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Marktplatz<br />
ohne Grün?<br />
Mit alten „Ingenieurszeichnungen“ und<br />
einem Vorentwurf des Architekten Udo<br />
Nieper wartete Oberbürgermeister Peter<br />
Benz (SPD) in einer Pressekonferenz<br />
auf: Der Marktplatz soll neu gestaltet<br />
werden. Die Ingenieurspläne sind für<br />
die Straßenbahnschienen entworfen und<br />
Nieper (hat auch die Zeil gestaltet) soll<br />
den Marktplatz mit „urbanem Flair“ versehen.<br />
Doch darum gab’s schon Streit:<br />
Der Architekt hatte für Wartende eine<br />
Überdachung vorgesehen, die den Blick<br />
vom Rathaus auf das Schloß verschandelt<br />
hätte. Da sich alle Beteiligten der<br />
Pressekonferenz des Kaffeesatzes vergangener<br />
Tage (1988) darüber einig<br />
waren, dies nicht mehr so zu wollen, sollen<br />
neue Pläne (ohne Zeitvorgabe) in<br />
Auftrag gegeben werden.<br />
Stolz erwähnte Benz, daß die Planung in<br />
Angriff genommen werden könne,<br />
nachdem die Marktplatz-Tiefgarage<br />
vom Tisch sei. Einstmals von der<br />
SPD/FDP-Koalition vehement verfochten<br />
und fast realisiert, konnten die Grünen<br />
eine wachsende Autoflut bremsen:<br />
Es war unter anderem eine ihrer Bedingungen<br />
für die heutige Koalition.<br />
Nichts wird am Marktplatz passieren,<br />
wenn nicht Landesmittel für den Umbau<br />
der Straßenbahnschienen bereit gestellt<br />
werden. Tröstlich für die AnliegerInnen,<br />
Lärm, Staub und neues Pflaster lassen<br />
auf sich warten. In dem Vorentwurf des<br />
Architekten Nieper von 1988 war kein<br />
bißchen Grün, kein Baum, kein Strauch<br />
– hoffen wir auf vielleicht gewandelte<br />
Einsicht. Auf der Zeil jedenfalls gibt es<br />
Blumenkastenbäume.<br />
Die CDU begrüßt, „daß Bewegung in<br />
die Planungen kommt“, da der „Ostbereich<br />
der Innenstadt wirtschaftlich<br />
zurückgefallen ist“, begründet Dr.<br />
Rüdiger Moog. Kritik hat auch Eva Ludwig:<br />
„In der Magistratsvorlage für den<br />
Ausbau steht nichts über die Finanzierung“.<br />
Von einer Million Mark und<br />
mehr ist die Rede, „soviel kostet nur das<br />
Pflastern“. Die Christdemokraten meinen<br />
, „ein Lattengerüst sollte anstelle der<br />
sieben Meter hohen geplanten Überdachung<br />
der Haltestellen vor dem Schloß<br />
aufgebaut werden, damit man sich vorstellen<br />
kann, wie sehr das den Blick auf<br />
das Schloß stört.“ Sie wenden sich auch<br />
dagegen, „den Platz um eine Haltestelle<br />
herm zu konzipieren“ – vielleicht, weil<br />
ihnen der geplante Nahverkehrsknotenpunkt<br />
nicht schmeckt?<br />
Die Foto-Montage soll einen Eindruck<br />
von der bestehenden Planung des<br />
Marktplatzes geben. Heiner Schäfer hat<br />
nach Vorlage der Architektenpläne eine<br />
fast gleiche Überdachung gesucht<br />
gefunden und vor das Schloß montiert.<br />
sb<br />
Rechtsradikale sind<br />
keine Terroristen<br />
„Keine terroristische Vereinigung“<br />
vermochte das Bundeskriminalamt<br />
hinter den rechtsradikalen Verfassern,<br />
der Liste „Einblick“ zu erkennen.<br />
Im November 93 sorgten sie für<br />
Aufruhr nicht nur unter Linken, sondern<br />
auch im Bürgertum: Richter,<br />
Professoren, Anwälte und viele<br />
andere fanden ihre Namen, Adressen,<br />
zum Teil auch Kfz-Kennzeichen<br />
darin wieder. In der Liste soll zu<br />
Straftaten aufgefordert worden sein,<br />
weshalb die Darmstädter Staatsanwaltschaft<br />
die Ermittlungen aufgenommen<br />
hat; 35 private Strafanträge<br />
liegen vor. Eile ist geboten, denn<br />
nach Presserecht gilt die Verjährungsfrist<br />
von sechs Monaten.<br />
Von 500 Drucken beschlagnahmte<br />
das BKA 299. An die Darmstädter<br />
Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren<br />
abgegeben, weil eine der<br />
Beteiligten (19) in Rüsselsheim<br />
wohnte. Ein Wiesbadener (26), ein<br />
Mainzer (22) und ein Verleger aus<br />
Bayern (63) werden vor Gericht<br />
gestellt wegen Aufforderung zu<br />
Straftaten, Beleidigung und versuchter<br />
Nötigung. Gegen vier weitere<br />
Beschuldigte wurden die Ermittlungen<br />
eingestellt, wegen Mangels an<br />
Beweisen. mg<br />
Wehe dem Schwarzen,<br />
der ein neues Fahrrad hat<br />
Ausgabe 73 11.7.1994 · Seite 5<br />
Wieder Übergriffe der Polizei gegen Ausländer! Wieder Schweigen in der Öffentlichkeit?<br />
Wie fremdenfeindlich ist Darmstadt?<br />
Diese Frage hatten wir in<br />
der letzten Ausgabe gestellt, jetzt<br />
wird sich die Landesregierung<br />
damit befassen.<br />
Eine Anfrage wegen des fremdenfeindlichen<br />
Vorgehens von Polizei und Justiz<br />
gegen den Ghanaer Osman Seidu * (siehe<br />
ZD Ausgaben 50, 71, 72) will die<br />
Grüne Landtagsabgeord<strong>net</strong>e Daniela<br />
Wagner im Landtag einbringen. Dies<br />
war neben einer Leserin, die wegen des<br />
Sammelns von Spenden für die Prozeßkosten<br />
Osman Seidus bei der ZD angerufen<br />
hatte, die einzige öffentliche<br />
Reaktion auf die Berichterstattung über<br />
den Prozeß gegen ein Opfer der Polizei.<br />
Finanzielle Unterstützung für Seidu hat<br />
auch Jörg Schader von der „AGAR“<br />
zugesagt.<br />
Unser Oberbürgermeister Peter Benz<br />
(SPD) ist nach dem Hessischen Gesetz<br />
für Sicherheit und Ordnung § 57 der<br />
Vorgesetzte der Polizisten; er schweigt,<br />
ebenso die Aufsichtsbehörde, vertreten<br />
durch Regierungspräsident Horst Daum<br />
(SPD), ebenso alle Parteien und PolitikerInnen.<br />
Die Beamten hatten öffentlich im Verfahren<br />
zugegeben, ihr Opfer geschlagen,<br />
als „Scheiß Neger“ beschimpft und auf<br />
den gefesselten, in einer Zelle eingesperrten<br />
Mann, einen Hund losgelassen<br />
zu haben.<br />
Frankfurter Reaktionen<br />
Nachdem in Frankfurt am 1.7. ein Ugander<br />
von Neo-Nazis zusammengeschlagen<br />
worden war, hat der dortige Oberbürgermeister<br />
Schoeler eine Belohnung<br />
von 10.000 Mark für Hinweise ausgesetzt,<br />
die zur Ergreifung der Täter<br />
führen; die Staatsanwaltschaft hat weitere<br />
5.000 Mark Belohnung bereitgestellt.<br />
In Darmstadt sind die Täter<br />
bekannt, die Staatsanwaltschaft hat die<br />
Ermittlungen gegen sie eingestellt – und<br />
alle anderen? Siehe oben.<br />
Der neue Bundespräsident Herzog in<br />
seiner Amtsrede:<br />
„Wer selbst nicht weiß, daß man<br />
lebendige Menschen nicht in Brand<br />
steckt, daß man sie nicht zusammenschlägt<br />
oder durch Städte jagt, dem<br />
muß das eben auch mit den Machtmitteln<br />
des Rechtsstaates klar<br />
gemacht werden“.<br />
Derweil mehren sich die Meldungen<br />
über Schlägereien zwischen Polizeibeamten<br />
und Ausländern. Die Meldung<br />
über den folgenden, jüngsten Fall hat die<br />
Pressestelle der Polizei selbst verbreitet.<br />
Im Wortlaut:<br />
„Polizeiaktion mit Schwierigkeiten:<br />
Beamte der Verwendungseinheit der<br />
Darmstädter Polizei führten am Dienstag<br />
(28.6.) am Luisenplatz und im<br />
Herrngarten eine Aktion zur Bekämpfung<br />
der Drogenszene und der Straßenkriminalität<br />
durch. Dabei kam es am<br />
frühen Abend zu erheblichen Schwierigkeiten,<br />
als eine Gruppe von Schwarzafrikanern<br />
die Beamten angriffen und<br />
beleidigten. Drei Männer wurden festgenommen,<br />
drei Polizisten verletzt.<br />
Begonnen hatte die spätere Auseinandersetzung<br />
gegen 19.30 Uhr, als im<br />
Herrngarten ein 25 Jahre alter Mann<br />
aus Ghana kontrolliert werden sollte,<br />
der ein neues Mountain-Bike mitführte.<br />
Da er den Beamten gegenüber eine drohende<br />
Haltung einnahm und sich gegen<br />
eine daraufhin geplante Durchsuchung<br />
(Eigensicherung) wehrte, wurde er auf<br />
den Boden gelegt und durchsucht.<br />
Dabei verletzte sich der Mann leicht an<br />
der linken Hand (Schürfwunde). Nachdem<br />
die Herkunft des Rades geklärt<br />
werden konnte und gegen den 25jährigen<br />
nichts vorlag, wurde er entlassen.<br />
Er ging zu ca. 8 Landsleuten, die kurze<br />
Zeit später die Beamten beleidigten.<br />
Einer der Ghanesen warf eine Flasche<br />
auf den Weg, worauf sich Passanten bei<br />
den Beamten beschwerten. Die Feststellung<br />
der Personalien des Werfers scheiterte<br />
zuerst. Daraufhin wurden weitere<br />
vier Beamte in den Herrngarten beordert.<br />
Als der Mann nun festgenommen<br />
werden sollte, zerbiß er eine Glasscherbe<br />
und spuckte die Splitter gegen die<br />
Beamten. Es gelang schließlich, ihn zu<br />
einem in der Schleiermacherstraße<br />
abgestellten Funkwagen zu bringen. Auf<br />
dem Weg dorthin wurden die Beamten<br />
von den Landsleuten des Festgenommenen<br />
und ihm selbst bedroht und beleidigt.<br />
Einer der Männer, er ist 27 Jahre<br />
alt, trommelte auf dem Streifenwagendach<br />
herum, brach die Antenne eines<br />
dort parkenden Pkw ab und biß einen<br />
der Polizisten kräftig in den Oberschenkel.<br />
Der ,Flaschenwerfer‘, der ,Beißer’<br />
und ein 31 Jahre alter Mann, gegen den<br />
ein Haftbefehl der Staatsanwaltschaft<br />
Osnabrück wegen Widerstandes und<br />
Betrug vorlag, wurden zum Polizeipräsidium<br />
gebracht, dort wurden die Personalien<br />
überprüft. Zwei der Festgenommenen<br />
wurden noch am Abend entlassen.<br />
Der 31jährige konnte am Mittwoch<br />
morgen nach Hause gehen, nachdem er<br />
930 Mark Geldstrafe gezahlt hatte. Die<br />
drei Kameraden werden wegen Widerstandes<br />
gegen Vollstreckungsbeamte,<br />
Körperverletzung, Sachbeschädigung<br />
und Beleidigung angezeigt. Wie sich bei<br />
der Überprüfung herausstellte, waren<br />
die Asylanträge von zwei Männern<br />
abgelehnt worden, zur Zeit haben sie<br />
eine Duldung. Der 3. Festgenommene<br />
und der kontrollierte Radfahrer haben<br />
vor kurzem deutsche Frauen geheiratet.“<br />
Werner Rühl, Polizeipressestelle<br />
Wer ein neues Fahrrad hat…<br />
Aus der Sicht der Betroffenen stellt sich<br />
der Vorgang so dar: Joseph Oppong,<br />
1968 in Ghana geboren, lebt seit zwei<br />
Jahren in der Bundesrepublik. Am 17.<br />
Juni bekam er zu seiner Hochzeit Geld<br />
geschenkt, davon kaufte sich am 25.6.<br />
das lang ersehnte Mountain-Bike.<br />
Freunde warnten ihn: „Wenn Du mit<br />
Deinem neuen Rad fährst, kriegst Du<br />
Ärger mit der Polizei“. Aus Sicherheitsgründen<br />
machte er sich eine Kopie<br />
des Kaufvertrages, um jederzeit belegen<br />
zu können, daß dies sein Fahrrad ist.<br />
Nackte Polizei-Gewalt<br />
Es dauerte tatsächlich nur drei Tage, bis<br />
er sich am 28.6. erstmals mit der Polizei<br />
konfrontiert sah. Auf dem Weg vom<br />
Luisenplatz zum Herrngarten wurde er<br />
am 28.6. (siehe Polizeimeldung oben)<br />
von einem Zivilpolizisten angehalten:<br />
„Show your passport!“ und „Who ist the<br />
owner of this bycicle?“ Bereitwillig zog<br />
Oppong seinen Pass, doch das genügte<br />
dem Beamten nicht, er wollte ihn durchsuchen,<br />
forderte ihn auf, die Hände aus<br />
den Taschen zu nehmen und fing an, ihn<br />
abzutasten. Zimperlich war der Beamte<br />
dabei nicht, trat Oppong ans Bein, drehte<br />
ihm den Arm auf den Rücken und<br />
zwang ihn in die Knie, auf das Pflaster.<br />
Zwischenzeitlich waren zwei weitere<br />
Beamte hinzugekommen und sie bearbeiteten<br />
Oppong zu dritt. Der erste<br />
kniete auf dem Kopf von Oppong, der<br />
sich im Gesicht verletzte, weil er auf<br />
dem Pflaster lag; eine anderer Beamter<br />
hielt seinen Arm im Polizeigriff<br />
auf dem Rücken. Sie zogen Oppong<br />
schließlich wieder hoch, öff<strong>net</strong>en Gürtel<br />
und Hose, zogen ihm Schuhe und<br />
Socken aus und durchsuchten seine<br />
Taschen. Dabei fiel ihnen das Portemonnaie<br />
Oppongs in die Hände mit dem<br />
Kaufbeleg für das Fahrrad.<br />
Endlich ließen sie Oppong laufen. Er hat<br />
Strafanzeige gegen die Beamten<br />
gestellt, denn er sieht sich unschuldig<br />
verfolgt und von einem Beamten in<br />
Ausübung seiner Tätigkeit verletzt.<br />
Den Vorgang hatte ein Darmstädter<br />
beobachtet und war zu mehreren<br />
Freunden Oppongs gelaufen, die mit<br />
ihm im Herrngarten verabredet waren –<br />
unter ihnen auch Osman Seidu, der gerade<br />
erst (siehe oben) wegen angeblichen<br />
Widerstands gegen die Staatsgewalt<br />
verurteilt worden war. Seidu bekam<br />
einen Schrecken, erzählt er: „Meinem<br />
Freund ist dasselbe passiert wie mir!“<br />
Sofort lief er ihm entgegen, sah, daß er<br />
Verletzungen an der Hand hatte, ging<br />
mit ihm zu den Zivilbeamten zurück und<br />
stellte sie zur Rede: „Wenn mein Freund<br />
ein Deutscher wäre, hättest Du das dann<br />
auch gemacht?“ fragte Seidu und forderte<br />
die Polizisten auf, Oppong ins Hospital<br />
zur Behandlung bringen zu lassen.<br />
Doch er erhielt – von wem ist nicht klar,<br />
da weitere Zivilbeamte plötzlich dazu<br />
gestoßen waren – die Antwort:<br />
„Go back to africa !“<br />
Seidu und sein Freund Oppong sind<br />
stolz und lassen sich nicht gern was<br />
gefallen. Seidu hatte die ZD mit seinem<br />
Prozeßbericht dabei und hielt sie den<br />
Beamten vor, doch die griffen nur<br />
danach und einer zerriß sie mit den<br />
Worten, „Das ist doch scheißegal!“<br />
Nach schlichtendem Eingreifen von<br />
Passanten (unter ihnen ein Autor der<br />
ZD, der zufällig vorbeikam) und ohne<br />
weitere Auseinandersetzungen ließen<br />
die Ghanaer die Beamten stehen und<br />
gingen zu ihren Freunden im Herrngarten<br />
(siehe Augenzeugenbericht).<br />
Glaskauen aus kalter Wut<br />
Seidu war wütend und außerordentlich<br />
aufgeregt, er nahm eine Fanta-Flasche,<br />
zerschlug sie, warf den Flaschenhals<br />
weg und kaute die Glasscherben. Glaskauen?<br />
„Das mache ich immer, wenn<br />
ich mich abregen will“, erklärt er. Die<br />
Ghanaer, auch sein Freund Oppong, versichern,<br />
daß das nichts Unübliches in<br />
Ghana ist. „Wir lecken Feuer oder essen<br />
Glas“. Das Erstaunliche dabei: Sie verletzen<br />
sich nicht, obwohl sie das Glas so<br />
lange klein kauen, bis sie es schlucken<br />
können. Genau dabei war Seidu, als die<br />
Polizisten wiederkamen – inzwischen<br />
auf acht angewachsen – und seinen Pass<br />
sehen wollten.<br />
Da Seidu einen Rucksack trug, wollte er<br />
seinen Ausweis rausholen, kam aber<br />
nicht mehr dazu, da die Polizisten ihm<br />
den Hals zudrückten und ihn auf den<br />
Boden zwangen. Die Beamten würgten<br />
ihn, bis die Zunge heraushing und „mir<br />
das Glas aus dem Mund fiel“.<br />
☛ Fortsetzung Seite 6