23.01.2013 Aufrufe

OB-Wahl: Nur die Hälfte geht zur Urne - zfd-online.net

OB-Wahl: Nur die Hälfte geht zur Urne - zfd-online.net

OB-Wahl: Nur die Hälfte geht zur Urne - zfd-online.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

mit, daß das, was gesagt wird, zu dem, was<br />

zu sehen ist, gar nicht paßt.<br />

So spricht Marcello etwa gleich zu Beginn<br />

von der schneidenden Kälte im Künstleratelier<br />

– aus der armseligen Mansarde ist allerdings<br />

ein schickes „Loft“ geworden, ein<br />

Ambiente, das sich allenfalls ein vielbeschäftigter<br />

Gesellschaftsmaler leisten kann,<br />

– , <strong>die</strong> ihn immerhin dazu zwingt, eines seiner<br />

geliebten Bilder im Ofen zu verfeuern;<br />

gleichzeitig liegt ein nacktes Modell auf<br />

dem Diwan, dem offensichtlich keineswegs<br />

fröstelig zumute ist. Überhaupt <strong>die</strong> leichten<br />

Mädchen: Der Regisseur läßt zu jeder ihm<br />

passend scheinenden Gelegenheit Halbweltdamen,<br />

Cancan-Girls oder, wie wir heute<br />

sagen würden, „groupies“ auftreten.<br />

Frauen, will er wohl andeuten, sind bei<br />

Bohémiens, gestern wie heute, beliebig<br />

austauschbar. Bei Murger ist dem keineswegs<br />

so. Rodolfo aber wird, als er im drit-<br />

FEUILLETON II<br />

Keine Tränen für Snobs<br />

„La Bohème” von Giacomo Puccini im Staatstheater Darmstadt<br />

Kommod, allzu kommod und<br />

beiläufig stirbt’s sich in der<br />

neuen Version von Giacomo<br />

Puccinis Oper „La Bohème”<br />

am Staatstheater<br />

Darmstadt. Rodolfo stößt<br />

nach Mimis Tod sein<br />

markerschütterndes,<br />

von Orchesterfanfaren<br />

dramatisch untermaltes<br />

„Mimi … Mimi…!“<br />

heraus und <strong>geht</strong> dann<br />

auf den Balkon, wohl<br />

um ein Glas Sekt zu<br />

trinken.<br />

Schluß, Ende. Um das<br />

Finale der Oper kann<br />

sich Regisseur Peter<br />

Wunderlich halt nicht<br />

drücken, wenn’s auch<br />

<strong>zur</strong> Hauptidee seiner<br />

Inszenierung paßt wie<br />

<strong>die</strong> Faust aufs Auge. Diese<br />

Hauptidee besteht schlicht<br />

darin, daß er <strong>die</strong> Bohémiens<br />

zwar in ihrer Zeit beläßt, aber –<br />

schwups – vom unteren ans obere<br />

Ende der gesellschaftlichen Skala befördert.<br />

Und das war’s dann: Aus armen Teufeln<br />

werden spleenige Snobs.<br />

Wunderlich, dem Augenschein nach selbst<br />

ein Edel-Yuppie wie aus einem Film von<br />

Doris Dörrie entsprungen, will den Stoff<br />

scheinbar zeitgemäß rüberbringen, eben<br />

ein bißchen aktualisieren. Aber es langt –<br />

neben der Marotte, in jeder Szene zeitgenössische<br />

Fotoapparate unterzubringen<br />

– nur zu <strong>die</strong>ser einen Idee, und daraus läßt<br />

sich kein tragfähiges Regiekonzept ableiten.<br />

Vielleicht wollte der Regisseur der<br />

Geschichte sozusagen bloß seine persönliche<br />

Duftnote aufdrücken mit dem veröffentlichten<br />

Eingeständnis: „Seht her, auch<br />

ich war ein Bohémien!“ Aber <strong>die</strong>se moderne<br />

Spielart der Bohème hatte natürlich nicht<br />

am Hungertuch zu nagen, da war eher<br />

zuviel als zu wenig Geld vorhanden, da<br />

reimt sich Bohème auf mondän, und da<br />

wird auch Spießers Schlußfolgerung<br />

bestätigt, wo’s mondän zugehe, sei immer<br />

auch ein Schuß demi-monde im Spiel.<br />

Attitüden <strong>die</strong>ser Art stülpt Wunderlich<br />

jedenfalls über Puccinis populären Stoff<br />

und gibt ihn damit im Grunde der Lächerlichkeit<br />

preis.<br />

Das hat er nicht ver<strong>die</strong>nt, denn sowohl in<br />

der Romanvorlage Henry Murgers wie auch<br />

in Puccinis Adaption wird <strong>die</strong> Hauptfigur,<br />

der arme Bohémien als „Lebenskünstler“,<br />

ernstgenommen, zusammen mit seinem<br />

Ringen um <strong>die</strong> Kunst und um <strong>die</strong> materielle<br />

Bewältigung seines Daseins. Gewiß ist <strong>die</strong><br />

Geschichte auch ein sehr eigenwilliges<br />

Gemisch aus Sentimentalität und Pathos,<br />

doch wird <strong>die</strong>s gemildert durch Ironie und<br />

einen genau beobachteten Realismus. Murger,<br />

der Erfinder des Stoffes und selbst ein<br />

Bohémien, hatte im Paris der Mitte des 19.<br />

Jahrhunderts sein soziales Umfeld<br />

zunächst in einer Anzahl von Feuilletonskizzen<br />

geschildert, <strong>die</strong> dann gesammelt als<br />

Buch erschienen und auch zu einem sehr<br />

erfolgreichen Theaterstück verarbeitet wurden.<br />

Dieses „Prosagedicht vom heiteren<br />

Elend“, wie es ein Zeitgenosse nannte,<br />

bekam Puccini vierzig Jahre später in <strong>die</strong><br />

Hände und war sofort wie elektrisiert, fand<br />

er doch Szenen und Gefühle, <strong>die</strong> ihn zu lyrischen<br />

Einfällen inspirierten, <strong>die</strong> bald um <strong>die</strong><br />

Welt gingen. Bis heute ist <strong>die</strong> vielgespielte<br />

Oper „was fürs Herz“ geblieben, wurde<br />

zwar nicht selten des Kitsches verdächtigt,<br />

aber einem geschickten Inszenator wird es<br />

nicht zuletzt im Verein mit Puccinis ungemein<br />

subtiler und delikater Klangkunst<br />

immer gelingen, <strong>die</strong>se zweifellos vorhandene<br />

Klippe erfolgreich zu umschiffen. Der<br />

Gedanke an Kitsch kann bei Regisseur<br />

Wunderlich, der auch für <strong>die</strong> gesamte Ausstattung<br />

verantwortlich ist, immerhin nirgends<br />

aufkommen, dafür jagt er mit seiner<br />

Idee, aus den Helden schnöde Schickimickis<br />

zu machen, aber auch jeden Anflug<br />

von „Herz-Betroffenheit“ beim Publikum<br />

zum Teufel. Über das Schicksal von Snobs<br />

vergießt man keine Tränen. Und Gefühle,<br />

<strong>die</strong> der Regisseur nicht ernst nimmt, kann<br />

er auch nicht über <strong>die</strong> Rampe bringen. Hinzu<br />

kommen <strong>die</strong> unvermeidlichen Stilbrüche<br />

in Details. Was ein Glück, daß <strong>die</strong> italienische<br />

Originalversion gesungen wird – so<br />

bekommt nicht jeder Zuhörer auf Anhieb<br />

Michail Michailowitsch, Bruno Caproni, Jeffrey Dowd und Francesch Chico-Bo<strong>net</strong> (Foto: Barbara Aumüller)<br />

ten Bild eifersüchtig nach Mimi sucht,<br />

natürlich gleich in Begleitung irgendeiner<br />

Kokotte gezeigt. Und auch Mimis gräflicher<br />

Galan, obwohl im Libretto nur dezent<br />

erwähnt, erscheint auf der Bildfläche. Die<br />

Austauschbarkeit der Partner, <strong>die</strong> angebliche,<br />

entwertet vollständig <strong>die</strong> wirklich<br />

große Liebe, <strong>die</strong> Mimi und Rodolfo zueinander<br />

empfinden.<br />

Genau wie Marcellos Freundin Musetta<br />

zieht es doch auch Mimi nur deshalb zeitweise<br />

zu geldschweren Verehrern, um nicht<br />

ständig <strong>die</strong>ses „eiskalte Händchen“ haben<br />

zu müssen. Pariserinnen denken da praktisch.<br />

Für sie ist Treue kein Wert an sich.<br />

Den wahren Gefühlen muß das nicht schaden.<br />

Aber <strong>die</strong> negiert ja der Regisseur, und<br />

so wirkt Mimis Tod lediglich wie ein peinlicher<br />

Betriebsunfall. Konsequent wäre<br />

gewesen, Wunderlich hätte <strong>die</strong> Szene<br />

gestrichen.<br />

Die grundsätzliche Fehldeutung des Sujets<br />

wird im Ergebnis gemildert durch <strong>die</strong><br />

durchweg beachtlichen Leistungen der<br />

Sängerinnen und Sänger, durch ein gut disponiertes<br />

Orchester unter der straffen Leitung<br />

von Stephan Tetzlaff und – das muß<br />

natürlich auch gesagt werden – dem handwerklichen<br />

Können des Regisseurs. Wie er<br />

im zweiten Akt <strong>die</strong> Massenszenen des Quartier<br />

Latins in der Art eines gut einstu<strong>die</strong>rten<br />

Dressurakts vorführt, ver<strong>die</strong>nt Anerkennung.<br />

Chor, Kinderchor, Statisterie, Akrobaten<br />

wirken aufs Trefflichste zusammen.<br />

Daß er den dritten Akt von der Zollschranke<br />

am Pariser Stadtrand in den Hinterhof des<br />

Café Momus verlegt hat, ist gewiß auch<br />

kein schlechter Einfall, damit könnte der<br />

Verdichtung der Handlung Vorschub geleistet<br />

werden. Der Regisseur nutzt <strong>die</strong> Ortsveränderung<br />

aber nur dazu, <strong>die</strong> Stimmung<br />

von Düsternis und Melancholie zu ent-<br />

Nummer 48 · 14.5.1993 · Seite 8<br />

schärfen, <strong>die</strong> ursprünglich in <strong>die</strong>sem<br />

Bild angelegt ist. Bloß nicht<br />

zuviel Gefühl! Auch wenn <strong>die</strong><br />

Musik eine ganz andere<br />

Sprache spricht. Vollends<br />

manifest wird<br />

<strong>die</strong>ses Mißverhältnis,<br />

wenn im vierten Akt<br />

<strong>die</strong> elende Mansarde<br />

zu einem Fotoatelier<br />

aufgepept erscheint.<br />

Der Regisseur will<br />

uns damit das<br />

„Posieren im Leben<br />

der Bohémiens<br />

nach dem Scheitern<br />

ihrer Beziehungen“,<br />

so sein Kommentar,<br />

vor Augen führen.<br />

Und tatsächlich verharren<br />

sie ständig in<br />

Posen und versuchen,<br />

sich gegenseitig auf Zelluloid<br />

zu bannen, auch<br />

wenn es für vier Leute gerade<br />

einen einzigen Hering zu essen<br />

gibt. Noch kurz vor Mimis Tod nestelt<br />

Musetta am Objektiv herum, das auf <strong>die</strong><br />

Todkranke gerichtet ist, um dann plötzlich<br />

auf <strong>die</strong> Knie zu fallen und das vom Libretto<br />

hier vorgesehene Gebet an <strong>die</strong> „gebenedeite<br />

Jungfrau Maria“ zu richten. Hier<br />

heben sich Bild und Text gegenseitig auf.<br />

Wie reagierte das Publikum? Neben (wenigen)<br />

Buhrufen für den Regisseur gab’s kurzen,<br />

kompakten Applaus, mittelstarken Beifall<br />

für <strong>die</strong> Orchesterleistung, ver<strong>die</strong>nte Bravos<br />

für <strong>die</strong> Hauptinterpreten, besonders für<br />

Doris Brüggemann (Mimi) und Jeffrey<br />

Dowd (Rodolfo). Man ist ja inzwischen im<br />

Staatstheater schon zufrieden, wenn<br />

ordentlich gesungen wird, wenn <strong>die</strong> Szenerie<br />

was für’s Auge bietet und wenn nicht<br />

zuviel mehr oder weniger gepflegte Langeweile<br />

verbreitet wird. Das immerhin kann<br />

der neuen Darmstädter „Bohème“ nicht<br />

vorgeworfen werden.<br />

Jo Trillig<br />

Die Vorstellungen von „La Bohème“<br />

im Mai: 15., 21., 26., 31. Beginn jeweils 19.30 Uhr<br />

Dauer: 2 1/2 Stunden mit Pause<br />

Rosa Torso zwischen Akelei und Buchsbaum<br />

Zwei Bildhauerinnen<br />

in der Galerie Garten<br />

Man darf auf Entdeckungsreise gehen: Am Rand der Fläche aus<br />

knirschendem Kies, zwischen blühenden Akeleistauden und<br />

Steingartengewächsen haben sich urtümliche Gestalten eingefunden,<br />

aus rosafarbenem, porösen Tuffstein, teilweise grob<br />

behauen, doch immer zu rundlichen, organischen, verschlungenen<br />

Formen findend. Die in der Galerie Garten aufgestellten<br />

Skulpturen der Frankfurter Bildhauerin Moni Jahn mögen, oberflächlich<br />

betrachtet an <strong>die</strong> Venus von Willendorf erinnern, jene<br />

eben daumengroße, heute im Wiener Naturhistorischen Museum<br />

ausgestellte steinzeitliche Idolfigur, welche bisweilen von argen<br />

Feministinnen zum matriarchalischen Kult-Objekt stilisiert wurde.<br />

Doch Moni Jahns Figuren sind eigenständiger, wenn sie in<br />

stetiger Metamorphose ihrer verschlungenen Formen verschiedene<br />

Erfahrungen beim Betrachter anregen und als „Camille“<br />

oder „Eva“, „Atlantin“ oder „Königin“ betitelt, direkten Bezug<br />

auf Frauengestalten unserer Vorstellungswelt nehmen.<br />

Weich und organisch dagegen setzt Ulrike Gölner aus Bremen<br />

<strong>die</strong> kantigen, kraftvollen Formen ihrer bisweilen mannshohen<br />

Eichenholzskulpturen. Da stehen „Drei Schwestern“ auf der<br />

Terrasse, scheinbar in den Garten blickend und selbst einen<br />

Blickpunkt bildend, kubische, dreieckige, viereckige oder runde<br />

Gebilde, <strong>die</strong> sich aus dem massiven Baumstamm heraus kristallisieren<br />

und doch voller Bewegtheit sind. An einigen Stellen bleibt<br />

<strong>die</strong> Rinde des Stammes stehen, daneben erscheinen <strong>die</strong> geometrischen<br />

Formflächen aus dem rohen Holz und schaffen ein<br />

besonderes Spannungsfeld zu den natürlichen Rissen des arbeitenden<br />

Materials. Man möchte <strong>die</strong> Skulpturen vielleicht ganz still<br />

für sich entdecken, weniger darüber reden, als vielmehr sich auf<br />

<strong>die</strong> besondere Stimmung des Gartens einlassen, wenn am Abend<br />

<strong>die</strong> Schatten der Bildwerke länger werden oder wenn der Regen<br />

dem Tuffstein und dem Eichenholz neue Farbnuancen verleiht.<br />

Gerhard Kölsch<br />

(Abb.: Moni Jahn: „Kleine Wartende“, Lavatuff, 1992, 40x35x30 cm)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!