jüngster Zeit als<br />
illegale Kippe auch für Hausmüll benutzt. Vor dem<br />
riesigen Areal <strong>die</strong>nen alte Container als Lagerstätte<br />
für ausge<strong>die</strong>nte Fernseher, Kanister mit Verdünnung,<br />
abgelegte Kleidungsstücke und anderem.<br />
Obwohl <strong>die</strong>s bereits an <strong>die</strong> Behörden gemeldet worden<br />
ist, hat sich bis heute nichts getan. In der Vergangenheit<br />
wurde <strong>die</strong> Firma des Altpapierverwerters<br />
mehrfach in der Öffentlichkeit bekannt, weil<br />
Großbrände das Altpapier beseitigten. Auch heute<br />
besteht <strong>die</strong> Gefahr, daß <strong>die</strong> Plastikberge in Brand<br />
gesetzt werden. Obdachlose nächtigen in den ausge<strong>die</strong>nten<br />
und verwüsteten Büroräume.<br />
Hier zeigt sich: Die Behörden sind mit dem Verfolgen<br />
kleinerer Umweltverstöße schnell <strong>zur</strong> Hand.<br />
Wenn beispielsweise jemand kleinere Mengen an<br />
Hausmüll wild entsorgt, läßt man des Echo darüber<br />
in aller Breite berichten, gegenüber Handel und<br />
Industrie aber wird unverständliche Zurückhaltung<br />
geübt. Wir sind gespannt, wie lange es dauert, bis<br />
<strong>die</strong> Behörden tätig werden. Wer <strong>die</strong> Behörden sind:<br />
Über Polizei, Feuerwehr, Regierungspräsident,<br />
Umweltdezernat waren alle schon mal damit befaßt<br />
- falls eine Behörde fehlt, möge sie sich bitte melden.<br />
Sanne Borghia / Fotos as<br />
Abtreibungspille<br />
für Deutschland<br />
Die Hoechst AG muß ihre Blockade<br />
gegenüber dem Abtreibungsmittel RU<br />
486 in der Bundesrepublik schnellstens<br />
aufgeben, forderte <strong>die</strong> hessische Ministerin<br />
für Jugend, Familie und Gesundheit<br />
Iris Blaul (Grüne). Der Pharmakonzern<br />
soll endlich dem Beschluß der<br />
GesundheitsministerInnenkonferenz<br />
vom vergangenen Oktober Rechnung<br />
tragen, daß <strong>die</strong>ses Abtreibungsmittel<br />
nun auch den Frauen in der BRD <strong>zur</strong><br />
Verfügung stehen muß. Es könne nicht<br />
angehen, daß aus ideologischen Gründen<br />
ein großes Chemieunternehmen, das<br />
über das Abtreibungsmittel RU 486 verfügt,<br />
<strong>die</strong>ses <strong>zur</strong>ückhalte, erklärte Blaul.<br />
Sie kritisierte, daß Roussel Uclaf, eine<br />
Tochterfirma der Hoechst AG, nach wie<br />
vor ihre Entscheidung über <strong>die</strong> Einführung<br />
des Abtreibungsmittels RU 486<br />
offenbar vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
zum zukünftigen Abtreibungsrecht<br />
in der BRD abhängig mache.<br />
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes,<br />
wann eine Abtreibung<br />
rechtlich zulässig ist oder nicht, habe<br />
mit der Einführung einer Abtreibungsmethode<br />
überhaupt nichts zu tun. RU<br />
486 müsse als Alternative zum chirurgischen<br />
Eingriff für <strong>die</strong> nach jetzigem<br />
Gesetz legalen Abtreibungen den Frauen<br />
und ÄrztInnen <strong>zur</strong> Verfügung stehen.<br />
Offensichtlich werde in der Diskussion<br />
ein Zusammenhang hergestellt, der<br />
unsachlich und unzulässig sei. Blaul:<br />
„Ich halte es für nicht länger vertretbar,<br />
daß Frauen <strong>die</strong> Möglichkeit eines schonenden<br />
Abtreibungsmittels verweigert<br />
wird.“ Ministerium für Jugend,<br />
Familie und Gesundheit<br />
MELDUNGEN<br />
Ausgabe 48 · 14.5.1993 · Seite 3<br />
Feudale Postenvergabe<br />
Viel Wirbel hat unser Bericht „Pro Benz“ in der letzte Ausgabe in der<br />
Stadtverwaltung verursacht. Kritik daran wurde lediglich deshalb<br />
geäußert, weil Wilma Mohr, derzeit Leiterin der Sozialverwaltung, von<br />
Peter Benz nicht nur das Dezernat für Jugend und Familie im Magistrat<br />
zugesagt worden ist für ihre Parteihilfe, sondern vorbehaltlich des Ausgangs<br />
der Kommunalwahl sogar der Posten des Bürgermeisters (siehe<br />
auch Briefe an <strong>die</strong> Redaktion). Es handelt sich bei <strong>die</strong>ser Meldung keinesfalls<br />
um ein Gerücht, das weitergegeben wird. Die Informationen<br />
waren im übrigen auch dem DE zugänglich gemacht worden, dort entschloß<br />
man sich offensichtlich zu höfischem Schweigen. Wie vieler<br />
Nachrichten bedarf es eigentlich, um gesetzeswidrige und undemokratische<br />
Vorgänge verständlich-glaubhaft an <strong>die</strong> Öffentlichkeit zu bringen<br />
und Lernprozesse in Gang zu setzen? mg<br />
Wieder an der Kandare<br />
Nach dem niederschmetternden Ergebnis der Kommunalwahl öff<strong>net</strong>e<br />
sich für den kurzen Zeitraum von zwei Wochen <strong>die</strong> harte Phalanx der<br />
SPDler. Erstmals gingen Anrufe bei der Redaktion ein. Parteigenossinnen<br />
beschwerten sich über <strong>die</strong> Praktiken innerhalb der SPD und boten<br />
Zusammenarbeit an. Sogar LeserInnen der ZD widerfuhr erstaunliche<br />
Anteilnahme seitens ansonsten hartleibiger SPD-GenossInnen. Doch<br />
kaum war der erste Schock verflogen und <strong>die</strong> Parteimanager hatten ihre<br />
Fäden im Hintergrund gezogen, herrschte wieder das mauernd untätige<br />
Schweigen gegenüber interessierter Öffentlichkeit. Eike Ebert und<br />
einige an Einfluß und anderem Reiche haben wieder alles unter Kontrolle.<br />
Das dürfte ihnen auch nicht schwer gefallen sein, denn zu viele<br />
GenossInnen stehen in direktem Abhängigkeitsverhältnis (was noch im<br />
einzelnen zu belegen ist und wird). Mal ist es der Job, von Parteioberen<br />
Gnaden verliehen, mal der Kredit, mal das Häusle und bei wieder anderen<br />
<strong>die</strong> Erwartung dessen, was <strong>die</strong> Zukunft an privater Vorteilnahme<br />
bringen wird. M. Grimm<br />
Strafkeule<br />
Wo sich <strong>die</strong> Politik nicht mehr mit Totschweigen zu behelfen weiß,<br />
greift sie zu schärferen Mitteln. Eike Ebert (Mitglied des Bundestages,<br />
Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher, Rechtsanwalt und SPD-Manager) schwingt<br />
zum zweiten Mal <strong>die</strong> Keule der Strafanzeige gegen den Herausgeber<br />
der ZD. Vergangene Woche hat er Strafantrag wegen „übler Nachrede“<br />
eingereicht, weil – der genaue Anzeigetext liegt der ZD noch nicht vor<br />
– in der Ausgabe 44 gedruckt stand, daß ein SPD-Mitglied von Hamburg<br />
nach Darmstadt geflogen worden war, um dem rechten Flügel der<br />
SPD Stimmenmehrheit zu verschaffen. Ebert hat keine Gegendarstellung<br />
verlangt, ist somit an einer Richtigstellung (falls es sich um eine<br />
solche handeln sollte) auch gar nicht interessiert.<br />
Strafrecht als Mittel parteipolitisch begründeter<br />
Einschüchterungstaktik ist grober<br />
Mißbrauch der Justiz. M. Grimm<br />
Aus für alte Heizkessel<br />
Heizungsanlagen, <strong>die</strong> vor dem 1. Januar<br />
1983 eingebaut wurden, müssen ab Oktober<br />
<strong>die</strong> neuen, reduzierten Schadstoffwerte einhalten,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Bundesimmissionsschutzverordnung<br />
festlegt. Kann der alte Heizkessel<br />
<strong>die</strong>se Werte dann nicht einhalten, muß ein<br />
neuer her. Davon dürften nach Angaben der<br />
Südhessische Gas und Wasser AG rund<br />
500.000 Anlagen betroffen sein. Der überwiegende<br />
Teil davon habe nur einen Wirkungsgrad<br />
von 70 Prozent. Moderne Erdgas-Heizkessel<br />
würden dagegen über 90<br />
Prozent schaffen – das entlaste langfristig<br />
den Geldbeutel.<br />
Erdgas trage maßgeblich <strong>zur</strong> Umweltschonung<br />
bei. Denn beim Verbrennen von Erdgas<br />
gelangten pro Kilowattstunde lediglich<br />
0,2 kg Kohlendioxid – verantwortlich für<br />
den Treibhauseffekt – durch den Schornstein<br />
ins Freie, bei Heizöl sind es 0,26 kg,<br />
bei Braunkohle gar 0,40 kg.<br />
Südhessische Gas und Wasser AG<br />
Steigende Bodenpreise<br />
1992 haben <strong>die</strong> 1296 in Darmstadt veräußerten<br />
Immobilien 566,5 Millionen Mark<br />
gebracht. Das waren zehn Prozent weniger<br />
Verkäufe als im Vorjahr. Diese Daten gab<br />
der Gutachterausschuß für Grundstückswerte<br />
bekannt.<br />
Der durchschnittliche Quadratmeterpreis<br />
von unbebautem Wohnbauland lag bei 880<br />
Mark (1991: 826). Die Preise für Ein- und<br />
Zweifamilienhäuser lagen meist zwischen<br />
400.000 und 600.000 Mark. Umgewandelte<br />
Mietwohnungen älteren Baujahres wurden<br />
zu einem Mittelpreis von 3.500 Mark pro<br />
Quadratmeter verkauft (1991: 2.900). Für<br />
Wohnungen ab Baujahr 1970 lag der Quadratmeterpreis<br />
im Mittel bei 4.200 Mark<br />
(1991: 3.200). 1992 wurden insgesamt 83 in<br />
Eigentumswohnungen umgewandelte Mietwohnungen<br />
verkauft. Presseamt<br />
Neues im Kabelstreit<br />
Der Hessische Rundfunk reagierte mit<br />
Genugtuung auf eine vorläufige Gerichtsentscheidung<br />
des Frankfurter Verwaltungsgerichts,<br />
wonach „Hessen Drei“ im Frankfurter<br />
und Friedberger Kabel<strong>net</strong>z wieder auf<br />
Kanal 6 verbreitet werden muß. Der Kabelstreit<br />
in Hessen schwelt seit Jahresbeginn.<br />
Damals hatte <strong>die</strong> Landesanstalt für privaten<br />
Rundfunk <strong>die</strong> Belegung in den Kabel<strong>net</strong>zen<br />
verändert und „Hessen Drei“ von seinem<br />
angestammten Kanal 6 auf Kanal 4 verschoben.<br />
Seitdem erschien der Nachrichtensender<br />
„Vox“ auf Kanal 6. hr<br />
Die Depesche<br />
ist eine Kriegserklärung…<br />
Pressefreiheit und Pressevielfalt<br />
ist (Über)Leben.<br />
Keine hundert Jahre ist es her,<br />
daß unsere Vorfahren für <strong>die</strong><br />
Preß-Freiheit ihr<br />
Leben gelassen haben.<br />
Keine fünfzig Jahre sind vergangen,<br />
daß wir sie nach vollkommenem<br />
Verlust wieder erhalten<br />
haben – und wieder sind<br />
wir dabei, sie zu verlieren,<br />
weil sie verkauft wird: an<br />
Krämerseelen, <strong>die</strong> um des Geldes<br />
willen <strong>die</strong> Nachrichten und<br />
ihre Meinung dem Meistbietenden<br />
anpassen.<br />
Für eine unabhängige,<br />
unzensierte, freie und<br />
an Wahrheiten orientierte<br />
Presse haben wir <strong>die</strong><br />
Darmstädter<br />
Initiative<br />
für <strong>die</strong><br />
Vielfalt<br />
der Presse<br />
gegründet:<br />
• für eine Kontrolle<br />
über Parlamente<br />
• für ein öffentliches<br />
Forum der Leserinnen<br />
• für ein Mehr<br />
an Demokratie.<br />
Verschlafen Sie nicht<br />
wie viele MitbürgerInnen<br />
<strong>die</strong> schleichende Inflation der<br />
Meinungs- und Pressefreiheit!<br />
Beteiligen Sie sich<br />
an unserer Initiative!<br />
V.i.S.d.P. Folkmar Rasch.<br />
Weitere Informationen erteilt<br />
<strong>die</strong> „Zeitung für Darmstadt“<br />
Postfach 104323<br />
6100 Darmstadt
Jeder Tritt aufs Gaspedal kostet ein Stück Wald<br />
10 Jahre Waldschadenforschung<br />
80 Prozent<br />
zuviel Stickoxide<br />
60.000 Autos zuviel<br />
und was in Darmstadt getan wird<br />
Das Bundesforschungsministerium veröffentlicht <strong>die</strong> Ergebnisse von mehr<br />
als 800 Wissenschaftlern, <strong>die</strong> im Auftrag der Bundesregierung 10 Jahre<br />
lang versuchten, hinter <strong>die</strong> Ursachen für das Waldsterben zu kommen.<br />
Glaube nur niemand: Was <strong>geht</strong> das mich an, das ist doch nur etwas für<br />
Waldschrate und alte Leute. Die Grundlagen unseres Lebens, <strong>die</strong> Luft und<br />
vor allem unser Grundwasser sind höchst gefährdet. Überleben <strong>die</strong><br />
Wälder nicht, dann haben auch wir nur noch geringe Aussichten auf ein<br />
gesundes Leben. Das Ergebnis der Stu<strong>die</strong>.<br />
„Einschneidende Maßnahmen sind<br />
nötig, um <strong>die</strong> Belastung auf ein verträgliches<br />
Maß zu senken“. Gemeint sind<br />
damit <strong>die</strong> Autofahrer, denn während „bei<br />
Kraftwerken und Industrieanlagen deutliche<br />
Erfolge“ beim Rückgang der Stickoxide<br />
verzeich<strong>net</strong> wurden (seit 1982 um<br />
70 Prozent) stiegen <strong>die</strong> Abgase aus PKW<br />
so stark an, daß eine Minderung „weitgehend<br />
aufgehoben “ wurde – trotz Katalysator.<br />
In Darmstadt sind über 80.000<br />
Autos für 55.000 Haushalte zugelassen –<br />
mindestens 60.000 zuviel, denn „grobe<br />
Schätzungen haben ergeben…, daß<br />
Schwefeldioxide um 80 bis 90% reduziert<br />
werden müßten“, so <strong>die</strong> Bundesregierung.<br />
Es ist nicht so, wie viele denken,<br />
„was macht es schon, wenn ich mit meinem<br />
Auto fahre“ – <strong>die</strong> Vielzahl der<br />
PKW-Bewegungen ad<strong>die</strong>rt sich zu ungeheuren<br />
Mengen an Schadstoffen.<br />
Das alles ist nicht neu, und allein mit<br />
dem Bewußtsein <strong>die</strong>ser platten Erkenntnis<br />
leben, heißt, den Wald weiter sterben<br />
lassen.<br />
Ein Spaziergang im Winter durch den<br />
Wald läßt das Ausmaß erst erkennen:<br />
Der Bestand ist stark gelichtet, und wo<br />
ehedem <strong>die</strong> Neugier angespornt war, wie<br />
es wohl hinter <strong>die</strong>sen Tannen oder jenen<br />
Lärchen aussehen mag, ist in wenigen<br />
Jahren <strong>die</strong> Durchsicht Regel, wie heute<br />
bereits im Westwald.<br />
Baumkrankheiten wie „Storchennester“<br />
(flache, breite Baumkronen), „Angstreiser“<br />
in Armhöhe an normalerweise<br />
schlanken Buchenstämmen, fehlende<br />
Seitentriebe in den Kronen, entlaubte<br />
Zweige, fallende Rinden - <strong>die</strong> Liste ist<br />
lang. Kein Vorbei gibt es an den vielen<br />
bereits wieder gefallenen Bäumen, <strong>die</strong><br />
trotz emsiger Abräumarbeiten der Forstleute<br />
überall im Wald zu finden sind –<br />
auch ohne Sturm.<br />
Obwohl bereits in den sechziger Jahren<br />
Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen<br />
im norddeutschen Forschungs-<br />
Projekt „Solling“ wesentliche Ursachen<br />
und Symptome erkannt und gewarnt hatten,<br />
trat <strong>die</strong> Bundesregierung erst 1981<br />
auf den Plan. Sie beauftragte an verschiedenen<br />
Standorten Wissenschaftler mit<br />
exakteren Untersuchungen, denn <strong>die</strong> bis<br />
dahin vorliegenden Erkenntnisse<br />
beschrieben keinen Ausweg aus der<br />
hoffnunglosen Zukunftsperspektive.<br />
Sehr schnell wurde klar, es ist nicht das<br />
Schwefeldioxyd allein oder das Ozon, es<br />
kamen sehr schnell weitere schädigende<br />
Chemikalien hinzu, <strong>die</strong> als Folge von<br />
landwirtschaftlicher, industrieller Produktion<br />
und vor allem des Verkehrs eine<br />
Vielzahl ineinander wirkender schädlicher<br />
Einflüsse für unsere Wälder darstellen.<br />
Die von Wissenschaftlern erstmals in<br />
den siebziger Jahren vorgetragene<br />
Bezeichnung „Ökosystem“ (auch als<br />
Biosystem bezeich<strong>net</strong>), und von der Politik<br />
als grüne Spinnerei belächelte Vokabel,<br />
ist in <strong>die</strong> ernsthafte politische Vorgabe<br />
der Erforschung des „Ökosystems<br />
Wald“ eingegangen. Exaktes Beobachten<br />
der Veränderung verschiedener Baumarten<br />
in unterschiedlich belasteten<br />
Regionen erwies sich sehr schnell als<br />
nicht ausreichend, denn es besagte nichts<br />
über <strong>die</strong> Ursachen. So blieb das Kiefernsterben<br />
ebenso wie das Fallen der Tannen<br />
in Süddeutschland zunächst „rätselhaft“.<br />
Erst als auch Fichten und Laubbäume<br />
ähnliche Symptome zeigten, kam<br />
man auf <strong>die</strong> Idee, auch einmal unter der<br />
Erde an den Wurzeln Forschung zu<br />
betreiben.<br />
Sicher war zu dem damaligen Zeitpunkt<br />
lediglich der Zusammenhang zwischen<br />
Luftschadstoffen (<strong>die</strong>s wird bereits seit<br />
1870 erfolgreich im Erzgebirge bestaunt)<br />
und dem Fallen der Bäume. Biologen<br />
und Chemiker waren jetzt gefordert:<br />
Was passiert, wenn ein Baum aus der<br />
Luft oder dem Wasser (und damit dem<br />
Boden) Nährstoffe und mit ihnen Chemikalien<br />
aufnimmt? Neue Beobachtungsverfahren<br />
wurden entwickelt, und so<br />
kann heute <strong>die</strong> Nährstoff-Aufnahme von<br />
der Wurzelspitze bis in <strong>die</strong> letzte Zelle<br />
verfolgt werden. Weniger eindeutig sind<br />
<strong>die</strong> Erkenntnisse: das Problem bilden<br />
chemische Verbindungen und deren Folgen.<br />
Allein aus dem Auspufftopf eines<br />
PKW kommen „neben den Gasen …<br />
weitere, zum Teil stark giftige Stoffe,<br />
wie nitrierte und halogenierte Aromaten<br />
… dreißig verschiedene hat man am<br />
Rande der Straße“ bis heute nachweisen<br />
können. Aber während man noch auf der<br />
Suche nach den Schadstoffen selbst ist,<br />
muß sich <strong>die</strong> Wissenschaft gleichzeitig<br />
damit beschäftigen, in welchen Wechselwirkungen<br />
<strong>die</strong>se und andere Schadstoffe<br />
im komplizierten Lebenshaushalt Waldboden,<br />
Kleingetier, Photosynthese (Nahrungsaufnahme<br />
des Baumes) und Waldsterben<br />
stehen.<br />
Ein Baum braucht lange zum Wachsen,<br />
und Schäden aus mangelhafter oder verseuchter<br />
Nahrungsaufnahme müssen<br />
über lange Zeiträume beobachtet werden,<br />
bevor Zusammenhänge erkennbar<br />
sind – und dann bestehen kräftige Zweifel,<br />
ob das Erkannte auch richtig ist.<br />
Um <strong>die</strong>sen vielfältigen Verflechtungen<br />
auf <strong>die</strong> Spur zu kommen, <strong>geht</strong> es nicht<br />
ohne Chemie: Schwefeldioxid, Stickoxide,<br />
Ammoniak, Kadmium, Salpeter,<br />
Salzsäure, Magnesium, Ozon, Kalk und<br />
viele andere gehen Verbindungen ein,<br />
deren Kenntnis überhaupt erst ein Verständnis<br />
ermöglichen, wie ein Ökosystem<br />
Namens Wald funktioniert, und<br />
warum es gestört ist.<br />
Die Naturwissenschaft<br />
spricht heute nicht mehr<br />
von Kausalketten, sondern<br />
von Wirkungssystemen,.<br />
Es <strong>geht</strong> nicht mehr allein um<br />
das Sterben einzelner Bäume,<br />
sondern ganzer Wälder,<br />
der in ihnen lebenden Kleintiere<br />
und um verseuchtes Wasser<br />
„Die Notwendigkeit des ver<strong>net</strong>zten, des<br />
ökologischen Denkens ist auch und gerade<br />
durch <strong>die</strong> Waldschäden offenkundig<br />
geworden“, schreibt das Bundesforschungsministerium.<br />
„Auf und unter einem Quadratmeter<br />
Waldboden leben etwa 250 Regenwürmer,<br />
mehrere hundert Bodenspinnen,<br />
30.000 bis 60.000 Springschwänze…<br />
mehrere hunderttausend Nematoden,<br />
vorwiegend Bakterien und mehrere Millionen<br />
von Einzellern“ (so der Bericht).<br />
Ebenso groß wie ihre Zahl ist und so<br />
vielfältig ihre Funktionen untereinander<br />
sind in dem Gleichgewicht „Ökosystem“,<br />
ebenso viel Arbeit wird <strong>die</strong> Wissenschaft<br />
haben, um – wenn überhaupt –<br />
jemals klare Aussagen darüber treffen zu<br />
können, wie <strong>die</strong>ses komplexe System<br />
arbeitet. Dies aber ist <strong>die</strong> Voraussetzung<br />
dafür, daß das Waldsterben auf lange<br />
Sicht erfolgreich beendet werden kann.<br />
Wäre es da nicht sinnvoller, lieber öfter<br />
und immer öfter auf das Auto zu verzichten?<br />
Was passiert in Darmstadt?<br />
Darmstadt rangiert mit einem fast vollständig<br />
geschädigten Wald (96%) heute<br />
mit an vorderster Stelle in der Bundesrepublik,<br />
nach Sachsen: 8.000 Hektar<br />
Wald sind dort bereits eine verseuchte,<br />
tote Mondlandschaft,„für Deutschland<br />
ein trauriger Rekord“. Ende März stellte<br />
Darmstadts Umweltdezernent Heino<br />
Swyter (F.D.P.) den „Forstbericht 1992“<br />
vor. Die nahezu gleichen Aussagen wie<br />
im zuvor veröffentlichten Waldschadensbericht<br />
des Hessischen Forstamtes<br />
verleiteten einen der Urheber zu dem<br />
Kommentar, das ist doch nur abgekupfert“.<br />
Doch ganz wird <strong>die</strong>ser Kommentar<br />
dem Bericht (aufgesetzt von Gartenbaudirektor<br />
Ruoff) nicht gerecht, denn<br />
er hat erkannt, daß <strong>die</strong> „besonders hohe<br />
NOx-Belastung, verursacht durch <strong>die</strong><br />
sehr hohe innerörtliche Verkehrsbelastung<br />
und <strong>die</strong> Pendlerströme … reduziert<br />
werden muß“. Dies soll durch<br />
„Geschwindigkeitsbeschränkungen auf<br />
Straßen und Autobahnen, <strong>die</strong> durch<br />
Verhandlungen über einen Baum, der bereits gefällt ist<br />
Um einen Götterbaum, ein Stückchen<br />
Lebensqualität ging es den AnliegerInnen<br />
des Hauses Rhönring 17, als sie<br />
Widerspruch gegen <strong>die</strong> Fällgenehmigung<br />
der Stadt am 25.2. eingelegt hatten.<br />
Vergebens war ihr Gesuch bei den<br />
Behörden, denn dort wurde ihnen kein<br />
schriftlicher Bescheid erteilt, so daß<br />
Architekt Volker Schmidt (SPD) den<br />
Baum am 8.3. fällen lassen konnte (siehe<br />
ZD 46). Große Überraschung bei den<br />
AnliegerInnen: im April kamen vom<br />
Rechtsamt der Stadt Einladungen,<br />
am 11.5. über den Widerspruch zu<br />
verhandeln; „obwohl der Baum nicht<br />
mehr steht?“ fragten sie sich. Karl-<br />
Heinz Zuber nahm den Termin wahr<br />
und stellte der Assessorin des Rechtsamtes,<br />
Frau Demes, <strong>die</strong> Frage: „Worüber<br />
wollen wir denn verhandeln, der<br />
Baum ist doch gefällt?“<br />
Mit formalen Gründen antwortete sie:<br />
„Wir müssen Verhandlung über jeden<br />
Widerspruch führen“. Sie meinte, der<br />
Bescheid sei zu Recht ergangen, denn<br />
er, Zuber, habe als Dritter gar kein<br />
Widerspruchsrecht. Wer Widerspruch<br />
einlegen darf, ist in der Baumschutzsat-<br />
Nummer 48 · 14.5..1993 · Seite 4<br />
Noch ist der Wald nur licht und mit Halbschatten durchsetzt. Im Westwald zeich<strong>net</strong> sich heute jedoch schon <strong>die</strong> weitere Entwicklung<br />
ab, dort fallen immer mehr Bäume und in wenigen Jahren enstehen Kahlflächen. Im Frühjahr werden <strong>die</strong> Krankheiten<br />
durch das Grün ein wenig kaschiert. Foto as<br />
Waldgebiete der Stadt führen“, erreicht<br />
werden. Gleichzeitig schränkt Swyter<br />
ein, „es ist ja doch nur eine Frage von<br />
Sekunden, bis <strong>die</strong> Schnellfahrer wieder<br />
im Stau stehen“. Nebenbei erwähnt er<br />
auch <strong>die</strong> Müllverbrennungsanlage als<br />
NOx-Verursacher. Zahlen für <strong>die</strong><br />
Abgas-Minderung beispielsweise durch<br />
Untersuchungen, bei welchen Tempo-<br />
Beschränkungen wieviel Schadstoffe<br />
eingespart werden, hat das Umweltamt<br />
nicht parat. Auch ist kein Wort von Verminderung<br />
des Verkehrs zu lesen, gar<br />
von einem generellen Stop im Straßenbau,<br />
nicht einmal <strong>die</strong> Forderung wird<br />
aufgestellt. Auf der Roßdörfer Autobahn,<br />
dem Darmstädter Kreuz und der<br />
B3 soll Tempo 70 eingeführt werden -<br />
so ein Magistratsbeschluß vom 26.3.93,<br />
der trotz Zusage der ZD nicht zugestellt<br />
worden ist.<br />
Swyter und Ruoff erklären übereinstimmend:<br />
„Die Stadt Darmstadt hat … eine<br />
Vorreiterrolle übernommen“. Diese<br />
sehen unsere städtischen Umweltschützer<br />
eher in der „Festlegung der Wirtschaftsziele“<br />
bezogen auf das Fällen von<br />
Bäumen und das Verkaufen des Holzes,<br />
im Rahmen des „Verzichtes auf Kostendeckung<br />
im Forstbereich“.<br />
Dr. Arnulf Rosenstock vom Hessischen<br />
Forstamt sieht <strong>die</strong>s anders: „Der Wald<br />
ist für <strong>die</strong>se hohen Belastungen eine<br />
Fehlkonstruktion“, er spricht von einem<br />
„aberwitzigen Szenario“ und kritisiert<br />
<strong>die</strong> „Gesellschaft, <strong>die</strong> einen weiten<br />
Bogen um ihre Probleme macht. Die<br />
Grenzen des Wachstums“, so Rosenstock,<br />
„sind überschritten“. In krassem<br />
Gegensatz zu den Interessen der Stadt<br />
(<strong>die</strong> mehr Gewerbe ansiedeln und mehr<br />
Arbeitsplätze und Wohngebiete ausweisen<br />
möchte) steht seine Forderung an<br />
eben <strong>die</strong> Stadt, <strong>die</strong> „an den Regierungspräsidenten<br />
herantreten und andere Ziele<br />
im Regionalen Raumordnungsplan<br />
festhalten lassen sollte.“<br />
Den RROP-Entwurf hat <strong>die</strong> ZD bislang<br />
vergebens beim Regierungspräsidenten<br />
angefordert. M. Grimm<br />
zung (vom 22.9.83) jedoch nicht geregelt.<br />
Bislang hat Architekt Schmidt keinen<br />
Ersatzbaum pflanzen lassen, obwohl<br />
ihm <strong>die</strong>s <strong>zur</strong> Auflage in der Genehmigung<br />
gemacht worden war.<br />
Pikantes Bonmot am Rande: Das<br />
Rechtsamt hat weitere zahlreiche EinwenderInnen<br />
zu laden, denn sie waren<br />
alle nicht erschienen. Wozu denn auch,<br />
wenn der Baum gefällt ist, und sowohl<br />
<strong>die</strong> Behörden, als auch das Rechtsamt<br />
nicht für das Einhalten ihrer eigenen<br />
Satzungen sorgen. sb
Wer<br />
erinnert sich nicht an das Jahr<br />
1987, das Jahr vom Tschernobyl-Gau.<br />
Spätestens damals waren wir VerbraucherInnen<br />
verunsichert. Cäsium, Strontium,<br />
Becquerel; Radioaktivität in Pilzen und<br />
Wild, in Milch und Joghurts. Was können wir<br />
überhaupt noch gefahrlos essen, fragten sich<br />
Millionen. Die schlechten Nachrichten häuften<br />
sich: Skandale bei Eiernudeln, Würmer in<br />
Fischen, verseuchte Austern und und und.<br />
Schadstoffe in Lebensmitteln,<br />
das sorgte für viele heiße Diskussionen,<br />
noch mehr Verunsicherungen und für einen<br />
Boom der Naturkost- und Ökoläden.<br />
Das Hessische Landwirtschaftsministerium<br />
bemüht sich in einer neuen Broschüre <strong>die</strong><br />
Wogen zu glätten. Da heißt es: „Die in <strong>die</strong>sem<br />
Bericht dokumentierten Ergebnisse zeigen,<br />
daß <strong>die</strong> Belastung der Nahrungsmittel<br />
mit Schadstoffen seit Ende der 70er Jahre<br />
deutlich <strong>zur</strong>ückgegangen ist“. Da ist <strong>die</strong><br />
Rede davon, daß <strong>die</strong> öffentliche Verwaltung<br />
<strong>die</strong> Verpflichtung hat, ausreichend gesunde<br />
Ernährung sicherzustellen. Dies schließe <strong>die</strong><br />
Aufgabe ein, gesundheitsgefährdende Auswirkungen<br />
möglichst auszuschließen. Dafür<br />
würden gesetzliche Regelungen sorgen –<br />
beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und<br />
der Tierarznei, durch Untersuchungen bei<br />
landwirtschaftlichen Betrieben und mit Hilfe<br />
der Futtermittelüberwachung. Beruhigt?<br />
Wer weiß schon noch, was drin ist?<br />
Schon längst wissen wir, daß wir nicht wissen,<br />
was wir mit einem Apfel, einer Kartoffel<br />
oder einem Stück Fleisch oder Wurst so alles<br />
mitschlucken. Auch unsere Cornflakes, <strong>die</strong><br />
uns laut Werbung morgens so unglaublich fit<br />
und glücklich machen, sind ein Kunstprodukt.<br />
Vorbei <strong>die</strong> Zeit, als sie noch aus<br />
gewalzten und gerösteten Maiskörnern<br />
bestanden. Der mit allem möglichen versetzte,<br />
geschundene Brei kommt aus einem<br />
fleischwolfähnlichem Gerät. Unser TV-Knabbersnack<br />
ist dank Wolf und zusätzlicher Wärme<br />
meist luftig – das Resultat solcher<br />
Behandlungen: Verkleisterung der Stärke,<br />
Denaturierung der Proteine, Inaktivierung<br />
von Enzymen, Bräunung, Abtöten von Mikroorganismen<br />
und Bilden von komplexen<br />
Reaktionsprodukten.<br />
Schokolade, Babynahrung, Tierfutter, Spaghetti<br />
– alles passiert den Mischer. Aus Nahrungsresten<br />
oder Abfall – etwa Tierblut (in<br />
„Nutella“), Geflügelfedern, Algen, Rinderhaaren,<br />
Käsewasser – wird billiges Protein für<br />
<strong>die</strong> Lebensmittelproduktion gewonnen, kostengünstige<br />
Rohstoffe <strong>zur</strong> Gewinnmaximierung.<br />
So wird Eiweiß, das aus Hühnerfedern<br />
gewonnen wird, als Pulver und Paste verschiedenen<br />
Nahrungsmitteln zugesetzt, unter<br />
anderem Suppen und Backwaren. Fertigprodukte<br />
und Schnellkoch-Suppen entstammen<br />
der chemischen Laborküche. Guten Appetit.<br />
Eine neue Verunsicherung<br />
Seit Anfang des Jahres kommen bestrahlte,<br />
genmanipulierte oder imitierte Lebensmittel<br />
unkontrolliert in unsere Supermärkte. Zwar<br />
besteht in Deutschland das Verbot der<br />
Bestrahlung weiter, aber dank der Öffnung<br />
des EG-Binnenmarktes können so behandelte<br />
Waren unkontrolliert importiert werden.<br />
Eigentlich hatten sich <strong>die</strong> Eurokraten bis zum<br />
Jahreswechsel darauf einigen wollen, daß<br />
radioaktiv bestrahlte Lebensmittel in allen<br />
Mitgliedsstaaten deutlich gekennzeich<strong>net</strong><br />
sein müssen. Das ist ihnen bis jetzt aber<br />
nicht gelungen. Und so kaufen wir VerbraucherInnen,<br />
ohne es zu wissen, herrlich frisch<br />
aussehende Lebensmittel, <strong>die</strong> womöglich<br />
schon Wochen alt sind. Weil man Strahlen<br />
nun mal weder sieht, noch schmeckt, noch<br />
riecht, landen jetzt Garnelen aus Frankreich<br />
in unserem Einkaufskorb, <strong>die</strong> durch Radonbestrahlungen<br />
keimfrei gemacht wurden,<br />
Zwiebeln, Knoblauchzehen und Kartoffeln<br />
aus Italien, <strong>die</strong> ewig trieblos bleiben, und<br />
durch Bestrahlung gereinigte Kräuter und<br />
Gewürze aus Dänemark.<br />
Es gibt keine Beweise dafür, daß <strong>die</strong>se<br />
bestrahlten Lebensmittel gefährlich sind.<br />
Manche mögen es sogar besser finden,<br />
keimfreie Garnelen zu essen als vielleicht<br />
bakterienverseuchte aus einem verdreckten<br />
Meer. Laut Weltgesundheitsbehörde sind<br />
solche Waren unschädlich. Auch das Bundesgesundheitsamt<br />
gibt Entwarnung für<br />
jene, <strong>die</strong> bei Strahlen sofort an Krebs denken.<br />
Die Angst davor sei unbegründet.<br />
„Novel-Food“: was steckt dahinter?<br />
Erheblich weniger als über bestrahlte<br />
Lebensmittel weiß man über jene, <strong>die</strong> per<br />
Gentechnik auf längere Haltbarkeit, schnelleres<br />
Wachsen, intensiven Geschmack oder<br />
Insektenresistenz getrimmt werden. Sie tragen<br />
den schönen Namen „Novel-Food“ (=<br />
neuartige Lebensmittel). Niemand kann bisher<br />
mit Sicherheit sagen, wie sich <strong>die</strong> genmanipulierten<br />
Mikroorganismen auf Mensch<br />
und Umwelt auswirken.<br />
Die Hessische Landesregierung steht dem<br />
Einsatz von gentechnisch erzeugten Stoffen<br />
kritisch gegenüber. Sie will sich, so steht es<br />
auch in der Broschüre, für eine entsprechende<br />
Kennzeichungspflicht einsetzen und vertritt<br />
<strong>die</strong> Auffassung, daß den Verbraucher-<br />
Innen <strong>die</strong>se Informationen zustehen. Doch<br />
das ist Zukunftsmusik, denn <strong>die</strong> EG diskutiert<br />
auch darüber noch. Der jüngste EG-<br />
Kommissionsentwurf sieht über<strong>die</strong>s keine<br />
Kennzeichnung vor.<br />
Die Novel-Food-Lebensmittel wachsen unterdessen<br />
in vielen EG-Laboren auf Steinwolle<br />
oder Kunststoff-Folien; sie werden umspült<br />
von Nährstofflösungen, besprüht mit<br />
Insektiziden, beschienen von Kunstsonne –<br />
vierundzwanzig Stunden am Tag. Geerntet<br />
werden <strong>die</strong> Früchte, <strong>die</strong> sich alle wie <strong>die</strong> eineiigen<br />
Zwillinge gleichen, zunehmend von<br />
Robotern.<br />
Nie mehr Hunger?<br />
Die Gentechnik, so <strong>die</strong> Wissenschaftler,<br />
verspricht Lösungen, wenn sich<br />
bei der industriellen Produktion von<br />
Lebensmitteln Probleme stellen: so<br />
können dank englischer Wissenschaftler<br />
genmanipulierte polygalacturonase-freie<br />
Tomaten (<strong>die</strong>ses<br />
Enzym führt zum Matschigwerden)<br />
reif geerntet und trotzdem<br />
Tausende von Kilometern transportiert<br />
werden.<br />
Hauptziel der Genforschung,<br />
so wird ins Feld<br />
geführt, sei nicht so sehr<br />
<strong>die</strong> Ertragssteigerung –<br />
<strong>die</strong> ist wohl nur ein <strong>net</strong>ter<br />
Nebeneffekt? –, sondern das<br />
Ziel, Lebensmittel gegen Krankheitserreger<br />
resistent zu machen.<br />
In Holland kümmern sich<br />
Wissenschaftler um <strong>die</strong><br />
Bintje-Kartoffel. Sie wollen<br />
<strong>die</strong> Knolle gegen das Y-Virus<br />
widerstandsfähig machen – bis<br />
zu 80 Prozent der Kartoffelernten<br />
werden zuweilen von <strong>die</strong>sem Krankheitserreger<br />
zerstört („Folio“ der Neuen Züricher Zeitung,<br />
Feb. 93).<br />
Heute entzieht sich fast keine Nutzpflanze<br />
mehr dem verändernden Zugriff des Gentechnikers:<br />
über 40 sind bereits manipuliert<br />
worden, vom Tabak zum Mais oder Reis.<br />
Bei der Joghurtproduktion reichen <strong>die</strong><br />
Visionen der Forscher bis zum Einbau<br />
von Genen für Fruchtgeschmack,<br />
etwa Ananas, Erdbeere, Aprikose<br />
oder Banane. Dies würde<br />
nachträglich untergemischte<br />
(natürliche oder naturidentische)<br />
Aromastoffe überflüssig<br />
machen. Fruchtjoghurts ohne<br />
Früchte – welch Wunder der<br />
Technik. Ob wir <strong>die</strong>se Technik-<br />
Segnungen wirklich brauchen?<br />
Die Vorteile für <strong>die</strong> Produzenten<br />
liegen auf der Hand: Wenn Obst<br />
und Gemüse äußerlich unbeschadet<br />
länger gelagert werden können,<br />
wird weniger wegge-<br />
Frisch<br />
aus dem Labor<br />
Bestrahlte und<br />
gentechnisch<br />
veränderte Lebensmittel<br />
erobern seit<br />
Öffnung des<br />
EG-Binnenmarktes<br />
unsere Supermärkte.<br />
Niemand weiß<br />
heute, wie sich<br />
<strong>die</strong> manipulierten<br />
Mikroorganismen<br />
auf Mensch und<br />
Umwelt auswirken<br />
schmissen. Das verkennt aber <strong>die</strong> Realität:<br />
Heute werden Millionen Tonnen Lebensmittel<br />
jährlich in der EG vernichtet, nicht etwa, weil<br />
sie verdorben sind, sondern aus marktwirtschaftlichen<br />
Gründen. Wenn Fische schneller<br />
wachsen, können teure Rohstoffe gespart<br />
werden, lautet ein anderes Argument der Verfechter.<br />
Gentechniker sprechen sogar davon,<br />
den Hunger der Welt zu stillen. Die Fachleute<br />
urteilen fast einhellig: Novel-Food sei gesund<br />
und würde schmecken.<br />
Unwägbare Risiken<br />
Der „Spiegel“ (15/93) schreibt dagegen:<br />
„Was da an lebenden Mikroorganismen in<br />
<strong>die</strong> Gedärme rutscht, birgt ein unabweisbares<br />
Gefahrenpotential. Seit einiger Zeit erst<br />
wissen <strong>die</strong> Molekularbiologen, daß einige<br />
Bakterien <strong>die</strong> Fähigkeit haben, ihr Erbgut auf<br />
andere Einzeller zu übertragen … Da fast alle<br />
genmanipulierten Einzeller aus labortechnischen<br />
Gründen mit Antibiotikaresistenzgenen<br />
ausgestattet werden müssen, fürchten<br />
<strong>die</strong> Gegner der Gentechnik eine unheilvolle<br />
Allianz: Die verspeisten Genorganismen<br />
wandern Richtung Darmflora, treffen dort<br />
auf menschliche Krankheitskeime und<br />
stecken ihnen <strong>die</strong> Abwehrformel gegen Antibiotika<br />
zu. Aus medizinisch leicht zu<br />
bekämpfenden Plagen könnten theoretisch<br />
neue unheilbare Krankheiten entstehen – für<br />
Mediziner eine Horrorvision.“<br />
Trotz alledem: in der Bundesrepublik wird<br />
schon kräftig geforscht. In Braunschweig<br />
bei der „Deutschen Sammlung von<br />
Mikroorganismen und Zellkulturen“<br />
lagern 10.000<br />
Arten von<br />
Lebewesen<br />
– Kunst-<br />
geschöpfe<br />
etwa <strong>zur</strong><br />
Herstellung von<br />
immerknusprigem<br />
Brot (Spiegel ).<br />
Nordrhein-Westfalen hat<br />
jetzt (FR 6.5.) erfolgreich<br />
<strong>die</strong> Zulassung von Käse verhindert,<br />
der mit dem gentechnisch<br />
hergestellten Labferment<br />
Chymosin produziert<br />
wird. Die Firma Lorenz<br />
aus Unna, <strong>die</strong> das vom<br />
Unternehmen Gist-Brocades<br />
hergestellte Chymosin<br />
in Deutschland vertreiben<br />
wollte, hat deshalb<br />
vorerst auf <strong>die</strong>ses<br />
Vorhaben verzichtet.<br />
Das Umweltmini-<br />
sterium<br />
argumentierte, daß in<br />
Deutschland <strong>die</strong> Akzeptanz<br />
der Verbraucher für solch genmanipulierten<br />
Käse fehle. Ein Teilerfolg<br />
– wenn auch zu vermuten ist, daß<br />
<strong>die</strong>ser im Ausland produzierte Käse schon<br />
längst bei uns im Handel ist. So werden Schätzungen<br />
zufolge etwa schon 50 Prozent vor<br />
allem der Hartkäse in den USA (Italien 20 Prozent)<br />
mit Chymosin produziert. Ein Sprecher<br />
des hessischen Gesundheitsministeriums<br />
räumte gegenüber der „FR“ ein, daß <strong>die</strong> Auseinandersetzung<br />
um <strong>die</strong> Zulassung des Chymosins<br />
auch eine politische Dimension besitzt<br />
– es hätte eine „Türöffnerfunktion für <strong>die</strong><br />
ganze Bundesrepublik“ gehabt.<br />
Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 5<br />
Freilandversuche genehmigt<br />
Mitte April hat das Bundesgesundheitsamt<br />
erstmals drei Freilandversuche mit gentechnisch<br />
veränderten Nahrungsmitteln genehmigt<br />
– trotz insgesamt über 3.000 Einwendungen<br />
aus ethischen, religiösen oder wissenschaftlichen<br />
Gründen (taz vom 10.5.).<br />
Das „Institut für genbiologische Forschung“<br />
in Berlin darf zwei auf zwei Jahre begrenzte<br />
Versuche mit gentechnisch veränderten Kartoffeln<br />
unternehmen und <strong>die</strong> Firma Planta<br />
einen Versuch mit Zuckerrüben. Geprüft<br />
werden derzeit zwei weitere Anträge von der<br />
Technischen Uni München – für Mais und<br />
Reis. Weltweit soll es heute über 1.100 solcher<br />
Versuche auf rund 1.500 Feldern geben.<br />
Auf dem Klostergut Wetze in Niedersachsen,<br />
wo rund 100 Mitarbeiter der Kleinwanzlebener<br />
Saatzucht (KWS) aus Einbeck angefangen<br />
haben, gentechnisch manipulierte Kartoffeln<br />
zu pflanzen, gab es bereits einen Zwischenfall:<br />
Die seit sechs Wochen neben den<br />
Versuchsfeldern campierenden GegnerInnen<br />
sollen, laut „taz“, von KWS-Arbeitern brutal<br />
<strong>zur</strong>ückgeworfen und auf übelste Weise<br />
beschimpft worden sein.<br />
Bisher, so heißt es offiziell, haben noch keine<br />
deutschen Firmen gentechnisch hergestellte<br />
Lebensmittel auf den Markt gebracht. Doch,<br />
wie gesagt, solche Waren lagern auch hier<br />
längst im Supermarkt.<br />
Auch <strong>die</strong> Hoechst AG unternimmt Anstrengungen,<br />
mit Hilfe der Gentechnik <strong>die</strong> gewerbliche<br />
Herstellung von Humaninsulin in<br />
Deutschland zu etablieren. Ein Antrag ist<br />
kurz vor Ostern gestellt worden. Der „Bund<br />
der pharmazeutischen Industrie“ hat kürzlich<br />
in Berlin eine Pressekonferenz zum Thema<br />
„Verpaßt Deutschland <strong>die</strong> Gentechnik?“ veranstaltet<br />
(taz vom 28. April). Tenor: Die<br />
Techniker könnten ja noch viel mehr Projekte<br />
in Angriff nehmen, wenn man sie nur ließe.<br />
Vom verpaßten Weltanschluß war da <strong>die</strong><br />
Rede, Deutschland gerate ins Hintertreffen.<br />
Der Bundestag plant mit Blick auf <strong>die</strong> Chemie-Lobby<br />
eine Novellierung des Gentechnikgesetzes<br />
und begründet <strong>die</strong>s damit, daß<br />
<strong>die</strong> derzeitige Verfahrensdauer für <strong>die</strong> Genehmigung<br />
gentechnischer Anlagen eine Gefährdung<br />
des Forschungs- und Wirtschaftsstandortes<br />
Deutschland darstelle.<br />
Das hessische Umweltministerium lehnt <strong>die</strong>se<br />
Novelle ab. In einer Presseinfo (vom<br />
14.4.) heißt es: „Die Analyse der jüngsten<br />
Störfälle in verschiedenen Produktionsbereichen<br />
der Firma Hoechst zeigt<br />
jedoch, daß eine Gefährdung des Industriestandortes<br />
… letztlich ausschließlich<br />
in der Nicht-Beherrschung von Gefahrenpotentialen<br />
zu suchen ist. Diese …<br />
stellt eine akute Gesundheitsgefährdung<br />
von Beschäftigten und Anwohnern in der<br />
dichtbesiedelten Bundesrepublik dar.“ Das<br />
Schreiben schließt: „Der Zweck des Gentechnikgesetzes,<br />
Leben und Gesundheit von Menschen,<br />
Tieren, Pflanzen sowie <strong>die</strong> sonstige<br />
Umwelt vor möglichen Gefahren zu schützen<br />
und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen,<br />
wird mit dem vorliegenden Novellierungsentwurf<br />
der Bundesregierung nicht<br />
erfüllt.“<br />
In <strong>die</strong>se Argumentationskette reiht sich auch<br />
das „Katalyse-Institut“ in Köln ein. Arno Todt<br />
sagte gegenüber <strong>die</strong>ser Zeitung, eine Kennzeichnungspflicht<br />
für genmanipulierte und<br />
bestrahlte Lebensmittel würde von ihnen<br />
absolut gefordert. Auch den jetzt genehmigten<br />
Freilandversuchen stehe das Institut kritisch<br />
gegenüber: „Die Wissenschaft ist nicht<br />
in der Lage, <strong>die</strong> Folgen solcher Versuche<br />
abzuschätzen, deshalb ist eine Lockerung<br />
nicht zu verantworten.“<br />
Wer stoppt<br />
<strong>die</strong> Wissenschaftler? Wir!<br />
Die Wissenschaftler wollen forschen, alles,<br />
was möglich ist, auch ausprobieren. Daß das<br />
nicht immer zum Wohl der Menschheit<br />
ist, wissen wir spätestens seit Erfindung<br />
der Atomwaffe. Was wollen<br />
wir? An der Entwicklung von Novel-<br />
Food sind wir VerbraucherInnen<br />
nicht ganz unschuldig. Fragen Sie<br />
sich selbst: Wie oft greifen Sie zum<br />
perfekt gestylten Gemüse?<br />
Doch immer mehr Menschen denken um<br />
und decken sich beim Erzeuger selbst ein.<br />
Ob das Schule macht? Solange gentechnisch<br />
veränderte Lebensmittel nicht als solche<br />
gekennzeich<strong>net</strong> werden, ist <strong>die</strong>s <strong>die</strong> einzige<br />
Möglichkeit, sie vom Essenstisch zu<br />
verbannen. <strong>Nur</strong> so könnten auch <strong>die</strong> Produzenten<br />
<strong>zur</strong> Umkehr gezwungen werden –<br />
denn langfristig werden nur solche Waren<br />
produziert, <strong>die</strong> zu verkaufen sind.<br />
Eva Bredow<br />
Über „Katalyse“ in Köln ist <strong>die</strong> Broschüre<br />
„EG-Grenzenlos kulinarisch“ für 15 Mark zu<br />
beziehen: Mauritiuswall 24-26, 5000 Köln 1.<br />
„Schadstoffe in der Nahrungskette“ kann<br />
kostenlos angefordert werden: beim Hess.<br />
Landwirtschaftsministerium, Hölderlinstr. 1-3,<br />
6200 Wiesbaden, Telefon 06 11 / 8 17 23 94
Darmstadt<br />
soll wiedererstehen<br />
Ein Stück Aufbau und der Entzug von Lebensmittelkarten<br />
Der Darmstädter Architekt Philipp Benz schildert<br />
Erlebnisse aus der Nachkriegszeit und seine<br />
Erfahrungen mit der fehlgelaufenen Entnazifizierung<br />
„Darmstadt soll wiedererstehen“, war der<br />
Wunsch aller Bürger der Stadt und der auf<br />
ihren Zuzug Wartenden in den Landgemeinden,<br />
am Kriegsende. <strong>Nur</strong> <strong>die</strong> Familien, <strong>die</strong><br />
eine Wohnung nachweisen konnten, durften<br />
in ihre Heimatstadt <strong>zur</strong>ückkehren. In der Innenstadt<br />
waren <strong>die</strong> ehemals breiten Straßen<br />
zu schwer begehbaren Trampelpfaden<br />
geschrumpft und nur notdürftig geräumte<br />
Häuser-Ruinen waren schwer zugänglich. Es<br />
war unmöglich, Instandsetzungsarbeiten,<br />
vor allem an weniger beschädigten Gebäuden,<br />
vorzuziehen. Die Bürgerausschüsse in<br />
der Stadt und den Vororten Arheilgen und<br />
Eberstadt vorwiegend Sozialdemokraten und<br />
Kommunisten waren sich mit dem damaligen<br />
Oberbürgermeister Ludwig Metzger<br />
einig, daß für den Neubeginn eine radikale<br />
und umfassende Aktion erforderlich sei.<br />
Das Ergebnis der gemeinsamen Beratungen<br />
war der Aufruf vom 6. Mai 1946: „Darmstadt<br />
soll wieder erstehen. Wir setzen alle Kräfte<br />
dafür ein, daß unsere Vaterstadt leben kann.<br />
Mancherlei ist bereits geschehen. Die ersten<br />
Trümmerhaufen in unserer Stadt sind zum<br />
Teil beseitigt. Leben kann wieder pulsieren.<br />
Aber es ist noch nicht genug geschehen.<br />
Jeder Arbeitsfähige muß helfen, daß wir weiterkommen.<br />
Die Bevölkerung wird aufgefordert,<br />
sich an dem Gemeinschaftswerk (…)<br />
mit aller Kraft zu beteiligen. Es ist eine Ehre,<br />
sich für unsere Stadt einzusetzen.“<br />
Entzug von Lebensmittelkarten<br />
Von den 8 Punkten des Aufrufes, ver<strong>die</strong>nen<br />
zwei besondere Beachtung: Punkt 1 verpflichtet<br />
„jeden Einwohner und jeden in der<br />
Stadt Beschäftigten männlichen Geschlechts<br />
im Alter von 16 bis einschließlich 60 Jahren“,<br />
Arbeit im Interesse des Wiederaufbaus der<br />
Stadt zu leisten. Es ist vorgesehen, daß jeder<br />
mindestens einen Tag pro Monat arbeitet.<br />
„Ausgenommen von der Arbeitspflicht sind<br />
Kriegsversehrte der Versehrtenstufe II und<br />
III und alle im Baugewerbe Tätigen. Im Zweifelsfalle<br />
entscheidet das städtische Tiefbauamt.“<br />
Unterlagen (für eine Freistellung) sind<br />
<strong>die</strong>sem Amt vorzulegen.<br />
Punkt 3 informiert unmißverständlich über<br />
<strong>die</strong> Folgen von Arbeitsverweigerung: „Bei der<br />
Ausgabe von Lebensmittelkarten ist <strong>die</strong> Kontrollkarte<br />
ohne Anfordern vorzulegen, und<br />
zwar erstmals bei der Ausgabe <strong>zur</strong> neunzigsten<br />
Zuteilungsperiode. Lebensmittelkarten<br />
werden an Arbeitsverpflichtete nur dann ausgegeben,<br />
wenn <strong>die</strong> Arbeitsleistung oder <strong>die</strong><br />
Befreiung von der Arbeitsverpflichtung in der<br />
Kontrollkarte vermerkt ist.“<br />
Der Aufruf findet <strong>die</strong> Zustimmung der Darmstädter<br />
Bevölkerung, auch <strong>die</strong> Drohung des<br />
Lebensmittelkarten-Entzugs wird billigend in<br />
Kauf genommen.<br />
Gezeich<strong>net</strong> war <strong>die</strong>ser Aufruf von dem Sozialdemokraten<br />
Zinnkann, von dem Christdemokraten<br />
von Brentano, für <strong>die</strong> kommunistische<br />
Partei unterschrieb Wörtge, <strong>die</strong> Industrie-<br />
und Handelskammer Darmstadt war<br />
vertreten von Dr. Hüfner, <strong>die</strong> Handwerkskammer<br />
von Gisbert und <strong>die</strong> Zentralgewerkschaft<br />
Darmstadt von A. Mayer, außerdem<br />
unterstützten <strong>die</strong> Pfarrer Weinberger und Dr.<br />
Michel den Aufruf.<br />
Der Wille aller Parteien<br />
Die Praxis der Räumaktion war jedoch nicht<br />
so, wie Ludwig Metzger sie in seinen Erinnerungen<br />
(Darmstädter Echo vom 17. März<br />
1992) beschrieb: „Ich entschloß mich, <strong>die</strong><br />
gesamte männliche Bevölkerung zwischen<br />
16 und 60 Jahren auf<strong>zur</strong>ufen, sich an der<br />
Räumung der Straßen der Stadt zu beteiligen.“<br />
Der oben zitierte Aufruf entsprach zwar<br />
dem öffentlich bekundeten Willen aller Parteien,<br />
doch <strong>die</strong> Praxis entwickelte sich<br />
anders.<br />
„Nicht jeder wollte sich <strong>die</strong> Finger<br />
schmutzig machen“<br />
Die spätere Weigerung von Verpflichteten an<br />
der Trümmerräumung hatte gewichtige<br />
Gründe, <strong>die</strong> auch Oberbürgermeister Ludwig<br />
Metzger mitzuverantworten hatte. Der Protest<br />
erhob sich nicht wegen schmutziger Finger<br />
oder ungewohnter körperlicher Arbeit,<br />
sondern weil Leute, <strong>die</strong> sich während der<br />
Naziherrschaft <strong>die</strong> Hände schmutzig gemacht<br />
hatten, sich durch fadenscheinige<br />
Freistellungsbescheide dem Arbeitseinsatz<br />
entzogen. Beziehungen und behördliche Duldung<br />
ermöglichten <strong>die</strong>se Drückebergerei.<br />
Ich war mit als erster aufgerufen, dem auch<br />
von mir gebilligten Arbeitseinsatz nachzukommen.<br />
Dabei fiel nicht nur mir, sondern<br />
auch dem Vater des heutigen Bürgermeisters,<br />
Peter Heinrich Benz, auf, daß nicht<br />
wenige ehemalige prominente Nazis, uns<br />
namentlich bekannt, abwesend waren. Nachfragen<br />
bestätigten den Verdacht, daß <strong>die</strong>se<br />
Leute als unabkömmlich oder mit den schon<br />
erwähnten Freistellungsbescheiden als entschuldigt<br />
galten.<br />
Bei dem ersten Einsatz beließen wir es bei<br />
einem Protest, den der Einsatzleiter vom<br />
Tiefbauamt ungerührt entgegennahm. Als<br />
aber beim zweiten Einsatz wieder <strong>die</strong> uns<br />
bekannten ehemaligen „Hoheitsträger“ fehl-<br />
ten, blieb es nicht nur bei einer nachdrücklichen<br />
Intervention, wir stellten außerdem in<br />
Aussicht, <strong>die</strong> Arbeit zu verweigern. Mittlerweile<br />
hatten sich unserem Protest auch<br />
andere Arbeitswillige angeschlossen. Offensichtlich<br />
gab es wieder Privilegierte und<br />
Begünstigte. Methoden, <strong>die</strong> nicht nur wir,<br />
sondern auch <strong>die</strong> Mehrzahl der Bevölkerung<br />
nach zwölfjähriger Naziherrschaft nicht mehr<br />
bereit waren hinzunehmen.<br />
Die Beweise<br />
Nach der ersten Kommunalwahl am 26. 5.<br />
1946 scheiterten <strong>die</strong> Kommunisten an der<br />
damals noch gültigen 15 %-Hürde, dennoch<br />
wurde ich als deren Vertreter mit Sitz und<br />
Stimme in den Bauausschuß der Stadtverord<strong>net</strong>en-Versammlung<br />
delegiert. Wir hatten<br />
<strong>die</strong> Aufgabe, Grundsatzfragen, <strong>die</strong> den Wiederaufbau<br />
berührten, wie Eigentum an Grund<br />
und Boden und <strong>die</strong> von der Verwaltung vorgelegten<br />
Bebauungs-Fluchtlinien, zu beraten.<br />
So war es mir möglich, <strong>die</strong> Listen des<br />
aufsichtsführenden Bauleiters des Tiefbauamtes<br />
einzusehen, um konkrete Beweise zu<br />
erhalten. Heinrich Benz war stellvertretender<br />
Betriebsratsvorsitzender bei Merck und<br />
gewann Kenntnisse über Freistellungen in<br />
seinem Umfeld, mit denen wir dann unsere<br />
Verweigerung für <strong>die</strong> Arbeitseinsätze<br />
begründeten.<br />
Entzug von Lebensmittelkarten<br />
Bei der nächsten Ausgabe von Lebensmittelkarten<br />
wurden wir und alle, <strong>die</strong> sich unserer<br />
Aktion angeschlossen hatten, gesperrt. Die<br />
Verantwortlichen, einschließlich des Oberbürgermeisters<br />
Ludwig Metzger, dachten<br />
nicht daran, unseren Vorwürfen nachzugehen<br />
gar für Abhilfe zu sorgen. Das zog Folgen<br />
nach sich, mit denen er nicht gerech<strong>net</strong><br />
hatte. Er glaubte sich im Recht, wenn er<br />
gleich das letzte Druckmittel einsetzte, um<br />
uns zu disziplinieren. Nun waren wir<br />
gezwungen, uns zu wehren. Der Öffentlichkeit<br />
mußten unsere Beweggründe erklärt<br />
werden, und rechtliche Schritte sollten <strong>die</strong><br />
Sachlage klären. Die Begleitumstände des<br />
Lebensmittelkartenentzugs hatten schon für<br />
genügend Aufsehen gesorgt, und <strong>die</strong><br />
Rechtslage konnte nur in Wiesbaden bei der<br />
Hessischen Landesregierung geklärt werden.<br />
Mit <strong>die</strong>ser Aufgabe wurden Friedrich<br />
Avemarie und ich beauftragt. Unser<br />
Ansprechpartner war Innenminister Zinnkann,<br />
dem wir unsere Beschwerden und <strong>die</strong><br />
Sachlage vortrugen. Wir schilderten <strong>die</strong><br />
Ursachen des Konflikts, der durch <strong>die</strong><br />
Ignoranz der Darmstädter Verwaltung<br />
einschließlich des Oberbürgermeisters entstanden<br />
war. Nachdrücklich forderten wir<br />
Gleichbehandlung, denn der Aufruf hatte alle<br />
Bürger, gleich welchen Standes oder Ranges,<br />
nicht nur Arbeiter und Arbeitslose, ein-<br />
bezogen. Nach langer Verhandlung erhielten<br />
wir ein vom Staatssekretär verfaßtes und<br />
vom Minister unterzeich<strong>net</strong>es Schreiben an<br />
Oberbürgermeister Metzger, in dem ihm mitgeteilt<br />
wurde, daß der Lebensmittelkartenentzug<br />
ungesetzlich und sofort rückgängig<br />
zu machen sei.<br />
Das Wohl der Stadt steht obenan<br />
Durch ihre Nazivergangenheit belastete Spitzenbeamte<br />
konnten in versteckten Büros,<br />
wie dem damaligen Holzhof in der Kasinostraße,<br />
auf ihre Rehabilitierung warten.<br />
Oberbürgermeister Metzger fand <strong>die</strong>se<br />
Methoden entschuldbar, wenn er von sich<br />
sagte: „... aber ich mache keinen Hehl daraus,<br />
daß ich bei Entscheidungen das Wohl<br />
der Stadt höher veranschlagte als Bestimmungen.”<br />
Es darf gefragt werden, wessen<br />
Wohl er förderte.<br />
Trotz <strong>die</strong>ser bekannten Sachlage engagierten<br />
sich viele der in der Naziherrschaft Verfolgten<br />
und Benachteiligten in Verwaltungen und<br />
Betrieben. In allen Bereichen arbeiteten Sozialdemokraten,<br />
Christen und Kommunisten<br />
gemeinsam in der ersten hessischen Regierung,<br />
in den Landkreisen und Kommunen,<br />
um <strong>die</strong> dringendsten Probleme zu bewältigen.<br />
Gegenseitiger Austausch von Grußadressen<br />
bei Veranstaltungen der beiden<br />
Arbeiterparteien gehörten zum Ritual und<br />
erweckten Erwartungen, <strong>die</strong> aber bald versandeten.<br />
Die Folge war eine langsam sich<br />
vollziehende Entfremdung, deren Ursachen<br />
auf einer höheren Ebene lagen.<br />
Die Führung der SPD unter Kurt Schuhmacher<br />
grenzte sich gegenüber den Kommuni-<br />
Bilder von links nach<br />
rechts:<br />
Darmstadts Altstadt nach<br />
der Bombar<strong>die</strong>rung 1944.<br />
Daneben der Aufruf der<br />
Parteien, Kammern,<br />
Gewerkschaften und Kirchen<br />
zum Wiederaufbau<br />
Bild rechts: Trümmerfrauen<br />
und -männer bei ihrer<br />
Arbeit.<br />
Alle Abbildungen sind<br />
entnommen aus „Darmstadts<br />
Geschichte“, Gesamtredaktion<br />
Eckhard G. Franz,<br />
Eduard Roether Verlag<br />
Darmstadt, 1984)<br />
Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 6<br />
sten ab und verweigerte mit Hilfe der westlichen<br />
Militärregierungen Kontakte mit ihren<br />
Genossen aus den Ostgebieten. Nach und<br />
nach verschwanden Kommunisten aus den<br />
Verwaltungen, manche gingen freiwillig,<br />
andere wurden gegangen; auch in Darmstadt<br />
war es nicht anders.<br />
Die Großen ließ man laufen<br />
In den Spruchkammern, <strong>die</strong> sich nach der<br />
Verkündung des Gesetzes <strong>zur</strong> Befreiung vom<br />
Nationalsozialismus konstituierten, waren<br />
KPD-Mitglieder, wie andere Parteiangehörige<br />
auch, Vorsitzende, Ankläger, Ermittler<br />
und Beisitzer. Die Beschuldigten waren nach<br />
fünf Kategorien einzuordnen: Hauptschuldige,<br />
Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und<br />
Nichtbetroffene. Daß mit Hilfe <strong>die</strong>ser Spruchkammern<br />
eine befriedigende Entnazifizierung<br />
möglich sei, stellte sich bald als Illusion<br />
heraus. Persilscheine, gefälschte Fragebögen<br />
und gekaufte Zeugen ließen Altnazis in<br />
der Regel ungeschoren. Die kleinen Rädchen<br />
im faschistischen Getriebe, wie Briefträger<br />
oder Schrankenwärter, erschienen meist<br />
ohne rechtlichen Beistand und kamen deshalb<br />
nicht so glimpflich davon. In aller Deutlichkeit<br />
konnte jeder sehen, wohin <strong>die</strong> Reise<br />
ging: Die Großen ließ man laufen, <strong>die</strong> Kleinen<br />
wurden bestraft. Aus <strong>die</strong>sem Grunde stellten<br />
<strong>die</strong> Kommunisten ihre Mitarbeit in den<br />
Spruchkammern ein, um nicht mitschuldig<br />
an einer Entwicklung zu werden, <strong>die</strong> nicht<br />
mehr aufzuhalten war.<br />
Philipp Benz
Begriffe sind bisweilen höchst zwielichtige<br />
Gestalten: zum einen erscheinen<br />
sie unabdingbar, um Erfahrungen<br />
gedanklich verarbeiten und sprachlich ausdrücken<br />
zu können, und zum anderen beinhalten<br />
sie stets auch den listigen Stolperstein<br />
einer wertenden Beurteilung, <strong>die</strong> in<br />
jedem Begriff zwar unbewußt, doch aufgrund<br />
kultureller Überlieferung steckt. Ein<br />
treffliches Beispiel aus dem Bereich der<br />
Völkerkunde: Der Sammelbegriff „Indianer“,<br />
der alle eingeborenen Völker des amerikanischen<br />
Kontinents vom Nordpol bis<br />
fast hinunter zum Südpol charakterisieren<br />
soll. Als <strong>die</strong>ser Begriff eher zufällig entstand,<br />
da Kolumbus 1492 glaubte, In<strong>die</strong>n<br />
entdeckt zu haben und <strong>die</strong> Menschen des<br />
Landes „Indios“ nannte, während Amerika<br />
nach dem Seefahrer Amerigo Vespucci<br />
benannt wurde, war bereits ein konträres<br />
Begriffspaar geprägt. „Indianer“ für das alte<br />
Volk und „Amerika“ für das neue Land und<br />
seine Eroberer stehen sich seitdem<br />
gespannt gegenüber wie Katz und Maus.<br />
Man mag heute noch beim Wort Indianer<br />
zunächst an den mörderischen Missionarseifer<br />
der frühen Landerbeuter denken,<br />
bevor <strong>die</strong> romantischen Vorstellungen von<br />
Büffeljagd und Lagerfeuer aufkommen.<br />
Aber auch der Begriff der „Native Americans“,<br />
mit dem Aktivisten für bedrohte ethnische<br />
Minderheiten <strong>zur</strong> Abgrenzung gegen<br />
<strong>die</strong> offiziellen Jubiläumsfeiern des Kolumbusjahres<br />
aufwarteten, erscheint den Betroffenen<br />
ebenso von unserer Kultur aufoktroyiert,<br />
wie er recht unscharf bleibt. Ein<br />
Latoka oder ein Pueblo wird sich zunächst<br />
selbst über seine Stammeszugehörigkeit begreifen,<br />
während er alle anderen Stämme in<br />
Abgrenzung gegen <strong>die</strong> weiße Kultur durchaus<br />
als „indianisch“ bezeichnen würde.<br />
Insofern dürfte <strong>die</strong> Ausstellung der <strong>die</strong>sjährigen<br />
Ingelheimer internationalen Tage<br />
den allgemeinen Bemühungen um eine<br />
späte Gerechtigkeit nachkommen und <strong>die</strong><br />
Sprache von „den Indianern in Nordamerika“<br />
keineswegs diskriminierend sein –<br />
zumal man im Alten Rathaus ein vielschichtiges<br />
Panorama der unterschiedlichen Kulturen<br />
skizziert. Es läßt ebenso Raum für <strong>die</strong><br />
klischeehaften Vorstellungen der Europäer<br />
wie für <strong>die</strong> Historie und <strong>die</strong> Gegenwart der<br />
Indianer. Erfreulich stimmen auch <strong>die</strong> überlegte<br />
und ansprechende Gestaltung des<br />
begrenzten Raumes und <strong>die</strong> eingehende,<br />
doch nie schulmeisterliche Didaktik der<br />
Ausstellung.<br />
FEUILLETON I<br />
Federgeschmückte Coyoten<br />
in Turnschuhen<br />
Begegnung mit der indianischen Kultur bei den „Internationalen Tagen“ in Ingelheim<br />
Das Bild des edlen, rothäutigen Wilden, der<br />
zu Pferde durch <strong>die</strong> Prärie reitet und dessen<br />
Kopfschmuck aus Adlerfedern vom Kampfesmut<br />
im Krieg der Stämme gegeneinander<br />
kündet, ist in Ingelheim in Form kolorierter<br />
Kupferdrucke von Karl Bodmer<br />
belegt, der 1832 zu einer Exkursion zu den<br />
Plain- und Prärieindianern aufbrach, und<br />
dessen illustrierter Reisebericht den<br />
Europäern <strong>die</strong> erste authentische Darstellung<br />
vom Leben der Rothäute vermittelte.<br />
Interessanterweise wird <strong>die</strong> leise Vorstellung<br />
von Abenteuer und Freiheit durch <strong>die</strong><br />
exzellenten Schaustücke aus dem reichen<br />
Fundus der Berliner und Berner Völkerkundemuseen<br />
eher genährt, bestätigen uns <strong>die</strong><br />
wuchtige Bärenkrallenkette, <strong>die</strong> bunten,<br />
perlenbestickten Mokassins und Westen<br />
oder das bemalte Schild der Sioux eher in<br />
unserer wunschhaften Vorstellungswelt,<br />
als daß sie kritische Reflexion gebieten.<br />
Von hier führt geradezu ein roter Faden zu<br />
dem lauten Klischeebild des Indianers auf<br />
den Filmplakaten von „Lederstrumpf“ und<br />
von „Der mit dem Wolf tanzt“. Wie ernsthaft<br />
erscheinen dagegen <strong>die</strong> Portraitfotos, <strong>die</strong><br />
Edward Sheriff Curtis gleich nach der Jahrhundertwende<br />
von rund achtzig Indianerstämmen<br />
anfertigte und deren stumme,<br />
von Falten wie vom Leben gezeich<strong>net</strong>e<br />
Gesichter ein ganz anderes Bild der roten<br />
Männer und Frauen vermitteln.<br />
Vielleicht benötigen wir neue, magische<br />
Eindrücke von der indianischen Kultur, um<br />
liebgewonnene romantische Vorstellungen<br />
zu überdenken oder den philanthropischen<br />
Eifer für <strong>die</strong> ewig bedroht Erscheinenden<br />
als unser eindimensionales Denken zu<br />
begreifen. Konzentrierter und eindrucksvoller<br />
als in Ingelheim lassen sich <strong>die</strong> materiellen<br />
Zeugen einer Kultur kaum vermitteln. In<br />
einem blau ausgeleuchteten Raum stehen<br />
sich drei Stämme gegenüber, verkünden<br />
<strong>die</strong> fragil wirkenden, aus erdig bemaltem<br />
Holz und Federn gefertigten Tanzmasken<br />
der Eskimos aus Alaska von dem Kult der<br />
Schamanen und werfen lange Schlagschatten<br />
wie in der Polarnacht. Mit kräftigen, <strong>die</strong><br />
ganze Fläche überwuchernden Farbornamenten<br />
sind dagegen <strong>die</strong> Tiermasken und<br />
Wappenpfähle der Stämme an der Nordwestküste<br />
bemalt, deren seßhafte und auf<br />
den Fischfang ausgerichtete Lebensweise<br />
in Holzhäusern sich auffällig von dem Bild<br />
des nomadisierenden Jäger unterscheidet.<br />
Ganz mystisch wirken dagegen <strong>die</strong> aus einfachen,<br />
geometrischen Formen konstruierten<br />
Acoma-Figuren der Pueblos aus dem<br />
Südwesten, <strong>die</strong> ebenso wie <strong>die</strong> anderen<br />
ausgestellten Figuren spirituellen Zeremonien<br />
<strong>die</strong>nten.<br />
Man hat <strong>die</strong>se Objekte in Ingelheim ganz<br />
bewußt als ästhetisierende Kunstwerke<br />
ausgestellt und begnügt sich folglich mit<br />
essentiellen, jedoch hinreichenden Erläuterungen.<br />
Die Faszination, <strong>die</strong> von den „primitiven“<br />
Formen <strong>die</strong>ser Kunst auf Protagonisten<br />
der Moderne wie Paul Klee oder Max<br />
Ernst ausging, wurde im vergangenen Jahrzehnt<br />
bereits <strong>zur</strong> Genüge in Ausstellungen<br />
belegt, weshalb <strong>die</strong> fotografische Andeutung<br />
in Ingelheim vollauf befriedigt, ja<br />
selbst <strong>die</strong> ausgestellten Graphikzyklen mit<br />
indianischen Motiven, archaisierend bei<br />
Horst Antes und in verfremdenden Zitaten<br />
bei Andy Warhol, beinahe überflüssig<br />
erscheinen.<br />
Weit interessanter ist <strong>die</strong> kleine Auswahl<br />
moderner indianischer Kunst. Lange Zeit in<br />
Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 7<br />
traditionellen Formen befangen, wie <strong>die</strong><br />
Graphiken einiger Künstler aus British<br />
Columbia belegen, hat <strong>die</strong> indianische<br />
Kunst seit der Gründung des „Institute of<br />
American Indian Arts“ in Santa Fe vor rund<br />
dreißig Jahren zu Neuansätzen finden können.<br />
Genannt seien <strong>die</strong> Stahlplastiken von<br />
Bob Haozous, der Tradition und heutige<br />
Lebenswelt, einen Truck und <strong>die</strong> große<br />
Schlange einander humorvoll gegenüberstellt,<br />
oder <strong>die</strong> Gemälde von Harry Fonseca,<br />
dessen Holzfigur eines Coyoten in Federschmuck<br />
und Turnschuhen fast wie eine<br />
naive Variante der Pop-Art anmutet. Man<br />
mag einwenden, daß <strong>die</strong> Beschäftigung<br />
einiger Indianer mit Folklore und Kunsthandwerk<br />
wenig <strong>zur</strong> Verbesserung des<br />
größtenteils noch elenden Lebens der<br />
Stammesbrüder am Rande der amerikanischen<br />
Gesellschaft beiträgt. Daß jedoch <strong>die</strong><br />
Kunst <strong>die</strong> Spannungen der indianischen<br />
Lebenssituation verdeutlichen kann und<br />
einen eigenständigen Beitrag bei der Suche<br />
nach einer neuen Identität zu leisten vermag,<br />
belegen <strong>die</strong>se Werke in ebenso exemplarischer<br />
wie unpathetischer Weise.<br />
Gerhard Kölsch<br />
Die Ausstellung ist im Alten Rathaus von<br />
Nieder-Ingelheim bis zum 20. Juni,<br />
Di bis So von 10 - 20 Uhr zu sehen,<br />
der Katalog kostet 40 Mark. Ein<br />
ausführliches Begleitprogramm kann unter<br />
Tel. 0 61 32 / 77 43 36 angefordert werden.<br />
Princess Angeline, 1899, Tochter des Häuptlings Seattle, war viele Jahre eine bekannte Figur in<br />
Seattle. Eine der ältesten und berühmtesten Aufnahmen von Edward Sheriff Curtis (Abb.: Katalog) Porträt von Wako’yami, nördlicher Cheyenne (Abb.: Katalog)<br />
Düstere Farbfelder und lyrische<br />
Innenansichten<br />
Wieder einmal bemüht, Darmstädter<br />
Künstler vergangener Jahrzehnte vor<br />
dem kollektiven Vergessen zu retten und<br />
ihre Werke dem Publikum von heute <strong>zur</strong><br />
Diskussion zu stellen, ist der Galerist Claus<br />
Netuschil. Nach einer Präsentation lokaler<br />
Meister der Neuen Sachlichkeit im vergangenen<br />
Jahr versucht er <strong>die</strong>smal, <strong>die</strong> Zeit um<br />
1960 als Jahre des malerischen Aufbruchs<br />
für vier damals in Darmstadt wirkende<br />
Künstler darzustellen.<br />
Dabei scheint es außerordentlich schwierig,<br />
sich als Spätgeborener in <strong>die</strong> Stimmung<br />
jener Zeit zu versetzen. Beherrschten<br />
damals noch <strong>die</strong> Grabenkämpfe zwischen<br />
den Abstrakten und den Figurativen, wie in<br />
den Jahren direkt nach dem Krieg, <strong>die</strong> Diskussion<br />
um einen künstlerischen Weg in<br />
<strong>die</strong> Zukunft? Wie reagierte zu jener Zeit <strong>die</strong><br />
Öffentlichkeit auf provokante Positionen?<br />
Fast scheint es, <strong>die</strong> hier vorgestellten vier<br />
Maler seien nur in einer äußerst gemäßigten,<br />
zögerlichen Rolle aufgetreten.<br />
Da wären etwa <strong>die</strong> dunklen, fast düsteren<br />
Farbfelder von H. O. Müller-Erbach, der seit<br />
1953 der neu gegründeten Darmstädter<br />
Sezession verbunden war und Bilder wie<br />
den „Schwarzen Horizont“ durch Raum-<br />
Galerie Netuschil zeigt<br />
Darmstädter Kunst aus den Sechzigern<br />
schichten wie Samtvorhänge strukturiert<br />
oder in der „Begegnung“ eine graue und<br />
grauschwarze, kosmische Vision, wie von<br />
Pla<strong>net</strong>enansichten aus dem All wirkend, in<br />
sanddurchmengter, reliefstarker Ölfarbe<br />
entwirft. Oder <strong>die</strong> lyrischen Innenansichten<br />
des Berliners Peter Steinforth, ab 1956 hier<br />
ansässig, der unter dem Titel „Seegetier“<br />
1959 tiefe, abstrakte Formenwelten noch<br />
mit einem Getümmel aus Rudimenten<br />
munterer Tierdarstellungen kombiniert,<br />
aber ein Jahr später bereits zu reinen, prismatischen<br />
Farbsystemen und rasterhaften<br />
Linienstrukturen findet.<br />
Die markanteste Position unter <strong>die</strong>sen<br />
Malern dürfte der erst vergangenes Jahr<br />
gestorbene Wolf Hoppe innehaben, dessen<br />
kristalline, feinnervige Formphantasien im<br />
Gemälde „Phantome“ bald schon zu flächig<br />
gehaltenen, bildbestimmend werdenden,<br />
roten Formgebilden mutierten, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen<br />
Einzelgänger bald bekannt machen sollten.<br />
Verharren <strong>die</strong>se drei Maler noch in den reinen<br />
Kategorien klassischer Malerei und<br />
einem nach-informell geprägten Formempfinden,<br />
so markieren Etzel Klomsdorffs<br />
Bildtafeln den Ausbruch aus einem solch<br />
geschlossenen Bildsystem. Vor allem<br />
dann, wenn er auf roten, gelben oder blauen<br />
Bildgrund eine Reihe erdfarbener Farbtupfen<br />
setzte, <strong>die</strong> ebenso reliefartig wirken,<br />
wie sie emotionale, malerische Strukturen<br />
zugunsten einer beginnenden Durchordnung<br />
der Kunst vernachlässigen. Diesem<br />
Ansatz war leider keine große Nachwirkung<br />
mehr beschert, als sich Klomsdorff nach<br />
vier Jahren in Darmstadt 1966 in <strong>die</strong> Provinz<br />
<strong>zur</strong>ückzog und dort <strong>die</strong> Malerei aufgab.<br />
Andere Künstler machten an anderen Orten<br />
<strong>zur</strong> gleichen Zeit weit mehr Furore.<br />
Der Frankfurter Peter Roehr hatte bereits<br />
seine radikale serielle Ordnung zum absoluten<br />
Stilprinzip erhoben. Die in Düsseldorf<br />
konzentrierte Kunstgruppe namens „Zero“,<br />
darunter Günther Uecker, konnte ab 1960<br />
mit der hellen Ästhetik des Lichtes und<br />
spektakulären, vielleicht auch etwas lauten<br />
Aktionen <strong>die</strong> schwelende Düsternis der<br />
nachinformellen Malerei in fast spielerischer<br />
Weise überwinden. Diese Positionen<br />
sollte man jedenfalls im Hinterkopf behalten,<br />
wenn man zu einer rechten Beurteilung<br />
der vorgestellten Darmstädter Künstler finden<br />
will. Gerhard Kölsch<br />
Die Ausstellung ist noch bis zum 29. Mai<br />
zu sehen<br />
Kriegsalltag und Friedensträume<br />
Kinderzeichnungen im Hessischen Landesmuseum<br />
n Sarajewo fließt Blut und <strong>die</strong> Flüsse<br />
„Isind rot“ – „Häuser werden zerstört,<br />
Menschen verlassen ihr Dorf“ – „Ich bin<br />
traurig. Mein Dorf ist abgebrannt“ – „Ich<br />
wünsche mir, daß Herzen statt Bomben fallen“<br />
– „Heute ist es bewölkt, aber morgen<br />
wird <strong>die</strong> Sonne scheinen und Vögel werden<br />
singen“. Mit <strong>die</strong>sen Zeilen betitelten<br />
Markop, Vinko, Branimir, Maja und Jasno<br />
ihre Zeichnungen, <strong>die</strong> sie in einem Flüchtlingslager<br />
an der dalmatinischen Küste<br />
geschaffen haben. Wir erfahren nicht, ob<br />
<strong>die</strong>se siebenjährigen Kinder aus Kroatien<br />
und Bosnien-Herzegowina Christen oder<br />
Moslems sind, wir wissen kaum etwas über<br />
ihr persönliches Schicksal – aber ihre Bilder<br />
erzählen von dem Versuch, das Erlebte zu<br />
verarbeiten, sich zu öffnen, und zeugen<br />
zugleich von einem ungebrochenen<br />
Lebenswillen. Neben den zerstörten<br />
Häusern, den Flugzeugen<br />
und Bomben sind es <strong>die</strong> lachenden<br />
Rot-Kreuz-Frauen und hier und da<br />
Vögel und Blumen, <strong>die</strong> dann wie<br />
Chiffren der Hoffnung erscheinen.<br />
Angeregt und organisiert wurde <strong>die</strong><br />
Ausstellung im Hessischen Landesmuseum<br />
von der Darmstädterin<br />
Traudel Damjanic, <strong>die</strong> selbst mit<br />
einem Kroaten verheiratet ist und<br />
seit bereits zwei Jahren Hilfsgütertransporte<br />
für <strong>die</strong>se Kinder begleitet. Die<br />
Zeichnungen, Briefe und Gedichte der Kinder<br />
richten sich direkt gegen unsere Blindheit,<br />
erzeugt vom optischen Bombardement<br />
der Schreckensfotos und der Filmberichterstattung;<br />
sie setzen gegen <strong>die</strong> starre<br />
Reproduktion der Greueltaten einen persönlichen,<br />
eindringlichen Duktus und ein<br />
direktes Zeugnis. Weitere Stationen der<br />
Präsentation, unter anderem in Fulda, sind<br />
geplant.<br />
Bis zum 23. Mai; Frau Damjanic bittet um<br />
Spenden für <strong>die</strong> medizinische und phsychologische<br />
Betreuung der Kinder bei der<br />
Spaarkasse Darmstadt (BLZ 508 501 50),<br />
Konto Nr. 2 000 130, Kennwort Flüchtlingskinder,<br />
Dekanat Darmstadt HST 036.<br />
Gerhard Kölsch
mit, daß das, was gesagt wird, zu dem, was<br />
zu sehen ist, gar nicht paßt.<br />
So spricht Marcello etwa gleich zu Beginn<br />
von der schneidenden Kälte im Künstleratelier<br />
– aus der armseligen Mansarde ist allerdings<br />
ein schickes „Loft“ geworden, ein<br />
Ambiente, das sich allenfalls ein vielbeschäftigter<br />
Gesellschaftsmaler leisten kann,<br />
– , <strong>die</strong> ihn immerhin dazu zwingt, eines seiner<br />
geliebten Bilder im Ofen zu verfeuern;<br />
gleichzeitig liegt ein nacktes Modell auf<br />
dem Diwan, dem offensichtlich keineswegs<br />
fröstelig zumute ist. Überhaupt <strong>die</strong> leichten<br />
Mädchen: Der Regisseur läßt zu jeder ihm<br />
passend scheinenden Gelegenheit Halbweltdamen,<br />
Cancan-Girls oder, wie wir heute<br />
sagen würden, „groupies“ auftreten.<br />
Frauen, will er wohl andeuten, sind bei<br />
Bohémiens, gestern wie heute, beliebig<br />
austauschbar. Bei Murger ist dem keineswegs<br />
so. Rodolfo aber wird, als er im drit-<br />
FEUILLETON II<br />
Keine Tränen für Snobs<br />
„La Bohème” von Giacomo Puccini im Staatstheater Darmstadt<br />
Kommod, allzu kommod und<br />
beiläufig stirbt’s sich in der<br />
neuen Version von Giacomo<br />
Puccinis Oper „La Bohème”<br />
am Staatstheater<br />
Darmstadt. Rodolfo stößt<br />
nach Mimis Tod sein<br />
markerschütterndes,<br />
von Orchesterfanfaren<br />
dramatisch untermaltes<br />
„Mimi … Mimi…!“<br />
heraus und <strong>geht</strong> dann<br />
auf den Balkon, wohl<br />
um ein Glas Sekt zu<br />
trinken.<br />
Schluß, Ende. Um das<br />
Finale der Oper kann<br />
sich Regisseur Peter<br />
Wunderlich halt nicht<br />
drücken, wenn’s auch<br />
<strong>zur</strong> Hauptidee seiner<br />
Inszenierung paßt wie<br />
<strong>die</strong> Faust aufs Auge. Diese<br />
Hauptidee besteht schlicht<br />
darin, daß er <strong>die</strong> Bohémiens<br />
zwar in ihrer Zeit beläßt, aber –<br />
schwups – vom unteren ans obere<br />
Ende der gesellschaftlichen Skala befördert.<br />
Und das war’s dann: Aus armen Teufeln<br />
werden spleenige Snobs.<br />
Wunderlich, dem Augenschein nach selbst<br />
ein Edel-Yuppie wie aus einem Film von<br />
Doris Dörrie entsprungen, will den Stoff<br />
scheinbar zeitgemäß rüberbringen, eben<br />
ein bißchen aktualisieren. Aber es langt –<br />
neben der Marotte, in jeder Szene zeitgenössische<br />
Fotoapparate unterzubringen<br />
– nur zu <strong>die</strong>ser einen Idee, und daraus läßt<br />
sich kein tragfähiges Regiekonzept ableiten.<br />
Vielleicht wollte der Regisseur der<br />
Geschichte sozusagen bloß seine persönliche<br />
Duftnote aufdrücken mit dem veröffentlichten<br />
Eingeständnis: „Seht her, auch<br />
ich war ein Bohémien!“ Aber <strong>die</strong>se moderne<br />
Spielart der Bohème hatte natürlich nicht<br />
am Hungertuch zu nagen, da war eher<br />
zuviel als zu wenig Geld vorhanden, da<br />
reimt sich Bohème auf mondän, und da<br />
wird auch Spießers Schlußfolgerung<br />
bestätigt, wo’s mondän zugehe, sei immer<br />
auch ein Schuß demi-monde im Spiel.<br />
Attitüden <strong>die</strong>ser Art stülpt Wunderlich<br />
jedenfalls über Puccinis populären Stoff<br />
und gibt ihn damit im Grunde der Lächerlichkeit<br />
preis.<br />
Das hat er nicht ver<strong>die</strong>nt, denn sowohl in<br />
der Romanvorlage Henry Murgers wie auch<br />
in Puccinis Adaption wird <strong>die</strong> Hauptfigur,<br />
der arme Bohémien als „Lebenskünstler“,<br />
ernstgenommen, zusammen mit seinem<br />
Ringen um <strong>die</strong> Kunst und um <strong>die</strong> materielle<br />
Bewältigung seines Daseins. Gewiß ist <strong>die</strong><br />
Geschichte auch ein sehr eigenwilliges<br />
Gemisch aus Sentimentalität und Pathos,<br />
doch wird <strong>die</strong>s gemildert durch Ironie und<br />
einen genau beobachteten Realismus. Murger,<br />
der Erfinder des Stoffes und selbst ein<br />
Bohémien, hatte im Paris der Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts sein soziales Umfeld<br />
zunächst in einer Anzahl von Feuilletonskizzen<br />
geschildert, <strong>die</strong> dann gesammelt als<br />
Buch erschienen und auch zu einem sehr<br />
erfolgreichen Theaterstück verarbeitet wurden.<br />
Dieses „Prosagedicht vom heiteren<br />
Elend“, wie es ein Zeitgenosse nannte,<br />
bekam Puccini vierzig Jahre später in <strong>die</strong><br />
Hände und war sofort wie elektrisiert, fand<br />
er doch Szenen und Gefühle, <strong>die</strong> ihn zu lyrischen<br />
Einfällen inspirierten, <strong>die</strong> bald um <strong>die</strong><br />
Welt gingen. Bis heute ist <strong>die</strong> vielgespielte<br />
Oper „was fürs Herz“ geblieben, wurde<br />
zwar nicht selten des Kitsches verdächtigt,<br />
aber einem geschickten Inszenator wird es<br />
nicht zuletzt im Verein mit Puccinis ungemein<br />
subtiler und delikater Klangkunst<br />
immer gelingen, <strong>die</strong>se zweifellos vorhandene<br />
Klippe erfolgreich zu umschiffen. Der<br />
Gedanke an Kitsch kann bei Regisseur<br />
Wunderlich, der auch für <strong>die</strong> gesamte Ausstattung<br />
verantwortlich ist, immerhin nirgends<br />
aufkommen, dafür jagt er mit seiner<br />
Idee, aus den Helden schnöde Schickimickis<br />
zu machen, aber auch jeden Anflug<br />
von „Herz-Betroffenheit“ beim Publikum<br />
zum Teufel. Über das Schicksal von Snobs<br />
vergießt man keine Tränen. Und Gefühle,<br />
<strong>die</strong> der Regisseur nicht ernst nimmt, kann<br />
er auch nicht über <strong>die</strong> Rampe bringen. Hinzu<br />
kommen <strong>die</strong> unvermeidlichen Stilbrüche<br />
in Details. Was ein Glück, daß <strong>die</strong> italienische<br />
Originalversion gesungen wird – so<br />
bekommt nicht jeder Zuhörer auf Anhieb<br />
Michail Michailowitsch, Bruno Caproni, Jeffrey Dowd und Francesch Chico-Bo<strong>net</strong> (Foto: Barbara Aumüller)<br />
ten Bild eifersüchtig nach Mimi sucht,<br />
natürlich gleich in Begleitung irgendeiner<br />
Kokotte gezeigt. Und auch Mimis gräflicher<br />
Galan, obwohl im Libretto nur dezent<br />
erwähnt, erscheint auf der Bildfläche. Die<br />
Austauschbarkeit der Partner, <strong>die</strong> angebliche,<br />
entwertet vollständig <strong>die</strong> wirklich<br />
große Liebe, <strong>die</strong> Mimi und Rodolfo zueinander<br />
empfinden.<br />
Genau wie Marcellos Freundin Musetta<br />
zieht es doch auch Mimi nur deshalb zeitweise<br />
zu geldschweren Verehrern, um nicht<br />
ständig <strong>die</strong>ses „eiskalte Händchen“ haben<br />
zu müssen. Pariserinnen denken da praktisch.<br />
Für sie ist Treue kein Wert an sich.<br />
Den wahren Gefühlen muß das nicht schaden.<br />
Aber <strong>die</strong> negiert ja der Regisseur, und<br />
so wirkt Mimis Tod lediglich wie ein peinlicher<br />
Betriebsunfall. Konsequent wäre<br />
gewesen, Wunderlich hätte <strong>die</strong> Szene<br />
gestrichen.<br />
Die grundsätzliche Fehldeutung des Sujets<br />
wird im Ergebnis gemildert durch <strong>die</strong><br />
durchweg beachtlichen Leistungen der<br />
Sängerinnen und Sänger, durch ein gut disponiertes<br />
Orchester unter der straffen Leitung<br />
von Stephan Tetzlaff und – das muß<br />
natürlich auch gesagt werden – dem handwerklichen<br />
Können des Regisseurs. Wie er<br />
im zweiten Akt <strong>die</strong> Massenszenen des Quartier<br />
Latins in der Art eines gut einstu<strong>die</strong>rten<br />
Dressurakts vorführt, ver<strong>die</strong>nt Anerkennung.<br />
Chor, Kinderchor, Statisterie, Akrobaten<br />
wirken aufs Trefflichste zusammen.<br />
Daß er den dritten Akt von der Zollschranke<br />
am Pariser Stadtrand in den Hinterhof des<br />
Café Momus verlegt hat, ist gewiß auch<br />
kein schlechter Einfall, damit könnte der<br />
Verdichtung der Handlung Vorschub geleistet<br />
werden. Der Regisseur nutzt <strong>die</strong> Ortsveränderung<br />
aber nur dazu, <strong>die</strong> Stimmung<br />
von Düsternis und Melancholie zu ent-<br />
Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 8<br />
schärfen, <strong>die</strong> ursprünglich in <strong>die</strong>sem<br />
Bild angelegt ist. Bloß nicht<br />
zuviel Gefühl! Auch wenn <strong>die</strong><br />
Musik eine ganz andere<br />
Sprache spricht. Vollends<br />
manifest wird<br />
<strong>die</strong>ses Mißverhältnis,<br />
wenn im vierten Akt<br />
<strong>die</strong> elende Mansarde<br />
zu einem Fotoatelier<br />
aufgepept erscheint.<br />
Der Regisseur will<br />
uns damit das<br />
„Posieren im Leben<br />
der Bohémiens<br />
nach dem Scheitern<br />
ihrer Beziehungen“,<br />
so sein Kommentar,<br />
vor Augen führen.<br />
Und tatsächlich verharren<br />
sie ständig in<br />
Posen und versuchen,<br />
sich gegenseitig auf Zelluloid<br />
zu bannen, auch<br />
wenn es für vier Leute gerade<br />
einen einzigen Hering zu essen<br />
gibt. Noch kurz vor Mimis Tod nestelt<br />
Musetta am Objektiv herum, das auf <strong>die</strong><br />
Todkranke gerichtet ist, um dann plötzlich<br />
auf <strong>die</strong> Knie zu fallen und das vom Libretto<br />
hier vorgesehene Gebet an <strong>die</strong> „gebenedeite<br />
Jungfrau Maria“ zu richten. Hier<br />
heben sich Bild und Text gegenseitig auf.<br />
Wie reagierte das Publikum? Neben (wenigen)<br />
Buhrufen für den Regisseur gab’s kurzen,<br />
kompakten Applaus, mittelstarken Beifall<br />
für <strong>die</strong> Orchesterleistung, ver<strong>die</strong>nte Bravos<br />
für <strong>die</strong> Hauptinterpreten, besonders für<br />
Doris Brüggemann (Mimi) und Jeffrey<br />
Dowd (Rodolfo). Man ist ja inzwischen im<br />
Staatstheater schon zufrieden, wenn<br />
ordentlich gesungen wird, wenn <strong>die</strong> Szenerie<br />
was für’s Auge bietet und wenn nicht<br />
zuviel mehr oder weniger gepflegte Langeweile<br />
verbreitet wird. Das immerhin kann<br />
der neuen Darmstädter „Bohème“ nicht<br />
vorgeworfen werden.<br />
Jo Trillig<br />
Die Vorstellungen von „La Bohème“<br />
im Mai: 15., 21., 26., 31. Beginn jeweils 19.30 Uhr<br />
Dauer: 2 1/2 Stunden mit Pause<br />
Rosa Torso zwischen Akelei und Buchsbaum<br />
Zwei Bildhauerinnen<br />
in der Galerie Garten<br />
Man darf auf Entdeckungsreise gehen: Am Rand der Fläche aus<br />
knirschendem Kies, zwischen blühenden Akeleistauden und<br />
Steingartengewächsen haben sich urtümliche Gestalten eingefunden,<br />
aus rosafarbenem, porösen Tuffstein, teilweise grob<br />
behauen, doch immer zu rundlichen, organischen, verschlungenen<br />
Formen findend. Die in der Galerie Garten aufgestellten<br />
Skulpturen der Frankfurter Bildhauerin Moni Jahn mögen, oberflächlich<br />
betrachtet an <strong>die</strong> Venus von Willendorf erinnern, jene<br />
eben daumengroße, heute im Wiener Naturhistorischen Museum<br />
ausgestellte steinzeitliche Idolfigur, welche bisweilen von argen<br />
Feministinnen zum matriarchalischen Kult-Objekt stilisiert wurde.<br />
Doch Moni Jahns Figuren sind eigenständiger, wenn sie in<br />
stetiger Metamorphose ihrer verschlungenen Formen verschiedene<br />
Erfahrungen beim Betrachter anregen und als „Camille“<br />
oder „Eva“, „Atlantin“ oder „Königin“ betitelt, direkten Bezug<br />
auf Frauengestalten unserer Vorstellungswelt nehmen.<br />
Weich und organisch dagegen setzt Ulrike Gölner aus Bremen<br />
<strong>die</strong> kantigen, kraftvollen Formen ihrer bisweilen mannshohen<br />
Eichenholzskulpturen. Da stehen „Drei Schwestern“ auf der<br />
Terrasse, scheinbar in den Garten blickend und selbst einen<br />
Blickpunkt bildend, kubische, dreieckige, viereckige oder runde<br />
Gebilde, <strong>die</strong> sich aus dem massiven Baumstamm heraus kristallisieren<br />
und doch voller Bewegtheit sind. An einigen Stellen bleibt<br />
<strong>die</strong> Rinde des Stammes stehen, daneben erscheinen <strong>die</strong> geometrischen<br />
Formflächen aus dem rohen Holz und schaffen ein<br />
besonderes Spannungsfeld zu den natürlichen Rissen des arbeitenden<br />
Materials. Man möchte <strong>die</strong> Skulpturen vielleicht ganz still<br />
für sich entdecken, weniger darüber reden, als vielmehr sich auf<br />
<strong>die</strong> besondere Stimmung des Gartens einlassen, wenn am Abend<br />
<strong>die</strong> Schatten der Bildwerke länger werden oder wenn der Regen<br />
dem Tuffstein und dem Eichenholz neue Farbnuancen verleiht.<br />
Gerhard Kölsch<br />
(Abb.: Moni Jahn: „Kleine Wartende“, Lavatuff, 1992, 40x35x30 cm)
BRIEFE AN DIE REDAKTION I<br />
26.4.1986: Super-GAU in Tschernobyl Uffbasse jo – awwer <strong>net</strong> mit Dreck werfe<br />
Am 26.4. demonstrierten BUNDjugend und <strong>die</strong> „Darmstädter Initiative für <strong>die</strong> Abschaltung aller Atomanlagen“ auf<br />
dem Luisenplatz gegen <strong>die</strong> uneingeschränkt fortgesetzte Nutzung der Atomenergie. (red, Foto: H. Schäfer)<br />
26.4.1993:<br />
Katastrophenstimmung in Darmstadt, radioaktiver<br />
Niederschlag, verstrahlte Menschen,<br />
Tote, Tausende auf der Flucht. Dieses<br />
Szenario ist keine Panikmache, sondern<br />
könnte schneller Realität werden, als es<br />
Ihnen lieb ist, denn vor 7 Jahren geschah,<br />
was jederzeit wieder geschehen kann: ein<br />
Super-GAU – damals im Atomkraftwerk<br />
Tschernobyl. Und morgen?<br />
Mit dem Super-GAU in Tschernobyl traten<br />
<strong>die</strong> schlimmsten Befürchtungen der Anti-<br />
AKW-Bewegung ein. Bis heute sind <strong>die</strong><br />
Auswirkungen der Katastrophe nur abzuschätzen.<br />
In der Ukraine und in Bjelo-Rußland<br />
leiden rund zwei Millionen Erwachsene<br />
und fast eine Million Kinder unter verschiedenen<br />
Formen der Strahlenkrankheit. Von<br />
den sogenannten Liquidatoren, <strong>die</strong> <strong>zur</strong> Eindämmung<br />
der Katastrophe aus der ganzen<br />
Sowjetunion herbeibefohlen wurden und<br />
ihre Aufräumarbeiten fast schutzlos durchführen<br />
mußten, sind inzwischen Tausende<br />
gestorben.<br />
Der Super-GAU von Tschernobyl brachte<br />
uns in Deutschland damals nicht nur eine<br />
erhöhte Strahlung, sondern zeigte auch <strong>die</strong><br />
Hilflosigkeit offizieller Stellen, mit einem<br />
atomaren Störfall umzugehen. Der Super-<br />
GAU von Tschernobyl war 1.200 km weit<br />
weg. Das Atomkraftwerk Biblis ist ganz nah.<br />
AKW-Betreiber und viele PolitikerInnen sprechen<br />
immer wieder von den sicheren „Deutschen<br />
Atomkraftwerken“, doch was verbirgt<br />
sich hinter <strong>die</strong>ser Behauptung? Die beiden<br />
Blöcke des AKW Biblis haben es im Laufe<br />
ihrer Betriebszeit schon auf über 500 offiziell<br />
gemeldete Störfalle gebracht. Dabei wurde<br />
auch <strong>die</strong> Sicherheit der Anlage mehrfach aufs<br />
schwerste gefährdet. Exemplarisch wären<br />
hier der Beinahe-GAU vom Dezember 1987<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
es scheint der deutschen Bundesregierung<br />
tatsächlich zu gelingen, den Widerstand der<br />
deutschen Bevölkerung gegen eine erneute<br />
Beteiligung an militärischen Aktionen<br />
außerhalb der deutschen Grenzen „schäublesweise“<br />
zu durchbrechen. Die Deutschen<br />
sollen sich also (wieder einmal) <strong>die</strong> Finger<br />
schmutzig machen. Pazifisten passen eben<br />
nicht in <strong>die</strong> „Neue Weltordnung“ des<br />
großen amerikanischen Bruders. Und kaum<br />
jemand scheint zu durchschauen, daß auch<br />
im Falle Somalia <strong>die</strong> angeblich so humanitären<br />
Interessen in Wirklichkeit nur vorgeschoben<br />
sind.<br />
Was zog denn <strong>die</strong> Amerikaner nach Somalia?<br />
War es wirklich nur der Drang, hungernden<br />
Menschen zu helfen? Weshalb<br />
wurde dann im letzten Jahr der erfolgreiche<br />
UNO-Sondergesandte Mohammed Sahnoun<br />
plötzlich abberufen, nachdem er in<br />
bemerkenswerter Weise zwischen den verschiedenen<br />
Parteien vermittelt hatte? Wäre<br />
es nicht leichter gewesen, einen Spitzendiplomaten<br />
dort zu belassen als Tausende<br />
von Soldaten einzufliegen? Wie <strong>die</strong> britische<br />
Zeitung „The Guardian“ Anfang<br />
Dezember 1992 berichtete, war das Land zu<br />
<strong>die</strong>sem Zeitpunkt keineswegs, wie überall<br />
verkündet wurde, in vollständiger Anarchie<br />
versunken. Auch <strong>die</strong> genannten Zahlen von<br />
Verhungernden seien weit übertrieben<br />
oder <strong>die</strong> Notabschaltung während des Erdbebens<br />
vor einem Jahr zu nennen.<br />
Wer übernimmt <strong>die</strong> Verantwortung für <strong>die</strong><br />
jeden Tag mögliche Katastrophe wie in<br />
Tschernobyl? Die RWE als Betreiber? Ihr<br />
scheint <strong>die</strong> Sicherheit des AKW jedenfalls<br />
nicht besonders wichtig zu sein. Nach dem<br />
Störfall von 1987 wurden 9 Auflagen <strong>zur</strong><br />
Verbesserung der Anlage angeord<strong>net</strong>. Von<br />
<strong>die</strong>sen wurde von der RWE bis heute nicht<br />
eine umgesetzt. Gegen den Einbau einer<br />
Notstandswarte wird sogar aus Kostengründen<br />
geklagt.<br />
Die rot-grüne Landesregierung? Sie hat bisher<br />
weder <strong>die</strong> 49 Auflagen durchgesetzt, geschweige<br />
denn Schritte in Richtung einer<br />
Abschaltung eingeleitet. Hier bleibt nur <strong>die</strong><br />
Frage: ist <strong>die</strong> Landesregierung unwillig oder<br />
unfähig?<br />
Und auf Bundesebene? Da treffen sich derzeit<br />
AKW-Betreiber, PolitikerInnen, GewerkschafterInnen<br />
sowie einige Umweltverbände<br />
zu sogenannten „Konsensgesprächen“.<br />
Verhandelt wird über <strong>die</strong><br />
Zukunft der Atomkraft in der BRD. Das<br />
Interesse der AKW-Betreiber ist nach wie<br />
vor <strong>die</strong> maximale Ausweitung der Betriebsdauer<br />
und der mögliche Neubau weiterer<br />
AKW. Fest verknüpft ist <strong>die</strong> Forderung nach<br />
Genehmigung der umstrittenen Endlager.<br />
Atommüll strahlt 10 Tausende bis 1 Mio.<br />
Jahre, eine sichere Endlagerung ist nicht<br />
möglich. Die einzige verantwortliche Forderung<br />
kann deshalb nur sein:<br />
Sofortige Stillegung aller Atomanlagen<br />
BUNDjugend Darmstadt und DIFA<br />
(Darmstädter Initiative für <strong>die</strong> Abschaltung<br />
aller Atomanlagen) Tel.: Da. 27426<br />
Entsendung deutscher Truppen<br />
nach Somalia<br />
gewesen. Eine noch bestehende örtliche<br />
Struktur aus Clanältesten, Entwicklungshelfern<br />
und anderen beherzten Menschen<br />
wäre mit entsprechender Unterstützung in<br />
der Lage gewesen, das Land allmählich in<br />
bessere Zeiten zu führen.<br />
Doch <strong>die</strong> USA wollten es anders. Ein Blick<br />
auf <strong>die</strong> Landkarte zeigt schon <strong>die</strong> strategische<br />
Bedeutung <strong>die</strong>ses äußerlich so karg<br />
erscheinenden Landes, das jedoch immerhin<br />
über eine der größten Start- und Landebahnen<br />
in Afrika (Berbera) verfügt. Und vor<br />
allem: Unter dem Wüstenboden wird sehr,<br />
sehr viel Öl vermutet! Amerikanische<br />
Gesellschaften haben sich nach Auskunft<br />
der „International Herald Tribune“ bereits in<br />
den achtziger Jahren Landkonzessionen<br />
und Vorrechte überschreiben lassen, <strong>die</strong> sie<br />
nun endlich wahrnehmen möchten. In einer<br />
1991 veröffentlichten Stu<strong>die</strong> der Weltbank<br />
wird Somalia an erster Stelle unter denjenigen<br />
afrikanischen Staaten aufgeführt, in<br />
denen reiche Erdölvorkommen vermutet<br />
werden!<br />
Weshalb hört man von all dem nichts? Vielleicht,<br />
weil dann auch dem letzten Bundesbürger<br />
klar wäre, weshalb der Deutsche<br />
Michel wieder einmal brav hinter dem amerikanischen<br />
Onkel hinterhertrotteln soll. Ich<br />
für meinen Teil sage jetzt schon: Ohne<br />
Mich(el)!<br />
Gudrun Albrecht<br />
Seit einigen Monaten bin ich Abonnent der<br />
ZD, weil eine solche Zeitung in Darmstadt<br />
dringend notwendig ist, als kritisches Korrektiv<br />
zum Darmstädter Echo und als Plattform<br />
für <strong>die</strong> vielen Gruppen und Initiativen.<br />
Was <strong>die</strong> Themenwahl anbelangt, wird <strong>die</strong> ZD<br />
<strong>die</strong>ser Funktion auch gerecht. Enttäuscht, ja<br />
erschreckt bin ich bisweilen über den Stil.<br />
Als Beispiel des Artikels „Pro Benz: ein Literaturhaus<br />
und sein Direktor“ läßt sich meine<br />
Kritik exemplarisch festmachen: Hier<br />
wird ein Mindestmaß an gesicherter Information<br />
verquickt mit einem Maximum an<br />
Spekulation und Unterstellung. Die<br />
Behauptung, Fritz Deppert sei ein Direktorenposten<br />
als Lohn für seine <strong>Wahl</strong>unterstützung<br />
pro Benz versprochen worden,<br />
wird zwar in den Konjunktiv gesetzt („Benz<br />
soll ihm versprochen haben … “), grenzt<br />
aber dennoch an Rufschädigung. Solche<br />
Verdächtigungen werden ausgerech<strong>net</strong><br />
gegen Menschen ausgesprochen, <strong>die</strong> ihre<br />
Integrität auch in der Ära Metzger nicht verloren<br />
haben.<br />
Daß Fritz und Gabriele Deppert <strong>die</strong> Hauptträger<br />
der Initiative „Pro Benz“ sind, ist<br />
sicher berichtenswert. Die ZD versteht es<br />
aber <strong>die</strong>se schlichte Tatsache so darzustellen,<br />
als erführe man solches durch ein Netz<br />
verschworener Informanten. So kann man<br />
selbst Banalitäten den Geruch des Skandalösen<br />
verleihen. Der Bezug auf „mehrere<br />
Informanten“ und anonyme Zuträger taucht<br />
in vielen Artikeln auf. Er verweist eher auf<br />
eine konspirative Gerüchteküche denn auf<br />
eine Redaktion mit dem Anspruch auf<br />
Seriosität. Der einfache journalistische<br />
Grundsatz, daß Information und Meinung<br />
zu trennen sind, wird unablässig durchbrochen.<br />
Die Attribute, <strong>die</strong> <strong>die</strong> ZD sich selber<br />
zuschreibt, treffen nur zum Teil:<br />
- satirisch ist sie nicht, vielmehr verkniffen<br />
und humorlos<br />
- wahrheitsliebend vielleicht, aber nicht<br />
immer wahrheitssuchend<br />
- offen ist sie, wenn sie <strong>die</strong>sen Leserbrief<br />
veröffentlicht<br />
- bissig ist sie, aber zieht keine Grenze<br />
<strong>zur</strong> Gehässigkeit<br />
- kritisch sicherlich, aber nicht<br />
selbstkritisch<br />
- überparteilich ist sie vielleicht, was aber<br />
nicht das Recht verleiht, parteigebundene<br />
Menschen a priori für unanständig zu<br />
erklären.<br />
mit kritischem, aber trotz der harten Vorwürfe<br />
solidarischem Gruß<br />
Hans Scharrer, nicht parteigebunden<br />
Die Wahrheit gleicht<br />
einem Tausendfüßler<br />
Sehr geehrter Hans Scharrer,<br />
unser Hinweis auf <strong>die</strong> Aktivitäten von Fritz<br />
Deppert in der Aktion „Pro Benz“ entstammen<br />
durchaus nicht irgendwelchen Gerüchteküchen,<br />
wie es auf Grund der Berichterstattung<br />
den Anschein haben mag. Das<br />
Problem besteht darin, daß wir bei Veröffentlichung<br />
der Quellen – und das sollte zu<br />
denken geben – Arbeitsstelle und Karriere<br />
unserer InformantInnen gefährden, deshalb<br />
wollen wir sie nicht namentlich nennen.<br />
Schon mehrfach haben Berichte der<br />
ZD dazu geführt, daß von Behördenleitern<br />
umfangreiche Frage- und Suchaktion eingesetzt<br />
haben. Der Quellenschutz ist aus<br />
<strong>die</strong>sen Gründen auch gesetzlich verankert.<br />
Die Seriosität, gemeint ist wohl journalistische<br />
Sorgfalt, ist dadurch keineswegs verletzt.<br />
Die ZD nimmt es sehr genau mit dem<br />
Trennen von Gerücht und verbürgter Information.<br />
Dies wird daraus ersichtlich, daß in<br />
dem dreijährigen Erscheinen der ZD zahlreiche<br />
juristische Überprüfungen immer<br />
damit endeten, daß <strong>die</strong> Juristen vor dem Erheben<br />
von Straf-Anzeigen und in Verhandlungen<br />
<strong>die</strong> Verbürgtheit der Informationen<br />
bestätigen konnten.<br />
Das „Wahrheitenliebend“ schließt das Suchen<br />
nach der Wahrheit aus, da <strong>die</strong> Wirklichkeit<br />
viele Wahrheiten kennt. Am Beispiel<br />
„Pro Benz“: Aus Sicht von LeserInnen handelt<br />
es sich bei einer solchen Werbe-Aktion<br />
um eine schlichte Nachricht. Aus Sicht von<br />
Fritz Deppert möglicherweise (er hat dazu<br />
keine Stellung bezogen) um <strong>die</strong> gerechte<br />
Entlohnung einer aufwendigen Arbeit. Aus<br />
Sicht von Peter Benz um eine erfreuliche<br />
Unterstützung seiner <strong>OB</strong>-Kandidatur (auch<br />
er ist dem Bericht nicht entgegengetreten).<br />
Aus Sicht der Literaturfreunde um <strong>die</strong> mögliche<br />
Erfüllung des langgehegten Wunsches<br />
nach einem eigenen Literaturhaus. Aus parlamentarischer<br />
Sicht um <strong>die</strong> vorab zugesagte<br />
Verteilung knapper Haushaltsmittel.<br />
Aus polemischer Sicht um Filz. Die Wahrheit<br />
gleicht einem Tausendfüßler, mit ebenso<br />
viel Beinen wie Betrachtungsstandpunkten…<br />
Die Attribute der ZD siehe oben. Selbstkritik<br />
der Presse ist erfahrbar durch das Publizieren<br />
von Gegendarstellungen.<br />
M. Grimm<br />
Undank als der Welten Lohn?<br />
Sehr geehrter Herr Deppert,<br />
an Sie als Schuldirektor und als Literaten<br />
wende ich mich im Interesse unserer LeserInnen<br />
mit der Frage: Was ist für Sie der<br />
Grund, <strong>die</strong> <strong>Wahl</strong>kampf-Initiative „Pro Benz“<br />
zu organisieren?<br />
Wie uns mitgeteilt worden ist, haben Sie in<br />
Ihrer Schule unseren Artikel „Pro Benz, ein<br />
Literaturhaus und sein Direktor“ (siehe ZD<br />
Ausgabe 47) vervielfältigt und ausgehängt.<br />
Gleichzeitig wurde uns erklärt, daß Sie sich<br />
durch den Bericht ungerecht behandelt<br />
fühlten als jemand, der sich für jemanden<br />
anderen einsetzt. Darf ich daraus schließen,<br />
daß <strong>die</strong> an uns weitergeleiteten Informationen<br />
nicht mit Ihrer Sicht der Dinge übereinstimmen<br />
sollten? Wenn <strong>die</strong>s so ist, bieten<br />
wir Ihnen gern <strong>die</strong> Möglichkeit, Stellung zu<br />
beziehen.<br />
Mit einem freundlichen<br />
Guten Morgen für Darmstadt<br />
M. Grimm<br />
Pfeffermann (CDU), Michael Siebert<br />
(Grüne), Ruth Wagner (FDP)<br />
Sehr geehrte/r<br />
OberbürgermeisterkandidatIn,<br />
unter lebhaftem Me<strong>die</strong>necho hatten Herr<br />
Benz und Herr Ebert gemeinsam mit anderen<br />
Darmstädter PolitikerInnen im Oktober ’92<br />
<strong>die</strong> Darmstädter Bürger <strong>zur</strong> Gründung einer<br />
Arbeitsgruppe gegen Rechtsradikalismus<br />
eingeladen. Etwa 500 BürgerInnen kamen.<br />
Das Folgetreffen im November fand in Form<br />
eines „Runden Tisches“ statt. Dazu war<br />
bereits nicht mehr <strong>die</strong> gesamte Öffentlichkeit<br />
eingeladen, sondern nur noch Vertreter<br />
von Parteien, von kirchlichen Organisationen<br />
und der jüdischen Gemeinde, vom<br />
Stadtschüler- und Stadtelternbeirat sowie<br />
aus der AGAR und vom Bündnis gegen<br />
Rassismus und rechtsextreme Tendenzen.<br />
(Wenn ich Teilnehmer vergessen haben<br />
sollte, war <strong>die</strong>s keine Absicht). Die interessierte<br />
Allgemeinheit war zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />
also bereits ausgeschlossen.<br />
Ein weiteres Treffen war für den 15. Dezember<br />
1992 vereinbart, fand aber – im übrigen<br />
ohne Absage – nicht statt. Seitdem wurde<br />
der Runde Tisch – trotz wiederholter Aufforderungen<br />
einiger daran beteiligter Gruppen<br />
– nicht mehr einberufen. Die interessierte<br />
Allgemeinheit ist weiterhin ausgeschlossen.<br />
Es begab sich aber <strong>zur</strong> österlichen Zeit, daß<br />
am 24.3. d.J. '93 vor einem Wohnblock des<br />
Bauvereins (just gegenüber dem Amtsgericht<br />
in der Julius-Reiber-Straße) eine<br />
Ambulanz stand, deren seriös aussehenden<br />
älteren Fahrer ich fragte, ob man etwa Herrn<br />
Walter fortbrächte, der mir doch so energisch<br />
immer wieder kund getan, daß er<br />
daheim sterben wolle. Wohl sein letzter<br />
(mündlicher) Wille. Nein, er sei nur gefallen,<br />
und er liege in seiner Wohnung. Es sei alles<br />
in Ordnung. Herr Christian Walter und ich,<br />
wir mögen uns. Wir sind beide etwas ruppig.<br />
Er wegen Stalingrad. Er war einer der<br />
6.000, <strong>die</strong> <strong>zur</strong>ückkamen. Also – wartete ich<br />
darauf, ihn wieder Einkauf machen (schlurfen)<br />
zu sehen. Gestern, am 27.4. d.J. ’93<br />
fliegen <strong>die</strong> Matratzen aus dem dritten Stock<br />
in den Garten. Heute abgeholt von der<br />
Stadt. Gestern konnte ich sicherstellen im<br />
Amtsgericht, daß Herr Walter (noch) nicht<br />
unter Pfleg- oder gar Vormundschaft steht.<br />
Schwer genug – im Haus wußte man nur<br />
Nebulöses – fand ich heraus, daß Herr Walter<br />
in Jugenheim im Krankenhaus sei. Herr<br />
Dr. Scholz von der dortigen Internistischen<br />
konnte nur <strong>die</strong> Entlassung zum 14.4.d.J.93<br />
bestätigen. Wohin, dokumentiere man<br />
Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 9<br />
„Aus der Luft gegriffen“<br />
Sehr geehrter Herr Grimm,<br />
ich fange mit dem Erfreulicheren an, nämlich,<br />
daß Sie nun direkt um eine Stellungnahme<br />
bitten, nachdem Sie es vor der Veröffentlichung<br />
der Gerüchte seitens Informanten<br />
(à la Stasi?) unterlassen haben.<br />
Nun das wenig Erfreuliche. Ich halte, um es<br />
sanftmütig auszudrücken, nichts von einem<br />
Journalismus, der mit Gerüchten arbeitet,<br />
und warne meine Schüler und Schülerinnen<br />
vor Zeitungen, <strong>die</strong> Nachricht und Meinung<br />
nicht trennen können. Die Unterstellung,<br />
ich sollte/wollte Direktor eines Literaturhauses<br />
werden, ist frei und mit Absicht so<br />
kurz vor der <strong>Wahl</strong> (ohne Möglichkeit <strong>zur</strong><br />
rechtzeitigen Gegendarstellung) aus der<br />
Luft gegriffen worden. Ich bleibe Leiter der<br />
Bertold-Brecht-Schule.<br />
Die Gründe, warum meine Frau und ich <strong>die</strong><br />
Initiative pro Benz ins Leben gerufen haben,<br />
sind politisches Engagement, Freundschaft<br />
und Sorge um Darmstadts Zukunft als<br />
soziale Kulturstadt. Nicht alle, <strong>die</strong> in unserer<br />
Republik Farbe bekennen, tun <strong>die</strong>s wegen<br />
eines äußeren Gewinns.<br />
Ich hätte Ihre freundliches Guten Morgen<br />
für Darmstadt gern mit einem nix fer ungud<br />
beantwortet, aber das kann ich nicht angesichts<br />
solcher Gerüchtemacherei.<br />
Mit Grüßen also<br />
Fritz Deppert<br />
PS.: ich bin mit einer Veröffentlichung <strong>die</strong>ses<br />
Briefes nur einverstanden, wenn sie<br />
ungekürzt erfolgt. Seit dem PEN-Bericht<br />
habe ich „Respekt“ vor der Zitierpraxis in<br />
der Zeitung für Darmstadt<br />
Asyl: Guten Ideen mangelts am Geld<br />
Nun könnte ich sagen „Schade“ und das<br />
Ganze vergessen. Allerdings kann ich mich<br />
noch sehr gut an Artikel erinnern (es muß<br />
ungefähr um <strong>die</strong> Jahreswende gewesen<br />
sein), daß dem Runden Tisch vom Darmstädter<br />
Unternehmer Mengler DM 20.000,gespendet<br />
wurden. Das Stadtparlament hat<br />
<strong>die</strong>sen Betrag um weitere DM 50.000.- aufgestockt.<br />
Herr Ebert hatte damals angekündigt,<br />
daß mit dem Geld u.a. Veranstaltungen<br />
und Aktionen <strong>zur</strong> Aufklärung über<br />
Fremdenhaß und Rechtsradikalismus<br />
finanziert würden.<br />
Ich fordere Sie auf, der Darmstädter Öffentlichkeit<br />
Rechenschaft über <strong>die</strong> bisherige<br />
Verwendung <strong>die</strong>ser Gelder abzugeben.<br />
Außerdem fordere ich Sie auf, gemeinsam<br />
mit den entsprechenden Vertretern der<br />
anderen Parteien dafür zu sorgen, daß der<br />
Runde Tisch in der ursprünglichen Besetzung<br />
wieder zusammenkommt und Kriterien<br />
für <strong>die</strong> Vergabe der Gelder ausarbeitet.<br />
In Darmstadt sind schließlich zahlreiche<br />
Initiativen gegen Rechtsextremismus,<br />
gegen Rassismus und gegen Ausländerhaß<br />
aktiv, <strong>die</strong> häufig gute Ideen mangels ausreichender<br />
Finanzen nicht umsetzen können.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Regina Hagen (aktiv im Darmstädter<br />
Bündnis gegen Rassismus und<br />
rechtsextreme Tendenzen)<br />
Ein Deutsches Frühlingsmärchen<br />
nicht, aber Dr. Klotz in der Bismarckstr.<br />
(neben dem Bauverein) sei sein Hausarzt.<br />
Es war <strong>die</strong> Tochter, <strong>die</strong> lächelnd gestand,<br />
<strong>die</strong> „Schandtat“ (der Einlieferung) zum 24.<br />
3. d.J. begangen zu haben. Ja, nachdenklicher<br />
Blick in sich hinein, er habe auch ihr<br />
betont, er wolle zuhause sterben. Er sei nun<br />
in der Nußbaumallee in Eberstadt, im<br />
Altersheim. Das „Drei-Stufen-Heim“ war es.<br />
Schwester Helga als Leiterin bekundete, sie<br />
sei in Jugenheim zu Herrn Walter gekommen,<br />
und er habe „freiwillig“ unterschrieben.<br />
Ja, Herr Walter, Christian – freute sich,<br />
als er mir ins blaue Auge sah. Wünschte mir<br />
frech weg, daß ich auch 84 Jahre alt werden<br />
möge, und wir lachten einander soldatisch<br />
ins traurige Gesicht. Oh ja, es gehe ihm gut,<br />
er sei gerne hier. Ich versprach ihm, möglichst<br />
84 Jahre alt zu werden. Das Märchen<br />
ist noch nicht ausgestanden, aber vielleicht<br />
rührt es als Zeitungsente wenigstens einige<br />
zu Tränen – vor Lachen (?).<br />
Romano Hausen M.A., Gymnasiallehrer<br />
Der Autor hat „Strafanzeige gegen Unbekannt<br />
wegen dringendem Verdacht der Willensbeschneidung<br />
bzw. -Manipulation des<br />
Herrn Christian Walter“ beim Amtsgericht<br />
Darmstadt eingereicht. red
„Das war ein Fehler“<br />
Liane Palesch zu ihrem Absagebrief an<br />
Bewerber beim Preis für junge Künstler:<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
den Brief habe ich zu verantworten. Ich<br />
arbeite seit 20 Jahren für <strong>die</strong> Darmstädter<br />
Sezession und bin seit 1975 bei der Fotoauswahl<br />
und der Jury dabei. Wenn Sie all<br />
<strong>die</strong> Ungereimtheiten gesehen hätten, könnten<br />
Sie vielleicht den Unmut verstehen.<br />
Es ist ein deutlicher Niveauverlust gegenüber<br />
der letzten Ausschreibung für Malerei<br />
vor zwei Jahren zu verzeichnen. Jetzt reichte<br />
<strong>die</strong> Skala von Weihnachtskarten über das<br />
Rehlein am Waldrand, Batik, bis <strong>zur</strong> Marienerscheinung.<br />
Bei <strong>die</strong>sem Bewerberkreis<br />
ist sicher grundsätzlich etwas falsch verstanden<br />
worden.<br />
Da wir ja nicht ahnen konnten, wie das<br />
Ergebnis aussehen wird, haben wir alle<br />
Ablehnungen zusammengestapelt. Das war<br />
ein Fehler, denn so war keine Differenzierung<br />
mehr möglich, ohne daß wir alles<br />
noch einmal hätten durcharbeiten müssen.<br />
Entschuldigen möchte ich mich bei den vie-<br />
Die Jury für <strong>die</strong><br />
Vergabe der beiden<br />
Förderpreise<br />
für junge Künstler<br />
traf sich am 28.<br />
April 1993 in der<br />
Kunsthalle am<br />
Steubenplatz.<br />
32 Malerinnen und<br />
Maler waren Anfang des Jahres aus rund<br />
1.000 Fotobewerbungen in <strong>die</strong> engere <strong>Wahl</strong><br />
gekommen und zeigen jetzt jeweils zwei<br />
Arbeiten in der Kunsthallen-Ausstellung, <strong>die</strong><br />
noch bis zum 16. Mai zu sehen ist. Der Preis<br />
war bundesweit für Malerei ausgeschrieben.<br />
Es waren zwei Preise zu vergeben: einmal<br />
der mit 8.000 Mark dotierte Sezessionspreis<br />
sowie ein mit 2.000 Mark dotierter Förderpreis.<br />
Die Jury entschied sich mit Mehrheit für den<br />
in Köln lebenden Maler Franz Baumgartner.<br />
Der Preisträger ist 31 Jahre alt, in Kleve<br />
geboren, machte 1981 sein Abitur und daran<br />
anschließend eine Ausbildung im Gartenbau<br />
und leistete seinen Zivil<strong>die</strong>nst ab. 1985<br />
begann er sein Studium der freien Kunst an<br />
der Fachhochschule Köln und wechselte<br />
dann an <strong>die</strong> Kunstakademie Düsseldorf, wo<br />
er bei Professor Dieter Krieg stu<strong>die</strong>rte.<br />
Seit 1986 beteiligte er sich an Ausstellungen,<br />
teils in selbstorganisierten Räumlichkeiten<br />
oder über <strong>die</strong> Akademie. 1991 war er an einer<br />
Galerieausstellung in Frankfurt beteiligt: „Die<br />
Klasse Krieg“.<br />
Der mit 2.000 Mark ausgestattete Förderpreis,<br />
der von dem Kunstgießer Jörg Grundhöfer<br />
aus Aschaffenburg gestiftet ist, wurde<br />
dem Berliner Maler Manfred Fuchs zugesprochen.<br />
Fuchs wurde 1961 in Kassel geboren,<br />
machte 1980 sein Abitur, leistete von<br />
1980-82 seinen Zivil<strong>die</strong>nst und stu<strong>die</strong>rte von<br />
1982-87 an der Technischen Universität Berlin.<br />
Von 1987-92 setzte er seine Stu<strong>die</strong>n an<br />
der Hochschule der Künste in Berlin fort, ab<br />
1988 bei Professor Karl Oppermann. 1992<br />
Absolventenprüfung und Zulassung zum<br />
Meisterschülerstudium.<br />
Seit 1990 beteiligte er sich an Ausstellungen,<br />
darunter einmal in den Foyers des Staats-<br />
Grüner Heiligenschein<br />
An <strong>die</strong><br />
Fahrradläden „Radhaus“,<br />
„Fahrrad-Dietrich“ und „Fahrrad Brunner“<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
schockiert lasen wir, daß Sie sich an der<br />
geplanten Automobilausstellung in der Wilhelminenstraße<br />
mit einer Fahrradsonderschau<br />
beteiligen wollen. Wir denken, daß<br />
Sie den Veranstaltern damit helfen, einen<br />
grünen Heiligenschein über der Automobilausstellung<br />
schweben zu lassen. In einer<br />
Zeit von Waldsterben, Treibhauseffekt,<br />
Ozonloch, Luft- und Wasserverschmutzung<br />
ist es an der Zeit, etwas gegen <strong>die</strong>sen<br />
Wahnsinn zu unternehmen. Gerade das<br />
Auto steht exemplarisch für <strong>die</strong> Zerstörung<br />
von Umwelt, das Sterben von Tausenden<br />
von Menschen (von 1950-1990, starben<br />
500.000 Menschen im Straßenverkehr),<br />
sowie <strong>die</strong> Verschwendung von wertvollen<br />
Rohstoffen. Durch Ihr Angebot, eine parallele<br />
Fahrradausstellung zu organisieren, hat<br />
der Veranstalter das geschafft, was er<br />
schon immer erreichen wollte: Das Fahrrad<br />
len ernstzunehmenden Bewerbern, <strong>die</strong> einfach<br />
der Beschränkung der Ausstellungsmöglichkeiten<br />
zum Opfer fallen mußten und<br />
<strong>die</strong> eben leider auch den Brief erhalten<br />
haben.<br />
Die Auswahl aus den Fotobewerbungen<br />
bedeutet für <strong>die</strong> Vorstandsmitglieder in<br />
jedem Jahr 3-4 Tage Arbeit, <strong>die</strong> sie ehrenamtlich<br />
leisten und <strong>die</strong> sie sicher lieber in<br />
ihrem Atelier zubrächten. Die Darmstädter<br />
Sezession ist kein kapitalkräftiges Unternehmen,<br />
sondern eine Vereinigung, wo<br />
Künstler etwas für Künstler tun. Ich weiß<br />
nicht, wo <strong>die</strong>s auf solche Weise noch<br />
geschieht.<br />
Wir haben den Preis von Anfang an bewußt<br />
offen gehalten, weil wir uns gerade aus dem<br />
nicht akademischen Bereich junge Talente<br />
erhofften. Jetzt klafft <strong>die</strong> Schere aber sehr<br />
weit auseinander. Wir müssen erst beraten,<br />
wie wir das in Zukunft handhaben können.<br />
Für das Jahr 1993 galt <strong>die</strong> seitherige Regelung.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Liane Palesch, 2. Vorsitzende<br />
Sezessions-Preis für Franz Baumgartner<br />
theaters Darmstadt, wo sich <strong>die</strong> „Klasse<br />
Oppermann“ präsentierte.<br />
In <strong>die</strong> besondere Beachtung und Bewertung<br />
der Juroren kamen neben den Preisträgern<br />
folgende Malerinnen und Maler: Michael<br />
Lankes aus Düren, Heike Kürzel aus Berlin,<br />
Jürgen Liefmann aus Hamburg, Margareta<br />
Hesse aus Arnsberg, Julia Philipps aus<br />
Darmstadt und Stephan Guber aus Niddatal.<br />
Die Darmstädter Sezession will <strong>die</strong>sem<br />
Künstlerkreis auch in Zukunft Beachtung<br />
schenken.<br />
Der Jury gehörten an: Direktor Horst Blechschmidt<br />
von der Heag, <strong>die</strong> den Sezessionspreis<br />
stiftet, Kulturreferent Dr. Klaus Wolbert,<br />
Stadträtin Renate Wingler in Vertretung<br />
von Oberbürgermeister Günther Metzger, als<br />
kunstinteressierte Bürger (<strong>die</strong> jährlich wechseln)<br />
Dr. Sybille Ebert-Schifferer und Direktor<br />
Hermann Kießling; von der Darmstädter<br />
Sezession Pit Ludwig, Liane Palesch, Barbara<br />
Bredow, Thomas Duttenhofer und Gotthelf<br />
Schlotter (vom Vorstand) sowie Bruno Erdmann,<br />
Robert Preyer und Ernst Schonnefeld.<br />
Die beiden Preise wurden am Samstag (8.)<br />
um 17.00 Uhr in der Ausstellung in der<br />
Kunsthalle am Steubenplatz überreicht.<br />
Darmstädter Sezession<br />
wird nicht etwa als Alternative zum Auto,<br />
sondern als Nebensache dargestellt. Motto:<br />
„Für da, wo man mit dem Auto nicht hinkommt“.<br />
Das Fahrrad in Kombination mit<br />
Bus und Bahn stellt aber eine Alternative<br />
dar, <strong>die</strong> durch das Zusammenspiel von<br />
Autoausstellung- und Fahrradausstellung<br />
bewußt vertuscht werden soll.<br />
Wir fordern Sie hiermit auf, der Ausstellung<br />
eine Absage zu erteilen und sich somit nicht<br />
zu beteiligen.<br />
Mit umweltfreundlichen Grüßen<br />
Bastian Ripper, BUNDjugend,<br />
Oppenheimerstr. 5, 6100 Darmstadt<br />
Parallel zu <strong>die</strong>sem offenen Brief sammelt<br />
<strong>die</strong> BUNDjugend Unterschriften gegen<br />
künftige Automobil-Ausstellungen.<br />
Die Zeitung für Darmstadt<br />
!<br />
druckt Briefe an <strong>die</strong> Redaktion<br />
grundsätzlich unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und<br />
Grammatikfehler sowie Wiederholungen. Für Kürzungen wird<br />
<strong>die</strong> Zustimmung der AutorInnen eingeholt. Inhaltliche auch<br />
politische Änderungen werden nicht angebracht und auch<br />
nichts hinzugefügt. Die Briefe geben nicht <strong>die</strong> Meinung der<br />
Redaktion wieder.<br />
BRIEFE AN DIE REDAKTION II<br />
Mehr Sensibilität für grausame Schicksale<br />
„Schon lange sind meine Gedanken bei<br />
dem grausamen Bürgerkrieg in Jugoslawien.<br />
Was könnte ich dagegen tun? Die<br />
Macht, <strong>die</strong>sen Wahnsinn schnellstens zu<br />
beenden oder <strong>die</strong> Zeit <strong>zur</strong>ückzudrehen,<br />
habe ich nicht. Aber im Rahmen meiner<br />
kleinen Möglichkeiten grübelte ich nach<br />
einer Hilfeleistung um etwas Linderung zu<br />
bringen. Also organisierte ich einen Saal für<br />
eine öffentliche Veranstaltung, trommelte<br />
künstlerische Gruppen und Solisten aus<br />
acht Ländern zusammen, <strong>die</strong> ehrenamtlich<br />
auftraten und vieles mehr an Organisation.<br />
Die Benefizveranstaltung am 17. 4 trug den<br />
Namen „ Folklore der Welt“ zugunsten der<br />
Waisenkinder und der vergewaltigten Frauen.<br />
Jeder weiß, daß gerade <strong>die</strong> Kinder und<br />
<strong>die</strong> Frauen dringend Hilfe brauchen. Die<br />
Besucher zahlten keinen Eintritt und spendeten<br />
freiwillig. Die Frauenbeauftragte der<br />
Stadt Darmstadt, Trautl Baur, leitete inzwischen<br />
<strong>die</strong> kompletten Spenden von<br />
1.564,03 DM an zwei sehr engagierte Helferinnen<br />
vor Ort weiter. Zeitungen aus Darm-<br />
Es besteht Anlaß, <strong>die</strong> Bücherverbrennung<br />
vom 10. Mai 1933 nicht als eine einmalige,<br />
längst abgetane Monströsität zu betrachten.<br />
Noch immer werden in aller Welt<br />
Bücher verboten, Meinungen unterdrückt,<br />
oppositionelle Verlautbarungen nicht veröffentlicht,<br />
Publizisten verfolgt und Schriftsteller<br />
an Leib und Leben bedroht. Wer am<br />
10. Mai 1933 spricht, hat Salman Rush<strong>die</strong>s<br />
zu gedenken und sich ihm solidarisch zu<br />
erklären. Wer <strong>die</strong> Scheiterhaufen, auf denen<br />
<strong>die</strong> Bücher Siegmund Freuds oder Carl von<br />
Ossietzkys verbrannten, als Schande für<br />
unser Land versteht, wird unglaubwürdig,<br />
wenn er nicht <strong>die</strong> Partei jener Autoren<br />
ergreift, <strong>die</strong> heute, zwischen China und der<br />
Türkei in Gefängnissen gefoltert werden,<br />
weil sie <strong>die</strong> Mächtigen mit der Wahrheit des<br />
freien Wortes konfrontierten.<br />
Wer an den 10. Mai 1933 erinnert, hat aber<br />
auch zu bedenken: Die in der Weimarer Republik<br />
von langer Hand in deutschnationalen<br />
Kreisen vorbereitete Ausmerzung demokratischer<br />
Autoren hat Spuren hinterlassen.<br />
Spuren, <strong>die</strong> heute wie damals zu Sachwaltern<br />
der Reaktion führten, <strong>die</strong> sobald sie<br />
an der Macht sind, das Geschäft den Henkern<br />
überlassen. Nicht nur an <strong>die</strong> SA-Horden<br />
sondern auch an <strong>die</strong> Wegbereiter der<br />
Diktatur, <strong>die</strong> den Nationalsozialisten durch<br />
<strong>die</strong> Preisgabe von Liberalität und Toleranz<br />
stadt und Umgebung kündigten <strong>die</strong> Veranstaltung<br />
großzügig an.<br />
Nach der Veröffentlichung rief mich der<br />
Stadtverord<strong>net</strong>envorsteher Eike Ebert an<br />
und bot mir seine Unterstützung, weil er<br />
mein Vorhaben für sehr wichtig und sehr<br />
menschlich hielt. Ich nahm dankbar an und<br />
bat ihn um 300 DM für mir entstehende<br />
Saal-Versicherungs- und Reisekosten einer<br />
weit anreisenden Profigruppe. Er ließ mir<br />
am Tag darauf 500 DM aushändigen. Auch<br />
das Darmstädter SPD-Büro bot Unterstützung<br />
an und Bürgermeister Peter Benz<br />
überwies 300 DM.<br />
Ich freute mich sehr über <strong>die</strong>se Entlastung,<br />
weil dadurch <strong>die</strong> Hilfe größer wurde. Jetzt<br />
konnte ich viel leichter Plakate, Handzettel<br />
und Saalmiete finanzieren.<br />
Ich möchte <strong>die</strong>sen Politikern danken, denen<br />
trotz ihrer jetzigen Belastung ihre Beziehung<br />
<strong>zur</strong> Menschlichkeit erhalten geblieben<br />
ist; <strong>die</strong> von sich aus Hilfe anboten und han-<br />
Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 10<br />
Zum 60. Tag der Bücherverbrennung am 10. Mai<br />
Die AG Ratio konstituiert sich an der THD<br />
In der Darmstädter Kommunalpolitik ten<strong>die</strong>rt<br />
<strong>die</strong> Bürgerbeteiligung gegen null.<br />
Politiker und Parteien entscheiden einsam<br />
und allein über das Wohl aller Darmstädter.<br />
Die einzige Form der Bürgerbeteiligung ist<br />
<strong>zur</strong> Zeit sich in Form einer Bürgerinitiative<br />
gegen Schwachsinn der Politiker und Parteien<br />
zu wehren. Bürger können also nur<br />
versuchen, grobe Fehler der Politik zu verhindern.<br />
Dies ist in der Vergangenheit<br />
tatsächlich teilweise gelungen. Diese Form<br />
der Bürgerbeteiligung ist jedoch destruktiv.<br />
Die Bürger können eben nur verhindern.<br />
Warum muß solch ein Schwachsinn erst<br />
entstehen? Warum haben Bürger beim<br />
Erstellen von Plänen und Vorhaben kein<br />
Mitwirkungsrecht? Warum bleibt <strong>die</strong>ses<br />
Recht den Parteien vorbehalten? Die Antwort<br />
auf <strong>die</strong>se Frage ist eigentlich ganz einfach.<br />
In Darmstadt hat <strong>die</strong> AG Ratio den Eindruck,<br />
daß sich ein Sumpf entwickelt hat,<br />
der zu seinem eigenen Vorteil Politik macht.<br />
Man kann <strong>die</strong>s nicht beweisen. Was bleibt,<br />
ist ein merkwürdiger Nachgeschmack.<br />
Warum hält Metzger <strong>die</strong> Kaufverträge über<br />
<strong>die</strong> Heag-Hallen <strong>zur</strong>ück?<br />
Warum gibt es geheime Magistratsvorlagen?<br />
Warum zensiert <strong>die</strong> Stadt Darmstadt <strong>die</strong><br />
ZD?<br />
Warum verhängt Metzger dem Darmstädter<br />
Ausländerbeirat einen Maulkorb?<br />
Warum bekommt ein Herr Mengler Bauaufträge?<br />
Die Antwort ist einfach: Sumpf! Leider kann<br />
man es nicht beweisen, aber der Eindruck<br />
bleibt. Die Liste der Fragen ließe sich beliebig<br />
verlängern. Wie sieht eine Alternative<br />
der AG Ratio aus?<br />
Stadtplanung muß als konstruktiver und<br />
kreativer Prozeß aller Bürger begriffen werden.<br />
Engagement und Beteiligung darf nicht<br />
nur aus Frust, sondern sollte aus Interesse<br />
an der eigenen Stadt heraus erfolgen. Das<br />
Gestalten des eigenen Lebensraums muß<br />
für <strong>die</strong> Menschen <strong>die</strong>ser schönen Stadt<br />
ohne den Umweg über <strong>die</strong> Parteien möglich<br />
sein. Es kann einfach nicht sein, daß Parteien<br />
das Planungsmonopol besitzen.<br />
Die AG Ratio will also ein Forum sein, in<br />
dem Menschen konstruktiv Stadtplanung<br />
betreiben können. Sozusagen eine vorbeugende<br />
Verhinderung von politischem Unfug.<br />
Die AG Ratio hat als Schwerpunkt ihrer<br />
praktischen Arbeit den Verkehr gewählt.<br />
Hier liegt in Darmstadt sehr viel im Argen.<br />
in <strong>die</strong> Hände arbeiteten, ist heute im Zeichen<br />
wachsender kultureller Gegenaufklärung<br />
zu erinnern, <strong>die</strong> geprägt ist durch<br />
<strong>die</strong> Mythisierung der Geschichte, durch <strong>die</strong><br />
Ausgrenzung der Fremden und Anderen<br />
und politisch Mißliebigen. Die Schriftsteller,<br />
<strong>die</strong> das Erbe Lessings und Heines nicht<br />
zum Gespött zu machen gedenken, haben<br />
allen Grund, wachsam zu sein.<br />
Am Vorabend seiner Jahrestagung, am 12.<br />
Mai 1993, 19.30 Uhr hat der bundesdeut-<br />
Schon im Januar <strong>die</strong>sen Jahres befürchtete<br />
ich, daß <strong>die</strong> Partei mit den starken rechtsextremen<br />
Anteilen im Bundestag – <strong>die</strong> CDU –<br />
eine Tochter oder Sohn in der Bundestagsfraktion<br />
hat, <strong>die</strong> für und mit der Partei „Die<br />
Republikaner“ zusammenarbeiten.<br />
Nachdem der CDU-Bundestagsabgeord<strong>net</strong>e<br />
Krause-Bonese seine „Denkschrift zu<br />
deutschen nationalen Fragen“ verfaßt hatte,<br />
wurde er von großen Teilen der CDU<br />
<strong>zur</strong>ückgepfiffen. Wie sich jetzt gezeigt hat,<br />
läßt sich ein Krause-Bonese nicht <strong>zur</strong>ückpfeifen,<br />
wohlig trällert und pfeift er sein<br />
m.E. widerliches deutschnationales Gedankengut.<br />
Ein Hampelmann von Schönhuber<br />
und stolz erzählt er mir am Telefon: „Im<br />
Fernsehen war ich auch schon.“<br />
delten – mit der ausdrücklichen Bitte, sie<br />
bei der Veranstaltung nicht zu erwähnen.<br />
Heute frage ich mich, wo sind eigentlich <strong>die</strong><br />
übrigen „christlichen familien- und kinderfreundlichen,<br />
grünen oder liberalen“ Volksvertreter<br />
geblieben? Keiner war da, keiner<br />
spendete, keiner unterstützte in irgend<br />
einer Weise. Auch <strong>die</strong> „erste Frau für Darmstadt“<br />
, <strong>die</strong> sich bei ihrem Ausländerbeirat<br />
noch nie hat sehen lassen, obwohl sie ihm<br />
angehört, gab keinen Ton und keine Spendenmark<br />
von sich. Ich hätte von einer Frau,<br />
<strong>die</strong> erste Oberbürgermeisterin Darmstadts<br />
werden will, mehr Sensibilität gegenüber<br />
grausamen Schicksalen von Kindern und<br />
Frauen erwartet.<br />
Wenn sich ausländische Bürger, <strong>die</strong> nicht<br />
wählen dürfen, auf <strong>die</strong> Unterstützung sozial<br />
engagierter Politiker verlassen können,<br />
dann können <strong>die</strong>s erst recht alle Darmstädter.<br />
Dies sollten sie bei der <strong>Wahl</strong> eines neuen<br />
Oberbürgermeisters beachten.<br />
Gianina Ragazzi-Rack<br />
sche P.E.N. des 60. Jahrestages der<br />
Bücherverbrennung mit einer Lesung<br />
gedacht. Katja Behrens, Christa Dericum,<br />
Margarete Hannsmann, Gert Heidenreich,<br />
Gerhard Schoenberner, Friedrich Schorlemmer,<br />
Elsbeth Wolffheim und Ursula Setzer<br />
lesen Texte von verbotenen und vertriebenen<br />
Autoren. Johannes Mario Simmel<br />
erinnerte an das Schicksal der literarischen<br />
Emigration.<br />
P.E.N.<br />
Die Republikaner im Bundestag<br />
Als erstes organisiert <strong>die</strong> AG Ratio eine<br />
Bestandsaufnahme der Darmstädter Verkehrsverhältnisse.<br />
Das Ergebnis <strong>die</strong>ser<br />
Bestandsaufnahem wird in einer öffentlichen<br />
Ausstellung allen Menschen <strong>die</strong>ser<br />
Stadt zugänglich gemacht.<br />
Weiterhin will <strong>die</strong> AG Ratio <strong>die</strong> Verbindung<br />
zwischen TH und den Menschen <strong>die</strong>ser<br />
Stadt herstellen. Die AG Ratio will auch alles<br />
Wissen, das notwendig ist, um Stadtplanung<br />
zu betreiben, allen interessierten Menschen<br />
vereinfacht <strong>zur</strong> Verfügung stellen. Die<br />
AG Ratio ist für alle Menschen <strong>die</strong>ser Stadt<br />
offen.<br />
Weiterhin behauptet <strong>die</strong> AG Ratio: Gesunder<br />
Menschenverstand und Phantasie sind <strong>die</strong><br />
wichtigsten Fähigkeiten, <strong>die</strong> Menschen<br />
brauchen, um Stadtplanung zu betreiben<br />
mit dem Argument: „Ihr Menschen, ihr habt<br />
keinen Sachverstand und ihr seid nicht in<br />
der Lage, Politik zu verstehen“ haben <strong>die</strong><br />
Parteien lange genug <strong>die</strong> Macht an sich<br />
gerissen.<br />
Den notwenigen Sachverstand stellt <strong>die</strong> AG<br />
Ratio <strong>zur</strong> Verfügung. Das einzige, was sonst<br />
noch fehlt, um Politik zu machen, ist Selbstvertrauen.<br />
Wir, <strong>die</strong> Menschen <strong>die</strong>ser Stadt,<br />
müssen es uns einfach zutrauen, Politik zu<br />
machen.<br />
Das ist das ganze Geheimnis. Stellt euch<br />
vor, jeder würde denken, Politik ist einfach.<br />
Wir könnten ja <strong>die</strong> Politiker wirkungsvoll kritisieren.<br />
Wir könnten sie gar kontrollieren.<br />
Ein Alptraum für einige unserer Politiker.<br />
Politik ist einfach. Wir Menschen können<br />
Politik machen.<br />
AG Ratio<br />
Kontakt: Claudia Götz, Kranichsteiner Str. 53,<br />
Tel.: 78 18 99 und Christian Schmitt,<br />
Neckarstr. 15, App. 117, Tel.: 31 98 76<br />
Mit seiner ersten Denkschrift hat Krause<br />
gesät und darauf folgten <strong>die</strong>, wie er mir mitteilt<br />
über 700 Briefe, <strong>die</strong> Saat. Ein Ermittlungsverfahren<br />
wird nicht aufgenommen.<br />
M.E. und nach Erachten des RCDS-Vorsitzenden<br />
von Sachsen-Anhalt Jörg Brochnow<br />
hat sich Krause strafrechtlich wegen Volksverhetzung<br />
zu verantworten.<br />
Bis das gegen Krause eingeleitete Parteiausschlußverfahren<br />
rechtskräftig abgeschlossen<br />
ist, hat derselbe als Schönhubers<br />
Hampelmann – m.E. ist sich Krause<br />
über <strong>die</strong>se seine Funktion nicht bewußt –<br />
ausge<strong>die</strong>nt. In der nächsten Legislaturperiode<br />
ist er nicht mehr MdB.<br />
Markus Volker Braum<br />
AStA protestiert<br />
„Durch <strong>die</strong> Zusammensetzung der hessischen<br />
Strukturkommission und durch <strong>die</strong> vom Ministerium<br />
vorgegebenen Prämissen ist der Rahmen<br />
längst vorgegeben, in dem sich das<br />
Ergebnis der Untersuchungen bewegen wird.<br />
Die Kommission soll nur dazu <strong>die</strong>nen, <strong>die</strong> Vorstellungen<br />
des Ministeriums durch Expert-<br />
Innen zu bestätigen und eventuell Maßnahmen<br />
<strong>zur</strong> Umsetzung herauszufinden und zu<br />
formulieren. (…)<br />
Ihre Informationen bekommt <strong>die</strong> Kommission<br />
durch Kurzbesuche an Hochschulen, ProfessorInnen<br />
sollen heute in Kurzreferaten von der<br />
Lage bestimmter Fachbereiche berichten, ein<br />
ehemaliger Stu<strong>die</strong>render soll einen Rückblick<br />
auf sein Studium vermitteln und das Konzept<br />
der Lernzentren soll vorgestellt werden. Am<br />
Nachmittag zieht sich <strong>die</strong> Kommission <strong>zur</strong><br />
internen Diskussion hinter verschlossene Türen<br />
<strong>zur</strong>ück. Danach werden <strong>die</strong> StrukturberaterInnen<br />
auseinandergehen und wieder als<br />
Vorsitzender des Wissenschaftsrats, als UniversitätspräsidentIn<br />
oder einfach nur als ProfessorIn<br />
mit anderen Dingen beschäftigt sein.<br />
Ist ernsthaft anzunehmen, daß auch nur ein<br />
einziges Mitglied der Kommission wirklich <strong>die</strong><br />
Zeit aufbringen kann, den gestellten Fragen<br />
gründlich nachzugehen? Was kann ein Teilzeit-<br />
BeraterInnengremium von außerhessischen<br />
ProfessorInnen und Hochschul-FunktionärInnen<br />
leisten außer für <strong>die</strong> in den Köpfen vorhandene<br />
Ideologie <strong>die</strong> hessischen Fakten zu finden.<br />
Wir wollen keine Strukturkommission, <strong>die</strong> beauftragt<br />
ist, <strong>die</strong> grundlegenden Probleme zu ignorieren<br />
und mit einem Fragenkatalog zu arbeiten,<br />
der <strong>die</strong> Thesen des Wissenschaftsrats<br />
impliziert. Wir wollen überhaupt keine Strukturkommission.<br />
Wir wehren uns gegen inhaltliche<br />
und strukturelle Reformen, <strong>die</strong> uns von „oben“<br />
aufgedrückt werden. Wir wollen eine Autonomie<br />
der Hochschulen ohne ProfessorInnenmehrheit.<br />
Wir wollen nicht befragt und analysiert<br />
werden, wir wollen mit bestimmen.<br />
AStA THD
PARTEIEN - STANDPUNKTE<br />
Wahrheit bleibt auf der Strecke Bauverein läßt den Bagger rollen –<br />
Ein Musterbeispiel für Arroganz<br />
Zur Berichterstattung über<br />
das Postamt in der Robert-<br />
Schneider-Straße erklärt der<br />
Darmstädter Abgeord<strong>net</strong>e und<br />
Oberbürgermeisterkandidat<br />
Gerhard O. Pfeffermann: „<strong>Wahl</strong>kampf ist<br />
eine Zeit, wo mancher sich verführen läßt,<br />
den politischen Gegner mit Unterstellungen<br />
und Diffamierungen zu bekämpfen, statt mit<br />
Argumenten. Dabei bleibt <strong>die</strong> Wahrheit auf<br />
der Strecke.“ Bürgermeister Benz sei rasch<br />
bei der Hand, wenn es darum gehe dem<br />
CDU-Abgeord<strong>net</strong>en Gerhard O. Pfeffermann<br />
<strong>die</strong> Mitschuld für <strong>die</strong> Schließungsabsicht in<br />
<strong>die</strong> Schuhe zu schieben, sein Parteifreund<br />
Eike Ebert, ebenfalls Mitglied im Postausschuß,<br />
sei dagegen unerwähnt geblieben.<br />
Gerhard O. Pfeffermann habe sofort nach<br />
Bekanntwerden der Maßnahmen in Darmstadt<br />
„höchste Alarmstufe“ beim Vorstand<br />
der Post und im Postausschuß gegeben und<br />
auf <strong>die</strong> negativen Folgen der geplanten<br />
Schließung für <strong>die</strong> Bevölkerung im Norden<br />
Darmstadts aufmerksam gemacht. Seiner<br />
Intervention sei es zu danken, daß <strong>die</strong> Kündigung<br />
der Räume und <strong>die</strong> Schließungsabsicht<br />
<strong>zur</strong>ückgenommen sei. Leider habe der Kollege<br />
Ebert den Postausschuß bereits wieder<br />
verlassen gehabt, als <strong>die</strong> Sache <strong>zur</strong> Sprache<br />
kam. Nachdem das Postamt Darmstadt<br />
durch den Vorstand angewiesen sei, <strong>die</strong><br />
Kündigung <strong>zur</strong>ückzunehmen, entbehrten <strong>die</strong><br />
unredlichen Anwürfe von Peter Benz jeder<br />
sachlichen Grundlage. Ob solche Art <strong>Wahl</strong>kampf<br />
<strong>die</strong> Wähler zu überzeugen vermag,<br />
bleibe abzuwarten.<br />
Frauenthemen auf den Tisch<br />
Dr. Sissy Geiger, Vorsitzende<br />
der Frauenunion, vermißt<br />
unter den Sachfragen in den<br />
Koalitionsgesprächen das<br />
Thema „Frauenpolitik“. Sie<br />
forderte ihre CDU-Kolleginnen und Kollegen<br />
auf, das Thema „Kommunalpolitik für<br />
Frauen“ gewissenhaft „abzuarbeiten“,<br />
bevor Bündnisentscheidungen getroffen<br />
würden.<br />
Es gehe bei den Verhandlungen ums Bauen<br />
und ums Autofahren oder Nichtfahren, aber<br />
mit den Frauenthemen habe man sich noch<br />
nicht auseinandergesetzt. Besonders <strong>die</strong><br />
Grünen, moniert Dr. Sissy Geiger, würden<br />
Wein predigen und Wasser servieren. Die<br />
CDU-Frauen, <strong>die</strong> 43% der neuen Fraktion<br />
stellen, halten es für wichtig, daß auch im<br />
hauptamtlichen Magistrat eine oder mehrere<br />
Frauen Verantwortung übernehmen und<br />
den männlichen Kollegen bei der Initiative<br />
„frauenfreundliche Stadt“ und deren<br />
Umsetzung auf <strong>die</strong> Finger schauen würde.<br />
Um der Frauenpolitik Nachdruck zu verleihen,<br />
muß außerdem unbedingt <strong>die</strong> Frauenkommission<br />
wieder eingesetzt werden, <strong>die</strong><br />
aus repräsentativen Darmstädter Frauenverbänden<br />
gebildet wird und seinerzeit von<br />
der SPD zerschlagen wurde. „Was kann<br />
einer Stadt besseres passieren, als daß sich<br />
Bürgerinnen für <strong>die</strong> eigene Sache engagieren“,<br />
fragt Dr. Geiger.<br />
Umbau der Oberen<br />
Rheinstraße<br />
vorantreiben<br />
Kein Verständnis hat <strong>die</strong> CDU-<br />
Fraktion für weitere Verzögerungen<br />
beim Ausbau der oberen<br />
Rheinstraße. Die Pläne<br />
seien baureif ausgearbeitet,<br />
das Geld im städtischen Haushalt bereitgestellt.<br />
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr.<br />
Rüdiger Moog hält ein weiteres Zuwarten<br />
für unbegründet. Moog: „Es kommt darauf<br />
an, daß wir mit den Baumaßnahmen in<br />
überschaubarer Zeit fertig werden, damit<br />
<strong>die</strong> Behinderung des Verkehrs und des Einzelhandels<br />
in Grenzen gehalten werden“.<br />
Der Abriß der Außentreppe am Kaufhof sei<br />
wünschenswert, aber kein Anlaß mit dem<br />
Umbau der Rheinstraße zu warten. Notfalls<br />
müßte der Kaufhof für spätere Demontage<br />
einstehen, wenn <strong>die</strong> Treppe nicht rechtzeitig<br />
abgebrochen werden könne. Für <strong>die</strong><br />
Behindertentoilette macht <strong>die</strong> CDU einen<br />
Vorschlag: Sie begrüßt es sehr, daß <strong>die</strong><br />
Garage über einen behindertengerechten<br />
Aufzug erschlossen wird. Dies eröffne aber<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit, das Örtchen unter <strong>die</strong> Erde<br />
zu verlegen, denn dort sei es auch für Rollstuhlfahrer<br />
problemlos zu erreichen.<br />
Die Umgestaltung des Friedensplatzes nach<br />
den Plänen des Architekten Udo Nieper finde<br />
den Beifall der CDU-Kommunalpolitiker.<br />
Eine offenere Blick- und Wegebeziehung<br />
zwischen dem Weißen Turm und dem<br />
Museum bedeute einen Zuwachs an Urbanität.<br />
Niemand brauche in der Dunkelheit<br />
<strong>die</strong>sen Durchgang zu fürchten, jetzt meiden<br />
viele <strong>die</strong> unübersichtlichen Ecken dort.<br />
Dr. Moog fordert den Magistrat auf, ohne<br />
weitere Verzögerung mit dem Abriß der<br />
Pavillons und dem Ausbau der Rheinstraße<br />
zu beginnen. „Der nächste Schritt muß<br />
dann der Marktplatz sein“, stellt Dr. Moog<br />
fest, „es wird eine Hauptaufgabe der nächsten<br />
vier Jahre sein, aus dem vergammelten<br />
Marktplatz ein innerstädtisches<br />
Schmuckstück zu machen“.<br />
Die CDU werde sich für breite Bürgerinnenbeteiligung<br />
stark machen. Als wichtige<br />
Sachthemen nennt Dr. Geiger <strong>die</strong> Umsetzung<br />
des Programms frauenfreundliche<br />
Stadt, Sicherheit für Frauen, etwa durch<br />
Videoüberwachung und gute Ausleuchtung<br />
von Parks und Wohnstraßen, sowie gezielte<br />
Hilfen für junge Familien, insbesondere bei<br />
der Wohnungsversorgung.<br />
Ein schweres Baufahrzeug<br />
zerstört Gärten in der Michaelisstraße.<br />
Die Bauverein AG<br />
hatte <strong>die</strong> Mieter erst kurz vorher<br />
von <strong>die</strong>ser Maßnahme<br />
informiert. Für <strong>die</strong> Grünen ist das wieder ein<br />
Musterbeispiel, mit welcher Arroganz der<br />
Bauverein seine Mieter behandelt.<br />
Wo vor kurzem noch eine Kleingartenidylle<br />
herrschte, verlaufen nun <strong>die</strong> breiten Spuren<br />
eines Raupenbaggers, <strong>die</strong> sich in den Boden<br />
gefressen haben. Die Kleingärten vor den<br />
Häusern an der Michaelisstraße 16c-r gibt es<br />
nicht mehr. Ein Bagger hat sie umgepflügt.<br />
Der Bauverein baut auf <strong>die</strong>sem Gelände 83<br />
Sozialwohnungen. Empörte Anwohner und<br />
Anwohnerinnen haben den Grünen mitgeteilt,<br />
mit welcher Rücksichtslosigkeit der<br />
Bauverein dabei vor<strong>geht</strong>. Am 5. Mai gegen<br />
12 Uhr läßt der Bauverein ein Schreiben in<br />
<strong>die</strong> Briefkasten der Häuser Michaelisstraße<br />
16c-r werfen. Den sehr geehrten Mietern<br />
wird mitgeteilt, daß „im Rahmen der Baumaßnahmen<br />
eine Zufahrt für Baufahrzeuge<br />
gebraucht wird“ und „da vor den Gebäuden<br />
Gärten angelegt sind, müssen wir <strong>die</strong> betreffenden<br />
Mieter leider auffordern, sämtliche<br />
Gerätschaften von dem Gelände zu entfer-<br />
nen.“ Unterzeich<strong>net</strong> – mit freundlichen<br />
Grüßen – Bauverein AG.<br />
Doch schon zwei Stunden später – gegen 14<br />
Uhr – rollt der Bagger an und verwüstet <strong>die</strong><br />
Gärten. Es werden vollendete Tatsachen<br />
geschaffen; <strong>die</strong> meisten Mieter sind an ihren<br />
Arbeitsplätzen und haben keine Möglichkeit,<br />
auf das Schreiben zu reagieren. Als sie von<br />
der Arbeit kommen, bietet sich ihnen ein<br />
schrecklicher Anblick. Die Gärten, in <strong>die</strong> sie<br />
vor kurzem noch neue Pflanzen eingesät<br />
haben, sind untergepflügt.<br />
Für <strong>die</strong> Mieter der Michaelisstraße ist das<br />
Vorgehen des Bauvereins ein reiner Willkürakt,<br />
der zeigt, daß der Bauverein nicht mit<br />
ihnen zusammenarbeiten will. Dieser<br />
Umgang des Bauvereins mit seinen Mietern<br />
ist nach Ansicht der Grünen nicht mehr tolerierbar.<br />
Die Grünen fordern, daß der Bauverein<br />
<strong>die</strong> Anwohner in seine Bauplanung miteinbezieht,<br />
damit sie ihre Interessen in <strong>die</strong>sem<br />
Bauprojekt einbringen können. Denn<br />
nur so könnten Konflikte im Vorfeld beigelegt<br />
werden, <strong>die</strong> entstehen, weil der Bauverein als<br />
Investor das Gelände maximal ausnutzen<br />
will, <strong>die</strong> Anwohner aber natürlich Wert auf<br />
Qualität der neuen Wohneinheiten legen.<br />
Newroz – Kein Fest des Friedens und der Freude<br />
Nach einem einwöchigen Aufenthalt<br />
als Teilnehmerlnnen<br />
einer internationalen Beobachterdelegation<br />
in türkisch<br />
Kurdistan erklären Angelika<br />
Beer, Mitglied im Bundesvorstand <strong>die</strong> Grünen<br />
und Claudia Roth, Grüne Europaabgeord<strong>net</strong>e<br />
und Abgesandte des Unterausschusses<br />
für Menschenrechte des Europaparlamentes:<br />
Der von den Grünen unterstützte Aufruf, als<br />
Beobachter am <strong>die</strong>sjährigen Newroz-Fest in<br />
türkisch Kurdistan teilzunehmen, hatte zum<br />
Ziel, sich über <strong>die</strong> aktuelle Menschenrechtssituation<br />
in der Region zu informieren sowie<br />
durch <strong>die</strong> internationale Aufmerksamkeit der<br />
kurdischen Bevölkerung Schutz vor einer<br />
Wiederholung des Blutbades im Jahr 1992 zu<br />
bieten. Ca. 40 internationale Beobachterlnnen<br />
aus sechs Ländern (Norwegen, Finnland,<br />
Deutschland, Niederlande, Belgien und der<br />
Schweiz) waren zwischen dem 18. und 26.<br />
März in verschiedenen kurdischen Dörfern<br />
und Städten. Zu den Delegationen zählten Abgeord<strong>net</strong>e<br />
nationaler Parlamente, des Europaparlaments,<br />
von Länderparlamenten, Vertreterlnnen<br />
von Parteien, der Friedensbewegung,<br />
von Universitäten, Kirchen, Menschenrechtsorganisationen,<br />
Presse und Me<strong>die</strong>n.<br />
1. Augenzeugenberichte der Beobachterlnnen<br />
und andere Quellen, wie Berichte von<br />
Menschenrechtsorganisationen, Zeitungen,<br />
Radio und Fernsehen lassen uns zu folgendem<br />
Ergebnis kommen:<br />
• Bereits vor dem Newroz-Fest am 21.03. ist<br />
es zu massiven Einschüchterungsversuchen<br />
und Übergriffen der türkischen Militär- und<br />
Polizeieinheiten gekommen. Kurdische<br />
Städte wie Van wurden militärisch umstellt.<br />
Die Bevölkerung des im letzten Herbst von<br />
der Türkei zerstörten Dorfes Sirnak wurde<br />
gezwungen, <strong>die</strong> Region zu verlassen. Es kam<br />
zu zahlreichen Festnahmen und Verhaftungen<br />
vor und während des Tages. Eine Kinderdemonstration<br />
in Cizre, wo <strong>die</strong> türkischen<br />
Sicherheitskräfte im März 1992 ein Blutbad<br />
anrichteten, wurde militärisch unter Einsatz<br />
von Schußwaffen – auch gegen eine Gruppe<br />
von Journalisten – aufgelöst. Nach vorläufigen<br />
Berichten der kurdischen Menschenrechtsvereine<br />
gibt es zwei Tote in den kurdischen<br />
Provinzen. Es ist von mindestens 200<br />
Verhaftungen auszugehen. Eine noch nicht<br />
bekannte Zahl von Menschen wird bis heute<br />
in den Gefängnissen festgehalten.<br />
Die internationalen Beobachter und Journalisten<br />
wurden in ihrer Arbeit behindert und<br />
pausenlos von bewaff<strong>net</strong>en Zivilpolizisten<br />
verfolgt, <strong>die</strong> offensichtlich den direkten Kontakt<br />
<strong>zur</strong> Bevölkerung verhindern wollten.<br />
Die vor allem aus NVA- und US-Beständen<br />
stammenden Panzer <strong>zur</strong> „Verteidigung“ der<br />
Türkei richteten ihre Zielrohre auf zivile Projekte<br />
(Busstationen, Privatwohnungen,<br />
Hotels). In Diyarbakir wurden in der Nacht<br />
des 21.03. zwei Wohnblöcke mit Panzerartillerie<br />
und Maschinengewehrsalben unter<br />
Beschuß genommen.<br />
• Die Aufmerksamkeit der internationalen<br />
Öffentlichkeit meidend, hat der Einsatz türkischer<br />
Sicherheitskräfte gegen das Newroz-<br />
Fest in Adana, Westtürkei, zu vier Todesopfern<br />
und zahlreichen Verwundeten<br />
(Schußverletzungen) geführt.<br />
• Trotz des militärischen Belagerungszustandes<br />
und zahlreichen Provokationen von<br />
staatlicher Seite ist es dem Verhalten des<br />
kurdischen Volkes und dem zuvor von der<br />
PKK verkündeten einseitigen Waffenstillstand<br />
zu verdanken, daß es anläßlich des<br />
Newroz-Festes nicht zu der von der türkischen<br />
Regierung angekündigten militärischen<br />
Lösung des „Kurdenproblems“<br />
gekommen ist.<br />
• Das kurdische Volk hat in <strong>die</strong>sen Tagen eindrucksvoll<br />
gezeigt, daß es den Frieden will<br />
und nicht Gewalt. Es hat sich trotz aller Versuche<br />
von türkischer staatlicher Seite nicht<br />
provozieren lassen.<br />
Newroz war nicht das Fest des Friedens und<br />
der Freude. Newroz 1993 war nicht ein Tag,<br />
an dem <strong>die</strong> Kurdlnnen feiern und ihr Recht<br />
auf Ausdrucksfreiheit wahrnehmen konnten.<br />
Dennoch hat das kurdische Volk alles getan,<br />
seine Dialogbereitschaft mit dem türkischen<br />
Staat unter Beweis stellen.<br />
2. Wir sind der festen Überzeugung, daß das<br />
kurdische Volk in der Türkei endlich uneingeschränkt<br />
seine legitimen Rechte bekommen<br />
muß. Wir sind davon überzeugt, daß <strong>die</strong>se<br />
Rechte und <strong>die</strong> den Kurdlnnen zustehenden<br />
Freiheiten nur durch einen politischen Dialog<br />
zu erreichen sind. Aus <strong>die</strong>sem Grunde begrüßen<br />
wir <strong>die</strong> Erklärung eines einseitig befristeten<br />
Waffenstillstands durch den Generalsekretär<br />
der PKK. Sowohl das Angebot der<br />
PKK, keinen unabhängigen kurdischen Staat<br />
losgelöst von der Türkei anzustreben als auch<br />
ihr Vorschlag, sich am Verhandlungstisch für<br />
<strong>die</strong> Rechte der Kurdlnnen einzusetzen, eröffnen<br />
<strong>die</strong> vielleicht einmalige historische Chance<br />
für einen Frieden in türkisch Kurdistan. Ein<br />
Hoffnungsschimmer im schmutzigen Krieg,<br />
der seit vielen Jahren tobt.<br />
<strong>Nur</strong> wenn <strong>die</strong> türkische Regierung ihre nationalistisch-chauvinistische<br />
Haltung aufgibt,<br />
nur wenn sie <strong>die</strong>ses Angebot als solches<br />
annimmt, nur wenn sie ab<strong>geht</strong> von der fatalen<br />
Auffassung, das kurdische Problem könne<br />
militärisch gelöst werden, nur dann wird<br />
es wirklich eine Perspektive für das kurdische<br />
und türkische Volk in der Türkei geben.<br />
Die Demokratisierung der Türkei ist nicht<br />
losgelöst von der friedlichen politischen<br />
Lösung der Kurdenfrage realisierbar.<br />
Wir appellieren an <strong>die</strong> türkische Regierung,<br />
<strong>die</strong>se Gelegenheit wahrzunehmen und<br />
tatsächlich einen ernsthafter politischen Dialog<br />
mit den Repräsentanten des kurdischen<br />
Volkes zu beginnen, der auf demokratischen<br />
Prinzipien beruhen muß und eine vollständige<br />
Verwirklichung der Rechte des kurdischen<br />
Volkes und <strong>die</strong> sofortige Beendigung<br />
der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen<br />
in der Türkei bedingt.<br />
Als Sofortmaßnahmen fordern wir von der<br />
türkischen Seite:<br />
• <strong>die</strong> Erwiderung des Waffenstillstandes<br />
• <strong>die</strong> Aufhebung des Ausnahmezustandes<br />
und den Rückzug aus den kurdischen Provinzen<br />
• <strong>die</strong> Abschaffung des „Dorfschützersystems“<br />
• <strong>die</strong> Abschaffung des Anti-Terror-Gesetzes<br />
• <strong>die</strong> Legalisierung und Zulassung der kurdischen<br />
Parteien<br />
• <strong>die</strong> uneingeschränkte Gewährung aller<br />
politischen und kulturellen Rechte für <strong>die</strong><br />
Kurden<br />
• <strong>die</strong> Aufklärung und Ahndung der Verbrechen,<br />
<strong>die</strong> von Sicherheitskräften, Sondereinheiten<br />
und Mitgliedern des Militärs begangen<br />
wurden<br />
• uneingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit<br />
• Wiederaufbau der über 300 zerstörten kurdischen<br />
Dörfer und Umsetzung eines wirtschaftlichen<br />
Förderprogrammes<br />
Wir fordern den UN-Generalsekretär auf, mit<br />
der türkischen Regierung zu vereinbaren,<br />
BeobachterInnen in alle kurdische Provinzen<br />
zu entsenden, um <strong>die</strong> Einführung und Einhaltung<br />
der Menschenrechte zu überprüfen.<br />
Die Grünen fordern <strong>die</strong> europäischen Regierungen<br />
auf, positiv auf <strong>die</strong>ses Waffenstillstandsangebot<br />
zu reagieren und ihren Einfluß<br />
auf <strong>die</strong> Türkei geltend zu machen, endlich<br />
<strong>die</strong>sen politischen Weg zu beschreiten.<br />
Darüber hinaus fordern wir alle Staaten –<br />
und hier insbesondere <strong>die</strong> Regierungen der<br />
USA, Rußlands und Deutschlands – auf, <strong>die</strong><br />
militärische Aufrüstung der Türkei sofort zu<br />
beenden und bereits bestehende Zusagen<br />
für weitere Waffenlieferungen zu revi<strong>die</strong>ren.<br />
Dies gilt insbesondere für <strong>die</strong> Lieferungen<br />
der Phantom-Jagdflugzeuge aus Deutschland.<br />
Wir fordern von der deutschen Bundesregierung<br />
und den Ländern:<br />
• politischen Druck auf <strong>die</strong> türkische Regierung<br />
auszuüben, den Waffenstillstand und<br />
das Verhandlungsangebot der PKK zu erwidern<br />
• den undemokratischen Prozeß nach § 129a<br />
gegen Mitglieder der PKK in Deutschland<br />
einzustellen<br />
• durch den sofortigen Stopp der Rüstungslieferungen<br />
<strong>die</strong> Voraussetzungen zu schaffen,<br />
daß der Waffenstillstand nicht mit aus<br />
Deutschland gelieferten Waffen gebrochen<br />
wird<br />
• daß keine Abschiebungen an <strong>die</strong> Türkei<br />
vorgenommen werden<br />
• Gewährung der kulturellen Rechte der bei<br />
uns lebenden Kurdlnnen, wie muttersprachlichen<br />
Unterricht, Radio und Fernsehsendungen.<br />
Die Grünen sehen bis <strong>zur</strong> Umsetzung <strong>die</strong>ser<br />
Forderungen keinen Grund <strong>zur</strong> Entwarnung.<br />
Bis <strong>zur</strong> Durchsetzung der Menschenrechte<br />
in der Türkei werden wir an dem Aufruf zum<br />
Tourismusboykott der Türkei festhalten und<br />
uns – wie mit der von uns gestellten Strafanzeige<br />
gegen <strong>die</strong> deutsche Bundesregierung<br />
wegen Beihilfe zum Völkermord – für einen<br />
generellen, zeitlich unbegrenzten Rüstungsexportstopp<br />
einsetzen.<br />
Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 11<br />
Standort<br />
Darmstadt nicht<br />
aufs Spiel setzen<br />
„Spannend, aber auch beunruhigend!“<br />
– Mit <strong>die</strong>ser Beurteilung<br />
der laufenden Koalitionsverhandlungen<br />
zwischen<br />
SPD, CDU und Grünen bringen<br />
<strong>die</strong> Darmstädter Liberalen ihre Sorge<br />
auf den Punkt, daß wichtige Grundsätze<br />
erfolgreicher Stadtentwicklung auf dem<br />
Altar grüner Idyllen geopfert werden könnten.<br />
Kaum zu verstehen sei zum Beispiel, so<br />
Ruth Wagner als <strong>OB</strong>-Kandidatin der FDP,<br />
daß sowohl <strong>die</strong> CDU als auch <strong>die</strong> Sozialdemokraten<br />
in Sachen Gewerbeansiedlung<br />
und Ausweisung neuer Wohngebiete den<br />
Grünen „extrem weit“ entgegengekommen<br />
seien.<br />
Dr. Dierk Molter, Fraktionsvorsitzender der<br />
FDP im Stadtparlament, teilt <strong>die</strong>se Meinung.<br />
Er hält es für unverantwortlich, in<br />
Zeiten schwieriger Konjunktur und gefährdeter<br />
Arbeitsplätze „auch im krisensicheren<br />
Darmstadt“ einen stadtwirtschaftlich so<br />
restriktiven Kurs zu fahren, wie <strong>die</strong> Grünen<br />
ihn als Preis für eine Koalition fordern.<br />
Anstatt den Raumordnungsplan mit seinem<br />
viel zu niedrigen Gewerbeansiedlungsmöglichkeiten<br />
zu korrigieren, verstünden sich<br />
<strong>die</strong> Darmstädter Grünen offenbar als verlängerter<br />
Arm ihrer Wiesbadener Kollegen.<br />
Und <strong>die</strong>s, obwohl auch den Grünen bekannt<br />
sein dürfte, daß <strong>zur</strong> ständig notwendigen<br />
Modernisierung von Arbeitsplätzen Platz<br />
für Gewerbeansiedlungen dringend<br />
gebraucht würde, betont Dr. Molter.<br />
Regelrecht alarmiert reagierten <strong>die</strong> Darmstädter<br />
Liberalen auf <strong>die</strong> bisherigen Verlautbarungen<br />
<strong>zur</strong> Verkehrspolitik. „Wer <strong>die</strong><br />
Nordostumgehung aufs Spiel setzt, zementiert<br />
das Verkehrschaos und <strong>die</strong> Belastung<br />
der Martinsviertler“, erklärt Ruth Wagner,<br />
<strong>die</strong> sich in Bonn und Wiesbaden für <strong>die</strong><br />
Wiederaufnahme <strong>die</strong>ser Straße in <strong>die</strong> Prioritätenliste<br />
des Bundes vehement eingesetzt<br />
hat und nun befürchtet, daß <strong>die</strong><br />
Straßenbaumaßnahme erneut „abrutscht“:<br />
das wäre dann das endgültige Aus für <strong>die</strong><br />
Nordostumgehung – und ein nicht wiedergutzumachender<br />
Schaden für <strong>die</strong> Stadt, so<br />
<strong>die</strong> <strong>OB</strong>-Kandidatin.<br />
Die F.D.P. fordert <strong>die</strong> Landesregierung, vor<br />
allem <strong>die</strong> Grünen in Wiesbaden auf, <strong>die</strong><br />
Nordostumgehung wieder in den Raumordnungsplan<br />
Südhessen aufzunehmen.<br />
„Die sich anbahnende rot-grüne Koalition in<br />
Darmstadt erfordert jetzt erst recht <strong>die</strong><br />
<strong>Wahl</strong> von Ruth Wagner <strong>zur</strong> Oberbürgermeisterin,<br />
<strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem verantwortungsvollen<br />
Amt mit ihrer Integrationskraft und liberalem<br />
Ausgleich eine negative Stadtentwicklung<br />
für Darmstadt verhindern kann“, so<br />
der Kreis- und Fraktionsvorsitzende<br />
Dr. Dierk Molter.<br />
Tiefgreifende<br />
Verfilzung<br />
Mangelnde Sensibilität wertet<br />
der CDU-Fraktionsvorsitzende<br />
Dr. Rüdiger Moog <strong>die</strong><br />
Bekenntnisse städtischer Mitarbeiter<br />
und der Direktoren<br />
städtischer Gesellschaften für den SPD-<br />
Kandidaten. Ein Indiz für <strong>die</strong> tiefgreifende<br />
Verfilzung zwischen Parteibindung und leitenden<br />
Posten im Dienste der Stadt werde<br />
hier deutlich. Was seien Bekenntnisse wert,<br />
<strong>die</strong> Mitarbeiter der Stadt gegenüber ihrem<br />
Arbeitgeber und Dienstvorgesetzten abgäben,<br />
fragt der CDU-Fraktionsvorsitzende.<br />
Es sei kein Zeichen von gutem Geschmack<br />
materiell Abhängige zu Solidaritätsadressen<br />
zu veranlassen.<br />
„Es kratzt uns wenig, daß ein großer Teil der<br />
Sympathisanten des SPD-Kandidaten im<br />
Umland wohnen und ihn gar nicht wählen<br />
können, wie <strong>die</strong> Anzeigen glauben machen<br />
wollen,“ stellt Dr. Moog fest. Wenn aber<br />
Direktor Blechschmidt, zugleich <strong>Wahl</strong>kampfleiter<br />
der SPD, hinter seinen Namen<br />
schlicht mit „HEAG“ firmiere, müßten sich<br />
Betriebsrat und Belegschaft verschaukelt<br />
vorkommen. Das Unternehmen mit seinen<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei<br />
schließlich mehr als ein Mann an der Spitze.<br />
Die Zeitung für Darmstadt druckt Parteienmeldungen grundsätzlich<br />
unverändert. Ausgenommen sind Schreib- und Grammatikfehler<br />
sowie Wiederholungen. Inhaltliche auch politische Änderungen<br />
werden nicht angebracht und auch nichts hinzugefügt. Die Briefe<br />
geben nicht <strong>die</strong> Meinung der Redaktion wieder.
„Wer<br />
liest denn <strong>die</strong>se<br />
Zeitung überhaupt?“<br />
fragte <strong>die</strong><br />
Pressesprecherin der CDU. Die Antwort<br />
wollen wir ihr nach drei Jahren<br />
Erscheinens der ZD nicht schuldig<br />
bleiben: Es gibt DarmstädterInnen, <strong>die</strong><br />
kennen <strong>die</strong> ZD grundsätzlich nur als<br />
Kopie, da es sich bei Parteien und<br />
Behörden längst eingebürgert hat, daß<br />
frau/man zwar wissen will, was da<br />
gerade mal wieder drin steht, aber<br />
abonnieren? – so etwas kann man doch<br />
nicht unterstützen und wenn das erst<br />
der Vorgesetzte erfahren würde – nein,<br />
das <strong>geht</strong> nicht! Da <strong>die</strong> Exemplare auch<br />
an Kiosken meist ausverkauft sind,<br />
wird halt kurzerhand kopiert.<br />
Dennoch gibt es inzwischen mehr als<br />
1.500 DarmstädterInnen, <strong>die</strong> zum<br />
regelmäßig zahlenden LeserInnenkreis<br />
zählen und interessant ist, daß am<br />
Oberfeld prozentual <strong>die</strong> meisten Abonnenten<br />
sitzen, ansonsten verteilt sich<br />
der Bezug gründlich und gleichmäßig<br />
durch sämtliche Stadtteile – mit Ausnahme<br />
von Wixhausen. Dort lebt man<br />
wohl weiter von Darmstadt weg als in<br />
München, wo wir mehr LeserInnen<br />
haben.<br />
Wir möchten uns bei unseren Abonnent-Innen<br />
für <strong>die</strong> Treue bedanken –<br />
ohne sie gäbe es keine ZD mehr; auffällig<br />
ist, daß lediglich 23 Kündigungen<br />
seit Gründung zu verzeichnen<br />
waren. Das macht uns Mut und<br />
bestätigt, daß Darmstadt nicht so verschlafen<br />
und provinziell ist, wie es<br />
manche Leute glauben machen möchten.<br />
Da nur jeder Zehnte in der Bundesrepublik<br />
überhaupt Zeitung liest (und davon<br />
noch <strong>die</strong> meisten ihre morgendliche<br />
BILD), ist der Markt in Darmstadt bei<br />
55.000 Haushalten doch sehr eng. Auflagenprüfer<br />
rechnen bei Tageszeitungen<br />
im Durchschnitt mit 2,4 MitleserInnen<br />
und bei Wochenzeitungen gar<br />
mit nochmaliger Verdoppelung – so<br />
besehen hat <strong>die</strong> ZD schon zwischen<br />
7.000 bis 8.000 DarmstädterInnen, <strong>die</strong><br />
mal mehr mal weniger erfreut sind über<br />
das, was wir wieder einmal an <strong>die</strong><br />
Öffentlichkeit gezerrt haben. Rein<br />
rechnerisch zählen somit schon mehr<br />
als 5% der knapp 140.000 DarmstädterInnen<br />
zu unserem Leserkreis. Sehr<br />
viel mehr Wachstum ist nicht drin, sollte<br />
man meinen.<br />
Doch es <strong>geht</strong> in steter Regelmäßigkeit<br />
mit rund 45% Zuwachs an Abos pro<br />
Jahr bergauf. Allein 1991 hat <strong>die</strong> ZD<br />
<strong>die</strong> <strong>Hälfte</strong> von 800 Echo-müden<br />
DarmstädterInnen als ZeitungsleserInnen<br />
retten können. Denn nicht Konkurrenz<br />
steht an, sondern Presse-Vielfalt.<br />
Zum einen ist <strong>die</strong> Redaktion der ZD<br />
viel zu klein, um auch nur annähernd<br />
mit der im Umfang auf das Doppelte<br />
angewachsenen Berichterstattung des<br />
DE mithalten zu können, und <strong>die</strong><br />
Aktualität macht eine Tageszeitung zu<br />
einem prinzipiell anderen Informationsträger.<br />
Dafür kann oder will <strong>die</strong> ZD<br />
kein Ersatz sein. Das sehen nicht alle<br />
unserer LeserInnen so: Vor zwei Jahren<br />
gab es 42% Prozent, <strong>die</strong> ihre ZD als<br />
einzige Darmstädter Zeitung gelesen<br />
haben, neuere Zahlen wird <strong>die</strong> jetzige<br />
Umfrage ergeben.<br />
Dennoch sorgen unter anderem <strong>die</strong><br />
Stadtverwaltung, der Regierungspräsident<br />
und viele andere für Benachteiligung<br />
der ZD-LeserInnen, indem<br />
sie ihre Zensur ungeachtet aller Gesetze<br />
weiter betreiben. Da so gut wie alle<br />
eingehenden Parteimeldungen veröffentlicht<br />
werden, sieht man es schwarz<br />
auf weiß: Von der SPD kommt seit<br />
<strong>Wahl</strong>kampfbeginn nichts mehr in der<br />
Redaktion an, nicht einmal mehr <strong>die</strong><br />
Termine von <strong>Wahl</strong>kampfveranstaltungen.<br />
Das ist heute aber nicht von großer<br />
Bedeutung, denn unsere Informant-<br />
Innen finden wir inzwischen überall.<br />
Allerdings schränkt <strong>die</strong> Zensur <strong>die</strong><br />
Berichterstattung ein, etwa wenn unsere<br />
Fragen für eigene Berichte gar nicht<br />
oder nur halb beantwortet werden.<br />
Wegen des <strong>OB</strong>-Wechsels haben wir<br />
juristische Schritte aufgeschoben, doch<br />
gilt <strong>die</strong> Metzger’sche Linie auch für <strong>die</strong><br />
Zukunft, dann werden <strong>die</strong> Juristen wieder<br />
viel zu tun haben.<br />
Viel härter als <strong>die</strong> inhaltliche Zensur<br />
trifft <strong>die</strong> ZD der gesetzwidrige Anzeigenboykott<br />
der stadteigenen Betriebe<br />
und der Stadtverwaltung selbst. In den<br />
drei Jahren, in denen <strong>die</strong> ZD erscheint,<br />
ist keine einzige Anzeige geschaltet<br />
worden; dagegen werden alle Zeitungen<br />
nicht nur von der Stadt- und Kreissparkasse,<br />
der Südhessischen, der<br />
HEAG und anderen finanzstarken städ-<br />
Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 20<br />
Wollen wir ein „Radio für Darmstadt“?<br />
Drei Jahre ZD: Geschichte eines anhaltenden Boykotts und fortgesetzter Gesetzesverstöße<br />
Für Pressevielfalt: Eine Umfrage, eine Petition und vielleicht ein neues Projekt<br />
✁<br />
Petition pro Lokalradio<br />
Wir, <strong>die</strong> UnterzeichnerInnen, bitten <strong>die</strong> Hessische Landesregierung, <strong>die</strong><br />
Zulassung von lokalen und regionalen Rundfunksendern in <strong>die</strong> Novelle des<br />
Landesrundfunkgesetzes aufzunehmen. Für <strong>die</strong> Erfüllung des Verfassungsauftrages<br />
halten wir <strong>die</strong> Freigabe von Lokal- und Regionalsendern für unumgänglich.<br />
In der Hessischen Verfassung heißt es in Artikel 10: „Niemand darf … in der<br />
Verbreitung seiner Werke gehindert werden“, und in § 1 des „Hessischen<br />
Gesetzes über Freiheit und Recht der Presse“ bestimmt der Gesetzgeber: „Die<br />
Presse ist frei. Sie ist befugt, sich Nachrichten … zu beschaffen und sie zu veröffentlichen<br />
… . Eine Zensur findet nicht statt“. Unter § 2, Zulassungsfreiheit,<br />
bestimmt der Gesetzgeber noch deutlicher: „Die Pressetätigkeit darf von<br />
keinerlei Zulassung abhängig gemacht werden“.<br />
Deshalb halten wir <strong>die</strong> Zulassung von Lokal- und Regionalsendern für eine<br />
wichtige Voraussetzung der gesetzlich zugesicherten Pressefreiheit.<br />
Nachname, Vorname Ort Unterschrift<br />
Bitte schicken an: Zeitung für Darmstadt, Postfach 10 43 23, W-6100 Darmstadt<br />
tischen Unternehmen (meist in den<br />
Führungspositionen mit Parteigänger-<br />
Innen besetzt) über Anzeigen gesponsert.<br />
Gerade so als ob der Grundsatz der<br />
Gleichbehandlung der Presse sich zwar<br />
auf dem Papier gut macht, aber mit der<br />
Wirklichkeit der parteipolitischen<br />
Machtverhältnisse nichts zu tun hätte.<br />
Gleich ob eine Stadtteil-Zeitung neu<br />
erscheint, ein Kinoblatt sich ganz aus<br />
dem politischen Geschehen <strong>zur</strong>ückzieht<br />
oder ein Heiner offen PR-<br />
Falschnachrichten verbreitet, gestützt<br />
wird alles. Sogar neu erscheinende<br />
Anzeigenblätter sponsert <strong>die</strong> Stadt.<br />
Direkte Zuschüsse erhält das Frauenblatt<br />
„Mathilde“.<br />
Die ZD war Ende vergangenen Jahres<br />
in der Kostendeckung, aber <strong>die</strong> offenen<br />
Drohungen von <strong>OB</strong>-Metzger gegen<br />
AnzeigenkundInnen der ZD („Wenn<br />
Sie in dem Blatt inserieren, bekommen<br />
sie keine städtischen Aufträge mehr“)<br />
und <strong>die</strong> langsam spürbar werdende<br />
Wirtschaftsflaute haben <strong>die</strong> Einnahmen<br />
kräftig verringert. Viele Geschäftsleute,<br />
<strong>die</strong> gern inserieren würden,<br />
fürchten noch immer mögliche<br />
Nachteile von seiten der Stadt. Gleichzeitig<br />
mußten wir eine erstaunliche<br />
Erfahrung machen: Viele LeserInnen<br />
interessieren sich zuerst für <strong>die</strong> Anzeigen<br />
als Informationsträger – für das,<br />
womit sich neue Wünsche erfüllen lassen,<br />
gerade so, als ob <strong>die</strong>s das Wichtigste<br />
sei.<br />
Nicht nur <strong>die</strong> Frage, wer das Blatt liest,<br />
auch warum wir es machen, wird<br />
immer wieder gestellt. Auch <strong>die</strong>se Antwort<br />
bleiben wir nicht schuldig: Wie<br />
kann sich eine Stadt weiter entwickeln,<br />
wie sich kritisches Bewußtsein formen,<br />
wenn nur eine Seite der Wirklichkeiten<br />
dargestellt wird? Außerdem macht uns,<br />
dem Zeitungsteam, der Job Spaß, und<br />
wir sind von der Notwendigkeit einer<br />
zweiten Zeitung überzeugt – für Vielfalt<br />
und gegen Einäugigkeit.<br />
Die Redaktion hat aus den genannten<br />
Gründen beschlossen, auf jeden Fall<br />
<strong>die</strong> ZD bis Dezember weiter erscheinen<br />
zu lassen und <strong>die</strong> LeserInnen um<br />
Unterstützung durch Abonnements und<br />
durch Beteiligung an der „Darmstädter<br />
Initiative für <strong>die</strong> Förderung der Pressevielfalt“<br />
zu bitten. Von 500 bis zu<br />
50.000 Mark können Einlagen gezeich-<br />
✁<br />
<strong>net</strong> werden, <strong>die</strong> jährlich mit sieben Prozent<br />
verzinst werden. Weitere Informationen<br />
erteilt <strong>die</strong> ZD auf Anfrage. Ob<br />
Darmstadt auch künftig eine zweite<br />
Zeitung haben wird, hängt somit vom<br />
Interesse und der Reaktion der LeserInnen<br />
ab.<br />
Gleichzeitig bitten wir, unsere Umfrage<br />
zu beantworten (siehe unten) und sie<br />
an <strong>die</strong> Redaktion zu schicken. Sie ist<br />
erforderlich, um eine Klage gegen den<br />
Innenminister des Landes Hessen zu<br />
begründen. Per Erlaß hat er angeord<strong>net</strong>,<br />
daß Zeitungen, <strong>die</strong> nicht wöchentlich<br />
erscheinen, von den öffentlichen<br />
Bekanntmachungen auszuschließen<br />
sind. Dies ist verfassungswidrig, denn<br />
auch unsere LeserInnen, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong><br />
Echo-Lektüre verzichten, haben den<br />
Anspruch, von Ausschreibungen, Stellenangeboten<br />
und Offenlegungen von<br />
Bauplänen u.a. informiert zu sein. Die<br />
Auswertung der beantworteten Fragen<br />
bleibt ganz sicher anonym.<br />
Die beiliegende Petition an den Landtag<br />
für <strong>die</strong> Zulassung von regionalen<br />
Radiosendern bitten wir, von möglichst<br />
vielen Bekannten, Verwandten und<br />
FreundInnen mit unterzeichnen zu<br />
lassen; <strong>die</strong> Listen veröffentlichen wir<br />
vollständig, bevor sie an <strong>die</strong> Landesregierung<br />
weitergeleitet werden.<br />
Im vielgeschmähten Bayern beispielsweise<br />
(oder auch in Baden-Württemberg)<br />
ist <strong>die</strong>s längst erlaubt. Der ZD<br />
gäbe ein eigener lokaler Sender <strong>die</strong><br />
Möglichkeit, auch aktuelle Nachrichten<br />
zu verbreiten. Derzeit berät <strong>die</strong><br />
Hessische Staatskanzlei über eine<br />
Novelle des Landesrundfunkgesetzes,<br />
das <strong>die</strong>s heute verbietet. Je breiter der<br />
öffentliche Wunsch nach Regionalsendern<br />
ist, desto eher bestehen Chancen,<br />
<strong>die</strong>s durchzusetzen. Helfen Sie mit, ein<br />
Mehr an Demokratie und ein Mehr an<br />
unzensierter Information durchzusetzen.<br />
Sowie uns <strong>die</strong> Erlaubnis für einen<br />
Regionalsender vorliegt, wird es ein<br />
„Radio für Darmstadt“ mit regelmäßigen<br />
Nachrichten geben.<br />
Übrigens: Darmstadts Grüne haben wir<br />
gebeten, den Grundsatz der Gleichbehandlung<br />
der Presse mit in ihre<br />
Koalitionsverhandlungen einzubeziehen<br />
– ob daraus etwas wird? Immerhin<br />
waren sie <strong>die</strong> einzige Partei, <strong>die</strong> bisher<br />
Werbung für Ihren <strong>OB</strong>-Kandidaten<br />
auch in der ZD geschaltet hat.<br />
Das Zeitungsteam<br />
Für wen schreiben wir? Umfrage der ZD<br />
Ich bin…<br />
❑ weiblich<br />
❑ männlich<br />
❑ unter 20 Jahre<br />
❑ 20 – 30 Jahre<br />
❑ 31 – 45 Jahre<br />
❑ 46 – 60 Jahre<br />
❑ über 60 Jahre<br />
❑ berufstätig<br />
❑ in Ausbildung<br />
Ich wohne in…<br />
❑ Darmstadt<br />
❑ Arheilgen<br />
❑ Eberstadt<br />
❑ Landkreis DA<br />
❑ Bergstraße<br />
❑ Odenwald<br />
❑ anderswo<br />
❑ Zweitwohnung<br />
Ich lese <strong>die</strong> ZD…<br />
❑ ab und zu<br />
❑ regelmäßig<br />
❑ bei FreundInnen<br />
❑ in Café/Kneipe/<br />
Arztpraxis etc.<br />
❑ wenn irgendwo<br />
eine rumliegt<br />
❑ Ich kaufe <strong>die</strong> ZD<br />
❑ Ich habe ein Abo<br />
Ich lese auch…<br />
❑ das DE<br />
❑ <strong>die</strong> FAZ<br />
❑ <strong>die</strong> FR<br />
❑ <strong>die</strong> taz<br />
❑ andere Tageszeitung<br />
❑ and. Wochenzeitung<br />
Aktuelle Nachrichten<br />
beziehe ich aus…<br />
❑ dem Fernsehen<br />
❑ Hörfunk hr1<br />
❑ Hörfunk hr3<br />
❑ Hörfunk hr4<br />
❑ Hörfunk FFH<br />
❑ Hörfunk RPR<br />
❑ …………………<br />
Folgende Themen interessieren mich besonders:<br />
…………………………………………………………………<br />
…………………………………………………………………<br />
Folgende Themen vermisse ich in der ZD:<br />
…………………………………………………………………<br />
…………………………………………………………………<br />
Ein Radio für Darmstadt wäre:<br />
…………………………………………………………………<br />
…………………………………………………………………<br />
Zur Vielfalt und Verbreitung der ZD<br />
will ich beitragen durch meine<br />
❑ privaten An- und Verkaufs-Anzeigen (gratis)<br />
❑ Stellengesuche (gratis), -angebote (halber Preis)<br />
❑ Familienanzeigen (halber Preis)<br />
❑ Gruß-/Spaß-Anzeigen (gratis, soweit Platz vorhanden)<br />
❑ Wohnungssuch- und -angebotsanzeigen (gratis)<br />
❑ bezahlten Geschäftsanzeigen<br />
(bitte schicken Sie mir eine Anzeigenpreisliste!)<br />
Die ZD ist mir lieb und teuer geworden:<br />
❑ für ein Jahres-Abo würde ich auch gern 90 DM bezahlen,<br />
wenn dadurch ihr Bestand zu sichern wäre (nur ’ne Frage!)<br />
❑ Bitte schicken Sie mir Unterlagen über <strong>die</strong><br />
Darmstädter Initiative für Pressevielfalt<br />
Ich lese <strong>die</strong> ZD…<br />
❑ vollständig<br />
❑ etwa <strong>zur</strong> <strong>Hälfte</strong><br />
an ……………………………………………………….………<br />
❑ einzelne Artikel<br />
……………………………………………………….………<br />
❑ Kulturkalender<br />
Adresse wird nur für den Versand der Unterlagen benötigt/verwendet!<br />
➔ Bitte bis 31. 5. 1993 einschicken an <strong>die</strong> Zeitung für Darmstadt, Postfach 10 43 23, W-6100 Darmstadt