Mekka für Spekulanten - zfd-online.net
Mekka für Spekulanten - zfd-online.net
Mekka für Spekulanten - zfd-online.net
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
J<br />
edes Jahr organisiert die Künstlervereinigung<br />
Darmstädter Sezession eine<br />
große Ausstellung – mal auf der Mathildenhöhe<br />
(Malerei), mal auf der Ziegelhütte<br />
(Plastik). Dabei zeich<strong>net</strong> sie im Wechsel<br />
Bildhauer und Maler mit dem bundesweiten<br />
„Preis <strong>für</strong> junge Künstler“ aus. Dieses Jahr<br />
lädt die Sezession wieder ins idyllische<br />
Grün der Ziegelhütte ein, zur 12. Freiplastikausstellung<br />
mit dem Titel „Vom Block<br />
zur Figuration“. Neben 27 Sezessionsmitgliedern<br />
stellen dort 25 Bewerber sowie<br />
Andreas Frömberg, Preisträger von 1992,<br />
und die Förderpreisträger von 1988 bis 92<br />
– Hermann Kerkhoff,<br />
Karoline<br />
Bernesga, Reinhard<br />
Haverkamp<br />
und<br />
Simon P.<br />
Schrieber<br />
– insgesamt<br />
120 Plastiken aus. Das Kunstpreisgeld<br />
in Höhe von 8.000 Mark<br />
spendet seit Jahren die HEAG, seit<br />
1987 stiftet die Kunstgießerei Jörg Grundhöfer,<br />
Niedernberg, 2.000 Mark <strong>für</strong> einen<br />
Förderpreis.<br />
Dieses Jahr feiert die Sezession ein besonderes<br />
Jubiläum: sie existiert seit 75 Jahren.<br />
Oberbürgermeister Peter Benz (SPD) übergab<br />
deshalb bei der Ausstellungseröffnung<br />
am 7. Mai Sezessionspräsident Pit Ludwig<br />
<strong>für</strong> die Künstlervereinigung die silberne Ehrenplakette<br />
der Stadt Darmstadt, die „höchste<br />
Auszeichnung des Magistrats“ (Benz).<br />
Im Gründungsmanifest von 1919 heißt es:<br />
„Die radikalen Künstler Darmstadts<br />
und der Peripherie<br />
haben sich zu einer Sezession<br />
zusammengeschlossen,<br />
haben die längst erforderliche<br />
Reinigung von bourgeoiser<br />
Verschmutzung vollzogen …<br />
Ihre Vereinung bedeutet die<br />
Evakuierung des Geistes<br />
aus dem bürgerlichen Leben.<br />
Ihr Zusammenschluß ist Kampf …<br />
Die radikalen Künstler haben auf<br />
ihre Fahne geschrieben:<br />
Erreichung des politischen,<br />
künstlerischen Kontakts.<br />
Tod aller Isolation.“<br />
Kämpferisch und radikal traten sie im Juni<br />
1919 an die Öffentlichkeit, die Gründung<br />
der Darmstädter Sezession zu verkünden<br />
und damit Beispielen wie in Wien, Berlin<br />
und Düsseldorf zu folgen. Sie, das waren<br />
Maler, Bildhauer und Schriftsteller, die sich<br />
zusammengeschlossen hatten, um Ausstellungen<br />
zu organisieren, der neuen Literatur<br />
ein Forum zu geben und gemeinsam<br />
die Kunst, das Leben, die Gesellschaft nach<br />
dem 1. Weltkrieg, der die großbürgerlichen<br />
Ideale in Frage gestellt und zerstört hatte,<br />
radikal zu erneuern. Kasimir Edschmid war<br />
ihr erster Präsident; Max Beckmann, Carl<br />
Gunschmann, Theodor Haubach, Bernhard<br />
Hoetger, Ludwig Meidner, Wilhelm Michel,<br />
Carlo Mierendorff, Hans Schiebelhuth, Fritz<br />
Usinger und Pepy Würth waren Gründungsmitglieder.<br />
Ihre erste Ausstellung zeigte die Sezession<br />
drei Monate später in der Darmstädter<br />
Kunsthalle; der Bogenschütze kündigte das<br />
Geschehen auf Plakaten an – Ernst Moritz<br />
Engerts Scherenschnitt blieb das Sig<strong>net</strong>,<br />
bis es der Arheilger Grafiker Helmut Lortz<br />
variierte. Die zweite Präsentation brachte<br />
bereits große Bekanntheit und Bedeutung<br />
weit über Darmstadt hinaus. In den renovierten<br />
Hallen der Mathildenhöhe hatte die<br />
Sezession unter dem Titel „Deutscher<br />
Expressionismus. Darmstadt 1920“ mehr<br />
als 600 Kunstwerke zusammengetragen.<br />
Das Anliegen der Künstler, sich zu vereinen<br />
und die Isolation zu überwinden, fand 1933<br />
ein jähes Ende, als Nationalsozialisten die<br />
Darmstädter Sezession verboten – wer <strong>für</strong><br />
das Verbot in Darmstadt verantwortlich<br />
zeich<strong>net</strong>e, war in Festschriften und Unterlagen<br />
der Sezession nicht zu entdecken. Viele<br />
flüchteten ins Exil oder zogen sich in die<br />
schweigende Privatsphäre zurück. Nach<br />
dem Zusammenbruch des „tausendjährigen<br />
Reiches“, das zwölf Jahre dauerte, fanden<br />
sich einige Künstler wieder in Darmstadt<br />
zusammen: Paul Thesing, Willi Hofferbert<br />
und Kurt Heyd gründeten 1946 die<br />
„Neue Darmstädter Sezession“. Wiederum<br />
sammelte die Aufbruchstimmung einer<br />
Nachkriegszeit Künstler, Komponisten,<br />
Schriftsteller, Architekten und Kunsthistoriker.<br />
Damals rief die Sezession die „Darmstädter<br />
Gespräche“ ins Leben.<br />
Und heute? Da feiert die Sezession ihre<br />
ersten 75 Jahre. Sezessionen gab es einmal<br />
viele, doch nur wenige andere haben ein<br />
solch hohes Alter<br />
erreicht. Viele<br />
haben es nicht<br />
über so eine lange<br />
Zeit ver-<br />
mocht, ihre alten<br />
Mitglieder<br />
bei Laune zu<br />
halten und zu<br />
gleich beim<br />
Nachwuchs<br />
auf Interesse zu stoßen.<br />
Künstler – vereinen? Künstler sind vor<br />
allem Individualisten und nicht unbedingt<br />
unkomplizierte Menschen. In diesen<br />
Grüppchen tummeln sich viele Extreme:<br />
verschlossene Eigenbrötler und enervierende<br />
Geltungssüchtige, Gschaftelhuber und<br />
Faulenzer neben Aktivisten und Highlights.<br />
Manche treffen mit ihrer Kunst eine Zeitlang<br />
den Geschmack des Marktes, einige produzieren<br />
ausschließlich da<strong>für</strong> und damit <strong>für</strong><br />
den eigenen Geldbeutel und ihren Ruhm.<br />
Und wieder andere machen Kunst nur <strong>für</strong><br />
sich und manche von ihnen fristen ihr<br />
Leben in höchster Armut. Künstler mögen<br />
größere Freiheiten haben als viele andere<br />
Berufstätige, ihr Leben und ihre Arbeit nach<br />
eigenem Gusto zu gestalten, dennoch ist ihr<br />
Lebensweg meist beschwerlicher. Ihre Existenz<br />
ist voller Spannungen zwischen<br />
Rationalem und Irrationalem; materielle<br />
Not, Geringschätzung, Selbstzweifel, Isolation<br />
– viele kennen und plagt das.<br />
All jenen muß eine Künstlervereinigung<br />
gerecht werden und Gemeinsames bieten.<br />
Ihre Aufgaben sieht die Sezession darin,<br />
„die künstlerischen Interessen ihrer Mitglieder<br />
und Freunde zu vertreten und zu fördern<br />
sowie in der Kunstpflege im weitesten<br />
Sinne“, so heißt es in ihren Statuten. 125<br />
Mitglieder hat die Sezession heute. Seit<br />
1975 vergibt sie jedes Jahr den „Preis der<br />
Neuen Darmstädter Sezession <strong>für</strong> junge<br />
Künstler“ an jene, die unter 40 Jahren sind<br />
und bisher weder eine große Einzelausstellung<br />
gehabt, noch einen Förder- oder<br />
Kunstpreis erhalten haben. Ihnen bietet sie<br />
auch die Mitgliedschaft an – mit ein Weg,<br />
der sie bisher davor bewahrt hat, das<br />
Schicksal so vieler Vereine zu teilen, deren<br />
Mitglieder alle die sechzig schon überschritten<br />
haben und die Verjüngung vergaßen.<br />
Dennoch, die meisten Sezessionsmitglieder<br />
sind über 50 und schon seit Jahren<br />
dabei. Und es ist auch meist immer die<br />
selbe handvoll Aktiver, die die Ausstellungen<br />
mitorganisiert, auswählt, aufbaut …<br />
„Wir kämpfen seit 14 Tagen, es ist eine reine<br />
Katastrophe“, sagte Pit Ludwig noch<br />
zwei Tage vor Ausstellungseröffnung. Die<br />
FEUILLETON I<br />
Nummer 69 · 13.5.1994 · Seite 7<br />
„O.T.“, Haselnuß, Gaze, 300x65x60, 1993 von Monika Schmid – eine der 26 BewerberInnen <strong>für</strong> den „Preis <strong>für</strong> junge Künstler“ (Alle Fotos: H. Schäfer)<br />
„Tod aller Isolation“<br />
Kunst im idyllischen Grün auf der Ziegelhütte<br />
und ein Jubiläum: 75 Jahre Darmstädter Sezession<br />
Sezession hat alle Transporte bezahlt und<br />
organisiert. Das Maximum-Gewicht sollte<br />
500 Kilo sein, doch einige Kunstwerke – die<br />
nach Fotos von einer Jury im Januar ’94<br />
ausgewählt worden waren – waren dann<br />
doch 1,5 Tonnen schwer. „Das kann nicht<br />
mehr so weiter gehen. Unser Ausstellungsetat<br />
ist von 100.000 Mark auf 67.000 Mark<br />
gekürzt worden. In Zukunft werden die<br />
Künstler einen Transportweg selbst bezahlen<br />
müssen“, orakelte Ludwig.<br />
Letztes Jahr hatte es um die Auswahl der<br />
Bewerber <strong>für</strong> die Malerei-Ausstellung auf<br />
der Mathildenhöhe einen kleinen Eklat gegeben,<br />
der durch deutsche Kunstzeitungen<br />
huschte (siehe ZD vom 9.4.93). Damals war<br />
Liane Palesch Geschäftsführerin der Sezession.<br />
Sie formulierte ein Absageschreiben,<br />
das viele Künstler als Affront auffassen<br />
mußten. Pit Ludwig: „Da<strong>für</strong> mußte sie sich<br />
entschuldigen (siehe ZD-Ausgabe 48) – wir<br />
wußten nichts von dem Schreiben.“ Vielleicht<br />
liegt darin der Grund, weshalb dieses<br />
Jahr 100 Bewerbungen weniger als vor zwei<br />
Jahren eingingen? Vielleicht lag es aber<br />
auch am früheren Anmeldeschluß.<br />
Liane Palesch ist im September ’93 als Geschäftsführerin<br />
aus der Sezession ausge-<br />
beim<br />
„KinderTheaterMai“ in der<br />
Bessunger Knabenschule<br />
Gibt es in Darmstadt zuwenig Theaterangebote<br />
<strong>für</strong> Kinder? Manchen Eltern mag das<br />
so erscheinen. Sicher bringt das Staatstheater<br />
alljährlich sein Weihnachtsmärchen,<br />
im Foyer passiert ab und zu mal was,<br />
auch Dieter Rummel vom „TAP“ und<br />
Roland Hotz vom „Kikeriki“-Theater stellen<br />
schon mal ihr Herz <strong>für</strong> Kinder unter Beweis,<br />
daneben gibt’s Aktivitäten im Nachbarschaftsheim<br />
Prinz-Emil-Garten und im<br />
„HalbNeun-Theater“. Daß sich damit – was<br />
sicher nicht allen Eltern bekannt ist – das<br />
Angebot keineswegs erschöpft, zeigt im<br />
Laufe dieses Monats eine Initiativ-Gruppe,<br />
die den „KinderTheaterMai 1994“ ins Leben<br />
gerufen hat.<br />
In der Bessunger Knabenschule werden in<br />
zwölf Aufführungen sieben Gruppen bzw.<br />
Solokünstler vorgestellt, die auch Kindertheater<br />
machen, allerdings nicht über<br />
eigene Aufführungsräume verfügen. Alleiniger<br />
Sponsor ist die Stadt Darmstadt mit<br />
ihrem Kulturamt. Die ersten Vorstellungen<br />
Der Bogenschütze von Ernst-Moritz Engert zierte das<br />
Plakat der ersten Ausstellung der Darmstädter Sezession<br />
im Jahr 1919. Dieser Scherenschnitt blieb das<br />
Sig<strong>net</strong> der Künstlervereinigung, bis es der Arheilger<br />
Grafiker Helmut Lortz variierte (siehe unten)<br />
sind bereits gelaufen, fanden lebhaften<br />
Zuspruch, auch von Politikerseite, und verbuchten<br />
einige unbeabsichtigte Lacherfolge<br />
unter der Rubrik Künstlerpech – das<br />
Bühneninventar der Bessunger Knabenschule<br />
bedürfte mal einer Generalüberholung<br />
(dies nur als Wink an die Sponsoren).<br />
Was gab’s denn bisher? Die Pantomimen<br />
Klaus Lavies und Till Reinke von der Gruppe<br />
„Hobjes“ setzten Prokofjews „Peter und<br />
der Wolf“ sowie ihr neues Bibelstück „Die<br />
Arche Noah“ in Szene, Peter Fehr brachte<br />
eine eigenwillige Deutung des Liedchens<br />
„Hänschen klein“ und eine Neu-Interpretation<br />
eines pädagogischen Klassikers unter<br />
dem Motto „Wer erzieht eigentlich wen im<br />
Alltag von Struwwelpeter und seiner<br />
Mama?”.<br />
Was ist <strong>für</strong> den Rest des Monats noch angesagt?<br />
Ute Helbig erzählt am Sonntag, 15.,<br />
um 11 Uhr Märchen aus aller Welt, unter<br />
anderem von Christian Andersen und den<br />
Gebrüdern Grimm. Am selben Tag um 15<br />
Uhr gibt’s die „Public-Show <strong>für</strong> Kinder“ von<br />
den Darmstädter JongleurInnen, eine lustige<br />
Geschichte mit viel Akrobatik und Jonglage<br />
von einem Zirkus, dem die Requisiten<br />
schieden – nach über zwanzig Jahren. Eine<br />
offizielle Begründung da<strong>für</strong> gibt es von ihr<br />
nicht. Nachfolgerin ist Katja Epes als geschäftsführende<br />
Sekretärin – nicht als Geschäftsführerin<br />
oder gar als zweite Vorsitzende<br />
wie Palesch zur Überraschung der Sezessionsmitglieder<br />
das Entschuldigungsschreiben<br />
der Sezession unterzeich<strong>net</strong> hatte.<br />
Liane Palesch hat am 29. April ’94 von Oberbürgermeister<br />
Peter Benz (SPD) die „Ehrenurkunde<br />
<strong>für</strong> verdiente Bürger“ erhalten –<br />
<strong>für</strong> „ehrenamtliche Arbeit im gesellschaftlichen<br />
und kulturellen Bereich“. Heute arbeitet<br />
sie mit Alt-OB Günther Metzger (SPD) im<br />
Heinerfest-Ausschuß und leitet und verwaltet<br />
den Verein „Künstlerhaus auf der Ziegelhütte“,<br />
den die Sezession Anfang der achtziger<br />
Jahre als eigenständigen und gemeinnützigen<br />
Verein gegründet hatte, und der das<br />
Haus in der Kranichsteiner Straße von der<br />
Stadt in Erbbaupacht überlassen bekam.<br />
Eva Bredow<br />
Abb.: links oben: „Das Summen der Mücken über dem<br />
Hochmoor“, Stahl, Keramik, 1993 von Magdalena<br />
Drebber; darunter: „Anja“, „Britta“, „Kleine sitzende<br />
Figur“, Bronze, 1990 von Marco Baré<br />
Die Ausstellung in der Kranichsteiner Straße 110<br />
ist Di bis So von 10 - 18h geöff<strong>net</strong> – noch bis zum<br />
14. August. Der Katalog kostet 10 Mark.<br />
Viel Theater <strong>für</strong>s Kind im Mai<br />
abhanden gekommen sind. Ein Privatdetektiv<br />
wird beauftragt, sie wiederzufinden, doch<br />
auch die Kinder können dabei mithelfen. Die<br />
Gruppe „Theater im Hof“ zeigt am Dienstag,<br />
17., um 10.30 Uhr und um 15 Uhr, was sie<br />
derzeit im Repertoire hat, nämlich das Märchen<br />
vom „Teufel mit den drei goldenen<br />
Haaren“, die spannende Story vom armen<br />
Müllersburschen, der liebreizenden Prinzessin,<br />
dem fiesen König und – ja, natürlich –<br />
vom bösen Teufel. Am Donnerstag, 19.,<br />
ebenfalls um 10.30 Uhr und um 15 Uhr, bietet<br />
die Theatergruppe „Kannitverstan“ die<br />
unterhaltsame Tierparabel „Der fabelhafte<br />
Kröterich und seine Freunde vom Fluß“ nach<br />
Motiven von Ken<strong>net</strong>h Grahame an, in der es<br />
um „tierische“ Eigenheiten geht, die ziemlich<br />
menschlich anmuten. Alle diese noch anstehenden<br />
Aufführungen eignen sich übrigens<br />
<strong>für</strong> Kinder ab 6 Jahren. Schließlich beendet<br />
der in unserer Gegend als Kinderunterhalter<br />
wohlbekannte Zauberer Dixon am Dienstag,<br />
31. um 15 Uhr mit seiner Show diesen „KinderTheaterMai“,<br />
von dem die Veranstalter<br />
hoffen, daß er in Zukunft regelmäßig stattfinden<br />
wird.<br />
Jo Trillig<br />
INTERNAT. TAPETEN<br />
DARMSTADT<br />
ROSSDÖRFER PLATZ