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Das Leben als flüchtiger Traum<br />
Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ im Staatstheater<br />
Sebastian Hufschmidt als Kasimir und Leonore Endreß als Karoline in Horváths gleichnamigen Stück (Foto: B. Aumüller)<br />
Die große Liebe ist es nicht, scheint es<br />
nie gewesen. Man hat diese Beziehung<br />
mit Bequemlichkeit, Konventionen<br />
und Vagheit zusammengeleimt. Wenn die<br />
Beziehung auseinandergeht, liegt es eigentlich<br />
nur daran, daß sie ein Eis essen möchte.<br />
Das überrascht niemanden; Kasimir<br />
nicht, Karoline nicht. Die Geschichte der<br />
beiden ist mager, ihr Schicksal so interessant<br />
wie die Zahnschmerzen des Bademeisters<br />
im Hallenbad oder der Fleck auf der<br />
Hose der Straßenbahnfahrerin der Linie 8.<br />
In Ödön von Horváths 1932 uraufgeführtem<br />
Volksstück „Kasimir und Karoline“ bildet<br />
eine Nacht auf dem Münchener Okto-<br />
t’s more than music – it’s environ-<br />
„Iment!“ Das ist einer der kernigen Werbesprüche<br />
des weltweit operierenden<br />
MUZAK-Konzerns. MUZAK sorgt international<br />
für mehr als Musik, nämlich tatsächlich<br />
für „environment“, also Umgebung, Atmosphäre,<br />
Lebensgefühl. Wie macht MUZAK<br />
(Konzernsitz: Brüssel) das? Mit der allgegenwärtigen<br />
Klangtapete in Restaurants,<br />
Schnell-Imbissen, Aufzügen, Supermärkten<br />
oder Linien-Jets. Die ganze Welt wird mit<br />
Tonkonserven beliefert – Kunst als sanft<br />
beruhigender, synthetischer Dauerlutscher<br />
fürs Ohr mit pervertiertem Nutzcharakter.<br />
„Kürzlich haben wir“, heißt es in einem firmeninternen<br />
Bulletin, „einen Schlachthof<br />
besichtigt. Anscheinend gab es da Probleme<br />
mit der Blutgerinnung beim Schlachtvieh.<br />
Das abgespielte MUZAK-Programm entspannt<br />
die Tiere, während sie zur Schlachtbank<br />
geführt werden …<br />
Selbst bei Ausbruch eines Atomkrieges verfügt<br />
die MUZAK-Corporation über eigene<br />
Stromgeneratoren, um einen Ausfall des<br />
Basic-Programms auszuschließen und zu<br />
gewährleisten, daß die noch funktionierenden<br />
Einrichtungen weiterhin unser Programm<br />
empfangen“. Da sind wir ja nun groß<br />
erleichtert, wenn schon verstrahlt, dann<br />
wenigstens „entspannt“.<br />
Der Exkurs in Sachen MUZAK ist geboten,<br />
weil die MUZAK-Karriere-Story symbolischen<br />
Charakter trägt, weil auch die demokratischen<br />
Gesellschaften und deren Medien der Kunst<br />
wieder eindeutige Funktionen zuweisen und<br />
sie mehr und mehr in MUZAK-Manier bestellen,<br />
gebrauchen, fördern und bezahlen. Dabei<br />
ist eine Sichtweise durchaus legitim, denn<br />
Künstler sind tatsächlich Dienstleister in einer<br />
allseits proklamierten „Dienstleistungsgesellschaft“.<br />
Sie sorgen für einen ganzen Katalog<br />
unentbehrlicher Über-Lebensmittel, als da<br />
wären Reflexion, Transzendenz, Hinterfragung,<br />
auch Dekoration, Unterhaltung, Ästhetik.<br />
Nur sollte dies ausschließlich die offensive<br />
Selbstbeschreibung künstlerischer Aktivität<br />
sein. Der Künstler als moderner Dienstleister<br />
ist kein Anbieter, der auf Bestellung hin kreativen<br />
Vollzug meldet, womöglich samt geordertem<br />
Wunschergebnis.<br />
berfest den Rahmen, in dem hinter der Trivialität<br />
der Vergnügungen der Ziellosigkeit<br />
der handelnden Figuren und der Alltäglichkeit<br />
der Dialoge die strukturelle Gewalt<br />
einer patriarchalen Gesellschaft sichtbar<br />
wird.<br />
Der Chauffeur Kasimir ist arbeitslos geworden.<br />
Sebastian Hufschmidt zeigt ihn als ein<br />
verunsichertes Männlein, das nicht nur den<br />
Arbeitsplatz, sondern auch seine Rolle als<br />
nützliches Mitglied der Gesellschaft und<br />
potentieller Ernährer einer Frau verloren<br />
hat. Zwischen Selbstmitleid, unterschwelliger<br />
Aggression und bemühtem Zynismus,<br />
der Überlegenheit vortäuschen soll, stol-<br />
Was hat dies nun wieder mit Bitterfeld zu<br />
tun? Überhaupt Bitterfeld – ist das nicht diese<br />
arme, von Umweltsünden gezeich<strong>net</strong>e Chemie-Stadt<br />
in der ehemaligen DDR? Richtig.<br />
Aber nicht nur. Für die SED hatte Bitterfeld<br />
noch eine ganz andere Bedeutung und Wichtigkeit.<br />
Die 1. und 2. „Bitterfelder Konferenz“<br />
bemühte sich um sozialistisch-parteitreue<br />
Regularien für die „Kulturschaffenden“ des<br />
Arbeiter- und Bauernstaates, das war 1959<br />
und 1964. „Bitterfeld“ als SED-Projekt war<br />
der irrige, von hoch oben verord<strong>net</strong>e Versuch,<br />
die Teilung der Gesellschaft in sogenannte<br />
„einfache Menschen“ und sogenannte<br />
„Intellektuelle“ zu überbrücken – eine<br />
politisch-ideologisch hochbornierte, lebensfremde<br />
„kleine Kulturrevolution“ Marke DDR.<br />
Die 3. „Bitterfelder Konferenz“ fand unter<br />
gänzlich anderen Vorzeichen Anfang Mai<br />
1992 statt. Zwar nach der deutschen Vereinigung,<br />
aber im gleichen „Kulturpalast“ wie<br />
1959 und 1964. Geladen hatten 1992 die<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung, die Aktion für mehr<br />
Demokratie (AMD) sowie die Evangelische<br />
Akademie Sachsen-Anhalt. Titel des personell<br />
schillernd zusammengesetzten Diskurses:<br />
„Kunst – Was soll das?“<br />
Das nun vorliegende Buch zum Diskurs ist<br />
ein großes, faszinierend authentisch belassenes<br />
Protokoll einer Konferenz, die sich<br />
hochintellektuell mit sich selbst und der Rolle<br />
ihrer Teilnehmer befaßt. Kulturkritiker,<br />
Medienköpfe und Künstler aller Sparten<br />
debattieren über eine uralte Frage (Was soll,<br />
darf, muß die Kunst?) mit ewigjungem Elan<br />
und tradierter Ergebnislosigkeit. Was Freimut<br />
Duve, Friedrich Schorlemmer, A. R.<br />
Penck, Klaus Staeck, Christoph Hein oder<br />
Hans-Jürgen Rosenbauer sagen, sich einreden,<br />
sich an den Kopf werfen – es hat direkt<br />
mit der deutschen Realität zu tun, indirekt<br />
aber mit dem grundsätzlichen Disput, wie<br />
„gesellschaftlich“ die Kunst gegen Ende des<br />
medialen 20. Jahrhunderts nun eben sein<br />
sollte oder müßte.<br />
Bei einer auf weite Strecken als Gesprächsprotokoll<br />
angelegten Dokumentation echot<br />
manche definitorische Unschärfe den nachlässigen<br />
Umgang mit Sprache in der Öffentlichkeit<br />
ganz allgemein. Künstler sind eben<br />
pert das arme Schwein über den Rummelplatz.<br />
Seine Verunsicherung macht ihn<br />
eifersüchtig – und Eifersucht macht klein.<br />
Kleiner und kleiner werden Karolines Worte<br />
auf der Goldwaage gewogen, gewendet,<br />
gedeutet, gedreht: warum sie dies sagt,<br />
was dabei betont, nicht sagt und wie sie<br />
verschweigt, dabei meint und behauptet<br />
und eigentlich doch, wenn sie nur ehrlich<br />
wäre – was aber Frauen natürlich nie sind.<br />
Mit so einem hat Frau es schwer, mit sich<br />
hat es Karoline leichter. Leonore Endreß’<br />
Karoline ist ein gutmütiges Geschöpf, ein<br />
bißchen unreflektiert, ein wenig naiv, nicht<br />
zu empfindlich, lebenshungrig. Das Leben,<br />
das ist Eis essen und noch ein Eis essen,<br />
Achterbahnfahren und noch einmal Achterbahnfahren,<br />
auf einem Pferd reiten und<br />
noch einmal auf einem Pferd reiten. Das<br />
Leben sind die kleinen Vergnügungen – nur<br />
öfter. „Wenn’s mir schlecht geht“, sagt sie<br />
und schaut zum Himmel, „dann denke ich<br />
mir immer: was ist ein Mensch gegen einen<br />
Stern.“<br />
Und das ist der schmollende Proletarierchauvi<br />
Kasimir gegen Karolines Jahrmarktalternative<br />
Eugen Schürzinger: harmlos.<br />
Helmut Zhubers Schauspielleistung macht<br />
den schleimenden Buckler Schürzinger zur<br />
heimlichen Hauptrolle des Stücks. Stets<br />
devot und angepaßt leise ist der in kotbraune<br />
Hose und taubenschißgraues Jackett<br />
gewandete Widerling (Kostüme: Kristine<br />
Upesleja), der Prototyp des unpolitischen<br />
Untertanen. Der eislutschende Helmut Zhuber<br />
garantiert beim bloßen Zusehen verklebte<br />
Hände.<br />
Karoline geht also mit dem aus allen Lefzen<br />
triefenden Kinderkonfektionszuschneider<br />
Schürzinger Achterbahnfahren, Kasimir<br />
begeg<strong>net</strong> dem Merkl Franz und seiner Erna.<br />
Hat Schürzinger gelernt, geduckt auszuharren,<br />
einzustecken und darauf zu warten,<br />
einen Schwächeren zu treffen, hat der Merkl<br />
Franz das kriminelle Fach gewählt. „Der<br />
Merkl Franz prügelt seine Erna, obwohl sie<br />
ihm pariert“, sagt Karoline. Der Merkl Franz<br />
steckt seine Finger auch schon mal in seiner<br />
Erna Bier und ärgert sie damit. Das<br />
braucht der Merklfranz, daß er sich gut<br />
fühlt. Timo Berndt spielt das männliche<br />
Wrack mit Knasterfahrung und Tuberkulose<br />
in einem bordeauxroten Siebzigerjahreanzug.<br />
Und seine Erna? Elisabeth Degen als mürrisch-mäkelnde<br />
Watschenfrau hat das<br />
patriarchale System verinnerlicht, es ist ihr<br />
Kunstpraxis – pure Selbstbefriedigung<br />
Ein kritisches Plädoyer über Tonkonserven hin zur Kulturkritik<br />
nicht mit Intellektuellen in eins zu setzen, Politik<br />
nicht mit Ideologie und schon gar nicht die<br />
BRD mit dem Kapitalismus. Oder ist es etwa<br />
die Lieblingsbeschäftigung der Intellektuellen,<br />
Protest zu erklären und Kritik zu üben? Nein,<br />
nicht alle, sondern nur wenige, avancierte<br />
Köpfe, die sich als Kind ihrer Zeit fühlen und<br />
dies zur Verpflichtung nehmen, mit an der<br />
Ausgestaltung ihrer Zeit teilzuhaben, sind am<br />
magischen Kunst-Dreieck Verweigern –<br />
Widerstehen – Mitgestalten beteiligt.<br />
Protest und politisch substantielle Kritik scheinen<br />
den Künstlern seit gut einem Dutzend Jahren<br />
in der BRD eher Fremdworte, denn Lieblingsvokabeln.<br />
Und so hat denn Autor Heleno<br />
Saña (Darmstadt) exakt recht, wenn er die<br />
Kunst in deutschen Landen – gerade auch die<br />
Literatur und die bildende Kunst – als „weitgehend<br />
entsozialisiert“ maßregelt, weil vornehmlich<br />
„mit dem eigenen Ich“ beschäftigt, „dem<br />
armselig gewordenen abendländischen Ich“.<br />
René Descartes, einer der Stifter der Moderne,<br />
sprach da noch vom Gesetz, das verpflichte,<br />
das allgemeine Wohl im Auge zu behalten.<br />
Heute hat das Gros der Kunst-„Produzenten“<br />
im wesentlichen die Introspektion im Auge,<br />
gespickt mit selbsttherapeutischen Imperativen.<br />
Der heutige Künstler – sofern ein Intellektueller<br />
und mit dem Fundus der Aufklärung<br />
hantierend – hat sein kritisches Potential sträflich<br />
privatisiert. Es ist zum rein subjektiven<br />
Ereignis verkümmert, kommt als versteckte<br />
Rechthaberei im Schmollwinkel daher. Da diese<br />
real existierende Selbstverliebtheit einem<br />
Megatrend der gesellschaftlichen Wirklichkeit<br />
entspricht, muß sie selbst wieder zum Thema<br />
werden. Wie in Bitterfeld.<br />
Sicher, Künstler gelten als „größte Egoisten“<br />
und sind keine „geschichtliche Veränderungsagentur“<br />
(Oskar Negt), aber die Frage,<br />
ob es so sinnreich ist, angesichts Sarajevo<br />
und Kigali ausschließlich entzückend egophile<br />
Avantgarde-Aquarelle zu malen, große<br />
monochrome Farbwände in hehren Kulturtempeln<br />
einem maßlos gelangweilten Publikum<br />
zu „verkaufen“ oder Ich-Trübsal blasende<br />
Lyrismen im sozialen Abseits zu verfassen,<br />
diese Frage muß erlaubt sein.<br />
„Widerstand hat keinen Markt“, konstatiert<br />
A. R. Penck. Das wäre ja auch das allererste<br />
Mal, das sich kritikwürdige Zustände Kritik<br />
und Widerstand herbeisehnten. Nein, der<br />
Marktgedanke paßt nicht, wenn es um den<br />
Prozeß der Aufklärung geht, der ständig<br />
befeuert werden muß. Öffentlich gemachte<br />
Vernunft ist fast immer quertreibender<br />
Natur, ethisch fundierte Opposition ist eine<br />
Lebensform praktizierter Verantwortung.<br />
Und: Analyse ist Arbeit, weil mit dem Aufbau<br />
konkreter eigener Positionen und Maximen<br />
verknüpft, von denen aus Kritik erst Sinn<br />
macht. Für den kritischen Künstler ist ein an<br />
Sozialiät ausgerichteter innerer Kompaß des<br />
Denkens und Fühlens eine Voraussetzung.<br />
Bequem macht es sich der pointiert Mahnende<br />
gerade nicht. Mitschwimmer brauchen<br />
andererseits keine Belobigung. Und da die<br />
ehemalige Staatsführung der DDR eben<br />
jenen intellektuellen – besser: moralisch<br />
amputierten scheinintellektuellen – Mit-dem-<br />
Strom-Schwimmern eine Inflation an Orden<br />
in die Brust gepiekst hatte (und die „Nestbeschmutzer“<br />
ins Gefängnis warf, wie Angelika<br />
Mechtel angemessen ungeschminkt in Erinnerung<br />
rief), deshalb ist dieser Bitterfelder<br />
Diskurs auch weiterhin nötig. Die 4. Konferenz<br />
ist projektiert.<br />
Nummer 73 · 11.7.1994 · Seite 18<br />
eingebleut worden: „Wenn ich ein Mann<br />
wär’, dann tät ich keine Frau anrühren. Ich<br />
ertrag’ den Geruch nicht.“ Wenn der Merkl<br />
Franz nach dem nächsten Autoeinbruch<br />
wieder eingelocht worden ist, wird sich der<br />
Kasimir um seine Erna kümmern. Bis dahin<br />
jedoch muß Karoline erst noch dem Kommerzienrat<br />
Rauch und dem Landgerichtsdirektor<br />
Speer begegnen. Roman Silberstein<br />
als Rauch und Siegfried Heinrichsohn als<br />
Speer zelebrieren die in die Jahre gekommene<br />
Männerfreundschaft, in der Alkohol<br />
eine tragende Rolle spielt. Wie sich die alten<br />
geilen Böcke an Karolines junges Fleisch<br />
herantatschen, was im Hippodrom geschieht,<br />
wieso Schürzinger seinem Chef<br />
Rauch die Braut überläßt, ob der seinen<br />
Herzanfall überlebt und wie der Landgerichtsdirektor<br />
ein paar Zähne verliert, das<br />
und noch mehr erleben die ZuschauerInnen<br />
in zwei kurzweiligen Stunden.<br />
Es ist viel los auf der Bühne, denn neben<br />
Maryam El-Ghussein, Claudia Fenner, Aart<br />
Veder, Eduardo Bender und Peter Hackenberger<br />
in kleineren Rollen, sind ein Haufen<br />
Leute als Statisterie aufgeboten. Regisseur<br />
Tobias Lenel – wirkungsvoll unterstützt von<br />
Bühnenbildner Bernd Damovsky – bietet<br />
zum einen den Jahrmarkt als opulenten<br />
Augenschmaus, denunziert zum anderen<br />
die voyeuristische Schaulust des Publikums.<br />
Die Drehbühne leistet gute Dienste<br />
dabei, zum Beispiel wenn wir bei der Zurschaustellung<br />
mißgebildeter Menschen<br />
nach der Drehung einen Blick auf das Publikum<br />
werfen dürfen. Lemurenhaft hetzen die<br />
Oktoberfestgäste hin und her, ab und an<br />
erscheint der Zeppelin als ein schönes<br />
Wunder der Technik – unerreichbar. „Es<br />
geht immer besser“, übt Eugen Schürzinger<br />
am Schluß mit seiner Liebsten Karoline das<br />
Motto der Kleinbürger.<br />
Für das Schauspiel des Staatstheaters mag<br />
dieser Satz gelten. Ensemble, Stück und<br />
Regie haben zu einer sehenswerten Symbiose<br />
gefunden. Die nächsten Aufführungen<br />
sind am 15. und 16. Juli.<br />
P. J. Hoffmann<br />
Kunst – Was soll das? Mit Erich Kästner zu<br />
antworten: „Ja die Bösen und Beschränkten<br />
sind die Meisten und Stärkeren, aber spiel<br />
nicht den Gekränkten, bleib am Leben, sie zu<br />
ärgern.“ Aber es geht selbstverständlich um<br />
viel mehr als bloßes Ärgern. Kunst als Technik,<br />
Ästhetik oder lärmendes Entertainment<br />
allein ist zuwenig. Der intellektuelle Künstler<br />
als mental privilegierter Außenseiter ist ideell<br />
gefordert. Fehlen gänzlich Wille oder Fähigkeit<br />
zu einem überindividuellen Reflexionsniveau,<br />
regiert ein dröges L’art pour l’art oder<br />
eben der kleine, private Exhibitionismus im<br />
Elfenbeinturm. Der mag ganz lustig sein und<br />
begrenzt unterhaltungsfähig, ist aber irrelevant.<br />
Kunstpraxis muß über die pure künstlerische<br />
Selbstbefriedigung hinausreichen.<br />
Kunst ist Politik mit anderen Mitteln und eben<br />
nicht MUZAK. Ergreifen die „gesellschaftlich“<br />
denkenden Künstler und Intellektuellen doch<br />
klar und offensiv die Rolle des Buhmanns.<br />
Sie sorgen für ein Denken in Alternativen und<br />
die visionäre Option: Viel Feind, viel Ehr.<br />
Paul-Hermann Gruner<br />
Klaus Staeck, Eugen Blume, Christoph Tannert<br />
(Hrsg.), „Kunst – Was soll das? Die Dritte Bitterfelder<br />
Konferenz“, Steidl-Verlag, Göttingen, 240 Seiten, viele<br />
S/W-Abb., 28 Mark<br />
Intendant Girth will gehen<br />
(Foto: hs)<br />
Peter Girth will gehen, wenn sein Vertrag<br />
als Intendant am Staatstheater<br />
Darmstadt 1996 ausläuft. Darüber habe, so<br />
meldet das Hessische Ministerium für Wissenschaft<br />
und Kunst mit der Ministerin Evelies<br />
Mayer (SPD) und dem Oberbürgermeister<br />
Peter Benz (SPD) bei einem Gespräch<br />
am 4. 7. „Einvernehmen“ bestanden.<br />
Aus der „FAZ“ (vom 6.7.) zitieren wir: „Der<br />
Intendant beklagte eine ,Diktatur der Verantwortungslosigkeit‘<br />
in Darmstadt. Leute<br />
ohne Sachverstand meldeten sich in seinem<br />
Haus und in der Stadt zu Wort.“ Dem<br />
ist wohl nichts mehr hinzuzufügen …<br />
Außer: Monatelang hatte Darmstadt einen<br />
Nachfolger für Intendant Brenner gesucht,<br />
bevor Girth gefunden werden konnte. Wie<br />
lange wird es wohl diesmal dauern? Ob<br />
überhaupt noch einer (oder eine?) in diese<br />
Provinzstadt kommen mag? L.v.S.